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Benutzername: 
Igelmanu
Wohnort: 
Mülheim

Bewertungen

Insgesamt 989 Bewertungen
Bewertung vom 31.03.2019
Kalte See / Theo Krumme Bd.5
Berg, Hendrik

Kalte See / Theo Krumme Bd.5


sehr gut

»Gemeinsam mit den anderen Fahrgästen schoben sie sich über eine lange Landungsbrücke hinunter zum Hafengelände. Krumme beobachtete die Familien, Männer, Frauen, Kinder und Jugendlichen, die sich ausgelassen auf ihren Urlaub freuten. Was sie wohl sagen würden, wenn sie erführen, dass es auf der Insel einen Mord gegeben hatte? Musste man die Menschen nicht warnen? Zumindest die Frauen? Er musste an den Film „Der weiße Hai“ denken. Auch da strömten zahllose Badegäste auf eine Insel, ohne zu ahnen, dass eine hungrige Bestie auf sie wartete.«

Föhr, ein Inselparadies, mitten in der Hochsaison. Als Hauptkommissar Krumme von der Kripo Husum an Land geht, ahnt er schon, dass er bei der Untersuchung des Mordes an einer jungen Frau diskret vorgehen muss. So weit wie möglich, jedenfalls. Was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnt, aber bald erfahren wird: Er hat es mit einem Serienmörder zu tun. Wartet auf Föhr also tatsächlich eine hungrige Bestie?

Der fünfte Fall für Krumme. Da mich die ersten vier begeistert hatten, war klar, dass ich auch diesen lesen musste. Und ich wurde nicht enttäuscht! Auch dieser Fall besticht durch einen spannenden Krimi in toller Atmosphäre, eingebettet in eine nette, teils amüsante Rahmenhandlung und einige liebenswerte Charaktere.
Die Krimihandlung baut schon gleich zu Beginn Spannung auf. Diese zieht sich durch das ganze Buch und steigert sich noch zum Ende hin. Wer der Mörder ist, wird recht früh klar, da immer wieder Abschnitte aus der Täterperspektive heraus erzählt werden. Dadurch bekommt man als Leser einen sehr guten Einblick in die Gedankenwelt des Mörders und erkennt, dass dieser noch lange nicht fertig ist mit seinem Tun. Die Frage ist halt nur, wie schnell Krumme und seine Kollegin Pat ihn erwischen und wer bis dahin noch umkommen wird.
Krumme hat bei diesem mörderischen Wettlauf folglich alle Hände voll zu tun – und zudem noch private Sorgen. Denn in seiner Beziehung zu Marianne ist die Stimmung nicht die beste und er nicht ganz unschuldig an der Situation.

Krumme ist schon ein recht spezieller Charakter. Nicht immer einfach, aber liebenswert. Eine Beschreibung, die in erhöhtem Maße auch auf den Knecht Harke zutrifft. Eine skurrile Gestalt, immer für eine Überraschung gut und ich freue mich entsprechend über jede einzelne Szene mit ihm.
Ein weiterer Liebling von mir hat vier Beine und ist ein Hund namens Watson von der Größe eines Ponys. Hoffentlich ist er auch in den hoffentlich noch folgenden Bänden wieder mit dabei!
Die übrigen Charaktere vermitteln genau wie die Beschreibungen von Landschaft, Wetter und ortsüblichen Besonderheiten diese spezielle Atmosphäre, die ich an der Nordsee so mag. Ich würde jetzt gerne sofort den Koffer packen ;-)

Der Stil liest sich flott und leicht, man taucht schnell in die Handlung ein und bleibt gern dran am Buch. Vorkenntnisse zu den anderen Bänden sind für das Verständnis nicht erforderlich.

Fazit: Wieder ein spannender Fall für Krumme. Tolle Atmosphäre, skurrile Gestalten – das macht einfach Spaß!

