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Magnolia
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Bayern

Bewertungen

Insgesamt 622 Bewertungen
Bewertung vom 14.10.2022
Der Horror der frühen Chirurgie
Fitzharris, Lindsey

Der Horror der frühen Chirurgie


sehr gut

Ein Sachbuch, das zugleich informativ und unterhaltend ist. Nie hätte ich gedacht, mich mit Details aus der plastischen Chirurgie zu befassen. Nicht mal annähernd! Was hab ich damit zu tun, hätte ich mich gefragt. Kein Thema für mich! Und doch bin ich im Nachhinein froh, dieses Buch gelesen zu haben.

Der Titel erschließt sich mir während des Lesens, ich war entsetzt über die Einzelschicksale, über die entstellten, die teils weggeschossenen Gesichter. Auch das Cover sehe ich jetzt mit anderen Augen, es ist gut gewählt.

Viel habe ich erfahren über die Anfänge der Schönheitschirurgie, obwohl schon sehr viel eher, nicht erst während des Ersten Weltkrieges, sich so einige an die Rekonstruktion eines Gesichtes gewagt haben. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.

Mit Harold Gillies, von dem ich bis dato nichts wusste, bin ich ganz tief eingetaucht in die Materie. Schon erstaunlich, was dieser Chirurg zustande gebracht hat, wie vielen er nicht nur das Aussehen, sondern auch ihre Würde zurückgegeben hat. Seine Arbeit, sein Werdegang, sein Leben zieht sich durchs Buch, angereichert mit Einzelschicksalen, mit Anekdoten vom Schützengraben bis ins Lazarett. Die Autorin erzählt diese ihre Geschichten sehr einfühlsam und gut lesbar. Des Öfteren musste ich durchatmen, war von der Grausamkeit des Krieges, den fürchterlichen Wunden, zutiefst erschüttert.

Zugegeben, das Buch ist nichts für sanfte Gemüter. Auch wenn die Bilder nur im Kopf entstehen, so kann man diese nicht zurückdrängen. Und ich konnte es nicht sein lassen, mir im Netz Bilder anzusehen. Kein schöner Anblick, aber jeder unnütze Krieg bringt nicht nur Siege oder Niederlagen. Es sind diejenigen, die an die Front müssen, deren Leben danach ein anderes ist.

Die Schönheitschirurgie, wie wir sie heute verstehen, hat ihren Ursprung im Ersten Weltkrieg. Gillies hat mit seinem unermüdlichen Einsatz den Grundstein gelegt zu all diesen oftmals unnötigen, aber auch segenbringenden Operationen - man denke nur an die vielen Unfallopfer.

„Der Horror der frühen Chirurgie“ ist mein erstes Buch von Lindsey Fitzharris. Faszinierend und grausam zugleich, gut verständlich auch für medizinische Laien geschrieben.

Bewertung vom 13.10.2022
Eine neue Freiheit / Die Stewardessen Bd.1
Lenz, Svea

Eine neue Freiheit / Die Stewardessen Bd.1


ausgezeichnet

Die große weite Welt wartet auf sie. All die Sehenswürdigkeiten, all Träume sind greifbar, eine grenzenlose Freiheit scheint nahe. „Die Stewardessen – Eine neue Freiheit“ Svea Lenz erzählt eindrucksvoll von den Anfängen der Lufthansa.

Wenn das nicht Margot ist, die da ein wenig verschmitzt über die Gläser ihrer Sonnenbrille lugt, ein Flugzeug am Himmel – ja, das ist ihre Welt, ihre neue Freiheit. Sie ist eine aufgeschlossene junge Frau, die dem kleinbürgerlichen Mief entkommen will. Und da – sie entdeckt die Anzeige in der Zeitung: Stewardessen gesucht! Das wär doch was für sie. Natürlich ist sie nicht die einzige, die unbedingt hier landen will, sie muss sich schon was einfallen lassen, muss nicht nur gut sein, sie muss besser sein als all die anderen. Die Prüfungsfragen sind nicht ohne, es wird ein breites Allgemeinwissen verlangt und Margot schafft es tatsächlich, sie ist eine der ersten Luftstewardessen der Lufthansa. Man spürt, dass eine Anstellung bei der Lufthansa schon was ganz besonderes war.

