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Benutzername: 
Igelmanu
Wohnort: 
Mülheim

Bewertungen

Insgesamt 989 Bewertungen
Bewertung vom 14.01.2019
Pfeif drauf - morgen hast du's eh vergessen!
Brater, Jürgen

Pfeif drauf - morgen hast du's eh vergessen!


sehr gut

»Verstohlen blicke ich mich um. Wenn ich Glück habe, bin ja gar nicht ich gemeint. Vielleicht klammert sich ja hinter mir ein humpelnder Fünfundneunzigjähriger krampfhaft an seinem Rollator fest, oder der Bauch einer Hochschwangeren schwuppt in jeder Kurve gegen die Stehnachbarn. Doch nichts dergleichen! Das Sitzplatz-Angebot gilt zweifelsfrei mir.«

Was für ein Schock! Gerade war man selbst noch derjenige, der rücksichtsvoll älteren Menschen seinen Platz im Bus anbot – und nun findet man sich plötzlich auf der Gegenseite wieder. Offenbar ist man nun alt. Aber was bedeutet das eigentlich? Und ist das überhaupt schlimm?

Auf höchst amüsante Weise hat sich Jürgen Brater (nachdem er sich von dem Schock erholt hatte ;-) mit dem Thema „alt werden“ auseinandergesetzt. Wer selber nicht mehr taufrisch ist, erkennt mit Sicherheit viele der geschilderten Situationen und Gedankengänge wieder. Angefangen bei dem klassischen Gedanken, dass jeder älter werden, aber niemand alt sein will. Weshalb eigentlich nicht? Auf sehr lebensbejahende Art stellt Brater seine grundlegende Lebensauffassung dar, bei der jedes Lebensalter seine Vor- und Nachteile hat. Der Trick ist nun der, die Vorteile so gut wie möglich auszukosten und die Nachteile so gut es geht hinzunehmen.

Damit auch jeder versteht, was er damit meint, zählt er jede Menge Vorteile auf, die er jetzt im Alter hat und genießt. Da kann man, wenn man noch einige Arbeitsjahre zu absolvieren hat, schon manchmal neidisch werden. Ausführlich wird als erstes das Luxusproblem »Wohin mit der vielen Zeit?« behandelt und auch das Folgekapitel »Die Überlegenheit der Alten: Gelassenheit« zeigt diverse Vorteile auf.

Die Kapitel »Schöner werden wir alle nicht: Äußere Erscheinung« und »Ab sechzig geht’s bergab: Altersbeschwerden« beleuchten nun die Dinge, die einem im Alltag oft so zusetzen. Hier wird, je nach Thema, entweder zu Gelassenheit geraten oder es werden konkrete Tipps gegeben. Alles meist eingebettet in persönliche Anekdoten, die mich nicht selten schmunzeln ließen. In den folgenden Kapiteln geht es dann um »Glücklich altern«, um das Fit bleiben, um soziale Kontakte und die Familie. Und ja, auch der Tod wird nicht verschwiegen.

In der Summe ergibt das ein flott und unterhaltsam zu lesendes Buch, das wirklich gute und wichtige Gedanken aufwirft und damit wertvolle Hilfe geben kann. Aber natürlich sind Menschen und Ansichten verschieden und ich kam mit einigen davon nicht gut klar. Der Autor wirkte auf mich manchmal egoistisch und intolerant. Mich störten abwertende Äußerungen gegenüber Senioren, die sich zum Beispiel in Vereinen engagieren, Kurse belegen, einen vollen Terminkalender haben. Wenn sie so zufrieden sind, ist doch alles wunderbar in Ordnung! Und wenn er selber kein Ehrenamt ausüben will, bitte, das ist seine Sache. Aber offen gesagt finde ich nicht, dass man darauf so stolz sein muss. Und wie kann er sagen, dass ihn nicht mehr tangiert, was Menschen wie Trump tun? Er hat doch Kinder und Enkel, deren Zukunft kann ihm doch nicht gleichgültig sein? Und vielleicht sollte er auch noch ein wenig mehr bedenken, dass es ihm persönlich finanziell sehr gut geht, dass es aber auch ältere Menschen gibt, die immer noch arbeiten müssen, die sich keine seniorengerechte tolle Wohnung leisten können und auch nicht dann verreisen können, wenn sie Lust dazu haben.
Aber abgesehen von diesen kleinen Aufregern habe ich im Text so manche Anregung für mich gefunden. Und die Grundaussage, die jeweiligen Vorteile zu nutzen und den Nachteilen nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken, ist auf jedes Alter übertragbar - ich werde mich gleich mal in der Umsetzung üben.

