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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
vielleser18
Wohnort: 
Hessen
Über mich: 
Ich lese querbeet, am liebsten aus den Bereichen Historisch, Krimi/Thriller, Frauen und Fantasy

Bewertungen

Insgesamt 808 Bewertungen
Bewertung vom 07.04.2017
Osteraugen
Müller, Raphael

Osteraugen


ausgezeichnet

Raphael Müller, Jahrgang 1999, stumm, autistisch und hochbegabt, hat mich wieder einmal mit seinem Worten begeistert. Ich habe schon seine autobiografische Geschichte "Ich fliege mit zerrissenen Flügeln" gelesen, schon damals war ich beeindruckt von der Tiefe und Sprachgewalt seiner Worte.

Im neuesten Buch "Osteraugen" erzählt er in Kurzgeschichten den Ablauf der Osterzeit, der Kreuzigung und Auferstehung Jesu. Das besondere daran ist die Betrachtungsweise. Hier kommen Menschen, Tiere und Dinge "zu Wort", die diese Zeit miterlebt haben. Angefangen vom Esel, auf dem Jesus Palmsonntag geritten ist, von Steinen, die den Weg säumten, vom Baum, der den Verrat Judas beobachtet hat, aber auch Pontius Pilatus, Maria, Petrus und Johannes erzählen.
Jede Geschichte ist ein Teil der gesamten Geschichte, aneinandergereiht wie eine Perlenkette ergeben diese facettenreiche Gedankenspiele ein wunderbares Buch, das für Leser fast aller Altersgruppen geeignet ist.
Egal ob Mensch, Tier, Engel, Gegenstand, der Autor schafft es sich in jeden hinein zu fühlen und vor allem das auch in Worte kleiden zu können. Als Leser kann man nur staunen. Keine Geschichte ähnelt der anderen, alle gehören aber zusammen, denn sie ergeben ein Gesamtbild. Es ist eine Osterbotschaft der ganz besonderen Art.

Beeindruckt haben mich auch wieder die Gedichte Raphael Müllers , die in gedruckter Form schon optisch eine Besonderheit sind, im Klang harmonieren und inhaltlich so viel aussagen können.

Fazit:
Eine wunderbare Einstimmung auf die Osterzeit, zum Nachdenken, Innehalten und aus einer ganz besonderen Betrachtungsweise erzählt.

Bewertung vom 02.04.2017
Vernunft & Gefühl
Austen, Jane

Vernunft & Gefühl


ausgezeichnet

Aufgrund des 200. Todestages der Autorin Jane Austen am 18.07.2017 hat der Manesse Verlag ihr erstes Werk "Sense und Sensibility" von Andrea Ott neu übesetzen lassen. Ihr gelingt es mit ihrer Übersetzung, mich einerseits in das viktorianische Zeitalter versetzen zu lassen, anderseits aber auch, trotz der beibehalten geschliffenen, verschnörkelten Sprache und Sätze, mich darin wohlzufühlen, es mit Genuss lesen zu können, da es trotz aller Widesprüchlichkeit auch eine moderne Sprache ist, derer sie sich bedient.
Diese Ausgabe von "Vernunft und Gefühl" erschien am 13.03.2017 mit einem hochwertigen, ansprechendem und hochglänzendem Schutzumschlag.

Zum Inhalt:

Temperamentvoll und leidenschaftlich, ist Marianne Dashwood das genaue Gegenteil ihrer älteren Schwester, der beherrschten und vernünftigen Elinor. Dass sich Marianne Hals über Kopf und natürlich unglücklich in den begehrten Frauenschwarm John Willoughby verliebt, erstaunt daher niemanden. Aber auch Elinor erlebt mit dem Mann ihres Herzens eine böse Überraschung, denn «ihr» Edward Ferrars hat einer anderen die Ehe versprochen. Gemeinsam lernen die ungleichen Schwestern mit ihrer Enttäuschung zu leben und nach einer dramatischen Zuspitzung der Ereignisse den Standpunkt der jeweils anderen besser zu verstehen. In der Neuübersetzung von Andrea Ott erstrahlen geschliffener Witz und lebendige Dialoge dieser beliebten Klassikerin in frischem Glanz.
(Quelle; https://www.randomhouse.de/Verlag/Manesse/37000.rhd)