Bewertung vom 31.03.2019
Jubilate!
Alba, Johanna;Chorin, Jan

Jubilate!


ausgezeichnet

»Da geschah es! Für einen kurzen Augenblick wurde ihr schwarz vor Augen. Sie sackte unter Wasser, strampelte, kam wieder hoch. Einige Schwimmzüge – dann wieder Schwärze. Alles drehte sich, sie schluckte Wasser, sank. Verzweifelt versuchte sie, wieder aufzutauchen, wusste aber nicht, wo oben war.«

Im letzten Moment kann ein perfider Mordanschlag verhindert werden, ein erneutes Attentat ist sehr wahrscheinlich. Und das alles auf dem wundervoll gelegenen Landschloss von Giulias Familie, auf dem sich alle Familienangehörigen zu einem großen Fest versammelt hatten. Auch Papst Petrus, als Freund der Familie, war anwesend und versucht nun gemeinsam mit seinem Traumermittlerteam den Täter aufzuspüren und eine womöglich erfolgreiche Wiederholung der schlimmen Tat zu verhindern.
Derweil hat Giulia, päpstliche Pressesprecherin und festes Mitglied seines Ermittlerteams, noch ein ganz spezielles Problem. Um das Familienerbe antreten zu können, muss sie heiraten. Ein schwer zu lösendes Problem, gehört ihr Herz doch schon lange dem Franziskanermönch Francesco, Petrus Privatsekretär.

Den neuen Papstkrimi hatte ich wirklich herbeigesehnt. Ich liebe diese Bücher, sie verbinden Detektivarbeit mit Witz, skurrilen Situationen und herrlichen Charakteren.
Da ist natürlich zunächst Papst Petrus, ein Kirchenoberhaupt, wie man es sich nur wünschen kann. (Es sei denn natürlich, man ist ein strikter Hardliner.) Petrus mit seinen herrlich menschlichen Schwächen, der Vorliebe für Fußball und gutes Essen und einem wirklich großen Herzen.
Giulia ist eine starke, selbstbewusste Frau und genau wie Francesco enorm sympathisch. Wer die Vorgängerbände gelesen hat, hofft vermutlich genau wie ich, dass sich irgendwie eine gemeinsame Zukunft für die beiden finden lässt.
Auch Giulias Tante Eugenia ist ein echtes Original und füllt ihre Aufgabe als schwarzes Schaf der Familie perfekt aus. Freunde von Vierbeinern freuen sich zudem über die markanten Auftritte von Kater Monsignore und der strenge Disziplinierungskurs, den die päpstliche Haushälterin Schwester Immaculata ihrem Arbeitgeber gegenüber fährt, löst bei mir jedes Mal gleichermaßen Mitleid wie auch Erheiterung aus.

Während die Rahmenhandlung also für reichlich Unterhaltung sorgt, ist die detektivische Arbeit durchaus spannend, sorgt lange Zeit für mehrere Verdächtige und einige Überraschungen. Ich habe diesen fünften Papstkrimi (den man übrigens unabhängig von den anderen lesen kann) von der ersten bis zur letzten Seite genossen und hoffe auf ein Wiederlesen mit all diesen Protagonisten.

Fazit: Dieser Papstkrimi ließ mich wirklich jubeln. Bitte viel mehr davon!

Bewertung vom 23.03.2019
Die Inselsammlerin
Williams, Fenna

Die Inselsammlerin


ausgezeichnet

»Es war Schwerstarbeit, aus dem Angebot meiner wahr gewordenen Träume die Inseln für dieses Buch herauszusuchen: Inseln, die die Sehnsucht, die schon der Klang ihres Namens weckt, mit Geschichten füllen und dafür sorgen, dass der Wunsch auf Rückkehr mit nach Hause fährt.«

Fenna Williams sammelt Inseln. Schon als Kind war sie von ihnen fasziniert und legte eine schnell wachsende Liste von Inseln an, die sie besuchen wollte. Sie hat schon einiges von der Liste abgearbeitet, allerdings wächst sie auch immer noch weiter ;-)