Fazit: Tipps zum entspannteren Umgehen mit dem Älterwerden. Unterhaltsam zu lesen und mit ein paar wirklich guten Anregungen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.01.2019
Formula - Tunnel des Grauens / Pendergast Bd.3
Preston, Douglas; Child, Lincoln

Formula - Tunnel des Grauens / Pendergast Bd.3


sehr gut

»Zögernd streckte ich die Hand aus, um den Körper umzudrehen und zu sehen, wie weit die Leichenblässe fortgeschritten war.
Die Haut fühlte sich elastisch und das Fleisch warm an, was allerdings an der schwülen, feuchten Luft im Keller liegen mochte. Während ich noch dabei war, den Körper umzudrehen, sah ich zu meinem namenlosen Grauen, dass ihm ein mit Blut getränkter Fetzen Stoff in den Mund gestopft worden war.«

Grauen – das ist genau der passende Begriff. Nichts anderes befällt den Erzähler und auch den Leser an dieser Stelle, war doch der mit Blut getränkte Fetzen Stoff nichts anderes als ein Knebel, der die Schreie des Opfers ersticken sollte, an dem bei lebendigem Leib eine fürchterliche Operation durchgeführt wurde.

Bei Bauarbeiten in New York wird ein verschütteter unterirdischer Gang entdeckt, in dem die Gebeine zahlreicher Opfer eines Serienmörders aus dem 19. Jahrhunderts gefunden werden. Der Killer arbeitete offenbar an einer Formel zur Verlängerung seines eigenen Lebens, wozu er das Rückenmark anderer Menschen benötigte.
Während die alten Morde auf lediglich Interesse in der Bevölkerung stoßen, bricht kurz danach Panik aus, als aktuelle Mordopfer mit exakt den gleichen Verstümmelungen gefunden werden. Vermutlich ist ein Nachahmungstäter aktiv. Oder könnte es am Ende sein, dass der Mörder aus dem 19. Jahrhundert bei seiner Forschung erfolgreich war und immer noch lebt?
Ein Fall für Special Agent Pendergast!

Der dritte Fall für Pendergast und zugleich sein bislang schwierigster. Mir hatte schon in den ersten beiden Büchern der Reihe der Mix aus Wissenschaft und Thriller sehr gefallen, der dadurch so gut zustande kommt, dass einer der Autoren am Naturhistorischen Museum in New York arbeitete und der andere als Verlagslektor.

Das Naturhistorische Museum spielt auch diesmal wieder eine wichtige Rolle und auf die Hilfe einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin des Museums (diesmal die Archäologin Dr. Nora Kelly) kann Pendergast ebenfalls nicht verzichten.
Preston und Lincoln greifen noch auf weitere bewährte Bausteine zurück. Da gibt es einen sympathischen Cop, der die Ermittlungen unterstützt und mehr als einen unsympathischen, die das eben nicht tun. Da gibt es ebensolche Sympathieträger und Gegenspieler aus den Reihen des Museums und natürlich Reporter Smithback, sogar mit recht umfangreicher Rolle.
Pendergast ist wie immer ein Unikat, er hat etwas von Sherlock Holmes, etwas von James Bond – tja, und ganz viel von eben Pendergast. Ich mag ihn und habe immer Spaß an seinen Auftritten. Diesmal wird der Fall allerdings für ihn besonders schwierig werden!
Weil ich Pendergast so mag, nehme ich vermutlich den ebenfalls zur Reihe gehörenden übernatürlichen Anteil in Kauf. Ich bin ja normalerweise Fan von möglichst realistischen Handlungen und das meiste kann man sich (zum Glück) auch hier real vorstellen. Aber eben nicht alles. Nun gut, dadurch bekommt die Geschichte einen weiteren Gruselfaktor.

Der wissenschaftliche Anteil gehört diesmal größtenteils in den medizinischen Bereich. Empfindlichen Lesern könnten die Beschreibungen der Opfer und der Operationen auf den Magen schlagen, sie sind schon sehr detailliert und blutig. Medizinische Fachausdrücke gibt’s ebenfalls reichlich und man muss sich, wenn man nicht vom Fach ist, beim Lesen an einigen Stellen entscheiden, ob man jedes zweite Wort nachschaut oder ob man sich einfach von den beeindruckend klingenden Sätzen „erschlagen“ lässt. Letzteres ist möglich, denn worum es im Großen und Ganzen geht, ist ja klar.

