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Frankfurt

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Insgesamt 718 Bewertungen
Bewertung vom 24.02.2022
Nelly & Düse - Pudel frisch gestrichen
Mahne, Nicole;Opheys, Caroline

Nelly & Düse - Pudel frisch gestrichen


ausgezeichnet

Was haben wir gelacht!
Ein wirklich erfrischend herrlich lustiges Kinderbuch für die Grundschulzeit.
Nelly hat einen Hund names Düse, im Haus schleicht ihre Beautyqueen-Halbschwester mitten in der Pubertät durchs Haus. Diese Sophie bekommt mehr als einmal ihr Fett weg vom kleinen Schwesterherz und das meist ohne Absicht was es noch witziger macht. Dann ist da noch der dämliche Max aus ihrer Klasse und die neuen Nachbarn Elmar und Berta, die auch samt Pudeldame einziehen. Diese Gemengelage entspinnt sich zu einer einfachen, aber ECHT witzigen Geschichte.
Durch die vielen netten Illustrationen von Caroline Ophenys ist der Text aufgelockert und für gute Erstleser eine wirkliche Entdeckung. Klar, das Buch kann auch ab der Vorschule schon sehr gut mit den Eltern zum Vorlesen entdeckt werden. Hier wirklich eine Empfehlung auch zum Vorlesen, weil auch wir Vorlesetiere auf ihre Kosten kommen. Wie gesagt – ich rang das eine und andere Mal nach Luft so laut musste ich lachen!
Was bin ich froh, dass Nicole Mahne, hier abseits ausgetretener (langweiliger) Pfade mal was Neues probiert und uns so erheitern konnte. Wir danken herzlichst!

Bewertung vom 24.02.2022
Das Mädchen mit dem Drachen
Colombani, Laëtitia

Das Mädchen mit dem Drachen


ausgezeichnet

Gesellschaftliche Diebe der Unschuld & Zukunft vieler Mädchen in Indien

"Haltet die Diebe der Freude, der Unschuld, der Zukunft, die Diebe von Talent und Intelligenz." (S. 223)
Auch dieses Buch hat wieder Bestsellerpotenzial, denn Laetitia Colombani schafft es auf ihre ganz eigene Art die Leserschaft mitzureißen und sich auch auf unbequeme Reisen zu begeben und trotz allem am Ende einen Hoffnungsschimmer am Horizont aufzuzeigen. Und das ohne Kitsch und Drama. Sie schreibt recht sachlich und nüchtern, nur einzelne Sätze driften fast ins kitschige ab, aber das mag man ihr nachsehen.
Dieses Mal begeben wir und mit Léna nach Indien. Nach einer Tragödie in der französischen Heimat versucht sie Abstand zu gewinnen zu ihrem Schicksalsschlag und möchte wieder Energie für ein anderes Leben gewinnen, für ein Leben das sich noch finden muss.
„Sie hat Schiffbruch erlitten; ihr Kompass ist kaputt.“ (S. 86)
Und in dieser Verfassung trifft sie auf ein Mädchen, dass ihr das Leben rettet, das Mädchen mit dem Drachen. Es entsteht eine kaum greifbare, aber eine Verbindung der beiden und Lena beschließt zu helfen. Da sie Lehrerin war, hat sie das Ziel vor Augen diesem Mädchen das Lesen und Schreiben beizubringen.
"Wissen ist Macht. Bildung ist der Schlüssel zur Freiheit." (S. 60)
In diesem Roman steckt eine zutiefst persönliche Geschichte der helfenden und suchenden Léna sowie eine wichtige Anklage an die gesellschaftlichen Probleme der indischen Bevölkerung. Formal, im Gesetzestext hat sich in den letzten Jahrzehnten in Indien viel gebessert, aber in den ärmlichen Dorfstrukturen sieht es auf wie eh und je: Frauen sind nix wert, brauchen keine Bildung, werden früh verheiratet und ein Kreislauf wird in Gang gesetzt. Und dazu noch das unsägliche Kastensystem das noch sein Übriges tut.
„Ein Kind zu schlagen dauert nur eine Sekunde, sein Vertrauen zu gewinnen deutlich länger.“ (S. 192)
Laetitia Colombani zeigt mit dieser fiktionalen Geschichte und ihrem prägnant knackig kurzen Stil das es starke indische Frauen braucht um sich zu widersetzen. Eine erschütternde Lektüre, die aufrüttelt, aber auch Hoffnung gibt, dass JEDE Hilfe die Lage zum Besseren wenden kann.
Fazit: Trotz Internet und Informationsüberfluss braucht es strukturell gute Bildung auf der Welt um Missstände zu erkennen und Chancen zu geben.

