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hasirasi2
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Dresden

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Insgesamt 1115 Bewertungen
Bewertung vom 06.10.2021
Die Schneeflockenmelodie
Liebig, Anna

Die Schneeflockenmelodie


ausgezeichnet

Wer wankt, verliert

Als Maria mit 6 Jahren ihr erstes Weihnachtsballett sieht, weiß sie sofort: „So wie die Ballerina wollte sie sein. Eine zierliche Frau in einem weißen Kostüm mit funkelnder Krone auf dem Kopf, die wie eine Zauberfee über die Bühne schwebte und alles und jeden um sich herum in ihren Bann zog.“ (S. 9) 1956 ist sie Primaballerina und feiert überall auf der Welt große Erfolge. Als ihre Lehrmeisterin plötzlich stirbt, bricht Marias Welt zusammen. Nur von ihr fühlte sie sich verstanden, nur sie war immer ehrlich zu ihr. Auch ihr Verlobter George kann kaum noch zu ihr durchdringen, sie braucht dringend eine Pause – vom Ballett und von ihm. In ihren ersten Ferien seit Jahren entdeckt sie das vorweihnachtliche Wiesbaden für sich und dass das Leben noch so viel mehr als nur den Tanz für sie bereithält – vielleicht sogar eine neue Liebe?

55 Jahre später geht es ihrer Enkelin Nina ähnlich. Sie wurde von klein auf von ihr trainiert und ist ebenfalls Primaballerina. Doch jetzt ist Maria dement und muss ins Heim, Nina kann sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen. „Ihre Anerkennung war es gewesen, nach der Nina jahrelang wie eine Ertrinkende lechzte. Ihre Leitsätze waren es, die sie auch heute noch antrieben und sie zu der Primaballerina gemacht hatten, die sie war.“ (S. 15/16) Gleichzeitig wird sie in die zweite Reihe degradiert und von einer Jüngeren ersetzt. Da findet sie in einer Holzschatulle ihrer Großmutter eine Spieluhr aus Porzellan, einen Brief und ein Notizbuch, in dem Maria ihre Geschichte erzählt.

„Schwanensee“ und „Der Nussknacker“ sind weltberühmte Ballettstücke, die oft an Weihnachten aufgeführt werden. Anna Liebig lässt uns an deren Zauber teilhaben, zeigt aber auch die harte Arbeit der Tänzer, die hinter den perfekten Aufführungen steht.

Maria und Nina liegt das Ballett liegt im Blut, ist ihre Lebenseinstellung, die auf Willensstärke, Durchhaltevermögen, Verzicht und Kontrolle fußt, und der sich alles unterordnet, auch ihr Privatleben. Sie finden sich nie gut genug, streben stets nach Perfektion und trainieren bis zum Umfallen. Und im Abstand von über 50 Jahren ereilt sie ein ähnliches Schicksal, sie verlieren ihre Trainerinnen und damit engste Vertraute und müssen ihr weiteres Leben neu überdenken. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Spieluhr mit der Ballerina, die Nina Marias größtes Geheimnis enthüllt.

Anna Liebig erzählt Marias und Ninas Erlebnisse auf 2 Zeitebenen, lässt die Leser immer tiefer in die Vergangenheit eindringen. Aber auch das Weihnachtsgefühl kommt nicht zu kurz: Man kann den Schnee vor dem Fenster förmlich fallen hören und die Kälte spüren, hat den Geschmack von heißer Schokolade, Maronen und Zuckerwatte auf der Zunge und träumt sich auf den nächsten Weihnachtsmarkt oder ins Ballett.

„Die Schneeflockenmelodie“ ist eine sehr bewegende Geschichte, ein zauberhafter Weihnachtsroman voller Tanz, Magie und Liebe mit einem überraschenden und herzerwärmenden Happy End, das sich zu keiner Zeit erahnen ließ.

