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Bellis-Perennis
Wohnort: 
Wien

Bewertungen

Insgesamt 924 Bewertungen
Bewertung vom 14.11.2023
Böse Stimmen. Ein Fall für Sina Engel
Ziegler, Silke

Böse Stimmen. Ein Fall für Sina Engel


ausgezeichnet

KHK Sina Engels Leben verläuft nun wieder in ruhigeren Bahnen. Nach dem gewaltsamen Tod von Carlo, ihrem Kollegen, Lebenspartner und Vater ihrer kleinen Tochter beginnt sie langsam wieder zu leben und hat sich in Matthias, wieder einen Kollegen, verliebt.

Blöderweise ist sie den Anzüglichkeiten ihres neuen Chefs, Frank Watzlawski, ausgesetzt, der kein gutes Haar an ihr lässt und sie bedrängt „bei einem Abendessen ein persönliches Gespräch mit ihm zu führen“. Das und ein anonymer Brief, in dem der Absender mitteilt, dass „das Spiel beginnt“, nagt an ihrem Selbstwertgefühl. Es wird nicht bei dem einen Brief bleiben und noch weiß niemand, welches Spiel gemeint ist. Doch nach einem weiteren Brief, in dem Sina aufgefordert wird, sich zwischen „Mann oder Frau“ zu entscheiden, wird, weil sie die Aufforderung ignoriert, ein junges Paar ermordet. Wenig später erneut ein Brief, diesmal soll sie sich zwischen „jung oder alt“ entscheiden.

Neben der katastrophalen beruflichen Situation hat es die alleinerziehende Mutter einer knapp 15 Monate alten Tochter nicht einfach. Der Spagat zwischen fordernden Arbeit, Überstunden und dem schlechten Gewissen, wenn sie Clara in die Kinderbetreuung bringt, ist schon aufregend genug. Die private Situation spitzt sich durch eine mögliche Erkrankung ihre Mutter, die gemeinsam mit ihrem Mann Sina nach Kräften unterstützt, zu. Zusätzlich belasten sie das Auftauchen von Matthias‘ Ex-Freundin und die Eheprobleme ihrer Schwester Natascha.

Weitere Briefe und Morde folgen. Fieberhaft wird nach dem Mörder gesucht und während Sinas Team zu ihr hält und alles Menschenmögliche unternimmt, den Täter zu entlarven, fällt ihr Watzlawski in den Rücken und wirft ihr Unfähigkeit vor, enthält ihr aber jede Unterstützung vor. Als sie sich in einem weiteren Brief zwischen „Clara und Matthias“ entscheiden soll, wird sie von Watzlawski der Leitung der Ermittlungen enthoben, nur um sie Matthias zu übergeben.

Wird Sina die Aufforderung wieder ignorieren?

Meine Meinung:

Für mich ist dieser Krimi der erste von Sina Engel. Wie konnte diese Reihe bislang an mir vorüber gehen? Ich muss die drei Vorgänger schleunigst nachlesen.

Der Krimi steigert die Spannung von Brief zu Brief. Und auch die privaten Nebenbaustellen tragen zum Nervenkitzel bei. Leider kann Sina nicht aus ihrer Haut heraus und hört sich geduldig die Eheprobleme ihrer Schwester an. Die hätte ich an ihrer Stelle genauso in Schranken gewiesen wie Nathalie, Matthias Ex-Freundin.

Als Leser erfährt man auch die krausen Gedanken des Täters, weiß aber lange seinen Namen nicht. Er steigert sich von Seite zu Seite, von Brief zu Brief, in seine Rachegelüste hinein. Ganz kurz, vor dem ersten Doppelmord, hatte ich ja Watzlawski als Täter in Verdacht. Einen Mann, der alles tut, um eine fähige Kollegin, die nicht auf seine Avancen einsteigt, zu desavouieren. Doch die derben Ausdrücke mit denen er Sina Engel beschimpft, passen nicht zu ihm und für bipolar halte ich ihn nicht. Für einen großen A allerdings schon. Ich denke, in einem der nächsten Fälle wird er über sich selbst stolpern.

Silke Ziegler gelingt es, einen Krimi zu schreiben, den man kaum aus der Hand legen kann. Ich freue mich auf die drei Vorgänger, die in der Städtischen Bücherei vorrätig sind.

