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Frankfurt

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Insgesamt 688 Bewertungen
Bewertung vom 17.01.2022
Erschütterung
Everett, Percival

Erschütterung


ausgezeichnet

Geht tief unter die Haut

Was für ein treffender Titel für diesen Roman: Erschütterung. Genau das bringt uns Percival Everett mit seinem Roman näher die Erschütterung seines Protagonisten Zach. Die Geschichte wird aus dessen Perspektive erzählt und nimmt uns zunächst mit in sein sehr komfortables gar langweiliges Leben mit. Er ist Universitätsprofessor der Paläontologie. Ein selbstironischer afroamerikanischer Gebildeter, der es sich im Leben mit seiner Frau, die er schätzt, aber nicht wirklich liebt und seinem Stern des Lebens, seiner Tochter Sarah gemütlich gemacht hat.
Was ihn aus den Angeln hebt ist die Diagnose der 12jährigen Tochter, dass sie das Batten-Syndrom hat und somit rasch erblinden wird und vermehrt epileptischen Anfällen bekommt – unheilbar krank. Es stürzt ihn förmlich in ein Loch und er folgt einer Spur. Diese Spur begann in seiner second hand Jacke, ein Zettel mit einem Hilferuf. Er flüchtet nach New Mexico um diesem Hilferuf nachzugehen um seiner eigenen Fassungslosigkeit zu entgehen.
Wunderbar beschreibt Percival Everett die Sorgen und den Taumel Zachs von gemütlicher Langweile zur veränderten Lage des Ausgeliefertseins. Wirklich eindrücklich geschildert. Vor allem geht es hier vordergründig um den Vater, der um die Zukunft seiner Tochter trauert, aber auch auf einer weiteren Ebene viel allumfassender arbeitet Everett das Thema Rassismus ein und setzt starke Akzente, in dem er zeigt was Zach alles nicht tut.
Auf vielen Ebenen ein starker Roman, sehr lesenswert! Mich hat er voll überzeugt.

Bewertung vom 16.01.2022
Die geheimnisvolle Weihnachtskugel
Scheller, Anne

Die geheimnisvolle Weihnachtskugel


ausgezeichnet

Schneebälle und ein magischer Zauber

In diesem netten Buch für gute Selbstleser oder auch zum Vorlesen ab der Vorschule geeignet, ist Jim die Hauptfigur. Er ist mürrisch, schlecht gelaunt und achtet nicht darauf wie er auf sein Umfeld negativ wirkt. Auf dem Weihnachtsmarkt kommt es zu einer Begegnung mit einer Hexe, die ihn verzaubert und an einen neuen Gefährten bindet: der Schneegolem Snorri. Aus diesem unliebsamen Bann entsteht eine Freundschaft. Auch wird Jim nachdenklich und merkt wie seine eigene Einstellung zu seinem eigenen Glück beitragen. Auch, dass das Wohl seiner Freunde und Familie großen Einfluss auf sein Wohlbefinden hat. Tja, um die Verzauberung zu brechen müssen die beiden 3 Sachen besorgen sonst wird Jim zum Schneegolem und Snorri zum Menschen!
Jims Erkenntnisprozess zieht sich durch das gesamte Buch und mündet an Weihnachten in einem Aha-Erlebnis. Natürlich geht es gut aus und Jim ist glücklicher als zuvor.
Mich hat dieses Buch überzeugt, weil es gut geschrieben ist in einfacher kindlicher Sprache und die Veränderung der Gedanken und er Erkenntnis in der Regel auch nicht über Nacht kommt und das ist mit dem Protagonisten Jim äußerst gut gelungen. Auch das Miteinander hat hier einen hohen Stellenwert und macht das Zünglein an der Waage aus.
Fazit: Ein Buch voller Schnee und winterlicher Szenen in 24 Kapiteln, dass Kindern zeigt wie ihre Einstellung und ihr Handeln ihr Glück ausmachen können!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.01.2022
Das Versprechen
Galgut, Damon

