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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Xirxe
Wohnort: 
Hannover
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 869 Bewertungen
Bewertung vom 07.11.2015
Brigitte und der Perlenhort
Franz, Aisha

Brigitte und der Perlenhort


gut

Ein ziemlich abgedrehter Comic - einerseits. Denn die Hauptfigur Brigitte ist nicht nur eine Geheimagentin à la James Bond, nein, sie ist zudem ein Hund. Und zwar nicht einer unter Vielen, sondern einer unter Menschen, der sich hin und wieder in einen verliebt und dann auch mit ihm im Bett landet. Also ein Mensch gewordener Hund? Bis auf den Kopf wohl ja, doch der ebenso wie das Bewusstsein bleiben ein Hund.
Andererseits ist die Story selbst nichts aussergewöhnliches. Brigitte soll eine äußerst seltene Muschel mit einer entsprechend wertvollen Perle beschaffen - und natürlich ist ihr ein Bösewicht auf den Fersen.
Das Ganze ist leidlich spannend (hin und her und her und hin) und wäre Brigitte nicht eine Hündin, würde diese Geschichte wohl kein Mensch lesen wollen. So wird das Ganze etwas schräg, wozu auch Brigittes James-Bond-untypisches Verhalten beiträgt: Hätte sie nicht diese Anti-Liebes-Pillen, wäre sie in dem Job wohl vollständig verloren.
Die Bilder sind eher schlicht: Es wirkt wie mit Bleistift gemalt, wobei das Ganze nicht schwarz-weiß, sondern eher violettgrau-weiß daherkommt. Die Figuren selbst sind mit vergleichsweise wenig Strichen dargestellt, was ihre Ausdrucksfähigkeit jedoch nicht mindert. Ich finde es immer wieder begeisternd, wie manche Künstler so etwas hinbekommen, wobei sich in diesem Fall meine Begeisterung für das Buch insgesamt etwas in Grenzen hält. Die Geschichte empfinde ich mit ihren diversen Unklarheiten (Woher kam dieses Geräusch? Wieso bekam Brigitte die Ehrung? usw.) schlicht als zu schwach, für die ich mit den Zeichnungen nicht wirklich entschädigt wurde. Trotzdem: Das nächste Buch der Autorin werde ich mir auch mal anschauen.

Bewertung vom 29.10.2015
Bodentiefe Fenster
Stelling, Anke

Bodentiefe Fenster


gut

Was für eine traurige Lektüre! Fast 250 Seiten Gedanken, Berichte, Selbstgespräche einer der scheinbar typischen Prenzlauer-Berg-Mütter - doch hier liest man nichts von fröhlichen Latte-Macchiato-Gesprächen unter ihresgleichen oder der erfolgreichen Selbstverwirklichung im kreativen Bereich. Ganz im Gegenteil. Sandra, die Hauptfigur dieses Romans, scheint zwar nach außen voll und ganz dem Klischee zu entsprechen, doch tatsächlich zermürbt sie sich selbst mit ihren ständigen Zweifeln und Selbstvorwürfen. Was ist aus den Idealen geworden, die man ihr daheim und im Kinderladen so eingetrichtert hat, dass sie mittlerweile davon überzeugt ist, dass es ihre eigenen sind? Die absolute Liebe zu den Kindern; dass Gemeinschaft das Wichtigste ist; dass Alle gleich sind und man Alle zu lieben hat und selbst geliebt wird. Doch ihre Frustration über sich, ihr vergebliches Mühen sowie die Anderen, die ganz und gar nicht so leben wie es sein sollte, wird immer stärker und lässt ihre Schuldgefühle und Ängste noch größer werden.
Noch nie habe ich ein so eindringliches (wenn auch indirektes) Plädoyer für einen gesunden Egoismus gelesen wie in diesem Buch. Auf jeder Seite hätte ich Sandra am liebsten geschüttelt (ebenso wie die meisten der zahlreichen Frauen, die in diesem Buch auftauchen) und entgegengehalten: 'Was interessiert Dich, was Deine Nachbarn denken? Sag was Du denkst oder fühlst. Du musst es auch aushalten können, wenn Dich jemand nicht mag.' Und so weiter. Ist dies wirklich das Erbe der 68er Generation, wie es der Umschlagtext behauptet? Wurden die Kinder, insbesondere die Mädchen, zu solch wenig sich selbst bewussten Menschen und stattdessen zu Erfüllungsgehilfen der Utopien ihrer Mütter herangezogen? Ich will und kann das nicht glauben, auch wenn diese Geschichte mir den Eindruck vermittelt. Wenn wenigstens ein Fünkchen Hoffnung am Horizont aufleuchten würde, doch das scheint Sandra offenbar nicht vergönnt. Sogar als ihre ständige Selbstzermürbung zum vollständigen Zusammenbruch führt, scheint auch hier keine Lösung in Sicht.
Mut macht dieses Buch nicht, auf mich wirkt es mehr wie eine Bestandsaufnahme eines Menschen, der stets um sich und seine Ideale kreist, die nicht zu erreichen sind und daran krankt, schwer krankt - ohne große Hoffnung auf Besserung. Doch dafür hätte es keine 250 Seiten gebraucht, denn letzten Endes ist das Thema immer das gleiche.
Alles in allem eine gelungene Innenansicht einer überforderten Mutter und Ehefrau aus der Prenzlauer-Berg-Bewohnerschaft, die jedoch meiner Meinung nach um einiges kürzer hätte ausfallen dürfen.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.10.2015
Die Übersetzung, 1 Audio-CD
Santis, Pablo De