Bewertung vom 03.10.2021
Morgen, Klufti, wird's was geben
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

Morgen, Klufti, wird's was geben


ausgezeichnet

Wurst mit Vanillekipferl

„Früher war ich noch dein Butzele. Und da durfte ich auch noch essen, was ich wollte.“ „Früher hat´s auch noch geschneit an Weihnachten.“ (S. 5) In zwei Tagen ist Heiligabend und während Kluftinger Spitzbuben mampfend eine schnulzige Serie guckt, versucht Erika den Tannenbaum zu schmücken. Als sie dabei von der Leiter stürzt, weist Dr. Langhammer sie in die Klinik ein und Klufti bleibt allein zurück, mit einer langen Aufgabenliste, einem leeren Kühlschrank und dem überraschend angekündigten Besuch seines japanischen Co-Schwiegervaters Joshi.

Das Buch könnte auch „24 Katastrophen bis Heiligabend“ heißen, denn genau so viele ereilen den Kommissar. Beim Erika-, kopf- und hilflosen Klufti geht zum Amüsement des Lesers nämlich alles schief, was nur schiefgehen kann. Er hat ja schon immer gern jedes Fettnäpfchen mitgenommen, das sich ihm bietet, und macht auch jetzt keine Ausnahme. Mehr schlecht als recht laviert er sich durch Erikas Aufgabenliste und seine Versuche, einiges zu „verbessern“, machen es nur noch schlimmer.

Wer wissen will, warum man bei Klufti keinen Glühwein trinken sollte, wie ausgerechnet sein Intimfeind Langhammer Kluftingers Weihnachten und Erikas Seelenfrieden rettet und wie eine chinesische Reisegruppe da hineinpasst, dem empfehle ich „Morgen, Klufti, wird's was geben“, das sich Dank der 24 Kapitel auch super als Adventskalender lesen oder verschenken lässt.

Bewertung vom 02.10.2021
Rehragout-Rendezvous / Franz Eberhofer Bd.11
Falk, Rita

Rehragout-Rendezvous / Franz Eberhofer Bd.11


sehr gut

Sehr unterhaltsam, aber kein richtiger Krimi

Franz versteht die Welt im Allgemeinen und seine Familie im Besonderen nicht mehr. Die Oma streikt „Ich mag nimmer. … Nicht mehr kochen … Oder Putzen. … Ich mag nur nämlich jetzt nur noch faulenzen …“ (S. 20), Leopold ist durcheinander, weil Panida mit den Kindern wegen einem Virus im Thailand festhängt, Susi macht auf knallharte Karrierefrau und vertritt den Bürgermeister, der sich beim Skifahren die Hüfte gebrochen, und die Mooshammerin geht ihm mit dem angeblich verschwundenen Steckenbiller Lenz tierisch auf die Nerven. Dabei weiß doch das ganze Dorf, dass der gern mal Knall auf Fall nach Südafrika verschwindet, wenn es ihn packt. Darum hat Franz auch so gar keine Lust zum Ermitteln, aber das ist dem Birkenberger Rudi egal, er stellt auf eigene Faust Nachforschungen an, da muss der Franz schließlich mitziehen …

„Rehragout-Rendezvous“ ist bereits der 11. Fall mit Franz Eberhofer, aber eigentlich auch wieder nicht, denn so ein richtiger Krimi wird es diesmal einfach nicht. Der Franz hat Weltschmerz, fühlt sich im neuen Haus nicht wohl „… gelegentlich ertapp ich mich sogar dabei, wie ich mir dort fremd vorkomm. So, als gehöre ich gar nicht dahin, … wie ein Eindringling.“ (S. 33) und kommt mit Susis „Aufstieg“ nicht klar. „Du veränderst dich, Susi. Das ist nicht schön.“ „… ich bin jetzt keine dumme Tippse mehr, … Ich leite jetzt die Amtsgeschäfte hier.“ (S. 76) Also sinniert er stundenlang im Büro über seine Ehe und den Umbruch in der Familie und überlässt dem Birkernberger unfreiwillig die Nachforschungen.