In den 50er Jahren bin ich gelandet, ganz genau im Jahre 1954, als die Lufthansa ihren Flugbetrieb wieder aufnehmen will. „Die Stewardessen“ begrüßen mich mit einem Song, der gleich mal gute Laune macht. Que sera, sera… was wird sein, ja - was wird die Zukunft wohl bringen?

Margot ist entschlossen, ihren Traum von der großen weiten Welt wahr werden zu lassen, auch wenn sie sich diesen auf ihre so kreative Art ein wenig zurechtbiegen muss. Dafür kann ich ihr aber nicht böse sein, sie war mir gleich sympathisch, sie ist eine aufgeweckte junge Frau. Noch bevor der Lehrgang beginnt, stolpert sie dem Nachwuchspiloten Claus Sturm direkt vor sein Cabrio. Und bald lernt sie auch Thea und Almuth kennen, die eine mit Berliner Schnauze, die andere eher in sich gekehrt. Drei ganz und gar unterschiedliche Frauen, die sich wunderbar ergänzen.

Es ist Sommer in Hamburg und viel zu heiß, die Nachwehen des Krieges sind noch zu spüren und doch geht es aufwärts. Svea Lenz hat das Lebensgefühl dieser Zeit gut eingefangen. Die Wohnverhältnisse ließen noch sehr zu wünschen übrig und doch hatten sie Träume. Gerade die jungen Leute waren voller Tatendrang, Rock´n´Roll und all die damals angesagten Songs, die vom großen Teich herüberschwappten, swingten im Hintergrund mit, dazu die hierzulande noch schwer zu bekommenden Nylonstrümpfe, die fast unerschwinglichen Petticoats und zwischendurch das Selbstgenähte und noch so viel mehr. Man kann sich ein gutes Bild machen - es ging aufwärts, die 6-Tage-Woche war normal, die Gleichberechtigung steckte noch in den Kinderschuhen.

Viel habe ich erfahren vom Alltag einer Stewardess, von ihren ersten Gehversuchen bis hin zu den Flügen, die sie in so etliche europäische Städte führten. Dann die begehrten Überseeflüge, alles noch sehr exklusiv. Ein Flug war etwas Besonderes und genau so wurden auch die Fluggäste behandelt. Ich treffe Adenauer, begegne vielen damals bekannten Persönlichkeiten und auch die legendäre Tante Ju hat ihren Auftritt. All dies ein sehr informativer, interessanter und äußerst unterhaltsamer Blick zurück.

Das launige Nachwort steht dem Roman in nichts nach. Ich habe mich in die Lüfte erhoben, bin über den Wolken geschwebt und wieder sicher gelandet, auch wenn der Flug hin zu den Anfängen der Lufthansa viel zu schnell vorüber war. Aber ist es nicht so wie mit jeder guten Geschichte? Schade, dass es vorüber ist und dann ist die Vorfreude da auf die Fortsetzung, auf den Weiterflug. „Bis zum Horizont“ heißt es bald, ich werde bestimmt wieder mitfliegen.

