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miss.mesmerized
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Bewertungen

Insgesamt 1245 Bewertungen
Bewertung vom 21.04.2020
Das Dorf der toten Seelen
Sten, Camilla

Das Dorf der toten Seelen


sehr gut

Schon immer war Alice fasziniert von den Erzählungen ihrer Großmutter über Silvertjärn, dem Dorf, aus dem sie ursprünglich stammte und in dem alle Einwohner eines Tages spurlos verschwanden. Einzig ein namenloses Baby fand man allein zurückgelassen, die Mutter brutal auf dem Marktplatz hingerichtet. Nach Abschluss der Filmhochschule beschließt Alice gemeinsam mit Freunden einen Dokumentarfilm für die Ereignisse zu drehen. Bereits kurz nachdem die fünf den abgelegenen Ort ohne Strom und Kommunikationsmöglichkeit erreicht haben, geschehen seltsame Dinge. Vor allem Tone scheint es nicht gut zu gehen. Nur Alice weiß, dass Tone die Tochter des einstigen Findelkinds ist und neben ihr ebenfalls einen Bezug zu Silvertjärn hat. Sie beginnen die verlassenen Straßen und Häuser zu erkunden, das dumpfe Gefühl, dass sie nicht allein sind, lässt jedoch nicht lange auf sich warten, ebenso wenig wie die ersten scheinbaren Unfälle, deren Folgen jedoch zunehmend drastischer werden. Gibt es wirklich etwas Böses, das dort sein Unwesen treibt?

Camilla Sten alle hat Zutaten eines Horrorschockers geschickt verarbeitet: eine Gruppe gut gelaunter, sorgloser junger Menschen, die sich nicht alle so gut kennen, dass sie um die Geheimnisse der anderen wüssten; ein abgeschiedener Ort, wo keine Hilfe zu erwarten ist; seltsame, unerklärliche Vorgänge, die zunehmend gruseliger und bedrohlicher werden; eine alte Geschichte, die nicht nur mysteriös, sondern vor allem verlockend ist. Man ist ja immer etwas am Zweifeln, wenn die Kinder bekannter Autoren selbst zur Feder greifen, bei der Geschichte habe ich mich auch lange gefragt, wie sie zu einem glaubhaften und überzeugenden Ende kommen will – aber: auch Camilla Sten kann genau wie ihre Mutter Viveca Sten spannend schreiben und den Plot zu einem sauberen Schluss führen, der plausibel und durch die Erzählung auch einleuchtend motiviert ist.

Neben den aktuellen Ereignissen um die Dokumentarfilmer werden durch Briefe und zurückgelassene Nachrichten die Ereignisse berichtet, die zu dem unheilvollen Tag des Verschwindens geführt haben. Man bekommt einen Einblick in ein Dorf, das kurz vor dem wirtschaftlichen und mentalen Zerfall steht, nachdem die Bergbaugrube, die Arbeit und Sinn gab, geschlossen wurde. Dies führt zu einer Vulnerabilität, der die Menschen letztlich zum Opfer fallen. Auch wenn diese Rückblenden recht kurz sind, wird doch die Dynamik sichtbar, die die Menschen erfasst. In der Spiegelung zur Gegenwart zeigt sich aber auch, dass in Bezug auf bestimmte Themen auch nach 60 Jahren kaum eine Entwicklung stattgefunden hat und Vorurteile und Vorverurteilungen noch genauso präsent sind wie damals.

Ein insgesamt überzeugendes Debüt, das ich mir als Film fast noch besser vorstellen kann als in Buchform.

