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Magnolia
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Bayern

Bewertungen

Insgesamt 622 Bewertungen
Bewertung vom 12.08.2022
Isidor
Kupferberg, Shelly

Isidor


ausgezeichnet

Die Autorin wandelt auf Isidors Spuren, sucht nach Antworten, versucht seine Lebenswege zu rekonstruieren. Ihr Großvater Walter hat ihnen Anekdoten über die Familie erzählt, über seine Zeit in Wien, über die Flucht vor den Nazis und immer wieder kommt Isidor darin vor.

Als 16jähriger war Walter immer wieder sonntags bei Isidor, bestaunte seine vielen Bücher, all die exquisiten Erstausgaben, das handverlesene Mobilar, die Kunstschätze – Onkel Isidor war eine schillernde Persönlichkeit. In der vornehmen Canovagasse im I. Wiener Bezirk bewohnte er eine Etage im Palais des Freiherrn Eugéne de Rothschild. Jeden Sonntag traf sich hier halb Wien zum Mittagessen, wir schreiben das Jahr 1935.

Dr. Isidor Geller, seines Zeichens Kommerzialrat, Berater des österreichischen Staates, Opernfreund, Kunstsammler und noch vieles mehr, kam aus ärmlichen Verhältnissen, der Vater war ein jüdischer Gelehrter, der zwar seinen Glauben lebte, es aber der Mutter überließ, die Familie durchzubringen. Durch kluges agieren an der Börse erschuf sich der junge Isidor, der eigentlich Israel hieß, ein stattliches Vermögen, er war Multimillionär und bewegte sich in den einflussreichen obersten Kreisen Wiens. Auch seine Geschwister lassen die ärmlichen Verhältnissen hinter sich, alle legen sie ihre jüdischen Namen ab.

Der Antisemitismus war schon zu spüren, Isidor sah sich als assimilierten Juden, die religiösen Belange hatten für ihn wenig Bedeutung. Er hatte seinen Platz in der Wiener Gesellschaft, betrachtete sich als wenig angreifbar und dass die Nazis immer mehr an Macht gewinnen, hielt er schlicht für nicht möglich.

Es ist die Geschichte der jüdischen Familie Geller vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus und dem einhergehenden Schicksal der Juden, sehr lebendig und anschaulich erzählt. Man weiß um die Geschichte und hier gibt die Autorin dem auch heute noch Unfassbaren ein Gesicht in Form von Isidor, dem schillernden Lebemann. Ich habe mich Seite für Seite immer mehr festgelesen. Was amüsant begann, wurde immer mehr zur bitteren Realität, die leider nicht immer sofort als tödliche Gefahr wahrgenommen wurde.

„Isidor. Ein jüdisches Leben“ ist das sehr lesenswerte Debüt von Shelly Kupferberg, die sich der Geschichte ihres Großonkels immer mehr annäherte, wie sie im Interview, das auf den letzten Seiten zu finden ist, verrät. Auch die Anekdote um das Titelbild, mit dem ich zunächst so gar nichts anfangen konnte, ist zauberhaft - wie entrückt.

„Isidor“ ist ein herausragendes Buch, gut recherchiert, wunderbar erzählt. Sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 10.08.2022
Dunkle Gemäuer / Marbach & Griesbaum Bd.2
Bernard, Julia

Dunkle Gemäuer / Marbach & Griesbaum Bd.2


gut

Nach „Kalte Lügen“ aus der Feder von Julia Bernard führt sie ihre Leser nun in „Dunkle Gemäuer“ - ein Baden-Krimi. Schon das Cover mutet ganz schön gespenstig an. Das Willstätter Horrorhaus - es ist Kulisse für einen Film. Im früheren Siechenhaus geht immer noch Hildebrandt um, dessen sind sie sich sicher. Darum drehen sie ausschließlich tagsüber und behelfen sich mit lichtundurchlässigen Pappfensterläden, so machen sie den Tag zur finsteren Nacht. Als Mona, die Kamerafrau, verschwindet, wird Suzanne Griesbaum engagiert, ihres Zeichens Privatermittlerin, ihr zur Seite steht Henry Marbach.

