Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Juti
Wohnort: 
HD

Bewertungen

Insgesamt 631 Bewertungen
Bewertung vom 10.11.2019
Konzert ohne Dichter
Modick, Klaus

Konzert ohne Dichter


ausgezeichnet

Worpsweder Monte Verita

Selten, dass ich ein Buch zum zweiten Mal lese. Beim ersten Mal schrieb ich noch keine Bewertungen. Nun nach 4 Jahren wollte ich wissen, wie der Autor handwerklich gearbeitet hat.

Dabei fiel mir auf, dass er nur drei Tage im Leben von Heinrich Vogeler beschreibt, auch noch 1905, als der Höhepunkt der Künstlerkolonie bereits in der Vergangenheit lag.
Aber wenn ein berühmter Name fällt, schaltet er gleich eine Rückblende ein. Wichtigste Name ist Rilke, den Vogeler schon 1898 in Florenz kennenlernte, den er in Berlin besuchte und nach Worpswede einlädt. Der Dichter kommt auch, flirtet gleich mit zwei Frauen und verlässt das Moor fluchtartig, nachdem Otto Modersohn seine Liebste Paula Becker geheiratet hatte.

Im Gegensatz zum ersten Mal konnte ich den Film „Paula“ sehen, habe von Gerhart Hauptmann gelesen, der auch Worpswede besuchte, und habe schon andere Lebensreformbewegungen am Monte Verita kennengelernt. Dadurch fielen mir beim zweiten Lesen Dinge auf, die mir beim ersten Mal noch fremd waren.

Modick schreibt seine Bücher immer so, dass der Leser denkt, so war es. Dabei kommt er, vor allem verglichen mit Karen Duve mit einem ganz kurzen Literaturverzeichnis aus, so dass man eigentlich alles für Fiktion halten müsste.
Dennoch existiert ja das Bild „Konzert“ auf dem eben Rilke fehlt, weil er beim Maler in Ungnade gefallen ist.

Wer alternative Lebensformen mag, wer Worpswede liebt und wer Maler und Rilke schätzt, der kommt an diesem Buch nicht vorbei. 5 Sterne

Bewertung vom 05.11.2019
Orlando
Woolf, Virginia

Orlando


weniger gut

Vertane Chance

Mir ist nicht klar, warum dieses Buch auf meine Liste der zu lesenden Bücher kam. Vielleicht durch Simone de Beauvoir. Es ist eine Parodie auf eine Biographie. Der Graf Orlando wurde im 16. Jahrhundert geboren, verwandelt sich nach 122 Seiten in eine Frau und lebt bis ins Erscheinungsjahr 1928 ohne alt zu werden.

Die Möglichkeiten, die sich aus der Geschlechtsumwandlung ergeben, bleiben aber ungenutzt. Im Gegensatz zum griechischen Propheten Teiresias behandelt die Autorin die Vor- oder Nachteile, die ein Geschlecht kaum, stattdessen wird ellenlang die Situation im Adel über die Jahrhunderte beschrieben.

In der Nachbemerkung heißt es: „Das Buch ist vollkommen durcheinander, unzusammenhängend, unerträglich, unmöglich.“ (294) Auch wenn die Autorin diese Bemerkung ironisch meint, einen wahren Kern enthält sie doch. Der Befürchtung, das Buch könne zu frivol sein, widerspreche ich. Im Gegenteil. Es hätte weit mehr Bilder geben können.

Gut dagegen fand ich, dass reale Fotos dem Band Authenzität verleihen. Mehr als 2 Sterne kann ich dennoch nicht vergeben.

Bewertung vom 03.11.2019
Ein Bild und tausend Worte
Modick, Klaus

Ein Bild und tausend Worte


gut

Eine Essaysammlung als Zettelkasten

Gut bewertet wurde Modick von mir häufig. Als ich las, dass er ein Buch zur Entstehung von „Konzert ohne Dichter“ herausbringt, freute ich mich. Aber dieser Essay enthält wenig, was für das Schreiben an sich hilfreich wäre. Es wirkt so, als hätte das Bild zum Buch ihn immer schon beschäftigt.

Dennoch war gerade der erste Teil für mich brauchbar: Das Tagebuch über seinen Roman „Das Grau der Karolinen“, seine Erfahrungen auf Lesereisen, sein Verhältnis zu den Verlagen.

Der zweite Teil besteht aus älteren Kritiken älterer Bücher. Da meine zu lesende Liste ohnehin schon lang ist, war das wenig hilfreich, mit Stevensons „Ebbe“ und dem Autor Wilhelm Raabe ist sie noch länger geworden.

Danach folgen Essays, die sich auch um Literatur und Postmoderne drehen, aber für mich als Nichtgermanisten nicht interessant waren. 3 Sterne.

