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Benutzername: 
hasirasi2
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Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1167 Bewertungen
Bewertung vom 08.03.2022
Goethe in Karlsbad
Günther, Ralf

Goethe in Karlsbad


sehr gut

Tschechische Reise

Im Spätwinter 1816 will Goethe nur eins: „Endlich würde er schreiben. Endlich Erholung für die Seele finden und Linderung für die Schmerzen im Leibe.“ (S 8) Nach anstrengenden Monaten zu Hause, in denen Christiane einige Schlaganfälle hatte und er selbst immer noch mit Nierenschmerzen und einem Katarrh kämpft, fährt er zur Kur nach Karlsbad. Doch statt die verordnete Ruhe zu genießen, verhindert er schon am ersten Abend den Selbstmord eines jungen Liebespaares, das sich von seinen „Die Leiden des jungen Werther“ hatte inspirieren lassen. Goethe insistiert „Der Tod ist niemals die Lösung. Er ist immer eine Niederlage.“ (S. 34) und lässt sich überreden, bei den Eltern der unglücklich Liebenden vorzusprechen. Kurz darauf erreicht ihn ein Brief von zu Hause – eine junge Frau streift durch Weimar und behauptet, von ihm schwanger zu sein. Um seinen Ruf und Christianes angeschlagene Gesundheit zu schützen, muss er sofort zurück …

Ich finde den Klappentext und Titel von Ralf Günthers neuem Buch etwas unglücklich gewählt, da Karlsbad und die Liebesgeschichte des jungen Paares nur die Rahmenhandlung für Goethes eigenes Drama bilden. Der ist 67 und seine Gesundheit und sein Ruf sind angegriffen, denn man regt sich immer noch über die nicht standesgemäße Ehe mit Christiane Vulpius und die Anerkennung ihres Sohnes August auf. Da kommt seinen Gegnern das Gerücht eines weiteren unehelichen Kindes natürlich recht.

Ralf Günther spielt im vorliegenden Roman mit den Gerüchten um Goethes letztes (?) uneheliches Kind (Zumindest hat er es auch über seinen Tod hinaus abgesichert.) und zeichnet ein sehr pointiertes Bild des damaligen Zeitgeistes. Ich finde es erstaunlich, wie viel (Literatur-)Geschichte er in diese 178 Seiten gepackt hat. Neben den Verweisen auf „Die Leiden des jungen Werther“ und dessen verschiedene Entstehungs- und Interpretationsmöglichkeiten (Goethe wird immer wieder an diesem Werk gemessen und man geht davon aus, dass er selbst W. ist.) werden auch die politische Lage, seine fast ununterbrochene Reisetätigkeit, der Konflikt mit seinem erwachsenen Sohn und Christianes Ablehnung durch die Gesellschaft aufgegriffen. In diesem Zusammenhang fand ich sehr interessant, dass die beiden wohl eine recht offene Ehe geführt haben und Liebeleien beiderseits geduldet wurden – das war für diese Zeit sehr modern. Dabei kommt Goethe in meinen Augen nicht immer besonders sympathisch rüber – er war ein autoritärer Machtmensch, hat seine Interessen durchgesetzt und einfach das Schicksal anderer Menschen in seinem Sinne bestimmt.

Erwähnen möchte ich auch den ungewöhnlichen Sprachduktus des Romans, angelehnt an Goethes Ausdrucksweise. Aber nachdem ich mich daran gewöhnt hatte, passte er hat sehr gut zum Inhalt.

Bewertung vom 06.03.2022
Querbeet ins Glück
Kirsch, Lisa

Querbeet ins Glück


ausgezeichnet

Die Grüne Freiheit

„Maddie. Du musst den Garten für mich machen!“ (S. 19) ist wohl so ziemlich der letzte Satz, den diese von ihrer Vermieterin Gabi hören will, schließlich ist sie Musicaldarstellerin und hat einen schwarzen Daumen, selbst Kakteen gehen bei ihr ein. Aber Gabi ist die Treppe runtergefallen und hat sich die Hüfte verdreht und Maddie ist neu in Berlin und hat noch keine Freunde gefunden – und sie kann nicht nein sagen. Also findet sie sich kurz darauf unfreiwillig mit Huhn Inge auf dem Arm im Gemeinschaftsgarten Grüne Freiheit wieder und verliert sich in Mo‘s grünen Augen ...