Fazit:

Gern gebe ich diesem spannenden Krimi 5 Sterne.

Bewertung vom 14.11.2023
Und nebenan der Tod
Nagele, Andrea

Und nebenan der Tod


sehr gut

Gleich im Prolog werden die Leser Zeugen eines Verbrechens: Ein Paar vergräbt eine Leiche. Noch weiß man nicht wer und wo sie sind und wer der tote Körper ist.

Dann lenkt Krimi-Autorin und Psychotherapeutin Andrea Nagele die Aufmerksamkeit der Leser auf zwei Paare: Adele und Niklas in Venedig sowie Veronika und Konstantin in Berlin.

Die gebürtigen Hamburger Adele und Niklas bewohnen ein kleines Haus auf der Giudecca, dem historischen Stadtteil von Venedig. Alles könnte wunderbar sein, wenn nicht Marlene, eine gemeinsame Freundin in Berlin, nach einer Kopfoperation Hilfe benötigen würde, und die beiden spontan beschließen, sofort nach Berlin zu reisen. Dazu wollen sie mittels Wohnungstauschbörse eine Unterkunft finden. Recht schnell meldet sich das andere Paar, das schon länger vorhat, Berlin zu verlassen, egal wohin, in den Süden soll es gehen.

Beim Skypen findet man sich sympathisch, der Wohnungstausch beschlossen. Bei der Ankunft der beiden Paare kommt es zum Kontakt mit jeweils einer Nachbarin, die sich augenscheinlich zu sehr für die Neuankömmlinge interessiert. Adele und Niklas bereuen es schon fast, ihr schönes Haus in Venedig verlassen zu haben. Nur das Pflichtgefühl Marlene gegenüber hält sie noch in Deutschland. Doch dann stürzt die neugierige Nachbarin, die zuvor von Konstantins Freundin Pauline und dem gemeinsamen Baby erzählt, aus dem Fenster und stirbt.

Meine Meinung:

Der Prolog suggeriert einen spannenden Thriller, bei dem quasi das Ende, nämlich ein Mord, inklusive Beseitigung des Opfers, vorangestellt ist. Doch Andrea Nagele führt ihre Leser ein wenig an der Nase herum, denn sie präsentiert hier ein Thriller, in dem nicht der Mord im Vordergrund steht, sondern ein Psychodrama.

Keine der vier Hauptpersonen ist wirklich sympathisch. Adele und Niklas leiden an ihrem unerfüllten Kinderwunsch. Allerdings wirkt Adele selbst noch sehr kindlich. Dazu trägt die eigenartige Beziehung zu ihrem Vater, den sie häufig anruft und der seiner „Kleinen“, seinem „Kindchen“ alle Steine aus dem Weg räumt und das Loch auf dem Konto stopft. Niklas kommt gegen den dominanten Schwiegervater, der wie eine schwarze Wolke über den beiden hängt, nicht an und scheint resigniert zu haben. Immerhin partizipiert er von den Verbindungen und dem Vermögen.

Das andere Paar, Veronika und Konstantin führt eine, wie es scheint toxische Beziehung, wie gefährlich, erfährt der Leser erst gegen Ende des Thrillers. Auch das eigenartige Verhalten zum jeweiligen Freundeskreis des anderen, gibt einem zu denken. Es scheint, als hätte sich Veronika auf Biegen und Brechen in Konstantins Leben gedrängt, nun aber, wo sie ihr Ziel erreicht hat, ziemlich unzufrieden damit ist.

Die Spannung ist zu Beginn gar nicht vorhanden bzw. wird durch nerviges Geplänkel wie über z. B. Vor- und Nachteile einer Bialetti gegenüber einer Kapselkaffeemaschine verwaschen. So richtig spannend wird es erst, als die Nachbarin tot auf Beton liegt. Der geübte Leser von Andrea Nageles Büchern hat spätestens ab hier eine Ahnung, was vor sich geht bzw. wie sich die Zusammenhänge ergeben.

Mir persönlich ist die Auflösung ein wenig zu kurz geraten. Es braucht geraume Zeit, bis die Handlung so richtig in Schwung kommt. Ein paar Seiten mehr, um Pauline, die uns nur aus Erzählungen eines dritten (!) Paares, nämlich Jochen und Luise bekannt ist, besser kennenzulernen sowie um die Beweggründe von Veronika und Konstantin für ihre Handlungen zu verstehen, hätten dem Buch gutgetan.