Bewertung vom 24.02.2022
Tell
Schmidt, Joachim B.

Tell


ausgezeichnet

Binge reading in kurz!

Ein Buch, dass ich echt nicht aus der Hand legen konnte. Die Geschichte ist keine neue, nein, bei weitem nicht. Ein Schweizer Held dieser Wilhelm Tell, der von Schiller als sein letztes Stück Teil des deutschsprachigen Bildungskanons wurde. Nun könnte man gähnen und sagen, nicht noch mal den Apfel vom Kopf schießen. ABER es ist eine Neuauflage der besonderen Art.
Der Schweizer Joachim B. Schmidt macht daraus eine neue Inszenierung des Schweizer Nationalhelden die begeistert. Er lässt die barbarischen Zeiten ans Licht kommen und den einfachen Drang Wilhem Tells seine Familie zu ernähren, auch wenn das bedeutet waghalsige Manöver zu unternehmen. Der Schreibstil ist kurz, knackig, prägnant. Ständig wechselt die Perspektive und die zu uns sprechende Stimme. Zack, zack, zack – schnelle Schnitte und Wechsel. Mir erschienen die einzelnen erzählten Szenen eher wie Blitzlichter, die dann ein gelungenes Bild der Habsburger eisernen Herrschaft zeigt. Düster, manches mal brutal ist die Grundstimmung und in dieser Gemengelage versucht Wilhelm Tell sein Glück. So nachvollziehbar. Man taucht erst nach und nach in seinen Charakter ein. Erst scheint er ein wortkarger Eigenbrötler zu sein und nach und nach ändert sich die Sichtweise. Man bemerkt er hat den Schelm im Nacken und treibt es manches Mal zu bunt.
Fazit: Wer vom klassischen Held nicht wissen will, sollte gerade hier zugreifen!

Bewertung vom 17.02.2022
Die Erfindung der Hausfrau. Geschichte einer Entwertung
Rulffes, Evke