Meinung:
Ich habe mich lange an keinen Klassiker mehr herangetraut. Und habe damit eindeutig etwas verpasst.
Schon gleich von Anfang an konnte mich das Buch fesseln. Es steckte nicht nur voller Liebe und Herzensleid, immer wieder gab es feinen Humor, ja, manchmal sogar satirische Dialoge, die mir ein unheimliches Lesevergnügen bereitet haben.
Dazu wurde man in ein andere Zeit versetzt, in ein viktorianisches, steif anmutendes Jahrhundert, das so ganz anders ist als unser heutiges. In dem - in den höher gestellten Kreisen - steife und feste Konventionen galten. Dennoch waren auch damals die Menschen entweder temperamentvoll, leidenschaftlich, ernst, vernünftig, hinterhältig, egoistisch, selbstlos, traurig, kühl, besorgt, verliebt, schwatzhaft, geizig oder verschwenderisch.
Und das sehe ich als große Kunst Jane Austens an, sie hat Protagonisten mit einer ganzen Breite an Gefühlen erschaffen, die so verschieden auch sein mögen, untereinander in dieser Geschichte zusammen gehören, zusammen agieren, so dass der Leser gefesselt wird. Es sind die widersprüchlichsten Charaktere, die hier die Essenz ausmachen, dennoch schafft die Autorin einem beim Lesen immer wieder zu überraschen, immer wieder gibt es neue Wendungen, neue Aktionen, in denen man als Leser regelrecht mitfiebert, bangt und hofft.

Ich habe mich jedenfalls bestens unterhalten gefühlt, bin in diese Zeit eingetaucht, habe mit Elinor und Marianne gefühlt und gelitten, habe mich an den Dialogen erfreut und habe mich auch einige Male über die humorigen Spitzen in diesem Roman amüsiert.
So habe ich das immerhin über 400 Seiten starke Werk innerhalb kürzester Zeit ausgelesen.

Nicht umsonst ist das Buch, dass das erste Mal 1811 veröffentlicht worden ist, seit nunmehr 200 Jahren immer wieder neu aufgelegt worden.

Mir hat auch das angehängte Nachwort von Denis Scheck gefallen der das Buch und die Autorin nicht nur zeitlich eingeordnet hat, die Autorin beleuchtet und manche kritischen Stimmen über das Werk (hier geht es um die fehlenden geschichtlichen bwz. politischen Bezüge in Austens Werken) mit eingeflochten hat, insbesondere aber seine sehr positven Ansichten über das vorliegende Werk.



Fazit:
Das Buch erlaubt beim Lesen ein eintauchen in eine andere Zeit. Es geht um Liebe und Leid, gespickt mit Humor und Satire. Vernunft contra Gefühl - genial formuliert, fesselnd geschrieben und zum 200. Todestag von Jane Austen vom Manesse Verlag neu übersetzt und aufgelegt.

Bewertung vom 30.03.2017
Die Zitronenschwestern
Cebeni, Valentina

Die Zitronenschwestern


gut

Elettras Mutter liegt schon ein Jahr im Koma, die Bäckerei, die sie von ihr übernommen hat, musste sie aus finanziellen Gründen schließen. Was nun? Da entdeckt Elettra innerhalb weniger Tage einige Hinweise, die auf eine Mittelmeerinsel hindeuten. Liegt da die Vergangenheit ihrer Mutter ? Viel weiß sie nicht darüber, auch wer ihr Vater war, hat ihre Mutter ihr immer verheimlicht. Kurzentschlossen bricht Elettra auf um mehr zu erfahren.
Dort angekommen entdeckt sie ein altes Kloster. Bewohnt von drei Frauen. Was für ein Geheimnis verbergen sie ? Elettra spürt, dass sie hier mehr heraus finden kann. Dass ihre Mutter hier gelebt hat. Was verbergen die Frauen? Und können sie sich zusammentun um das Kloster zu retten?

