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Mikka Liest
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⇢ Ich bin: Ex-Buchhändlerin, Leseratte, seit 2012 Buchbloggerin, vielseitig interessiert und chronisch neugierig. Bevorzugt lese ich das Genre Gegenwartsliteratur, bin aber auch in anderen Genres unterwegs. ⇢ 2020 und 2021: Teil der Jury des Buchpreises "Das Debüt" ⇢ 2022: Offizielle Buchpreisbloggerin des Deutschen Buchpreises

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Insgesamt 735 Bewertungen
Bewertung vom 06.06.2015
Feuer & Flut / Brimstone Bleed Bd.1
Scott, Victoria

Feuer & Flut / Brimstone Bleed Bd.1


sehr gut

Meine Meinung:
Manchmal kam mir "Feuer & Flut" ein wenig vor wie eine Synthese aus Pokémon (wegen der Pandoras) und "Die Tribute von Panem" (wegen der feindlichen Umgebung, die es zu bewältigen gilt). Aber eigentlich ist das Buch und Autorin gegenüber unfair, denn es gibt in meinen Augen bestenfalls oberflächliche Gemeinsamkeiten! Tatsächlich ist "Feuer & Flut" etwas ganz Eigenes - eine spannende, rasante Mischung aus Abenteuer, Science Fiction und Thriller.

Am Anfang hatte ich wirklich die Befürchtung, dass ich mit Tella, der Protagonistin, nicht warm werden würde, denn sie benimmt sich in den ersten Kapiteln wie eine egoistische kleine Zicke, und ihre Gedanken kreisen häufig um oberflächliche Dinge wie Mode, Schmuck, Shoppen und heiße Jungs.

Aber ihr schräger Humor und ihre kleinen (oder großen) Macken wuchsen mir erstaunlich schnell ans Herz, und sie brachte mich oft zum Lachen. Außerdem hat sie trotz allem Zickenterror das Herz am rechten Fleck, und so nach und nach merkt man, dass das einfach ihre Art ist, mit der ständigen Angst um ihren Bruder umzugehen.

Mir hat gut gefallen, mit was für einer Energie und Entschlossenheit sie die Dinge angeht. Ja, sie kriegt zwischendurch auch mal die Panik, will nur noch nachhause, fühlt sich überfordert... Aber das ist in dieser Situation ja auch verständlich, und ich hätte es unrealistisch gefunden, wenn sie alles ganz gelassen wegstecken würde.

Im Grunde ist sie trotz aller Ängste und Schwächen eine Kämpferin, die Sachen nicht einfach so hinnimmt, die aber auch schlau genug ist, um Hilfe zu bitten und sie anzunehmen.

Natürlich gibt es da auch noch einen Jungen, in den sich Tella verguckt. Sein Name ist Guy, und auf den ersten Blick scheint er der typische Bad Boy zu sein: mysteriös, abweisend, unfreundlich und sogar aggressiv. Er sagt Tella, sie solle sich bloß von ihm fernhalten - aber er hilft ihr von Anfang an, und sie weiß nicht, was sie davon halten soll... Da aber schnell klar wird, dass er mehr über das Rennen weiß als die anderen Teilnehmer und außerdem hervorragend in der Wildnis überleben kann, hängt sie sich an seine Fersen wie eine Klette.

Die Liebesgeschichte bleibt eher im Hintergrund, denn es passiert einfach immer viel zu viel, um großartig Romantik aufkommen zu lassen. Mir hat das sehr gut gefallen!

Auch die anderen Charaktere fand ich interessant, komplex und ansprechend geschrieben.

Der Schreibstil gibt locker-flockig und mit viel Humor Tellas chaotische Gedanken wieder. Und die hüpfen oft in halsbrecherischem Tempo von Thema zu Thema! In einer Sekunde kann es noch um ein lebensbedrohliches Problem gehen, und in der nächsten denkt sie an griechischen Salat, Maniküre und schwedische Massagen... Am Anfang habe ich da ein paar Mal genervt den Kopf geschüttelt, aber je mehr Tella mir ans Herz wuchs, desto unterhaltsamer und witziger fand ich ihr durchgeknalltes Kopfkino.

Einige der unerwarteten Wendungen fand ich leider nicht ganz so unerwartet! Ich habe viele Dinge vorausgesagt und dabei erstaunlich exakt ins Schwarze getroffen, aber das tat der Spannung für mich keinen Abbruch - die schraubte sich trotzdem immer weiter in die Höhe.

Die Hintergrundgeschichte (die Entwicklung der Pandoras und der Ursprung des Brimstone Bleed) hat mich nicht hundertprozentig überzeugt. So werden die Pandoras zum Beispiel mit Gentechnik erklärt, als Mischung von verschiedenen Tierarten und nicht näher erklärten anderen Elementen. Es bleibt alles sehr vage. Man nehme einen Hund und einen Spatz und kreuze sie, dann hat man einen fliegenden Hund. Echt jetzt? Aber wie kann man mit Gentechnik so etwas wie Teleportation und Unsichtbarkeit möglich machen?

