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yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 2021 Bewertungen
Bewertung vom 08.04.2023
Alles wird gut
Politycki, Matthias

Alles wird gut


sehr gut

Matthias Politycki neuester Roman heißt Alles wird gut. Chronik eines vermeidbaren Todes. Ein Titel, der an Gabriel Garcia-Marquez erinnert und tatsächlich hat der Roman auch etwas Exotisches. Schauplatz ist der Süden Äthiopiens im Jahr 2020.
Der Protagonist heißt Josef Trattner, aus Wien, der jetzt schon 3 Jahre in Afrika arbeitet. Er ist ein überwiegend passiver Beobachter, bleibt zunächst kühl, reagiert wenig. Das kennzeichnet den Roman, bei dem man den Figuren zunächst nicht so nahekommt, wie in Polityckis letzten Roman „Das kann uns keiner nehmen“, der auch in Afrika handelte.
Dennoch beeindrucken mich die Figuren. Politycki kann markante Typen schaffen.

Trattner ist fasziniert von einer Frau der Suri, Natu. Wegen ihr bemüht er sich mehr, Afrika zu verstehen und durch seinen Blickwinkel nehmen wir Leser das uns fremde Äthiopien wahr. Der kommende Krieg liegt in der Luft, die Konflikte zwischen den Ethnien sind spürbar.

Meiner Auffassung nach bleiben sich Trattner und Natu fremd, sie haben auch nicht so viele gemeinsame Szenen im Buch.

Die größte Stärke des Buches sind die Beschreibungen der Umgebung. Das ist auch der Erfahrenheit eines Autors geschuldet, der schon viele Romane geschrieben hat.

Bewertung vom 05.04.2023
Helga Schubert über Anton Tschechow / Bücher meines Lebens Bd.4
Schubert, Helga

Helga Schubert über Anton Tschechow / Bücher meines Lebens Bd.4


ausgezeichnet

Helga Schubert, verdiente Gewinnerin des Ingeborg Bachmann-Preis 2020, spürt in diesem schmalen Buch dem Leben Anton Tschechows und seinem Werk nach und schildert sein Leben auf spannende Art. Das Besondere ist, dass sie Tschechow als Persönlichkeit wirklich Profil gibt. Das ermöglicht dem Leser eine Begegnung.

Aber Helga Schubert schreibt auch über sich und erläutert ihre Verbundenheit mit Tschechow. Und sie findet wirklich einen Ton für das Buch.
Deshalb ist es auch ein sehr persönliches Buch geworden, so dass man als Leser Dankbarkeit empfindet, dass sie es mit uns teilt.

Bewertung vom 05.04.2023
Wir lassen uns gehen
Schalko, David

Wir lassen uns gehen


sehr gut

Eigenwillige Figuren

David Schalkos Erzählungen sind ungewöhnlich, eigenwillig und originell. Und vor allen haben sie Kraft. Ein gutes Beispiel dafür ist die Erzählung Vorteil Hornicek, in der ein Tennislehrer nach einem Unfall plötzlich in die Zukunft sehen kann, aber leider nur 3 Sekunden.
Typisch für Schalko ist auch, dass die Figuren nicht unbedingt Sympathieträger sein müssen.
So wird der Protagonist der ersten Story durchgängig als Arschloch bezeichnet, und er verhält sich auch so.

Oft ist die Sprache rüde, aber so passt sie zu den drastischen Geschichten.

Nicht wenige der Figuren sind Verlierer, z.B. Jeff Kanter in Cowboys, der ein ehemals erfolgreicher Sänger war und jetzt nur noch vor wenigen Personen singt. Man denkt bei ihm ein klein wenig an Gunter Gabriel.

Zu den bizarren Geschichten gehört auch die ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen Johnny und der Sonne.

Einige Stories sind sehr kurz. Mit denen konnte ich persönlich nicht ganz so viel anfangen.
Aber so einiges ist wirklich bemerkenswert. Daher unbedingt ein lesenswertes Buch.