Ich habe Andrea Nagele auf der Buchmesse Wien getroffen. Beim dortigen Interview hat sie erklärt, dass sie bei einem Thriller nicht auf die Tat selbst, sondern eher auf die psychologischen Zusammenhänge Wert legt. Als Psychotherapeutin ist sie natürlich mit den Abgründen der menschlichen Seele vertraut und kann aus dem Vollen schöpfen. Ich bin es glücklicherweise nicht, daher hat mir ein Puzzlesteinchen gefehlt.

Fazit:

Ein Psycho-Thriller, der sich erst langsam entwickelt und ein paar Seiten mehr verdient hätte. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.

Bewertung vom 04.11.2023
Zug um Zug durch Europa
Rudis, Jaroslav

Zug um Zug durch Europa


ausgezeichnet

Jaroslav Rudiš ist Eisenbahnfan durch und durch. Er stammt aus einer Familie, deren zahlreiche Mitglieder durchwegs bei der Eisenbahn beschäftigt waren/sind. Er selbst konnte aufgrund eines Sehfehlers nicht in die Fußstapfen von Großvater und Onkel treten. Seiner Leidenschaft für alte und neue Zuggarnituren und den unzähligen Bahnhöfen in Europas frönt er durch ausgiebiges Bahnfahren. Was er dabei erlebt (hat), darüber schreibt er in diesem Buch.

In letzter Zeit bin ich selbst wieder zur Bahnfahrerin geworden, denn das Autofahren macht immer weniger Spaß. Vergangenes Jahr habe ich eine der im Buch beschriebene Reisen absolviert: mit dem „Vindobona“ von Wien nach über Prag und Bad Schandau nach Dresden. Vor 2020 mit dem Zug in Erfurt und, wenn wir auch nach regelmäßig Hamburg fliegen, Schleswig-Holstein wird immer mit der Bahn erkundet.

Gut gefallen mir die vielen Fotos von Eisenbahnen und Bahnhöfen, von denen viel noch aus der Donaumonarchie stammen. Die beiden Landkarten vermitteln einen Eindruck vom weitverzweigten Schienennetz Europas. Aus den Beschreibungen der Reisen strömt Jaroslav Rudiš‘ wahre Leidenschaft für die Bahn. Die zeigt sich auch in den vielen Hintergrundinformationen zu Lokomotiven, Waggons, Eisenbahngesellschaften und Zugstrecken sowie Bahnhöfen. Nur ein kleines Detail: die fast schon kindliche Freude am zweimaligen Umspuren auf dem Weg von Europa nach Nordkorea liest sich so.

„An der Grenze zwischen der Slowakei oder Ungarn mit der Ukraine wird der Schlafwagen zuerst von unserer europäischen Normalspur von 1435 Millimetern auf die russische Breitspur von 1520 Millimetern umgespurt. Und an der Grenze zu Nordkorea wurde der nordkoreanische Wagen wieder auf die Normalspur umgespurt.“

Die Semmeringbahn ist für Jaroslav Rudiš und zahlreiche Eisenbahnfreunde der „heilige Ort“ in Österreich. Denn die Semmeringbahn mit ihren gewaltigen Tunnelbauten und Viadukten war die erste Überschienung der Alpen überhaupt und damit die erste Über- bzw. Durchquerung eines Hochgebirges in Europa mit Schienen. Ohne das UNESCO-Kulturerbe Semmeringbahn, die Karl Ritter von Ghega errichtet hat, wären viele ähnliche Projekt nicht gebaut worden.

Nächstes Jahr muss ich nach Leuven (Belgien). Hoffentlich bleibt mit genügend Zeit, den Hauptbahnhof von Brüssel anzusehen.

Fazit:

Diesem durchaus launig geschriebenen Buch für junge und alte Eisenbahnfans und solche, die das Bahnfahren (wieder) neu entdecken, gebe ich gerne 5 Sterne.