Trotzdem ist das das Buch wieder sehr unterhaltsam, lebt von den Wortgefechten und Eigenheiten der Protagonisten. Ich habe vor allem das Kompetenzgerangel im Stadtrat, wie Susi mit aller Macht versucht, Niederkaltenkirchen in die Moderne zu führen und all die Neuerungen durchzusetzen, die der Bürgermeister jahrelang verhindert hat, und den Kleinkrieg zwischen ihr und Franz sehr genossen. Auch Leopolds Versuche, wieder Ordnung und Struktur in den Haushalt und die Familie zu bringen, sind sehr vergnüglich zu lesen. Er tat mir manchmal richtig leid, wenn ihn wieder keiner ernst genommen hat. Dazu kommen amüsante Kleinigkeiten aus dem Alltag in Niederkaltenkirchen. So hängt z.B. Buengo im Tannenbaum fest, die Gisela Simmerl will den Eberhofers nichts mehr verkaufen, und dann ist da noch Wilhelm, der neue „beste Freund“ vom Birkenberger …

Mein Fazit: Wer den Kosmos Niederkaltenkirchen mag, kommt hier voll auf seine Kosten, aber wer auf einen reinen Krimi aus ist, wird wahrscheinlich etwas enttäuscht sein.

Bewertung vom 01.10.2021
Der Stockholm-Code - Die zweite Botschaft / Stockholmer Geheimnisse Bd.2
Rudberg, Denise

Der Stockholm-Code - Die zweite Botschaft / Stockholmer Geheimnisse Bd.2


ausgezeichnet

Aktion Rotbart

Stockholm, Winter 1940/41: Die drei Freundinnen Iris, Elisabeth und Signe arbeiten weiterhin in der Dechiffrierungsabteilung und entschlüsseln deutsche Funksprüche, da der Code endlich geknackt wurde. Um diese Arbeit zu vereinfachen und vor allem zu beschleunigen, tüfteln die Professoren Arvid Bremer und Nils Svartström an einem Dechiffrierungsapparat. Die Nerven aller liegen blank, als in einem Telegramm zum ersten Mal die Aktion Rotbarterwähnt wird. „Die Arbeit, die wir hier verrichten, wird über das Schicksal unseres Landes entscheiden.“ (S. 16)

Auch privat ist bei den 3 Frauen viel los. Iris, die mit ihren Söhnen aus Lettland geflohen war, wird immer wieder vom Geheimdienst verhört, weil man mehr über ihre Familie und deren Verbindungen erfahren will. Man unterstellt ihr Beziehungen zu den Deutschen, da sie nicht unter ihrem echten Namen eingereist und ihre Schwester Kati mit einem hochrangigen deutschen Offizier verlobt ist. Sie wird vor Angst fast verrückt: Was passiert, wenn die Russen in Schweden einfallen? Schließlich gilt sie dort als Persona non grata und weiß nicht, wohin sie noch fliehen kann.
Elisabeth genießt neben ihrer Arbeit die Partys, zu der ihr Freund Dinty sie regelmäßig als Begleitung mitnimmt. Dort wird sie bald von zwei Deutschen bedrängt – was wollen die von ihr? Noch weiß sich ihre Haut dank ihrer Schlagfertigkeit und Chuzpe zu erwehren, aber wie lange noch? Wie gefährlich sind die Männer? Außerdem fordert ihre Familie, dass sie endlich einen standesgemäßen Mann heiraten und eine Familie gründen muss. Doch welcher Mann würde ihr ihre Freiheiten, ihr Vermögen und ihre Arbeit lassen?
Signe hat immer noch nicht realisiert, dass sie, das Mädchen vom Lande, bei diesem wichtigen Projekt nicht nur geduldet ist, sondern wirklich eine wichtige Rolle spielt –als Assistentin des blinden Prof. Svartström und aufgrund ihrer besonderen mathematischen Fähigkeiten bei der Entschlüsselung der Nachrichten. Doch so sehr sie ihre Arbeit auch mag, sie vermisst ihr Zuhause, in das sie nie zurückkann. Außerdem ist sie schwer krank, was sie noch geschickt verheimlichen kann ...