Die Erfindung der Hausfrau. Geschichte einer Entwertung


ausgezeichnet

Das Mädchen für alles

Wer glaubt, dass die Hausfrau eine historisch uralte Institution ist, irrt gewaltig. Eine Entwicklung die Anfang des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt hatte und hoffentlich bald zu Grabe getragen wird.
Sehr erhellend für diesen Erkenntnisgewinn ist das Sachbuch ‚Die Erfindung der Hausfrau - Eine Geschichte der Entwertung‘ von der Kulturwissenschaftlerin Evke Rulffes. Dieses Buch war erhellend wie kein anderes für mich zum Thema, vor allem was unser heutiges Rollenverständnis angeht.
Der Bogen wird gespannt vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Es wird der Leserschaft vor Augen geführt wie es dazu kam, dass Frauen unentgeltlich die gesamte Haushaltsarbeit leisten. Wahnsinn wie die Veränderung sich durch die Jahrhunderte zog. Stelle man sich vor, dass Frauen im Mittelalter noch Teil vieler Zünfte waren und es undenkbar war, dass Frauen nicht gearbeitet haben, weil Familien das Geld einfach brauchten.
Die Veränderung fand schleichend statt. Erst der Wandel vom Stand zum Bürgertum brachte den Stein ins Rollen. Denn die Repräsentanz sollte gewahrt werden, aber das Bürgertum hatte nicht das nötige Geld um Angestellte zu haben somit musste die Ehefrau und Mutter hier tätig werden.
Den negativ Höhepunkt erreichte es 1900 als die Hausfrauenehe im BGB landete und Ehefrauen schlicht nicht mehr geschäftsfähig waren, da sie keine Entscheidungsgewalt mehr hatten und es gesetzlich verpflichtend war für Ehefrauen sich um das Heim und Kinder zu kümmern. In der BRD erst 1977 wieder abgeschafft. Dieses Hausfrauendasein ersparte dem Patriachat viel Geld, da sie ihren Lebensstandard halten konnte ohne Personal.
Ein weiterer Aspekt ist die Einsamkeit der Hausfrau durch die Konzentration auf die Kernfamilie und eine Art Boreout durch die technischen Errungenschaften der 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts.
Ein wirklich äußerst lesenswertes Sachbuch! Eine geschichtliche Entwicklung verknüpft mit den heutigen schier unerreichbaren Anforderungen an Mütter ausgelöst durch gesellschaftlichen Druck und eigen kreiertem Anspruch.
Fazit: Auch gekaufter Kuchen macht Kinder glücklich.

Bewertung vom 14.02.2022
Grenzgänge
Statovci, Pajtim

Grenzgänge


ausgezeichnet

Dunkle Ecken ausleuchtend um Identität zu finden

Was bedeutet Heimat? Was Zugehörigkeit? Wer bestimmt wann und wo man ein Teil von wird? Und wann endet die rastlose Suche? Einiger dieser Fragen und noch viele mehr treibt den Protagonisten in dem Roman ‚Grenzgänge‘um. Es ist der Ich-Erzähler Bujar, der in Albanien groß wird und dem Elend mit seinem Freund Agir entschwinden will. Nicht nur wegen der ärmlichen Verhältnisse, auch die sexuelle Orientierung hat im traditionell verhafteten Umfeld keine Chance auf Entfaltung.
Die beiden flüchten sich zunächst nach Italien und Bujars Flucht setzt sich dann durch die verschiedensten Länder und Städte fort. Nicht nur das, auch er selbst wechselt nach außen hin die Identitäten, mal täuscht er vor Italiener zu sein, mal eine Frau. Er traut sich, versteckt sich und vor allem sucht er sich selbst und seinen Platz. Letztendlich landet er in Finnland.
Dieses Buch beschreibt grandios die inneren und äußeren Grenzgänge, die der Protagonist durchmacht und nimmt uns mit. Bujar kämpft mit allen Tricks und Täuschungen nach außen hin und lässt uns an seinem inneren Aufgewühlten teil haben mit sehr klugen Gedanken.
Wahnsinnig gut erzählt und das auch noch verwoben mit albanischen alten Mythen, die der Autor hier gekonnt einflicht. Pajtim Statovci, 1990 im Kosovo geboren, wanderte mit 2 Jahren mit seinen Eltern nach Finnland aus. Nun ist er einer DER Nachwuchsautoren Finnlands und legt mit ‚Grenzgänge‘ aus dem Jahr 2016 einen tollen zweiten Roman vor, der nun auch in deutscher Übersetzung von Stefan Moster vorliegt.
In diesem Roman wird aufgezeigt was Anderssein bedeutet, was Ungleichheit ausmacht und wie Multikulturalität gelebt wird. Übrigens auch ein Roman, der Jugendliche zusagen könnte, die auch auf der Suche sind.
Ich wünsche dem Roman viele viele Leser! Er ist herausragend aus meiner Sicht.

Bewertung vom 13.02.2022
Der Blauwal
Tjernshaugen, Andreas

Der Blauwal


ausgezeichnet

Unglaublich, aber wahr!

