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Bibliomarie

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Insgesamt 1032 Bewertungen
Bewertung vom 01.10.2019
Inselrache. Ostfrieslandkrimi
Roth, Rita

Inselrache. Ostfrieslandkrimi


gut

Gretje Blom ist eine agile ältere Dame mit einem ausgesprochenen Talent für Kriminalfälle. In den Dünen der Insel Norderey stolpert ausgerechnet sie über einen toten Mann. Offensichtlich hat er ein tödliches Picknick gemacht, eine leere Champagneflasche und Krümel und Reste eines Muffins zeugen davon. Auch eine tote Möwe scheint zu viel von den Krümeln genascht zu haben. Beim Toten findet Gretje einen Umschlag mit sehr viel Geld, was sie gleich misstrauisch macht. Als der herbei gerufene Arzt den üblichen Herztod diagnostiziert und die tote Möwe lässig mit dem Schuh mit Sand bedeckt, ist Gretje erst mal baff.


Gretje, zur Zeit bei Freunden in der „Frieserose“ lässt der Fund keine Ruhe. Mit dem wortkargen Piet, dessen Beitrag zu Dialogen meist nur aus „Jau“ besteht und Jan, dem Dorfpolizisten zur Unterstützung macht sie sich auf Spuren- und Motivsuche. Dass sie dabei nebenbei noch das eine oder andere Geheimnis lüftet, bleibt nicht aus.


Die kleine Geschichte firmiert als Krimi, aber ich fand es eher eine nette und harmlose Inselgeschichte. So echte Spannung wollte eigentlich nicht aufkommen. Der Sprachstil ist recht einfach, kurze Sätze, kleine, eher umgangssprachliche Dialoge und ein bisschen Inselflair. Die Figuren sind ein wenig stereotyp, aber durchaus sympathisch gezeichnet, auch wenn ihre Handlungen weniger der Logik, als der Handlung verpflichtet sind.


Man kann das gut lesen und hat für einige Stunden auch eine nettes Strandkorbvergnügen. Ein unterhaltsamer Regionalkrimi, der sich allerdings nicht aus der Masse hervorheben kann.

Bewertung vom 29.09.2019
Die Dame hinter dem Vorhang
Peters, Veronika

Die Dame hinter dem Vorhang


sehr gut

Die Dichterin Edith Sitwell war ihrer Zeit voraus. Vielleicht wurde sie deshalb von ihren Zeitgenossen teils belächelt, teils abgelehnt. Ihre Bedeutung als Lyrikerin wurde spät erkannt, als Exzentrikerin hat sie zusammen mit ihren Brüdern, schon bald Ruhm erlangt. Edith, groß gewachsen und mit ausgeprägten, herben Gesichtszügen hatte keine schöne Kindheit. Vom Vater in eine Art Eisenkorsett gezwungen, sollte so ihr Wachstum gestoppt und ihre Nase begradigt werden. Der Heiratsmarkt war gnadenlos.
Veronika Peters erzählt die Geschichte dieser außergewöhnlichen Frau mit einem Kunstgriff. Sie lässt mit Jane Bannister, die Dienerin und langjährige Vertraute zu Wort kommen und ihre Erinnerungen an Edith und ihre Künstlerfreunde lebendig werden.
Ich kenne einige Biografien dieser sperrigen Künstlerin, aber der Roman, der sich Freiheiten in Atmosphäre und Motiven nehmen kann, hat mir eine neue Perspektive eröffnet. Veronika Peters hält sich dabei dicht an die Ereignisse der Epoche, an Begebenheiten, die aus Briefen und Tagebüchern bekannt sind, haucht ihnen aber ein besonders bildhaftes Leben ein.
Durch die Kunstfigur der Jane Bannister eröffnet sich ein ganz besonderer Blick. Das England in den 20iger bis 40iger Jahre des letzten Jahrhunderts war noch fest im Standesdenken verwurzelt, wenn es auch schon langsam brüchig zu werden begann. Der Adel genoss seine besonderen Privilegien und auch wenn Jane zur lebenslangen Freundin von Edith werden sollte, blieb sie doch immer Dienerin, die ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustellen hatte. Das hätte am wenigsten Jane in Frage gestellt, hat doch schon ihr Großvater und ihre Mutter lebenslang der Familie gedient. Dieses Zeitbild als Hintergrund wurde farbig gezeichnet hat mir sehr gut gefallen.
Was der Titel verspricht hat die Autorin wahr gemacht. Ein Blick auf die Frau, die sich immer hinter dem Vorhang der Exzentrik verborgen hat und deren Denken und Fühlen lebendig wurde.

