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Benutzername: 
TochterAlice
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Köln

Bewertungen

Insgesamt 1396 Bewertungen
Bewertung vom 20.01.2022
Ende in Sicht
Rönne, Ronja von

Ende in Sicht


gut

Juli ist 15 und sie will sterben - ausgerechnet die Autobahn im östlichen Nordrhein-Westfalen hat sie sich für den Todessprung ausgesucht und zwar eine darüberführende Grünbrücke - für Wild gedacht und nicht sonderlich hoch. Die neue Nachhaltigkeit wird ihr dann auch zum Verhängnis: sie verletzt sich nur geringfügig, erregt aber die Aufmerksamkeit einer Autofahrerin: Hella ist Ende 60 und ein ehemaliges Schlagersternchen, das es auch nicht mehr lange machen will. Sie beabsichtigt allerdings in einer Schweizer-Sterbehilfe-Organisation aus dem Leben zu scheiden, zu der sie gerade unterwegs ist.

Doch zunächst fühlt sie sich genötigt, sich um Juli zu kümmern und die beiden so gegensätzlichen weiblichen Wesen finden sich einander ausgesetzt. Es kommt, wie es kommen muss, zu einer gemeinsamen Weiterfahrr - ob Kamikaze-Trip oder oder Reise ins Glück, sei dahingestellt. Bzw. soll die Lektüre ja eine Überraschung zu sein.

Wie auch immer, Ronja Rönne schreibt sehr süffig - ihr Stil lädt ein zum Weiterlesen und zwar nicht zuletzt durch immer wieder eingestreute originelle, zeitweilig gar humorvolle Darstellungen.

Doch bleibt von Rönne in einem unglaublichen Abstand zu ihren Figuren. Im Hinblick auf das Thema hätte ich das so nicht erwartet und eben das erschwerte mein Eintauchen in den Roman ganz enorm. Es blieb ein Geschehen in weiter Ferne.

Bewertung vom 14.01.2022
Der fürsorgliche Mr Cave
Haig, Matt

Der fürsorgliche Mr Cave


weniger gut

Ein Familienvater, nämlich Terence Cave, verliert seinen Sohn und das ist längst nicht der erste Verlust eines nahestehenden Menschen in seinem bisherigen Leben. Er trauert zwar um ihn, investiert jedoch seine gesamt ihm verbliebene Kraft in das Beschützen seiner Tochter Bryony. Bryony, die ihm aufgrund ihrer vielseitigen Begabung, der von klein auf mit dem Vater übereinstimmenden Interessen, soll es an nichts mangeln.

Und da junge Menschen - Bryony ist zu diesem Zeitpunkt knapp 15 Jahre alt - nun einmal dazu neigen, Fehler zu begehen, will er sie davor bewahren. Um jeden Preis. Auch um den, dass Bryony und deren Oma Cynthia, Terences Schwiegermutter, ihn für wahnsinnig halten.

Und glauben Sie mir, es dauert wirklich nicht lange, bis es dazu kommt!

Ehrlich gesagt, ist dieser Roman für mich eine herbe Enttäuschung. Ich habe mich sehr auf Matt Haigs Neuerscheinung in deutscher Sprache gefreut und dann sowas! Auch wenn Terence Cave ganz klar unter einer traumatischen Belastungserkrankung leidet, sollte es ihm klar sein, dass er viel zu weit geht. Um Klartext zu reden, stalkt er nämlich seine Tochter und das nicht zu knapp.

Hier läuft also jemand frei herum, der längst in ärztliche Behandlung gehört - und es ist nicht so, als ob es niemanden in seinem Umfeld gibt, der das nicht hätte merken können.

Ich habe leider schon sehr früh die Lust an dieser Lektüre verloren und musste mich zwingen, weiterzulesen. Immer in der Hoffnung, es gäbe eine raffinierte Entwicklung in welche Richtung auch immer. Nun, lassen Sie sich überraschen, ob es zu einem Happy End kommt oder nicht - eine literarische Explosion ist dies nicht. Bisher mit großem Abstand das schwächste Buch unter den mir bekannten Werken eines eigentlich großartigen Autors!