Und da war die Sache mit dem Leuchten. Kurz bevor in dem Haus jemand stirbt, leuchtet ein geheimnisvolles grünes Licht. Das Hildebrandtslicht. Das Gerücht hält sich hartnäckig – was ist da dran? Auch ein Strichmännchen hat die Filmcrew entdeckt, dessen Kopf nach unten hängt, wie abgeknickt. In früheren Zeiten hat Hildebrandt hier gewütet, viele sind umgekommen, alle mit Genickbruch.

Im Keller dann wird Mona gefunden, sie ist tot – Genickbruch, was sonst! Ist sie die steile Treppe hinuntergestürzt? Nicht nur die Privatermittler sind an dieser mysteriösen Sache dran, auch die Polizei ermittelt. Verdächtige gibt es viele, allen voran Gerard, Monas Ehemann. Aber kann er wirklich mit dem Tod seiner heiß geliebten Frau zu tun haben? Ihre Schwester, der Hausmeister, ein Drehbuchautor, Schauspieler, auch Petrow, der Regisseur – sie alle sind verdächtig, jeder hat mindestens ein Motiv.

Keine zehn Pferde hätten mich in dieses Haus gebracht, auch wenn es mich beim Lesen so gar nicht gegruselt, Horror-Feeling sich dabei so gar nicht eingestellt hat. Spannend war das Buch trotzdem, bis fast zuletzt schlich sich in meine Gedanken immer wieder ein Verdächtiger ein, um dann doch wieder meine Zweifel zu haben. Jeder könnte es gewesen sein, keiner hat eine astreine Weste.

Der Baden-Krimi versprüht viel Charme, gerade wenn es um den Badener Dialekt geht, der wohl dosiert eingestreut wird. Auch wenn man diesen Dialekt nicht spricht, versteht man doch (fast) alles. Einen richtig bodenständigen Typen gibt es hier nicht, die Charaktere sind allesamt leicht überzeichnet dargestellt. Suzanne in ihrer unerschrockenen Art bringt sich so manches Mal in arge Bedrängnis. Auch Henry hat so seine Eigenheiten, die schon seltsam anmuten. Und doch habe ich über so manche Szene geschmunzelt. Ja, alle haben sie ihre Macken. Auch und vor allem Suzanne und ihr Dahinschmachten, sobald es um ihren Liam geht. Denn neben der Ermittlungsarbeit waren sie und ihr großer Schwarm Liam, ein Star der Death Metal-Szene, allgegenwärtig. Dieses pubertäre Gehabe war eindeutig zu viel, es hat der Story viel Potenzial geraubt. Weniger wäre hier wesentlich mehr gewesen!

Ansonsten ein netter Krimi für zwischendurch, der mich schon unterhalten hat, mit einem gut gemachten Cliffhanger.

Bewertung vom 10.08.2022
Am liebsten sitzen alle in der Küche
Karnick, Julia

Am liebsten sitzen alle in der Küche


sehr gut

Drei ganz und gar ungleiche Frauen, alle um die Fünfzig, treffen aufeinander. Auch wenn sie ganz unterschiedliche Leben haben, mögen sie sich, haben einen Draht zueinander.

Tille, die alleinerziehende Ärztin, hat einen pubertierenden Jugendlichen zuhause. Almut ist frisch getrennt, ihr Germanistikstudium hat sie einst zugunsten ihrer vier Kinder und ihrem perfekt organisierten Haushalt aufgegeben und Yeliz ist eine erfolgreiche Werberin mit dänischem Lebensgefährten. Eines schönen Tages treffen sie aufeinander, sitzen am liebsten bei Almut in der Küche und diese verwöhnt sie mit Köstlichkeiten, die einen schon beim Lesen das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen.

