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Benutzername: 
Igelmanu
Wohnort: 
Mülheim

Bewertungen

Insgesamt 990 Bewertungen
Bewertung vom 14.12.2018
Ein großer Schritt für die Menschheit

Ein großer Schritt für die Menschheit


ausgezeichnet

»Von Braun hatte beschlossen, die Saturn V in einem einzigen Gebäude komplett zusammenzubauen und die startfertige, noch nicht betankte Rakete auf dem Rücken eines Transporters zusammen mit dem Startturm zur Abschussrampe zu fahren. Zu diesem Zweck wurde im Kennedy Space Center die Montagehalle, Vehicle Assembly Building, errichtet: ein gewaltiges Gebäude mit einer Grundfläche von vier Fußballfeldern (158 mal 218 Meter) und einer Höhe von knapp 107 Metern. Mit einem Volumen von 3,7 Millionen Kubikmetern war es damals das größte Gebäude der Welt. Eine Klimaanlage, die für 3000 Wohnhäuser gereicht hätte, erzeugte kontrollierte Bedingungen und verhinderte Wolkenbildung.«

Drohende Wolken in einem Gebäude – es sind Infos wie diese, die zur Faszination des Themas Raumfahrt beitragen.
50 Jahre Mondlandung – aus aktuellem Anlass entstand diese Zusammenstellung wichtiger und interessanter Themen rund um den ersten Flug zum Mond.

Das Buch gliedert sich in vier große Abschnitte. Der erste befasst sich mit dem Aufbruch ins All, wozu natürlich das „Weltraumrennen“ zwischen den USA und der Sowjetunion gehört. Weitere Themen sind zum Beispiel die ersten Testflüge, die Raumfahrtprogramme Mercury und Gemini, die Entwicklung der Saturn-Rakete und die ersten Apollo-Missionen.

Im zweiten Abschnitt geht es schließlich um „das“ Thema, die Landungen auf dem Mond. Sehr ausführlich wird natürlich der Flug von Apollo 11 behandelt und der Aufenthalt der Astronauten auf dem Mond geschildert, Kurzbiographien von Neil Armstrong und Buzz Aldrin schließen sich an. Auch jede der folgenden Apollo-Missionen 12-17 wird einzeln beschrieben, was ich hochinteressant fand. Zu Apollo 13 fällt vermutlich jedem sofort etwas ein („Houston, wir haben ein Problem!“), aber zu den anderen Missionen?

Abschnitt drei thematisiert wichtige Erkenntnisse und Entwicklungen, da wird die Frage gestellt: »War es das wert?« Tatsächlich sind die Summen, mit denen der Leser in Folge konfrontiert wird, wahrhaft astronomisch, dem werden aber auch die vielfältigen Erkenntnisse und der technologische Aufschwung, der mit den Apollo-Missionen einherging bzw. daraus resultierte, gegenübergestellt. Es folgen interessante Ausführungen über Raumstationen und Grundlagen über den Mond, seine Bedeutung für die Erde und ihre Lebewesen. Auch dieser Bereich hätte gerne noch etwas umfangreicher sein können.

Der Mond im Spiegel der Kultur ist Thema des vierten Abschnitts. Für uns Leser sicher natürlich von besonderem Interesse das Auftauchen in der Literatur, hier stoßen wir erwartungsgemäß auf Namen wie Jules Verne, aber auch ein Werk aus dem Jahr 1516 wird erwähnt, in dem ein Protagonist auf den Mond reist. Interessant, wie früh schon über Mondflüge geschrieben wurde!
Im Bereich Kunst werden einige beeindruckende Bilder vorgestellt, der Bereich Musik listet diverse Beispiele von Klassik bis Rock auf. Beim Thema Film geht es vornehmlich um frühe Kinofilme (teils noch Stummfilme), das war für meinen Geschmack viel zu knapp behandelt.
Der Mond in der Philosophie vervollständigt den Abschnitt, für mich persönlich war dieser Bereich nur von geringem Interesse.

Die Lektüre dieses Buchs hat Spaß gemacht und einige neue Infos gebracht. Den Stil empfand ich als angenehm, leicht lesbar und verständlich. Viele tolle Fotos und Bilder ergänzten den Text, darunter fanden sich auch seltene, wie zum Beispiel solche von der N1-Rakete.
Während manche Themen sehr schön ausführlich beschrieben wurden, hätte ich mir an anderer Stelle noch etwas mehr Infos gewünscht. Im Gegenzug hätte ich das vierte Kapitel entbehrlich gefunden, aber das ist letztlich Geschmackssache ;-)

Das Buch endet mit einem Blick in die Zukunft. Wie wird sie aussehen? Gibt es eine Rückkehr zum Mond? Könnte er besiedelt werden und wie könnte die Menschheit von ihm profitieren? Man kann gespannt sein!