Bewertung vom 09.10.2022
Tage des Lichts / Kinderklinik Weißensee Bd.3
Blum, Antonia

Tage des Lichts / Kinderklinik Weißensee Bd.3


sehr gut

Sind diese Tage in den Jahren 1929 und 1930 für die Schwestern Emma und Marlene Tage des Lichts? Nicht immer, denn natürlich schleichen sich auch andere, sehr viele bittere Tage dazwischen. Die Weimarer Republik neigt sich dem Ende zu, die Nationalsozialisten drängen immer mehr nach vorne. Und mittendrin sind die kleinen Patienten in der Kinderklinik Weißensee. Marlene, die mit Max von Weilert eine glückliche Ehe führt, ist mit Leib und Seele Kinderärztin, sie mag ihre kleinen Patienten, auch hat sie ein sehr inniges Verhältnis zu Emmas Kindern Theo und Lissi. Nur eigene Kinder waren Marlene und Max bisher verwehrt, ihr Kinderwunsch droht die beiden zu entzweien. Emma dagegen könnte glücklicher nicht sein. Sie wird zur Oberschwester befördert, mit Kurt hat sie das große Los gezogen und doch ziehen auch bei ihr bald dunkle Wolken auf.

Freud und Leid sind manchmal sehr nah beieinander, es spielen viele Faktoren mit. Es ist auch hier so wie im richtigen Leben, dass viele Unwägbarkeiten diese nicht immer einfachen Tage überschatten. Neben der immer mehr politisch aufgeheizten Grundstimmung gibt die Autorin der zufälligen Entdeckung des Penicillin viel Raum. Sie versteht es hervorragend, die ersten Versuche mit der antibiotisch wirksamen Substanz in ihre Geschichte gut lesbar einzubinden.

Natürlich habe ich auch die beiden Vorgängerbände verschlungen, ich war dabei, als Marlenes sechster Geburtstag mit dem Streuselkuchen so gut anfing und für die beiden Mädchen im Waisenhaus endete. Diese „Tage des Lichts“ sind schon gut zu lesen, ohne Marlene und Emma bis hierher gefolgt zu sein. Aber warum sollte man auf ihre ganze Geschichte verzichten?

Sehr gefreut habe ich mich, dass mir Willy Pinke als der große Wilfridemus wieder begegnet. Auch wenn er nicht mehr im Pförtnerhäuschen sitzt, so ist er doch ein Urgestein und aus der Kinderklinik nicht wegzudenken.

Die Charaktere sind allesamt lebensnah gezeichnet, es sind jene, die sich aufopfernd um ihre kleinen Patienten kümmern, die vermitteln, auch die Eltern mit einbinden und dann gibt es wie in allen Bereichen des Lebens auch diejenigen, die es weniger gut mit ihren Mitmenschen meinen, die eher eigennützig agieren. Es geht um das liebevolle Miteinander, auch Missverständnisse sind vorprogrammiert, die Sprachlosigkeit erzeugt viel Verwirrung. Auch von Neid und Missgunst lese ich, aber auch von Zusammenhalt und füreinander da sein. Ich habe mit ihnen gebangt, mich mit ihnen gefreut, sie in so manch dunkler Stunde begleitet und habe ihnen ihre hellen Zeiten so sehr gegönnt.

Ein spannender dritter Teil. Die Geschichte um die beiden Schwestern ist voller Leben, Antonia Blum hat sie sehr einfühlsam erzählt. Gerne empfehle ich das Buch weiter und bin auf den vierten Teil „Geteilte Träume“ gespannt.

Bewertung vom 06.10.2022
Ein Kind namens Hoffnung
Sand, Marie

Ein Kind namens Hoffnung


sehr gut

Elly Berger hat ihren eigenen Kopf, sie will Köchin sein und dafür geht sie nach Berlin. In der jüdischen Familie Sternberg ist sie nicht nur das, sie hat Familienanschluss. Wir sind kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, die Nationalsozialisten haben das Sagen. Und viel zu spät werden die Sternbergs gewarnt, Elly kann gerade noch verhindern, dass Leon, der kleine Junge der Sternbergs, in deren Fänge gerät.

Es ist eine stille Geschichte und doch geht es um eine ganz besondere Heldin. Elly und Leon sind schon immer eng verbunden und als seine Eltern abgeholt werden, handelt Elly. Sie stellt sich vor Leon. Sie beschützt ihn, flieht mit ihm, sucht Schutz in ihrem Elternhaus. Es stellt sich jedoch heraus, dass diese ein Judenkind nicht aufnehmen wollen.