Die zwölf Inseln, die sie für dieses Buch ausgesucht hat und die sie ausführlich vorstellt, waren mir bis auf drei Ausnahmen zuvor namentlich unbekannt. Jeweils drei davon gehören zu Europa, Afrika und Amerika, zwei zu Asien und eine zu Australien. Obwohl sie höchst verschieden sind, haben sie ein paar Dinge gemein: Sie faszinieren, verschaffen unvergleichliche Eindrücke und sorgen für ebensolche Erinnerungen, wenn man das Glück hatte, sie besuchen zu können.
Da gibt es Inseln, auf denen geschichtlich Bedeutendes passierte, solche voller Musik und Lebensfreude, solche voller sagenhafter Natur- und Tiererlebnisse. Wir lernen Inseln kennen, auf denen Kunst einen so hohen Stellenwert hat, dass die Hälfte der Bevölkerung malt, schnitzt oder auf ähnliche Art künstlerisch aktiv ist. Überhaupt trifft Fenna Williams auf ihren Reisen viele wundervolle Menschen und erfährt von ihnen neben reichlich Insiderinfos, was das wirklich Besondere am Leben auf der jeweiligen Insel ist.
Ich bestaune Pinguine auf Phillip Island, lese fasziniert von den vielen bekannten Schriftstellern, die zumindest zeitweise auf Capri gewohnt haben und von diversen anderen Autoren, die es zum Schreiben und Leben auf Inseln zog. Ihre ehemaligen Unterkünfte zählen ebenfalls zum Besichtigungsprogramm von Fenna Williams.

Ihr Schreibstil ist ungemein lebendig und bildhaft. Obwohl sich im Buch leider keine Fotos finden, sehe ich aufgrund ihrer Beschreibungen alles deutlich vor mir. Sie schafft es, mit ihren Schilderungen der verschiedensten Sinneseindrücke mich an den jeweiligen Ort zu versetzen. Wundervoll – ich habe jede Seite genossen!

Zum Ende jedes Kapitels findet sich eine nett gemachte Zusammenfassung, die mir sagt, welche dauerhaften Erinnerungen ich von der jeweiligen Insel mit nach Hause nehmen kann und die mir passende Lesetipps gibt. Dabei handelt es sich nicht um irgendwelche Reiseführer, sondern um zum Beispiel Bücher einheimischer Autoren oder um solche, deren Handlung auf der jeweiligen Insel spielt. Bücher also, mit denen man sich vor Ort noch mehr in die Umgebung vertiefen kann.

Fazit: Ein wundervolles Buch! Wer Reisen an ausgefallene Orte und Literatur liebt, liegt hier goldrichtig. Und meine persönliche Liste von Orten, die ich auf dieser Welt sehen möchte, ist um zwölf weitere angewachsen.

»Ich sammele Inseln, um ihre Schönheit zu genießen, die Eigenheiten einer abgeschlossenen Gemeinschaft kennenzulernen und manchmal auch, um zu faulenzen und den Lauf der Welt für ein paar Tage gänzlich zu ignorieren.«

Bewertung vom 23.03.2019
Provokation!
Behrendt, Michael

Provokation!


ausgezeichnet

Ich erinnere mich gut an den Anfang der 80er Jahre – das war meine Zeit. Keine Fete kam ohne „Relax“ von Frankie Goes to Hollywood aus, wir tanzten den „Mussolini“, grölten zu Westernhagens „Dicke“ mit und sangen mit Inbrunst Falcos „Jeanny“. Natürlich wollte niemand von uns vergewaltigt und ermordet werden, einige der Mitgröler hatten klares Übergewicht und wir dachten alle klar links. Was war da also mit uns los? Eins war schon mal klar: Eltern, Lehrer und die Medien regten sich über die Songs mächtig auf…

Schon immer gab es Musik, die provozierte. Manchmal so sehr, dass sie verboten wurde. Aber auch ohne, dass sie im Radio laufen, haben grenzwertige Songs hohe Verkaufszahlen, eine Indizierung kann sich sogar als höchst werbewirksam erweisen.

Warum ist das so? Was macht den großen Reiz und den Erfolg der Provokation aus? Um sich einer Antwort zu nähern, stellt dieses Buch über 70 umstrittene Songs aus der Zeit ab 1920 bis heute vor, chronologisch geordnet, einzeln aufgeschlüsselt, analysiert und bewertet.
Schnell werden deutliche Unterschiede klar. Provokation kann etwas sehr gutes sein, für erstrebenswerte Ziele kämpfen, positive Veränderungen herbeiführen. Aber sie kann auch schlecht sein, menschenfeindliche Haltungen ausdrücken, sich rechtsradikal, antisemitisch, homophob oder sexistisch äußern, womöglich gar zu klarer Gewalt aufrufen.