Valentina Cebeni hat nicht nur Geheimnisse aus der Vergangenheit, Freundschaft, Liebe und schöne Landschaften, ein ganz eigenes Inselvölkchen, sowie Kummer und Intrigen miteinander verwebt, sondern auch mit dem Duft von Anisbrötchen, Zitronen und manch anderer Leckerei mit einbezogen. Gut, dass auch die Backrezepte zu den beschriebenen Backwerken abgedruckt sind und zum nachbacken einladen.

Die Autorin schildert aus Sicht von Elettra, die hinter ihre Ursprünge, die Vergangenheit der Mutter kommen will, aber auch einsam ist und sich nach Liebe sehnt. Nach einem Zugehörigkeitsgefühl. Die anderen Protagonisten haben auch ihre Last zu tragen und daher hat jede ihr kleines oder größeres Geheimnis.

Die Geschichte ist interessant, verwickelt und ein interessantes Ambiente wird beschrieben. Erst nach und nach lüftet sich ein Geheimnis nach dem anderen, zudem gibt es auch Spannungen zwischen den aktiven Protagonisten. Doch um das Kloster zu retten müssen sie zusammen halten. Eigentlich eine spannende Ausgangslage. Dennoch konnte es mich nicht wie gewollt fesseln, da es doch für mich einige unnötige Längen gab. Und manch eine Stelle, die entweder zu zufällig oder zu unrealistisch war. Aber es gab auch viele Momente, wenn es um die Landschaft oder die Backkunst ging, bei denen ich das Beschriebene vor Augen hatte.
Der Roman spielt in den 1980er Jahren und man merkt, dass es eine andere, ruhigere, aber auch vom Verhalten eine verschlossenere Gesellschaft auf dieser Insel war. Eine andere Zeit, die hier im Roman beschrieben worden ist.

Für alle, die gerne Frauenromane mit Verwicklungen, Liebe, Geheimnissen lesen und sich über die abgedruckten Backrezepte freuen, empfehle ich es mit Einschränkungen weiter. Aber vielleicht gefällt es euch besser als mir ?
Das Cover ist jedenfalls herrlich erfrischend, anziehend und peppig gemacht!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.03.2017
Ein Brief für dich
Morgenroth, Dorothea

Ein Brief für dich


sehr gut

Eshter (40), hat ihre beiden Töchter alleine großgezogen, nachdem ihr Mann vor 15 Jahren lieber die Welt entdecken wollte. Nun zieht auchi ihre jüngste Tochter aus. Tagsüber arbeitet sie in einer Drogerie, doch in ihrem Haus fühlt sie sich einsam. Hinzu kommt eine Hiobsbotschaft nach der anderen und so kommen auch finanzielle Sorgen hinzu. Gerade zu dem Zeitpunkt erreicht sie der "Hilferuf" (oder eher Befehl) ihres angeheirateten Cousins Walter, der Witwer hat in der Vergangenheit viel Leid erlebt, inzwischen ist er verbittert, exzentrisch und meist schlecht gelaunt. Doch nun ist er auf Hilfe angewiesen und eigentlich passt es, dass Esther selber Unterstützung braucht.
Und was ist mit dem gutaussehendem Mann, den Esther an der Arbeit kennen gelernt hat ? Hajo ist eigentlich auf der Suche um eine Schuld seines Vaters zu sühnen. Doch das scheint nicht so einfach zu sein wie gedacht.
Und was hat es mit den geheimnisvollen Briefen auf sich, die Esther und Walter anonym bekommen haben ? Während Esther sich über ihren freut und neue Hoffnung bekommt, scheinen bei Walter alte Wunden wieder aufzubrechen.....