Bewertung vom 05.04.2023
Clemens Meyer über Christa Wolf / Bücher meines Lebens Bd.3
Meyer, Clemens

Clemens Meyer über Christa Wolf / Bücher meines Lebens Bd.3


ausgezeichnet

Als Teil der Reihe Bücher meines Lebens ist dieses Essay von Clemens Meyer über Christa Wolf erschienen.
Clemens Meyer geht hier durch Christa Wolfs Bücher, gleichzeitig auch durch wichtige Teile der Literatur der DDR.
Es ist also von Vorteil, Christa Wolfs Werk ein wenig zu kennen und auch einige der anderen DDR-Autoren.

Es ist ein dichter Text. Clemens Meyer bleibt Christa Wolf konzentriert auf den Spuren. Als Schlüsselwerk wird immer wieder Kindheitsmuster herangezogen.

Da ich Christa Wolf viel gelesen habe, ist Clemens Meyers Buch für mich ein Glücksfall!

Bewertung vom 04.04.2023
Das Gewicht des Ganzen
Heuchert, Sven

Das Gewicht des Ganzen


sehr gut

Der Gesang des Sumpfengels

Der Schriftsteller Sven Heuchert, bekannt durch Dunkels Gesetz, hat einen eigenwilligen Stil. Er setzt auf seine Figuren, die sich verschlossen geben. Das trägt neben glänzenden Beschreibungen zur Atmosphäre bei.
Die Kapitel wechseln zwischen Milla und Russ, die sich in Kanada treffen und sich miteinander befreunden. Obwohl die beiden sich kaum persönliches erzählen, haben sie ein Gefühl der Vertraulichkeit. Die Dialoge sind wirklich gut gemacht.
Ein Noir-Feeling, wie in Heucherts früheren Romanen fehlt. Dadurch wird der Roman für mich umso mehr zur lesenswerten Literatur. Der Roman beginnt fast sperrig, entwicklt aber mit der Zeit immer mehr einen erzählerischen Sog, den man sich als Leser nicht entziehen kann oder will.

Bewertung vom 03.04.2023
Die Verräter
Weigandt, Artur

Die Verräter


ausgezeichnet

Der in Kasachstan geborene Journalist Artur Weigandt hat mit Die Verräter ein ungewöhnliches, beeindruckendes Buch geschrieben.

Sein Vater ist Weißrusse, die Mutter Ukrainerin und Belarussin. Gelebt haben sie in Uspenka in Kasachstan. Dann gingen sie nach Deutschland, wo Artur aufwuchs.

Die Frage der Identität beschäftigt Artur stark und so geht es vermutlich vielen seiner Generation, die aufwuchsen, nachdem die Sowjetunion zersplitterte.

Das Buch zeigt Arturs frühe Jugend, aber es ist auch sehr zeitnah mit dem Gegenwartsplot, in dem der Krieg in der Ukraine alles beherrscht.
Mit zahlreichen Gesprächen zeigt der Autor, wie zerrissen die Menschen sind. Nationalismus und Fanatismus ist weit verbreitet. Die Propaganda Putins wirkt.

Das Buch ist eine Mischung aus Roman, Autobiografie und journalistische Reportage. Eine Form, wie man es so selten liest. Sehr überzeugend, sehr lesenswert!

Bewertung vom 31.03.2023
Das Geschenk
Wondratschek, Wolf

Das Geschenk


sehr gut

Chucks Leidenschaft fürs Leben

Wolf Wondratschek zeigt in seinem erstmals 2011 erschienen Buch einen alternden Schriftsteller und sein 14jähriger Sohn.
Das Buch ist eigentlich unspektakulär, hat aber wieder den typischen Wondratschek-Sound. Ihr Verhältnis ist nicht ganz einfach. Der Junge ist verschlossen, die Dinge, die sein Vater liebt, wie Bücher und Boxen, teilt er nicht. Oft sehen sie sich nicht, denn der Junge lebt bei der Mutter, die vom Vater schon lange getrennt ist.