„Der Blauwal“ ist einer der spannendsten und faszinierendsten Tiere auf unserem Planeten. Kein Wunder, dass der Norweger Andreas Tjernshaugen sich dem Tier angenommen hat und nun ein großartiges Bilderbuch für ältere Kinder aus seinem gesammelten Wissen machte!
Es startet mit dem Lebenszyklus des Blauwals, wie er aufwächst, was er frisst und wie er lebt. Es ist sehr detailliert beschrieben. Auch ein Vergleich zu anderen Walen, wie beispielsweise dem Pottwal, wird gezeigt. Apropos gezeigt, die Illustrationen von Line Renslebraten sind einfach grandios. Detailliebend und genau, da schaut man sich das Buch auch gerne mal ohne Text an. Der Text ist, aus meiner Sicht leider, recht klein geschrieben, sprich keine Erstleserschrift und gibt den Zeichnungen mehr Raum. Die Schrift hätte für die Grundschulzielgruppe ruhig einen ticken größer sein dürfen. Das Buch ist mit einer Altersempfehlung ab 8 Jahren eingestuft. Für das selbstständige lesen passt das gut, aber ich denke, wer sich für das Thema interessiert und vorgelesen bekommt, kann dies auch schon ab 6 Jahren anschauen und sich begeistern lassen. Früher erscheint mir schon recht schwierig. Im zweiten Abschnitt geht es dann um die Evolution und zeigt uns anschaulich wie der Wal vom Vierbeiner zum Wal wurde! Spannend!
Auch finde ich den folgenden Abschnitt gut in dem auf die fürchterliche Waljagd eingegangen wird. Wie sie immer weiter ausgebaut wurde und dann endlich in einem Walfangverbot 1966 mündete.
Abschließend gibt es noch ein Kapitel zum Jungwal mit dem das Buch begann und wie er in die Selbstständigkeit erwächst. Ach und zu allerguter Letzt gibt es noch ein paar Fakten, sehr hilfreiche für anstehende Tier-Grunschul-Projekte! Dort gibt es Infos zu Walrekorden und ein paar weitere spannende Fragen und deren Antworten.
Fazit: Uns hat das Buch bereichert und begeistert!

Bewertung vom 11.02.2022
Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
Leo, Maxim

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße


ausgezeichnet

Gibt es eine objektive Wahrheit?

Das 30jährige Mauerfallsjubiläum steht an und ein Journalist recherchiert die größte Massenflucht aus der DDR. Eine fehlgeleitete S-Bahn brachte 1983 127 DDR-Bürger in die Freiheit, in den Westen. Nun findet dieser Journalist den abgewrackten Michael Hartung, der damals bei der Reichsbahn angestellt war und laut Stasi Unterlagen diese Massenflucht durch die Manipulation einer Weiche die Flucht ermöglich hat. Nach einiger Bearbeitung des Journalisten ist Hartung bereit sich als Drahtzieher der Öffentlichkeit zu Bekennen und der Journalist hat DIE Story des Jubiläums präsentiert. Win, win?
Hartung wird zum Helden stilisiert, lange gab es keine neuen Gesichter, die man mit Lob und Ehre überschütten konnte. Endlich kommt mal ein bescheidener Helfer zu Wort. Da Hartung aber kein Held, sondern eher ein Anti-Held ist, nimmt dieses ganze Spiel ihn persönlich sehr mit. Er verstrickt sich in Lügen und wird wie eine Trophäe herumgereicht. Wie das ganze ausgeht, lass ich lieber offen, sonst fehlt die Spannung beim Lesen.
Mir hat der Roman sehr gut gefallen, ist es doch eine sehr gelungene Mischung aus fiktivem historischem Geschehen (es gibt keine echten/historischen Vorbilder), dass uns mit der Frage konfrontiert: Gibt es eine objektive Wahrheit über Vergangenes? Wie schnell kommt ein gängiges erzähltes Motiv ins Wanken? Wie viel Interpretationsspielraum gibt es? Außerdem schwingt dem Roman noch der klassische Ossi vs Wessi Konflikt mit, wer wem für was keine Anerkennung zollt. Eine gut verpackte Analyse. Aber zu guter Letzt ist es auch ein humorvoller gut erzählter Roman, daher: Ein absolutes Lesevergnügen – alles drin! Unbedingt lesen.