Marie Sands Debütroman beginnt im Jahre 1938 und handelt hauptsächlich während der entbehrungsreichen Zeit während des Zweiten Weltkrieges und danach, als alles in Trümmern lag. Wir Nachkriegskinder können uns diese Not gar nicht mehr vorstellen, wenn die letzten Krümel einfach nicht ausreichen, eine Familie zu ernähren. Das Leben war hart, die Barmherzigkeit blieb oftmals auf der Strecke, jeder war sich selbst der Nächste. Es geht schlichtweg ums Überleben, für Träume blieb sowieso keine Zeit. Unsere Heldin begegnet vielen Gefahren, sie kommt in ihrer zupackenden Art einigermaßen durch diese entbehrungsreichen Zeiten.

Gerne bin ich Elly gefolgt, sie hat für andere alles riskiert und sich oftmals selbst hintangestellt. Der gut lesbare Roman beruht teilweise auf einer wahren Geschichte. So manche Begebenheit wurde lediglich angeschnitten, hier hätte ich mir etwas mehr an Information gewünscht. Und doch war es eine emotionale Reise in die Vergangenheit, die mich tief berührt hat. Ein gelungenes Debüt.

Bewertung vom 06.10.2022
Unsre verschwundenen Herzen
Ng, Celeste

Unsre verschwundenen Herzen


sehr gut

Die amerikanische Gegenwart hat Celeste Ng in „Unsre verschwundenen Herzen“ verarbeitet, es ist eine Art Dystophie geworden. Wir sind in Cambridge an der Harvard-Universität. Um den 12jährigen Bird, der eigentlich Noah heißt, spinnt sich diese Familiengeschichte. Er lebt mit seinem Vater, einem Bibliothekar, in einer kleinen Wohnung. Seine Mutter ist Asiatin, vor nunmehr drei Jahren ist sie gegangen, um ihre Familie zu schützen, denn ihr sieht man die Andersartigkeit sofort an und es ist gefährlich, als Asiat erkannt zu werden. PAO zu sein ist kein Verbrechen sagen sie. Nicht um ethnische Zugehörigkeit geht es ihnen, ausschlaggebend ist eher Patriotismus und Gesinnung. So zumindest die offizielle Lesart der Behörden. „Jeder wusste, dass Birds Mutter eine Person of Asian Origin war. Kung-PAOs nannten sie manche Kinder…“

Der Roman erinnert an die vorherige Regierung, die das Land mit ihrem Slogan „Amerika first“ tief gespalten hat. Die anti-asiatische Stimmung wurde auch angeheizt, als der damalige Präsident vom China-Virus sprach. Für Krisen wurde alles Asiatische verantwortlich gemacht,

ein großes Thema dieses Buches. Es wurde ein Gesetz erlassen - PACT genannt - in dem alles unter Generalverdacht stand, was nicht amerikanisch war. Ein Gesetz zur Erhaltung amerikanischer Kultur und Tradition. Birds Mutter Margret ist Schriftstellerin, die Suche nach ihr ist ein Erzählstrang. Man erfährt im Laufe der Geschichte, warum sie ihre Familie verlassen hat. Eines ihrer Gedichte „Missing Hearts“ wird zur Losung derer, die gegen dieses Regime angehen. Auch verschwinden Kinder spurlos, die gegen den Willen ihrer Eltern den Familien entrissen werden. In den Bibliotheken – und nicht nur da – regt sich Widerstand, es werden Botschaften auf geheimen Wegen weitergegeben.

Ich mag das Buch, ich bin neugierig auf Birds Leben, will mehr von seiner Mutter wissen. Wird er sie wiedersehen? Er vermisst sie - diejenige, deren Bücher nicht mehr zu haben sind. Ausgemustert sind sie, genau so wie sie auch. Ihre Spuren sind verwischt, einfach nicht mehr vorhanden.