Auch der zweite Band um diese ungewöhnliche Frauenfreundschaft hat mir sehr gut gefallen. Denise Rudberg erzählt sehr lebendig und mitreißend über Schweden im Klammergriff des harten Winters und der Deutschen.
Wie schon „Die erste Begegnung“ ist es keine reine Agentengeschichte, sondern beschreibt das Leben und Arbeiten der drei Freundinnen in dieser schweren Zeit, ihre alltäglichen Probleme, wie sie die Arbeitswelt erobern und um ihre Unabhängigkeit und Anerkennung kämpfen. Geschickt lässt die Autorin die Weltpolitik, diplomatische Verwicklungen und die sich stets ändernden Beziehungen von Schweden mit Deutschland einfließen. Da passt der fieberhafte Bau der Dechiffriermaschine perfekt hinein.
Die Reihe war zwar nur mit zwei Bänden angekündigt, aber ich finde, bei dem Ende ist eine Fortsetzung nicht ausgeschlossen – ich würde jedenfalls gern lesen, wie es mit Iris, Elisabeth und Signe weitergeht.

Bewertung vom 28.09.2021
Sauerteig. Gutes Brot backen
Lugg, Casper André;Fjeld, Martin Ivar Hveem

Sauerteig. Gutes Brot backen


sehr gut

9 Tage bis zum perfekten Brot

Ich bin eine begeisterte Brotbäckerin und immer auf der Suche nach neuen Rezepten. „Sauerteig. Gutes Brot backen“ ist extrem hochwertige aufgemacht und vermittelt auch durch die stimmungsvollen Bilder alles, was man übers Brotbacken wissen muss.
Casper Lugg und Martin Fjeld betreiben eine Bio-Bäckerei in Oslo und verraten in diesem Buch, was ihr Brot so gut macht: Die Zutaten (nur Wasser, Mehl und Salz), echte Handarbeit und viiiiiiel Zeit. Schritt für Schritt und mit vielen aussagekräftigen Fotos erklären sie, wie jeder (s)ein perfektes Brot backen kann.

Eins vorweg, das Brot ist eines der besten, was ich je gebacken habe, mit röscher Kruste, toller Krume und einem wirklich fantastischen Geschmack.

Aber der benötigte Zeitfaktor war mir nicht bewusst. Als versierte Brotbäckerin habe ich immer Sauerteig im Kühlschrank, den ich dann für die verschiedensten Rezepte verwenden kann – ohne große Vorbereitung.
Im vorliegenden Buch hat allerdings bereits das Anstellgut andere Zutaten und eine andere, sehr flüssige Konsistenz. Ich musste also bei null anfangen. 5 Tage lang wurde das Anstellgut gezüchtet, am 6. Tag noch mal aufgefrischt und erst am 7. Tag damit der Sauerteig angesetzt. Am 8. Tag kamen dann endlich die restlichen Brot-Zutaten dazu. In 9 (!) Schritten musste der Teig in bestimmten Zeitabständen über 10,5 Stunden immer wieder weiterverarbeitet werden, um dann noch mal 12 bis 24 Stunden zu ruhen. Erst am 9. Tag wurde dann endlich gebacken.
Und auch, wenn ich jetzt beim nächsten Backen auf das vorbereitete Anstellgut zurückgreifen kann, wird es mindestens 4 Tage dauern, bis der Teig aufgefrischt, verarbeitet und gebacken wird.

Ein weiteres Manko ist der „Abfall“, der bei diesen ganzen Prozessen entsteht. Zu Beginn werden 520 g Anstellgut hergestellt, von denen man aber nur 30 g braucht – was man mit dem Rest machen soll, steht nirgendwo. (Ich habe ihn in 100 g Portionen eingefroren und werde ihn bei Bedarf auftauen.)
Zudem muss das restliche Anstellgut vom letzten Backtag vor dem nächsten Backen aufgefrischt werden und wieder bleibt ein Rest. Laut Grundrezept nehme ich 50 g Anstellgut, mache daraus 280 g Sauerteig, von dem ich aber nur 40 g brauche. Der Rest kommt in den Kühlschrank – da stehen dann ja aber schon 230 g, die ich vom letzten Mal noch übrighabe … Ich vermute, dass in der Bäckerei der beiden Verfasser das Anstellgut jedes Mal bis auf einen kleinen Rest aufgebraucht wird, aber wer bäckt zu Hause schon 5 Brote auf einmal?!