Bewertung vom 28.09.2019
Der Geschmack unseres Lebens
Fischer, Julia

Der Geschmack unseres Lebens


sehr gut

Ella ist 5 Jahre alt, als sie ihre Mutter verliert, in ihrer Erinnerung bleibt sie lebendig, der Duft von Kuchen und Schokolade ist untrennbar mit ihr verbunden. Jahre später stirbt ihr Vater, ihre geplante Heirat ist geplatzt, weil sie den Vater in der letzten Zeit pflegte und deshalb nicht mit ihrem Verlobten in die USA gehen konnte. Sie zieht die Zwillinge allein auf. Auch ihr Bruder hat die Familie verlassen, nach einem Zerwürfnis mit dem Vater ging er zum Militär und kehrt auch danach nicht mehr in die Heimat zurück. Ella konnte die hochverschuldete Haselnussplantage nicht mehr halten, mit Wehmut geht sie einen neuen Schritt und eröffnet im nahegelegenen Alba eine Chocolaterie, ein kleines Juwel für das sie auf die alten Rezepte ihrer Mutter zurückgreift.

Doch die Vergangenheit ist noch nicht abgeschlossen, Ella muss sich einem Familiengeheimnis stellen.

„Der Geschmack unseres Lebens“ ist ein wunderschöner, einfühlsamer Frauenroman. Die Autorin lässt ihre Leserinnen tief in die Seele ihrer Protagonisten blicken und nimmt sie damit gleich von Anfang an gefangen. Viele kleine Rückblenden führen – Erinnerungen gleich – in die Vergangenheit und Schicht für Schicht enthüllen sich die Geheimnisse und die Ereignisse von früher. Das ist alles sehr emotional erzählt, die Geschichte bleibt dabei anmutig und zauberhaft und punktet mit einer wunderbaren Landschaft - das Piemont. Mit allen Sinnen will der Roman seine Leserinnen ansprechen und man spürt die Düfte und den Geschmack von Nüssen, Schokolade und Trüffeln.

Kleine Nebenhandlungen in Gegenwart und Vergangenheit runden das Handlungsgerüst ab. Der Fund von alten Briefen einer historischen, unglücklichen Liebesgeschichte oder die aufkeimende Zuneigung von Andrea und Mahesh, die viele Hindernisse überwinden müssen oder die zauberhafte Altersliebe von Sophia und Salvatore, alles zusammen macht diesen Roman rund und lesenswert.


Meine Empfehlung: lasst Euch ins Piemont entführen

Bewertung vom 25.09.2019
Nordseenebel
Denzau, Heike

Nordseenebel


sehr gut

Raphael Freersen ist das schwarze Schaf in der Familie der Kaffeedynastie. Sein Interesse gilt in erster Linie Frauen und schnellen Autos. Das Geld wirft er mit beiden Händen zum Fenster raus. Doch damit ist jetzt Schluss – sein Vater hat ihm endgültig den Geldhahn zugedreht. Da kommt das Erbe von Onkel Georg gerade zur richtigen Zeit, auch wenn das Haus auf Föhr ziemlich spießig ist, dazu erbt er eine Privatdetektei und einen ungelösten Fall. Man liebsten würde er auf der Stelle abhauen, aber dann fühlt er sich doch in seiner Ehre gepackt.

Selten war mir ein Schnösel so schnell sympathisch wie Raphael. Das liegt auch an der augenzwinkernden Charakterisierung. Bald wird klar, dass er zwar bellt, aber nicht beißt. Ganz im Gegenteil, dafür sorgen dann auch seine zwei Assistentinnen, die er zusammen mit der Detektei „geerbt“ hat. Ein ungelöster Fall liegt noch auf dem Schreibtisch, die Auftraggeberin möchte wissen, ob ihre Tochter wirklich bei einem Badeunfall ums Leben kam, denn ihre Leiche wurde nie gefunden. Für sie ist ihr Schwiegersohn verdächtig.

Die Recherche beginnt recht mühselig, Raphael hat es eben nicht so sehr mit subtilen Befragungen oder Observierungen. Da macht er schon bald einige unliebsame Erfahrungen. Das hat Heike Denzau wirklich mit viel Humor und Freude an skurrilen Szenen aufs Papier gebracht. Dabei ist die Geschichte kein Schmunzelkrimi, im Gegenteil. Die Recherchen führen Raphael schon bald zu einem schrecklichen Verdacht.