Chucks Gedanken wandern zurück an zentrale Punkte seines Lebens, darunter auch seine Beziehung mit Greta, die vor 20 Jahren starb, an seine Leidenschaft für Drogen und Musik oder an einen Bekannten, der den Freitod wählte. Es gab also in Chucks Leben viele Verluste. Manche dieser Passagen sind wirklich brillant geschrieben.

Bewertung vom 30.03.2023
Polnischer Abgang
Hoffmann, Mariusz

Polnischer Abgang


gut

Ein sympathischer Roman über die Flucht einer Familie von Polen nach Deutschland und ihr Ankommen hier. Es ist 1980 und der Autor Mariuz Hoffmann entwickelt ein Gefühl für diese Zeit.
Für die Erzählperspektive wird der 14jährige Jarek, Sohn der Familie gewählt und sein Blick ist naiv.
Dadurch werden die inneren Spannungen der Familie, z.B. auf der Flucht, nicht genauer betrachtet. Nach der Ankunft gibt es hingegen gut gestaltet Szenen, die zeigen , dass der Weg anerkannter Deutscher zu werden, kein leichter ist.
Es werden viele Coming of Age-Passagen eingefügt, insbesondere nachdem Jarek sich mit der mutigen Monika anfreundet.
Die geheimnisvoll gehaltene Großmutter-Geschichte fügt noch ein wenig Spannung hinzu, bleibt aber insgesamt im Hintergrund.
Sprachlich würde ich den Roman durchschnittlich, aber mit guten Ansätzen einstufen. Der Autor hätte literarisch mehr wagen können, aber was er macht, funktioniert.

Bewertung vom 30.03.2023
PUNKED
Sibai, Yasmin

PUNKED


sehr gut

Die Autorin Yasin Sibai kennt sich aus in der Szene des Punk, der aber nicht mehr dass ist, womit er mal begann. Die Szene hatte sich weiterentwickelt.
Wobei man sagen muss, dass die Romanhandlung zwischen 1998 und 2011 hin- und herspringt. Auch die Schauplätze wechseln viel.
Die Protagonistin Bey erfährt vom Tod ihres ehemaligen Freundes, den sie Jahre nicht gesehen hat. Die Todesursache macht sie stutzig und sie beginnt nachzuforschen.
Mit Karina gibt es eine zweite wichtige Figur, wenn auch leicht überzeichnet.

Auch Musikalisch sind andere Einflüsse hinzugekommen. Zahlreiche Zitate aus Songtiteln sind eingestreut und tragen dazu bei, entsprechende Atmosphäre aufzubauen. Ein Blick in die Playlist lohnt sich.

Das Romandebüt Punked ist sprachlich ansprechend und wird weiterhin sehr von den Dialogen getragen.

Bewertung vom 29.03.2023
Der Geheimnishüter von Jaipur / Jaipur Bd.2 (eBook, ePUB)
Joshi, Alka

Der Geheimnishüter von Jaipur / Jaipur Bd.2 (eBook, ePUB)


sehr gut

Malik und Nimmi

Der Geheimnishüter von Jaipur heißt der neue Roman der in Indien geborenen Schriftstellerin Alka Joshi.
Der Geheimnishüter von Jaipur setzt an Die Hennakünstlerin an.
Laksmi, die Hauptfigur des ersten Teils, wirkt wieder mit. Zusammen mit ihrem Mann, der Arzt ist, arbeitet sie in einem Krankenhaus.
Diesmal wird aber nicht nur aus ihrer Perspektive erzählt sondern auch aus Maliks und aus der Sicht der jungen, verwitwetes Mutter Nimmi. Die Passagen mit den Gedanken von Nimmi halte ich sogar für die stärksten.
Aber auch die anderen sind detailliert und voller Sprachreichtum.
Indien in der Zeit nach der Unabhängigkeit wird lebendig.
Im Vordergrund stehen aber die Figuren und ihr Schicksal.
Die Handlung entwickelt sich nur relativ langsam. Das ist dem Detailreichtum geschuldet.
Man darf auch nicht verschweigen, dass der Roman nicht ganz so relevant und eindringlich ist wie Die Hennakünstlerin.
Das ist aber immer noch gute Unterhaltungsliteratur.