Bewertung vom 10.02.2022
Das erschöpfte Gehirn
Nehls, Michael

Das erschöpfte Gehirn


sehr gut

Man schleppt sich durch den Alltag und wundert sich, dass die Konzentration immer schlechter wird. Wenig Lust auf neue Entdeckungen, lieber in eingefahrenen einfachen Bahnen bleiben. Daher wollte ich gerne „Das erschöpfte Gehirn“ von Dr. med. Michael Nehls lesen. Er wurde mit vielen Publikationen zum Thema Alzheimer bekannter. Sein Ziel ist es hockkomplexe Zusammenhänge für Fachfremden einfach zu erklären. Ich finde, dass er das in der Tat sehr gut kann. Themen runterbrechen und querzusammenhänge aufzeigen und zugleich Beispiele nennen. Dieses Buch verzahnt verschiedenste Wissenschaftsbereiche der Neurologie, Genetik, Soziologie sowie Ökonomie und auch Philosophie. Ein sehr gelungener interdisziplinärer Ansatz. Der Fokus liegt, wie der Titel verrät, beim Gehirn und dort speziell das Frontalhirn. Es ist sehr aktuell, macht es sogar das Themenfeld Long-COVID auf. Das Buch gibt Einblick in aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse, manches auch nicht neu, aber ist in der Tat kein Handlungsratgeber. Eher eine Wissensbereicherung.
Was an der ein und anderen Stelle etwas stört, sind die doch sehr polemische Formulierung des Autors, wenn er beispielsweise „Die Regierung agiert als Erfüllungshilfe der Industrie.“ (S. 209) betitelt. Hier hätte man auch sachlicher auf den starken Lobbyismus hinweisen können. Diese Aspekte des Buches habe ich für mich persönlich ignorieren können.
Gelungen ist dagegen der Bezug der Forschung auf das Alltägliche, wenn er z. B. ausführlich wissenschaftlich belegt aufzeigt, dass Spielen ein essenzieller Bestandteil des Lebens sein sollte um Kreativität zu fördern im Zusammenhang mit dem Sinn des Lebens. Auch fand ich die Grafiken zur Illustration auflockernd und hilfreich.
Fazit: Spannendes komprimiertes Sachbuch vorrangig über das Frontalhirn. Ein Ansporn sich die eigenen Verhaltensmuster vor Augen zu halten und unser Frontalhirn auf seine präferierte Weise zu pflegen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.02.2022
Damenbart
Pines, Sarah