Meiner Meinung nach ist es kein Brotbuch für den Alltag. Der Teig muss regelmäßig in genau bestimmten Abständen betüdelt werden, man muss am Vorbereitungstag also genügend Zeit einplanen und kann die Küche immer nur dann verlassen, wenn der Teig ruht. Das mag in einer professionellen Bäckerei gehen oder falls man gleich mit oder für Familie und Freunde bäckt, aber für ein Brot allein finde ich das zu aufwendig und den „Abfall“ zu groß.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.09.2021
Stürmische Weihnacht in Cornwall
Wahl, Maxim

Stürmische Weihnacht in Cornwall


ausgezeichnet

Das Herz von Cormoran

„Es gibt auf der Insel nur dieses böse alte Gebäude und den Fluch, der darauf lastet.“ (S. 54)
Lady Virginia möchte kurz vor ihrem hundertsten Geburtstag noch einmal das Schloss besuchen, in dem sie geboren wurde. St. Michael`s Mount liegt auf einer Gezeiteninsel vor der Küste Cornwalls (d.h., dass man bei Ebbe zu Fuß, bzw. Pferd, Kutsche oder Auto hinübergelangen). Ihr Enkel Timmy begleitet sie und Virginia erzählt ihm, was vor 84 Jahren auf dem ehemaligen Stammsitz der Familie passiert ist. Sie berichtet auch von der Legende, die sich um das alte Gemäuer rankt. Angeblich wurde das Herz eines Ungeheuers im Schlussstein des Hauses eingemauert, und wenn der Stein herausgebrochen wird, droht ihnen großes Unglück. Ausgerechnet Weihnachten 1899 fegt ein besonders schlimmer Sturm über die Insel und es geschehen merkwürdige Dinge, die das Leben aller Anwesenden verändern …

Lady Virginia ist damals 16, unbeschwert und vor allem unkonventionell. Sie ist sehr frei aufgewachsen, eine Nachzüglerin, ihre Mutter früh verstorben. Ihre deutlich ältere Schwester und sie haben kein wirkliches Verhältnis zueinander und wissen nur wenig voneinander. Virginia hofft, dass das neue Jahrhundert das Jahrhundert der Frauen – ihr Jahrhundert – wird. Dass sie mit den alten Traditionen brechen kann, reisen, vielleicht sogar studieren und einen Mann heiraten, den sie wirklich liebt, statt in diesem zugigen Gemäuer auf einen standesgemäßen Ehemann zu warten. Und zuerst sieht es auch so aus, als würden sich alle ihre Wünsche und Sehnsüchte erfüllen. Aber dann kommt ein unvorhergesehener Gast zu Besuch, ein neuer Butler wirbelt alles durcheinander und vergessen geglaubte Geheimnisse kommen ans Licht ...

Maxim Wahl schreibt sehr bildlich. Man kann den Sturm förmlich über die Insel und durch das Schloss toben hören, sieht die raue Landschaft, die zerklüfteten Felsen und den uralten Herrensitz genau vor sich. Und vor allem spürt man das eisige Wasser, Ebbe und Flut, die das Leben der Bewohner bestimmen.
Virginias Suche nach dem Geheimnis des „Herz von Cormoran“, der Wahrheit dahinter und ihrer Freiheit ist spannend und etwas gruselig – einfach herrlich.

Noch ist zwar nicht Weihnachten, aber die erste rauen Herbsttürme fegen schon übers Land und dann kann man sich mit diesem Buch gemütlich auf die Couch oder in den Lesesessel zurückziehen und bei Tee oder heißer Schokolade und Shortbread die spannende Geschichte voller Mystik und dunkler (Familien-) Geheimnisse genießen.