Es macht wirklich viel Freude sich von Raphaels Detektivspiel anstecken zu lassen und mitzurätseln. Der Krimi ist spannend und humorvoll und die Mischung ist dabei perfekt. Der kurzweilige Stil von Heike Denzau hat mir sehr gut gefallen und Föhr ist der perfekte Hintergrund.

Die Figuren dieses Krimis haben mir, bis hin zu kleinen Nebenfiguren sehr gut gefallen. Sie wirken frisch und lebendig und brachten sofort das Kopfkino in Schwung.

Das Buch soll der Auftakt einer Serie mit Raphael werden, da darf man schon gespannt auf die weiteren Entwicklungen sein.

Bewertung vom 20.09.2019
Als wir zu träumen wagten / Die Hafenschwester Bd.1
Metzenthin, Melanie

Als wir zu träumen wagten / Die Hafenschwester Bd.1


ausgezeichnet

Trotz aller Armut wächst die junge Martha mit Bruder und Schwester in einer behüteten Familie auf. Der Vater verdient im Hafen zwar nicht allzu viel, aber mit Näharbeiten hält die Mutter die Familie über Wasser. Aber es ist das Jahr 1892 und in Hamburg beginnt die Cholera zu wüten. Trotz liebevoller Pflege stirbt die Schwester und als auch noch die Mutter erkrankt, lastet auf Marthas Schultern die Krankenpflege und die Sorge um die kleine Familie. Auch die Mutter überlebt nicht und Martha ergattert durch die Fürsprache des Hausarztes eine Stelle als Krankenwärterin. Doch sie muss mit ansehen, wie die Familie auseinanderfällt. Der Vater ertränkt seinen Kummer in Schnaps und verliert seine Stelle, der Bruder geht als Schiffsjunge zur See. Aber Marthas Tatkraft scheint unerschöpflich. Sie bekommt eine der begehrten Lehrstellen zur Krankenschwester um Eppendorfer Krankenhaus und erkennt in der Krankenpflege ihre wahre Berufung.


Doch in Hamburg gärt es, die lang verschwiegene Cholera Epidemie, die immer länger werdenden Arbeitszeiten bei sinkenden Löhnen führen zum großen Hafenarbeiterstreik. In Martha erwacht auch ein politisches Bewusstsein und sie engagiert sich nicht nur in der Frauenbewegung. Aber dann begegnet sie dem jungen sozialdemokratischen Ingenieur Paul Studt. Doch die strengen Regeln der Erika-Schwesternschaft verbieten eine Verbindung.

Geschichte wird so viel lebendiger und anschaulicher wenn sie sich um persönliche Schicksale ranken. Zwar hatte ich schon vom großen Ausbruch der Cholera in Hamburg gelesen und auch von den sozialen Missstände im sogenannten Gängeviertel, die die Verbreitung beschleunigten, aber in dieser Geschichte bekommen die Ereignisse plötzlich ein Gesicht. Man spürt beim Lesen mit welcher Detailtreue und Geschichtskenntnis die historischen Begebenheiten in die Lebensgeschichte der jungen Frau einfließen.
Die Protagonistin Martha und ihre Entwicklung vom behüteten Kind bis zur starken jungen Frau, die sich für Berufung und ihre Liebe einsetzt, fand ich mitreißend erzählt. Ich habe mit Martha gelitten und gefiebert und mich für sie gefreut. Bei keiner der gut 450 Seiten kam auch nur die Spur einer Länge auf, der Roman fesselt von der ersten Seite an. Mir gefiel der Erzählton den die Autorin gefunden hat, er ist unterhaltsam und spannend und vermittelt eine große Empathie zu den Figuren dieser Geschichte.

Davon profitieren auch die Nebenfiguren, die im Gedächtnis bleiben weil ihre Charaktere so farbig und lebendig gezeichnet sind. Das Hamburg der des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist so bildhaft geschildert, wie ich es selten zuvor gelesen habe.

Das Buch ist der Beginn einer Saga und ich bin sehr gespannt auf die Fortgang der Geschichte und bin sicher, dass es auch anderen Leserinnen so gehen wird.