Nicht immer fällt die Einordnung leicht, nicht selten stellt man sich die Frage, ob der konkrete Song nur provozieren, eine satirische Zuspitzung darstellen oder womöglich doch ein Hass-Statement verbreiten will. Wichtig für die Beurteilung ist die Analyse, wer eigentlich im Song spricht. Die reale Person des Künstlers oder die öffentliche, für die Medien inszenierte Person? Oder die fiktive Persönlichkeit im Song? Michael Behrendt führt aus, wie man all das unterscheiden kann und weshalb es so wichtig ist, sich hier Klarheit zu verschaffen.

In den hier chronologisch vorgestellten Songs findet sich praktisch zu jeder Haltung oder Intention ein Beispiel. Gleichzeitig macht man als Leser eine Zeitreise und kann verfolgen, wie sehr die populäre Musik ein Spiegel der Gesellschaft ist.
Es tauchen dabei viele bekannte Namen und Songs auf, bei den älteren staunte ich manches Mal. Bill Haley’s „Rock around the clock“ ist nach heutigem Maßstab wirklich harmlos, war aber in den 50er Jahren Ausdruck der aufbegehrenden Jugend, eine »hochemotionale Absage an das Establishment mit seinen moralischen Zwängen und seinem Leistungsethos.« Man sieht: Was provoziert, ist immer abhängig von der Zeit und dem gesellschaftlichen Kontext. Zeiten ändern sich, die Gesellschaft ändert sich und was akzeptiert oder erlaubt ist und was provoziert, ändert sich entsprechend auch ständig.

Reichlich interessante Infos sammle ich beim Lesen. Welches war zum Beispiel die erste indizierte Schallplatte in Deutschland? Was hatte es mit dem „Whitewashing“ in den 50er Jahren in den USA auf sich? Oder ein großes Erfolgserlebnis: Der Song „Hurricane“ von Bob Dylan führte tatsächlich zur Wiederaufnahme eines Strafverfahrens und letztlich einem Freispruch für den zuvor unschuldig Verurteilten. Sehr aktuell endet der Überblick mit dem Echo-Skandal rund um Kollegah & Farid Bang von Ende 2018.
Die Auswahl der Songs ist natürlich eine subjektive und alles andere als vollständig. Mir fehlten auch so einige Titel bzw. Interpreten, nach der Lektüre fällt mir deren Beurteilung aber nun leichter.

Zum Ende werden häufig zum Thema gestellte Fragen aufgegriffen und versucht zu beantworten. Hier gibt es noch mal genauere Ausführungen zu einzelnen Musikrichtungen, zum Moralverständnis von Rappern und zur Gefahr rechtsradikaler Songs. Es wird erklärt, was Zensur ist und was die Bundesprüfstelle tut, diverse Infos rund um das Thema Indizierung und die abschließende Betrachtung, wie wir zukünftig mit kontroversen, erst recht mit fragwürdig-kontroversen Songs umgehen können, runden alles ab.

Bewertung vom 23.03.2019
Ritual - Höhle des Schreckens / Pendergast Bd.4
Child, Lincoln; Preston, Douglas

Ritual - Höhle des Schreckens / Pendergast Bd.4


ausgezeichnet

»Hazen pumpte sich die Lunge mit Nikotin voll, dann zwang er sich, doch noch mal einen Blick auf die Mordszene zu werfen, ehe alles in Plastikbeutel gestopft und weggebracht wurde. … Das Ganze erinnerte an eine Szene aus einem Horrorfilm.«

Medicine Creek, ein wirklich kleines Nest in Kansas. Die Bewohner dort haben gewöhnlich nur zwei Probleme: Die extreme Hitze in den Sommermonaten und die Tatsache, dass der Ort langsam aber sicher ausstirbt, weil kein junger Mensch dort mehr leben will. Was man gar nicht kennt, sind Kapitalverbrechen und so steht auch Sheriff Hazen fassungslos vor dem Gemetzel, das ihm die kreisenden Geier in einem Maisfeld angezeigt hatten. Der Mörder agierte extrem grausam, ließ zudem ein Arrangement zurück, das Hinweise auf Rituale amerikanischer Ureinwohner gibt.
Leider belässt er es auch nicht bei diesem einen Mord und bald wagt sich kein Bürger von Medicine Creek mehr im Dunkeln aus dem Haus. Hazen erhält zusätzlichen Druck durch die Tatsache, dass aktuell ein Investor plant, die örtlichen Maisfelder für Gen-Experimente zu nutzen. Viel Geld und Arbeitsplätze winken – doch sicher nicht mit einem aktiven Serienmörder vor Ort. Wobei die Gen-Experimente auch nicht jedem gefallen – ein Ansatz, den FBI-Agent Pendergast verfolgt, der seinen Urlaub zur Aufklärung des Verbrechens nutzen will.

