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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 14.09.2007
Der kurze Schlaf
Lethem, Jonathan

Der kurze Schlaf


schlecht

Der kurze Schlaf erschien bei uns bereits als Knarre mit Begleitmusik in einer Science Fiction Reihe. Der neue Titel soll nunmehr an die Tradition des Kriminalromans erinnern. Wer Motherless Brooklyn kennt, wird eher enttäuscht sein. Was Lethem in diesem Roman von leichter Hand schafft, das Genre des Kriminalromans satirisch zu betrachten, wirkt in Der kurze Schlaf bemüht, von Einfällen überfrachtet und leidet darunter, sich nicht richtig entscheiden zu können, was er nun sein will: Krimi oder Science Fiction. Daß dies durchaus stimmiger geht, haben Autoren wie Philip K. Dick bewiesen. Die Frage ist nur, ob Lethem das überhaupt wollte oder ob er sich bedingungslos seiner comichaften Vorstellungskraft unterworfen hat. Es reicht nicht aus, den Ton eines Chandlers, eines Hammett zu kopieren, um Spannung zu erzeugen.
Polar aus Aachen

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.09.2007
Der große Weber von Kaschmir
Laxness, Halldór

Der große Weber von Kaschmir


ausgezeichnet

Mit diesem Roman ist Hallór Laxness in der isländischen Literatur zum Gradmesser geworden, an dem die Autoren seiner Zeit sich maßen. Sowohl die Sprache als auch die Form war in der literarischen Landschaft Islands so zuvor nicht bekannt. Ein Mädchen, das sich gegen eine feindliche Umwelt durchschlägt, wird auch noch in weiteren seiner Romane eine Rolle spielen. Die Auseinandersetzung mit Gott, dem Künstler in der Gesellschaft, der niederen Stellung der Frau, dem Gefangenommenwerden von den eigenen Worten als Künstler spiegelt sich an der Weltfremdheit, die seine Figuren umgibt. Sie steht in Verbund mit der überlieferten Geschichte, eines Mannes, den es in die Ferne zieht und dabei ein Mädchen zurückläßt, daß er womöglich lieben könnte. Ich spreche nicht, ich brülle, sagt der Künstler an einer Stelle, doch dieses Brüllen kommt vom Rand und dringt ins Zentrum einer großen Liebe zu seiner Heimat, die Laxness nie aufgegeben hat.
Polar aus Aachen

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.09.2007
Der Spion, der aus der Kälte kam
Le Carré, John

Der Spion, der aus der Kälte kam


ausgezeichnet

*****
Eine Mauer wird zum Schicksal. Sie ist Sinnbild des deutsch-deutschen Wahnsinns jener Zeit und an ihr scheitern nicht nur die Deutschen. Der Spion, der aus der Kälte kam und sein Held Alec Leamas erzählen die Geschichte des klassischen Spionage-Thrillers. Hier die Guten im Westen, dort die Bösen im Osten und sicher gab es zu der Zeit in der sowjetischen Einflußsphäre einen Autor, der fest davon überzeugt war, wir die Guten im Osten, ihr die Bösen im Westen. Und dann kommt John LeCarré daher und zeigt, daß es keine Guten mehr gibt, daß sie an ihren eigenen Prinzipien, dem anderen einen Schritt in der Spionage voraus zu sein, moralisch versagt haben. Alec Leamas ist ein Verlierer, der weiß, wie es um ihn steht. Daß diese Mauer in Berlin zu seinem Schicksal wird, stand sicher schon fest, als er in den Geheimdienst eintrat. Kein Beruf, um alt darin zu werden. Vor allem wenn man nicht mehr weiß, welche Seite zu welcher Seite gehört, wer gut oder böse ist. Ein Klassiker des Spionageromans, in seiner Schwärze nicht zu überbieten, spannend bis zum Finale.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 14.09.2007
Sonnensturm / Rebecka Martinsson Bd.1
Larsson, Åsa

Sonnensturm / Rebecka Martinsson Bd.1


ausgezeichnet

Wie verliert man seinen Gott? Indem die Menschen, die Gott vor sich hertragen, ihn einem austreiben. Sei es durch Geschäftemacherei, sexuellen Mißbrauch, Machtgier, religiösen Eifer und Blendung. Asa Larsson hat die Fallstricke, die ein solches Thema in sich birgt, nicht nur gekonnt umschifft, sie hat auch zwei Frauen in Rebecka Martinsson und Anna-Maria Mella in die Krimi-Literatur eingeführt, deren Leben und Kampf um die Aufklärung viele Facetten bieten. Der Plot ist gut gestrickt, nicht so leicht vorhersehbar und gegen Ende, stehen eigentlich alle als Verlierer da, obwohl der Strich zwischen Gut und Böse klar gezogen ist. Das Verdienst der Autorin besteht darin, ein Thema gefunden zu haben, das nicht so oft in Angriff genommen wird, und Kiruna eine Sprache zu leihen, die Land wie Leute treffend zeichnet.
Polar aus Aachen

5 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.09.2007
Tag, Fremder
Lowry, Robert