Und dann mag ich das Buch so überhaupt nicht. Der Ton, den Celeste Ng anschlägt, ist eine distanzierte Kühle. Eine düstere Welt, eine bedrückende Stimmung schwebt von Anfang an über der Geschichte. Es geht um die Ausgrenzung all derer, die nicht der Norm entsprechen, dieser nicht entsprechen wollen oder können. Die reale Welt schwingt im Hintergrund mit, die Autorin zeichnet ein realistisches Bild, in der Andersdenkende eingeschüchtert werden, die verfolgt und diskriminiert werden. Und doch gibt es immer wieder die anderen, die im Verborgenen helfen, die versteckte Botschaften weiterreichen.

Zwischen Traum und Realität sind „Unsre verschwundenen Herzen“ angesiedelt. Auch eine Geschichte über die Liebe zwischen Mutter und Sohn in dunklen Zeiten. Ein Roman, der nicht durchgehend unterhält, der von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit erzählt, der auch berührende Momente einfängt mit einem Ende, das dann doch sehr plötzlich daherkommt.

Bewertung vom 04.10.2022
Emmanuels Traum: Die wahre Geschichte von Emmanuel Ofosu Yeboah
Thompson, Laurie Ann

Emmanuels Traum: Die wahre Geschichte von Emmanuel Ofosu Yeboah


ausgezeichnet

Zwei strahlende Augen, zwei gesunde Lungen, zwei kleine Fäuste – alles ist dran an dem kleinen Jungen, der in Ghana geboren wurde. Aber er hat nur ein starkes Bein. Sein Vater konnte damit nicht umgehen, er ging. Doch seine Mutter gab ihm Selbstvertrauen, sie stärkte ihn, stand immer hinter ihm. Emmanuel, so heißt der Junge, ging - oder eher - er hüpfte zur Schule. Jeden Tag nahm er den weiten Weg auf sich, es hat sich gelohnt. Als seine Mutter krank wurde, musste er für seine kleineren Geschwister da sein. Er fuhr mit dem Nachtzug in die Hauptstadt, auch hier musste er sich tagtäglich neu beweisen.

Es ist die wahre Geschichte von Emmanuel Ofosu Yeboah. Von klein auf musste er sich durchkämpfen, unterstützt von seiner Mutter. Alles, was er hat, was er ist, hat er sich selbst erarbeitet. Heute ist der ghanische Sportler Aktivist für Behindertenrechte, er fuhr 2001 durch Ghana, um auf die Notlage behinderten Menschen aufmerksam zu machen. Und seitdem ist er unermüdlich für seine Sache unterwegs.

Seine Geschichte ist in diesem zauberhaft gestalteten Buch kindgerecht erzählt. Gleich mal nahmen uns die Illustrationen gefangen. Das Buch hat 40 Seiten, jede davon erzählt eine ganze Menge. Die Bilder sprechen für sich, da müssen die Kinder nicht lesen können, sie nehmen Emmanuels Leben visuell wahr. Wir haben durch die Seiten geblättert und zunächst nichts vorgelesen, das kam dann erst danach. Und mittlerweile haben wir es schon ganz oft zur Hand genommen, um immer wieder darin zu lesen.

Emmanuel lässt einen so schnell nicht wieder los, er regt Klein und Groß zum Nachdenken an. Eine Behinderung sollte nicht ausgrenzend sein, die Kinder wissen das sofort und sie fangen immer wieder an, von einem wie Emmanuel zu erzählen. Man merkt, dass sie seine Geschichte verinnerlicht, ja verstanden haben.

Emmanuels Traum sollte kein Traum bleiben. Verständnis füreinander, ein unbedingtes Miteinander, Vorurteile abbauen, Anderssein tolerieren – all das wäre wünschenswert. Das großformatige (Bilder)Buch möchte ich jedem ans Herz legen, es ist wunderschön erzählt und sehr liebevoll gestaltet.