Fazit: Sehr interessanter Überblick, informativ, verständlich und mit tollen Fotos.

Bewertung vom 12.12.2018
Weihnachten auf der Lindwurmfeste
Moers, Walter

Weihnachten auf der Lindwurmfeste


sehr gut

»Warum ausgerechnet die Lindwürmer – immerhin die aufgeklärteste und intelligenteste Bevölkerungsgruppe Zamoniens – solch einem irrationalen Ritual verfallen konnten, ist eine faszinierende Frage. Es handelt sich um ein soziales Phänomen mit viel Erklärungsspielraum. Ich kann es mir eigentlich nur mit unserer fast krankhaften Kreativität und Phantasie erklären, die oft seltsame Wege geht. Ich erinnere da etwa an unsere bizarren Begräbnisrituale, an den Glauben an das Orm und die statistische Tatsache, dass so gut wie alle Lindwürmer Schriftsteller werden, obwohl sie auch einen anständigen Beruf ergreifen könnten. Normal ist das nicht! Warum dann nicht auch noch an einen wandelnden Blumenkohl glauben, der sich mit Geschenken bei wildfremden Lindwürmern durch den Schornstein zwängt? Das ergibt fast wieder Sinn.«

Walter Moers, unentbehrlicher Übersetzer zamonischer Dichtkunst, war wieder fleißig. Im wie gewohnt durch Abschweifungen geprägten Briefwechsel zwischen Hildegunst von Mythenmetz, dem erfolgreichsten Schriftsteller Zamoniens und dem Eydeeten Hachmed ben Kibitzer fielen Moers die Ausführungen zum alljährlich zelebrierten Hamoulimepp auf, einem Fest, das frappierende Ähnlichkeiten mit unserem Weihnachtsfest aufweist.

Hildegunst, als bekennender Hamoulimepphasser, klagt und schimpft wie Ebenezer Scrooge und der Grinch in Personalunion. Wer also eine kleine Auszeit vom Weihnachtstrubel benötigt und sich vor einem Übermaß an blühender Phantasie nicht scheut, kann sich mit diesem Buch entspannt zurücklehnen und über Felsengeiereier (traditionelle Verpackung von Hamoulimepppräsenten) lesen, über Hamoulimeppbäume, den Hamoulimeppwurm und die Hamoulimeppwurmzwerge, die in der Hamoulimeppwurmwerkstatt in sorgfältiger Handarbeit die zahlreichen Geschenke für jeden kleinen Lindwurm anfertigen. Lindwurmkinder basteln zum Fest gerne Schuppenpuppen, natürlich wird musiziert, beispielsweise mit Klavorgeln, Lindwurmgeigen oder Paläontologischen Triangeln. Und was singt wurm so? Natürlich Klassiker wie »Es ist ein Mepp entsprungen« oder »Heute, Würmer, wird’s was geben…«

Aber selbst Hildegunst mag ein paar Dinge an Hamoulimepp, zum Beispiel den Bücher-Räumaus, der auch jeden leidenschaftlichen Leser begeistern sollte. Und das Feuerlose Feuerwerk, weil es zum einen schön ist und zum anderen den Schlusspunkt des dreitägigen Feierwahnsinns darstellt.

Wer seine Sachkenntnisse zu all diesen Dingen noch bildhaft vertiefen möchte, kann dies mit Hilfe der insgesamt 16 angehängten Taxonomischen Tafeln tun, mit denen angefangen bei den Inkarnationen von Hamoulimepp über Steinschlagschutzhelme bis zur Trilobitensuppe sämtliche nicht vorstellbaren Bildungslücken gefüllt werden.

Da ich großer Zamonien-Fan bin, musste ich natürlich auch dieses Buch lesen und hatte viel Spaß dabei. Es ist ein schneller Genuss mit überschaubarem Textanteil und vielen tollen Illustrationen von Walter Moers und Lydia Rode. Die Aufmachung des Buchs ist passend festlich, mit Glitzer, Goldschrift und Lesebändchen.