Zum Schluss hin wird es sehr spannend. Mir war natürlich klar, dass es aus logischen Gründen zumindest für Pendergast gut ausgehen müsste (es gibt schließlich noch reichlich Folgebände), aber wie das geschehen sollte, war mir ein Rätsel und hat mich ans Buch gefesselt. Ich habe mich wieder gut unterhalten gefühlt und werde mit der Reihe gerne weitermachen.

Bewertung vom 05.01.2019
Leonardo DiCaprio trifft keine Schuld (eBook, ePUB)
Aeschbach, Silvia

Leonardo DiCaprio trifft keine Schuld (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

»Was, um Himmels willen, geschah mit mir? Die Farben des Himmels und der Bäume erschienen mir unerträglich grell, die Grillen zirpten nicht mehr melodisch, sie kreischten richtiggehend. Der Waldboden, der eben noch so gut nach Moos gerochen hatte, stank plötzlich nach Moder. Ich nahm alles wie durch einen Filter wahr, einen Filter, der die Umgebung nicht in ein angenehmes, weiches Licht tauchte, sondern die Bilder verzerrte. Eine Kälte, wie ich sie vorher nicht kannte, erfasste mich. Noch vor fünf Minuten war mir der Schweiß in Strömen heruntergelaufen, und jetzt hatte ich das Gefühl, in einem Eisblock zu stecken. Für einen Moment schien mein Herz stehen zu bleiben, doch dann begann es noch wilder zu rasen.«

Silvia Aeschbach ist siebzehn, als sie die erste Panikattacke ihres Lebens vollkommen unvorbereitet trifft. Sie fühlt sich wie in einem Horrorfilm, glaubt zu sterben. Ein Erlebnis, das sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte zigfach wiederholen wird…

Sehr viele Menschen leben so wie Silvia mit einer Angsterkrankung, etwa jeder fünfte leidet zumindest zeitweise unter Angstzuständen. Und die Dunkelziffer ist hoch, denn noch immer trauen sich viele nicht, über ihre Ängste zu reden. Oder sie versuchen es, versuchen bei einem Arzt Hilfe zu erhalten, doch dieser behandelt lediglich die Symptome und erkennt nicht die Ursache dahinter.

In einer leicht zu lesenden, humorvollen und selbstironischen Art, schreibt Silvia über ihre Angst und ihr Leben mit ihr. Alles wirkt sehr ehrlich und offen, wer selber betroffen ist, erkennt sich an vielen Stellen wieder. Mir jedenfalls ging es so.
Ich fand das Buch enorm berührend, ich konnte so gut nachfühlen, was Silvia empfand und gleichzeitig gingen mir beim Lesen so viele Situationen aus meinem eigenen Leben durch den Kopf, ich erinnerte mich an die ersten Attacken, die ich bereits als Kind erlebte, an all das, was danach kam… Ich glaube, ich könnte auch ein Buch füllen. Nur ohne Leonardo ;-) Jedenfalls bin ich sicher, dass es mir sehr geholfen hätte, wenn ich dieses Buch früher gelesen hätte. Als Betroffener erkennt man, dass man es schaffen kann, ein gutes und erfolgreiches Leben zu führen. Mit und trotz der Angst.
Zusätzlich zu ihren eigenen Erlebnissen vermittelt Silvia viel Wissen rund um die Panik. Angefangen bei ganz allgemeinen Dingen wie dem Fakt, dass man Panik, im Gegensatz zur „normalen“ Angst, nicht durch Mut oder Willen überwinden kann. Es gibt medizinische Hintergrundinfos und einige interessante (oft auch unterhaltsame) Listen mit „Top Ten“, zum Beispiel die Top Ten der Symptome oder der Dinge, die man als Paniker wissen sollte. Sehr treffend auch die Liste der Sätze, die man während einer Panikattacke nicht hören will! Und schließlich Silvias persönliche Tipps – eine tolle Liste!