Zitat: „Können Sie vom Schreiben leben?“ - „Nein, aber von den Honoraren.“ (124)

Bewertung vom 02.11.2019
M
Gien, Anna;Stark, Marlene

M


sehr gut

Berlin-Porno
Also das Genre des Berlin-Roman ist hinlänglich bekannt, Anke Stellings Roman ist ein Beispiel.

Dieses Buch spielt ebenfalls in Berlin, außer dem heimatlichen Heimatbesuch in Bayern und er hat mich köstlich erregt und vorzuglich amüsiert. Seitenweise könnte ich zitieren. Über Walnüsse in der Hose, Walnüsse als Gehirn, und den Unterschied zwischen prä- und postorgasmische Aussagen, der sich dann doch am Ende meiner Bewertung findet .

Die Handlung ist fast unwichtig, es geht um eine Künstlerin, die Musik auflegt. Gegen Ende fehlen ein wenig die neuen Ideen, deswegen muss ich doch einen Stern abziehen, also 4 Sterne.

Zitat:
Alle präorgasmischen Aussagen und Handlungen eines Mannes sind direkt an einem Reiz gekoppelt, was zur erhöhten Bereitschaft zur Lüge führt. Die postorgasmische Reaktion ist häufig Abwehr oder Verwirrung, der Postorgamist gleichzeitig zu ungeschickt und zu träge, um sich noch darum zu bemühen, irgendwelche Konstruktionen aufrechtzuerhalten. Trotz koitaler Differenzen tendieren Männer allgemein zu verblüffender Ehrlichkeit bei One-Night-Stands. (63)

Bewertung vom 28.10.2019
Was nicht mehr im Duden steht
Graf, Peter

Was nicht mehr im Duden steht


sehr gut

Sprachlicher historischer Rückblick

Ich bin ja so ein Romantiker. Ich könnte ein ganzes Buch lesen, in denen „Lichtbildner“ die Fotos machen. Auch die „Monsterpetition“ würde ich sofort unterschreiben. Mein „Dienstling“ will herausfinden, warum aus dem „Busenstar“ das Busenwunder wurde, aber jetzt fühlen sich die „Nuditätenschnüffler“ bestimmt „kuranzt“ und geben mir ein „Püffchen“. Ich habe aber keine „Frauenhaftigkeit“. Nein, ich leide auch nicht unter „Daltonismus, bin leider auch kein „Esperantist“, als „Friedenskämpfer“ aber gegen jede „Füssiliade“.

Wer sein „Nebelbild“ sehen will, muss sein „Näslein“ in den Wind halten, den „Mackintosh“ anziehen und auf den Bergen lustwandeln. Auf den Weg dorthin nimmt man „kandidelt“ den „Drittklasswagen“, ach die Bahn hat ja nur noch zweite Klasse, und kann auf „Freite“ gehen, bei bergigen Geländen aber den „Gefällemesser“ nicht vergessen, wir wollen schließlich keine „Funeralien“ im „Nasenquetscher“.

„Wettermacherinnen“ schauen in ihr „Wetterglas“ und sagen, ich „radotiere“ nur. Na gut, dafür will ich mich „pardonieren“ oder ist das gar nicht reflexiv? Dann „pardoniere“ ich. Ich bin ja nur ein „Notizensammler“, ein „Penny-a-liner“. Bevor sich noch ein „Nörgelfritze“ „zersorgt“, lege ich meinen „Schnappsack“ ab, meinen „Schwitzer“ behalte ich an, und „none“.

In meiner heutigen „Montagsausgabe“ versuche ich so viel Altes unterzubringen, wie ich auf meinem „Nipptisch“ unterbringen kann. Selbstverständlich konnte ich nicht alle lustigen Wörter verwenden.


Wie es sich für die Duden-Redaktion gehört, enthält das Buch auch eher lexikalische Einträge zum Kolonialismus und Nationalismus, die ich überflüssig fand. Auch die Zitate sind nicht immer gelungen, vor allem weil die Beziehung zum gestrichenen Wort oft fehlte. Also 4 Sterne

Bewertung vom 24.10.2019
Genau richtig
Gaarder, Jostein

Genau richtig


gut

Die beste aller Welten

Anfangs habe ich eine romantische Liebesgeschichte zweier norwegischer Studenten gelesen, die in eine Hütte eingebrochen sind. Jahre später haben sie ihr Märchenhaus gekauft.
Dabei ist alles „genau richtig“, das Bett, die Matratze, die Beziehung zwischen den beiden, ihr Glück, ihre Familie.