Auch der vierte Band dieser Reihe verspricht gelungene Thriller-Unterhaltung. Pendergast ist für mich einfach eine Kultfigur, ich freue mich über jeden Auftritt von ihm. Eine auffällige Gestalt, hochintelligent, leicht schräg und begabt darin, bei fiesen Typen für akuten Blutdruckanstieg zu sorgen. Sogar in seinem Urlaub ;-) Ich mag ihn!

Außerdem mag ich, dass mir dieser Thriller wieder viel Spannung und gleichzeitig intelligente Unterhaltung bot. Ein dunkles Kapitel amerikanischer Geschichte wird ebenso thematisiert wie ganz aktuelle Fragen um genmanipulierten Mais. Die Schilderung der Vorgänge in einem großen Schlachthof könnte den ein oder anderen Leser auf den Gedanken bringen, sein Fleisch sorgfältiger auszuwählen. Und treibt wirklich ein Monster sein Unwesen?

Fazit: Spannend, blutig, intelligent und unterhaltsam – diesem Thriller fehlt nichts. Die Reihe verfolge ich gerne weiter.

Bewertung vom 13.03.2019
Die Konspirateure
Fittkau, Ludger;Werner, Marie-Christine

Die Konspirateure


ausgezeichnet

Den Namen Claus Schenk Graf von Stauffenberg kennt vermutlich jeder und bringt ihn auch ohne Detailkenntnisse mit dem Attentat des 20. Juli 1944 in Verbindung. Der deutsche Widerstand war jedoch nicht auf diesen prominenten Namen beschränkt, es gab weitverzweigte zivile Widerstandsstrukturen, die wichtige Arbeit leisteten und ohne die ein erfolgreiches Attentat in der Folge nicht zum Ziel geführt hätte.
Leider schwinden die Namen dieser zivilen Verschwörer aus der kollektiven Erinnerung immer mehr – wenn sie denn überhaupt je präsent waren. Dieses Buch hat sich die Aufgabe gestellt, gegen das Vergessen zu arbeiten und die vielfältigen Aktivitäten der Männer und Frauen (neu) bekannt zu machen.

Es würde vermutlich kaum möglich sein, alle Widerständler namentlich zu erfassen, aber hier wird schon eine ordentliche Anzahl vorgestellt. Interessant ist dabei die Gliederung des Buchs nach Orten ihrer Aktivitäten. Einige davon befinden sich ganz in meiner Nähe, andere kenne ich von Reisen und ich muss sagen, es berührt mich auf eigenartige Weise, wenn ich mir vorstelle, dass sich nur wenige Straßen entfernt Menschen trafen, die aktiv und mutig gegen Hitler und sein Schreckensregime arbeiteten.

Wer waren nun diese Menschen? Sie kamen aus verschiedenen sozialen Milieus, hatten teils große politische Differenzen, doch sie einte, dass sie »aus einem Geist heraus empfanden, dachten und handelten«. Wichtiger als Dinge, die Menschen sonst trennt, war das gemeinsame Ziel. Man begegnete sich mit Achtung, schloss Freundschaften und hatte großes Vertrauen zueinander. Wenn man sich vor Augen führt, wie gewaltig und gefährlich der Feind war, gegen den sie kämpften, war das auch unbedingte Voraussetzung. Sehr interessant fand ich auch die Ausführungen zu Frauen im Widerstand, die beachtliche Leistungen brachten!
Die verschiedenen Vereinigungen waren in ihrer Größe sehr verschieden. Das Leuschner-Netz beispielsweise war sehr groß und weit verzweigt, umfasste im Wesentlichen den deutschen Südwesten, die Rheinschiene und Teile des Ruhrgebiets.