Nun sind zum Glück die meisten Menschen nicht betroffen. Für sie wird dieses Buch sicher auch hilfreich sein, denn vermutlich können sie sich nicht vorstellen, was ein Paniker durchmacht. Womöglich glauben sie, dass sie jemandem mit einer Panikattacke helfen könnten, wenn sie ganz ruhig auf ihn einreden. Dass alles nur eine Frage der Beherrschung ist und sicher nicht so schlimm. Wer dieses Buch liest, wird hoffentlich mehr Verständnis entwickeln und darf sich im Gegenzug über die sehr selbstironischen Schilderungen amüsieren. Denn ganz ehrlich: Wenn man nicht selbst betroffen ist, ist so einiges wirklich unfreiwillig komisch.

Fazit: Vielen Dank Silvia Aeschbach für dieses informative, ehrliche und mutmachende Buch! Sehr lesenswert für jeden, der selber unter Ängsten leidet und für jeden Interessierten.

Bewertung vom 04.01.2019
Im Bann der wilden Tiere
Kieling, Andreas

Im Bann der wilden Tiere


ausgezeichnet

»Auf einmal nahm ich in den Weidenbüschen vor mir eine Bewegung wahr, keine 30 Meter von mir entfernt. Im ersten Moment war ich erleichtert, denn ich dachte, es sei nur ein Elchkalb. Doch dann dachte ich nur noch: Ach du Schreck, das ist ja ein ziemlich großer Grizzlybär! Sofort gingen bei mir intuitiv alle Alarmglocken an, die offensichtlich jeder von uns hat, wenn man sich mit einem der größten Raubtiere dieser Erde konfrontiert sieht – ohne Gitterstäbe oder einen Wassergraben dazwischen.«

Schon als kleiner Junge hatte es für Andreas Kieling nichts Schöneres gegeben, als Tiere zu beobachten. Stets zog es ihn in die Natur, so nah hin zu den Tieren, wie es nur eben ging. Dieser Begeisterung blieb er als Erwachsener treu und bereist nun seit fast 30 Jahren die Welt. Der berühmte Tierfilmer und -fotograf ist über 8 Monate pro Jahr unterwegs, immer auf der Suche nach wilden Tieren in unberührten Landschaften.

Mit diesem Buch nimmt er den Leser mit auf eine Reise quer durch alle Kontinente. In 20 Kapiteln präsentiert er atemberaubende Fotografien, unterlegt mit Texten, die gleichzeitig informativ sind und durch persönliche Schilderungen bestechen. Immer wieder teilt Kieling mit dem Leser für ihn unvergessliche Momente, und das auf eine so intensive Art, dass man deutlich seine Begeisterung spürt.

Das Besondere an seinen Fotografien (und Filmen) ist, dass er stets versucht, den Tieren so nah wie möglich zu kommen, um sie so natürlich und lebensecht wie es nur geht darzustellen. Auf manchen Bildern ist er selbst zu sehen, während er filmt. Und sich dabei in unmittelbarer Nähe der Tiere befindet. Natürlich hat er gelernt, wie man sich in der Wildnis verhält, trotzdem würde ich sein Handeln nicht selten als ordentlich gefährlich bezeichnen. Wo andere Sicherheitsabstand halten, geht er nah ran – zur Freude des Lesers bzw. Betrachters.

So blicke ich staunend, fasziniert und voller Bewunderung auf Nahaufnahmen wunderschöner und beeindruckender Tiere, schaue in Gesichter, in denen der Ausdruck klar erkennbar ist. Dazu kommen herrliche Bilder prächtiger Landschaften, ich kann mich gar nicht sattsehen und blättere immer wieder vor und zurück. Ich besitze viele Tier- und Naturbücher, habe aber lange keins mehr in der Hand gehabt, dass mich so gefesselt hat.

Fazit: Ich bin begeistert! So viel Leben in faszinierenden Bildern! Dieses Buch kommt ins Regal mit meinen Lieblingsbüchern.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.01.2019
Die Engelmacherin von St. Pauli
Hanke, Kathrin

Die Engelmacherin von St. Pauli


sehr gut

»Wir haben keinen einzigen Beweis, nur Indizien und Aussagen von anderen, die gegen die Wiese sprechen. Hätten wir nur einen einzigen Hinweis, wäre mir wohler und wir würden die Frau schnell hinter Gitter bringen können… Schaffen Sie mir mehr heran Heuer, das sind wir den wahrscheinlich toten Kindern schuldig, denn ja, ich glaube ebenso wie Sie, dass die Wiese sie aus reiner Habgier ohne mit der Wimper zu zucken ermordet hat. Also sehen Sie zu. Irgendwie müssen wir sie drankriegen. Für was auch immer und wenn wir sie erst einmal in Untersuchungshaft haben, dann bekommen wir sie für ihre Taten aufs Schafott.«

Am 2. Februar 1905 endete das Leben von Elisabeth Wiese auf dem Schafott. Verurteilt wurde sie vom Hamburger Schwurgericht für den Mord an mindestens fünf Babys. Bis zuletzt leugnete sie, die Taten begangen zu haben. Kathrin Hanke hat sich auf Spurensuche gegeben und erzählt hier die Geschichte einer Frau, die für viele zum klassischen Bild der bösen Hexe aus dem Märchen passt.