Sie alle haben viel Leben hinter sich, mussten sich von so manchem verabschieden und doch haben sie sie noch, ihre Träume. Mit Fünfzig ist man nicht mehr jung, aber alt? Ganz bestimmt nicht. Sie probieren sich aus, tanzen Salsa, sie teilen ihre Ängste, ihre Sorgen, unterstützen und freuen sich miteinander, auch fliegen mal die Fetzen.

Auf Rache bzw. den Ansatz einer Rache habe ich lange gewartet, Rachegedanken waren da, das schon, die Ausführung dessen hat auf sich warten lassen und war dann doch ganz anders als erwartet, aber sie haben das großartig hinbekommen, die drei Heldinnen.

Julia Karnick ist eine warmherzige Geschichte gelungen, ihr Romandebüt kommt leichtfüßig daher. Almut, Tille und Yeliz tummeln sich darin, sind nett, dann wieder frech und forsch, auch mal verzweifelt und ziemlich angefressen, aber immer lebendig und authentisch. Zuweilen kam mir die Geschichte zu weit abschweifend vor. Aber so ist nun mal, nicht immer kommt man auf kürzestem Wege ans Ziel. Eine kurzweilige Geschichte um Freundschaft, beschwingt und voller Witz mit durchaus ernsten Momenten, in denen man sich oftmals selber erkennt.

Sie sind mir sehr vertraut, die drei Protagonistinnen. Beim Lesen hatte ich mitunter das Gefühl, mit ihnen in der Küche zu sitzen. Ja, solche Freundinnen braucht man – das Leben hat noch so viel zu bieten, man muss - man sollte - Altes loslassen, sich auf Neues einlassen können. Ein Roman wie eine frische Brise - heiter und schwungvoll erzählt mit liebenswerten Charakteren.

Bewertung vom 08.08.2022
Findelmädchen
Bernstein, Lilly

Findelmädchen


ausgezeichnet

Helga und Jürgen werden nach Kriegsende von einer französischen Familie aufgenommen. Auch wenn Tante Claire und Onkel Albert sie liebevoll umsorgen, so sind sie für die Franzosen die Boches, die verhassten Deutschen. „Man fand uns im Sommer nach dem Krieg vor einem Hochbunker in Köln… und schätzte unser Alter auf sechs und sieben Jahre…“

Beim Kindersuchdienst des Deutschen Roten Kreuzes sind ihre Bilder seit mehr als sieben Jahren hinterlegt und nun hat ihr Vater nach Jahren in russischer Gefangenschaft sie endlich gefunden. Zurück in Köln findet Jürgen bei den Ford-Werken Arbeit, während Helga ihrem Traum, aufs Gymnasium zu gehen, nicht nachgehen darf. Vater ist strikt dagegen, er schickt sie auf die Haushaltungsschule und hier legt sie in einem Waisenhaus ihr Praktikum ab. Es herrscht ein strenges Regiment, die Nonnen lassen nichts durchgehen. Unter dem Deckmantel der Nächstenliebe werden all jene ausgegrenzt, die anders sind. Das Mischlingsmädchen Bärbel hat Helga ganz besonders in ihr Herz geschlossen, die Kleine möchte sich am liebsten ihre Andersartigkeit, ihre dunkle Hautfarbe, mit der Wurzelbürste abwaschen. Und sie ist fest davon überzeugt, dass ihre Mama sie bald zu sich holt.

Der Krieg ist vorbei, das zerbombte Köln befindet sich im Jahre 1955 in Aufbruchsstimmung. Die jungen Leute wollen Elvis Presley hören, so lässig sein wie James Dean, Blue Jeans und Petticoat sind angesagt. Und sie treffen sich bei Fanny, die sich ihren großen Traum einer eigenen Milchbar endlich erfüllt hat - mit tatkräftiger Unterstützung von Jürgen. Sie ist voller Herzenswärme, aber auch sie hat ein Schicksal, das sie verzweifeln lässt. Und nicht nur sie.