Fasziniert las ich, wie Menschen ihr Leben ausrichteten, was sie alles (noch zusätzlich zur Gefahr) in Kauf nahmen, um bestmöglich agieren zu können. Da wurde der Beruf des Händlers ergriffen, um eine Rechtfertigung für die zur Kommunikation untereinander notwendigen häufigen Reisen zu haben. Da wurde auf Privatleben verzichtet oder – besonders heftig – Mitgliedschaften in der SS angestrebt, um Informationen über geplante Aktionen zu bekommen. Die schweren persönlichen Gewissenskonflikte, die so etwas mit sich bringt, kann man sich leicht vorstellen. Solche Widerständler landeten nach dem Krieg zudem in Internierungslagern der Alliierten und mussten um ihre Anerkennung als NS-Gegner kämpfen. Nicht immer erfolgreich.

Das Verstecken von Juden, Verteilen von Flugblättern, die Pflege internationaler Kontakte und Pläne für die Zeit „danach“ bestimmten den Alltag der Konspirateure. Wäre das Attentat vom 20. Juli erfolgreich gewesen, wäre sogleich ein ausgeklügelter, flächendeckender Plan angelaufen, um Rathäuser, Radiostationen und Polizeiposten auch kleinerer Orte schnell von Regimegegnern zu übernehmen. Es ging schließlich nicht nur um den Tod Hitlers, sondern um die Beendigung des Kriegs und des Massenmords an den Juden. Viele der Akteure wirkten dann auch nach Kriegsende am Aufbau der Bundesrepublik Deutschland mit. Andere zahlten für ihre Arbeit einen hohen Preis, kamen ins KZ, wurden gefoltert und teils noch kurz vor Kriegsende hingerichtet.

Trotz des schweren Themas liest sich das Buch sehr leicht. Kurze Kapitel unterstützen dies noch, eingestreute Fotos lockern weiter auf. Ein umfangreicher Anhang zeigt die gründliche Recherche-Arbeit der Autoren und bietet Kurzbiographien der im Buch vorgestellten Personen.

Fazit: Ein wichtiges Buch! Diese tapferen Männer und Frauen haben einen Platz im kollektiven Gedächtnis verdient!

Bewertung vom 08.03.2019
Claus Schenk Graf von Stauffenberg
Schlie, Ulrich

Claus Schenk Graf von Stauffenberg


sehr gut

Ulrich Schlie beginnt seine Ausarbeitung zu Stauffenbergs Leben und Wirken mit einer Darstellung eben dieser kontroversen Positionen, er setzt sich mit Kritikern auseinander und führt aus, weshalb es auch heute noch so wichtig ist, sich mit den Taten des 20. Juli zu beschäftigen, welche Bedeutung der damalige Widerstand für die heutige Zeit und das Zusammenleben in Europa hat.

Zunächst wird dann der genaue Ablauf dieses 20. Julis beschrieben. Diese Schilderung empfand ich als gleichermaßen informativ und intensiv. Die folgenden Kapitel befassen sich mit Stauffenbergs Leben, seiner Herkunft und seinem Werdegang.
Zu einer Zeit, in der Adel und Militär privilegiert waren, wuchs er in einer alten Adelsfamilie auf, in der ein offener und toleranter Geist herrschte. Schon früh festigten sich die Werte, die sein Leben bestimmten: Religion, politisches Interesse und großer Patriotismus. Sein oberster Grundsatz war, dem Staat zu dienen. Soldat zu werden und die Offizierslaufbahn einzuschlagen wurde so zur logischen Konsequenz.
1933 wurde der junge Offizier mit den Worten »Zuverlässiger und selbständiger Charakter mit unabhängiger Willens- und Urteilsbildung« beurteilt. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er, der er täglich aufmerksam Zeitung las und die politische Entwicklung verfolgte, die Situation erkannte.
Die Zeit zwischen 1940 und 1943 war von diesem Erkennen geprägt, es folgten erste Zusammenschlüsse mit Gleichdenkenden und der Beginn des Widerstands. Nach seiner schweren Kriegsverletzung wird er im Krankenbett mit den Worten zitiert: »Es wird Zeit, dass ich das Deutsche Reich rette«