Die Übersetzung, 1 Audio-CD


ausgezeichnet

Der Übersetzer Miguel de Blast, der als Ich-Erzähler durch dieses Hörspiel führt, fährt zu einem Sprachkongress, wo er seine 'alte' Liebe Ana wie auch seinen ewigen Rivalen Naum trifft. Bereits am ersten Abend gibt es einen Todesfall, dem schon nach Kurzem ein zweiter folgt. Gemeinsam mit Ana erfährt Miguel, dass Naum mehr darüber weiß...
Dies ist kein klassischer Who-done-it-Krimi, denn als Ursache für die Toten scheint sich eine Sprache herauszukristallisieren. Klingt merkwürdig? Ist es auch, aber dennoch spannend und sogar ein bisschen gruselig. Denn dieses Hörspiel ist mit so grandiosen Sprechern wie Frank Glaubrecht, Corinna Harfour, Wolfgang Spier usw. und einer äusserst passenden Hintergrundmusik klasse inszeniert, dass es mir bei konzentriertem Zuhören im Dämmerlicht schon ein bisschen Gänsehaut verursachte ;-)
Leider dauert das Vergnügen nur 50 Minuten und so hört man sich das Ganze gerne auch ein zweites Mal an.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.10.2015
Der Fuchs und Dr. Shimamura
Wunnicke, Christine