Das Glück wird getrübt durch die Krankheit des Ich-Erzählers, der von einer alten Schulfreundin und Ärztin erfährt, dass er nur noch anderthalb Jahre zu leben hat. Während seine Frau eine Konferenz in Australien besucht, schreibt er seinen Abschiedsbrief ins Hüttentagebuch, welches Glück der Mensch hatte, dass alles so ist, wie es ist. Im Urknall etwas mehr Antimaterie und das Universum wäre zusammengestürzt. Oder ein etwas größeres Gehirn beim Menschen und Frauen könnten keine Kinder mehr gebären, etwas kleiner und der Mensch wäre dümmer, also genau richtig.

Dass der Ich-Erzähler später nur vom Ertrinken sich im See vor dem Märchenhaus träumt und stattdessen engelsgleich vom früheren Besitzer der Hütte gerettet wird, passt zum Heile-Welt Epos, denn seine Aufgabe ist es für einen geordneten Übergang der Generationen zu sorgen.

Gaarder lebte bei mir von meinen Jugenderinnerungen an „Sofies Welt“, aber in diesem Buch ist mir der moralische Zeigefinger doch zu lang. Das Büchlein ist zwar schnell zu lesen, bietet aber für Leibniz-Kenner nichts Neues, außer das Liebesabenteuer am Anfang. 3 Sterne

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.10.2019
Rückkehr nach Reims
Eribon, Didier

Rückkehr nach Reims


gut

Autobiografie eines Aufsteigers aus dem Arbeitermilieu

Es heißt, die von mir geschätzten Bücher von Annie Ernaux seien nach dem Erscheinen dieses Buches neu ins Deutsche übersetzt worden, deswegen wollte ich es lesen.
In der Tat sind Parallelen zu erkennen. Wie Ernaux steigt Eribon aus der Unterschicht auf, ja er hat sogar Brüder, die die Schule abbrechen, während der Autor es sogar schafft an der Uni ein Stipendium zu bekommen.

Höhepunkt des Buches ist die Analyse wie eigentlich politisch links stehende Arbeiterkinder zu Wählern der Rechtsradikalen werden. Hauptgrund ist die Migration marokkanischer Einwanderer in das alte Arbeiterviertel, so dass auch die Eltern des Autors umziehen müssen.

Einen Stern muss ich abziehen, weil es mir teilweise zu philosophisch wird. Seitenlang beschreibt der Autor, wieso ihm ein Buch von Bourdieu nicht gefällt.

Einen weiteren Stern ziehe ich für das Schlusskapitel über Homosexualität ab. Die Vorurteile sind bekannt und langweilten mich. Das Interessante wurde mir nicht ganz klar. Nach dem Studium findet der Autor keine seinem Abschluss entsprechende Stelle. Dank des Schwulenmilieus lernt er eine Journalistin kennen, die ihn bittet zu schreiben. So kommt er wieder in Kontakt zu vor allem ausländischen Universitäten. Wieso er aber heute Professor für Soziologie ist, habe ich nicht verstanden. Also 3 Sterne.

0 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.10.2019
Grand Tour

Grand Tour


weniger gut

Lyrikband zur EM-Qualifikation

Ich muss mich doch sehr wundern, was in der Produktbeschreibung steht: „Von Albanien bis Zypern“. Dabei zeigt das Inhaltsverzeichnis auf S.5 klar, dass der Leser zu 7 Reisen durch Europa eingeladen wird, die erste beginnt in Polen, endet in Finnland, also nichts von alphabetischer Reihenfolge.

Während die FAZ die Ordnung so hinnimmt, schreibt die SZ von der weit möglichsten Reise. Das wäre in der Tat eine spannende Mathematikaufgabe: Aus den magischen 7mal7 Ländern die weiteste Reise zu machen.

In Wahrheit aber sind die 7 Reisen Qualifikationsgruppen zur Europameisterschaft. Schon das zweite Land Wales ist eigentlich Teil des Vereinigten Königreichs, aber da es schon vor der Gründung der FIFA einen eigenen Verband hatte, Mitglied in der FIFA. Insofern bedarf es auch keiner Erklärung, wieso Israel als UEFA-Mitglied Teil von Europa ist. Zwergstaaten wie San Marino und Liechtenstein fehlen. Aber sie hätten ohnehin keine Chance bei der EM dabei zu sein.

Die Gruppen sind von der Spielstärke ziemlich ausgeglichen. Gruppe 5 mit Belgien, Malta, Litauen, Andorra, Ungarn, Türkei und Serbien erscheint als leichteste (hat auch nur 66 Seiten). Auch Deutschland hatte in Gruppe 7 wieder Losglück (67 Seiten), während die Todesgruppe 3 mit Eng­land, Israel, Dänemark, Österreich, Kroatien, Luxemburg und Russland auf stolze 88 Seiten kommt.