Die Taten erschüttern, die Liste der Gräueltaten, die Elisabeth Wiese zugerechnet werden, ist ebenso lang wie schlicht unfassbar, die Abtreibungen werden geradewegs zu harmlosen Anfängen. Da wird die eigene Tochter misshandelt und zur Prostitution gezwungen, dem Ehemann trachtet sie (ohne Erfolg) nach dem Leben, sie ermordet den eigenen kleinen Enkel und diverse andere Babys und verbrennt die kleinen Leichen im heimischen Küchenherd.
Zumindest kam das Gericht nach Zeugenaussagen und Indizien zu diesem Urteil.

Das Buch las sich sehr flott und fesselte mich von der Handlung her enorm. Allerdings gefiel mir die zweite Hälfte deutlich besser, in der es um die Ermittlungen ging, um den Versuch, die verschwundenen Babys zu finden. Da wurden Indizien gesammelt, Zeugen befragt, immer wieder auch Elisabeth Wiese selbst. Dieser Teil wirkte sehr fundiert und nachvollziehbar, die ermittelnden Polizisten erschienen engagiert und bemüht, die Wahrheit herauszufinden und sich nicht einfach von dem Bild der „Hexe“ beeindrucken zu lassen.

Der erste Teil erzählte umfangreich die Geschichte der Tochter Paula. Diese Geschichte ist wichtig, was Paula widerfahren ist, ist von großer Bedeutung, denn schließlich war sie eine der Hauptbelastungszeuginnen im Gerichtsprozess. Allerdings wirkte dieser Teil häufig zu romanartig, speziell die vielen bösartigen Gedanken und Empfindungen, die Elisabeth hier zugesprochen werden, lassen sich in keiner Weise belegen. Selbst Paula konnte lediglich aussagen, was ihre Mutter sagte und tat, aber nicht, was sie dachte. Elisabeth selbst hat sich nie geäußert, hat ohnehin alles abgestritten und so etwas wie psychologische Gutachten (selbst in einfachster Form, der damaligen Zeit entsprechend) gab es wohl auch nicht. Wenn ich dann Seite um Seite lese, was Elisabeth angeblich alles Schlimmes dachte und fühlte, dann ist das für mich nicht „True Crime“.
Bitte nicht falsch verstehen, ich glaube, dass das damalige Gericht und die Polizei ihre Arbeit gut gemacht haben und ich glaube, dass Elisabeth Wiese schuldig war. Aber mich persönlich spricht – speziell bei einem wahren Kriminalfall – größere Objektivität mehr an.

Fazit: Faszinierende und sehr gruselige Geschichte einer Serienmörderin. Da es sich um eine wahre Geschichte handelt, hätte ich mir an einigen Stellen mehr Objektivität gewünscht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.01.2019
Das Labyrinth der Lichter / Barcelona Bd.4
Ruiz Zafón, Carlos

Das Labyrinth der Lichter / Barcelona Bd.4


ausgezeichnet

»Die Erinnerungen, die man im Schweigen begräbt, sind die, die einen unaufhörlich verfolgen.«

Madrid, im Jahr 1959. Ein einflussreicher Minister wurde entführt, Alicia, eine Geheimagentin, erhält den Auftrag, ihn zu finden. Dazu muss sich Alicia in ihre Heimatstadt Barcelona aufmachen. Bei der Suche müssen sich sowohl Alicia als auch die anderen Protagonisten immer wieder eigenen Dämonen und den Schatten der Vergangenheit stellen. Für alle Beteiligten wird es äußerst gefährlich und für den Leser sehr spannend…