Dorothea Morgenroth hat mit "Ein Brief für dich" einen warmherzigen, gefühlvollen Roman rund um Schuld, Vergebung und die Liebe geschrieben. Die Protagonisten sind liebevoll zum Leben erwacht und als Leser kann man sich gut in sie hinein versetzen. Die Geschichte bleibt lange geheimnsivoll, der Leser erfährt erst peu a peu, was hinter allem steckt. So ist die Neugier beim Lesen groß und man rauscht nur durch die Seiten, denn die Autorin hat einen angenehmen, fesselnden Schreibstil.
Vor (fast) jedes Kapitel wurde ein biblischer/christlicher Spruch vorangestellt, genau wie in den geheimnisvollen Briefen, wo die Briefeschreiberin auch Bibelzitate verwendet um den Empfänger aufzumuntern und ihm Hoffnung zu schenken.
Das Buch gibt Hoffnung, macht Mut, lässt einen oftmals beim Lesen innehalten. Gleichzeitig ist es auch eine romantische Geschichte und Geheimnisse und Rätselraten kommt auch nicht zu kurz.

Auch wenn mir die ein oder andere Stelle etwas zu dick "aufgetragen" wurde, hat mir der Schreibstil des Buches ungemein gefallen. Hinzu kommen die nachvollziehbaren Veränderungen der Protagonisten, die diese durchlaufen haben, die Bürden, die sie alle, jeder für sich anfangs getragen haben, und dann ihre Öffnung, ihre Befreiuung, ihr Zuwenden zueinander, ihr Glauben und vor allem die Briefeschreiberin, die geleitet von Gott, nicht sich im Mittelpunkt hat, sondern ihre Mitmenschen. Die ein feines Gespür hat, die richtigen Worte zu finden. Deren Briefe , wie Steine waren, die sie ins Wasser geworfen hat und die jedesmal große Kreise gezogen haben.


Fazit:
Eine warmherzige, gefühlvolle Geschichte über Verzeihung, Hoffnung, Liebe und dem christlichen Glauben.

Bewertung vom 24.03.2017
Blutfährte / Mark Becker Bd.1
Stolzenburg, Silvia

Blutfährte / Mark Becker Bd.1


ausgezeichnet

In was ist Tim Bergmann da nur hinein gerutscht ? Der Sanitätsfeldwebel bemerkt in seiner Nachtschicht zum wiederholten Mal, dass - kurz nachdem er mit einem Auftrag weggeschickt worden ist - ein Toter aus der Notfallaufnahme gerollt wird. Wo kam der her ? Seine Neugier bringt ihn in akute Gefahr - es bleibt ihm nur die Flucht.
Feldjäger Mark Becker hat den Auftrag dem unerlaubt abwesenden Tim Bergmann hinterher zu spüren. Je weiter er in dem Fall ermittelt, desto verzwickter scheint es zu werden. Es beginnt eine atemberaubende Jagd, denn nicht nur Becker scheint hinter ihm her zu sein.

Nach ihren historischen Romanen und der Krimi-Trilogie um das Stuttgarter-Ermittlerduo Markus Hauer und Anna Benz, hat Silvia Stolzenburg mit "Blutfährte" neue Protagonisten erschaffen.
Diesmal spielt sich alles in Ulm und um Ulm herum (smile) ab. Im Mittelpunkt steht die Bundeswehr mit Feldjägern und dem Sanitätspersonal. Aber auch die Kriminalpolizei Stuttgart, insbesondere Lisa Schäfer, ermittelt und schnell ist klar, zwischen ihr und Mark Becker gibt es unterschiedliche Meinungen.

Wie immer in den Romanen von Silvia Stolzenburg, sind die Protagonisten wieder so gestaltet, dass sie mit Leib und Seele, mit Gefühlen, ausgestatten wurden, dass sie lebendig und vertraut erscheinen. Man fiebert und bangt mit Tim, drückt Mark die Daumen, erschauert bei manchen Textstellen und fühlt sich als Leser mittendrin bei allen Aktionen.
Der Autorin gelingt es vor allem , dass man durch die wechslenden Schauplätze und wechselnden Kapiteln, die oft und gerne an "fiesen" Stellen aufhören, nur so durch die Seiten fliegt, weil man einfach nicht aufhören kann zu lesen. Einfach zu spannend.
Hinzu kommt, dass man als Leser zwar manchmal einen Vorsprung vor der Ermittlungsarbeit der Agierenden hat, aber trotz allem wird nie zu viel verraten. Lange tappt man im Dunkeln und am Ende wird man überrascht, aber so, dass es auch ein glaubwürdiges, rundes Ende bekommt.
Wieder einmal hat man auch in diesem Thriller bemerkt, dass die Autorin gute Recherchearbeit geleistet hat.