Bewertung vom 21.04.2020
American Dirt
Cummins, Jeanine

American Dirt


ausgezeichnet

Der 15. Geburtstag ihrer Nicht Yénifer wird für Lydia kein fröhliches Fest, sondern der schlimmste Albtraum: 14 Familienmitglieder werden von dem gefürchteten Kartell Los Jardineros brutal ermordet, nur sie selbst und ihr Sohn Luca können durch einen glücklichen Zufall überleben. Ihr ist klar, dass sie nicht in Acapulco bleiben können, sondern schnellstmöglich fliehen müssen. Der Anschlag galt in erster Linie ihrem Mann Sebastián, der wenige Tage zuvor ein detailliertes Portrait des Leaders Javier veröffentlichte. Aber er war ebenso eine Warnung an sie, denn sie ist es, die Javier seit Jahren kennt und regelmäßig trifft. Zunächst wusste sie nicht, wer der charmante und charismatische Kunde war und selbst nach der Erkenntnis musste sie sich eingestehen, dass er einer ihrer engsten Vertrauten geworden war. Die Liebe zur Literatur hatte die Buchhändlerin mit dem brutalen Killer zusammengebracht. Jetzt muss sich Lydia mit ihrem 8-jährigen Sohn auf den gefährlichen Weg gen Norden machen, der auch ohne die Angst vor den einflussreichen Narcos lebensgefährlich ist.

„American Dirt“ ist vermutlich eines der meist diskutierten Bücher des Jahres 2020. Erst wurde die Autorin allseits gepriesen, von einflussreichen Buchclubs wie jenem von Oprah Winfrey mit viel Lob versehen, bevor sich die Stimmung ins Gegenteil verkehrte und man der Autorin vorwarf, sich eine fremde Sache anzueignen, da sie keine mexikanischen Wurzeln hat, und das Land aus einer rassistischen Perspektive zu präsentieren, so dass sie letztlich sogar ihre Promotour für das Buch absagen musste. Man kann diese Diskussion verfolgen und führen, diesseits des Atlantiks mutet die Schärfe bisweilen etwas absurd an und bei der Frage, ob das Buch überzeugt, zählt für mich in erster Linie der Text selbst. Hier ist mein Urteil eindeutig: eine spannende Geschichte, die auch sprachlich herausragt und vor allem durch ihre authentisch wirkenden Figuren überzeugt.

Die Gewalt der mexikanischen Banden ist seit vielen Jahren leider das Einzige, was man als Meldung aus dem Land erhält. Zahlreiche Menschen, die spurlos verschwinden, ganze Städte, die verängstigt und fest in der Hand der narcotraficantes sind, die inzwischen ihr Geschäft weit über den Drogenhandel hinaus ausgedehnt haben. Genau in deren Visier gerät Lydia, bescheidene Inhaberin einer kleinen Buchhandlung. Schon die Eröffnungsszene, die den Mord an ihrer Familie beschreibt, setzt die Stimmung für das Buch. Die Menschen leben in einer konstanten Angst, zum Teil berechtigt wie bei Sebastián, der als Journalist besonders gefährlich lebt, zum Teil aber auch, weil viel Willkür und Zufall die Gewalt begleitet.

Die Flucht aus dem Land ist so ein quasi unüberwindbares Problem: sobald ihre Namen irgendwo auftauchen, sie ihre Kreditkarte verwendet, hat man ihre Spur. Es bleibt letztlich nur der Weg mit „La Bestia“, jenen Güterzügen, auf denen die illegalen Einwanderer Richtung USA ihr Leben für Freiheit und Sicherheit riskieren. Weder Lydia noch Luca haben die Ereignisse, vor denen sie weglaufen, verarbeitet als sie schon mit neuer Gräuel konfrontiert werden. Mit zwei honduranischen Schwestern schließen sie bald eine Notgemeinschaft, die Mädchen fliehen vor einer ähnlichen Lage und gerade wegen ihres attraktiven Aussehens erregen sie besonders schnell Aufmerksamkeit, die auf diesem Weg jedoch zur echten Gefahr für sie wird.

Ja, man sollte über diesen Roman sprechen, aber weniger aufgrund der Begleiterscheinungen, sondern weil er eine der bemerkenswertesten Veröffentlichungen des Jahres ist.

Bewertung vom 18.04.2020
Cari Mora
Harris, Thomas

Cari Mora


gut

Cari Mora is not afraid, not anymore. Having been kidnapped as a kid and trained to become a child soldier for Colombia’s FARC, she knows how to survive even the most dangerous situations. She can read people, use weapons of all kinds and she knows that in order not to be killed, she at times needs to shoot others first. She has established a quiet life in Miami, always under the radar since she does not possess the necessary papers. When Hans-Peter Schneider and his crew appear, things become complicated. A war of gangs breaks out, sadist Schneider as well as his opponent Don Ernesto want to dig out some gold barrels which are supposed to be deposited in a house which formerly belonged to Pablo Escobar, leader of the famous Medellin Cartel. Cari soon find herself between the front lines.