Ich liebe Zafóns Barcelona Reihe, hatte mich sehr auf diesen Band gefreut. Erwartet hatte ich einen Abschlussband, doch dieser 4. Teil kann viel mehr. Auf raffinierte Art verknüpft er die vier Bände miteinander, lässt Handlungen zusammenlaufen, füllt Lücken. Trotzdem funktioniert dieses Buch eigenständig, man kann es verstehen, ohne die anderen Werke kennen zu müssen. Ich fand das persönlich sehr hilfreich, denn obwohl ich die anderen Bände verschlungen habe, liegen einige Jahre und viele andere Bücher dazwischen und meine Erinnerung hatte ebenfalls Lücken. Der Kunstgriff, durch den dieses Verständnis funktioniert, ist, dass jedes Buch einen anderen Ansatz verfolgt, jedes den Leser auf anderem Weg »ins Zentrum der Geschichte« führt.
Wie schreibt man so? Ich war wieder begeistert! Die Geschichte entwickelt einen Sog, der fesselt, einen nicht mehr loslässt, verhindert, dass man das Buch weglegt und Dinge tut, die man eigentlich tun müsste.

Wer wie ich die Vorgängerbände kennt, freut sich über ein Wiederlesen mit den großartigen Charakteren, zu denen hier neue, interessante hinzukommen. Natürlich spielen die Buchhandlung Sempere & Söhne und der Friedhof der vergessenen Bücher wieder eine wichtige Rolle, die Sprache ist gewohnt poetisch und von unglaublicher Strahlkraft. Die politische Situation in den Tagen des Franco-Regimes wird intensiv dargestellt, es kommt dabei auch zu einigen sehr brutalen Schilderungen, die empfindlichen Lesern möglicherweise zusetzen könnten.

Fazit: Großartiger Abschlussband der Reihe! Es ist Jahre her, dass ich in Zafóns Barcelona war – ich schätze, ich werde bald wieder zu Band 1 zurückkehren.

»Eine Geschichte hat weder Anfang noch Ende, nur Eingangstüren.«

Bewertung vom 01.01.2019
Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten
Carr, J. L.

Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten


ausgezeichnet

»Bei militärischen Operationen hat die Auswahl des Kampfgeländes schon immer eine entscheidende Rolle gespielt. … In Bannockburn haben die Schotten das Feld listig mit versteckten Kuhlen versehen, und bestimmt werden Sie sich erinnern, dass es unser Wellington in Waterloo so eingerichtet hat, dass die Franzosen es in beiden Schlachten mit einem ansteigenden Gelände zu tun hatten. Daher sollten Sie sich ein neues Spielfeld suchen, und zwar eines, das sich weitestgehend von jenen unterscheidet, auf denen Profis zu spielen gewohnt sind. Nehmen wir an, die Qualität des Rasens von Wembley liegt bei hundert Punkten, dann darf Ihr Acker nicht mehr als fünfzehn Punkte auf derselben Skala erreichen.«

Die Auswahl des geeigneten Spielfeldes ist nur eine von sechs Regeln, mit deren Hilfe die Steeple Sinderby Wanderers es mit den großen englischen Fußballmannschaften aufnehmen wollen. Ihr Ziel ist die Teilnahme am FA-Cup und – wenn man schon mal dabei ist – der Pokalsieg. Ein reichlich ehrgeiziges Projekt, wenn man aus einem 547-Seelen-Dorf kommt und sich die Mannschaft aus Milchmännern, Bauern, dem Pfarrer und ein paar Minenarbeitern zusammensetzt…

Ein Buch über Fußball? Nicht ganz. Natürlich geht es um das runde Leder, aber als ich mit dem Lesen begann, stellte ich schnell fest, dass hier noch viel mehr drinsteckt.
Klar ist von Anfang an, dass wir den Weg krasser Außenseiter verfolgen, die sich durchkämpfen und (der Titel verrät es bereits) am Ende siegreich sind. Nimmt das nicht die Spannung, wenn man schon weiß, dass die Wanderers den Pokal nach Hause bringen werden? Ganz klar: nein, zu keinem Zeitpunkt.
Handlung und Ausgangssituation sind schräg, die Spielberichte spannend erzählt, aber richtig los geht’s abseits des Spielfeldes, beim Umgang mit der Presse und der Weltöffentlichkeit, mit Politikern, Behörden und generell allen Personen und Institutionen, die sich gemeinhin als wichtig ansehen. Dieses Dorf hat ein paar unglaublich tolle und starke Charaktere und sie lassen sich von niemandem einschüchtern – das zu lesen hat großen Spaß gemacht!
Muss man jetzt Fußballfan sein, um das Buch zu mögen? Ebenfalls nein. Ein Fan hat natürlich seine Freude, aber all das, was neben dem Spiel passiert, ist nicht selten umfangreicher als die Spielreportagen selbst. Und man versteht diese und ohnehin das, um was es wirklich geht, auch ohne Regelkenntnisse.
Auch nach dem Spiel geht es noch ein bisschen weiter, hier gibt es sogar nachdenkliche Passagen. Das Leben hat sich verändert, was kommt nach diesem einen großen Moment im Leben?