Helga und Jürgen leben mit ihrem Vater im renovierungsbedürftigen Haus ihrer verschollenen Mutter, deren Schwester Meta es nun als ihr alleiniges Eigentum betrachtet. Dementsprechend behandelt sie die Mitbewohner. Die Flüchtlinge Auguste und ihr Enkel Konradin werden einquartiert, Meta hat sie unters Dach verbannt. Und die alleinstehende, stets gut gelaunte Fanny übernimmt viele Hausarbeiten, dafür kann sie hier wohnen bleiben. Der Mietzins ist obendrein fällig.

Ich begleite Helga durch dieses für sie so ereignisreiche Jahr 1955, dazwischen lese ich Briefe ihrer Mutter, geschrieben 1945, als sie mit ihren beiden Kindern in einem Bunker ums Überleben kämpft. Während des Lesens nahm ein furchtbarer Verdacht immer mehr Raum ein, mein Glauben an das Gute bekam immer mehr Risse.

Lilly Bernstein hat mir eine sehr kurze Nacht beschert, ich konnte ihr „Findelmädchen“ nicht weglegen, bin mit ihren so authentischen Charakteren regelrecht abgetaucht. Es sind die Nachkriegsjahre, das Köln im Jahre 1955 ist im Wiederaufbau. Aus heutiger Sicht mutet vieles befremdlich an. Die Diskriminierung der Besatzungskinder ebenso wie die haltlosen Zustände in den Heimen und die Rechtlosigkeit der ledigen Mütter. Ohne Ehemann oder Vater kann eine Frau weder einen Arbeitsvertrag unterschreiben noch ein Konto eröffnen, auch wenn es sich um ihr eigenes Geld handelt. Auch die Sprachlosigkeit unter den Generationen und die erste Liebe sind anschaulich und gut nachvollziehbar geschildert.

„Findelmädchen“ ist ein berührendes Stück Geschichte. Die fiktionalen Figuren erzählen die gut recherchierten Fakten, alles zusammen gut lesbar aufbereitet. Die Autorin hat mit vielen ehemaligen Heimkindern gesprochen, nicht alle konnten sich öffnen. Aber doch so einiges kam ans Tageslicht, über das jahrzehntelang geschwiegen wurde. Denn je härter das Schicksal zuschlägt, je schlimmer die Erlebnisse, desto weniger kann man darüber sprechen.

Ein Buch, das ich nicht missen möchte. Ein zu Herzen gehender Roman vor historischem Hintergrund, das ich jedem an Nachkriegsgeschichte Interessierten ohne Wenn und Aber empfehlen kann.

Bewertung vom 01.08.2022
Das Profil (MP3-Download)
Borck, Hubertus

Das Profil (MP3-Download)


sehr gut

Ein Ermittlerduo, das sehr gegensätzlich anmutet: Franka Erdmann ist gut in ihrem Job, der Kriminalkommissarin zur Seite wurde Alpay Eloglu gestellt, er ist jung, er muss sich erst noch beweisen. Ihr erster gemeinsamer Fall gibt Rätsel auf: Der Tote ist nackt und wird bis auf dem Kopf in einer Sandkiste auf einem Spielplatz verscharrt aufgefunden.

Schon dieser Anfang liest bzw. hört sich sehr beklemmend an. Aber es wird noch verstörender. Wer hat es auf die jungen Influencerinnen in ihrem stylischen Zuhause abgesehen und warum?

Viel zu sorglos wird gepostet. Was zählt sind Likes und Follower. Privates wird vermeintlich geschickt verborgen, nur gelingt dies nicht immer. Selbst Kleinigkeiten sind verräterisch, hinter der Anonymität im Netz kann sich jeder nur allzu leicht verbergen.