Im Privatleben ist Maddie schüchtern und sehr introvertiert, fühlt sich vom Alltag oft überfordert. Wenn sie nicht für die Aufführungen probt, strickt sie oder schreibt Listen, aber „… auf der Bühne war ich nicht Maddie. Auf der Bühne war ich die Figur, die ich spielte. Und das machte mich frei.“ (S. 23) Bisher musste sich alles andere ihrer Karriere unterordnen, auch ihr Privatleben. Doch je öfter sie im Gemeinschaftsgarten arbeitet, um so glücklicher und freier fühlt sie sich. Zumal es bei den Proben zum Musical immer wieder zu Mobbing, Neid und Sabotageakten unter den Darstellern kommt. Jetzt entdeckt sie, dass es noch ein Leben neben der Arbeit gibt – auch wenn man diese trotz allem liebt. Und dann sind da ja auch noch die anderen Gärtner, nicht nur Mo und sein Sohn Elvis, auch Lila, Sina, Ulli, Henni und Hühnerflüsterer Hinnert werden schnell zu echten Freunden. Sie alle haben eine Geschichte, die überrascht oder zu Herzen geht. Doch die Idylle währt nicht ewig, denn die Gartensparte, zu der sie gehören, soll einem Neubauprojekt weichen.

Mir hat gefallen, wie Lisa Kirsch den Garten und die Jahreszeiten als Spiegel der Welt und eines Menschenlebens nimmt, das war stellenweise schon sehr philosophisch. Geschickt vermittelt sie auch das Leitbild der Gemeinschaftsgärtner – alles kann, nichts muss und jeder darf machen was er will, wenn er niemand anderem schadet und nachhaltig gärtnert. Es geht ihnen um den Zusammenhalt untereinander, darum, die Artenvielfalt bei Pflanzen und Insekten zu zeigen und erhalten und so viel zu erwirtschaften, dass es für alle reicht und sie sogar noch einen kleinen Teil verkaufen können. Und nicht zuletzt geht es auch ums Glücklichsein, denn „Glück sind immer kleine, fließende Momente … Glück ist nie anhaltend. Man muss es finden, indem man genau hinsieht.“ (S. 264)

„Querbeet ins Glück“ ist ein sehr kurzweiliger und amüsanter Liebesroman mit Tiefgang, der einem ein kaltes, graues Frühlingswochenende versüßt und zum Träumen vom eigenen Garten einlädt.

Bewertung vom 04.03.2022
Psst! Gute und schlechte Geheimnisse. Ein Zusammenlesebuch für Kinder und Erwachsene. Begleitet vom Kinderschutzbund
Below, Christin-Marie;Russo, Andrea;Abedi, Isabel

Psst! Gute und schlechte Geheimnisse. Ein Zusammenlesebuch für Kinder und Erwachsene. Begleitet vom Kinderschutzbund


ausgezeichnet

Was ist Dein Geheimnis?

„Zwischen guten und schlechten Geheimnissen zu unterscheiden ist manchmal nicht leicht.“ (S. 8) Aber wie erklärt man (s)einem Kind, welches Geheimnis es problemlos für sich behalten kann und welches es besser einer Vertrauensperson oder zur Not auch jemand Fremden erzählt? Mit dieser Frage beschäftigen sich verschieden Autoren und Illustratoren mit Unterstützung des Kinderschutzbundes in „Psst! Gute und schlechte Geheimnisse“.

In kurzen, wunderschön illustrierten und kindgerechten Geschichten wird auf die Rechte von Kindern, verschiedene Arten von Mobbing, körperliche oder sexualisierte Gewalt und traumatische Erlebnisse eingegangen. Es wird aber auch aufgezeigt, was gute Geheimnisse sind und wie man geheime Wünsche der Kinder vielleicht erfahren kann, um ihnen diese evtl. zu erfüllen. Außerdem bekommen die Kinder erklärt, wie man Streit schlichtet, seinen Gerechtigkeitssinn entwickelt und was Toleranz bedeutet und alles beinhaltet (sei es nun Hautfarbe, Sprache oder Herkunft, oder auch der Wunsch nach einer anderen Identität / einem anderen Geschlecht).
Mir hat gefallen, dass die Probleme zum Teil geschickt umschrieben werden, sodass man die Kinder nicht gleich verschreckt, sie aber trotzdem verstehen, worauf die Herausgeberinnen bzw. der Fragesteller hinauswollen. Diese weisen übrigens ausdrücklich darauf hin, dass die Geschichten zum Zusammenlesen gedacht sind, damit die Kinder aufkommende Fragen sofort beantwortet bekommen. Das wichtigste Mittel sollte immer intensives Beschäftigen und gutes Zuhören sein – das Kind soll sich verstanden und sicher fühlen, es muss sich nicht schämen und braucht keine Angst vor der Schuldfrage zu haben.
Sehr interessant fand ich dabei das System der helfenden Hand, welches ich noch nicht kannte. Dabei steht jeder der 5 Finger für eine Vertrauensperson, die sich das Kind selber aussuchen und an die es sich im Bedarfsfall wenden soll. Das können neben Familienmitgliedern auch andere Eltern oder Lehrer und Erzieher sein.
Abgerundet wird das Buch durch Hintergrundwissen für die Eltern und die Adressen und Telefonnummern von Anlauf- und. Beratungsstellen.