Fazit: Für Zamonien-Fans ein Muss. Ich würde jetzt sehr gerne mal Hamoulimepp mitfeiern. Die Trilobitensuppe lasse ich allerdings aus ;-)

Bewertung vom 11.12.2018
Herbststurm / Kommissär Reitmeyer Bd.3
Felenda, Angelika

Herbststurm / Kommissär Reitmeyer Bd.3


sehr gut

»Und deine politische Polizei steckt mit den feinen Herrn unter einer Decke? Dann pass nur auf, dass du nicht plötzlich in der schönen Oberpfalz auf Streife gehen darfst.«

Kommissär Reitmeyer riskiert wieder einmal, sich mit seinen Vorgesetzten und der politischen Polizei anzulegen. Aber unabhängig von seiner eigenen politischen Einstellung ist er nun mal der Ansicht, dass es Aufgabe der Polizei ist, alle Bürger zu schützen, auch die, deren Parteibuch einem nicht passt.
Die Ermittlungen in zwei Mordfällen führen ihn diesmal in die Kreise russischer Exilmonarchisten, die sich nach der Oktoberrevolution in München niedergelassen haben. Zeitgleich sucht sein alter Freund, der Rechtsanwalt Sepp Leitner, die Tochter einer russischen Adligen, die scheinbar spurlos verschwunden ist. Die Mutter ist bereit, eine hohe Summe in US-Dollar zu bezahlen, ein Anreiz, dem man angesichts der herrschenden Inflation nur schwer widerstehen kann.
Bald schon merken Reitmeyer und Leitner, dass sich ihre Fälle kreuzen. Und dann ist da auch noch der junge Polizist Rattler, bis über beide Ohren verliebt in die geheimnisvolle Larissa aus dem Baltikum…

Ein spannender Fall ist Angelika Felenda hier wieder gelungen. Wie auch in den Vorgängerbänden gelingt es mühelos, von der ersten Seite an in die Atmosphäre Münchens in den 1920er Jahren einzutauchen.
Verschiedene Punkte stehen dabei im Fokus. Zum einen das Leben der Exilmonarchisten einschließlich ihrer politischen Bestrebungen und dann die aufgespaltene Gesellschaft Münchens, in der wohlhabende Kreise Empfänge geben und Hausmusik zelebrieren während auf der anderen Seite der Medaille Menschen in erbärmlicher Armut hausen und junge Mädchen sich als Tänzerin oder Prostituierte verdingen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Mehrere eindringliche Beispiele im Buch zeigen, wie da jeder Strohhalm ergriffen wird, der Hoffnung verspricht.
Die Inflation setzt allen zu und so manch überlebender Weltkriegsteilnehmer sucht nach einer Neuorientierung.
In diesem Szenario sucht also Reitmeyer seine Mörder.

Schon aus den ersten beiden Bänden war er mir sympathisch, eben weil er bereit ist, gegen den aufkommenden Strom zu schwimmen, weil er nicht blind Anordnungen befolgt, sondern hinterfragt und seinem Gewissen folgt. Nicht immer einfach, das Agieren der politischen Polizei und das Aufkommen des Nationalsozialismus sind Themen, die immer wieder behandelt werden. Umso schöner, wenn von einem gewissen Menschen und seinen Parolen als von »dem Schreier« gesprochen wird.
Ein weiterer wichtiger Charakter ist der des jungen Polizisten Rattler. Ein intelligenter junger Mann mit viel Engagement und Herzensbildung, was ihm schlicht noch fehlt, ist Lebenserfahrung. Am Ende des Buchs wird er um eine Erfahrung reicher sein.

Der Fall ist spannend, es passiert ziemlich viel, auch weitere Todesfälle wird es geben. Die Auflösung ist schlüssig und überraschend, als Leser wird man zuvor gekonnt in die Irre geführt.
Dieser dritte Band kann unabhängig von den beiden ersten gelesen werden und setzt keine Kenntnisse voraus.
Gut gefiel mir auch der Anhang, der interessante Anmerkungen zum geschichtlichen Hintergrund ausführt und mit den Ereignissen im Buch abgleicht.

Fazit: Spannende Story mit sympathischen Charakteren vor interessantem geschichtlichem Hintergrund.

Bewertung vom 07.12.2018
Treibts zua!
Brandstätter, Lisa;Wenger, Clemens

Treibts zua!


sehr gut

»Es musste sein. Es würde nicht schön werden, natürlich nicht. Aber manche Dinge mussten einfach sein. Und irgendjemand musste sie tun.«

Ein Mordopfer genau auf der Grenze zwischen Bayern und Salzburg zwingt zwei grundverschiedene Ermittler zur Zusammenarbeit, Kommissarin Lilly Engel von der Kripo Traunstein und Major Sigmund Huber von der Salzburger Kripo.
Schnell müssen die beiden erkennen, dass sie es mit einer Mordserie zu tun haben. Offenbar glaubt der Täter, eine Aufgabe erfüllen zu müssen, die knifflige Zusammenarbeit des Zweiländerteams wird zu einem Wettlauf gegen die Zeit…

Dieser Krimi punktet in mehrfacher Hinsicht. Motiv und Hintergrund sind ungewöhnlich und nehmen den Leser auf einen Ausflug in die Sagenwelt der Alpen mit. Neben regionalem Brauchtum werden auch Landschaft und Atmosphäre gut und stimmungsvoll beschrieben.