„Ich kenne dein Profil…“ Derjenige, nach dem sie mit Hochdruck suchen, taucht zwischendurch in kurzen Kapiteln immer wieder auf. Hat ihn seine desaströse Lebensgeschichte in diese Bahnen gelenkt?

Als bekennender Thriller-Fan bin ich als erstes beim Cover hängengeblieben und wollte unbedingt wissen, was sich dahinter verbirgt. Und ich bin nicht enttäuscht worden. Hubertus Borck hat sehr authentische Charaktere geschaffen. Franka in ihrer zuweilen schroffen Art ist schon lange dabei, für einen Anfänger wie Alpay hat sie nicht unbedingt die Nerven. Ihre Hakeleien am Rande lockern auf, die Ermittlungsarbeit leidet darunter nicht. Im Gegenteil, sie ergänzen sich immer besser. Der Fokus ist auf die so spannend wie glaubwürdige Tätersuche gerichtet. Lediglich das Warum ist ein wenig zu abgehoben.

„Das Profil“ habe ich mir vorlesen lassen, Daniela Ziegler hat mir mit ihrer unverkennbaren Stimme fesselnde Hörstunden bereitet. Ich mag sie als Schauspielerin sehr gerne und schon da war und bin ich von ihr fasziniert. Auch als Interpretin dieses Thrillers gefällt sie mir ausgesprochen gut, ich werde ihr in Hörbüchern bestimmt wieder begegnen.

Der Auftakt einer neuen Thrillerserie um Franka und Alpay ist gelungen. Franka mit ihrer langjährigen Erfahrung ist abgeklärt, sie hat so ziemlich alles Schlechte gesehen und Alpay, der frischen Wind in eingefahrene Bahnen bringt, ist der belebende Gegenpol. Bilden die zwei bald das Dreamteam schlechthin? Ich werde den beiden bestimmt wieder begegnen.

Bewertung vom 01.08.2022
Die Nachricht des Mörders / Fräulein vom Amt Bd.1 (MP3-Download)
Blum, Charlotte

Die Nachricht des Mörders / Fräulein vom Amt Bd.1 (MP3-Download)


sehr gut

In den 1920er Jahren mussten Telefonate außerhalb des Ortsnetzes noch von Hand vermittelt werden und dafür gab es die „Fräulein vom Amt“. Alma Täuber arbeitet als solche und immer wieder bekommt sie Gesprächsfetzen mit. Als eine Frauenleiche gefunden wird, erinnert sie sich an ein kurz zuvor mitgehörtes Telefongespräch, in dem eine Männerstimme den Auftrag bei den Kolonnaden als erledigt meldet. Sie informiert die Polizei, der Leiter der Dienststelle wimmelt sie unwirsch ab. Wenigstens kann sie Ludwig Schiller, seines Zeichens Kriminalkommissar-Anwärter, von ihrem Verdacht, dass zwischen dem Telefonat und der Leiche ein Zusammenhang besteht, überzeugen.

Alma will es wissen, auch wenn sie sich nicht nur einmal in Gefahr begibt. Sie braucht Ludwig, dessen Chef von seinen Aktivitäten aber nichts wissen darf. So ermitteln sie im mondänen Baden-Baden eher undercover, sie treiben sich in illegalen Casinos rum, sind in noblen Hotels unterwegs, immer auf der Spur des vermeintlichen Mörders.

Charlotte Blum hat einen unterhaltsamen kriminalistischen Fall kreiert, auch wenn das toughe Fräulein Alma ein wenig überzeichnet ist. Nichts desto Trotz ist sie eine durchaus sympathische „Ermittlerin“, die sich nicht so leicht abwimmeln lässt. Sie kombiniert messerscharf, hat im Notfall Ludwig zur Seite und nicht nur ihn, auch ihre Freundinnen halten ihr bisweilen den Rücken frei.