Bewertung vom 14.01.2022
Der Scharlatan
Singer, Isaac Bashevis

Der Scharlatan


sehr gut

Weit weg von Europa sind alle Charaktere dieses Romans - zu unterschiedlichen Zeiten aus Polen kommend, treffen sie sich, alle Angehörige der sog. jüdischen Community - in New York wieder. Es ist 1940 und sie alle haben "Altlasten" in Europa - Familie, der der Holocaust, dessen Ausmaße sich noch nicht einmal im Ansatz abzeichnet, droht. Sie sind teilweise sprachlos, weil des Englischen nicht mächtig.

Einer von ihnen - der Schwerenöter Hertz Minsker, der schon über das mittlere Alter hinaus ist, mit einer jungen Schönheit verheiratet, die er betrügt und von deren hart verdientem Geld er (mit)lebt. Wobei sein alter Freund Moishe, jetzt in den Staaten Morris, ihn immer wieder unterstützt - und nicht weiß, dass seine Frau Minna längst Hertz`Geliebter ist.

Hertz ist eines der rätselhaften Wesen, die sich immer wieder durchwuseln. Wieder und wieder kommt er auf die Beine, bis zum Riesenknall....

Ein seltsamer Roman - er handelt von den Geretteten, die sich aber nicht als solche empfinden. Gewissermaßen sind sie alle Verlorene und diese Verlorenheit wird besonders deutlich dem munteren Reigen, den sie hier aufführen. Keiner hat bisher seinen Platz gefunden, jeden plagen dunkle Gedanken, keiner fühlt sich sicher, geschweige denn geborgen.

Ein Roman über eine grauenhafte Zeit, die einen auch in der Ferne nicht los lässt.

Bewertung vom 13.01.2022
Gefrorenes Herz / Maria Just Bd.1
Holm, Line;Bolther, Stine

Gefrorenes Herz / Maria Just Bd.1


sehr gut

Eine Polizeihistorikerin im Mittelpunkt - wie vielversprechend. Mir war nie in den Sinn gekommen, dass es ja auch solche Personen geben muss, die die geschichtliche Entwicklung der Polizei eines Landes, Bereiches oder Themas begleiten. Als Historikerin, die schon lange nicht mehr in ihrem eigentlichen Berufsfeld arbeitet, wurde ich richtiggehend neidisch auf Maria Just, denn das wäre definitiv auch was für mich! Obwohl ich nicht glaube, dass ich so viel zu einem aktuellen Fall beitragen könnte, wie sie es tut - meine Gehirnzellen funktionieren deutlich weniger flott und übergreifend!

Neben Maria Just wirken zwei Experten mit, die mit der Auflösung des aktuellen Falles - der Generalsekretär des dänischen Roten Kreuzes wurde auf überaus brutale Weise ermordet - betraut sind. Nämlich Mikael Dirk - ein erfahrener Ermittler, den seine Frau verlassen hat und der junge Kollege Frederik Dahlin, dessen Frau gerade versucht, schwanger zu werden - und zwar auf Gedeih und Verderb.

Maria nimmt Kontakt zu ihnen auf, da sie Parallelen zu einem Fall entdeckt hat, der vor rund fünfzig Jahren geschah. Es werden erschütternde Aspekte der neuesten Geschichte Dänemarks zutage gefördert, die wirklich starker Tobak sind. Also thematisch, denn sonderlich blutig ist dieser Krimi nicht. Was mir sehr zugesagt hat.

Eine der Stärken ist definitiv die Darstellung der Charaktere, alle, auch die größeren Nebenfiguren, haben Wiedererkennungswerte, die man sich sofort merken kann. Ein kleines Manko dagegen - allerdings eines, das ich gern in Kauf nehme, während ich auf den versprochenen zweiten Fall warte - sind die immer wieder auftauchenden Längen. Mir hätte der Krimi noch besser gefallen, wäre er um etwa hundert Seiten gekürzt worden.

Insgesamt kann ich diesen Start in eine neue dänische Krimiserie aber von ganzem Herzen empfehlen und zwar vor allem an Leser*innen, die auch an Spannungsliteratur einen gewissen Qualitätsanspruch haben!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.01.2022
Der Erinnerungsfälscher
Khider, Abbas

Der Erinnerungsfälscher


sehr gut

Said lebt in Berlin-Neukölln mit seiner kleinen Familie und zunächst verstehe ich nicht, warum das etwas Besonderes ist. Denn Said ist einer, der mit Informationen über sich nur sehr zögerlich und erst nach und nach herausrückt - und das, obwohl es in diesem Roman um ihn geht und dieser auch noch sehr kurz ist.