Das Versprechen


ausgezeichnet

Schwarzhumoriger Abgrund südafrikanischer Geschichte

Damon Galgut ist der dritte südafrikanische Autor, der den Booker Prize gewann (nach J. M. Coetzee und Nadine Gordimer). Der in 2021 frisch gekürte Roman „Das Versprechen“ (im O-Ton gleichlautend `The Promise`) wurde von Thomas Mohr umsichtig im Affenzahn übersetzt und liegt seit einem Tag vor Weihnachten in deutscher Übersetzung vor! Was für ein Roman, er wird natürlich momentan Land auf Land ab rezensiert und ist aus meiner Sicht zu Recht so hochgelobt, auch wenn er nicht ganz trivial zu lesen ist.
Es geht um eine weiße südafrikanische Farmerfamilie, die einen großen Landbesitz außerhalb von Pretoria hat. Wir starten im Jahr 1986 und die Mutter ringt auf dem Sterbebett ihrem Mann das Versprechen ab, dass er ein Haus auf ihrem Grundstück der schwarzen Haushälterin Salome überschreibt. Die jüngste Tochter Amor wohnt dieser Versprechung bei und bringt diese Erwartung der verstorbenen Mutter fortwährend in den kommenden 31 Jahren immer wieder zur Sprache.
Es werden zeitliche Sprünge gemacht (9-10 Jahre) und wir landen immer wieder bei einer Beerdigung, veränderter politischer Gegebenheiten, aber immer noch verharrte Gedanken und keine Einlösung des Versprechens.
Was dem Autor wahnsinnig gut gelingt ist die Verzahnung der südafrikanischen Geschichte in jüngerer Vergangenheit von der Apartheid in eine Demokratie. Lässt dabei aber die Sichtweisen der Weißen und der Schwarzen nie außer Acht und toppt das Ganze noch mit Galgenhumor. Es ist ein schweres Thema, aber Damon Galgut hat es wirklich sarkastisch gut auf den Punkt gebracht.
Aber keine reine Lobeshymne. Es kostet schon eine gewisse Konzentration diese knapp 360 Seiten zu lesen, denn der Autor nutzt einen besonderen Schreibstil einen „Stream of Consciousness“, wobei er ständig und immer wieder von einem Kopf in den nächsten springt und wir Leser:innen sind dabei. Manches Mal springt er mitten im Satz, oft im Absatz und auch so immer wieder. Dazu kommt ein allwissender Erzähler, der uns auch ab und an direkt anspricht. Großer Vorteil dieser Erzählweise ist ein so umfassendes Bild der Gegebenheiten, dass kein Blickwinkel, kein Gefühl und keine Meinung verborgen bleibt.
Titelgebend ist zwar der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte „Das Versprechen“, für mich liegt der Fokus auf dem daraus resultierenden Generationenkonflikt und die verqueren Ansichten der älteren weißen Familienmitglieder.
Fazit: Wenn das mal nicht in Zukunft im Englisch LK im Vergleich zu Ulysses von James Joyce als moderne Variante des „Stream of Consciousness“ behandelt wird. ;0)

Bewertung vom 15.01.2022
Commissario Tasso auf dünnem Eis / Commissario Tasso Bd.1
Milani, Gianna