Bewertung vom 20.09.2019
Todeslügen / Frankie Sheehan Bd.2
Kiernan, Olivia

Todeslügen / Frankie Sheehan Bd.2


sehr gut

15 Jahre saß Sean Hennessy im Gefängnis. Er soll seine Eltern und eine Schwester wie im Blutrausch ermordet haben. Nur die jüngste Schwester hat überlebt. 15 Jahre lang hat Sean auch seine Unschuld beteuert, nun nach seiner Entlassung, will er es beweisen. Auch ein Filmprojekt gibt es bereits.
Detektive Frankie Sheehan weiß, dass ihre Schwägerin, eine Anwältin auf der Seite Seans steht. Sie selbst hat grade andere Sorgen. In einer Kirche wurden zwei Menschen tot aufgefunden, der Mann in ein Priestergewand gehüllt, die Frau halbnackt und post mortem mit Messerstichen übersät. Sofort ist in der kleinen Stadt die Erinnerung an die Familie Hennessy wieder wach und auch Frankie ermittelt in die gleiche Richtung. Aber dann gibt es noch einen Toten und es wird klar, dass die Morde etwas mit der Vergangenheit und Sean zu tun haben müssen.
Durch ihre Schwägerin und ihre Mutter, die damals Brid Hennessy kannte, wird sie viel tiefer und privater in den Fall gezogen, als sie möchte und genau das macht auch einen Teil des Reizes dieses Krimis aus. Ermittlungen aus der Vergangenheit und der Gegenwart kreuzen sich und Frankie muss Versäumnisse feststellen. Dumm nur, dass der damalige ermittelnde Polizist jetzt ihr Chef ist.
Es gibt sehr viele private Aspekte in diesem Fall, manchmal gerät darüber die Polizeiarbeit in den Hintergrund. Es ist aber so gewollt, die Ermittlungen führen eben weit in Frankie Sheehans Familie und sie steht mehreren Fronten gegenüber. Ihre Vorgesetzten wollen keinerlei Zweifel an der damaligen Arbeit aufkommen lassen, fürchten teure Entschädigungsklagen und schlechte Presse und ihre Familie möchte die alten Geschehnisse am liebsten verdrängen. Es ist eben eine typische Kleinstadt und mit dem Mief und den Vorurteilen muss sich Sheehan arrangieren.
Der Autorin ist es schnell gelungen, mich an der Schuld von Hennessy zweifeln zu lassen. Viel schneller als ihre Protagonistin Sheehan war ich von einem Justizirrtum, vielleicht sogar von einem gezielten Vertuschungsversuch überzeugt. Wenn da nicht die kleinen Spuren wären, die geschickt in die Handlung eingebaut werden und immer wieder die Ermittlungen in eine neue Richtung lenken.
Der Krimi ist ganz auf die Ermittlerin zugeschnitten und das Aufeinandertreffen von Frankie und Sean ein richtiges Psychoduell. Fesselnd und temporeich, fast schon ein Thriller, dafür sorgen der wendungsreiche Plot und die genaue Charakterisierung der Figuren. Besonders gut ist die Atmosphäre der irischen Kleinstadt getroffen, samt dem Priester als moralische Instanz.
Eine spannender zweiter Fall für Frankie Sheehan.

Bewertung vom 20.09.2019
Der größte Spaß, den wir je hatten
Lombardo, Claire

Der größte Spaß, den wir je hatten


gut

„Der größte Spaß den wir je hatten“ ist eine amüsant und empathisch erzählte Familiengeschichte. Marilyn und David sind seit 40 Jahren glücklich verheiratet, sie haben ihre Verliebtheit bewahren können, durch Lebenstürme und den unendlichen Alltag. Vier Töchter haben sie bekommen und jede hat einen anderen Charakter.

Wendy, knapp 40, ist seit 3 Jahren Witwe, ihr einziges Kind war eine Totgeburt und sie begegnet ihrer unendlichen Trauer mit Alkohol und jüngeren Verehrern. Von ihren Schwestern ist sie enttäuscht, vielleicht ist da auch ein wenig Neid dabei. Violet hat sich nach einer Tragödie vor 15 Jahren ein Leben als erfolgreiche Anwältin aufgebaut und findet nun als Vollzeitmutter zweier Kinder ihre Erfüllung. An ihre Vergangenheit will sie nicht mehr erinnert werden, doch dann platzt Jonah in ihr Leben, das Kind, das sie damals zur Adoption freigegeben hat. Liza hat eine Karriere als Universitätsprofessorin vor sich und ist schwanger, unsicher ob sie den Mann oder das Kind will. Das Nesthäkchen Gracie hat ihren Weg noch nicht richtig gefunden, sie gaukelt einen erfolgreichen Studienbeginn vor, hat aber von allen Unis nur Absagen kassiert. Aus ihrer Lüge kommt sie einfach nicht mehr raus.