It took Tomas Harris thirteen years after his last instalment of the Hannibal Lecter series to come up with a new novel. Having totally adored “Red Dragon” and “The Silence of the Lambs” and its successors, I was eager to read this novel. Even though the topic is completely different, I expected some cruel thrill and highly complex characters. Yet, my expectations were not really met and for the rating, it only ranges somewhere between three and four stars.

There were some aspects I found really interesting to read. Cari Mora’s backstory as a child soldier was exciting and appalling at the same time and Harris integrated this part quite well into the actual plot line. She certainly is some noteworthy character and the conflicting traits - on the one hand, the ruthless child who learnt how to kill, on the other hand, the caring woman and her way of treating plants and animals which shows her high capacity of empathy – make her a strong protagonist.

However, the main topic is the fight between the two gangs which is, unfortunately, very poorly narrated. Even though Schneider first appears to be a fascinating character with his tendency to torture, this is not really developed further. Thus, the gang fight remains on the highly superficial “we shoot some of you, then you react in the same way” level. This is a bit uninspired and maybe works better in film than in a book.

It is easy to recognise Thomas Harris’ hand in the novel, but he surely can do a lot better than that.

Bewertung vom 15.04.2020
The Perfect Couple (eBook, ePUB)
Kabler, Jackie

The Perfect Couple (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Life has been perfect for Gemma and her husband Danny. The successful journalist and IT specialist have decided to flee busy London and settle in Bristol in a nice home where the quality of living is higher. When Gemma returns one Friday evening only three weeks after their move, she expects Danny to be at home waiting for her with dinner. However, their house is deserted, no sign that her partner has been at home after work. First, she is only slightly concerned, working overtime is not unusual in his job, but not getting hold of him makes her wonder. After changing his job, he hasn’t gotten a new mobile phone and thus, they only communicate via e-mail which he doesn’t answer. Gemma bravely waits two days, becoming increasingly frightened before she contacts the police for filing a missing persons’ report. What she learns then is that two men looking like Danny’s twins have been murdered in the area and soon she finds herself prime suspect in a serial killer case as strangely, there is not the least sign in her home of Danny ever having lived there with her. What is she actually hiding?

Jackie Kabler’s mystery novel starts quite typical for a thriller, you are immediately thrown into the plot and discover the vanishing of her husband together with Gemma. Thus, you get her growing concern first hand and can easily follow her thoughts. When the police’s side of the story is told, the author switches the point of view and leaves you quite quickly in the positing where you wonder if either you were fooled by Gemma who seemingly has set up some very good murder plot or if the woman suffers from some kind of serious mental troubles and even only imagined to have a husband whom strangely hardly anybody seems to have known. On the other hand, there is some creepy feeling that Danny might have taken advantage of Gemma for some scheme of his own, they haven’t been married that long and he proposed only weeks after they had gotten to know each other.

I totally adored the constant insecurity about whom to trust and what to believe; the more you learn about the characters and the further the events develop, you have to adapt your opinion and change sides more than once. Some unexpected twists and turns keep you hooked to the novel and make it hard to put it down. “The Perfect Couple” is a psychological thriller with an interestingly drawn protagonist and a surprising storyline which make a thrilling and gripping read.

Bewertung vom 11.04.2020
Redhead by the Side of the Road
Tyler, Anne

Redhead by the Side of the Road


ausgezeichnet

Everything in Micah Mortimer’s life is in the best order imaginable. He has developed his routines of the house chores, of running every morning at exactly the same time before having a shower and eating breakfast. His company “Tech Hermit” provides enough for himself to survive and he is independent in every way. But then one day, his life somehow runs out of control. First, an 18-year-old boy shows up at his door claiming to be his son and then, his girlfriend Cass leaves him unexpectedly. He is not well equipped to deal with this interruption of his routines and certainly not when everybody suddenly seems to be meddling with his love life.