Großen Raum nimmt das Zusammenspiel des unfreiwilligen Ermittlerduos ein. Lilly verkörpert den Typ alleinerziehende, berufstätige Mutter mit zwei kleinen Kindern, die regelmäßig von den Problemen des Alltags erschlagen wird und große Schwierigkeiten hat, Beruf und Kinder zu vereinbaren. Huber ist das genaue Gegenteil, ein sachlicher, durchorganisierter Macho mit Vorurteilen gegenüber Frauen wie Lilly. Reichlich Zündstoff ist also da, allerdings nähern sich die beiden im Laufe der Zeit einander an, die Beziehung zwischen ihnen verspricht interessant zu bleiben.
Persönlich konnte ich mich mit Lilly überhaupt nicht anfreunden, Huber hingegen wuchs mir stetig mehr ans Herz und zeigte zudem einige in meinen Augen liebenswerte Schrullen.

Bei den Nebencharakteren ist besonders eine skurrile Wahrsagerin zu erwähnen. Ich konnte zwar nicht nachvollziehen, wie man ihre „Erkenntnisse“ auch nur in Erwägung ziehen kann, aber unterhaltsam war’s schon ;-) In der Summe hätte ich mir allerdings etwas mehr Krimi und weniger Nebenhandlung gewünscht.

Fazit: Unterhaltsamer und stimmungsvoller Regionalkrimi, für meinen Geschmack mit etwas zu viel Privatem.

Bewertung vom 17.11.2018
Udo
Lindenberg, Udo

Udo


ausgezeichnet

»Stell Dir vor, Du liegst in einer Umkleidekabine in einem Fußballstadion in Leipzig und Du versuchst, easy zu sein.
Adrenalin rückwärts, nennst Du diesen Zustand.«

40.000 Fans, die jubeln, toben und darauf warten, dass man erscheint, sind schon eine Hausnummer. 40.000 Fans, von denen die jüngsten noch Teenies und die ältesten Rentner sind – das muss man erst mal schaffen. Da kann man auch schon mal ein bisschen nervös werden, selbst wenn man den Job schon seit mehr als fünfzig Jahren macht.

Udo Lindenberg ist so einer, der es geschafft hat. Einer der ganz großen deutschen Stars, nicht jeder mag ihn (logisch), aber jeder kennt ihn. Für diese Biographie hat er sich mit Thomas Hüetlin, einem vielfach ausgezeichneten Journalisten, zusammengetan, als Leser kann man sich richtig vorstellen, wie die beiden zusammensitzen, zwischen sich ein Eierlikörchen, Udo erzählt und Thomas schreibt auf.
Das Ergebnis wirkt sehr ehrlich, beschönigt nicht. Der Tonfall ist der bekannt schnoddrige, auch das ist sehr authentisch.

Inhaltlich fehlt nichts, angefangen bei Kindheit und Jugend in Gronau über den Aufbruch, die erste Zeit als Trommler und die Anfänge des Panikorchesters. Udos Versuche, in der DDR zu spielen, bieten Stoff für ein eigenes, großes Kapitel, sein politisches Engagement ebenfalls.
In all den Jahren ist eine Menge passiert, es gab Höhen und Tiefen, die sich im Buch wiederfinden. Nicht wenige persönliche Krisen waren dabei, z.B. die Todesfälle von Bruder und Mutter. Es gab Zeiten mit schlechten Verkaufszahlen, in denen Udo die Angst »vor den Möbelhäusern« quälte, dazu passend finanzielle Engpässe und natürlich und ganz besonders der Alkoholismus, dessen Grundlage schon in der Kindheit gelegt wurde. Zeitweise reiht sich Absturz an Absturz, schonungslos ehrlich eben.

Jedes Kapitel beginnt mit den Worten »Stell Dir vor…«, der Fan erkennt natürlich sofort, dass mit diesen Worten einer der großen Hits beginnt. Überhaupt ziehen sich viele Songtexte durchs Buch, passend zum jeweiligen Lebensabschnitt. Ganz deutlich merkt man dadurch, wie Udo das, was ihn umtreibt, in seinen Texten verarbeitet. Ebenfalls passend zum Inhalt finden sich übers ganze Buch verteilt zahlreiche Illustrationen von Udo, statt Fotos gibt’s Selbstgezeichnetes.
Auch witzige Details fehlen nicht, ich amüsierte mich beispielsweise über die Stellenanzeige für Elli Pyrelli beim Künstlerdienst:
»Wir suchen eine etwas korpulente Dame. Wenn sie schon einmal in der Badewanne gesungen hat, wäre das vorteilhaft. Ach ja, und ein bisschen verrückt schadet nichts. Denn bei uns haben alle die eine oder andere Klatsche.«

Fazit: Udo wie er lebt und erzählt. Pflichtlektüre für Fans!