Allmählich wird klar, dass Said auf alles andere als eine problemlose Vergangenheit zurückblickt. Er musste schon als sehr junger Mann aus dem Irak flüchten, das Unstete, Unsichere ist seitdem in ihm verwurzelt: er geht nie ohne Reisepass aus dem Haus und auch sonst ist er in jeder Hinsicht wachsam. Und das, obwohl er seit etlichen Jahren deutscher Staatsbürger ist. Aber keinem zu trauen, nichts für gegeben zu nehmen - das steckt tief in ihm drin.

Und oft genug ist es nicht nur eine Erinnerung an ein Ereignis, sondern gleich mehrere, ohne dass er genau sagen kann, welches denn nun die Richtige ist. Oder ist es am Ende gar keine?

EIn Roman, der den Leser mit dem Innersten eines Geflüchteten vertraut macht, dessen Seele offen vor ihm ausbreitet - und das allein ist schon ein großes Geschenk. Abbas Khider schreibt kein Wort zu viel - und genau deswegen sollte man jeden einzelnen Satz tief in sich einsaugen und überlegen, wie das möglicherweise mit anderen politischen Flüchtlingen in Zusammenhang stehen könnte.

Und was man tun kann, um ihnen zu ein bisschen Ruhe und Geborgenheit zu verhelfen.

Ich habe den starken Verdacht (eigentlich ist es sogar mehr als das), dass der Autor hier über sich selbst schreibt - wenn man die knappen Eckdaten seiner Biographie mit dieser Geschichte zusammen bringt, passt alles punktgenau.

Und macht mir deutlich, warum meine längst verstorbenen Eltern, die als Kindersoldat (Vater) bzw. Kind (Mutter) nach Deutschland kamen, sich hier nie so ganz zu Hause fühlen konnten, auch wenn es ihnen die meiste Zeit nicht sehr schwer gemacht wurde und sie beide den größten Teil ihres Lebens hier verbrachten.

Auf jeden Fall lesenswert - und sei es nur, um den Rezipienten zum Nachdenken zu veranlassen!

Bewertung vom 08.01.2022
Drei Witwen
Quinn, Catherine

Drei Witwen


gut

Eher könnte man dieses Buch - mit rund 540 Seiten ein ordentlicher Wälzer - als Mormonen-Krimi bezeichnen. Der Start: ein Mann - ein noch recht junger, attraktiver Kerl wird tot aufgefunden - mordverdächtig sind seine drei Frauen und zwar nur diese!

Denn die in unseren Augen ungewöhnliche Famlilie lebt in Utah, wo Vielehen eigentlich verboten sind - ganz im Gegensatz zu Nevada, wie ich während der Lektüre erfahren habe, mitten in der Wüste und hat ihren genauen Wohnort nie publik gemacht. Aus eben diesem Grund: ihre Form des Zusammenlebens ist illegal!

Die drei Frauen Rachel, Emily und Tina sind so unterschiedlich wie man nur sein kann und einander nicht unbedingt wohlgesonnen. Die Handlung wird von ihnen geschildert, abwechselnd kommt eine jede zu Wort und hier hätte man in der Unterscheidung durch Stil und Sprache einiges mehr tun können, finde ich.

Allerdings finden sie zueinander, denn es gilt, nicht nur ihren Mann, sondern ihren gesamten Lebensstil und nicht zuletzt sich selbst zu verteidigen - sie sind die Einzigen, die mordverdächtig sind.

Man kann sich vorstellen, dass dies alles auf über 500 Seiten ein wenig zu sehr in die Länge gezogen wird und genau das ist auch der Fall. Obwohl die Figuren in dritter Person (also jeweils von einer der Frauen) eigentlich sehr gut dargestellt werden, vor allem auch das kleine Ermittlerteam.

Und die absolute Besonderheit: ich habe ganz, ganz viel über die Kirche der Heiligen der letzten Tage, wie sich die Mormonen selbst nennen, in den USA gelernt.

ABER: stimmt das alles so? Hier gehe ich konform mit der britischen Autorin Catherine Quinn, die eine der Witwen charakterisiert mit "sie log nie, aber sie ließ einiges aus". Genau das unterstelle ich ihr auch, denn es fehlt so viel, einiges andere wiederum (sehr vieles, muss man sagen) ist deutlich zu ausführlich geschildert.

Ein sehr besonderes Buch, aber wie sehr man sich persönlich davon angesprochen oder zumindest unterhalten fühlt, das bleibt jedem Leser selbst überlassen.