Über den Qualifikationsmodus wird nichts gesagt. Denkbar wäre, dass sich die zwei Gruppenbesten qualifizieren + Titelverteidiger + Gastgeber.
Da aber der Titelverteidiger nur bei der WM qualifiziert ist und die EM 2020 in 12 Städten ausgetragen wird, es also keine Gastgebernation gibt, gehe ich davon aus, dass um auf 16 Ländern zu kommen und in 4 4er Gruppen spielen zu können, sich auch die beiden punktbesten Dritten qualifizieren.

Auch zur Wertung ist nichts überliefert. Für jedes gelungene Gedicht gibt es einen Punkt, dahinter steht die Zahl der anderen Gedichte. Bei Punktegleichheit qualifiziert sich, wer weniger andere Gedichte hat.

Hier die Ergebnisse:
Gruppe 1: 1.Polen 14:25 2.Finnland 11:12 3.Mazedonien 8:3 4.Portugal 8:14
5.Wales 6:4 6.Island 3:9 7.Moldawien 2:1
Gruppe 2: 1.Irland 14:16 2.Niederlande 13:17 3.Norwegen 8:4 4.Frankreich 6:9
5.Belarus 5:5 6.Bosnien und Herzegowina 4:4 7.Zypern 2:0
Gruppe 3: 1.England 18:28 2.Russland 11:10 3.Israel 10:10 4.Kroatien 8:12 5.Dänemark 5:5 6.Österreich 3:6 7.Luxemburg 1:1
Gruppe 4: 1.Italien 12:31 2.Bulgarien 9:8 3.Lettland 9:9 4.Schottland 9:11 5.Tschechien 6:11 6.Georgien 5:2 7.Kosovo 2:1
Gruppe 5: 1.Ungarn 11:14 2.Belgien 8:9 3.Litauen 8:10 4.Serbien 5:4 5.Türkei 3:9 6.Malta 1:4 7.Andorra 0:1
Gruppe 6: 1.Spanien 19:22 2.Rumänien 8:12 3.Estland 7:10 4.Schweiz 5:15 5.Albanien 3:5 6.Montenegro 1:2 7.Slowakei 1:5
Gruppe 7: 1.Slowenien 7:11 2.Deutschland 7:19 3.Ukraine 5:10 4.Nordirland 5:12
5.Griechenland 3:8 6.Schweden 2:7 7.Armenien 1:0
Israel und Lettland sind als beste Drittplatzierte auch qualifiziert. Leider fehlt für die Torschützenliste der Platz.


Diese Buch steht ganz oben auf der Stephen-Hawking Liste. Es macht sich gut im Bücherregal, zieht sich aber für den, der alle Gedichte liest. 2 Sterne, da viele Gedichte einfach nur langweilen.

Aber es war ja nur die Quali, die EM nächstes ja wird hoffentlich besser.

0 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.09.2019
Der Zopf meiner Großmutter
Bronsky, Alina

Der Zopf meiner Großmutter


sehr gut

Witzige russlanddeutsche Familiensaga

Mäxchen, von seiner Großmutter anfangs liebevoll Krüppel genannt, Kind und Ich-Erzähler, immigriert mit seinen Großeltern von Russland nach Deutschland. Während die Großmutter eine sehr derbe Sprache, vermutlich viel Russisch und sehr dominierend ist, schweigt der Großvater oft, leiht aber dem Jungen bereitwillig Geld.

Im Migrantenwohnheim lernen sie die zu Depressionen neigende Nina mit Tochter Vera kennen. Und mehr Personen braucht es nicht, außer dass der Großvater und Nina noch ein Kind zeugen.
Aber wider Erwarten führt diese Dreieicksbeziehung zu keinen Problemen, sondern erweitert nur das Personal.

Ein weiteres Thema ist das Judentum, weil Mäxchens Familie nur deshalb nach Deutschland einwandern konnte, da sie sich als Juden ausgab. Dabei ist nur der spät erscheinende rothaarige Vater Mäxchens Jude.

Ernst nehmen kann der Leser die Drohungen der Großmutter gegenüber dem Vater nicht. Das Buch lebt von der Situationskomik und lässt sich als kurzes Sommerbuch ohne viel Nachdenken flüssig lesen. Deswegen folgen noch Zitate. 4 Sterne


Zitate:
„Manchmal denke ich, meine Mutter ist mit deiner Großmutter verheiratet“ flüstert Vera mir ins Ohr. „Nee, die hassen sich doch“ sagte ich, als ob das eine Ehe ausschließen würde. (136f)

[Großmutter:] „Schade, dass das jüdische Mädchen weg ist. Wäre was für dich gewesen, weil sie so in dich vernarrt ist, dass sie dich aufessen könnte. Und hässlich genug, dass sie dir keiner ausspannen kann.“ (163)