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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 11.09.2007
Die Straße
McCarthy, Cormac

Die Straße


ausgezeichnet

Wer die erdrückende Vison Cormac McCarthys aus Draußen im Dunkel kennt, dem wird Die Straße beinah altersweise vorkommen. Auch hier bewegen sich zwei Menschen durch die Schattenwelt, auch hier schafft es McCarthy durch seine meisterliche Beschreibung von Landschaft und Mensch, seine pointierten Dialoge dem Leser das Gefühl zu vermitteln, was es bedeutet, in einer zerstörten Welt zu überleben. Mit ihr ist alles untergegangen, was die Menschheit ausmachte, und geblieben ist nur der Behauptungswille, sich am Leben zu halten, sei es dadurch, daß man die eigene Spezies verspeist oder sich durch die Hoffnung am Leben hält, daß irgendwo etwas auf einen wartet, was einem das Leben erleichtert. Vielleicht wollte uns McCarthy in seinem neuen Roman diese Hoffnung nicht ganz nehmen, so daß das Ende zu verheißungsvoll ausgefallen ist. Man beneidet den Autor um seine Sprache, seine erzählerischen Visionen, sein Vermögen den Menschen als das zu sehen, was er ist: Ein Stück Natur. Ein starker Roman.
Polar aus Aachen

3 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.09.2007
Ein Ort für die Ewigkeit
McDermid, Val

Ein Ort für die Ewigkeit


sehr gut

Der Plot dieses Krimis ist wie das Dorf, das McDermid beschreibt, in sich geschlossen. Und wer Dörfler kennt, weiß, daß man lange mit ihnen zusammen leben muß, um ihres Vertrauen würdig zu sein. Kein Buch für Thillerliebhaber, bei denen sich die Leichen stapeln. Eher ein beschaulicher Krimi im Stile einerHUndert Minette Walters, bei der das Ambiente stimmen muß. Es wird viel Zeit auf die richtige Stimmung verwendet, in der ein solches Verbrechen stattfinden konnte, und bei dem sich am Ende herausstellt, daß das eigentliche Verbrechen gar keins ist, vielmehr auf ein verborgenes hinweisen soll. Die private Verstrickung von Inspector George Bennet, die ihren Teil zur Auflösung beiträgt, wirkt hingegen konstruiert und nimmt dem ersten Teil eniges von seinem Charme. Wenn man den Roman gelesen hat, weiß man jedoch zu schätzen, mit viel Bravour McDermid ihn angelegt hat. Es geschieht nichts an der Oberfläche, alles ist längst geschehen, und entzieht sich doch nicht der Gerechtigkeit.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.09.2007
Der Himmel unter der Stadt
McCann, Colum

Der Himmel unter der Stadt


ausgezeichnet

Unter der Stadt zu leben, sich im Tunnelsystem der Subway zu verkriechen, bedeutet, all dem dort oben entgehen zu wollen, was einen ins Tageslicht zerrt, dem Leben aussetzt. Man kann nicht sterben, man kann aber auch nicht leben. Colum McCann verknüpft in diesem Roman zwei Schicksale: eines, das Anfang des Jahrhunderts vom Bau des Subway-Tunnels unterm East River geprägt ist, das andere, das in den Achtziger Jahren glaubt, sich selbst verloren zu haben. Treefogs Geschichte kreuzt tief unten das Schicksal des Tunnelarbeiters Con O'Leary, der sein Leben für den Bau ließ und der sich sicher nicht hat vorstellen können, daß sein Tunnel eines Tages dazu führen wird, Menschen eine letzte Zuflucht zu bieten. Der eine half dabei Wolkenkratzer zu errichten, der andere in der Erde den Puls einer Stadt wie New York schlagen zu lassen. Und beide werden von einer Stadt vergessen, die keine Zeit für sich findet. Column McCann nimmt sie sich und führt die Geschichten zusammen, beschwört das Lachen, wie den Schrecken und den Schmerz, so daß man nach diesem Buch in dunklen Tunneln schon mal Ausschau hält, ob es da draußen nicht irgendetwas gibt, was nicht gesehen werden will.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.09.2007
Abbitte
McEwan, Ian