Commissario Tasso auf dünnem Eis / Commissario Tasso Bd.1


sehr gut

Künstler und ihre Abwege

Das Cover setzt den richtigen Akzent, wenn es um das Jahrzehnt geht, denn der Krimi spielt im Jahr 1962, aber hat mit Skifahren nichts zu tun. Ja, es spielt im Südtiroler Winter wo Skifahren begann ein Trendsport zu werden, aber es findet hier nur am Rande Erwähnung.
Nichtsdestotrotz, ist es ein cozy crime Krimi zum Mitraten und hat zwei Hauptfiguren, die auch ein gutes Ermittlerduo für einen kommenden Fall ergeben würden. Zum einen ist da der süditalienische Commissario Tasso und seine Praktikantin Mara Oberhöller, die Tochter des Bozener Bürgermeisters.
Spannend an diesem Fall ist für mich in der Tat das historische Setting, da der Konflikt zwischen dem einnehmenden Italien und seiner widerspenstigen Eroberung Südtirol hier voll zum tragen kommt und beleuchtet wird. Das hier Attentate verübt wurden und die Polizei meist aus dem Süden besetzt und dadurch der Konflikt verstärkt wurde, war mir bis dato unbekannt. Auch die sprachlichen Barrieren, die selbstredend noch in den 60er Jahren vorhanden waren und bis heute sind, zeigen das Feingefühl der Autorin.
Die Autorin, die hier unter dem Pseudonym Gianna Milani schreibt und Südtirol als ihre Wahlheimat sieht, kennt sich sichtlich mit der Gegend und deren Geschichte aus. Eine Kennerin.
Der Fall ist aus meiner Sicht nicht ganz trivial, aber auch nicht spektakulär: solide Aufklärungsarbeit zum Mitraten. Mir hat es Spaß gebracht beim Lesen. Nur so viel: Es gibt eine Leiche, den Maler Carlo Colori der tot in einem Grand Hotel gefunden wird. Bei der einen Leiche bleibt es nicht, denn bei einem anderen Grand Hotel, in Cortina d’Ampezzo findet man eine zweite Leichen. Ob das zusammenhängt und wie ist euer Vergnügen beim Lesen.
Ich würde mich über einen zweiten Fall freuen nach ‚Commissario Tasso auf dünnem Eis‘ vielleicht ein Mord im Frühling?

Bewertung vom 21.12.2021
Henry
Gottschick, Florian

Henry


ausgezeichnet

Entführung erweitert den Blickwinkel

Wer den ersten Satz des Klappentextes liest, mag vielleicht denken: Nee, dass ist zu grausam, ein Kind ausversehene entführt, weil das Auto der Eltern gestohlen wird. Too much! Aber bitte nicht gleich die Flinte ins Korn werfen. Denn ja, es geht um eine Entführung wider Willen, aber es kommt dann ganz anders als dieser Satz vermuten lässt und ist ein SEHR lesenswerter Roman!
Henry, eigentlich Henriette, ist ein 12jähriges Mädchen, dass auf der Rückbank pennt als ihre Mutter Marion Einkäufe ins Haus schafft und das parkend in zweiter Reihe in Berlin Wilmersdorf. Nun, Sven ein Automechaniker ohne Job meint hier eine schnelle Nummer abziehen zu können und klaut das dicke Auto und erhofft sich viel Geld damit zu machen. Tja und dann ist die Tochter dummerweise noch hinten drin.
So ist der Auftakt einer Geschichte, die Florian Gottschick, im ersten Leben Drehbuchautor, nun zu Papier gebracht hat als sein Erstlingswerk. Also der erste Roman, denn Drehbücher kann er schreiben und ist damit schon sehr erfolgreich. Nun also auch gelungen in Romanform!
Es ist unheimlich gut gelungen, diese skurrile Geschichte -die übrigens so ähnlich einer Freundin von ihm passierte – zu schildern. Klar, wie sollte es anders sein, es liest sich wie Kino im Kopf bloß mit sehr viel mehr Tiefe. Denn die Charaktere sind gut ausgestaltet und sind sehr plastisch.
Beeindruckt hat mich die gelungene Porträtierung der Protagonistin Henry in ihrer ungestümen pubertierenden Art, die hier unverhofft Abstand gewinnt zu den unausgesprochenen Erwartungen ihrer Eltern. Und hier liegt auch die Stärke des Romans, ein zarter liebevoller Blick auf die unebenen Momente im Leben und auch eine coming-of-age Geschichte der jungen Dame. Tja, und das großartig kombiniert mit einem Abenteuer der Entführung durch einen dem die Zündschnur leider durchgebrannt ist.
Fazit: Hört sich alles andere als innovativ an, ist es aber! Große Empfehlung dieses sehr gelungen Romans zweier Antihelden, die gegensätzlicher nicht sein könnten, aber ins Gespräch kommen. Bitte unbedingt lesen bevor der Film entsteht, denn die Filmrechte sind bereits verkauft!