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.11.2018
Zechen, Zoff und Zuckerwerk

Zechen, Zoff und Zuckerwerk


gut

Zwischendurch lese ich gern mal Kurzkrimis, das Ruhrgebiet ist von Geburt an meine Heimat und Weihnachten ist nicht mehr fern – drei Gründe, weshalb mich dieses Buch sofort ansprach.
Es versammelt 14 mehr oder weniger weihnachtliche Kurzgeschichten mit mehr oder weniger kriminellem Inhalt, nicht alle davon konnten mich begeistern.

Was stimmig ist, ist das Szenario. Die Örtlichkeiten wurden gut beschrieben, ich habe so einiges wiedererkannt. Auch die Atmosphäre kam meist gut rüber, der Pfad zwischen Klischee und Realität ist ja manchmal nur schmal. Neben den „klassischen“ Ruhrgebietsschauplätzen wie Zechen, Schrebergärten und Pommesbuden gab es Abstecher zu prominenten Aushängeschildern wie dem Gasometer Oberhausen oder dem Grugapark in Essen.

Die Handlungen spielten meist in der Gegenwart, eine in meinen Augen sehr gelungene Geschichte erstreckte sich aber über Jahrzehnte und brachte interessante Einblicke in frühere Zechen-Zeiten.
Ein paar Geschichten empfand ich als durchaus lesenswert, würde sie aber nicht als Krimis bezeichnen. Und weihnachtlich ist bei den meisten lediglich der Zeitpunkt der Handlung, wer empfindlich auf Weihnachtskitsch reagiert, braucht sich keine Sorgen zu machen. Ein bisschen was Besinnliches findet sich bei zwei Geschichten, einige Stellen laden darüber hinaus zum Nachdenken ein.

Spannungsaufbau ist bei Kurzgeschichten häufig ein schwieriges Thema, auch hier gelang es nicht immer. Ärgerlich fand ich einige unlogische Auflösungen, kreative Einfälle sind zwar gut und schön, aber stimmig müssen sie für meinen Geschmack schon sein.
Schön fand ich, dass gleich unter den Geschichten die jeweiligen Autoren vorgestellt wurden. So kann man leicht, wenn einem die Geschichte gefiel, nach weiteren Werken Ausschau halten.

Wie immer bei Büchern mit Kurzgeschichten habe ich jede einzeln bewertet und daraus einen Durchschnitt ermittelt. Drei Geschichten erhielten von mir 5 Sterne, fünfmal konnte ich 4 Sterne vergeben. Für drei Geschichten gab es von mir 3 Sterne, einmal 2 Sterne und zwei Geschichten mochte ich ganz und gar nicht, dabei kam nur 1 Stern raus. In der Summe ergibt das einen Schnitt von 3,4 Sternen.

Fazit: Gute Ruhrgebietsatmosphäre und einige gelungene Krimis.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.11.2018
Schuldlos schuldig
Sloan, Susan R.

Schuldlos schuldig


ausgezeichnet

»Karen wich Taxis aus, schenkte einem Weihnachtsmann einen Vierteldollar und machte lächelnd den aufgescheuchten Gruppen beschwipster Sekretärinnen Platz. Als die Kreuzung hinter ihr lag, ging sie Richtung Norden, zum Central Park West. Das war am 21. Dezember 1962. Karen war jung, strotzte vor Gesundheit und Lebendigkeit, und sie war so glücklich wie nie zuvor in ihrem Leben.«

Einige Stunden später entdeckt eine Passantin zufällig und buchstäblich im letzten Moment in einem Gebüsch im Central Park den blutigen, misshandelten und fast erfrorenen Körper einer jungen Frau. Karen überlebt nur knapp.
Der Mann, dem sie zum Opfer fiel, hatte sie vergewaltigt, fast zu Tode geprügelt und dann in der Eiseskälte liegenlassen. Unter den schweren Verletzungen wird sie ihr Leben lang leiden, vor allem seelisch.
Vor der Tat bestand ihr Lebenstraum darin, den Mann, den sie liebte, zu heiraten und viele Kinder zu bekommen. Nun muss sie erkennen, dass nichts davon mehr realisierbar erscheint, ihr Leben in Trümmern liegt. Erst 30 Jahre später findet sie die Kraft zur Abrechnung…