Bewertung vom 27.09.2021
Was nicht glücklich macht, kann weg
Berling, Carla

Was nicht glücklich macht, kann weg


ausgezeichnet

Gebrauchsanweisung für unseren Enkel

„Ich brauche eure Hilfe, und es ist leider keine Kleinigkeit.“ (S. 7) Seit Jahren hat Billie auf so einen Anruf ihres Sohnes Jonas gewartet, seit dieser nach dem Abi nach Köln gegangen ist und den Kontakt auf ein absolutes Minimum beschränkt hat. Von seiner Hochzeit haben sie und ihr Mann Thilo erst hinterher erfahren und auch ihren Enkel August in 6 Jahren nur zweimal gesehen. Doch jetzt muss Jonas, der seit einem Jahr verwitwet ist, beruflich für ein halbes Jahr nach London und August soll in seiner gewohnten Umgebung bleiben. Natürlichen ziehen sie nach Köln, schließlich haben sie seit dem Verkauf ihrer Schreinerei jede Menge Zeit. Jetzt lernen endlich ihren Enkel und die für sie etwas ungewöhnlichen Nachbarn und Freunde kennen.

Billie ist schockiert, als August sie Oma nennt. Dazu sieht sie doch noch viel zu jung aus! „Noch nie in meinem fünfundfünfzig Lebensjahren hatte mich jemand als Oma bezeichnet. Oma! Das klang grauhaarig, klein, gebückt, korpulent und senil. … Oma. Das klang wie ein Schimpfwort.“ (S. 22) Auch sonst wirbelt er ihr Leben total durcheinander. So ein Kind ist ein Vollzeitjob mit komischen Essensvorlieben („Tapfer kaute ich etwas, das nach gegrillten Frotteesocken schmeckte …“ (S. 53)) und ungewöhnlichen Hobbys. Direkt hinter Jonas Grundstück ist nämlich ein Tierfriedhof und August spielt auf den Beerdigungen im Anzug mit „Lyzinder“ Blockflöte. Die Betreiberin Elfie („… jestorben wird immer, dat is in krisensicheres Jeschäft!“ (S. 61)) und ihre Angestellte Gitta nehmen Billie und Thilo sofort unter ihre Fittiche. Plötzlich haben sie Freunde, die einfach ohne Anmeldung auftauchen und auch in Krisensituationen helfen.
Und je länger Billie in Köln lebt, desto weniger kann sie die Frage verdrängen, warum sich Jonas eigentlich von ihr entfernt, was sie ihm getan hat. Wird sie sich trauen und die Aussprache mit ihm suchen?

Billie macht eine große Wandlung durch. Nach dem Verkauf der Firma hat sie sich im Garten ausgetobt und im Chor gesungen, aber ausgefüllt hat es sie nicht. Sie hat auch nie echte Freundschaften geknüpft, weil sie als Tochter einer ledigen Mutter keine leichte Kindheit hatte. In Köln macht sie viele neue Erfahrungen (nur dem Karneval kann sie immer noch nichts abgewinne), hat plötzlich jede Menge sozialer Kontakte und Freunde, die es wirklich gut mit ihr meinen. Sie lebt – wenn auch verhalten – auf und sieht endlich klar, weil sich ihr Blickwinkel verändert hat. Bald muss sie sich der Frage stellen, ob das Leben mit Mitte 50 wirklich schon festgefahren und vorbei ist oder sie sich noch mal völlig neu erfinden kann. Und was hält sie eigentlich zu Hause in ihrem Dorf? „Verbitterte Nachbarn, ein schöner Garten, viele leere Räume und viele leere Tage.“ (S. 222)

Carla Berling ist für mich ein Garant für humorvolle Bücher mit Tiefgang. Mit viel Herz und Kölscher Schnauze schreibt sie über Frauen und Männer im besten Alter und deren Probleme. Ihre Protagonisten und auch die beschriebenen Szenen sind dabei wunderbar skurril und haben bei mir für einige Lacher gesorgt. Besonders amüsant sind die Stellen, bei denen man sich oder Mitglieder seiner Familie wiedererkennt – so wie beim Putzen bevor die Putzfrau kommt, damit es nicht so dreckig ist …
Aber auch der frühe Tod der Schwiegertochter und das Zerwürfnis zwischen Eltern und Kind passen gut in die Handlung und werden weder verharmlost noch überdramatisiert. Ihre Figuren und die angesprochenen Themen sind eben mitten aus dem Leben gegriffen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.09.2021
Racheakt im Walzertakt (Badebuch)
Zäuner, Günther