Bewertung vom 18.12.2021
Every (deutsche Ausgabe)
Eggers, Dave

Every (deutsche Ausgabe)


gut

Kann Literatur die Augen öffnen?
Wieder einmal versucht Dave Eggers sich sozialkritisch den sozialen Medien zu nähern und schrieb die Fortsetzung zu „Der Circle“. Der Circle hat mich zum damaligen Zeitpunkt stark beeindruckt und auch überzeugt. Da viele Parallelen zum aktuellen Stand vorhanden waren. Nun benennt sich „The Circle“, da es Imageprobleme gibt und heißt nun als noch größerer Konzern „Every“. Das ist aber auch schon die aktuellste Gemeinsamkeit bei der man Dave Eggers eine fast hellseherische Gabe zuspricht.
In diesem Roman schleust sich Delaney Wells in den Konzern ein und will ihn in die Knie zwingen indem sie schlechte und rufschädigende Apps erfindet wie eine Lügendetektor-App. Das heißt Apps, die ihr so Absurd vorkommen, dass sie keiner nutzen will. Dummerweise gehen ihre Schüsse meist nach hinten los.
Dave Eggers verweigert sich selbst die sozialen Medien zu nutzen und ist kein sehr rechercheafiner Autor und das merkt man diesem dystopisch wirkenden Roman an. Es ist eine Melange aus Kritik an der gegenwärtigen Situation und zugleich ein Versuch es in die Zukunft düster voranzudenken. In Teilen gelungen, in andere weniger.
Andererseits ist ihm gelungen der Leserschaft vor Augen zu führen was Soziale Netzwerke mit uns machen. Dieses ständige Bewerten mit Likes und Herzen, es kann wie eine Spirale eskalieren und die normalen Umgangsformen komplett aushebeln. Bewerten ist zur Währung geworden. Eine Welt im Umbruch erweckt das Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle, dass mit großen Tech-Konzernen auf vielfältige Weise gestillt werden kann. Aber was ist der Preis den die Menschheit bezahlt? Mit Freiheit.
Dave Eggers hat wieder einen kritischen Roman geschrieben der die Giganten der Tech-Industrie in Beschuss nimmt und uns ein wenig die Augen öffnet was aus unserer komplexen menschlichen Interaktion geworden ist. Auch wenn es in Teilen zu lange Beschreibungen der Apps gibt, liest der Roman sich spannend und gut.

Bewertung vom 17.12.2021
Der gefrorene Himmel
Wagamese, Richard

Der gefrorene Himmel


ausgezeichnet

Kein Licht des Lebens

Noch ein Kanadier, den es zu entdecken gilt, denn Richard Wagamese ist einer DER bekanntesten Schriftsteller Kanadas mit indigenen Wurzeln. Er verstarb leider bereits 2017, in dem Jahr in dem „Der gefrorene Himmel“ in Canada in die Kinos kam, nachdem das Buch 2013 den Burt Award for First Nations, Inuit and Métis Literature bekam. Es erschien 2012 im Original.
„Der gefrorene Himmel“ ist ein zutiefst erschütterndes Buch das beispielhaft die sogenannten Residential Schools in Kanada des letzten Jahrhunderts beleuchtet. In 139 solcher Einrichtungen wurden indigene Kinder gesteckt und durchlitten dort ihre Schulzeit. In diesem Roman verarbeitet Wagamese echte Geschichten, nicht seine eigenen, aber aus seinem näheren Umfeld und die eines berühmten NHL Profis mit indigenen kanadischen Wurzeln: Fred Sasakamoose.
Das Buch ist die Geschichte eines indigenen Jungens, Saul Indian Horse, der zunächst bei der Großmutter lebt, dann aber in der St. Jerome’s Residential School in Ontario landet. Hier erlebt er erschütterndes und verliebt sich zugleich in das Eishockey spielen. Durch den Sport schafft er es raus in die Freiheit, aber diese eine Flucht endet mit einem anderen Mittel des Vergessens: Alkohol.
Dieser Roman lässt einen Verzweifeln und es tut weh, wahrlich kein Buch was uns Freude bringt, aber so unglaublich wichtig für die Aufarbeitung der kanadischen Vergangenheit, wie sie mit ihren indigenen Völkern umgegangen sind. Und doch zugleich eine Liebeserklärung an das Eishockey! Dieser Spagat ist eine Meisterleistung. Der Schreibstil ist nüchtern, aber trotz allem schön.
Fazit: Traut euch es zu lesen und lernt daraus!