Bewertung vom 04.11.2023
Jil Sander. Eine Annäherung
Wiesner, Maria

Jil Sander. Eine Annäherung


ausgezeichnet

Das Cover zeigt Jil Sander, wie wir sie und ihre Mode kennen: Dunkler Hosenanzug und weiße Bluse. Eine Art Uniform für toughe (Geschäfts)Frauen, die sie in den 1950er und 1960er-Jahren entworfen hat. In einer Zeit, in der der Mann das Oberhaupt der Familie war und seiner Frau das Arbeiten erlauben oder häufig verbieten konnte und über den Familienwohnsitz entscheiden konnte. Mit diesem Kleidungsstil steht sie den damaligen Modeschöpfern wie Dior, die auf Wespentaille, Opulenz und Tüll setzen, diametral gegenüber.

Mit Respekt und Bewunderung nähert sich die Journalistin Maria Wiesner der als Heidemarie Jiline „Jil“ Sander 1943 geborenen Designerin an. Schon als Kind zeigt Sander, dass sie Kleider nicht mag und lieber Hosen trägt. Von ihrer Mutter wird sie ihre Credo lernen:

„Wer billige Kleidung kauft, zahlt am Ende mehr, da sie schneller verschleißt, schneller aus der Form gerät und letzten Endes mit mehr Aufwand für die Pflege der Garderobe beziehungsweise kostenintensiven Neuanschaffungen verbunden ist.“

Jil Sanders klare Mode ist nach wie vor zeitlos. Mit einem schwarzen oder dunkelblauen Hosenanzug, einem gleichfarbigen oder weißen Oberteil ist frau immer gut angezogen. Für ihre minimalistischen und schlichten Entwürfe erhält sie von der Presse Beinamen wie „Queen of less“ (also „Königin des Weglassens“) bzw. für ihre Vorlieb für exquisite Stoffe den Titel „Kaschmir-Queen“.

Dass nur jene Kleidungsstücke in Produktion gehen, die sie selbst aus- und anprobiert sowie auf ihre Tragtauglichkeit geprüft hat, ist das Markenzeichen von Jil Sander. Schlecht sitzende Sakkos oder kneifende Hosen gibt es bei Jil Sander einfach nicht. Da ist sie Perfektionistin. Herrenschneiderhandwerk ist ihr Zauberwort.

Sie sieht sich von der Bauhaustradition inspiriert. „Form follows Function“ und in Anlehnung dazu „Form folgt Material“. Nicht jeder Schnitt kann für jedes Material verwendet werden.

Meine Meinung:

Dieses Buch ist, wie schon der Titel sagt, „nur“ eine Annäherung, denn Jil Sander gibt wenige Interviews und schon gar keines zu ihrem Privatleben. Anders als ihre männlichen Designer Mitbewerber lässt sie sich auch auf ihren Modeschauen nicht groß feiern. Ein beinahe schüchternes Winken, mehr nicht.

Um das Leben und Schaffen der Modeschöpferin darzustellen, hat die Autorin zahlreiche Weggefährten interviewt und in Archiven gestöbert.

Ein grober Schnitzer ist mir aufgefallen: So werden die Lebensdaten der französischen Designerin Madeleine Vionnet mit 1876 - 1875 angegeben. Richtig muss es 1975 heißen, denn die Grande Dame der Pariser Couture ist mit 99 Jahren gestorben.

Dieses Buch ist keine Biografie im üblichen Sinne, sondern eine ausführliche Recherche über eine Person, über die beruflich und privat nicht wirklich viel bekannt ist.

Was von Jil Sander bleiben wird?

Klassische, puristische Mode, die keinen Modetrend mitmacht, sondern zeitlos ist. Deren Modelle von toller Qualität sind, die, bei guter Behandlung, ein Leben lang tragbar sind und daher als Vintage-Modelle hohe Preise erzielen.

Fazit:

Diesem Buch über eine Visionärin, die ihresgleichen sucht, gebe ich gerne 5 Sterne.

Bewertung vom 03.11.2023
Easy Indien
Wahi, Alex

Easy Indien


ausgezeichnet

Dieses Kochbuch aus dem Verlag Graefe & Unzer verspricht Rezepte zu einer leicht nachzukochenden indischen Küche.

Kann das Versprechen gehalten werden? Ja, es kann! Das liegt vor allem an (TV)Koch und Autor Alex Wahi, dessen Vater Inder und Mutter Deutsche ist. Alex Wahi plädiert für Kreativität in der Küche. Er fordert seine LeserInnen dazu auf, ihre eigenen Vorlieben in die Rezepte einzubringen und auf das eigene Gefühl zu vertrauen. Weniger Schärfe, mehr Süße, Schwein statt Fisch oder ganz vegetarisch.