Bewertung vom 06.01.2022
Land aus Schnee und Asche
Rautiainen, Petra

Land aus Schnee und Asche


sehr gut

Hoch im Norden
Nämlich im Norden Finnlands, im Land der Samen, also in Lappland, spielt dieser Roman der jungen finnischen Autorin Petra Rautiainen. Mich hat vor allem angesprochen, dass die Handlung während und relativ kurz nach dem Zweiten Weltkrieg spielt - einem Krieg, in dem Finnland eine besondere Rolle einnahm und am Ende sehr viel Glück hatte: es hätte nämlich ebenso wie die Baltischen Staaten zu einem Teil der Sowjetunion werden können.

1947 reist die Fotografin Inkeri dorthin, um die Bemühungen zum Wiederaufbau des Landes kurz nach dem Krieg in einem Gebiet nahe der sowjetischen Grenze zu dokumentieren. Offiziell - denn eigentlich treiben sie andere Gründe um - ihr Mann Kaarlo verschwand während des Krieges spurlos.

Da sie mit ihrer Verwandtschaft zu ihm nicht unbedingt hinter dem Berg hält, wird ihr bald ein Tagebuch zugespielt, das ein Finne, der in einem Gefangenenlager vor Ort als Dolmetscher gearbeitet hat, verfasste. Schnell wird klar, dass sich Kaarlo dort befand - und zwar als Gefangener.

Diese geheimnisvollen Verwicklungen gepaart mit den historischen Details haben meine Neugierde geweckt und zunächst habe ich den Roman mit Begeisterung gelesen. Auch jetzt, nach Beendigung der Lektüre, betrachte ich diese noch als Gewinn, allerdings wurde so ab der Hälfte des Romans deutlich, dass die Autorin noch keine Erfahrung im Verfassen von Werken dieses Formats hatte: relativ unvermittelt wurden immer wieder neue Umstände eingeführt, die sich nicht so richtig in die Handlung einfügten - entweder fehlte der Anfang oder das Ende. Schade, es hätte richtig toll werden können, denn es ging nicht zuletzt um die rassistischen Repressionen gegen die Sami in jener Zeit.

Ich bin auch der Ansicht, dass Petra Rautiainen auf dem besten Weg ist, eine wirklich gute Autorin mit einer Botschaft zu werden. Dass sie diese Botschaft formulieren kann, hat sie hier eigentlich schon bewiesen. Sie hätte nur klarer und eindringlicher sein müssen - so meine Meinung.

Im Klappentext wird dieses Debüt als "kraftvoll" bezeichnet. Genau das ist es nicht, bzw. geht ihm die Puste zum Ende hin leider viel zu früh aus. Daher von mir 3,5 Sterne, die ich hier aufrunde.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.01.2022
Das vermutlich allerletzte Ostrockbuch
Hentschel, Christian

Das vermutlich allerletzte Ostrockbuch


ausgezeichnet

Und zwar schon lange. Oft handwerklich deutlich besser, als es der Westen jemals imstande war, haben doch viele Musiker ihr Werk von der Pieke auf gelernt: Es sind wirklich und wahrhaft Musiker, die gaaanz viel können. Weil sie es studiert oder von klein auf gelernt haben.

Ich selbst komme aus dem Westen, habe aber als Teenager im Zuge von "Die Legende von Paul und Paula" schon in den 1970ern die Puhdys kennengelernt - "Wenn ein Mensch lebt" ist immer noch einer meiner liebsten Songs.

Und als Kölnerin natürlich lange vor Maffay das Lied über die sieben Brücken - für uns hier die sieben kölschen Rheinbrücken.

Dieses Buch folgt wichtigen DDR-Musikern bzw. Bands basierend auf Gesprächen mit Mitgliedern. Der Stil wird hier sehr gekonnt verwendet, nicht zu professionell, aber auch nicht zu locker oder anbiedernd und man merkt, dass der Ostrock DAS Thema des Fragenden ist.

Es haben mir einige Gruppen wie City gefehlt.

Aber es kommt ja noch das WIRKLICH allerletzte Ostrock-Buch. Ehrlich. Gottseidank!