Ich freue mich jedenfalls schon auf eine Fortsetzung der neuen Reihe um den Feldjäger Mark Becker.

Fazit:
Spannend, überraschend und fesselnd !!! Einmal angefangen, kann man nicht aufhören zu lesen.

Bewertung vom 24.03.2017
Alles, was ich nicht erinnere
Khemiri, Jonas H.

Alles, was ich nicht erinnere


ausgezeichnet

"Ich rede mir ein, dass ich ein Teil der wirklichen Welt bin, dass Wörter nicht wichtiger als Menschen sind, dass ich nichts anderes will, als versuchen zu verstehen, was geschehen ist. " (Zitat, S. 315).


Samuel ist tot. Gestorben bei einem Autounfall. Selbstmord oder Unfall ? Die Geschichte "Alles, was ich nicht erinnere" ist ein Roman der ganz anderen Art. Interessant, manchmal verwirrend, es braucht auch vom Leser Konzentration und vor allem Aufmerksamkeit. Doch wenn man sich hinein gefunden hat, dann ist es eine sehr intensive Geschichte, bei der man selber nachdenkt, selber versucht sich eine Meinung zu bilden.

Das Grundgerüst des Romanes ist einfach. Ein schwedischer Journalist/Autor versucht das Leben des letzten Jahres von Samuel und vor allem dessen Tod zu rekonstruieren. Warum, wieso, weshalb ? Dafür befragt er die Menschen, die Samuel kannten. Angefangen von Mitarbeitern des Heimes, in dem seine Großmutter (deren altes Haus übrigens auch eine große Rolle spielt) liegt, über Nachbarn, der Pantherin (eine Freundin, die in Berlin lebt) und vor allem kommen Samuels Freund und MItbewohner Vandad und seine Freundin Laide zu Wort.
Am Anfang muss man sich reinfinden. Wiedergegeben sind immer nur die Antworten, die Berichte der Bekannten und Freunde. Keine Fragen. Es liest sich wie ein Protokoll von Gesprächen, wie die Niederschrift von Aufnahmeprotokollen, was sie auch darstellen sollen. Die Antworten der verschiedenen Interviewpartner werden nur durch Sternchen abgegrenz, wechseln häufig, meist sind es nur sehr kurze Passagen und jedesmal muss man überlegen, wer berichtet hier gerade ? Doch nach einer Weile habe ich mich hineingefunden in diesen besonderen Erzählstil.

Mehr als interessant wird es spätestens als Vandad und Laida erzählen. Abwechselnd. Manchmal zu den gleichen Ereignissen. Jeder aus seiner Sicht - meist erzählen sie widersprüchlich. Man kommt als Leser ins Grübeln - wer hat Recht, wer übertreibt oder erzählt nicht die (ganze) Wahrheit? Der Autor zeigt auf, dass je nachdem aus welchem Blickwinkel über Samuel berichtet wird, das Bild sich ändert. Verzerrt wird, verschleiert wird, gefiltert wird. Eine gelungene Darstellungsweise von Khemiri. Man fragt sich, wer war Samuel wirklich ? Wie war er und woran lag es, dass er so unterschiedlich wahrgenommen worden ist. Hat jeder nur sein eigenes (Wunsch)Bild projeziert ?


Vor allem sieht man immer Samuel vor sich, der sich wahrscheinlich genauso zwischen seinen Mitmenschen aufgerieben hat. Was hat schlußendlich zu seinem Tod geführt ?
Durch die Berichte seiner Mitmenschen merkt man, wie sich die Situation, die Stimmung bei Samuel immer mehr zugespitzte.
Als Leser versucht man sich ein eigenes Bild zu machen, was nicht immer leicht ist.
Was bleibt ist der Tod eines jungen Mannes, der sich verraten und letztendlich verlassen und ungeliebt gefühlt haben muss, der keinen Sinn mehr in seinem Leben sah, sich entwurzelt gefühlt hat und ohne Hoffnung.