Ich finde „Psst!“ sehr wichtig und hoffe, dass es in vielen Kinderzimmern oder Einrichtungen für Kinder Einzug hält.

Bewertung vom 03.03.2022
Die Heimat des Herzens / Die Frauen von Hampton Hall Bd.3
Whitmore, Felicity

Die Heimat des Herzens / Die Frauen von Hampton Hall Bd.3


sehr gut

Düstere Familiengeheimnisse

Oregon, 1848: Die frühere Lady Abigail of Mahony hat es geschafft, ihrem Peiniger auf ein Schiff in Richtung New York zu entkommen. Sie hat in der Zeitung gelesen, dass ein reicher New Yorker Kunstsammler unrechtmäßig die Arbeitermadonna ihrer Familie erworben hat und will sie zurückfordern. Mit ihrer zutiefst erschütternden Geschichte kann sie das Herz von Captain Maroon erweichen, behält aber ein sehr wichtiges Geheimnis für sich.
Zur gleichen Zeit kämpfen ihre Söhne Ebenezer und Hugo in England gegeneinander um das Erbe, denn plötzlich ist ein neues (altes) Testament aufgetaucht, das alles ändert. Hugo ist dafür sogar bereit, nicht nur Ebenezers Glück, sondern auch sein Leben zu zerstören.

„Heimat des Herzens“ ist der dritte und letzte Band der „Frauen von Hampton Hall“. Man sollte hier unbedingt die Vorgängerromane lesen, um alle Zusammenhänge zu verstehen – und selbst dann ist es nicht immer einfach, die Familienmitglieder miteinander in Beziehung zu setzen, obwohl die Autorin die drei Zeitstränge der 1840er, 1920-30er Jahre und heute und die verschiedenen Kontinente geschickt verknüpft. Sie lässt die Beteiligten aller Bände noch einmal zu Wort kommen und rundet die Trilogie damit toll ab. Nur die Zufälle und Menschen, die Abigail oft so selbstlos geholfen haben ihre Ziele zu erreichen, waren mir manchmal etwas zu viel.

Ich fand schon die Geschehnisse im zweiten Band etwas gruselig und jetzt hat Felicity Whitmore noch eine Schippe draufgelegt. Eins vorweg, sie kann wirklich toll schreiben. Das Buch ist sehr mitreißend, abwechslungsreich und spannend. Aber ich wäre gern bezüglich der Thematik vorgewarnt worden (Achtung Spoiler), da es um Eugenetik und Inzucht zwischen Geschwistern sowie Eltern und Kindern geht. Auch wenn diese Dinge nur erzählt und nicht explizit beschrieben werden, waren sie mir einfach zu grausam und abscheulich.

Mein Fazit: Ein gelungener Abschluss der Trilogie, aber definitiv nichts für schwache Nerven.

Bewertung vom 02.03.2022
Zusammen sind wir wundervoll
Kirschner, Marina

Zusammen sind wir wundervoll


ausgezeichnet

Das Café der gebrochenen Herzen

„Auf eine Zitrone wurde ich noch nie eingeladen.“ (S. 7) flirtet Anna den Unbekannten auf dem Salzburger Grünmarkt offensiv an, aber er geht nicht darauf ein. Dabei muss er das Bitzeln doch bemerkt haben, als sich ihre Hände beim Griff nach der Zitrone zufällig berührt haben, und schließlich hat er sie ihr dann ja auch geschenkt. Sie jedenfalls kann ihn nicht vergessen und freut sich, dass er der Betreiber des neuen veganen Bistros gegenüber ihrem Café Sonnigsüß ist. Doch aus der erhofften Freundschaft wird nichts, denn Marco verhält sich weiterhin extrem abweisend. „Und das Schlimmste ist, dass ich gleich bei unserer ersten Begegnung geahnt habe, dass er einer von denen ist, vor dem man weglaufen sollte.“ (S. 246)

