Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
heinoko
Wohnort: 
Bad Krozingen

Bewertungen

Insgesamt 587 Bewertungen
Bewertung vom 10.05.2019
Bell und Harry
Gardam, Jane

Bell und Harry


ausgezeichnet

Poetisch schön
1981 wurde dieses Buch bereits geschrieben; in diesem Jahr war die Autorin 53 Jahre alt. Das erscheint mir insofern bedeutsam, als die Autorin in dem vorliegenden Buch auf ganz feine, einfühlsame Weise in die Erlebniswelt zweier kleiner Jungen schlupft und uns aus deren Sicht die Geschichte erleben lässt.
Die Familie Batemans aus London, insbesondere der etwas nervöse Vater, sehnt sich nach Ruhe und Erholung. Und so mieten sich die Batemans ein in einem alten, leer stehenden Bauernhaus, das der Bauernfamilie Teesdales, den Eltern des 8-jährigen Bell, gehört. Harry, der jüngste Sohn der Batemans, lernt nach einer Weile den Bauernsohn Bell kennen, und nach und nach freunden sich die beiden Jungen an. Je mehr sie gemeinsam erleben, je mehr teils riskante Abenteuer sie gemeinsam bestehen, je mehr Sommer sie miteinander verbringen, desto enger wird ihre Freundschaft. Was den Erwachsenen erst nach vielen, vielen Jahren gelingt, nämlich die Überbrückung der unterschiedlichen Lebenswelten der Städter und der Bauern, das schaffen Harry und Bell ganz mühelos.
Es ist ein leises Buch, das ganz ruhig und friedlich erzählt. Und irgendwie, man weiß gar nicht so recht wie, entsteht beim Lesen ein entspanntes, wohliges Urlaubsgefühl. Der Zauber der Kindheit, der Zauber einer stillen Landschaft macht sich im Leser breit. Man genießt die geschilderte Natur, man amüsiert sich über komische, schrullige, liebenswerte Dorfbewohner und kann die Missverständnisse zwischen Städtern und Bauern nachvollziehen. Man hat beim Lesen das Gefühl, als säße Jane Gardam mit weißem Haar im Ohrensessel und erzählte uns Zuhörern sehr lebendig von früher, vom Zauber der Kindheit. Poetisch schön.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.05.2019
Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall
Dara, Domenico

Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall


ausgezeichnet

Welch ein anrührender Roman
Der Postbote von Girifalco ist ein liebenswerter Sonderling, der viel verborgene Traurigkeit in sich trägt und der Trost für sich selbst und für andere Bewohner des kleinen Örtchens findet, indem er erst zaghaft, dann immer mutiger beginnt, Schicksal zu spielen. „Er konnte die leeren Taschen seiner Existenz mit Fragmenten aus dem Leben anderer füllen…“
Vom Verlag wird der Inhalt sehr schön angekündigt: „Süditalien 1969. Im verschlafenen Girifalco geht alles seinen gewohnten Gang – die anstehenden Kommunalwahlen sind schon das Aufregendste, was auf absehbare Zeit zu erwarten ist. Doch im Geheimen zieht ein guter Geist die Fäden, ohne dass die anderen Dorfbewohner es ahnen: Denn der Postbote des Ortes ist ein melancholischer Einzelgänger, der die Philosophie liebt und Zufälle sammelt – und nebenbei heimlich in den Briefverkehr des Dorfes eingreift. So versucht er, den Dingen die richtige Richtung zu geben. Unglücklich Liebende werden zusammengeführt, politische und amouröse Betrugsversuche verhindert, und Mütter bekommen plötzlich Post von ihren in der Ferne verschollen geglaubten Söhnen. Der Postbote von Girifalco scheint sich in seinem zurückgezogenen Dasein eingerichtet zu haben – bis ein mysteriöser Brief aus der Vergangenheit auftaucht, der das Dorfleben im Allgemeinen und seines im Besonderen gehörig ins Wanken bringt.“
Die Geschichte wird auf eine so beschwingte und feinfühlige Weise erzählt, in einer mitunter fast lyrisch anmutenden Sprache, dass man mit ganz großem innerem Mitgefühl liest und liest. Man genießt die pittoresk geschilderten Momentaufnahmen eines früheren, ursprünglichen Italiens, man liebt die Einwohner, die oftmals schrullig, immer aber auf irgend eine Weise besonders sind, und man liebt den Postboten, der so unnachahmlich über den Zufall und das Schicksal nachdenken kann, der letztlich in dem sicheren Bewusstsein, das Notwendige zu tun, gesetzte Grenzen überschreitet und gerade dadurch seine Seinsberechtigung erfährt.
Das Buch ist eine wunderbare Schulung der Fähigkeit, scheinbar Unzusammenhängendes in seinen Zusammenhängen zu sehen. Nach Lektüre des Buches ist man vielleicht achtsamer, genauer in seinen Wahrnehmungen. Ein anrührend-schönes Buch!