Ich habe dem ungekürzten Hörbuch vom Argon-Verlag gelauscht, gelesen von Dagmar Bittner. Sie ist das Beste, was das „Fräulein vom Amt“ zu bieten hat. Ihre nuancenreiche Stimmlage passt sich der Handlung perfekt an, sie gibt jeder Figur ihre ganz individuelle Note. Es waren trotz der Toten sehr vergnügliche Stunden.

Den Charakteren nimmt man ihre Eigenheiten ab - Alma überstrahlt sie alle, sie ist durchgängig präsent, wenn auch etwas zu umtriebig. „Zwischen illustren Kurgästen und illegalem Glücksspiel“ verweben sich Tätersuche und private Elemente. Die Auflösung, das Warum, kam überraschend, auch gefällt mir dieses Warum nicht. Ich finde dies zu konstruiert. Wer der Täter ist, hat sich dagegen schon abgezeichnet.

Alma Täuber ermittelt: „Fräulein vom Amt - Die Nachricht des Mörders“ ist der erste Band einer neuen Reihe, der mich neugierig auf den Folgeband, bevorzugt als Hörbuch, zurück lässt.

Bewertung vom 29.07.2022
Denk ich an Kiew
Litteken, Erin

Denk ich an Kiew


ausgezeichnet

Ein sehr dunkles Kapitel der ukrainischen Geschichte bringt Erin Litteken ihren Lesern näher. „Denk ich an Kiew“ zeigt ein geschundenes Volk, das ehemals zur Sowjetunion gehörte und seit 1991 ein selbständiger Staat ist. Ein Volk, das nicht zur Ruhe kommt - die täglichen Nachrichten berichten von der aktuellen Tragödie der Ukraine. Das Leben schreibt die schlimmsten Geschichten, keine Kreatur ist so grausam wie der Mensch.

In zwei Zeitebenen erzählt die Autorin einmal von Katja, Alina, Pawlo, Kolja und ihren Familien in den 1930er Jahren, sie leben in einem kleinen Ort nahe Kiew. Die zweite Zeitebene ist 2016 angesiedelt, in Illinois leben Bobby, Anna, Cassie, Birdie und Nick.

Cassie zieht nach Henrys Unfalltod mit ihrer kleinen Birdie zu ihrer Großmutter, alle nennen sie Bobby, deren Tagebuch mit vielen losen Zetteln darin auftaucht. Nick, ein Bekannter, kann das in ihrer Muttersprache geschriebene Tagebuch lesen. „Ruf ihn an“ ermuntert Bobby ihre Tochter Anna, er wird es übersetzen. Bobby kann das nicht mehr, es wäre zu hart, dies alles nochmal zu durchleben. Es ist ihr aber wichtig, dass Anna Bescheid weiß.

Katja erzählt ihre Geschichte von der Ukraine in der Zeit, als die Bolschewiken alles an sich reißen, sie die Leute zwingen, sich den Kolchosen anzuschließen. Sie und Alina, ihre Schwester, hatten eine glückliche Kindheit und jetzt, als junge Frauen, verlieren sie alles. Katja bekommt von Pawlo ein Tagebuch geschenkt und er ermuntert sie, alles festzuhalten. „Das Tagebuch, das Pawlo ihr geschenkt hatte, war mittlerweile fast voll, und es enthielt alles, was sie gesehen hatte, alles, was sie verloren hatte…“

Die Hungersnot in den 1930er Jahren in der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik war eine von höchster Stelle angeordnete. Stalins Ziel, die sowjetische Herrschaft in der Ukraine zu festigen, die Freiheit des einzelnen dagegen brachial zu unterdrücken, wurde gnadenlos vorangetrieben. Wer sich der Zwangskollektivierung entgegensetzte, wurde verhaftet. Sie hatten keine Wahl – ihr Besitz war nicht mehr der ihre, alles war Staatseigentum, jedes Getreidekorn, selbst die angefaulten Kartoffeln gehörten ihnen nicht. Bewaffnete Aktivisten waren eifrig bei der Sache, selbst enge Freude und Familienmitglieder wurden denunziert oder gleich an Ort und Stelle erschossen. Dem Holodomor fielen nach Studien geschätzt 3,9 Millionen Menschen zum Opfer, genauere Zahlen sind nicht mehr zu ermitteln.