Bewertung vom 02.10.2022
Die Frau auf Sylt: Roman
Wöß, Lotte R.

Die Frau auf Sylt: Roman


ausgezeichnet

Hanna, Maries beste Freundin seit Kindertagen, ist spurlos verschwunden. Zehn Monate sind vergangen, seit Hanna ein riesiges Vermögen geerbt und kurz darauf nie mehr gesehen wurde. Kein noch so winziges Lebenszeichen gibt es seither vor ihr. Marie glaubt, dass ihr etwas zugestoßen sein muss. Einfach alle Brücken hinter sich abzubrechen und gut zu leben, wie die anderen dies behaupten, war nie Hannas Art.

Eine spannende Ausgangssituation und schon der Prolog gibt Rätsel auf. Wer sind diese knallharten Typen, was haben die mit der Story zu tun? Denen möchte ich nicht mal am helllichten Tag begegnen.

Als Marie Hannas Bild in der Zeitung sieht, weiß sie ganz gewiss, dass diese noch lebt. In einem Sylter Lokal sitzt ihre Freundin putzmunter, ein attraktiver Mann an ihrer Seite. Wäre doch gelacht, wenn diese Lokalität nicht ausfindig zu machen wäre! Und so zieht Marie los, mit nichts als diesem Bild im Gepäck und dem unbedingten Willen, Hanna zu finden. Nur gestaltet sich die Suche sehr viel schwieriger als zunächst gedacht.

Die Spannung ist sofort da und lässt auch nicht nach. Ich bin – natürlich – auf Maries Seite, fiebere mit ihr, möchte ihr zurufen, doch vorsichtig zu sein. Sie beißt nicht nur einmal auf Granit, ihre Suche gestaltet sich wie die berühmte Stecknadel im Heuhaufen. So manch zwielichtige Gesellen tauchen auf – ob diese Hanna überhaupt gekannt, mit ihrem Verschwinden zu tun haben? Ja, so mag ich es – ich blicke nur bedingt durch, stelle meine eigenen Theorien an. Und bange mit Marie, glaube und hoffe bis zuletzt, dass sie bei ihrer Suche Erfolg haben möge. Ihre Unrast überträgt sich auf mich als Leser. Es ist mir unmöglich, das Buch aus der Hand zu legen. Unvorhergesehenes passiert, die Dramatik spitzt sich immer mehr zu.

Rasant, mit viel Action und Herzklopfen meinerseits geht Maries verzweifelte Suche dem Ende entgegen – ein unterhaltsamer Roman mit sowohl liebenswerten als auch sehr dubiosen Charakteren, allesamt glaubhaft und authentisch dargestellt. Es waren spannende Lesestunden.

Bewertung vom 01.10.2022
Café Leben (MP3-Download)
Leevers, Jo

Café Leben (MP3-Download)


ausgezeichnet

Was bleibt von uns? Am Ende des Lebens sind es viele Momente, die ganz tief verschlossen in uns drin sind – sollten all die guten, auch die weniger guten Erlebnisse, die Schicksalsschläge und die glücklichen Zeiten für immer verborgen bleiben? Wollen wir sie mit ins Jenseits nehmen? Vieles verschiebt man auf irgendwann, gerade passt es nicht. Und so bleibt vieles ungesagt, das Leben ist endlich.

Im „Café Leben“ begegnen mir zwei ganz besonderen Menschen – aber ist nicht jeder Mensch besonders? Ja, ganz gewiss sogar. Henriette lebt zurückgezogen, hat sich ihre kleine Welt mit Dave, ihrem treuen Hund, eingerichtet. Dringend braucht sie einen neuen Job und dabei stößt sie auf diejenigen, die sich auf das Aufschreiben fremder Leben spezialisiert haben. Annie ist Henriettes erste Klientin. Es gilt, Fragebögen abzuarbeiten, schließlich braucht ein Buch Struktur. Diese Antworten, aufgelockert mit persönlichen Bildern, sollen dann als Lebensbuch der Nachwelt erhalten bleiben. Soweit die Theorie, in der Praxis sieht dies allerdings ganz anders aus.