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.05.2019
Marillen & Sauerkraut
Jöllinger, Harald

Marillen & Sauerkraut


ausgezeichnet

„Weil alle Leute gemeinsam immer depperter werden, merken sie’s nicht.“
Mehr ist eigentlich gar nicht mehr zu sagen über das Buch, oder doch? Weil eigentlich habe ich das Buch gar nicht gelesen, obwohl es vor mir liegt, mit Lesebändchen sogar, und aufgeschlagen. Kaum hatte ich mit den ersten Zeilen begonnen, da wirkt er schon, der Marillenschnaps. Und ich finde mich in einem Beisl, und da sitzt der Harald Jöllinger mir gegenüber mit seinem Bier, schaut hinterkünftig und erzählt und erzählt und hat seinen Spaß. Vielleicht heißt er auch in echt Helmut Qualtinger. Auf jeden Fall stammt er in direkter Linie ab von Alfred Polgar und den vielen weiteren österreichischen Schreibern, die ihr Hirn als Waffe benutzt haben. Ganz sicher. Denn so bös-lustig, wie der Harald Jöllinger den Spiegel vorhält, das können nicht viele. Eine Übersetzung tät ich manchmal brauchen, aber da schau, da gibt es ja sogar ein Glossar. Jetzt weiß ich auch, was „blad“ heißt. Und der Jöllinger erzählt weiter. Es freut ihn, dass ich seinen musikalischen Zanussi so sehr mag. In was sich der Jöllinger alles hineindenken kann, Respekt. Schon allein, was die (ganz und gar nicht) hinige Puffn erzählt, dass sie fast schon romantische Gefühle kriegt, oder dass eine Gelse einen sehr feinen Geschmackssinn hat. Hab ich noch nicht gewusst. Geschichten von vorn (schau mir in die Augen) und von hinten (schau mir auf den Hintern) erzählt mir der Harald Jöllinger, von marillensüß bis sauerkrautsauer, alles da. Wie ein Obdachloser so vor sich hin sinniert über die depperten Leut und den Schnee, also da gfriert mir auch alles. So schlimme Geschichten gibt es, so viel Einsamkeit, so viel Grausiges, in dem sich das Leben mancher Leute verheddert, nicht nur im Gummibaum. „Es rötet mir“ ist eine der schlimmsten Geschichten. Gut hinghört und gut hingschaut hat er, der Harald Jöllinger, und er denkt sich schwer was dabei, nix mit Schneckendenk. Er hat’s halt auch, das Hirn als Waffe.
Und am End all der Gschichten, da hab ich gschaut, dass ich fortkomm, nicht dass der Harald Jöllinger mich plötzlich so anschaut wie all die anderen Leut, und dann anfängt zu erzählen von einer depperten Alten, die ihm von Anfang bis Ende zughört hat und ihm begeistert auf den Leim gegangen ist…