Fazit:
Man muss ich einlassen auf die Erzählweise, auf die Geschichte und die Protagonisten. Es ist eine ganz andere Leseerfahrung. Anspruchsvoll, manchmal verwirrend, aber interessant, sehr gut aufgebaut, man muss Nachdenken und MItdenken.

Bewertung vom 19.03.2017
Sturmherz
Bomann, Corina

Sturmherz


sehr gut

Alexas Mutter Cornelia liegt nach einem Schlaganfall im Koma. Alexa muss sich jetzt als Einzelkind nicht nur um eine Betreuung für ihre Mutter kümmern, sondern sich auch Gedanken machen, wie sie mit ihrer Mutter weiter umgehen soll. Die Mutter-Tochter-Beziehung ist schon seit ihrer Kindheit gestört, seit Cornelia damals für drei Monate spurlos verschwand und sich nach ihrer Rückkehr in eine kühle, abweisende Frau verwandelt hat, die keine Liebe mehr geben konnte oder wollte. Doch Alexa kann sich nicht von ihrer Mutter, nun, da sie Hilfe benötigt, abwenden. Die Begegnung mit dem amerikanischen Autoren Richard Henderson und dessen Sohn Ethan bringen nun nach und nach die Geheimnisse ihrer Mutter ans Licht.....

Der Roman spielt in der heutigen Zeit, durch die Erinnerungen der Protagonisten springt er aber immer wieder zurück in die Zeit vor und nach der großen Sturmflut in Hamburg, 1962. Erst nach und nach werden die Geheimnisse aus der Vergangenheit gelüftet und die Spannung, was nun eigentlich damals und vor allem auch 20 Jahre später, beim Verschwinden Cornelias, passiert ist, bleibt lange erhalten.

Der Schreibstil von Corina Bomann ist wieder einmal sehr kurzweilig und flüssig. Sie schafft es auch hier, dass man die Protagonisten vor Augen hat, dass man die über 500 Seiten schnell liest und auch das ein oder andere Mal überrascht wird. Sie weckt Emotionen, gerade weil manche Entscheidungen, manche Taten und Ereignisse hier weite Kreise ziehen und das Leben der Protagonisen unweigerlich dramatisch ändern.

Die Protagonisten erleben viel Leid, reagieren nicht immer rational, sondern manchmal sehr gefühlsbetont und egoistisch, was weitere Folgen haben wird. Sie sind auf der Suche nach der großen Liebe, dem Glück und können es nicht halten.

Trotz aller ruhigen Erzählweise, ging mir manches im Roman doch etwas zu klischeehaft ab, manchmal fehlte mir die Tiefe. Die Handlungen und Haltungen der Protagonisten konnte ich - aus meiner Sicht- nicht immer verstehen. Aber das gehört woh zur Dramaturgie der Geschichte dazu.
Im ganzen ist es aber eine sehr gut formulierte Geschichte mit Geheimnissen, verschiedenen Zeitebenen, Spannungen, Liebe, die - mit ein paar Abstrichen- eine gute Unterhaltung für Zwischendurch war. Die Autorin schafft es, dass man durch die Seiten fliegt, weil die Geschichte wie eine Zwiebel verpackt ist, bei der sich erst nach und nach alle Schichten ablösen lassen und - auf den Roman bezogen - sich der Kern der Geschichte erst nach und nach offenbart.

Bewertung vom 19.03.2017
In jedem Augenblick unseres Lebens
Malmquist, Tom

In jedem Augenblick unseres Lebens


ausgezeichnet

Tom Malmquist hat mit dem Buch "In jedem Augenblick unseres Lebens" seine ganz persönliche Geschichte erzählt. Er hat alles erlebte aufgearbeitet, ohne es zu bewerten. Alles dreht sich um seine Lebensgefährtin Karin, seine Tochter Livia und seine Eltern. Es geht um Erinnerungen. Ein Rückblick auf die Höhen und vor allem die Tiefen.