Diese Familiengeschichte bietet genug Stoff für Dramen, Streitereien und große Versöhnungen, wie das Leben eben so spielt. Das alles wird in vielen Rückblenden erzählt und mit jeder Rückschau werden die Figuren lebendiger. Alle Schwestern haben etwas Liebenswertes an sich, an wenn sie sich dessen selbst manchmal nicht bewusst sind. Alle haben auch das harmonische Eheglück ihrer Eltern vor Augen und leiden daran, dass ihnen selbst das nicht so recht gelingen will. Aber sie merken dabei nicht, dass auch sie nur die Oberfläche sehen.

Claire Lombardo hat einen flüssigen, unterhaltsam-heiteren Ton mit der Geschichte getroffen, sie schreibt witzig und kann auch die Dramen ihrer Protagonisten mit einem Augenzwinkern beschreiben. Durch die vielen Rückblenden werden die Ereignisse auch aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt und so kann sich der Leser ein eigenes Bild der jeweiligen Wahrheit machen. Dabei bleibt es auch nicht aus, dass sich manches wiederholt. Das hat mich mitunter zum Überfliegen verleitet. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der Roman etwas gestraffter mir noch besser gefallen hätte. Zu den vier Töchtern konnte ich wenig Nähe aufbauen, manchmal ging es mir wie ihnen untereinander: sie haben genervt. Aber der unangestrengte Erzählstil der Autorin hat das immer wieder mit einer witzigen Szene abgefedert.

Diese amüsante Familiengeschichte möchte ich mit guten 3 Sternen bewerten.

Bewertung vom 02.09.2019
Dead Lions / Jackson Lamb Bd.2
Herron, Mick

Dead Lions / Jackson Lamb Bd.2


ausgezeichnet

Slough House ist die Abstellkammer des englischen Geheimdiensts MI5. Endstation für Agenten mit missglückten Aktionen oder Problemen, die aber aus verschiedenen Gründen vor dem Rausschmiss geschützt sind. Aus diesen Büros gibt es keinen Ausweg mehr. Chef dieser Truppe ist Jackson Lamb, ein schmutziger alter Mann. Das ist ganz wörtlich zu nehmen, denn er scheut die Dusche wie der Teufel das Weihwasser. Doch dann gibt es einen Toten, ein Kollege aus alten Berliner Zeiten des Kalten Kriegs. Bei Lamb schrillen die Alarmglocken, vor allem als zwei seiner Mitarbeiter plötzlich wieder für den Dienst aktiviert werden.


Der Spionagekrimi beginnt mit einer Katze, die durch die Räume des Slough House tigert und endet mit einer Maus, die durch die Büros huscht. Das kann man wirklich als Sinnbild ansehen, denn dazwischen spielt Mick Herron mit seinen Lesern Katz und Maus.
Nichts ist, wie es vielleicht scheint und die ganze Handlung hindurch führt der Autor seine Leser an der Leine und lenkt sie dorthin, wo er sie haben will. Nur um im nächsten Absatz mit einem unerwarteten Twist alles wieder in Frage zu stellen. Das ist wirklich brillant und hält die Spannung unglaublich hoch.


Herron hat spürbar Spaß daran, seine Slow Horses – so der interne Ausdruck für die abgehalfterten Agenten – zu portraitieren. Vom autistischen Computernerd bis zur in Würde gealterten Agentin mit einem überwundenen Alkoholproblem ist alles vertreten. Mit bissigen Witz und typisch englischer Ironie sind die Charaktere gestaltet, alles Einzelgänger mit exzentrischen Attitüden, aber auch mit Sympathie gezeichnet. Selbst der egomanische, unangenehme Jackson Lamb, der seine Umwelt an allen seinen Körperfunktionen teilhaben lässt, hat manchmal seine guten Seiten, auch wenn er sie meistens perfekt unterdrückt. Alle seine Mitarbeiter haben nur einen Wunsch, sich zu rehabilitieren und der Fall des getöteten Ex-Agenten scheint genau der richtige Weg zu sein.