Stauffenberg und alle seine Mitstreiter (ob militärisch oder zivil) haben mich stets enorm beeindruckt. In einer Zeit, in der die meisten Menschen mit dem eigenen Überleben und den eigenen Ängsten beschäftigt waren, folgten sie dem Ruf ihres Gewissens, setzten ihr eigenes Leben ein, um viele andere Menschen zu retten. Obwohl sie keinen Erfolg hatten, hat der große Symbolwert ihrer Handlung Bestand, macht einerseits Mut und regt gleichzeitig zum Nachdenken an. Was hätte ich getan? Eine unangenehme und (wenn man ehrlich ist) sicher nicht leicht zu beantwortende Frage. Zumal die Entscheidung, ob man für einen guten Zweck ein Attentat begeht und Menschen ermordet, um andere zu retten, schon für sich eine Gewissensentscheidung ist. Möglicherweise fiel sie einem Soldaten etwas leichter? Ich weiß es nicht und tue mich mit einer persönlichen Wertung schwer. Für den Autor ist die Sache klar und der Tyrannenmord entschuldigt. Eine nachvollziehbare Position, doch würde ich mir in einem Sachbuch eine etwas neutralere Haltung wünschen.

Der Autor legt großen Wert darauf zu betonen, dass Stauffenberg kein Alleinkämpfer war, dass eine große Anzahl Verschwörer zusammenarbeiteten. Einige werden namentlich beschrieben und es wird auf ihre Aktivitäten eingegangen.

Speziell zu Stauffenberg gibt es reichlich Literatur. Dieses Buch bietet eine sehr straffe und konzentrierte Biographie, die sich auf die wesentlichen Aspekte beschränkt und dadurch leicht und schnell zu lesen ist. Ich denke, dass die Punkte seines Lebens, die ihn zu dem Attentäter des 20. Juli werden ließen, gut herausgearbeitet wurden, trotzdem hätte ich mich gerne noch intensiver mit seinem Charakter befasst.

Fazit: Eine sehr straffe und konzentrierte Biographie, leicht zu lesen und regt zum Nachdenken an.

Bewertung vom 27.02.2019
Tote haben kein Zahnweh
Archan, Isabella

Tote haben kein Zahnweh


sehr gut

Wer überraschend eine ganz offensichtlich ermordete Frau findet, kommt vermutlich nicht auf die Idee, sich als allererstes den Zustand ihres Gebisses anzuschauen. Dafür muss man wohl Zahnarzt bzw. Zahnärztin sein.
Eine solche ist Dr. Leocardia Kardiff. Ihre Praxis hat sie in Köln und ihre Mittagspause verbringt sie häufiger mal bei einem Therapeuten, um ihre im Beruf arg hinderliche Spritzenphobie zu bekämpfen. Klingt schräg, ist es auch.

Abgesehen von ihrer Phobie ist sie auch sonst ein leicht skurriler Charakter. Intelligent, aber oft verwirrt und chaotisch. Höchst neugierig, aber auch einfühlsam. Und meist redet sie schneller, als sie denkt, was sie immer mal wieder in Schwierigkeiten bringt. Hauptkommissar Jakob Zimmer schwankt jedenfalls ständig zwischen Sympathie und Wut, diese Hobby-Ermittlerin kostet ihn schlicht Nerven. Dumm nur, dass sie nicht selten der Polizei um mehr als eine Nasenlänge voraus ist.

Im Zentrum dieses Krimis steht seine reichlich ungewöhnliche Ermittlerin. Eine Zahnärztin zur Detektivin zu machen, ist schon kreativ. Wie realistisch so etwas sein kann, steht auf einem anderen Blatt. Ohnehin scheint mir die Vorstellung einer Zahnärztin, die beim Setzen einer Spritze in Ohnmacht fällt, ziemlich weit hergeholt. Aber die Vorstellung ist unterhaltsam.
Die Krimihandlung selbst wirkt da schon nachvollziehbarer. Man kann beim Lesen auch schön miträtseln, wer denn nun der Mörder ist und wie die Taten (denn es bleibt nicht bei dem einen Opfer) zusammenhängen. Die Spannung blieb aber zumindest für mich etwas auf der Strecke, was erneut an dem Charakter der Protagonistin liegt. Ihr ständig ratterndes Gedankenkarussell nahm selbst an Stellen, die normalerweise sehr spannend wären, für mich eben diese Spannung raus. Aber unterhaltsam war’s schon ;-)

Fazit: Ein Krimi, der von seiner ungewöhnlichen Ermittlerin lebt. Nicht wirklich spannend, aber unterhaltsam.