Anne Tyler is a wonderful narrator and thus, also in her most recent novel I got exactly what I had expected. “Redhead by the Side of the Road” is the story of a very peculiar man who seems somehow to go unnoticed when you cross him in the street, who is totally reliable, but also quite predictable. In his Baltimore apartment block, he takes care of everything that needs to be tended to and he seems to be totally ok with his life as he has established it. He shows little interest in matters outside his cocoon and would go on in this way forever if he weren’t interrupted. The author shows that crucial moment, when suddenly everything is put to a test, is questioned and what seems to be perfectly fine turns out to be quite the opposite. He is confronted with the decisions he has made, has to take others’ perspectives and question himself and his habits.

Micah’s obsession with tidiness and order is well explained by the contrast with his chaotic sisters. What the reader sees immediately is that not only are they quite messy and tumultuous in certain ways, but they also seem to be alive. In comparison, Micah is well organised but somehow also lifeless. Nevertheless, they love and support him and would like him to have a fulfilled partnership, their teasing is their way of showing fondness, however, he is not yet at the point of recognising this. It needs another confrontation with his past to fully understand what goes wrong.

He is not a character you immediately sympathise with, but I adored his direct and somehow naive way of addressing people, especially when Brink appears and maybe it is exactly this somehow innocent straightforwardness that makes the boy open up to him.

It is not a novel that goes totally deep with hidden meanings and messages, but without any doubt, it advocates for those nondescript, unimposing characters who have to say much more than you’d expect and it also holds the mirror up to the reader to question what is important in life, where to set the priorities and most of all, to ask yourself if you’re really happy. A moving story that I totally adored to read.

Bewertung vom 11.04.2020
Zara und Zoë - Tödliche Zwillinge / Die Profilerin und die Patin Bd.2
Oetker, Alexander

Zara und Zoë - Tödliche Zwillinge / Die Profilerin und die Patin Bd.2


sehr gut

Zweiter Einsatz für die ungleichen Schwestern. Endlich ist es Europol gelungen, einen Islamisten für sich zu gewinnen und so Zugang zu den Führern und ihren Anschlagsplänen zu bekommen. Doch der Informant scheint in Marokko, unweit der spanischen Enklave Melilla festzusitzen und womöglich ist er auch schon enttarnt. Profilerin Zara von Hardenberg muss handeln und viel Zeit bleibt nicht. Doch der Job ist unmöglich legal zu erledigen, den kann nur eine übernehmen: ihre Schwester Zoë. Diese wollte sich eigentlich nach dem letzten Einsatz zurückziehen, doch ihre eigene Organisation wird bedroht. Dem alten Mafiaboss Bolatelli laufen die Handlanger weg, denn die Al-Hamsi Brüder zahlen schlichtweg besser. Einmal mehr tauschen die Schwestern die Rollen, doch dieses Mal mit ungewissem Ausgang.

Auch im zweiten Band um die Europol-Ermittlerin und ihre Mafia-Schwester ist das Erzähltempo hoch und Bandbreite an Verbrechen und Gewalt kennt kaum eine Grenze. Oetker greift dabei auf aktuelle Bedrohungen zurück: die Angst vor islamistischem Terror hält Europa nach wie vor gefangen, ebenso sind mafiöse Strukturen im französisch-italienischen Grenzgebiet mit Korruption bis zu höchsten Ämtern kein Geheimnis.

Auch wenn ich den Rollentausch etwas bemüht finde, hat mich auch dieser Fall unmittelbar gepackt, so dass er innerhalb kürzester Zeit gelesen war. So verschieden die Schwestern, so unterschiedlich die Wahl der Mittel, besonders Zoë, die sich an kein Gesetzt gebunden sieht, folgt nur ihrem Instinkt (und entwickelt dabei geradezu übermenschliche Fähigkeiten, die dürften für meinen Geschmack etwas näher an der Realität bleiben). Gut gefallen hat mir, wie beiden besonders vom Schicksal der Frauen getroffen waren, trotz all der Härte, die beide mitbringen, bleiben sie so menschlich. Das Ende legt nahe, dass dies nicht ihr letzter Streich gewesen sein kann, man darf gespannt sein, wie sie mit der sich nun bietenden neuen Situation umgehen.

Insgesamt eine routiniert erzählte Geschichte mit viel Action und nicht allzu viel Tiefgang, genau das Maß Unterhaltung, was man gerne mal liest.