Tag, Fremder


ausgezeichnet

Um ein Buch über Boxer zu schreiben, muß man sich mit dem Geschäft auskennen und darf nicht in Heldengesang verfallen. Nelson Algren konnte das. Er wie Lowry kannten sich vor allem mit dem aus, was draußen auf den Straßen vor sich ging. In den Ecken, den Spelunken, was alles dazu gehörte, um in diesem Leben wirklich eine Chance zu haben. "Baby" James bekommt sie, er darf um die Krone boxen und selbst die Verführung in Gestalt einer Weißen, einer Malerin bringt ihn nicht vom Weg ab. Er strauchelt höchstens ein wenig. Wie Lowry Babys und Laine Brendans Liebesgeschichte erzählt, soviel Nähe erschafft, wie zwei unterschiedliche Welt, verschiedene Hautfarben zulassen, gehört zu den großen Geschichten amerikanischer Literatur. Lowry wird viel zu wenig gelesen. Tag, Fremder ist nicht nur ein Buch übers Boxen, obwohl die Liebe, die darin beschrieben wird, anmutet, als gehe sie die vollen zwölf Runden. Am Ende gibt es nicht mal einen Punktsieger und auf ein Unentschieden vermochten sich Baby und Laine nicht einigen.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 14.09.2007
Venezianisches Finale
Leon, Donna

Venezianisches Finale


gut

Ohne diesen Erstling ist die Reihe um Kommissario Brunetti nicht vorstellbar. Was manchen der Nachfolgewerke an Charme und Spannung fehlt, wertet Venezianisches Finale auf: Eine dichte Story verbunden mit einer komplexen Familiengeschichte. Der Dirigent wird erschossen, muß sich im Tod seiner Vergangenheit stellen. Das ist nicht neu. Doch vor der großartigen Kulisse Venedigs läßt man sich gerne davon gefangen nehmen. Ein spannender Krimi in der Tradition, englischer Ermittler, die sich mit Gutsherren herumschlagen müssen. In späteren Roman bleibt davon oft nur noch Venedig übrig. In der psychologischen Führung durchaus mit Patricia Highsmith Thriller Venedig kann sehr kalt sein zu vergleichen. Auch wenn Donna Leon dem klassischen Muster des Who-done-it verhaftet bleibt.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.09.2007
Christus kam nur bis Eboli
Levi, Carlo

Christus kam nur bis Eboli


ausgezeichnet

Die Verbannung war ein politisches Instrument, Kritiker eines Regimes mundtot zu machen. Sie scheint mit dem 20. Jahrhundert untergegangen zu sein. Heute steckt man Dissidenten entweder gleich in ein Lager oder stellt sie an die Wand. Carlo Levi hat ein beeindruckendes Zeugnis seiner Zeit geschrieben. Es sind nicht nur die politischen Verhältnisse, die er anprangert. Er richtet unseren Blick auf den Mikrokosmos, ohne den kein Leben in einem Land existiert. Die Bauern sagen, Christus kam nur bis Eboli, und beschreiben damit ihre Armut, ihre Rückständigkeit, die Malaria und den Wunderglauben, dem sie im Geheimen unterliegen. Obwohl der Faschismus in diesem Land wütet und Elend über seine Bewohner bringen wird, sind sie ausschließlich mit der nackten Existenz beschäftigt. Wer interessiert sich da schon für Mussolini? Außer einer Handvoll Parteigänger, die man wie eine Zecke erst erträgt und ihr dann den Hals umdrehen wird. Der Mann aus dem Norden lernt in der Abgeschiedenheit die Menschen lieben. Eine rührende Geschichte über eine Selbstfindung und über die Erkenntnis, daß die politischen Stürme der Zeit über das Land hinwegfegen und die Leute wegwerfen, derer sie nicht bedürfen. Levi ist selbst verbannt worden. Das macht sein Buch noch ergreifender. Wenn man es liest, glaubt man fast, die Stille zu vernehmen, die Nachts den Ort befällt, das Fremdsein zu spüren, das alle befällt, wenn sie die ausgetretenen Pfade verlassen. Ein Roman, den man nicht nur einmal liest. Vielleicht immer wieder in seinem Leben.
Polar aus Aachen

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.09.2007
Tante Julia und der Kunstschreiber
Vargas Llosa, Mario

Tante Julia und der Kunstschreiber


ausgezeichnet

Wenn man den Clou des Romans mitbekommt, muß man schallend lachen. Er ist so geschickt eingefädelt, daß man ihn an einigen Stellen womöglich erst überliest, der eine ihn früher, der andere ihn später bemerkt. Eine literarische Komödie, beinah eine Farce und alles dreht sich um die bildschöne Tante Julia, die in Lima auftaucht, um sich einen Ehemann zu angeln. Allerdings beginnt sie eine Liebesgeschichte mit ihrem Neffen, was selbst in der Großstadt zu einem Skandal führt und die Verwicklungen weiter anheizen. Im überschwänglichen Pathos lateinamerikanisch. Heiter und mit dem Eintritt Pedro Camachos aberwitzig burlesk. Wie in einer guten Komödie halt, ist die Tragik des einen, stets das Amüsement des anderen.
Polar aus Aachen

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.09.2007
My Movie Business
Irving, John

My Movie Business


ausgezeichnet

Wer sich dafür interessiert, welche Schwierigkeiten es bereitet, aus einem Roman erst ein Drehbuch, dann einen Film zu machen, ist hier gut aufgehoben. Irving beschreibt, wie viel man streichen muß, um aus einem umfangreichen Roman knapp zwei Stunden Kino zu machen. Wie Figuren verändert, ganz fallen gelassen oder eine Eigenschaft von der einen Person auf die andere verlagert werden. Kein Wunder, daß man manchmal im Kino sitzt und den Roman besser als den Film findet. Am Ende bleibt der Eindruck zurück, daß es für einen Autor als Drehbuchschreiber vor allem um eines geht, zu retten, was zu retten ist. Ein Buch für Irving-Liebhaber, die alles von ihm lesen, weniger ein Buch für jene, die sich erneut von Irving in seine überbordende Erzählwelt entführen lassen wollen.
Polar aus Aachen