Das ungekürzte Hörbuch (9 Stunden, 47 Minuten) vom Argon-Verlag haben mir drei erfahrene Sprecherinnen - Tanja Fornaro, Nora Jokhosha und Heike Warmuth - vorgetragen. Von hell und jugendlich über warm und dynamisch zu alt und sehr feinfühlig decken die Stimmlagen alles ab, was das „Café Leben“ in seiner Gesamtheit ausmacht. Was ist wichtig, was waren die Momente, die einen geprägt haben? Für Henriette sind die Gespräche mit Annie mehr als nur einer Klientin dabei zu helfen, ihr Leben aufzuschreiben. Sie spürt, dass Annie sich nicht öffnen kann, sie Entscheidendes tief in ihrem Herzen vergraben hat. Gleichzeitig wird die junge Frau an ihr Schicksal erinnert, sie kann die Gedanken an ihre eigene Vergangenheit nicht länger abwehren.

Die Geschichte um das Projekt Lebensbuch berührt. Zwei Frauen nähern sich an, sie lernen sich und das Leben der jeweils anderen Tag für Tag besser kennen. Annie trägt schwer an der Vergangenheit – Henriette wird dies mehr und mehr klar und so begibt sie sich auf die Spuren von Annies Schwester. Denn erzählen, was damals war, das kann Annie nicht wirklich. Und auch Henriettes Vergangenheit lässt sich nicht länger zurückdrängen, sie beginnt zu reden…

Einfühlsam und berührend erzählt Jo Leevers vom Leben und dem Tod, ohne rührselig zu werden. Und das Hörbuch ist geradezu prädestiniert, die Stimmung in all ihren Nuancen einzufangen. Das Erinnern an schlimme Zeiten, Momente, die man ein Leben lang verdrängt hat, ohne sie jedoch vergessen zu können, drängt kraftvoll an die Oberfläche. All dies sollte man zulassen, denn nur so kann man damit abschließen.

Zwei Frauen, die sich gegenseitig stützen, die schmerzhafte Erinnerungen annehmen, sich ihrer Lebensgeschichte stellen. Eine ganz besondere, eine versöhnliche Geschichte, die nachdenklich stimmt. Ich habe sie gerne gehört, war tief drin in deren Leben. Sie hat mir unterhaltsame Hörstunden beschert.

Bewertung vom 21.09.2022
Tödliches Allerlei
Scharmacher, Monique

Tödliches Allerlei


weniger gut

Die Leipzigerin Monique Scharmacher legt mit „Tödliches Allerlei“ ihr Krimi-Debüt vor.

Mit Susanne Mayer, ihres Zeichens Kriminalhauptkommissarin, bin ich schon frühmorgens in Leipzig unterwegs. Und das an drei Tagen hintereinander. Wenn das nicht schlaucht! Drei Opfer gilt es zu beklagen, jedes wird an einer anderen Sehenswürdigkeit der Stadt aufgefunden.

Susanne und ihr Team verbindet eine Art Hassliebe. Der schnoddrige Ton ist zuweilen drüber, gegen Mitte des Buches lassen die vielen Seitenhiebe etwas nach, die Ermittlungen scheinen dann eher im Vordergrund zu stehen. Auch der noch unbekannte Täter kommt zu Wort. Seine Gedanken lese ich gleich zu Anfang und zwischendurch, auch hat er schlussendlich gedanklich das letzte Wort.

So etliche Nebenstorys drängen sich dazwischen. Wenn es nur eine wäre, wäre dies noch akzeptabel. Leider sind es mehrere, jede wird angerissen, keine nicht mal ansatzweise zu Ende erzählt.