Im ersten Teil spielt sich alles im Krankenhaus ab, dort, wo die schwangere Karin eingeliefert worden ist, nachdem sie zusätzlich zur Grippe plötzlich unerklärliche Atemnot bekam. Doch es war keine Grippe - Alles geht rasend schnell, der Zustand von Karin verschlechtert sich rapide. Das Kind muss in der 33. SSW geholt werden. Tom wechselt zwischen den Stationen von Karin und Livia hin und her. Die Anfangskapitel zeugen von der Zerrissenheit, der Machtlosigkeit, dem Schmerz.
Später geht es um die Bewältigung, dem Weiterleben müssen, den Erinnerungen, dem Beginn seiner Vaterschaft und den (bürokratischen) Hürden.
Es ist eine Geschichte, die dem Leser unter die Haut geht.

Man muss sich reinfinden in die Art, wie der Autor erzählt. Die ganze Geschichte ist ein Fließtext, wörtliche Rede, ganze Dialoge, werden ohne Anführungszeichen geschrieben. Abschnittsweise wechslen manchmal die Zeiten, doch wenn man sich eingelesen hat, kommt man mit dieser Erzählweise sehr gut zurecht. Es ist ein ungewöhnlicher Stil, ein fast atemlos anmutende Erzählweise, die aber versucht, alles festzuhalten was geschah. Nichts zu vergessen, nichts auszulassen. Am Anfang anstrengend, doch es fesselt auch, wenn man bereit es sich darauf einzulassen.

Das Buch sehe ich als große Aufarbeitung des Autors von den Ereignissen, die ihm im Jahre 2012 passiert sind. Die ihn damals sprachlos und am Rande seiner Belastbarkeit gebracht haben, ja, an denen er beinahe selbst zerbrochen wäre. Doch nachdem er wieder zu seinen Worten gefunden hat, mit denen er umzugehen weiß (und davon zeugt dieser Roman), erzählt er seine ganz persönliche Geschichte. Es geht ums Loslassen, dem Loslassen in vielerlei Hinsicht. Meist ungewollt. Es ist keine einfache Geschichte, keine leichte Geschichte, gerade auch deshalb, weil es keine fiktive Erzählung ist.

Auch wenn Tom Malmquist das Geschehen fast nüchtern erzählt, so werden doch beim Leser die Emotionen geweckt. Man fühlt und leidet mit, man beginnt ihn kennen zu lernen, begleitet ihn durch dieses Jahr und seine Erinnerungen an die Vergangenheit.
Nachdem ich mich eingelesen hatte, konnte ich das Buch kaum noch aus der Hand legen und hatte es in kürzester Zeit gelesen.



Fazit:
Ein Rückblick auf Höhen und Tiefen: ehrlich, offen, ergreifend und sehr persönlich.

Bewertung vom 14.03.2017
Der Tag X
Müller, Titus

Der Tag X


sehr gut

17.Juni 1953, DDR. Ein Volksaufstand. Wie kam es dazu, was passierte damals ? Wie ging es weiter ?
Titus Müller hat seinen Roman "Der Tag X" um dieses Ereignis gebettet. Es gibt verschiedene Erzählstränge, verschiedene Protagonisten und sie führen alle zu diesem Tag. Verschiedene Sichtweisen, verschiedene Erlebnisse.
Wie immer hat Titus Müller alles hervorragend recherchiert, hat im Anhang den historischen Kern nochmals dargelegt, ein Stichwortregister mit weiteren Erklärungen zu den Abkürzungen ist ebenfalls vorhanden.

Es geht um Nelly, die Abiturientin ist Mitglied der Jungen Gemeinde und bekommt zu spüren, dass der christliche Glaube in der DDR nicht mehr erwünscht ist, sowie um Wolf, dessen Vater SED-Kreisleiter ist. Lotte König ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern, sie weiß kaum noch, wie sie sie satt bekommen soll. Ihr Cousin Marc und dessen Frau Katharina werden ungewollt eine größere Rolle am 17. Juni spielen.
Das sind die kleinen "Rädchen", die alle wichtig sind für das, was passieren wird. Aber es gibt auch den Russen Ilja, Handlanger für Lawrentia Beria, der nach Stalins Tod einer der wichtigsten Männer der UDSSR wird.
Historisches Geschehen, politische Entscheidungen und Ränke, reale Erlebnisse sind das wahre Grundgerüst zu diesem Roman. Ausgefüllt wurde dies mit den fiktiven Protagonisten, die der Autor nah an der Realität gefüllt hat.