Der Stil ist gekennzeichnet durch herrlich britischen Humor und feinen Wortwitz. Manche Absätze habe ich mehrfach gelesen, weil sie einfach Spaß machten und ich sie erneut genießen wollte. Ständig sprang mein Kopfkino an, präsentierte mir erfolgreiche deutsche Fußballvereine, einflussreiche Politiker und Manager – und ich stellte mir ihre Gesichter in den beschriebenen Szenen vor. Eine sehr schöne Vorstellung! Die Realität sieht leider meist anders aus, aber träumen kann man schließlich. Und außerdem hat eine ordentliche Portion Frechheit und Kreativität gepaart mit Überheblichkeit des Gegners schon einige Male für überraschende Ergebnisse gesorgt. Vielleicht sollte man dieses Buch den Spielern kleiner Amateurvereine zu lesen geben, denen im DFB-Pokal die Spitzenklubs der 1. Liga zugelost werden ;-)

Fazit: Fußball und noch viel mehr. Dieses Buch hat einfach Spaß gemacht und überrascht durch Tiefe.

Bewertung vom 30.12.2018
Hochsaison / Kommissar Jennerwein ermittelt Bd.2
Maurer, Jörg

Hochsaison / Kommissar Jennerwein ermittelt Bd.2


sehr gut

»Sein Absprung war hervorragend, wie aus dem Lehrbuch, und hoch erhob sich der dänische Ikarus ins Blaue. … Jetzt aber, am höchsten Punkt des Kegelschnitts, an dem Punkt, wo es höher nimmer geht, kam er ins Schlingern, der Däne, ins Trudeln, er legte sich seitlich wie ein Kajakfahrer in einer neuen Wasserströmung, das war keine gute Flugtechnik, das war gar keine Technik mehr, nein, das war ein Absturz.«

Beim Neujahrsspringen im Kurort (ganz offensichtlich Garmisch-Partenkirchen) stürzt der dänische Außenseiter schwer. Kommissar Jennerwein muss zu seinem Schrecken feststellen, dass hier kein einfacher Unfall vorlag, sondern dass dem Absturz nachgeholfen wurde. Aber wie, warum und durch wen? In einem skurril anmutenden Bekennerbrief werden weitere Anschläge angekündigt, viel Arbeit liegt vor Jennerwein und seinem Team...

Auch dieser Alpen-Krimi bietet wieder eine tolle Kombination aus spannendem Krimi, viel schwarzem Humor und witzigen Dialogen. In Sachen bayerischer Lebensart, Dialekt und Eigenarten wird jedes nur denkbare Klischee aufgegriffen und höchst amüsant aufs Korn genommen.

Von dem sympathischen Ermittlerteam mag ich neben Jennerwein besonders die junge Kommissarin aus Recklinghausen, die sich mit geringem Erfolg um den Erwerb bayerischer Sprachkenntnisse bemüht. Das aus dem ersten Band bekannte Bestatterehepaar Grasegger taucht ebenso wieder auf wie „Problemlöser“ Swoboda, zusätzlich spielen mehrere Asiaten und ein Scheich wichtige Rollen.

Fazit: Diese Reihe hat eine ganz besondere Atmosphäre, unterhaltsam, spannend und voller schwarzem Humor. Zum Glück warten hier schon die nächsten Bände der Reihe auf mich ;-)

Bewertung vom 30.12.2018
DuMont Reise-Taschenbuch Reiseführer Fuerteventura
Lipps, Susanne

DuMont Reise-Taschenbuch Reiseführer Fuerteventura


ausgezeichnet

Ich liebe Fuerteventura, die Insel hat für mich ein ganz besonderes Flair. Allerdings hatte ich noch keinen Reiseführer dazu gelesen, dies aber nun geändert. Und mit diesem Reise-Taschenbuch habe ich wirklich einen guten Griff getan.