Das Café Sonnigsüß ist eine Zuflucht für Menschen, die einsam sind oder Probleme haben, ein heiler Ort in einer kaputten Welt, dessen Backwerke magisch zu sein scheinen, weil sich die Gäste nach dem Essen etwas besser fühlen, fast schon glücklich, und weil es die Menschen zusammenbringt.
„Genau genommen ist Mel nicht meine Schwester. Wir teilen nicht dieselbe DNA. Aber wir haben diese Herzen, die im Gleichklang schlagen. Wir haben diese Geschichte, die uns zusammenschweißt. Und wir haben diese Freundschaft, die weit über das hinausgeht, was man unter Freundschaft versteht.“ (S. 56) Anna und ihre Ziehschwester Mel wohnen zusammen über dem Café. Beide sind sehr lebenslustig und scheinen immer fröhlich zu sein. Sie haben keine Probleme, Männer kennenzulernen, aber damit, sich zu binden – sie konsumieren sie wie eine von Annas köstlichen Backkreationen. Was sie in ihrer Kindheit Traumatisches erlebt haben, weiß außer Oma Gertraud niemand. Und die hat sie zu selbständigen und selbstbewussten Frauen erzogen, die gut ohne Männer klarkommen – genau wie sie selbst.
Zu den täglichen Stammgästen gehört der frisch verwitwete Augustin Havel. Der nette alte Herr kommt nicht nur wegen der Törtchen, sondern auch wegen Maja, einer sehr schlauen Schülerin, mit der er philosophische Fragen oder mathematische Probleme löst und der er wissenschaftliche Bücher ausleiht.
Und obwohl sich alle in dem Café ziemlich nahe sind, respektieren sie doch meist die Privatsphäre des anderen. Es werden selten Fragen gestellt, warum der andere gerade traurig aussieht oder immer wiederkommt. Man ist einfach füreinander da und tröstet sich mit süßen Sünden. Erst als Maja plötzlich ihre Besuche einstellt wird ihnen klar, dass sie auf ihre Intuition hätten hören sollen – denn Anna und Mel haben sich längst in ihr wiedererkannt.

„Zusammen sind wir wundervoll“ ist ein sehr berührendes und warmherziges Buch, das zum Nachdenken anregt und daran, auch mal hinter die Fassade unseres Gegenübers zu schauen. Es geht um spätes Glück und junge Liebe, schwere Traumata und wie wichtig Freundschaft im Leben ist. „Die Jahre sind so flüchtig wie der eine Augenblick, in dem man das perfekte Soufflé aus dem Ofen holt.“ (S. 15)

Mir hat die poetische Erzählweise abwechselnd aus der Sicht der jeweiligen Person sehr gut gefallen, weil man so ganz tief in deren Gedanken- und Gefühlswelt abtauchen konnte. Mehr als einmal hätte ich die Beteiligten gern in den Arm genommen und getröstet.

Den Charme des Buches machen auch die köstlichen Backwerke und (nicht ausschließlich) veganen Gerichte aus, deren Rezepte ich zum Teil schon ausprobiert habe.

5 Sterne für diesen Seelenschmeichler.

Bewertung vom 02.03.2022
Flüssiges Gold / Commissario Luca Bd.1
Riva, Paolo

Flüssiges Gold / Commissario Luca Bd.1


ausgezeichnet

Ein Wespennest voller Olivenöl

„Wem sind sie auf den Schlips getreten? Haben sie kein Schutzgeld gezahlt?“ (S. 51/52) brüskiert die verantwortliche Vice-Questora Aurora Mair die Olivenbäuerin Fabrizia Gori, nachdem diese mitten auf dem Markt angeschossen wurde. In Sizilien wäre diese Frage vielleicht berechtigt, aber doch nicht im idyllischen Städtchen Montegiardino mitten in der Toskana! Mit dieser Meinung steht „Dorfpolizist“ Luca, der erst seit 2 Jahren wieder in seiner Heimat tätig ist, nicht alleine. Doch die Vice-Questora ist überzeugt, dass die Mafia ihre Finger im Spiel hat. Luca glaubt ihr erst, als auf einen weiteren Olivenbauern geschossen wird …