Dieses Buch geht streckenweise ordentlich an die Nieren. Ist die Vergewaltigung schon heftig, so fand ich einiges von dem, was Karen anschließend erlebte, beinahe noch schlimmer. Insbesondere die Reaktion ihrer stets nur auf den guten Ruf bedachten Mutter machte mich wütend!
Fassungslos las ich, wie Eltern, Polizei und Karens Verlobter ihr mit Unverständnis, Zweifeln und Vorwürfen begegnen. Der Täter, ein angehender Jurist aus Harvard, ein Musterstudent aus einer prominenten Familie, würde »so etwas« nicht einfach tun, schon gar nicht ohne Grund. Irgendwie muss Karen ihn provoziert, gereizt haben – und damit Schande über sich und ihre Familie gebracht haben.
Die Schuldfrage wird grausam verdreht, das Verbrechen kurzerhand zum »Unfall« umbenannt und kollektiv verdrängt. Karen kommt damit allerdings (verständlicherweise) nicht klar, Schuldgefühle quälen sie und beeinflussen ihr gesamtes Leben. An manchen Stellen tat das Lesen regelrecht weh! Umso schöner fand ich es, als sie endlich nach 30 Jahren Hilfe findet und dadurch die Kraft erlangt, sich zu wehren und abzurechnen.

Ich empfand das Buch als absolut fesselnd und berührend, es machte mich wütend, traurig und nachdenklich. Seit den 60er Jahren hat sich zum Glück schon einiges getan, Opfer von Vergewaltigungen finden besser Hilfe, können leichter auf Verständnis hoffen. Doch noch längst ist nicht alles in Ordnung. Immer noch halten sich in manchen Köpfen irrige Ansichten wie »Frauen sagen nein, wenn sie ja meinen«, immer noch gibt es reichlich (vermutlich sogar) gutgemeinte Tipps an Frauen, wie sie sich schützen können. Welche Gegenden sie meiden sollten, wo und wann sie nicht allein unterwegs sein sollten, wie sie sich kleiden sollten usw. All das, damit kein »Unfall« geschieht.
Verbrechen wird es immer geben, immer wird es Menschen geben, die sich auf Kosten anderer einfach das nehmen, was sie gerade wollen. Weil sie es können, weil sie oft genug davonkommen. Und weil es immer noch Menschen gibt, die dem Opfer eine Mitschuld zusprechen. Dabei sollte ein »Nein« doch ausreichen…

Ein weiteres wichtiges Thema ist das der Gerechtigkeit. Sind in der öffentlichen Meinung und vor dem Gesetz wirklich alle Menschen gleich? Werden Urteile wirklich unabhängig davon gefällt, wie einflussreich jemand ist? Welche Herkunft er hat, wie viel Geld? Aus welchem Land er kommt, welche Religion er hat und welche Hautfarbe? Ich sehe da noch erheblichen Verbesserungsbedarf!

Fazit: Intensiv, berührend, spannend. Die Geschichte einer Frau, die Jahrzehnte braucht, um von ihren eigenen unnötigen Schuldgefühlen loszukommen, fesselt und macht nachdenklich.

»Warum hat der junge Mann sich so benommen? Was hast du getan?«

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.11.2018
Stille Nacht
Breckwoldt, Tina

Stille Nacht


ausgezeichnet

»Stille Nacht! Heilige Nacht!« - das berühmteste Weihnachtslied der Welt wird in diesem Jahr 200 Jahre alt, am 24. Dezember 1818 wurde es erstmals gesungen. Nicht in einem berühmten Dom einer großen Stadt, sondern in der Kirche von Oberndorf, einem kleinen Ort nördlich von Salzburg. Nicht vor erlesenem Publikum, sondern vor einer Gemeinde, die zum überwiegenden Teil aus armen Menschen bestand. Und weder der Komponist noch der Autor hatten sich bis zu diesem Tag einen Namen gemacht, der eine war der Dorfschullehrer, der andere ein Hilfsprediger.
Seitdem hat sich die Bekanntheit des Liedes über den ganzen Erdball erstreckt, fast ein Drittel der Weltbevölkerung singt es alljährlich in über 300 Sprachen und Dialekten.
Wieso ist ausgerechnet dieses Weihnachtslied dermaßen populär geworden? Tina Breckwoldt hat sich auf Spurensuche begeben…

In diesem Buch findet sich gefühlt alles, was man zum Thema sagen kann. Es beginnt mit ausführlichen historischen Hintergründen, stellt die Situation 1818 in Oberndorf deutlich dar. Der Leser bekommt ein gutes Gefühl dafür, in welchem Umfeld das Lied entstand, wie die politische Situation war, wie es den Menschen konkret erging. Passend dazu gibt es eine große historische Karte vom »Herzogthum Salzburg«, gefolgt von den Noten des Liedes, samt Text in Deutsch und Englisch.
Ausführliche Biographien von Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber, den beiden Vätern des Liedes, schließen sich an.
Natürlich erfährt man auch alles rund um das Lied selbst, über Text, Musik und Entstehung. Der Text wird gründlich analysiert und es wird dargelegt, wie die enorme Verbreitung begann.