Bewertung vom 01.05.2019
Marina, Marina
Landau, Grit

Marina, Marina


ausgezeichnet

Über die Unausweichlichkeit des Schicksals
Das Buch kommt wie der Wolf im Schafspelz daher. Es verlockt mit einem Cover, das Urlaubsgefühle vermittelt und mit urlaubsmäßigen Szenen Anfang der sechziger Jahre, als für die Deutschen Italien und Urlaub zusammengehörten und der Schlager „Marina, Marina“ durch alle Radiokanäle klang. Und so lehnte ich mich beim Lesen entspannt zurück, erinnerte mich an meine eigene Kindheit in dieser Zeit, an die aufregende Besonderheit, im Ausland Urlaub zu machen, die erste Begegnung mit Strand und Meer. Die Autorin schildert in sehr stimmungsvollen Momentaufnahmen das italienische Lebensgefühl dieser Zeit in einem kleinen Ort, in dem der junge Nino die Mutter seines besten Freundes heimlich und heftig anbetet, die schöne Angebetete namens Marina jedoch eine leidenschaftliche Affäre beginnt mit einem Mann, dessen Identität wir zwar ahnen, aber erst viele, viele Seiten später erfahren sollten. So beginnt eine Zeitreise durch die Jahre 1960 – 1968, lautmalerisch jeweils eingeleitet durch einen für dieses Jahr typischen Hit. Das Schicksal jedoch wirkt schier unausweichlich, und der Leser wird in dieses Spinnennetz des Lebens und Liebens immer mehr hineingezogen. Je weiter man sich lesend in den Schicksalsfäden der verschiedenen Familien verstrickt, umso mehr verlassen uns die anfänglichen urlaubsleichten Gefühle, bis hin zu diesem entsetzlichen Rückblick in das Jahr 1944.
Die Autorin hat mich über die Maßen überrascht. Anfänglich plätschert das Buch so dahin, in wechselnd zusammengestellten Szenen unterschiedlicher Intensität erleben wir jugendliche Irrungen und Wirrungen und die Hitze des Sommers und der Gefühle. Dann aber offenbart das Buch zunehmend seine wahre Kraft, denn dramatische Geschehnisse, intensiv geschildert, treffen den Leser mit voller Wucht. Die Autorin beobachtet mit scharfen, geradezu indiskreten Augen die Menschen und ihre Verstrickungen, ihre Hoffnungen, Sehnsüchte und ihr Scheitern, ohne Stellung zu beziehen. Es geschieht was geschieht.
Ein Buch, so vielseitig und unvorhersehbar wie das Meer. Still dümpelnde Wellen, die harmlos im Gleichmaß am Strand auslaufen, dann auf einmal gewaltige, kraftvolle, brüllend laute Wellen, die alles verschlingen wollen. Der Rhythmus des Meeres ist der Rhythmus des Lebens: unausweichlich. Überhaupt: Unausweichlichkeit scheint mir die Botschaft des Buches, die Unausweichlichkeit der Gefühle, aber auch die Unausweichlichkeit eines Schicksals, das uns sowohl trägt als auch zerstört, so wie das Meer, unaufhaltsam.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.04.2019
Komme, was Wolle
Hochfellner, Steffi