„Flüssiges Gold“ ist der Auftakt einer neuen Krimi-Reihe mit dem „Commissario zum Verlieben“ und Luca hat wirklich etwas an sich, dass die Herzen der Frauen zum Schmelzen bringt. Der alleinerziehende Vater ist nett, offen und fröhlich und drückt schon mal ein Auge zu, wenn an Markttagen falsch geparkt wird. Schließlich weiß man nie, wann man selbst eine kleine Gefälligkeit brauchen kann, seien es die ersten Steinpilze der Saison oder ein Stück besonders guter Speck. Aber er war nicht immer „nur“ der Dorfpolizist, sondern hat vorher in Venedig in einer Spezialeinheit gegen das organisierte Verbrechen gearbeitet – er weiß also, worauf es im Ernstfall ankommt. Dadurch kommt es mit der Vice-Questora immer mal zu Kompetenzgerangel und amüsanten Wortgefechten. Sie macht es einem mit ihrer sehr harschen, zielstrebigen und durchsetzungsstarken Art aber auch wirklich nicht leicht, sie zu mögen. „Ich bin nicht hier, um einen Sympathiepreis zu gewinnen.“ (S. 79)

Paolo Riva hat hier einen sehr spannenden und wendungsreichen Krimi geschrieben, der im Laufe der Handlung immer mehr an Tempo gewinnt, interessante Hintergründe zum Olivenölanbau und -handel liefert und dessen Auflösung mich echt überrascht hat.
Ich mag die lebensnahen Protagonisten, das soziale Gefüge in der Kleinstadt, die charmanten Kleinigkeiten, wie etwa die ungewöhnlichen Haustiere des Commissario, und das Dolce Vita, mit dem „Flüssiges Gold“ zusätzlich punktet. Für mich ist Luca der „Luc Verlain“ Italiens ;-).

Wenn ich mir für den nächsten Band etwas wünschen dürfte, wären es ein Glossar für die italienischen Begriffe und ein Personenregister, da die Beteiligten z.T. abwechselnd mit ihren Vor-, Nachnamen oder Berufsbezeichnungen benannt wurden. Und wenn schon so viele tolle Gerichte beschrieben werden, dürfte ruhig auch ein Rezept drin sein :-).

Bewertung vom 01.03.2022
Mord auf dem Friedhof / Miss Merkel Bd.2
Safier, David

Mord auf dem Friedhof / Miss Merkel Bd.2


ausgezeichnet

Die Leiche ist auch mal der Gärtner

Als Angela Merkel auf dem Friedhof erst einen attraktiven älteren Mann kennenlernt, der aussieht wie ein französischer Filmstar, dann einen Streit beobachtet und später einen der Kontrahenten ermordet und kopfüber „eingetopft“ findet, kommt endlich wieder Leben in ihr eingefahrenes Rentnerdasein. Seit den Ermittlungen zum Mord an Freiherr Philipp von Baugenwitz langweilt sie sich nämlich und Kommissar Hannemann und sein neuer Kommissaranwärter überschlagen sich bei der Aufklärung des Mordes nicht gerade. Schnell findet sie heraus, dass der Tote der Friedhofsgärtner war und anscheinend mit den beiden ortsansässigen, miteinander verfeindeten, Bestattern im Clinch gelegen hat. Doch wer von ihnen oder ihren Angehörigen hatte einen Grund, ihn zu ermorden? „Die Stunde von Miss Merkel war gekommen!“ (S. 56)
Und da Puffel (ihr Mann Achim) gerade mit einem Freund auf einer mehrwöchigen Wandertour ist, weiß er nicht, dass sich seine Puffeline schon wieder in Gefahr (und vielleicht auch die Arme eines anderen Mannes ?!) begibt.

Personenschützer Mike ist von den Ereignissen gar nicht begeistert. Er hatte auf eine ruhige Stelle gehofft und muss sich jetzt mit der dritten Leiche in 3 Monaten und Angelas gefährlichen Alleingängen rumschlagen. Außerdem ist er verliebt und weiß nicht so richtig weiter. Also stolpert er von einem Fettnäpfchen ins nächste und ist statt „Magic Mike“ leider „Tragic Mike“, wie seine Angebetete treffend bemerkt.
Auch Mops Putin ist nur semibegeistert. Es ist nicht nur viel zu warm zum Ermitteln, ihm gefällt auch nicht, wie seine Mama einen Mann anhimmelt, der nicht sein Papa ist!

Wie schon im ersten Band hat mich David Safier wieder von der ersten bis zur letzten Seite sehr gut unterhalten. Ich liebe seine pointierten Protagonisten: Angela ist herrlich furchtlos und extrovertiert. Nach ihrer Karriere in der Politik erschreckt sie nichts mehr. Also fast nichts, Achim ungewöhnliche Lieder zur Aufmunterung und sein Scrabble-Faible sind ihr dann doch etwas zu viel. Sie hingegen beschäftigt sich lieber mit der Frage, wer Shakespeares Werke wirklich geschrieben hat und findet diesbezüglich ausgerechnet in einem der verdächtigen Bestatter einen Verbündeten. Und der regt nicht nur ihren Geist an, sie verliebt sich auch zum ersten Mal in ihrem Leben auf den ersten Blick und muss sich die existenzielle Frage stellen, ob ihr in ihrer Beziehung zu Achim etwas fehlt.