Abbitte


ausgezeichnet

In guten Büchern bedarf es eines kleinen Anstosses, um das Leben der Menschen darin zum Einsturz, zur Umkehr oder Bestätigung zu bringen. Daß die dreizehnjährige Briony imstande ist, dies durch eine unwahre Behauptung zu schaffen, indem McEwan uns behutsam auf den Punkt hin führt, an dem wir erschüttert danebenstehen und zusehen müssen, mit welch kindlicher Naivität sie ihre Macht über das Leben anderer ausübt, gehört zu den einfühlsamensten Erzählpassagen der letzten Jahre. In Büchern wie Der Zementgarten hat der Autor bereits bewiesen, wie scharf umrissen er die Verwirrungen der Kindheit zu beschreiben versteht. Weniger überzeugend der Erste Weltkrieg, den hätte es nicht gebraucht, auch wenn McEwan auch hier zu erzählen versteht. Der wiederum gelungene Schluß hingegen, indem eine gealterte Briony auftritt, besitzt viel von der Ironie, die Ian McEwan seinen Romanen manchmal unterzieht. Ein lesenwertes Buch mit zwei, drei Schwächen, es gibt nicht viele Romane, die das von sich behaupten können.
Polar aus Aachen

2 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.09.2007
Hundert Jahre Einsamkeit
García Márquez, Gabriel

Hundert Jahre Einsamkeit


ausgezeichnet

Es gibt Romane, die liest man nach einigen Jahren ein zweites Mal und ist erstaunt darüber, daß sie nichts von ihrer Kraft verloren haben. Das Etikett „Magischer Realismus“ ist Márquez angeheftet worden und ihm sind viele südamerikanische Autoren gefolgt, für die er in Europa den Türöffner lange vor dem Nobelpreis gespielt hat. Der Aufstieg und Fall der Familie Buendía, das Dorf Macondo gehören zum Besten, was Literatur einem Leser bieten kann. Sprache, Poesie, eine aberwitzige Handlung, ein Gefühl für die Zeiten und Menschen eines Landstrichs. Man sucht sich selbst darin, taucht auf und verschwindet wieder. Das Leben stellt sich in Träumen wie Alpträumen dar, sieht sich den Wirren der Politik ausgesetzt, den eigenen Schwächen, den Versuchungen, den Sünden, schildert das Sterben, als gehöre es zum Fest des Leben. Aus allem erwächst ein Mythos, die Tragödie an sich und zwischendurch hört man ein verstohlenes Lachen. Schwach, sich selbst verzeihend, vorwärtsdrängend. So ist das halt mit den Menschen. Nicht nur in Südamerika. Selbst schuld, wer dieses Buch noch nicht gelesen hat.
Polar aus Aachen

5 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.09.2007
Mein Herz so weiß
Marías, Javier

Mein Herz so weiß


ausgezeichnet

Wer über Marias Romanwelt schreibt, vergißt selten seine Vorliebe für Shakespearestoffe zu erwähnen. Trotz seines sprachlichen Könnens, seines vertrackten Handlungsaufbaus will der Autor wie sein Vorbild sein Publikum in erster Linie unterhalten. Seine Mittel sind drastisch. Detailliert wird geschildert wie eine Frau sich ins Herz schießt, wie der Selbstmord verstört, solange die Hintergründe nicht bekannt werden, die Familie sich in ihrem bürgerlichen Leben bestens einrichtet, bis der Sohn Juan unbequeme Fragen zu stellen beginnt. Er möchte verstehen, wo andere nur vorgeben, das alles dazu gesagt worden ist. Das Geheimnis treibt ihn um, weil er sich verdächtigt, zu sehr dem Vater nachzuschlagen. Eine Vater-Sohn-Geschichte, eine Geschichte über Ehen, Treue, Betrug, schillernd und kaschiert, meisterhaft erzählt. Wenn wir alles wüßten, wüßten wir dann wirklich alles?
Polar aus Aachen

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.09.2007
Tender Bar
Moehringer, J. R.

Tender Bar


sehr gut

Für alle, die die Kneipenkultur lieben, gerne tragische Familiengeschichten erzählt bekommen, für Leser, die Smelly den Koch und Bob the Cop mögen, die nachvollziehen können, wie jemand auf der Flucht ist, als solcher erkannt und von anderen aufgenommen wird. In Amerika wird das, was uns in Deutschland als Roman verkauft wird, als A Memoir angekündigt, und so liest es sich streckenweise auch. Der Autor geht bis auf wenige Ausnahmen gnädig mit seinen Figuren um. Wenn da nicht der Vater wäre. Die Stimme. Ohne die er auskommen muß. Das Leben geht auch ohne ihn weiter. Wohnungen, die einem Leser als schreckliche Behausungen vorkommen müssen, wachsen dem Sohn ans Herz. Schließlich hat er ja Glück, ist obwohl benachteiligt oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Daß ausgerechnet 9/11 am Ende zum Resümieren herhalten muß, mag man dem Autor zu Guten halten, wenn es sich wirklich in seinem Leben so abgespielt hat, ansonsten wirkt es recht melodramatisch. Trotzdem liest man den Schmöker gern. Wahrscheinlich weil man sich für sich selbst wünscht, einen Ort wie das Publicans gekannt zu haben, an der man die Welt an der Tür abgeben konnte, um sich eine eigene zu schaffen.
Polar aus Aachen