Damenbart


gut

Wenig Lebensfreude auf 193 Seiten

„Manche Sterne fallen leise, manche laut und mit Feuerschweif.“ (S. 166)
Sarah Pines, Autorin verschiedenster deutschsprachiger journalistischer Medien hat ihr literarisches Debüt in Form einer Kurzgeschichtensammlung publiziert. In 17 eigenständigen Kurzgeschichten präsentiert sie uns ihr Schreibtalent.
„Draußen zog die Tonspur der Nacht vorüber, Gläserklirren irgendwo, das Geräusch von Mopeds, Frauen lachen, grölende Jugendliche, Hundegebell.“ (S. 57)
Alle Geschichten eint eine antriebslose, deprimierende Grundstimmung, die ihren Ursprung in der Vergangenheit der Protagonisten hat. Alle Charaktere hadern und es fehlt an Sinn und Perspektive. Höhst trostlos und brutal melancholisch.
Was als Gegengewicht zu dem wiederkehrenden Motiv der einsamen Frau steht, ist die stets wechselnde Perspektive: mal ein anderes Land, eine andere Zeit, ein anderes Milieu. Zu den sezierten Damen gesellt sich nur eine Ausnahme und das ist „Zugenäht“. Diese Geschichte auch mein Favorit in dieser Sammlung.
„derjenige, der am meisten schimpft, hat nicht notwendigerweise am meisten unrecht.“ (S. 83)
Spannend sind die Geschichten zu lesen, denn in jeder musss man sich sprachlich neu orientieren. Sahra Pines, studierte Literaturwissenschaftlerin spielt mit ihren Möglichkeiten. Einerseits zeichnet sie sehr raue Bilder, die zugleich aber fragil sind. Besonders interessant fand ich persönlich die fast lyrische Sprache die machen Sätze zusammenhält. Manch anderes Mal ist es die Syntax, die einen eigenwilligen Rhythmus vorgibt. Die Wortwahl auch mal karg, aber auf den Punkt. Oft stellen sich genau die unbehaglichen Gefühle ein, die die jeweiligen Geschichten transportieren.
„In der Ferne verschleierte Nebel die Unendlichkeit des irgendwann nahenden Sommers." (S. 21)

Bewertung vom 06.02.2022
Ende in Sicht
Rönne, Ronja von

Ende in Sicht


ausgezeichnet

Mist der uns das Leben schenkt

Wenn einer zum Sterben das Haus verlässt, dann geht es meist nicht gut aus. Hier sieht die Lage anders aus, denn hier treffen zwei Frauen mit demselben Ziel ungewollt aufeinander. Die 15jährige Juli hat vor von einer Grünbrücke auf die Autobahn zu springen, um sich das Leben zu nehmen. Ihr Glück im Unglück ist Hella, die sie rettend auf den Grünstreifen manövriert. Zwar arg lädiert, aber lebend. Ironischerweise ist auch sie auf dem Weg zum Sterben, denn die 69 Jahre alte Popikone mit hohlem Leben will ihrem Ganzen in einer Sterbeklinik in der Schweiz ein Ende setze. Tja, und da sind sie ungewollt vereint in einem klapprigen Passat, sind schroff im Ton und besorgt in der Brust, obwohl der Gegensatz nicht größer sein könnte.
Ronja von Rönne legt mit „Ende in Sicht“ ihren zweiten Roman vor. Sie ist von Hause aus Journalistin der ‚Zeit‘ und Moderatorin ein Philosophie Magazin auf ARTE namens Streetphilosophy und betreibt einen Podcast. Vor allem wird momentan gerne in den Medien ihre Depression in Bezug auf das Buch durchleuchtet, ich halte davon wenig und freue mich, wenn die Autorin sagt, dass das Buch nicht WEGEN der Depression entstand, sondern TROTZ. Dabei belassen wir es.
Ich finde sie schreibt gut, der Klartext-Ton findet sich gerne rotzig und frech wieder. Der ruppige Ton genau das richtige was die beiden Frauen verkörpern, keine Freundlichkeit, aber eine tieferliegende Zuneigung zueinander. Hier werden Chinaböller gezündet, aber Knallfrosch-Sound ertönt, wie im echten Leben nehmen hier Formulierungen einen großen Anlauf, aber es geschieht dann eher wenig. Kennen wir das nicht alle?
Wenn Hella ironischerweise ihren One-Hit-Wonder „Ende in Sicht“ in Dauerschleife besingt und Juli mit der Lüge ihres Lebens hadert im den die Schnecke auf dem Cover eine große Rolle spielt, dann ist da ein Funken Hoffnung für das gegensätzliche Paar. Natürlich: Das Roadtrip-Sujet ist nicht neu und innovativ, aber Ronja von Rönne hat es auf ihre ganz eigene Art zum Ereignis der Sonderklasse gemacht.