Racheakt im Walzertakt (Badebuch)


ausgezeichnet

Die Angst geht um

… denn in Wien werden wahllos E-Roller-Fahrer mit einem Kopfschuss getötet. Die Touristen bleiben aus und die Polizei sucht fieberhaft – wer will sich an den Fahrern rächen?

Statt über Sachertorte und Melange schreibt Autor Günther Zäuner über Wiens weniger schöne Seite. Wie in fast jeder Großstadt werden die Fußgänger von E-Rollern terrorisiert, die sich nicht an die Verkehrsregeln halten. Doch diesmal schlägt ein Unbekannter zurück und die Polizei steht unter Erfolgsdruck.

„Racheakt im Walzertakt“ ist spannend geschrieben und die unterschwellige Kritik an der Stadtführung, dass so viele Roller zugelassen wurden, nicht nur für Fußgänger nachvollziehbar …

Und natürlich ist auch dieses Wannenbuch in 15 (ent)spannden Minuten gelesen.

Bewertung vom 23.09.2021
Mord im Lesesaal
Mathies, Susanne

Mord im Lesesaal


gut

Wer war es?

Ein alter Mann, der wie ein Obdachloser aussieht, schleppt sich mit letzter Kraft in den Lesesaal der Züricher Museumsgesellschaft und dort in einen roten Sessel um auszuruhen. Ihm nähern sich verschiedene Personen, die er aber alle mit einer kurzen Bemerkung oder Handbewegung wegschickt. Es sieht fast so aus, als würde er Hofhalten. Dann ist er plötzlich tot, erstochen mit einem Brieföffner, und alle acht Personen, die sich jetzt noch im Haus befinden, haben ein Motiv. „Ich habe es getan! Ich bin schuldig.“ (S. 46) sagen gleich zwei von ihnen, aber waren sie es wirklich? Da die Polizei wegen eines Großeinsatzes nicht kommen kann, beschließen die potentiellen Tatverdächtigen selber zu ermitteln …

Und die sind ziemlich interessant: Eine erfolgreiche Krimiautorin, die sich wegen ihrer theoretischen Aufklärungskenntnisse zur Anführerin der Ermittlungen aufschwingt, der Präsidenten der Museumsgesellschaft, der Leiter des Literaturhauses, die Saalaufsicht, der Sohn eines berühmten Schriftstellers, ein Dozent, eine Studentin und ein Leser, den keiner so richtig kennt, der sich aber sehr wichtig macht.

Eine spannende und abwechslungsreiche Täterjagd durch das Museum und Zürich beginnt, die in einem filmreichen Showdown gipfelt. Denn schnell wird klar, dass der Tote weder ein Obdachloser noch harmlos war.

„Mord im Lesesaal“ ist ein klassischer Whodunit-Krimi, der abwechselnd aus der Sicht der verschiedenen Tatverdächtigen erzählt wird. Dadurch bekommt man einerseits einen guten Einblick in ihre Gedanken, Gefühle und Motive, aber andererseits stört es den Lesefluss, weil die dadurch Kapitel recht kurz sind und viele schnelle kurze Überblenden und Ortswechsel beinhalten.
Außerdem hat mich irritiert, dass die Polizei nicht sofort an den Tatort kommt, wenn ein Mord gemeldet wird, sondern die Beteiligten am Telefon auffordert, mehrere Stunden auf sie zu. Das war mir einfach zu unrealistisch.