Ich finde die Geschichte wunderbar herzerwärmend und philosophisch. David Safier spricht hier ganz nebenbei auch die normalen Komplikationen in einer Beziehung an und wie das Rentnerdasein das Leben verändert. „Das war nun mal das Dumme an der Rente: Man hatte plötzlich viel zu viel Zeit, um über Dinge zu grübeln, die einem sonst nie in den Sinn gekommen wären.“ (S. 33) Zudem konfrontiert er Angela mit Alltagsproblemen, wie z.B. einem extrem exaltierten und übergriffigen Frisör, und der Frage, wieviel Wahrheit eine Freundschaft verträgt: „Du bist nicht mehr in der Politik. Du musst Deine Freunde nicht anlügen.“ (208)

Doch natürlich ist „Miss Merkel: Mord auf dem Friedhof“ in erster Linie ein wirklich spannender Krimi mit überraschenden Wendungen, ordentlich Tempo und einigen filmreifen Szenen. Ich warte jetzt mit Ungeduld auf den nächsten Band und vielleicht werden die Bücher ja wirklich mal verfilmt?!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.02.2022
Wunder einer neuen Zeit / Salon-Saga Bd.1
Fischer, Julia

Wunder einer neuen Zeit / Salon-Saga Bd.1


ausgezeichnet

Parallelogramm der Sehnsucht

„Die elegante, weltgewandte Dame aus der Stadt und das Mädel vom Land, die auf den ersten Blick nichts miteinander verband, wünschten sich dieselben Dinge: einen Mann, der sie liebte, und ein selbstbestimmtes Leben.“ (S. 429)
Die weltgewandte Dame heißt Charlotte und verliebt sich in den Medizinstudenten Hans, aber sie ist in einer unglücklichen Ehe gefangen, in der ihr Mann und ihre Schwiegermutter alles bestimmen.
Auch Hans ist nicht glücklich. Sein in Russland verschollener Vater wollte, dass er Arzt wird, dabei ist er ein begnadeter (Jazz-)Trompeter und würde sein Geld lieber mit Musik verdienen.
Seine Schwester Leni arbeitet im Friseursalon ihrer Mutter, aber sie will der Enge ihres Dorfes und den immer gleichen Kunden mit den immer gleichen Frisuren entkommen. Leni träumt von der Meisterschule und einem eigenen Salon in München. Diesem Ziel kommt sie ein großes Stück näher, als sie im Salon Keller am Hofgarten angestellt wird, einer der besten Adressen der Stadt.

„Der Salon“ ist ein sehr bewegender Roman über die Ziele und Sehnsüchte junger Menschen in den 50er Jahre in München. „… Luft anhalten, Haltung bewahren und lächeln. So verkauft man Träume.“ (S. 346) – aber es fällt den Protagonisten in Julia Fischers neuem Roman nicht leicht, sich ihre Träume zu verwirklichen, zu sehr sind sie in den geltenden Konventionen und Vorgaben ihrer Eltern oder Ehepartner gefangen. Mich erschüttert dabei immer wieder, wie wenig Rechte (verheiratete) Frauen damals hatten – noch 10 - 15 Jahre zuvor war man auf ihre Arbeitskraft angewiesen und jetzt durften sie nichts ohne die Zustimmung ihrer Ehemänner machen.

Leni ist eine starke Persönlichkeit, die weiß was sie will, aber sie braucht manchmal einen kleinen Anstoß, um das dann auch zu verwirklichen. Mir hat gefallen, dass sie sich mit ihren natürlichen Haar- und Hautpflegeprodukten ein zweites Standbein aufgebaut hat und damit gleichzeitig das Wissen ihrer Großmutter bewahrt.
Hans und Charlotte wären ein tolles Paar – aber haben sie auch die Kraft und den Mut, ihr Leben zu ändern?
Mein heimlicher Liebling jedoch ist Schorsch, der so wunderbar empathisch und immer um das Wohl anderer besorgt ist. „… Schorsch schien die halbe Welt auf seinen schmalen Schultern zu tragen, so wie das Jesuskind oder Atlas, der gleich das ganze Himmelsgewölbe stütze.“ (S. 308)