Bewertung vom 10.04.2020
You Have to Make Your Own Fun Around Here
Macken, Frances

You Have to Make Your Own Fun Around Here


gut

Since their childhood, Katie, Maeve and Evelyn have been friends and it was never a question who was the leader of their gang. Admired by the other two girls, Evelyn decided on what and who to like or dislike. When a new girl moves to their small Irish community, she immediately knows that Pamela is arrogant and stupid. Due to her mother’s interference, Katie is prone to become Pamela’s friend, but before they could really get to know each other, the girl vanishes and is never to be seen again. Rumours go from her being killed by one of the trio’s friends, over being abducted to her having run away. When school is over, Katie and Evelyn plan to move to Dublin together, but when her friend is not accepted at university, Katie for the first time is on her own and cannot rely on her friend anymore.

What a great beginning of a novel. I totally adored to careless and adventurous kids who then developed into typical teenagers. Unfortunately, the novel lost a bit of its spirit when the three separate. Even though this is necessary for Katie’s development, from this point on I struggled a bit with the reading, first and foremost because I found it hard to endure Katie’s naivety and her inability to become an independent person, to develop her own ideas and tastes, she is totally dependent on others and their opinion, thus just bounces somehow in her life without goal. Her return to her small hometown is a logic consequence which even makes things worse for her.

In my opinion, the protagonist is well developed and throughout her life, the decisions made are well motivated by her personality and point of view, yet, she is certainly not a character to sympathise with or to take as a role model. In spite of that, I found it quite realistic to see how she struggles with her future, not having really developed but play but only a mere vague dream, she cannot succeed and must end up being totally disappointed. Similarly, her blindness when it comes to her friend Evelyn is well portrayed, she ignores all warnings and other views and is thus left to learn it the hard way.

A wonderful first part and some great aspects, nevertheless, I was a bit disappointed in the end, as I think the author could have made more of her plot and character.

Bewertung vom 09.04.2020
Der Empfänger
Lenze, Ulla

Der Empfänger


sehr gut

Dass sein Leben ihn nach Costa Rica führen würde, hatte Josef Klein nicht erwartet, als er fünfundzwanzig Jahre zuvor aus Neuss nach New York auswanderte. Der Anfang ist hart, doch nachdem er den Hilfsjob in der Druckerei gefunden hat, kommt sein Leben in geregelte Bahnen. In seiner Freizeit sitzt er vor seinem Empfänger, mit er Kontakt überall auf der Welt aufnehmen kann, so lernt er auch Lauren kennen, die junge Frau, die sich ihren Eltern widersetzt und ihre eigenen beruflichen Pläne verfolgt. Doch auch im Kreis seiner deutschen Bekannten regt sein Hobby Interesse und bald schon wird er gebeten, Nachrichten zu senden, verschlüsselte Zahlenreihen, alles nur zum Wohle des langsam erstarkenden Vaterlands. Lange verschließt Joe, wie er sich in den USA nennt, die Augen, doch die Anzeichen des drohenden Krieges werden immer deutlicher und bald muss auch er sich fragen, auf welcher Seite er steht.

Aus heutiger Sicht scheint vieles bezogen auf historische Ereignisse klar, die Fronten geklärt und die Grenze zwischen schwarz und weiß unverkennbar. Ulla Lenze indes zeichnet ein komplexes Bild des kleinen Mannes, der vielleicht mehr hätte wissen und sehen können, vielleicht naiv war, aber auch Jahre nach dem Krieg noch nicht sicher ist, ob er vorsätzlich missbraucht und geopfert wurde oder ob der Verlauf der Dinge einfach unglücklich war. Vor allem aber erkennt man in ihrem Protagonisten, wie schwer es für die Generation jener Auswanderer war, die in den 1920ern in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in die Welt aufgebrochen waren und dann durch das Nazi-Regime und den zweiten Weltkrieg plötzlich zwischen den Stühlen saßen und Partei für eine Seite ergreifen sollten, ohne zu wissen, wo sie eigentlich standen.