Fazit:
Nachdem ich mich erstmal mit Tellas verrücktem Humor und ihren chaotischen Gedanken angefreundet hatte, fand ich die Geschichte unheimlich spannend und unterhaltsam. Das Buch hat in meinen Augen durchaus gravierende Schwächen, aber trotzdem macht das Ganze einfach verdammt viel Spaß.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.06.2015
Girl on the Train
Hawkins, Paula

Girl on the Train


ausgezeichnet

Zuerst ein Hinweis: Ich habe dieses Buch im englischen Original von Randomhouse UK als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt bekommen und gelesen. Daher kann ich keine Aussage treffen über die Qualität der deutschen Übersetzung. Da ich vom Übersetzer Christoph Göhler jedoch schon andere exzellente Übersetzungen gelesen habe, habe ich vollstes Vertrauen!

Man hört immer wieder, dass Paula Hawkins mit Gillian Flynn verglichen wird, und "The girl on the train" mit deren Bestseller "Gone Girl". Da Gillian Flynn zu meinen absoluten Lieblingsautorinnen gehört, konnte ich es mir natürlich nicht entgehen lassen, selber zu vergleichen!

Und? Ist da was dran? Meiner Meinung nach ja... Und nein.

Ja, denn auch Paula Hawkins bedient sich eines ganz bestimmten Stilmittels sehr gekonnt, das Gillian Flynn bis zur Perfektion beherrscht: das des unzuverlässigen Erzählers. Die Geschichte wird aus Sicht dreier ganz unterschiedlicher Frauen erzählt, aber man kann sich als Leser niemals blind auf das verlassen, was sie sagen. Sie belügen sich selbst oder werden von anderen belogen, sie vertrauen auf eine Wahrheit, die so gar nicht existiert, oder erschaffen sich selber eine kleine heile Traumwelt... Das ist unglaublich clever geschrieben - und spannend, denn man will unbedingt herausfinden, was wirklich hinter all dem Lug und Trug steckt!

Ja, denn auch Paula Hawkins ist eine Meisterin darin, über egoistische, zutiefst gestörte Frauen zu schreiben, mit denen man aber dennoch irgendwie mitfühlen kann - und sogar muss... Ich habe unzählige Male laut aufgestöhnt, wenn Rachel die falsche Entscheidung traf, denn entgegen jeder Vernunft wollte ich so sehr, dass sie ihr Leben in den Griff bekommt und es für sie ein Happy End gibt!

"Nein, nein, nein, bitte tu das nicht..." war ein immer wieder kehrendes Mantra.

Ich fand die Protagonisten und Protagonistinnen großartig, mit all ihren charakterlichen Schwächen, emotionalen Wunden und moralischen Fragwürdigkeiten. Ja, es gibt in dieser Geschichte einen Kriminalfall, aber das Buch ist dennoch kein typischer Krimi oder Thriller! Die Seiten habe ich nicht wirklich deswegen umgeblättert, um das Verbrechen aufgeklärt zu sehen, sondern weil ich so viele Emotionen in die Charaktere investiert hatte und sehen wollte, wohin die Reise sie führt. Krimi, Thriller, Drama...? Ich weiß es nicht so genau, aber was immer es ist, es ist in meinen Augen fantastisch.

Ja, denn auch die Atmosphäre unterschwelligen Unheils, die Paula Hawkins mit eindringlichen Bildern und einem packenden Schreibstil heraufbeschwört, ist Lesern von Gillian Flynn vertraut.

Warum also das nein?

Nein, "The girl on the train" ist nicht "Gone Girl 2.0", denn obwohl die Atmosphäre ähnlich ist und die Autorinnen sich auch ähnlicher Stilmittel bedienen, haben die Handlungen beider Romane nur auf den ersten Blick oberflächliche Gemeinsamkeiten. Meiner Meinung nach handelt es sich hier um zwei ganz unterschiedliche Bücher, die beide auf ihre eigene Art und Weise außergewöhnlich und mehr als lohnend sind!

Ich würde es so ausdrücken: zwei Maler können die gleichen Pinsel, die gleichen Farben und sogar die gleichen Maltechniken verwenden und doch gänzlich andere Bilder malen.

Die Geschichte von "The girl on the train" ist originell und spielt augenzwinkernd mit den Erwartungen erfahrener Thriller-Leser.

Die Handlung erstreckt sich über mehrere Zeitebenen, und so bekommt man als Leser immer neue Bruchstücke aus Vergangenheit und Gegenwart zu sehen, kann dabei aber nie mit Sicherheit sagen, was jetzt Ursache ist und was Wirkung... Ich habe immer wieder neue Theorien aufgestellt, was wirklich geschehen sein könnte und warum, wer hier die Guten sind und wer die Bösen - und im Endeffekt war dann doch alles ganz anders.

Der Schreibstil der Autorin hat mir sehr gut gefallen. Besonders gelungen fand ich, wie sie den drei Erzählerinnen ihre ganz eigenen, unverwechselbaren "Stimmen" gibt.