Die beiden Zeitebenen werden abwechselnd erzählt, wobei ich im Gestern noch viel mehr verhaftet war. Der Autorin ist es gelungen, all ihre Charaktere, ihre Pein, ihren Überlebenswillen und auch ihren Mut, „Verbotenes“ zu tun, so eindringlich zu schildern, dass ich das Buch nicht weglegen konnte. Ich konnte mich gut in sie hineinfühlen, es waren viele Bilder in meinem Kopf. Das Heute, Cassies Geschichte, war teils eine Liebesgeschichte ohne Tiefgang. Die Idee, sich dem geheimnisvollen Tagebuch als Bindeglied zu bedienen, hat dagegen sehr viel Charme.

Erin Litteken hat ein erschütterndes Zeugnis eines heute fast vergessenen Genozids niedergeschrieben - ein Volk wird ganz gezielt ausgehungert.

Die Geschichte wiederholt sich, den Ukrainern ist kein Frieden vergönnt. Ein Roman, der zutiefst erschüttert, der lange nachwirkt.

Bewertung vom 25.07.2022
Was ich nie gesagt habe / Gretchen Bd.2
Abel, Susanne

Was ich nie gesagt habe / Gretchen Bd.2


ausgezeichnet

Ach wie schön, wieder von Gretchen zu lesen. „Stay away from Gretchen – eine unmögliche Liebe“ hat mich begeistert, ihr Schicksal mich so sehr berührt. „Was ich nie gesagt habe – Gretchens Schichsalsfamilie“ lässt mich wieder tief in Gretas Familie eintauchen.

Tom Monderath, der sich nie binden wollte, hat seine Einstellung diesbezüglich gründlich geändert, seit er mit Jenny zusammen ist. Er schwelgt im siebten Himmel, als unerwartet Henk auftaucht. Tom weiß zwar von seiner Halbschwester Marie, die in den USA lebt, aber ein weiteres Geschwisterkind, auch väterlicherseits, hat er nicht erwartet. Seinen Vater Konrad kann er nicht mehr befragen, er ist schon lange tot und so begeben sich Tom und Henk, die beiden Halbbrüder, auf Spurensuche, unterstützt von Jenny. Immer mehr Halbgeschwister tauchen auf – nahm Vater es mit der ehelichen Treue nicht so genau? Seine Mutter Greta ist Tom keine Hilfe, sie taucht immer mehr in ihre eigene Welt ab.

Susanne Abel erzählt auf zwei Zeitebenen, die gut ineinander greifen. Alles beginnt 1933, als Konrad, der Conny genannt wird, fünf Jahre alt ist. Sein früh verstorbener Vater lässt ihn mit Mam und seinen zwei Geschwistern zurück. Die Nationalsozialisten haben das Sagen, schon den Kleinen trichtern sie ihr Gedankengut ein. Die Juden werden immer mehr geächtet, die Angst geht um. Unwertes Leben wird gnadenlos ausgemerzt, Euthanasie ist das Zauberwort.

Gretchens Lebensgeschichte wird in beiden Bänden erzählt, es sind Bruchstücke, die ineinandergreifen und so nach und nach ein gut nachvollziehbares Gesamtbild ergeben. Im ersten Band erfährt man von der jungen Greta und der kleinen Marie, von ihrer Zeit während des zweiten Weltkrieges, während der zweite Band sich eher um Konrad, Gretchens Mann und Toms Vater, dreht. Die Geschichte ist natürlich sehr viel komplexer, im Nachwort erzählt die Autorin, wie diese Story zu ihr fand.