Der Fuchs und Dr. Shimamura


ausgezeichnet

Ich muss zugeben, dass mir der Einstieg in dieses Buch nicht gerade leicht fiel. Der junge Neurologe Dr. Shimamura reist 1891 in die japanische Provinz um Frauen zu untersuchen, die vom Fuchsgeist besessen sein sollen. Fuchsgeist? Besessene Frauen? Soll damit die Tollwut gemeint sein? Bevor ich weitergrübelte, recherchierte ich ein bisschen und stieß auf eine Seite der OAG, der Ostasiatischen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, die mir die besondere Beziehung der japanischen Gesellschaft zum Fuchs deutlich machte (siehe oag.jp/images/publications/oag_notizen/Notizen_Feature_Fuchs_und_Fuchsglaube_in_Japan.pdf). Danach fiel mir das Lesen deutlich leichter ;-)
Doch ich blieb beim Recherchieren. Denn nicht nur Dr. Shimamura (wie auf der Umschlagseite vermerkt) war eine reale Person, auch alle anderen auftauchenden Figuren, denen er während seines Stipendiums in Europa begegnete, waren existent, sodass ich mir nach und nach einen umfangreichen Überblick über die Anfänge der Neurologie verschaffen konnte. Alle äußeren Merkmale wie auch öffentliche Beziehungen scheinen wahrheitsgetreu wiedergegeben worden zu sein - das Ganze dann angereichert durch die vermutlich fiktiven persönlichen Merkmale der Einzelnen und deren Verhältnis zu Dr. Shimamura.
Diese Verflechtung von Realität und Fiktion wirkt mustergültig - als ob die Autorin als Zeitgenossin an den Geschehnissen beteiligt gewesen wäre. Wer über das reine Lesen des Buches hinaus sich ein wenig mit den darin vorkommenden Personen beschäftigt, wird vielleicht bald von der Geschichte der Neurologie und Psychoanalyse gefesselt sein (siehe beispielsweise spiegel.de/einestages/jean-marie-charcot-und-die-hysterieforschung-in-der-pariser-salpetriere-a-951005.html). Mir ist es zumindest so ergangen und so hat das Lesen dieses dünnen Büchleins wesentlich länger gedauert als gedacht ;-) Und mich nicht nur sehr gut unterhalten, sondern auch mein Wissen erweitert.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.10.2015
América
Boyle, T. C.

América


ausgezeichnet

1995 wurde dieses Buch geschrieben, doch würde man es heute veröffentlichen, hätte vermutlich niemand Zweifel daran, dass es ein höchst aktuelles Werk ist. Denn nichts, absolut nichts hat sich seitdem verändert. Stattdessen existiert dieses beschriebene Szenario mittlerweile ebenso bei uns, wenn auch vielleicht noch nicht in dieser extremen Form.
Boyle beschreibt in einem Zeitraum eines halben Jahres die Leben zweier Familien, die unterschiedlicher kaum sein könnten, obwohl die räumliche Distanz zwischen ihnen nur gering ist. Delaney, "liberaler Humanist ohne Verkehrssündenregister...", lebt in einer komfortablen Vorortwohnanlage von Los Angeles irgendwo in den Bergen, zusammen mit seiner Frau, deren Sohn, zwei Hunden und einer Katze. Cándido hingegen kam drei Wochen zuvor mit seiner jungen Frau aus Mexiko auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben. Nun hausen sie unweit von Delaneys Vorortsiedlung in einem Canon in einem behelfsmäßigen Unterschlupf und versuchen, genügend Geld zu verdienen um sich eine Wohnung leisten zu können. Die Wege der Beiden kreuzen sich, als Delaney Cándido anfährt, ihn mit 20$ 'abfindet' und danach versucht, mit seinem schlechten Gewissen klar zu kommen.
Boyle zeigt hier kein Schwarz-Weiß-Schema auf, sodass man vielleicht mit der einen Seite mitleidet und der anderen ihr Unglück gönnt. Delaney, der klar der Bevorzugte ist, ist kein schlechter Mensch. Er wie auch seine Frau denkt liberal, ist umweltbewusst, voller Mitgefühl für die Armen dieser Welt, Mitglied beim Kinderhilfswerk undundund. Doch als seine Prinzipien herausgefordert werden und er ungewollt direkt in Kontakt mit den Armen dieser Welt gerät, sind seine Angst und Verunsicherung größer als die Standhaftigkeit seiner Werte. Sind die Mexikaner nicht doch alle Verbrecher? Verdrecken sie nicht die Natur, verstoßen immer wieder auf's Neue gegen Gesetze? Je öfter er mit diesem Anderen konfrontiert wird, desto größer wird die Furcht. Und seine Wut über die Widersprüchlichkeit seines Denkens und Handelns steigt und sucht sich ein Ventil...
Aber auch die bedauernswerten Mexikaner sind nicht nur bemitleidenswerte Menschen, denn wie überall auf der Welt gibt es hier ebenso Kriminelle, die nicht dabei zögern, auch noch den Ärmsten ihr letztes Hab und Gut zu rauben. Dennoch wird klar: Wer nichts hat, muss nicht nur um Arbeit betteln, sondern tagtäglich um sein Leben kämpfen. Denn selbst die Natur stellt sich den Menschen in den Weg...
Es ist ein unglaublich gutes, aber dennoch äußerst deprimierendes Buch, denn es zeigt den Zustand unserer Welt überdeutlich: Die Wohlhabenden wollen wohlhabend bleiben und bis auf mehr oder weniger größere Almosen nichts davon abgeben. Und die Armen, die sich ebenfalls etwas mehr Wohlstand wünschen, müssen dafür ihr Leben auf's Spiel setzen.