Bewertung vom 10.12.2021
Gipfelnächte - Mein Weg durch die Alpen und wie mich Regen Demut lehrte
Heberer, Max

Gipfelnächte - Mein Weg durch die Alpen und wie mich Regen Demut lehrte


sehr gut

Demut wächst bei niedrigen Temperaturen im Biwak!
Ich bin ja was das Wandern anbelangt ein Weichei, ja, ich bin die, die ihr nur bei gutem Wetter laufen seht und ja, ich bin diejenige, der ein paar Stunden reichen. Daher umso spannender für mich diesen Bericht von Max Heberer zu lesen. Er war Berater, ist Psychologe und wollte irgendwann lieber auf Bäume schauen als auf Bildschirme starren und fasste sich ein Herz und macht einen sehr losen Plan. Dieses Buch ‚Gipfelnächte‘ ist hinterher als sehr persönlicher Erfahrungsbericht entstanden, wie er sich von Bad Reichenhall zum Mount Blanc aufmacht. Nun muss man wissen, dass Max Heberer mehr von der Idee angetan war als ein Profi der Wanderkunst zu sein, sprich er ging recht unbedarft an die Sache heran. Hier ging einer los und sammelte Erfahrungen über sich und sich selbst in der Natur.
Er beschreibt alle emotionalen Facetten die diese Zeit mit sich brachten. Wie Natur der beste Freund und zugleich auch zum Feind werden kann. Ja, Demut hatte er erlebt. Er startete kurioserweise im Januar, also nicht bei besonders wanderfreundlichen Temperaturen und nahm sich vor nur im Biwak (Zeltschlafsack) zu übernachten. Hier gibt es eindrucksvolle Passagen wo er die kalten Nächte beschreibt. Glücklicherweise hat er diese große Tour nicht ganz alleine bewältigt, meistens war seine Freundin dabei, Tamara und auch seine Mutter war kurz mit von der Partie. Auch hier gab es Reibungen mit Klärungsbedarf.
Ich finde das Buch auch sehr schön gestaltet, ist es doch mit viele Bildern angereichert. Dadurch konnte ich mir ein gutes Bild von der Wandertour machen. Auch sind die besten Zitate von ihm aus dem Text gegriffen und als Auflockerung zwischen den Texten optisch hervorgehoben. Das macht es besonders am Ende der Lektüre so nett noch mal durch das Buch zu blättern.
Einziger Wermutstropfen ist, dass er schon dazu neigt die Normalos dieser Welt, die bequemes Wandern bevorzugen auf ausgetretenen Pfaden etwas hochnäsig betrachtet und sich für den richtigeren Entdecker und Wanderer hält. Ist er auch, aber muss man nicht vor sich hertragen. Andererseits, es ist ein ehrlicher Text vor allem wenn es um seine Beziehung zu sich selbst und seinen Liebsten geht und dann gehört das auch dazu.
Fazit: Naturnahe, achtsam, reflektiert!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.12.2021
Die kleine Schule der großen Hoffnung
Fontaine, Naomi

Die kleine Schule der großen Hoffnung


ausgezeichnet

Einfach ein feiner kurzer Roman!