Komme, was Wolle


ausgezeichnet

Allmächd…
Angelockt wurde ich durch die Verlagsankündigung und die darin enthaltenen Reizwörter wie „Nürnberg“ oder „Wolle“ oder „eigener Laden“, doch meine Erwartungen an das Buch waren nicht besonders hoch. In völliger Unkenntnis der Autorin war ich von einem mäßig gut, vielleicht sogar eher laienhaft geschriebenen Buch ausgegangen, nett angereichert mit ein paar kreativen Ideen. Aber bereits nach wenigen Seiten Lektüre hatte sich Steffi Hochfellner völlig überraschend mitten in mein fränkisches Herz geschrieben und ich konnte nicht mehr aufhören zu lesen.
Worum geht es? Der Verlag beschreibt es so: „Die 34-jährige Franzi ist begeistert, als sie das Haus ihrer Großtante Gerlinde erbt, nebst dazugehörigem Kurzwarenladen und einem vorlauten Entenpaar. Mit Sack und Pack zieht sie von Nürnberg nach Ostfriesland – und stellt fest, dass erstmal gründlich saniert werden muss. Zum Glück kann sie auf die Hilfe einer patenten Rentner-Truppe und ihrer neuen Freunde Rieke und Joost zählen. Schnell rückt der Termin zur Neueröffnung der „Wunderkiste“ näher, doch immer wieder kommt es zu gemeinen Sabotageakten. Missgönnt jemand Franzi ihren Traum? Eins ist jedoch klar: Aufgeben gilt nicht!“
Zugegebenermaßen: Die erzählte Geschichte ist nicht anspruchsvoll, sie ist leicht lesbar, ein wenig klischeehaft, und sie geht märchenhaft gut aus. Aber wer will nicht zwischen all den schweren und problembehafteten Lektüren auch einmal etwas lesen, was einfach „nur“ unterhält? Steffi Hochfellner schreibt frisch und lebendig. Man erlebt mit ihrer sympathischen Heldin Franzi hautnah deren Gefühlsirrungen und –wirrungen, ist mit ihr fröhlich, traurig, mutig, verzagt oder hoffnungsfroh. Die Geschichte bleibt dabei stets spannend, denn manche rätselhaften Vorfälle erklären sich tatsächlich erst gegen Ende des Buches. Dass Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt Grundpfeiler des guten menschlichen Miteinanders sind, lässt uns die Autorin auf herzerwärmende Weise erleben. Aber auch, dass dem Ausleben von Kreativität eine besondere Kraft innewohnt, wird dem Leser auf durchaus ansteckende Weise nahe gebracht. Die als Bonus im Buch angefügten 15 Anleitungen n verschiedensten Techniken sind außerordentlich detailliert und sorgfältig ausgearbeitet und entsprechend gut nachzuarbeiten.
Fazit: Ein frisch-lebendig und warmherzig erzählter Roman, tierlieb, menschenfreundlich, amüsant, eine Brücke schlagend zwischen Süd und Nord. Ich habe mich als gebürtige Nürnbergerin und langjährige Wollgeschäft-Inhaberin bestens unterhalten gefühlt mit Weggla, Gniedla und Ostfriesentee , mit vollen Wollregalen, Entennachwuchs, schwierigen Nachbarn und gestrickten Mützen. Sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 22.04.2019
Wo die Geschichte endet
Piperno, Alessandro