Bewertung vom 21.10.2015
América
Boyle, T. C.

América


ausgezeichnet

1995 wurde dieses Buch geschrieben, doch würde man es heute veröffentlichen, hätte vermutlich niemand Zweifel daran, dass es ein höchst aktuelles Werk ist. Denn nichts, absolut nichts hat sich seitdem verändert. Stattdessen existiert dieses beschriebene Szenario mittlerweile ebenso bei uns, wenn auch vielleicht noch nicht in dieser extremen Form.
Boyle beschreibt in einem Zeitraum eines halben Jahres die Leben zweier Familien, die unterschiedlicher kaum sein könnten, obwohl die räumliche Distanz zwischen ihnen nur gering ist. Delaney, "liberaler Humanist ohne Verkehrssündenregister...", lebt in einer komfortablen Vorortwohnanlage von Los Angeles irgendwo in den Bergen, zusammen mit seiner Frau, deren Sohn, zwei Hunden und einer Katze. Cándido hingegen kam drei Wochen zuvor mit seiner jungen Frau aus Mexiko auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben. Nun hausen sie unweit von Delaneys Vorortsiedlung in einem Canon in einem behelfsmäßigen Unterschlupf und versuchen, genügend Geld zu verdienen um sich eine Wohnung leisten zu können. Die Wege der Beiden kreuzen sich, als Delaney Cándido anfährt, ihn mit 20$ 'abfindet' und danach versucht, mit seinem schlechten Gewissen klar zu kommen.
Boyle zeigt hier kein Schwarz-Weiß-Schema auf, sodass man vielleicht mit der einen Seite mitleidet und der anderen ihr Unglück gönnt. Delaney, der klar der Bevorzugte ist, ist kein schlechter Mensch. Er wie auch seine Frau denkt liberal, ist umweltbewusst, voller Mitgefühl für die Armen dieser Welt, Mitglied beim Kinderhilfswerk undundund. Doch als seine Prinzipien herausgefordert werden und er ungewollt direkt in Kontakt mit den Armen dieser Welt gerät, sind seine Angst und Verunsicherung größer als die Standhaftigkeit seiner Werte. Sind die Mexikaner nicht doch alle Verbrecher? Verdrecken sie nicht die Natur, verstoßen immer wieder auf's Neue gegen Gesetze? Je öfter er mit diesem Anderen konfrontiert wird, desto größer wird die Furcht. Und seine Wut über die Widersprüchlichkeit seines Denkens und Handelns steigt und sucht sich ein Ventil...
Aber auch die bedauernswerten Mexikaner sind nicht nur bemitleidenswerte Menschen, denn wie überall auf der Welt gibt es hier ebenso Kriminelle, die nicht dabei zögern, auch noch den Ärmsten ihr letztes Hab und Gut zu rauben. Dennoch wird klar: Wer nichts hat, muss nicht nur um Arbeit betteln, sondern tagtäglich um sein Leben kämpfen. Denn selbst die Natur stellt sich den Menschen in den Weg...
Es ist ein unglaublich gutes, aber dennoch äußerst deprimierendes Buch, denn es zeigt den Zustand unserer Welt überdeutlich: Die Wohlhabenden wollen wohlhabend bleiben und bis auf mehr oder weniger größere Almosen nichts davon abgeben. Und die Armen, die sich ebenfalls etwas mehr Wohlstand wünschen, müssen dafür ihr Leben auf's Spiel setzen.