Gleich zu Beginn gibt es die Anleitungen zu den drei wichtigsten Ingredienzien der indischen Küche: Ghee, Currypaste und Paneer-Käse. Dann folgen weitere Rezepte und Vorschläge:

Grundrezepte
Snacks & Streetfood
Beilagen
Fleisch & Fisch
Vegetarisch & Vegan
Drinks & Sweets

Alex Wahli adaptiert seine Rezepte so, dass ortsübliche Gewürze ihre Anwendung finden können. Doch ein kleiner Querschnitt an typisch indischen Gewürzen sollte in keiner Küche fehlen: Koriander, Kreuzkümmel, Ingwer und Fenchel.

Natürlich tragen die tollen Fotos dazu bei, das eine oder andere Gericht sofort ausprobieren zu wollen. Die Bilder sind ein regelrechter Augenschmaus!

Ich bin noch eine Anfängerin in Sachen indischer Küche und werde mich anhand dieses Buches langsam auf diese kulinarische Entdeckungsreise begeben. Vor allem bei der Schärfe der Gerichte muss ich ein wenig aufpassen.

Fazit:

Einige Rezepte aus "Easy Indien - Lieblingsrezepte aus meiner zweiten Heimat" wird unseren Speisezettel bereichern. Das Buch erhält 5 Sterne.

Bewertung vom 01.11.2023
Café Größenwahn
Liesemer, Dirk

Café Größenwahn


ausgezeichnet

Dieses Buch führt uns an die Wende zum 20. Jahrhundert nach Wien, München und Berlin in jeweils, stellvertretend für den Aufbruch in neue Zeiten, ein Kaffeehaus: In Wien ist es das bekannte Café Griensteidl, in München das Café Stephanie und in Berlin das Café des Westen.

Wer sich dort trifft? Junge, noch unbekannte Literaten, Revoluzzer sowie Frauen aus großbürgerlichem Hause, die sich gegen das Establishment auflehnen.

Allen ist gemeinsam, dass sie sich in den Kaffeehäusern Gedanken um die Zukunft machen. Vieles davon grenzt an Größenwahn - daher auch der (Zusatz)Name der Institutionen. Interessanterweise besuchen einige der Protagonisten die Kaffeehäuser aller drei Städte.

Man diskutiert, streitet, manchmal prügeln sich die Herrschaften und versöhnt sich wieder. Es fließt neben Kaffee auch Alkohol in Strömen. Die meisten der Besucher sind nahezu mittellos und schnorren sich durchs Leben. Doch wenn sie, z. B. durch die Publikation eines Artikels in einer Zeitung, kurzfristig zu Geld kommen, wird das sofort wieder ausgegeben.

Die Liste der Namen, die in den drei Kaffeehäusern quasi lebten, liest sich wie das Who-is-Who der Literatenszene. Von Peter Altenberg bis Arthur Schnitzler, Else Lasker-Schüler und der recht umtriebigen Franziska von Reventlow reicht die Aufzählung. Auch Adolf Loos, der mit seinen schnörkellosen Fassaden auf Missfallen trifft, ist Teil der Kaffeehausgesellschaft.

Dirk Liesemer gelingt es vorzüglich, diese Jahre des Umbruchs auferstehen zu lassen. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird dem Café Größenwahn in den drei Großstädten vorerst ein Ende bereiten.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Rückblick in die angeblich „gute alte Zeit“, die so gut gar nicht war, 5 Sterne.

Bewertung vom 01.11.2023
Lee Miller
Katz, Gabriele

Lee Miller


sehr gut

Lee Miller. Fotografin zwischen Krieg und Glamour


Lee Miller (1907-1977) gilt als eine der begnadetsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts. Zudem ist sie nicht nur hinter, sondern auch vor der Kamera zu finden, denn sie zählt auch zu den Top-Fotomodellen ihrer Zeit.

Doch ihre wahre Berufung hat sie als Kriegsreporterin gefunden. Sei es im Spanischen Bürgerkrieg oder später im Zweiten Weltkrieg als sie mit den Alliierten nach Europa kommt. Ihre schwarz-weiß Fotos sind beeindruckend. Leider sind in dieser Biografie aus rechtlichen Gründen nur wenige Fotos aus dieser Zeit abgebildet. Wer mehr über die Jahre 1944/45 der Kriegsreporterin Lee Miller lesen (sehen) will, muss das Buch „Lee Miller - Krieg, Reportagen und Fotos“ lesen.

