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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 14.09.2007
Der Mann mit der Ledertasche
Bukowski, Charles

Der Mann mit der Ledertasche


ausgezeichnet

Chinaski, die Legende. Über das Wort Underground hätte er gelacht. Gibt es ein Overground? Wie viele Menschen gibt es, die so mit sich leben, nur nicht die poetische Kraft eines Charles Bukowski besitzen, um davon zu erzählen? Witzig, sarkastisch mitunter, rücksichtslos sich selbst und anderen gegenüber berichtet Chinaski von der Akkordmühle der amerikanischen Post, den Tücken eine Wette zu platzieren und das alles andere als eine Kunst darstellende Vermögen, Gedicht zuschreiben. Gleich fällt einem dazu die deutsche Post ein, deren Bürokratenseele hoffentlich ein paar Nischen für Chinaskis Kollegen bereithält. Wir könnten ihre Gedichte gut brauchen. Vor allem sprich aus dem Roman eine anarchische Sehnsucht, das Spucken auf den Overgrund, den zu erreichen, man nur imstande ist, wenn man sich bedingungslos anpaßt. Wozu? Das Leben gibt und nimmt, und wenn man bereit ist, den Preis zu zahlen, läßt es einen sogar in Ruhe. Eine schnelle, leidenschaftliche Geschichte, bei der man manchmal erstaunt ist, wie befreiend das eigene Lachen klingt.
Polar aus Aachen

6 von 8 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.09.2007
Hubert oder Die Rückkehr nach Casablanca
Härtling, Peter

Hubert oder Die Rückkehr nach Casablanca


sehr gut

Was hat das Kino uns nicht alles schon geschenkt: schöne Menschen, aufregende Geschichten, die richtigen Worte und Blicke. All das konnten wir wie Hubert in Peter Härtlings Roman mit in unseren Alltag nehmen, ihn vergessen machen. Für ein paar Stunden in einem dunklen Saal oder für die lange Zeit danach, wenn man mit sich allein war. Für Hubert Windisch gibt es viel zu vergessen, ein ganzes Reich gilt es zu tilgen. Es ist ein Vater-Sohn-Roman, der Versuch sich zu lösen aus dem vernichtenden Schatten eines ehemaligen SS-Führers zu treten, der seinem Sohn das Rückgrat brechen wollte. Erst sind es die deutschen Leinwandhelden, dann die amerikanischen, schließlich der Coolste von allem: Humphrey Bogart. Was soll einem noch passieren, wenn man einen solchen Verbündeten hat? Und trotzdem tritt Hubert immer wieder aus dem Kinosaal und die Welt draußen spiegelt sich nicht in Celluloid. Härtling beschreibt Huberts Willen zum Überleben liebevoll, nachsichtig. Irgendwann kommt jeder Vater zu Fall. Man muß nur warten können, durchhalten. Und so verbreitet der Roman den Charme des Übergangs von der Jugend in die Erwachsenenwelt, in dem man sich allzu gerne in sich verkriecht, wo man ein anderer sein darf. Für ein paar Minuten, für länger, zumindest in den Träumen.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.09.2007
Tokio
Hayder, Mo

Tokio


schlecht

Das Thema Kriegsverbrechen der Japaner in Nanking hätte sicher mehr hergegeben als diese krude Geschichte einer englischen Studentin, die nach Tokio reist, um einen Film zu sichern. der ihre manische Fixierung auf die begangenen Gräuel bestätigen soll. Wie sie dabei in die Fänge der Yakuza gerät, ist so an den Haaren herbeigezogen, daß man sich fragen muß, wie schnell dieser Plot gestrickt werden mußte. Mo Hayder kann besser schreiben. Sie hat in zwei ihrer vier Romane bewiesen, wie fein sie ihre Figuren zu zeichnen versteht. An diesem Roman sollte man sie nicht messen. Das geheimnisvolle Elixier wie der sensationslüsterne Umgang mit Kannibalismus, die verschrobene Vorliebe für Sex mit Freaks dient einzig und allein dem Vertuschen, daß es keine spannende Handlung gibt. Die Figuren bleiben Klischees und der Umgang mit historischen Fakten aus der Ferne betrachtet. Auch erscheint die Zweiteilung der Geschichte Nanking/Tokio nicht glücklich gewählt zu sein. Der Bruch sowohl mit dem einen wie dem anderen Erzählstrang lähmt beider Spannungsaufbau, anstatt ihn zu befördern. Auf der Suche nach Abscheulichem war dieses Schreckenskabinett wohl eher ein Mißgriff.
Polar aus Aachen

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.09.2007
Größenwahn / Jack Reacher Bd.1
Child, Lee