Auf mehreren Ebenen lässt die Autorin durch Rückblenden die Geschehnisse aufleben. Man beginnt am Ende in Costa Rica, davor standen Josefs harte Monate bei seinem Bruder in Neuss, zu dem er nach der Ausweisung aus den USA flüchtete. So interessant der Handlungsstrang in New York ist, fand ich die Entwicklung des Verhältnisses der beiden Brüder am spannendsten. Es ist eine Geschichte voller Missverständnisse, Nicht-Gesagtem, Enttäuschungen und unterschiedlichen Lebensentscheidungen. Erst bewegen sie sich langsam und vorsichtig umeinander, doch es ist klar, dass der große Eklat kommen muss. Nicht nur weil sie so verschieden sind, sondern weil es ihnen schwer fällt, die Perspektive des anderen einzunehmen und ihn wirklich zu verstehen.

Die Geschichte basiert auf wahren Erlebnissen des Onkels der Autorin und sie macht damit einen Teil der Spionagegeschichte zugänglich, der oftmals vergessen, dank der mitreißenden Erzählweise und dem cleveren Handlungsaufbau durch diesen Roman lebendig wird.

Bewertung vom 08.04.2020
Die Parade (eBook, ePUB)
Eggers, Dave

Die Parade (eBook, ePUB)


sehr gut

Ein unbenanntes Land, kurz nach dem Krieg, der den Norden und Süden verfeindet hatte. Nun soll eine Straße die beiden Landesteile verbinden und wieder vereinen. Zwei Arbeiter einer ausländischen Firma werden eingeflogen, um mit modernsten Maschinen innerhalb nur weniger Tage den Weg zu ebnen, was anschließend mit einer großen Parade gefeiert werden soll. Die beiden Straßenbauer kennen sich nicht und sollen nach Willen ihres Arbeitgebers auch weder miteinander und schon gar nicht mit der lokalen Bevölkerung engeren Kontakt aufnehmen, so wählen sie zwei Ziffern als Namen. Vier ist dies gewohnt, schon viele Einsätze hat er pflichtbewusst hinter sich gebracht, die strengen Regeln sind ihm ins Blut übergegangen. Für Neun ist es der erste Auftrag und er saugt die fremden Eindrücke von der ersten Minute an förmlich auf – weshalb er immer mehr seine Pflichten vernachlässigt und seinen Kollegen gegen sich aufbringt. So ungleich sie sind, bilden sie doch eine Schicksalsgemeinschaft und müssen miteinander die Aufgabe bewältigen, egal wie groß die Hürden sind, die sich vor ihnen auftun.

Dave Eggers bekanntester Roman ist sicherlich „The Circle“, in welchem er vor den Auswüchsen der großen Internetkonzerne warnt. „Die Parade“ ist ganz anders gelagert und erinnerte mich viel mehr an „Ein Hologramm für den König“, da auch dort in einem Infrastruktur armen Land fern der Zivilisation der technische Fortschritt kommen soll und die ausländischen Arbeiter sich in einer absurden Situation gefangen sehen. Im Fokus des Romans stehen jedoch hier ganz eindeutig die beiden Straßenbauer, die verschiedener kaum sein könnten und das, obwohl sie ebenso wie ihre Umgebung zunächst kaum mit Charakteristika ausgestattet werden, nicht einmal Namen erhalten sie.

Die Konfrontation der beiden ist von der ersten Sekunde an abzusehen, es ist nur eine Frage der Zeit, bis bei Vier die Hutschnur reißt und er das Treiben seines Kollegen nicht länger mitansehen will. Doch der unerwartete Schicksalsschlag, der sie beide letztlich trifft, zwingt Vier dazu, von seinem üblichen Verhalten abzuweichen und so etwas wie Menschlichkeit über das starre Befolgen von Regeln zu stellen. Ab diesem Moment ist er auch nicht mehr allein, er sieht die Bewohner des Landes mit anderen Augen, fasst Vertrauen und wird auch nicht enttäuscht. Zum ersten Mal kann er echte Erfahrungen machen und arbeitet sich nicht nur wie ein Roboter an der Straße ab. Das permanente Abwägen zwischen Mitgefühl und Pragmatismus, Großzügigkeit und Vorsicht lässt den Menschen hinter der Nummer zum Vorschein kommen.