Bei Lamb bin ich mir nicht so sicher, er hat sich gut eingerichtet in seinem Umfeld. Immer noch hat er genügend Hintergrundwissen um den Chefs in Regent‘s Park gefährlich zu werden, aber ein Geheimdienst, der wie ein Servicebetrieb aufgestellt ist und von Pfennigfuchsern verwaltet wird, ist nicht mehr seine Welt.
In den klassischen Spionageromanen spielte der Ost-West-Konflikt immer eine tragende Rolle und auch „Dead Lions“ greift das Thema auf. So werden im Jargon die russischen Schläfer genannt, Agenten die inaktiv sind und in der Tarnung von angepassten, wohlanständigen Bürgern auf ihren Einsatz warten. Aber auch Jackson Lamb wartet auf den richtigen Augenblick! Gibt es eine Rückkehr für die Slow Horses?


Auch der zweite Band von Mick Herron hat alle meine Erwartungen erfüllt. Ein intelligenter Krimi mit hohem Unterhaltungsfaktor, absolut lesenswert.

Bewertung vom 29.08.2019
Der Sprung
Lappert, Simone

Der Sprung


ausgezeichnet

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Eine junge Frau steht auf einem Dach, was hat sie vor, will sie springen? Eine Passantin wird darauf aufmerksam und informiert die Polizei und die Rettungskräfte. Schnell läuft die übliche Maschinerie an. Unten vor dem Haus sammeln sich immer mehr Menschen, manche sind neugierig, andere betroffen und einige sind nur sensationslüsterne Gaffer.

Simone Lappert beleuchtet nun das Leben einiger Menschen, die in irgendeiner Form mit Manu, der jungen Frau auf dem Dach verbunden sind. Ein Polizist, der mit ihr spricht, die Passantin, die die erste Meldung machte, der Freund von Manu, ein Ehepaar, das an diesem Tag zum ersten Mal seit Jahren wieder Umsatz in ihrem kleinen Laden machen und viele mehr. Es sind Geschichten in der Geschichte, die sich allmählich zum einem Ganzen verbinden. Nach und nach klären sich die Verbindungen.

Es ist ein Roman, der mich von der ersten Seite an völlig in Bann gezogen hat. Alle Figuren sind echt und ihre Handlungsweisen authentisch, wie wirklich aus dem Leben erzählt. In Vielem kann man sich wiedererkennen. Dabei ist es eigentlich keine große Geschichte, es sind Augenblicke aus dem Leben, im Einzelnen eigentlich unspektakulär, aber jeder hat Auswirkungen auf alle Beteiligte. Es ist eine ganze Welt im Kleinen, die die Autorin zeigt und jeder Protagonist bringt seine eigene Facette in diesen Kosmos ein. Hoffnungslosigkeit, Optimismus, Trauer, neue Energie – es liegt alles ganz dicht beieinander.

Manchen Figuren widmet Simone Lappert mehr Aufmerksamkeit, gönnt ihnen eine optimistische Zukunft, manche werden nur gestreift und ihr weiteres Schicksal bleibt offen.

Ich habe diese Geschichte verschlungen, den schönen Sprachstil geradezu aufgesaugt, viele einzelne Sätze sind mir im Gedächtnis geblieben:

„Etwas das blüht, sollte man nicht umtopfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es dabei eingeht, ist ziemlich groß.“ Antwort Manus auf den Vorschlag ihres Freundes, gemeinsam die Stadt zu verlassen

"Das sind alles Leute, die in der Schule beliebt sind oder es mal waren, dachte Winnie. Leute, die nie allein sind. Oder solche, die sich durchs Zuschauen überlegen fühlen, ihre Kraft aus der Schwäche anderer heraus entwickeln, so wie Timo." Gedanken einer gemobbten Schülerin, als sie ihren Mitschüler johlend in der Zuschauermenge sieht.

"Nie wollte sie in den Tod springen. Immer nur ins Leben." Eigentlich der wichtigste Gedanke auf dem Dach.

Ich könnte noch vieles anführen, selten habe ich so viele Markierungen beim Lesen angebracht.

Anfangs konnte ich mit der Portraitzeichnung des Titelbildes nicht viel anfangen. Es wirkte nichtssagend auf mich, aber je weiter ich gelesen habe, umso mehr gefiel mir Cover. Das Portrait einer jungen, nicht angepassten Frau passt ganz genau auf die tragende Figur dieses Romans.
Meine unbedingte Leseempfehlung.