Das Buch war schnell ausgelesen, es war unterhaltsam und doch bleibe ich ratlos zurück. Es gibt so etliche schräge Typen, ihre Persönlichkeit wird kurz angedeutet. Gerade so viel, dass ich mir im Laufe der Geschichte mehr erwarte. Die eigentliche Tätersuche war schon da, aber durch die vielen Nebenschauplätze kamen sie gefühlt leider zu kurz. Weniger Drumherum und mehr Kriminalgeschichte hätten dem Ganzen gut getan. Ein in meinen Augen nicht ganz geglücktes Debüt. Ich wünsche mir von der Autorin in ihrem nächsten Fall, sollte es den geben, etwas mehr Augenmerk auf das Hauptsächliche zu legen.

Bewertung vom 21.09.2022
Monsieur le Comte und die Kunst des Tötens / Monsieur le Comte Bd.1
Martin, Pierre

Monsieur le Comte und die Kunst des Tötens / Monsieur le Comte Bd.1


ausgezeichnet

Alexandre Comte de Chacarasse weilt nicht mehr unter den Lebenden. Das Familienmotto „Verpflichtet den Lebenden und den Toten“ steht in Marmor gemeißelt auf seiner Grabplatte. Er ist gestern beigesetzt worden und nun soll sein Sohn Lucien das Familienerbe antreten. Es ist ein etwas anderes Erbe, von dem das unterhaltsame Buch berichtet.

Der launige Schreibstil zieht mich durch die Seiten. Lucien ist der charmante Hauptdarsteller, mit ihm verbringe ich spannende Tage an der Côte d'Azur. Seine verschmitzte Art, mit der für ihn nicht ganz einfachen Situation umzugehen, lässt mich zuweilen schmunzeln…

…und es kommt, wie es kommen muss – der erste Auftrag steht an und den gilt es ohne Patzer abzuarbeiten. Denn seine Familie versteht sich seit Generationen auf die diskrete Kunst des Tötens, ohne irgendwelche Spuren eines Verbrechens zu hinterlassen. Unfall, auch Selbstmord wäre okay, nur nach Mord darf es nicht aussehen. Ansonsten wäre die Million futsch und nicht nur das. Eine dilettantische Arbeit würde dem guten Ruf der Familie schaden, Folgeaufträge wären anhand einer verheerenden Reverenz eher unwahrscheinlich.

Seine ehemals erlernten Künste hat Lucien nicht verlernt, so viel steht fest. Die Tatsache, dass er aus fast drei Metern Entfernung einer Ratte, die sich in die Küche verirrt hatte, mit einem gezielten Messerwurf den Todesstoß versetzt, hat ihn selber gehörig erschreckt. Er ist noch immer aufs Töten geeicht – mit der Präzision eines absoluten Könners. Nur genau das will er nicht, sein Herzblut hängt an seinem Bistro in Villefranche-sur-Mer.

Mit allen Sinnen genießen – schon das Cover stimmt mich ein, einem Abstecher nach Südfrankreich steht nichts mehr im Wege. So wie Lucien bin auch ich der Meinung, dass die Kunst, das Leben zu genießen, so viel besser ist als seine Familientradition aufrecht zu erhalten. Ein kleiner Tipp am Rande: Das Buch sollte man tunlichst nicht mit knurrendem Magen lesen. Rosas Köstlichkeiten, vermengt mit all den Gerichten, die in Luciens Bistro von seinem Küchenchef Roland stets frisch zubereitet werden, sind äußerst verführerisch.

Der Auftakt der Monsieur-le-Comte-Reihe ist gelungen, Lucien in seiner trotz der Familientradition liebenswürdigen Art hat mich bestens unterhalten, in sein Bistro werde ich bestimmt bald wieder einkehren sobald es heißt: Monsieur le Comte, der zweite Streich.