Größenwahn / Jack Reacher Bd.1


sehr gut

Ein Jack-Reacher-Roman. Wenn der Held mit Namen auf dem Cover verewigt wird, darf man davon ausgehen, daß er im Verlauf der Geschichte nicht sterben wird, daß er im Mittelpunkt einer Serie steht, daß sich diese Serie bewährt hat und wir noch lange mit ihr leben werden. Im Gegensatz zu manch anderem Serienhelden besticht ein Jack-Reacher-Roman durch Spannung und einem klug ausgedachten Plot, der sich in Größenwahn der Geldfälschung bemannt. Reacher ist ehemaliger Militärpolizist und somit mit waffentechnisch stets auf dem neuesten Stand, in der Selbstverteidigung kaum zu bezwingen, verfügt über ausgezeichnete Kontakte und privat in unglückliche Lieben verstrickt. Er streunt umher. Heimatlos. Vom Krieg gezeichnet. Daß er ausgerechnet zu Beginn des Romans seinen Bruder verliert, sich deren Wege noch einmal nach Jahren kreuzen müssen, so daß Reacher einen Grund hat am Ort des Geschehens zu bleiben, wirkt hingegen leidlich konstruiert. Daß er dabei nicht in ein billiges Klischee verkaufsträchtiger Thriller abrutscht, verdankt er Lee Child, der den Suspense einzusetzen versteht und die eine oder andere überraschende Wendung einzubauen weiß. Allein wir er die leidenschaftlich Liebe zwischen Roscoe und Reacher in ein paar Zeilen beendet, ist lesenswert. Und so freut man sich trotz der teilweise James Bond Attitüde schon auf den nächsten Jack-Reacher-Roman, wie auf einen neuen Film, der einem zwei Stunden gute Unterhaltung verspricht.
Polar aus Aachen

10 von 11 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.09.2007
Der Janusmann / Jack Reacher Bd.7
Child, Lee

Der Janusmann / Jack Reacher Bd.7


sehr gut

Jack Reacher. Ein Mann, ein Programm. Am liebsten löst er seine Fälle im Alleingang, teils um andere nicht in Gefahr zu bringen, teils damit sie ihren Job nicht verlieren. Als Ex-Militärpolizist, der im Untergrund lebt, verfügt er über Freiheiten, die selbst über jene hinausgehen, die manche Ermittlungsbehörde sich anmaßt. Seine Spezialität ist der außer dem Gesetz stehende Genickbruch. Teilweise wirkt dies etwas übermenschlich, trotz harten Trainings und enormen Wissens. Wäre da nicht Lee Child, der fesselnd zu beschreiben versteht, der einen Leser wie in Der Janusmann am Anfang in die Irre führt, könnte das banal werden. Allein wie Child gegen Ende des Romans Reacher in einen todbringende Strömung fallen und ums Überleben kämpfen läßt, zeigt mit welcher sprachlichen Raffinesse er Spannung zu bauen versteht, obwohl jeder Leser weiß, daß der Held nicht sterben kann. Man fiebert mit. Nicht der schlechteste Effekt, den ein Autor erzielen kann. Im Janusmann geht es um illegalen Waffenhandel, also wird ein bißchen sehr oft von Waffengattungen, deren Durchschlagskraft und sonstigen Eigenheiten gesprochen. Zu viel des Guten. Der Autor führt unter Beweis, daß er sich in sein Thema eingelesen hat. Auch das Ende ist so zum Finale hoch gepuscht, daß nur ein Jack Reacher Erfolg haben kann. Wenn man soviel gegen einen Roman ins Feld bringt und ihn trotzdem gerne zu Ende gelesen hat, muß der Rest wohl spannend und in rasantem Tempo geschrieben sein.
Polar aus Aachen

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.09.2007
Kleines Mädchen mit komischen Haaren
Wallace, David Foster

Kleines Mädchen mit komischen Haaren


sehr gut

Es gibt Leser, die wenden sich aus Prinzip keinem Band Kurzgeschichten zu. Die kurze Form, glauben sie, beraubt sie der epischen Breite eines Romans, seiner Möglichkeiten einer Figur zur Geltung zu verhelfen. Immer dann, wenn sie weiter lesen wollen, hört eine Kurzgeschichte einfach auf. Bei manchen Autoren ist man da ganz froh drüber, bei David Foster Wallace nicht. Schrill, verschroben, aberwitzig, frech. Es lassen sich viele Attribute sammeln, um seine Geschichten zu qualifizieren, vor allem sind sie ein Vergnügen, man spart sie sich auf, weil man sie nicht in einem Zug lesen will. Wallace gibt seinen Figur ihre eigene Sprache mit auf den Weg, kommt auf Kreation wie supi-okai und vermag das, was gute Kurzgeschichten zu leisten vermögen, man vermißt das ausschmückende Beiwerk nicht, weil wir uns mitten in einer Momentaufnahme befinden. Wie bei der Spiegelung in Lyndon, der Provokation in Kleines Mädchen mit komischen Haaren. Das Makabere wird nicht ausgestellt, es ist konsumsüchtig und allgegenwärtig in Wallace Welt.
Polar aus Aachen

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.09.2007
König Richard III. King Richard III
Shakespeare, William