In einem allgemeinen Teil gibt es Infos zum Weihnachtsfest im 18. und 19. Jahrhundert, hier erfährt der Leser, wie sich so manches Brauchtum (beispielsweise das Aufstellen eines Weihnachtsbaums oder der Weihnachtskrippe) entwickelte.
Der umfangreiche Anhang listet Örtlichkeiten und Museen auf, die mit dem Lied zu tun haben, es gibt ein Literaturverzeichnis, Anmerkungen und Zeitlisten und – besonders beeindruckend – eine Auflistung der Sprachen, in denen »Stille Nacht« gesungen wird.

Sämtliche Infos wirken sehr gründlich recherchiert, viele Fotos und Abbildungen runden den inhaltlichen Teil perfekt ab. Nach all dem hat man einen tiefen Eindruck von dem gewonnen, was das Lied so besonders und einzigartig macht.
Darüber hinaus ist das Buch zum Anlass passend einfach wunderschön, es wirkt überaus festlich und hochwertig, hat einen goldenen Einband und viele golden glitzernde Seiten. Für mich wird es dadurch zu einem Schmuckstück, das ich sicher alle Jahre wieder zur Hand nehmen werde.

Fazit: Alles rund um das berühmteste Weihnachtslied der Welt. Viele interessante Infos in einem wunderschönen Gewand.

»Stille Nacht« ist ein Lied, das Vernunft und Gefühl genial verbindet. … Heiligabend 1914 singen es die Soldaten der verschiedenen Nationen in den Schützengräbern von Ypres, Flandern – vermutlich jeder in seiner Sprache. … Wie sehr »Stille Nacht« gerade heute für Frieden und Völkerverständigung steht, zeigt sich Weihnachten 2016, als 40 muslimische Mädchen des Imam Sadr Foundation Choir es auf Arabisch in der Griechischen St. Elias-Kathedrale in Beirut singen.

Bewertung vom 04.11.2018
Die Hexe von Norderney
Hardinghaus, Christian

Die Hexe von Norderney


sehr gut

»Vor Kurzem erst habe ich herausgefunden, dass eine meiner frühesten Vorfahren eine Hexe mit dem schönen Namen Dortje war. Die hat im sechzehnten Jahrhundert auf Norderney gewohnt und wurde als Hexe verurteilt.«

Über ihre Urahnin hätte Merle Onken besser geschwiegen. Ohnehin musste das rothaarige Mädchen auf Norderney unter ständigem Mobbing leiden, die erwähnte Vorfahrin lässt die letzten Hemmungen fallen, ihre Mitschüler unterziehen sie einer bizarren Hexenprobe.
Als Merle zwei Tage später ertrunken an Land gespült wird, gehen alle von einem Selbstmord aus, auch die ermittelnde Polizei schließt schnell die Akte. Merles Mutter will sich damit nicht zufriedengeben, sie ist davon überzeugt, dass ihre Tochter ermordet wurde. In ihrer Not wendet sie sich an ihren Ex-Liebhaber Carsten Kummer, Hauptkommissar bei der Kripo Bremen und zudem – was er jetzt erst erfährt – der leibliche Vater von Merle.
Als Carsten beginnt, sich auf Norderney umzuhören, stößt er schnell auf Ungereimtheiten. Und dann geschehen weitere Morde…

Ein flott zu lesender und spannender Thriller war das! Zunächst erscheint der Fall für den Leser klar, je weiter man liest, desto mehr Überraschungen tauchen aber auf. Und die Auflösung fand ich sehr gelungen! Ein wenig hatte ich befürchtet, dass es zu übersinnlich wird, das war aber nicht der Fall, die Sage um die Hexe Dortje spukt gewissermaßen als Rahmenhandlung und zeigt ihre Auswirkungen in der Neuzeit.
Gruselig waren die Morde, vor allem den zweiten empfand ich als ziemlich heftig. Bei den Charakteren sind einige interessante dabei, einige erschienen mir aber auch deutlich zu simpel gestrickt. Von den Ermittlern war mir leider nur Bärlein sympathisch, speziell zu Carsten Kummer fand ich noch gar keinen Zugang. Vielleicht entwickelt sich die Figur aber noch, der Schluss lässt vermuten, dass es weitere Fälle für ihn auf Norderney geben wird. Ich werde es herausfinden!

Fazit: Flott zu lesen, spannend und mit ungewöhnlicher Thematik. Sollte eine Reihe draus werden, werde ich sie weiter verfolgen.