„Die kleine Schule der großen Hoffnung“ ist in der Tat eine Geschichte einer Schule. Denn es geht um eine junge Frau, Yammie, die ihr Reservat verließ um Lehrerin zu werden und nun als Lehrkraft zurückkehrt aus Québec mit hoher Motivation, aber auch mit Unsicherheiten behaftet. Ist sie doch fast gleichalt wie manch ihrer Schüler. Auch der Tod ist ein omnipräsentes Thema, sei es weil die Gesundheitsversorgung recht schlecht ist oder die Suizidrate viel höher als anderswo.
Das Buch ist schmal und wird mit dem leicht romantischen Titel nicht ganz dem Inhalt gerecht. Denn es ist großartig und in überhaupt nicht beschönend. Aber es zeichnet auch kein pessimistisches Bild. Die sehr kurzen Kapitel geben uns einen kleinen Einblick in das Leben vor Ort, lassen uns jedes Mal mit einem Puzzlestück zurück, dass weder belehrt, noch romantisch, noch verzweifelnd wirkt. Ich als Leserin bin ohne Subkontext dabei und darf mich dazugesellen, aber eben nicht immer und was toll ist, es bleibt wertungsfrei.
Was das Buch so besonders macht, ist die Tatsache, dass Naomi Fontaine eine First-Nation-Autorin ist. Dem Text merkte ich an, dass er von Herzen kommt und sie sehr bedacht darauf geachtet hat keine Klischees zu produzieren. Aus meiner Sicht sehr gut gelungen, denn ihr Anspruch ist nicht Transparenz zu schaffen, eher eine Art Bewusstsein zu schüren für einzelne Schicksame ohne zu verallgemeinern.
Ich persönlich glaube, dass uns Naomi Fontaine mit dem Buch lehren will, jeden Menschen als Individuum zu sehen und keine Schublande aufzumachen.
Aber, wer diesen dünnen Roman auch „nur“ als nette Lektüre liest, wird auf seine Kosten kommen, denn es ist wie eine warme Decke in kalten Tagen: gut für die Seele.

Bewertung vom 09.12.2021
Der Schattenkönig
Mengiste, Maaza

Der Schattenkönig


sehr gut

Schöner Krieg?

Kann man einen Krieg positiv beleuchten? Nein, ein Krieg ist nie etwas Schönes, aber es gibt Passagen in diesem Roman die einem diesen Eindruck vermitteln! Solche Fragen gingen mir bei dem Lesen des Romans ‚Der Schattenkönig‘ durch den Kopf. Es ist der zweite Roman von Maaza Mengiste. Schattenkönig ist sogar für den Booker Prize in 2020 nominiert gewesen worüber es meine Aufmerksamkeit bekam.
Erst einmal zu Maaza Mengiste, denn aus meiner Sicht macht der Hintergrund der Autorin viel aus für den Roman. Sie ist in im heutigen Äthiopien geboren und floh mit ihren Eltern als sie 4 Jahre alt nach dem Sturz von Haile Selassie, des letzten sagenumwogenen Kaisers Abessiniens (Gebiet des heutigen Äthiopien und Eritrea). Sie verbrachte die jüngsten Jahre in Lagos, Nigeria, Kenia bis sie letztendlich in die USA ging und dort Kreatives Schreiben studierte und nun publiziert.
Dieser Roman beschäftigt sich mit dem Abessinienkrieg, eine Zeit, in der Haile Selassie in London im Exil verweile und vor Ort der Krieg tobte. Wichtig ist, dass dieser Roman in keinsterweise eine gute Quelle ist um sich über diesen Krieg zu informieren. Ganz im Gegenteil, man sollte die Fakten vorher parat haben oder sich parallel ein Bild vom historischen Abriss machen, sonst läuft man Gefahr sich zu verheddern oder Fiktion mit Realität zu verwechseln.
Im Kern geht es um eine Doppelgängerfigur. Ein Double des emigrierten Königs heizt seine Rebellen auf und sie folgen ihrem Herren um zu kämpfen. Ein zweiter Mythos, den sie aufgreift sind die Kriegerinnen, die hier eine große Rolle gespielt haben sollen. Diese Szenen wirken fast glorifizierend sobald eine Frau auf der Leinwand erscheint.
Alles in allem nicht leicht wegen der vielen komplexe Beziehung, da das Personenkabinett sehr umfangreich ist und die Strömungen vielschichtig durch diesen letzten kolonialistischen Feldzug Italiens. Der Roman zeichnet starke Bilder, die einen in den Bann ziehen können, wenn man sie lässt.