Eine wichtige Rolle spielt das Dorf, aus dem Leni und Hans kommen. Es liegt in der Nähe von Dachau und die Schrecken dieses Ortes sind ihnen immer noch präsent. Vor allem Hans kann die bedrückenden Erinnerungen nicht loswerden. Er versteht nicht, dass alle einfach weitermachen, als hätte es das Lager nie gegeben. „… nach Hause. Zwei Worte, die für ihn keine rechte Bedeutung mehr hatten, weil er nur Scham aus seinen Wurzeln zog.“ (S. 191)

„Das Glück sollte leicht sein.“ (S. 126) sagt Hans an einer Stelle. Aber was ist, wenn das eigene Glück andere unglücklich macht? Er selbst wagt nicht, das Studium abzubrechen, um seine Mutter und Leni nicht zu enttäuschen. Leni hat ein schlechtes Gewissen, weil sie ihre Mutter mit dem Geschäft allein lässt. Und Charlotte weiß nicht, wie sie ihren Mann überzeugen kann, einer Scheidung zuzustimmen.

Bisher habe ich Julia Fischers Bücher immer als Hörbuch gehört und hatte jetzt beim Lesen ihre Stimme im Kopf. Ich mag ihre poetische Erzählweise, wie sie mit leisen Worten große Gefühle wecken kann.
München gehörte damals zur amerikanischen Besatzungszone und wurde durch die Kultur und Lebensweise die Soldaten beeinflusst. Die Autorin hat es geschafft, das alles wieder lebendig werden zu lassen: die Musik, die Kleider, die neuen technischen Errungenschaften, die Berühmtheiten (wie Miles Davis!) – und natürlich Frisuren ;-). Außerdem gewährt sie einen sehr interessanten Einblick in die Burschenschaften.

Mich hat „Der Salon“ von Julia Fischer sehr beeindruckt, sie zeichnet hier ein spannendes und emotionales Sittengemälde der 50er Jahre.

Bewertung vom 24.02.2022
Die Zeit der Jäger / Karl Wiener Bd.3
Götz, Andreas

Die Zeit der Jäger / Karl Wiener Bd.3


sehr gut

Alte Schuld

1958: Während München der 800-Jahrfeier entgegenfiebert, verschwindet der erfolgreiche Bauunternehmer Walter Blohm aus seiner Villa. Zurück bleiben nur ein großer Blutfleck und ein offener Tresor. Wurde er nur entführt oder getötet? Der ehemalige Privatdetektiv Ludwig Gruber ist als Oberkommissar in den Polizeidienst zurückgekehrt ist und wird mit den Ermittlungen beauftragt. Sein Chef hat auch schon 2 Verdächtige parat – Blohms Frau Magda und ihren Onkel, den Journalisten Karl Wieners. Dass Karl gar nicht deren Onkel, sondern ihr Liebhaber ist, wissen Gruber und sein Chef dabei nicht.

Karl hat einen Herzinfarkt überstanden und sein Leben umkrempelt. Er verzichtet auf Kaffee und Zigaretten – doch auf Magda will er nicht mehr verzichten. Aber wie weit würde er dafür gehen? Würde er Blohm ermorden?
Magda wurde von Blohm vor 3 Jahren nach New York geschickt, um jeden Kontakt zu Karl zu unterbinden. Sie steht dort unter der ständigen Beobachtung seiner Handlanger, er verweigert ihr die Scheidung und bestimmt über ihr Leben. Jedes Mal, wenn sie einen Schritt in Richtung einer von ihm unabhängigen Zukunft macht, unterbindet er das sofort. Um sie unter Kontrolle zu halten, droht er mit ihrem und Karls Tod. Was wäre, wenn sie ihm zuvorkommt und ihn töten lässt?
Ludwig befindet sich in einer Zwickmühle. Seiner Meinung nach stecken weder Magda noch Karl hinter Blohms Verschwinden. Magda lebt schließlich in New York und Karl und er sind schon ewig befreundet, kennen sich gut. Bliebe noch die Geheimorganisation Nakam, die einer Zeitschrift Informationen über Blohm zuspielt und für weitere Taten verantwortlich zu sein scheint …

„Wer nicht mit offenen Karten spielen kann, der spielt falsch. Und das ist nie der Anfang von etwas Gutem.“ (S. 110/111) „Die Zeit der Jäger“ ist der Abschluss der Trilogie von Andreas Götz und beschäftigt sich wie schon die ersten beiden Bände mit der Neuausrichtung von Polizei, Wirtschaft und Gesellschaft und der (nicht ausreichenden) Aufarbeitung von Kriegsverbrechen. Parallel dazu gibt es noch einen Spionagestrang, bei dem nicht so ganz klar ist, auf wessen Seite die Spione eigentlich stehen und was ihre Ziele sind.