0 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.09.2007
Kafka am Strand
Murakami, Haruki

Kafka am Strand


sehr gut

Etwas Seltsames geschieht, wenn man dieses Buch liest. Mitten drin fällt einem auf, wie dick es doch ist, aber man legt es nicht aus der Hand. Nicht weil es plötzlich Blutegel regnet, die unbeantworte Frage, was real ist und was nicht, wieder einmal gestellt wird. Man möchte unbedingt wissen, wie dieser Roman ausgeht. Wenn ein Autor das schafft, muß er sein Handwerk verstehen. Natürlich kann er nicht bei jedem die hochgesteckten Erwartungen erfüllen und der ein oder andere mag auf Grund des unspektakulären Endes ein wenig enttäuscht sein, trotzdem verwandelt Murakami diesen eigenartigen Stoff mittels Anleihen bei Kriminalhandlung, bekettscher Endzeitstimmung und wie er es selber nennt: eines Road-Movies mit wechselnden Schauplätzen und wechselnden Akteuren in einen Roman, bei dem man sich nicht langweilt, sich höchstens dabei erwischt, wie man den Kopf über das absurde Labyrinth schüttelt und schmunzelt.
Polar aus Aachen

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.09.2007
Nachtzug nach Lissabon
Mercier, Pascal

Nachtzug nach Lissabon


schlecht

Ein Mann wird durch eine mysteriöse Frau, die Selbstmord begehen will, seinem Alltag entrissen und folgt manisch einer Fährte, die sich im Verlauf des Romans auflöst. Von einer spannenden Handlung zu sprechen, fällt einem schwer. Zu sehr strengt der Autor sich an, zwei Ebenen miteinander zu verflechten, die Konstruktion der scheinbaren Spannung einer Suche in Lissabon und anderswo mit der Tiefebene philosophischer Betrachtungen zu verschränken. Leider küchenzettelartig, wenn auch über Seiten gedehnt. Zwar gelingt Mercier zu Anfang genügend Interesse aufzubauen, daß man unbedingt herausfinden will, was es mit dem Auftauchen der Unbekannten auf sich hat, wieso Gregorius so von ihr fasziniert ist, daß er mit seinem Leben als Lehrer bricht, doch je tiefer man in den Roman vordringt, desto mehr scheitert sein Vorhaben an der Langeweile, die das Gedankenkonstrukt versprüht. Ein bemühtes Unterfangen, geheimnisvoll zu erscheinen und Weisheit vorzuspiegeln. Mehr als den Willen ein tiefsinniges Buch zu schreiben, ist als Essenz zu wenig.
Polar aus Aachen

2 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.09.2007
Der Herbst des Patriarchen
García Márquez, Gabriel

Der Herbst des Patriarchen


sehr gut

Nichts für ungeübte Leser. Der Roman steht wie ein Klotz da. Absatzlos, Sätze, die sich über Seiten ziehen, man kann leicht den Bogen verlieren und trotzdem zieht die Geschichte dieses alterslosen Diktators einen an, der tot in seinem verfallenen Palast gefunden wird. Wie in einem Alptraum vereint dieser Diktator die Geschichte totalitärer Regimes Südamerikas in sich. Man muß sich Vergangenheit wie Gegenwart erlesen, die Geschichte wird einem nicht auf dem Tablett episodenhaft serviert. Es ist der gelungene Versuch eines Autors, die Geschichte seiner Kultur, der Politik seines Kontinents einen Ausdruck zu verleihen, der nicht schmackhaft auf der Zunge zergeht. Wer sich wirklich dafür interessiert, wie ein solcher Dikator aufsteigen, wie er fallen kann, muß hinsehen, zuhören, vor-, wie zurückblättern, sich Zeit nehmen. Márquez zwingt einen durch seine Form dazu. Und vielleicht bleibt dieser Roman am Ende deswegen länger haften als andere.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.