Bewertung vom 21.02.2019
Elementar
James, Tim

Elementar


ausgezeichnet

»Die Elemente sind die Bausteine, mit denen die Natur den Kosmos bastelt; sie sind die reinsten Stoffe, aus denen einfach alles entsteht, von der Roten Bete bis zum Rennrad. Das Studium der Elemente und ihrer Einsatzgebiete bezeichnen wir als Chemie. Bedauerlicherweise klingt dieses Wort in den Ohren vieler Leute verdächtig.
Auf einer beliebten Gesundheitswebsite beklagte sich kürzlich ein Autor über die »Chemikalien in unserem Essen« und gab Ratschläge dazu, was man tun könne, um sich von Lebensmitteln »ohne Chemie« zu ernähren. Solche Panikmacher scheinen zu glauben, dass Chemikalien Giftstoffe sind, die von verrückten Wissenschaftlern im Labor erzeugt werden.«

So mancher verbindet mit dem Gedanken an Chemie ungute Dinge, assoziiert Begriffe wie künstlich, schädlich und trocken. Dass Chemie das genaue Gegenteil sein kann, wird in diesem Buch sehr schön deutlich.

Auf sehr humorvolle, anschauliche und leicht lesbare Art räumt Tim James zunächst mit gängigen Vorurteilen auf. Wer auf Chemie im Essen verzichten will, muss leider verhungern, denn Chemie ist tatsächlich überall um uns herum. Zeit, sich mit ihr anzufreunden.
»Die Chemie ist keine abstrakte Wissenschaft, die in dubiosen Laboratorien stattfindet: Sie findet überall in unserer Umgebung und in uns selbst statt.«

Dieses Buch macht das Anfreunden leicht. Im Plauderton vermittelt der Autor Informationen, stellt und beantwortet Fragen und schildert Skurriles. Da finden sich grundlegende Themen, wie zum Beispiel der Aufbau des Atomkerns oder die Frage, wie das Periodensystem seine Gestalt erhielt. Es gibt historische Rückblicke, die zeigen, was man früher glaubte, wie man zu neueren Modellen des Periodensystems kam oder auch, wie man im 18. Jahrhundert präzise Messungen vornahm.
Interessante Fragen werden behandelt, zum Beispiel die, ob die Liste der Elemente wirklich vollzählig ist oder ob es noch irgendwo im Universum fremdartige, versteckte Elemente geben könnte.
Mich faszinierten besonders die Ausführungen über einzelne Elemente. Da findet sich beispielsweise die am leichtesten entflammbare Substanz Chlortrifluorid, so „bösartig“, dass sogar die Nazis nach einem übel verlaufenen Versuch von einer Verwendung Abstand nahmen. Oder das seltenste Element Protactinium, dessen weltweiter Vorrat aus einem 125 Gramm leichten Klümpchen besteht. Oder wie wäre es mit der schärfsten, süßesten, dunkelsten, giftigsten oder übelriechendsten Chemikalie? Oder dem zeitlich längsten Experiment aller Zeiten? Und was haben Bananen mit Radioaktivität zu tun?
Es gibt Elemente, die die Welt veränderten und solche, die für unsere Zukunft von Bedeutung sind, zum Beispiel im Bereich Energien der Zukunft. Auch das ein fesselndes Thema!

Wenn auch reichlich Infos vermittelt werden, so eignet sich das Buch trotzdem nicht als Nachschlagewerk oder zum Lernen. Man liest es zur Unterhaltung und nimmt nebenbei Wissen auf. Weitergehende Fachkenntnisse sind für das Verständnis nicht erforderlich, es reicht, wenn man in der Schule ein Basiswissen erworben hat. Wer sich für die üblichen chemischen Modellen und Formeln nicht erwärmen kann, kann ebenfalls unbesorgt sein, davon gibt es nur wenige. Stattdessen baut der Autor witzige und von Hand gezeichnete Illustrationen ein, überraschend kreativ. Zu jedem Thema gibt es eine nette Geschichte, manchmal scheint Tim James vor lauter Begeisterung etwas abzuschweifen. Darunter leidet zwar die Übersichtlichkeit ein wenig, es lockert aber andererseits zusätzlich auf.

Fazit: Chemie ist nicht nur überall um uns herum, die Beschäftigung damit kann auch enorm unterhaltsam sein. Mit diesem Buch kann man ein wenig schlauer werden und dabei Spaß haben.