„Das Leben ist keine Gerade, dachte Ludwig, es dreht sich im Kreis.“ (S. 7) –auch die Handlung dreht sich leider irgendwie im Kreis. Mir hat wie schon im zweiten Band die Spannung gefehlt, da man als Leser einen Teil der Auflösung von Beginn an kennt und die Handlung gleichzeitig vorwärts und rückwärts bis zum Zeitpunkt von Blohms Verschwinden erzählt wird. Außerdem hat der dauernde Wechsel der fünf parallelen Stränge um Karl, Ludwig, Magda, die Spione und Blohm meinen Lesefluss immer wieder unterbrochen.
Dafür fand ich die politischen Hintergründe und den Einblick in die Vergangenheit der Protagonisten interessant, die Fragen, ob man für die Liebe und eigene Freiheit zum Mörder werden kann, wie gut man seine Freunde kennt, wo Schuld beginnt und ob man sie je hinter sich lassen kann, wie unterschiedlich in der DDR und der BRD mit der Aufarbeitung der Kriegsverbrechen und -verbrecher umging und wie sich schon wieder neue radikale Gruppen herausbilden.

Mein Fazit: Leider etwas wenig Spannung, aber mir gefällt die Darstellung des Zeitgeschehenes und die Zerrissenheit und Vielschichtigkeit der Protagonisten. 3,5 Sterne

Bewertung vom 22.02.2022
Jeder Tag für dich (eBook, ePUB)
Greaves, Abbie

Jeder Tag für dich (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Verloren

Seit 7 Jahren steht Mary jeden Abend am Bahnhof Ealing Broadway und hält ein Schild hoch: „KOMM NACH HAUSE, JIM.“ (S. 8) Ihr Freund ist damals nach 6 Jahren Beziehung einfach ohne eine Nachricht zu hinterlassen aus London und ihrem Leben verschwunden. Das Schild hat seine besten Zeiten längst hinter sich, aber sie klammert sich wie eine Ertrinkende daran. „Diese kleine Stück Pappe ist ihre letzte Verbindung zu Jim und den besten Tagen ihres Lebens.“ (S. 368)
Als der Bahnhof eines Tages besonders voll ist, hat Mary das Gefühl, in der Menge zu ersticken. Sie macht sich laut Luft und wird dabei zufällig gefilmt. Das Video geht auf viral, sie wird ungewollt zum Internetstar. Erst erschrickt sie, aber dann erkennt sie die Chance darin – vielleicht sieht Jim es auch und meldet sich endlich?
Eine junge Journalistin, die im Bahnhof dabei ist, wittert ihre große Chance. „Alice träumte davon, etwas Bedeutsames zu schreiben. Ihr war es wichtig, dass ihr Beruf einen tieferen Sinn hatte.“ (S. 58) Sie will Jim finden und eine Reportage darüberschreiben, denn ihr Job ist in Gefahr. Außerdem hat sich noch einen ganz persönlichen Grund, den Verschwundenen zu suchen – auch sie hat vor Jahren jemanden verloren …

„Jeder Tag für Dich“ hat mich wie schon Abbie Greaves` erstes Buch wieder extrem berührt und so gefesselt, dass ich es nicht mehr aus der Hand legen konnte und am Stück gelesen habe. Die außergewöhnliche Liebesgeschichte mit Taschentuchgarantie ist auch ein Roadtrip und ein extrem spannendes Puzzle, das immer tiefere Einblicke in Marys und Jims gemeinsame Vergangenheit und ihre Leben ohne einander gewährt.

Aber nicht nur Mary und Jim, auch die anderen Protagonisten legen hier einen langsamen Seelenstriptease hin. Für sie alle geht es um das Erkennen, Zugeben und Annehmen der Wahrheiten, die sie bisher vor sich selbst und anderen verborgen haben. Marys Kollegen bei der ehrenamtlichen Krisenhotline NightLine z.B. stürzen sich lieber in die Lösung der Probleme ihrer Anrufer, statt ihre eigenen anzugehen. Auch Alice verrät lange nicht, warum die Suche nach Jim für sie so existentiell ist.

Abbie Greaves hat einen einfühlsamen und mitreißenden Erzählstil, der manchmal schon fast poetisch wirkt und mir sehr gut gefällt. „Bei Liebe ging es nicht um die Augenblicke, in denen man gemeinsam tanzte, es ging darum, dem anderen aufzuhelfen, wenn er am Boden lag.“ (S. 274)

5 Sterne für dieses absolute Lesehighlight!