Wo die Geschichte endet


ausgezeichnet

Ein feiner, ein großer Roman
Das Cover setzt den Titel des Buches auf besondere Weise bildhaft um: Das Ende eines Mahls, verstreute Brösel, halbleere Gläser, die weißen Mäuse tanzen auf dem Tisch… Wie soll ich nur dieses besondere Buch beschreiben?
Mit dem Inhalt mache ich es mir leicht und greife auf den Verlagstext zurück: „Vor sechzehn Jahren musste Matteo aus Rom fliehen, nun kehrt er zurück. Gekonnt pariert er alle Angriffe seiner Ehefrauen – Nummer vier verlangt seine sofortige Rückreise in die USA, Nummer zwei hat noch immer nicht die Scheidung eingereicht –, während seine Kinder die ganze Härte des bürgerlichen Lebens trifft: Martina findet nach einem Kuss nicht in ihre Ehe zurück, und Giorgio hat alle Hände voll zu tun, seit die feine Gesellschaft Roms in seinem Restaurant ein und aus geht. Als ein Unglück sie alle ins Bodenlose stürzt, verkehrt sich die Posse in eine handfeste Tragödie.“
Aber ist der Inhalt tatsächlich das Wichtigste an diesem Buch? Die Menschen, die man kennenlernen darf, sind wichtig, das ja, aber nicht unbedingt in ihren Interaktionen, sondern vielmehr in der Art und Weise, wie sie uns vorgestellt werden. Da ist zum Beispiel Federica Zevi, von der es heißt, sie sei „wie ein Jaguar aus dritter Hand, den die Vorbesitzer regelmäßig haben warten lassen“. Wichtiger als der Inhalt ist mir an diesem Buch demnach eindeutig der Schreibstil. Was für eine wunderbar sorgsame Sprache, samtweich in ihren Wortwendungen und dabei pfeil-genau treffend. Ich habe das Buch „sorgsam“ gelesen, langsam, manche Wendung sogar laut und mehrmals, weil sie sich so schön anhören, so zart und warm, wie sich das Fell von Perserkatzen anfühlt, doch mit darunter lauernden Krallen. Was für eine Schreibekunst: Genau in dem Moment, an dem man sich der Weichheit samtiger Worte hingeben möchte, trifft man auf die untergemixte feine, kleine Prise Humor, gewachsen aus messerscharfer Beobachtung und bildgenauer Beschreibung. Manchmal hatte ich das Gefühl, in einem Roman aus dem 19. Jahrhundert gelandet zu sein, so nach innen gekehrt und gefühlvoll wird erzählt. Dann aber wird mit einer einzigen Redewendung die Romantik spröde zerstört. Die Menschen sind allesamt getragen von ihrer Sehnsucht, Wunsch und Möglichkeit deckungsgleich zu bringen, und sie werden in ihrer individuellen Unausweichlichkeit gleichermaßen klar-präzise und zärtlich beschrieben. Was folgerichtig und konsequent berichtet wird, zerfällt – fast unmerklich – immer mehr und mehr in seine Einzelteile, bis die individuelle und die gemeinsame Geschichte der Protagonisten in einer dramatischen Wendung zerbricht, wobei Matteo, dieser Gesetzlose, dieser Exzentriker, dieser Blender, auch im Zerfall das Epizentrum ist und bleibt. Wie heißt es im Buch so schlicht: „Eine Geschichte endet, wenn einer der beiden nicht mehr mitmacht.“ So einfach, so schwer…

Bewertung vom 16.04.2019
ALLES WAS ICH DIR GEBEN WILL
Redondo, Dolores

ALLES WAS ICH DIR GEBEN WILL


ausgezeichnet

600 Seiten Lesegenuss pur
Über dieses Buch kann ich nur schwärmen. Was für ein wunderbarer und kluger Roman! 600 Seiten prall voll, und jede einzelne Seite ein Lesegenuss!
Der Verlag kündigt das Buch so an: „Als der Schriftsteller Manuel Ortigosa erfährt, dass sein Mann Álvaro bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, eilt er sofort nach Galicien. Dort ist das Unglück passiert. Dort ist die Polizei auffallend schnell dabei, die Akte zu schließen. Dort stellt sich heraus, dass Álvaro ihn seit Jahren getäuscht und ein Doppelleben geführt hat. Doch was suchte Álvaro in jener Nacht auf einer einsamen Landstraße? Zusammen mit einem eigensinnigen Polizisten der Guardía Civil und Álvaros Beichtvater stellt Manuel Nachforschungen an. Eine Suche, die ihn in uralte Klöster und vornehme Herrenhäuser führt. In eine Welt voller eigenwilliger Traditionen – und in die Abgründe einer Familie, für die Ansehen wichtiger ist als das Leben der eigenen Nachkommen.“
Dieser Roman ist so Vieles: ein großer Familienroman, eine einfühlsame Charakterstudie, er ist ein spannender Kriminalroman und er ist auch eine Hommage an Galicien und seine besonderen Bewohner. Er ist so vielfältig, wie Menschen und deren Gefühle im Guten wie im Schlechten nur sein können, und er ergreift den Leser mit Haut und Haaren. Bewundernswert, wie die Autorin es schafft, all die feinen Gesten der Interaktion und Kommunikation zu schildern, die weit über das tatsächlich Gesagte hinausgehen. Jede einzelne Sequenz, jede einzelne Szene ist detailreich-liebevoll und feinfühlig auserzählt, und der Leser sieht, hört, riecht und schmeckt alles Geschilderte, als sei er unmittelbar dabei. Selbst das geradezu opernhaft theatralisch anmutende Ende passt irgendwie in den Rahmen der großen Spannbreite zwischen Adel und Personal, zwischen Standesdünkel und Einfachheit.
Rundum: „Alles was ich dir geben will“ ist ein Roman, wie er schöner nicht sein könnte: farbig, gefühlvoll, spannend, lebendig, klug, packend, malerisch – und niemals langweilig. Unbedingt lesen!