Bewertung vom 01.01.2022
Die Frauen von Schönbrunn / Schönbrunn-Saga Bd.1
Maly, Beate

Die Frauen von Schönbrunn / Schönbrunn-Saga Bd.1


sehr gut

Einfach nur den Zoo besuchen? Nein, das reicht der jungen Emma nicht und nun, im Sommer des Jahres 1914, erfüllt sich endlich ihr größter Wunsch: sie wird als Tierpflegerin in Schönbrunn eingestellt, auch wenn ihr Traum eigentlicb darin besteht, Tierärztin zu werden und damit in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, der den Zoo neben seiner Praxis betreut.

Aber nicht mehr lange, denn der Erste Weltkrieg bricht aus und nachdem die jungen Männer alle an der Front sind, wird auch ihr Vater einzogen. Und die wirtschaftliche Situation in Wien wird zunehmend schlechter - nicht nur die Tiere im Zoo hungern, sondern auch - und vor allem - die Menschen. Und immer weniger verstehen, warum die Tiere erhalten bleiben sollten. Emma fühlt sich in dem Kampf oft allein gelassen, zumal sie sich auch um ihre hochschwangere Schwester Greta, deren Ehemann als vermisst gemeldet ist, kümmern muss. Da begegnet ihr Dr. Julius Winter, ein junger Tierarzt, der ihren Vater vertritt. Und sie spürt Verbundenheit nicht nur auf beruflicher Ebene - längst nicht.

Ein faszinierender Roman über Menschen im Wien im Ersten Weltkrieg - die Autorin hat verstanden, sowohl historische Fakten als auch die Atmosphäre der 1910er Jahre zu vermitteln, was ich sehr zu schätzen wusste, zumal mich auch Emmas Geschichte gepackt hat. Ein wenig wurde das durch die Sprache, die - so fand - desöfteren aktuelle Redewendungen, Ausdrücke und Wörter beinhaltete, deren Gebrauch ich mir in den Jahren 1914-1918 nur schwerlich vorstellen kann, geschmälert. Aber das stört andere Leser möglicherweise weniger als mich und auch ich habe den Roman dennoch sehr gern gelesen!

Bewertung vom 29.12.2021
Die Enkelin
Schlink, Bernhard

Die Enkelin


sehr gut

Es ist ein ganz besonderes Erbe, mit dem sich Kaspar nach dem plötzlichen Tod seiner Frau konfrontiert sieht: sie, der er Mitte der 1960er Jahre zur Flucht aus der DDR verhalf, hatte eine Tochter. Die allerdings in die Untiefen rechter Gesinnung abgetaucht ist und, als Kaspar sie nach langer Suche findet, auch kein Interesse hat, daraus wieder aufzutauchen.

Doch sie hat selbst ein Kind, eine knapp fünfzehn Jahre alte Tochter namens Sigrun, die in ihrem bisherigen Leben nur völkische Gesinnung und rechtes Gedankengut mitbekommen hat und - wie könnte es anders sein - davon vollkommen überzeugt ist.

Dennoch schafft es Kaspar, ihre Eltern - der Vater ist um Längen schlimmer, also völkischer und "rechter" als die Mutter, davon zu überzeugen, Sigrun in den Ferien zu ihm zu lassen. Und zwar mit schnödem Mammon, der auch in völkischen Kreisen seinen Reiz hat.

Sowohl für Kaspar als auch für Sigrun bedeuten diese Besuche das Kennenlernen einer vollkommen neuen Welt, in der es zunächst kaum Gemeinsamkeiten gibt. Doch - überraschend für Kaspar - erfolgt eine Annäherung über klassische Musik.

Zerbrechlich allerdings, wie bald klar wird. Ein Roman, der zwei vollkommen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen Deutschlands einander gegenüber stellt: einen immer noch eher links orientierten Intellektuellen der 1960er Jahre und einem lange nach der Wiedervereinigung geborenen Mädchen, das nur die Kreise der Neurechten kennt und sich darin bisher wohlgefühlt hat.

Mir hat gefallen, dass Bernhard Schlink in diesem Roman krumme Wege geht. Es gibt überraschende Gegenüberstellungen, Aburteilungen erfolgen auf beiden Seiten, wobei aber immer klar bleibt, auf welcher davon der Autor selbst steht. Auch wenn ich ab und an über ein - kleines - Klischee stolperte, habe ich den Roman mit großem Gewinn gelesen - denn ich bekomme niemals genug von verschiedenen Sichtweisen auf Deutschland und dies ist eine durchaus besondere! Gewissermaßen in der Tradition des "Vorlesers", aber beide Romane sind Kinder ihrer jeweiligen Entstehungszeit und damit völlig unterschiedlich!