Gabriele Katz hat hier eine ziemlich sachliche, manchmal auch etwas „weichgespülte“ Biografie von Lee Miller verfasst. Wir erfahren viel über ihre Bekanntschaften mit Künstlern wie Man Ray, Pablo Picasso und seinen Wegbegleiter(innen). Lee Miller gilt als Muse der Surrealisten. Auch ihr Privatleben kommt mehrfach zur Sprache. Nicht verschwiegen darf werden, dass sie zeitweise von Zigaretten und Alkohol lebt sowie den Missbrauch durch ihren Vater, der Aktfotos von ihr macht, seit sie sieben Jahre alt ist und erst kurz vor ihrer Hochzeit damit aufhört.

Nach Kriegsende zieht sie sich ob der gesehenen Kriegsgräuel ins Privatleben zurück. Sie wird Ehefrau und Mutter.

Fazit:

Eine sehr sachliche Biografie, der ich gerne 4 Sterne gebe.

Bewertung vom 01.11.2023
Um 1500
Schmitz-Esser, Romedio

Um 1500


ausgezeichnet

Romedio Schmitz-Esser, Autor und Historiker, entführt seine Leser in das Europa von 1500. Das Mittelalter hat ausgedient und macht langsam der Neuzeit Platz. Es ist das Europa des Umbruchs. Die Entdeckung Amerikas, die Erfindung des Buchdrucks sowie der Beginn der religiösen Umwälzungen verlangen von der Bevölkerung allerlei ab. Neben kriegerischen Auseinandersetzungen strebt die Kunst zu noch nie da gewesenen Höhenflügen.

Stellvertreter dieser Zeit ist Albrecht Dürer (1471-1528). Er nimmt auch in diesem opulenten Buch von Romedio Schmitz-Esser eine zentrale ein. Rund um den Maler erklärt der Historiker in 50 Kapiteln die Welt um 1500.

So fungiert der Renaissancekünstler quasi als Reiseführer durch Epoche. Zunächst erfahren wir einiges über die Familie Dürer selbst. Diese Fakten bieten Stichworte, um das eine oder andere Thema weiter auszuführen. Wer weiß denn schon, dass diese Zeit gar nicht so prüde war, wie oft angenommen?

Jedes der 50 Kapitel beginnt mit einem Bild von Albrecht Dürer, an denen es wahrlich nicht mangelt. Auszüge aus dem Schriftverkehr lassen den Künstler selbst zu Wort kommen. Dies zu lesen gleicht manchmal einem Rätsel, denn der Autor belässt die Sprache des 15./16. Jahrhunderts.

Das Buch eignet sich perfekt als Nachschlagewerk. Es ist sprachlich hervorragend und durch die vielen Abbildungen aufgelockert.
Wie es sich für einen Wissenschaftler gehört, enthält das Buch zahlreiche Anmerkungen, Bildnachweise sowie einen Personen- und Ortsindex. Wer sich noch weiter in die beginnende Neuzeit versenken will, kann dies durch die ausführliche Bibliografie, die nach Themen geordnet ist, reichlich tun.
Durch seine hochwertige Aufmachung ist das Buch auch ein vorzügliches Geschenk.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem ansprechendem und großartig verfassten Buch über Albrecht Dürers Welt um 1500 eine Leseempfehlung und 5 Sterne.

Bewertung vom 01.11.2023
Revanche / Luc Verlain Bd.7 (eBook, ePUB)
Oetker, Alexander

Revanche / Luc Verlain Bd.7 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

„Revanche“ ist der siebente Teil der Reihe rund um Luc Verlain, dem Polizisten aus dem Aquitaine. Der Klappentext verheißt einen komplexen Fall:

Meine Meinung:

Wie wir es von Autor Alexander Oetker gewöhnt sind, sind einfache Lösungen seine Sache nicht. Kriminalistische Kleinarbeit sowie zahlreiche Überstunden für Luc Verlains Team, das sich über einen Neuzugang freuen darf, machen diesen Krimi spannend. Das Motiv des Täters reicht weit in dessen Kindheit hinein.