Bewertung vom 02.11.2018
Wo der Teufel ruht
Russell, Craig

Wo der Teufel ruht


gut

»Verstehen Sie, Dr. Kosárek, in diesem Moment spürten sie die Gegenwart des Teufels und flehten Gott an, ihnen zu helfen und sie ihm zu entreißen. Es war derselbe Moment, in dem ich sie erkennen ließ, sie endlich begreifen ließ, dass Gott die ganze Zeit bereits da gewesen war. In diesem Moment erfassten sie, dass der Teufel nur Gott in seinem Nachtgewand ist.«

Prag, im Spätherbst 1935. Dr. Viktor Kosárek, ein junger begabter Psychiater, ist auf dem Weg zu seiner neuen Arbeitsstätte. In einer Klinik in einer alten Burg werden die schlimmsten Mörder des Landes gefangen gehalten, geistig kranke Schwerstverbrecher, die sich mit unvorstellbaren Taten den Namen »Satanische Sechs« erworben haben.
Viktor ist fasziniert von seiner neuen Aufgabe und hofft, mit einer neuen Behandlungsmethode seinen Patienten helfen und gleichzeitig seine Theorie zum »Teufels-Aspekt« weiter vertiefen zu können.
Während Viktor sich in der Klinik mit Verbrechen der Vergangenheit beschäftigt, hat Kapitán Lukáš Smolák von der Prager Polizei es mit sehr aktuellen zu tun. Er macht Jagd auf einen Serienmörder, der unter dem Namen »Lederschürze« überaus blutig und grausam agiert und Angst und Schrecken unter der Bevölkerung verbreitet.

Die Handlung verläuft zunächst in zwei Erzählsträngen, der Leser verfolgt abwechselnd die Erlebnisse von Viktor auf der Burg und die Ermittlungen der Polizei in der Stadt. Dass diese Handlungsstränge irgendwann zusammenlaufen, wird niemanden überraschen.
Was rund um Viktor geschieht, hat mich nicht durchgehend fesseln können. Sicher, die Dialoge sind interessant, an ein paar Stellen aber zu langatmig. Einige Kürzungen wären da durchaus möglich gewesen.
Die »Satanischen Sechs« sollten von der charakterlichen Anlage her sehr verschieden sein, an ihrer Ausdrucksweise ließ sich das jedoch nicht wirklich erkennen. Das hätte man verfeinern können. So wirken die Patienten austauschbar und obwohl ihre Berichte inhaltlich extrem sind, berührten sie mich nicht so, wie es bei gründlicherer Anlage der Personen möglich gewesen wäre.
Während es bei dem Handlungsstrang in der Burg also durchaus Verbesserungspotential gibt, fand ich die Ermittlungen in der Stadt, die Aktivitäten von Lukáš Smolák, einfach klasse und spannend. Auch die Atmosphäre, die in der Stadt und im nahe der Burg gelegenen Dorf aufgebaut wird, ist sehr ausdrucksstark, da spürt man reale Furcht und Aberglauben.

Überhaupt fand ich den Genre-Mix im Buch reizvoll. Da verfolgt man die Anfänge und die Entwicklung der modernen Psychologie, unternimmt diverse Ausflüge in menschliche Abgründe, erfährt so manches über slawische Mythologie und sucht einen brutalen Serienmörder. Eingebettet ist all das in einen stimmig wirkenden zeitgeschichtlichen Rahmen. Die politische Situation der jungen Republik, die Bedrohung durch Nazi-Deutschland und der aufkommende Antisemitismus in der eigenen Bevölkerung kommen wirklich gut rüber, bilden einen weiteren angsteinflößenden Aspekt.
Geschrieben ist vieles sehr blutig, könnte schon unter Horror laufen. Dieser kommt allerdings auch aus den Gesprächen und Gedanken, nicht nur aus beschriebenen Taten. Andauernde Action darf man hier nicht erwarten, einiges läuft subtiler ab, was ich persönlich mag.

Die Auflösung kam für mich nicht überraschend, eigentlich fand ich sie sogar wenig kreativ. Wenn ein Buch gut geschrieben ist, macht das nichts, aber während ich den Handlungsstrang »Stadt« sehr gelungen fand, hatte der in der Burg leider einige Längen und Verbesserungspotential. Und etwas weniger Mystery hätte es für meinen Geschmack auch sein dürfen, reale Dinge finde ich einfach gruseliger und spannender.

Fazit: Reizvolles Thema, interessanter Mix und tolle Atmosphäre, aber nicht durchgehend gelungen. Ich vergebe 3,5 Sterne.

»Die größte Gefahr, mein werter Doktor, wenn man den Teufel sucht, ist die, dass man ihn vielleicht finden könnte.«