3 Sterne für diesen soliden Krimi.

Bewertung vom 22.09.2021
Montags bei Monica
Pooley, Clare

Montags bei Monica


ausgezeichnet

Hopes and Dreams

Eigentlich will Monica das kleine grüne Notizbuch zurückgeben, das auf einem Tisch ihres Cafés liegengeblieben ist und auf dem „Projekt Aufrichtigkeit“ steht, aber der Besitzer ist zu schnell verschwunden. Der Titel macht sie neugierig, sie schaut rein und ist erschüttert, was Julian sich darin von der Seele geschrieben hat. „ICH BIN EINSAM. … Mit dem Alter bin ich unsichtbar geworden. Was mich besonders trifft, weil ich früher immer im Mittelpunkt stand.“ (S. 9) Er stellt die Frage, was passieren würde, wenn wir unser Gegenüber nicht mehr belügen, sondern immer ehrlich sind. Und am Ende schreibt er: „Das ist meine Geschichte. Bitte tun sie sich keinen Zwang an und werfen Sie sie in den Müll, wenn sie wollen. Oder geben Sie sich einen Ruck und schreiben Sie Ihre Wahrheit auf diesen Seiten nieder und reichen Sie das kleine Büchlein weiter. Vielleicht erleichtert Sie das ebenso wie mich.“ (S. 11)
Monica kann nicht widerstehen, auch sie schreibt ihre Wahrheit hinein. Über ihr Café, das zwar ihr Traum war, aber noch nicht so gut läuft wie erwartet. Wie sehr sie sich nach einem Partner und einem Kind sehnt, weil sie glaubt, nur damit eine vollwertige Frau zu sein. Dann setzt sie das Notizbuch wieder aus. Nichtsahnend, dass auch der der nächste Finder hineinschreiben und außerdem versuchen wird, ihr Leben positiv zu verändern – so wie sie versucht, Julian zurück ins Leben zu holen, ihn wieder sichtbar werden zu lassen.
Am Ende reist das kleine grüne Büchlein um die halbe Welt. Immer mehr Menschen schreiben neben ihren Wahrheiten auch ihre Hoffnungen und Träume hinein. Und finden sich nach und nach in Monicas Café ein ...

Julian hat sicher nicht zu hoffen gewagt, dass er mit dem Notizbuch eine Kettenreaktion auslösen und die Menschen zum Nachdenken und Handeln anregen würde. Er war früher ein berühmter Künstler, hat keine Affäre oder Party ausgelassen, obwohl er wusste, wie sehr er seine Frau damit verletzt.
Nicht nur Monica hat Mitleid mit ihm, wie er einsam in seinem Cottage inmitten seiner Schätze lebt, sich von nichts trennen und nichts Neues anfangen kann. Sie ruft einen Malkurs mit ihm als Lehrer in ihrem Café ins Leben, und der alte Herr in seinen exzentrischen Klamotten lebt wieder auf.
Auch für sie ändert sich einiges. Das Café schreibt endlich schwarze Zahlen, plötzlich steht ein Mann im Café, der zwar sicher kein Partner fürs Leben ist, sie sich aber wieder jünger als ihre 37 und vor allem unbeschwerter fühlen lässt. „Sie war wild und frei und tollkühn. Die Welt erschien ihr riesengroß und voller unendlicher Möglichkeiten, ganz anders als noch vorhin.“ (S. 93)

Clare Pooley vereinigt in ihrem Buch viele verschiedene Charaktertypen. Hazard surft ganz oben auf der Welle des Erfolgs und will nicht wahrhaben, wie schnell man ein Suchtproblem entwickelt. Riley ist ein jugendlicher, anscheinend immer fröhlicher und unbeschwerter Weltenbummler. Und Alice, die glücklich verheiratete junge Mutter führt das perfekte Instagram-Leben. Aber wie sieht es wirklich in ihnen bzw. uns aus? Was passiert abseits der Öffentlichkeit? Was sehen wir, wenn wir in den Spiegel sehen?

„Montags bei Monica“ ist für mich eine echte Entdeckung. Was nach einer locker leichten Unterhaltungslektüre klingt ist so viel mehr: warmherzig, überraschend, spannend und vor allem tiefschürfend, denn Clare Pooley stellt existentielle Fragen, hält uns einen Spiegel vor und regt zum Nachdenken (und vielleicht auch Handeln) an.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.