Der Krieg als Hintergrund, vor dem die Geschichte ihren Anfang nimmt, taucht immer wieder am Rande auf, Bedrohungen kommen und gehen, aber nie sind Vier und Neun ernsthaft in Gefahr. Doch gerade als man denkt, dass offenbar durch menschliches Handeln, ein gewisses Maß an Offenheit und Mut auch Versöhnung und Miteinander möglich sind, packt Eggers die Keule aus. Nein, die Welt ist kein Ponyhof und wer sich zufrieden dieser Illusion hingibt, wird eine böse Überraschung erleben. Der große Fortschritt, der erzielt wurde, schlägt brutal zurück und lässt so den faden Beigeschmack, dass alles seinen Preis hat und selten ein Geschenk vom Himmel fällt.

Der Roman ist ganz sicher als Parabel zu lesen, die Fragen nach Moral, Ethik und Menschlichkeit aufreißt. So schnell man das kleine Buch auch gelesen hat, es wirkt nach und stimmt nachdenklich in vielerlei Hinsicht.

Bewertung vom 07.04.2020
Im Bauch der Königin
Taha, Karosh

Im Bauch der Königin


gut

Eine Stadt irgendwo im Westen der Republik. Amal ist nicht das Mädchen, wie man es von ihr erwartet; von klein auf verbringt sie mehr Zeit mit den Jungs, kleidet sich wie sie und schneidet sich radikal die Haare ab. Immer wieder kommt es zu Konflikten, die sie gerne auch mit Gewalt löst. Ihr Vater steht trotzdem zu ihr, bis er eines Tages nach Kurdistan verschwindet und die Mutter mit den beiden Kindern allein zurücklässt. Das Verhältnis zwischen Amal und ihr wird schwieriger, die Mutter zieht sich ob der Schmach des Verlassenwerdens zurück und versteckt sich unter dem Kopftuch, während Amal fasziniert von Shahira, der Mutter ihres Freundes Younus, ist. Doch im Viertel zerreißt man sich das Maul über die Frau, die sich in kurzen Röcken und figurbetont kleidet. Auch Raffiq fühlt sich von ihr angezogen, auch wenn er als Jugendlicher eigentlich Amals Freund ist. Alle drei Heranwachsende, Amal, Younus und Raffiq teilen noch etwas anderes: das Aufwachsen in einem Land, das die Eltern zum Teil enttäuscht hat, in dem sie nicht angekommen sind, wo das Leben wie von der Stopptaste angehalten verläuft. Für ihre Kinder sehen sie die Zukunft in der Heimat, Kurdistan, doch diese haben andere Pläne.

In ihrem zweiten Roman fängt Karosh Taha die Lebenswelt vieler Migranten lebhaft und vielschichtig ein. Die Identitäten, die geradezu gespalten scheinen zwischen dem kurdischen und deutschen Ich; die Sitten und Kulturen der beiden Länder, die sich oftmals diametral entgegengesetzt stehen; die Familien, die alle verschieden sind und doch die gleichen Sorgen und Rückschläge teilen; Vorurteile, die es nicht nur von den Mitgliedern der anderen Kultur, sondern ganz stark auch innerhalb der eigenen Community gibt.

Trotz des spannenden und komplexen Themas konnte mich das Buch nicht wirklich packen. Im ersten Teil erzählt Amal aus ihrer Sicht, im zweiten wird sie von Raffiq abgelöst, aber so richtig wollen sie nicht ineinandergreifen. Hin und wieder erscheint der Text auch als regelrechter Stream of Consciousness, mit unzähligen Schleifen und Wiederholungen, was jedoch mehr zu einer hohen Redundanz denn zu einem Erkenntnisgewinn führt und bisweilen fast langatmig wird. Amal kommt als Figur noch differenzierter daher, wie sie kämpft um die Aufmerksamkeit des Vaters, mit der Rollenerwartung an sie als Mädchen hadert, die beiden Rollenmodelle Mutter und Shahira immer wieder abwägt und letztlich bei einem Besuch in Kurdistan, doch auch nur erkennt, wer sie nicht ist, aber nicht, wer sie ist. Raffiq ist mir in seiner Schwärmerei für Shahira und der tatsächlich doch oberflächlich geführten Auseinandersetzung mit den Eltern thematisch zu eng. Younus hätte sicher auch eine interessante Perspektive und Einblicke geboten, wird jedoch nur in der Außensicht durch die anderen präsentiert.

Ein schwer zu greifender Text, der mich leider emotional nicht berührt hat, obwohl gerade Protagonistin das Potenzial gehabt hätte, ihre spezifische Situation begreifbar zu machen.