Daneben kommt auch das Privatleben der Polizisten nicht zu kurz.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem komplexen Krimi 5 Sterne.

Bewertung vom 01.11.2023
Wiener Todesmelodie
Albich, Mina

Wiener Todesmelodie


ausgezeichnet

Dieser zweite Kriminalfall für Felix Grohsmann und sein Team beginnt, wie es sich für einen Musik-Krimi gehört, mit einem Paukenschlag.

Grohsmann besucht ein Klavierkonzert im Stadtpalais der Kunstmäzenin Marie Rettenbach. Kaum hat er das Konzert verlassen, wird er auch schon wieder zurückgerufen. Im Kofferraum der jungen Konzertpianistin Dorothea Zauner, deren Klavierspiel noch eben gelauscht wurde, wird eine Leiche entdeckt. Schnell wird sie als ihr Freund Mariusz Lión identifiziert. Der junge Mann ist ein besonders begabter Pianist, dem eine große Karriere vorgesagt worden ist.
Er sei auch, vor allem bei der Damenwelt, sehr beliebt und ein virtuoser und begnadeter Franz-Liszt-Interpret gewesen.

Felix Grohsmann und sein Team, zu dem mit Ursula Manz eine neue Kollegin stößt, ermitteln fieberhaft in alle Richtungen. Mit der angehenden Kriminalpsychologin Nicky Witt hat Grohsmann ein weiteres Atout im Ärmel. Doch die Ermittlungen gestalten sich als schwierig. Nicht nur weil Dorothea Zauner eine eigenwillige Persönlichkeit ist, sondern vor allem deswegen, weil ihre Mutter die Tochter von der Welt abschottet. Daher beginnt Joe Kettler, Felix‘ Mitarbeiterin, wie schon im ersten Fall („Mexikoplatz“) auf eigene Faust zu recherchieren.

Meine Meinung:

Auch dieser Krimi beginnt rasant, doch bald nimmt die Autorin etwas Tempo heraus, um den Lesern die Charaktere vorzustellen. Alle jene, die „Mexikoplatz“ gelesen haben, sind Felix Grohsmann, Johanna „Joe“ Kettler, Nicky Witt und der ewig maulende Gregor Kienzle sowie Felix‘ Hund Sally geläufig. Das Team der Ermittler erhält mit Ursula Manz eine neue Kollegin, die sich nach anfänglicher Zurückhaltung recht gut einfügt. Ob sie für weitere Ermittlungen im Team bleiben wird? Felix Grohsmann ist ein guter Vorgesetzter, der seine Mitarbeiter dem Vorgesetzten gegenüber in Schutz nimmt, wenn dieser die Kollegen ungerechtfertigt zusammenstaucht. Dabei erinnert er sich immer wieder an seine Anfänge bei der Polizei, wo er ebenso wie Joe den einen oder anderen nicht ganz ungefährlichen Alleingang unternommen hat.

Neben den Ermittlungen, bei denen wenig zusammenpasst und immer wieder neue Verdächtige auftauchen, muss sich Felix noch um seinen Neffen Lukas kümmern, der aufgrund der Ehekrise seiner Eltern, kurz entschlossen bei ihm einzieht. Auch Joes und Nickys Privatleben darf eine wohl dosierte Rolle spielen.

Mina Albichs Schreibstil ist fesselnd und lebendig. Dafür sorgen wienerische Ausdrücke und einige Szenen, die zum Schmunzeln einladen. Zahlreiche, vermeintlich viel versprechende Spuren erweisen sich als Sackgassen. Ein Hinweis auf ein mögliches Mordmotiv findet sich gleich zu Beginn des Krimis. Die Leser haben hier einen kleinen Wissensvorsprung. Doch wie das manchmal mit Prologen ist, wird er erst einmal ignoriert. So auch bei mir. Allerdings hat es dann doch recht bald geklingelt.

Als Wienerin gefällt es mir natürlich besonders, wenn Straßen und Plätze, die ich kenne, in Büchern eine Rolle spielen. Geschickt wird den Lesern der Unterschied zwischen modernen und alten Klavieren erklärt. Dies völlig unaufgeregt als interessanter Dialog, um den Ermittlern einen Einblick in die Welt der Klassik zu geben.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem komplexen Krimi, der zahlreiche Verdächtige und mögliche Motive enthält, 5 Sterne und eine Leseempfehlung.