Bewertung vom 30.05.2015
Einsam und kalt ist der Tod / Anna Magnusson Bd.1
Pettersson, Lars

Einsam und kalt ist der Tod / Anna Magnusson Bd.1


ausgezeichnet

Dieser ambitionierte Erstlingsroman des Filmemachers Lars Pettersson wurde von der Schwedischen Krimiakedemie im Jahr 2012 als "Bestes Krimidebüt" ausgezeichnet. Da bin ich natürlich mit hohen Erwartungen an das Buch herangegangen! Und was soll ich sagen - ich bin beeindruckt, denn dieser Krimi ist wirklich etwas Außergewöhnliches.

Das liegt zum einen schon am Schauplatz, denn die Geschichte ist in Nordnorwegen in der Gegend rund um Kautokeino angesiedelt. Dort gehört die Bevölkerung noch überwiegend dem indigenen Volk der Samen an und lebt hauptsächlich von der Rentierzucht. Viele Familien leben nach althergebrachten Werten und tragen nicht nur zu besonderen Anlässen die traditionelle farbenfrohe Kleidung.

Aber dem Autor liegt es fern, eine beschauliche, touristentaugliche Postkartenidylle heraufzubeschwören! Er kennt die Kommune Kautokeino und ihre Menschen gut und beschreibt deren hartes Leben sowohl bildreich-atmosphärisch als auch schonungslos ehrlich.

Die Staatsanwältin Anna Magnusson hat ihre Wurzeln in Kautokeino, denn ihre samische Mutter stammte von dort. Sie selber hat jedoch ihr ganzes Leben in Schweden verbracht und kennt ihre samische Familie und deren Leben nur von kurzen Besuchen in den Sommerferien. Als sie nun zu Hilfe gerufen wird, um ihren Cousin zu verteidigen, der eine Frau vergewaltigt haben soll, rechnet sie damit, den Fall schnell abschließen zu können. Aber schon bald wird ihr klar, dass weit mehr hinter der Geschichte steckt...

Außerdem fühlt sie sich immer mehr gezwungen, sich mit ihrer entfremdeten Familie und deren Erwartungen auseinander zu setzen. Sie hat von ihrer Mutter sozusagen Schuldgefühle geerbt - dafür, dass sie das harte Leben ihrer Familie hinter sich gelassen und somit "verraten" hat, denn eigentlich wird jedes Familienmitglied auf der Winterweide dringend gebraucht.

Für mich ist Anna ein sehr interessanter Charakter! Sie ist sehr verwurzelt in ihrem modernen Rechtsempfinden und reagiert daher mit Fassungslosigkeit und Zorn darauf, dass ihre Familie von ihr erwartet, die Verbrechen ihre Cousins möglichst unter den Teppich zu kehren.

Nach dem ersten Kulturschock erwacht in ihr der Kampfgeist, und sie stürzt sich mit Hingabe in einen Fall, den außer ihr eigentlich niemand aufgeklärt sehen will. Ich habe ihren Mut und ihre Entschlossenheit sehr bewundert! Man merkt auch immer wieder, dass sie sich trotz allem der samischen Kultur doch noch zugehörig fühlt, wenn auch widerwillig.

Auch die anderen Charaktere fand ich interessant, aber oft sehr schwer zu begreifen, so fremd waren mir ihre Wertvorstellungen. Aber das ist sicher durchaus beabsichtigt, denn als Leser kann man so viel eindringlicher nachempfinden, wie fehl am Platz und entwurzelt sich die Protagonistin in Kautokeino fühlt!

"Einsam und kalt ist der Tod" ist kein typischer Krimi. Viel der Spannung entsteht gar nicht aus dem Kriminalfall, sondern eben aus diesem scheinbar unüberbrückbaren Konflikt zweier Kulturen. Viele der Samen in diesem Buch haben ihr ganz eigenes Verständnis von Moral und Gerechtigkeit und nur wenig Vertrauen in die norwegischen Gesetze, die so wenig mit ihrem täglichen Leben zu tun haben.

In meinen Augen macht gerade diese Mischung den Roman so originell und spannend. Man rätselt nicht nur darüber, wer denn nun was verbrochen hat oder nicht, sondern man wirft vor allem einen Blick in eine gänzlich fremde Kultur, in all ihrer Schönheit und ihrer oft gnadenlosen Härte.

Den Schreibstil fand ich wunderbar. Der Autor beschwört das Leben der Samen mit allen Sinnen herauf. Man hört das Polarlicht knistern und den Schnee knarzen, man riecht und schmeckt das brutzelnde Rentierfleisch und sieht die leuchtenden Augen der Schlittenhunde in der Nacht...

Fazit:
Es geht um Vergewaltigung, um Viehdiebstahl, Raubschlachtung... Und Mord. Aber vor allem geht es um den Konflikt zwischen der archaischen Lebensweise der Samen und den modernen Vorstellungen von Recht und Moral.