Es ist sehr übersichtlich aufgebaut. Schon der Einführungsteil mit allgemeinen Infos zur Insel ist umfangreich und hat von deutschen Websites angefangen, über Wetter, Verkehrsmittel, regionale Spezialitäten, Feste, Umgangsformen und vieles mehr alles Grundlegende parat, was man als Tourist wissen sollte. Wer sich für Geschichte interessiert, kommt ebenfalls auf seine Kosten.

Im Anschluss wird es dann konkreter. Die Insel wird nach Regionen aufgeteilt, jede Region in einem umfangreichen Kapitel behandelt. Eine Übersicht „Das Beste auf einen Blick“ leitet es ein, dabei sieht man auf einen Blick die Highlights und die wichtigsten Punkte der Unterkapitel „Auf Entdeckungstour“, „Kultur & Sehenswertes“, „Zu Fuß unterwegs“, „Genießen & Atmosphäre“ und „Abends & Nachts“. Es folgen präzise Ausführungen, ergänzt mit Karten und Fotos. Apropos Karten: Neben einer Übersichtskarte zu Beginn gibt es eine separate große Reisekarte (herausnehmbar), mehrere Citypläne und Tourenkarten.

Es werden wirklich alle Interessen berücksichtigt. Wer ein schlichter Sonnenanbeter ist und gerne im Meer schwimmt, bekommt reichlich Infos zu Stränden und Bademöglichkeiten. Wer gerne wandert, darf sich auf viele Routenvorschläge freuen. Mir waren die Infos zu Natur und Vogelbeobachtungen wichtig, andere werden großen Wert auf Kultur, Architektur, Geschichte, Kunst, Sport, Shopping oder Nachtleben legen.

Wie kann man weibliche von männlichen Windmühlen unterscheiden? Wo kann man auf der Wüsteninsel das Quaken von Fröschen hören? Und wohin fährt der Hobby-Astronom, um einen Blick auf (dank fehlender Lichtverschmutzung) 15.000 Gestirne zu erhalten? Auch auf solche Fragen gibt es Antworten. Ein kleiner Sprachführer, der dem Leser das kanarische Spanisch näherbringt, vervollständigt das Handbuch.

Fazit: Unterhaltsam zu lesen, sehr informativ und gleichzeitig kompakt. Die Autorin hat viele Lieblingsorte auf der Insel – und ich sicher bald auch noch ein paar mehr.

Bewertung vom 30.12.2018
Kluftinger / Kommissar Kluftinger Bd.10
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

Kluftinger / Kommissar Kluftinger Bd.10


ausgezeichnet

Als großer Klufti-Fan hatte ich das Erscheinen dieses Buchs herbeigesehnt. Der Lesespaß setzte dann auch wie erhofft gleich auf der ersten Seite ein. Im Jubiläumsband dreht sich wirklich alles um den Allgäuer Kultkommissar, immer wieder gibt es ganze Kapitel, die in Kluftis Vergangenheit spielen. In erster Linie wird dabei natürlich nach einem Grund gesucht, weshalb jemand ihn aktuell bedroht, nebenbei erfährt man aber auch viel Persönliches über ihn. Wie er mit seiner Erika zusammenkam beispielsweise, wie er zur Kripo kam oder wie sein erstes Zusammentreffen mit dem späteren Lieblingsfeind Dr. Langhammer ablief.
In der Gegenwart erfreuten mich besonders die Episoden mit Klufti und Langhammers Hund und ein herrlich komisches Kapitel, in dem Klufti sich als Babysitter seines Enkels betätigen muss. Was habe ich gelacht!

Dieser Band ist wirklich enorm witzig, aber nicht nur. Vor allem im letzten Drittel wird es spannend und die Auflösung leitet schon über zum hoffentlich bald erscheinenden nächsten Fall. Zuvor muss aber reichlich Ermittlungsarbeit betrieben werden und Kluftis gesamtes Team ist gefordert. Erschwert wird die Arbeit durch Probleme mit einem Teammitglied und das Auftauchen des kriminellen Protagonisten aus einem früheren Band. Bei so einem Jubiläum zieht man eben alle Register!

Nur eins fand ich schade. Ich kenne jetzt Kluftis Vornamen. Natürlich habe ich mich immer gefragt, wie er wohl heißt, ich hatte mich aber auch immer königlich amüsiert, weil so ein Geheimnis darum gemacht wurde. Das ist jetzt gelüftet. Schade.

Fazit: Der Jubiläumsband ist für Fans ein Muss und ein großer Spaß. Ich warte schon auf Band 11!

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.