König Richard III. King Richard III


ausgezeichnet

Gerissen zu sein, bedeutet nicht, daß man seine Macht endlos ausweitet, sie bis zum Tod behält. Die Macht muß Richard nicht erst sich selbst entfremden. Er ist durchtrieben genug, um zu wissen, auf welches Spiel er sich da einläßt, daß zur Absicherung die verbrannte Erde gehört. Nicht durch Zufall gerät er in eine Tragödie, er entfacht sie. Richard III ist skrupellos, jedes Mittel, an die Spitze zu gelangen, ist ihm recht. Shakespeare zeigt uns in ihm, mehr noch als in anderen seiner machtbesessenen Emporkömmlinge ein Psychogramm der charakterlichen Schwächen, in dem die eigene Angst dadurch vertrieben wird, daß er Schrecken verbreitet. Aber er trägt die Blindheit bereits in sich, indem er Morde befiehlt, die seinen Thron absichern sollen. Ein Tyrann, ein Diktator, ein in Allmachtsphantasien Gefangener. Richard III zeigt die Mechanismen der Macht ungeschminkt. Natürlich kann man ihn auch als Krankheitsfall betrachten, herausfinden wollen, wieso er so geworden ist. Oder man läßt ihn in der Kälte stehen, da, wo er nach seinem Pferd ruft und jedem ein Königreich schenken will. Da, wo die Einsamkeit eine Schlinge um seinen Hals zuzieht. Am Ende heißt es: der König ist tot, es lebe der König, Und wenn wir Shakespeares Stücke richtig verstehen, darf keiner sich sicher fühlen, daß der nächste nicht ein Aufguß des vorhergehenden ist.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 12.09.2007
Die Familie Moschkat
Singer, Isaac Bashevis

Die Familie Moschkat


ausgezeichnet

Wer mehr über das Leben der Juden vor dem Holocaust in Polen erfahren will, sollte Die Familie Moschkat lesen. Es ist Geschichte des Verfalls einer Familie, die Schilderung vieler unterschiedlicher Ansichten einer Welt gegenüber, die ihn den Wahn der Nazis einmünden wird. Singer erzählt von leichter Hand, wie sich die Dinge ändern, die Menschen einer rasenden Welt hilflos gegenüberstehen. Der Glauben steht gegen die Aufklärung, die Moderne gegen die Tradition, alt gegen jung. Reb Meschulam Moschkat löst einen Skandal aus, als er eine Frau heiratet, die in seinen Kreisen nicht geachtet wird. Liegt erst alles in Scherben, sieht man zurück und denkt, damit hat es angefangen. Singer versammelt in seinem Roman alle Seiten menschlicher Schwächen, die unweigerlich den Untergang in sich tragen. Die einen werden ihm fröhlich entgegensehen, die anderen verzweifelt gegen ihn ankämpfen, die meisten überrascht davon werden. Singer führt uns in eine Welt, die wir vermissen, weil es sie so nicht mehr gibt. Seine Familie Moschkat mag scheitern, doch Singer mag seine Menschen, auch wenn sie nicht perfekt sind. Scheitern, wie niemand zu scheitern wagt, hat Beckett einmal gesagt. Und so steht die Familie Moschkat und ihr Leben in Polens bis zum zweiten Weltkrieg einzigartig dar.
Polar aus Aachen

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.09.2007
König Lear / King Lear
Shakespeare, William

König Lear / King Lear


ausgezeichnet

Es ist ein Kreuz mit den Kindern. Da hat man drei Töchter und kommt im Alter doch nicht zurecht. Wie lautet das Sprichwort? Eine Mutter ist in der Lage, zehn Kinder zu ernähren, aber zehn Kinder nicht imstande, sie am Leben zu halten. Soweit die einfach Fabel, die King Lear zu Grunde liegt. Das Stück wird gerne von alternden Schauspielern ausgefüllt, um ihrer Laufbahn die Krönung aufzusetzen. Der weise, alt gewordene König fällt unter seine Brut, um beschwingt durchs Shakespeares Verse den Abgesang anzustimmen. Oder vielleicht auch der dumme Herrscher verkennt die Realität. Oder ... wie immer bei Shakespeare gibt es keine allgemeingültige Lesart. Wer das Stück liest, zieht aus ihm seine eigene Interpretation, und die kann nach zehn Jahren vollkommen anders aussehen. Shakespeares Stücke sind nie einem einzigen Kosmos zugewandt. King Lear bewegt sich durch die Enttäuschungen des Alters, des Fazitziehens eines vergeudeten Lebens, dem Wüten des Altersstarrsinns, und es birgt eine zarte Liebesgeschichte von verstoßener Tochter zum blinden Vater in sich. Eifersucht, Mißgunst, Verblendung, Machtgier, Haß, verstohlene Liebe alles ist wieder da. Im Circus Maximus, in dem menschliche Schwächen triumphieren.
Polar aus Aachen

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.