Es gibt Dinge, die man für sich behält, tief in sich einschließt. Traumatische Erlebnisse, unsägliches Leid. Susanne Abel hat gründlich recherchiert, sie flicht die Verbrechen während der Zeit der Nationalsozialisten gekonnt ein, auch die künstliche Befruchtung mit allem, was dazu gehört, wird thematisiert.

Auch wenn ursprünglich keine Gretchen-Reihe geplant war, so hat mir dieser zweite Band Gretchens Schicksalsfamilie noch näher gebracht. Eine großartige Geschichte ist auserzählt, ich war bewegt und begeistert von der so berührenden und warmherzigen Erzählweise Susanne Abels. Und das wieder so gelungene Cover passt hervorragend zu Band 1. Von mir gibt es eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

Bewertung vom 23.07.2022
Die versteckte Apotheke
Penner, Sarah

Die versteckte Apotheke


ausgezeichnet

Wer kennt sie nicht, die Pflanzen, welche in der richtigen Dosierung verabreicht tödlich sind. Der Blaue Eisenhut sei erwähnt, den man tunlichst aus dem Garten verbannen sollte, sobald kleine Kinder herumlaufen. Alle Teile dieser so schön blühenden Pflanze sind giftig. Toxikologen waren erst Mitte des 19. Jahrhunderts in der Lage, Gift im Körper nachzuweisen.

„Die versteckte Apotheke“ und Nella, ihre Inhaberin, existierten vor etwa 200 Jahren in London. Es war eine gut getarnte Geheimadresse, die all jene wussten, die einen unliebsamen, ja gewalttätigen Ehemann nicht mehr ertragen konnten. Frauen hatten keinerlei Rechte, waren dem Manne auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und so manch einer trieb es so weit, dass sein Weib sich nicht mehr anders zu helfen wusste, als ihn mithilfe eines von Nella gemischten Elixiers vom Leben in den Tod zu befördern. Von ihrer Mutter übernahm Nella die Apotheke. Manchmal las sie ihre Einträge, fein säuberlich vermerkt mit Namen, Datum und der verabreichten Arznei. Auch auf ihren Seiten notierte Nella harmlose und teuflische Substanzen, dahinter verbargen sich zuweilen dunkle Geheimnisse. Ein Zufluchtsort für Frauen war ihre Apotheke, kein Mann – bis auf einen – hat sich je hierher verirrt.

Im Wechsel, auf zwei Zeitebenen, wird der Roman erzählt. Die Gegenwart verkörpert Caroline, eine junge Historikerin. Sie findet im Schlamm der Themse ein geheimnisvolles blaues Fläschchen, ein im Glas eingravierter kleiner Bär bringt sie auf Nellas Spuren. Nella und Caroline, zwei so unterschiedliche Frauen - und doch haben sie Gemeinsamkeiten. Sie sind ehrgeizig, habe ihre Ziele und Prinzipien, auch wenn es nicht immer danach aussieht.

Mit Nella war ich sofort vertraut, auch die so junge Eliza hat mich tief berührt. Der alte Apothekerschwur "niemals Gift zu verabreichen..." gilt hier nur bedingt und doch habe mitgefühlt, habe jede Zeile ausgekostet. Bei Caroline dauerte es, sie war eher meine Nummer drei. Ihre Nachforschungen waren teilweise schon grenzwertig, um nicht zu sagen etwas weit hergeholt.

Der Perspektivwechsel war sehr geschickt gemacht. Immer dann, wenn man mitfiebert, ob denn diese eine Sache gut ausgehen wird, sie sich durchschlängeln können, nicht entdeckt werden, wird vor- oder zurückgespult.

Nella und Eliza waren meine sympathischen Helden, gefolgt von Caroline. Auch wenn ich von etwas "giftigeren" Charakteren umgeben, es moralisch nicht wirklich korrekt war, so habe ich diese "versteckte Apotheke" doch sehr genossen.