Bewertung vom 14.04.2019
Bella Ciao
Romagnolo, Raffaella

Bella Ciao


sehr gut

Man muss sich einlesen
Das wunderschöne, ausdrucksstarke Cover in bester Diogenes-Tradition zeigt einen Ausschnitt aus dem Gemälde „Marguerite Kelsey“ von Meredith Frampton, einem Maler, der zwischen 1920 und 1940 als Porträtist wirkte. Leider setzte eine zunehmende Sehschwäche seiner präzisen Malerei ein frühes Ende. Marguerite Kelsey war ein zur damaligen Zeit bekanntes Künstlermodell, das insbesondere deswegen sehr beliebt war, weil es Haltung und Pose außergewöhnlich lang halten konnte. Gibt es eine Beziehung zwischen Cover und Roman? Der Inhalt wird vom Verlag einfach erzählt: „Giulia Masca kommt als gemachte Frau zurück in das Städtchen ihrer Kindheit, wo sie noch eine Rechnung offen hat. Vor fast fünfzig Jahren wurde sie hier von ihrer besten Freundin Anita und ihrem Verlobten hintergangen, weshalb Giulia die Flucht ergriff und sich in New York eine neue Existenz aufbaute. Nach einem halben Jahrhundert will sie Anita wieder treffen – wie werden sie sich gegenübertreten?“
Man erlebt im Buch die Zeit zwischen 1900 und 1946 (die wohl einzige Verbindung zum Cover-Bildausschnitt). Der Schwerpunkt des Buches liegt in den Schilderungen Italiens in einer Zeit der bittersten Armut und Ausbeutung. Hunger, Kriegsgemetzel, Partisanenkämpfe gegen Mussolinis‘ wachsender Faschismus, Tote und Verletzte bilden das Szenario. Weniger ausführlich dagegen erleben wir zeitgleich in den USA die Ausgrenzung italienischer Zuwanderer, ihren steten Kampf gegen Vorurteile und um Anerkennung.
Mit dem Buch habe ich mich teilweise schwer getan, denn es hat mich nicht wirklich gefangen genommen. Zu spröde war mir mitunter der Text, durch die Fülle an Namen und Begriffen zusätzlich lese-erschwerend. Man muss sich sehr konzentrieren, da die Autorin häufig springt zwischen den Handlungssträngen und Zeiten. Die Protagonisten werden kaum durch wörtliche Rede lebendig, der Leser erlebt sie mehrheitlich nur durch ihre Gedanken und Taten, wenngleich durchaus psychologisch nachvollziehbar. Was mir ausnehmend gut gefiel am Schreibstil der Autorin, waren ihre eindringlich-bildhaften Schilderungen sowohl von schrecklichen als auch von schönen Seiten des Lebens. Wunderbar zum Beispiel die Beschreibung der Hündin Nuxe mit einer „Schnauze mit weichen Falten, die aussieht wie ein Walnusskern, in dessen Mitte der feuchte Knopf der Nase versinkt wie der Steppstich in der Matratze…“ Und genau das bleibt mir als Urteil nach der durchaus nicht leichten Lektüre: Anspruchsvolle, teils anstrengende Lektüre, mit wunderbaren Passagen der Wortmalerei vom Feinsten. So detailliert wie die Arbeiten des Malers Meredith Frampton.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.04.2019
Franken, m. 1 Karte
Nestmeyer, Ralf

Franken, m. 1 Karte


ausgezeichnet

Eine unglaubliche Fülle an Informationen, übersichtlich gegliedert
Da liegt sie vor mir, die aktualisierte 8. Neuauflage des Reiseführers FRANKEN aus dem Michael Müller Verlag. Die sommerhimmelblau gehaltene Gestaltung des Covers mit dem stimmungsvollen Foto des Schloss Greifenstein und ganz besonders die Regenbogenfarben des Buchrückens fallen im Buchhandlungsregal deutlich auf.
Vorweg: Der Reiseführer ist nicht geeignet für Reise-Schnellkonsumenten, für Fast-Sightseeing, für oberflächliches Sehenswürdigkeiten-Sammeln. Der vorliegende Reiseführer fordert Zeit! So wie die Region Franken, will man sie wirklich entdecken, Zeit fordert.
Erst das ausführliche Studium dieses Reiseführers mit seiner geradezu unglaublichen Fülle an Informationen lässt mich erahnen, wie viel Entdeckenswertes ich als gebürtige Fränkin in den ca. 40 Lebensjahren, die ich in Franken lebte, versäumt habe kennen zu lernen! Und was ich unbedingt jetzt im Alter, sozusagen unter Führung von Ralf Nestmeyer, nachholen möchte. Ich bewundere den Autor, dem die sehr schwierige Gratwanderung zwischen möglichst umfassender Information zu den zahlreichen Interessensgebieten der Reisenden und dennoch übersichtlicher Darstellung gelungen ist. Sachlich-klar geschrieben, strukturiert, dennoch lebendig formulierend, mitunter auch einmal eine leise Kritik unterbringend, sehr persönlich eben. Das ist sein ganz eigener Stil, der seine Reiseführer so unverwechselbar macht. Rundum empfehlenswert!

Bewertung vom 07.04.2019
Deathland Dogs
Brooks, Kevin

Deathland Dogs


weniger gut

Sammlung langatmiger postapokalyptischer Grausamkeiten
Kälte, Hass, Grausamkeiten, Brutalität und keine Zeichensetzung – so sieht also ein Jugendbuch aus? Ich wüsste gerne, wie Vierzehnjährige urteilen, falls sie die 540 Seiten Finsternis und Langeweile überhaupt durchhalten.
Worum es geht: „Jeet ist ein sogenanntes »Dogchild«: Aufgewachsen bei den Deathland Dogs, lebt er seit einigen Jahren wieder unter den Menschen. Doch immer noch sind die Deathland Dogs für ihn seine eigentliche Familie, ihre Instinkte schlummern weiterhin in ihm. Als es zum Kampf zwischen seinen Leuten und dem benachbarten Clan der Dau kommt, soll Jeet sich mittels seiner als »Dogchild« erworbenen Fähigkeiten in die Siedlung der Dau einschleusen. Sein Auftrag: Material für den bevorstehenden Kampf sicherzustellen. Dadurch gerät er unversehens ins Zentrum des Konflikts und ist sich seines Lebens nicht mehr sicher. Doch für eine Flucht ist es bereits zu spät…“
Ja, es handelt sich um eine Dystopie, und zwar eine von der brutalsten Sorte. Die Geschichte spielt nach unserer Zeit, lange nach unserer Zeit. Die Welt, wie wir sie kennen, ist zerstört. Es gibt nur noch wenige Menschen, die sich im Überlebenskampf und auf der Suche nach Nahrung auf das Brutalste bekriegen. Und deren einziges Ziel erfolgreicher Kampf ist. Da mit der Zivilisation der Menschen auch jegliche Bildung verloren ging, können nur noch ganz wenige lesen und schreiben. Um dies „abzubilden“, wird im Buch auf jegliche Kommasetzung verzichtet. Naja, da kommt mir natürlich sofort der Gedanke, wer überhaupt noch heutzutage korrekte Zeichensetzung beherrscht… Abgesehen vom Inhalt bringen die etwas langatmige Erzählweise und die sehr detaillierten, jegliche Spannung vernichtenden Darstellungen keinerlei Lesespaß. Nein, diese Sammlung sinnfreier postapokalyptischer Überlebenskämpfe ohne Zeichensetzung ist kein Jugendbuch. Aber es ist auch kein Erwachsenenbuch. Es ist meiner Meinung ein Buch, das das Lesen nicht wert ist.