Wie immer gelingt es Titus Müller Zeitgeschehen informativ und unterhaltsam in eine Geschichte zu verpacken. Auch wenn mir die Protagonisten in "Berlin Feuerland" mehr ans Herz gewachsen waren. Diesmal sind es sehr viele, daher ist vielleicht die Distanz zum Leser größer. Dennoch zeigen sie alle eindringlich, warum sich die Menschen erhoben. Warum sie aufbegehrten. Jeder hatte seine Gründe, es waren unterschiedliche, doch nur zusammen konnten die sie damals stark sein.
Das Buch ist ein wichtiger Beitrag dazu, diese Zeit nicht zu vergessen.

Fazit:
Gut recherchiert, hervorragend erzählt - Zeitgeschehen zum Nacherleben. Informativ und unterhaltsam.

Bewertung vom 09.03.2017
Herz auf Eis
Autissier, Isabelle

Herz auf Eis


ausgezeichnet

"....denn die Errungenschaften ihrer entwickelnte Zivilisation haben sie von diesem tausendjährigen Naturverständnis abgeschnitten, überlieferten Wissen, mit dem der Mensch in der Lage war, von nichts zu leben.Die Zivilisation hat ihm mehr Komfort und ein längeres Leben beschert, aber durch die Perfektion hat sie ihm auch ein paar Lebensgrundsätze vergessen lassen, ohne die Louise und Ludovic nun völlig hiflos dastehen. " (Zitat, S. 102/103)

Louise und Ludovic sind ein Paar, sie leben in Paris. Doch Ludovic kommt beruflich nicht weiter, er möchte allem entfliehen und lieber die Welt entdecken, einfach mal aussteigen. Er kann Louise überreden und so startet ihre einjährig geplante Segeltour. Alles läuft am Anfang wunderbar, sie erleben viel, sehen viel. Doch dann laufen sie eine einsame, verbotene Insel an. Doch ihr Ausflug dorthin endet in einer Katastrophe. Auf ihrer Wanderung dort werden sie von einem Sturmtief überrascht und als sie zurück am Meer sind, müssen sie mit Entsetzen feststellen, dass ihr Schiff nicht mehr da ist.
Ein Albtraum beginnt, bei dem sie immer mehr feststellen, dass der Kampf ums Überleben ihnen alles abverlangt und die Grenzen der Menschlichkeit, ihre bisherigen Ansichten und Gewohnheiten, immer mehr verschwinden.

Die personale Erzählperspektive nimmt den Leser gefangen, er fühlt mit, er weiß nicht, wie es ausgeht. Dennoch kann die Autorin Isabelle Autissier uns dadurch die Gedanken, die Gefühle und die verschiedenen Antriebe der Protagonisten, ihre wechselnden Stärken und Schwächen, eindringlich und emotional vermitteln.
Der Focus liegt zwar verstärkt auf Louise, aber nicht ausschließlich.

Sie baut die Geschichte langsam auf, Louise und Ludovic werden eingeführt, vorgestellt, beschrieben. Das ist wichtig für ihre späteren Handlungen. Der Sog, das Buch immer weiter lesen zu wollen, es nicht aus der Hand zu legen, wird immer größer. Dabei ist es mitunter keine leichte Kost, die die Autorin uns da zu bieten hat. Nicht immer ist es leicht, sich die Aktionen, das Geschriebene, auch bildlich vorzustellen. Das Buch fesselt, weckt auch beim Leser Emotionen,schreckt ab, geht unter die Haut, berührt, lässt einen Grübeln und auch nach dem Ende nicht los. Ein Buch, dass an die Grenzen der Menschlichkeit geht, extreme Erfahrungen und die Frage, wie geht man damit um. Zweifellos fragt sich jeder Leser, wie er in der ein oder anderen Situation reagiert hätte, wie weit er gehen würde.

Sprachlich präzise, auf den Punkt gebracht, knapp, aber dennoch ausgefeilt, versteht es Isabelle Autissier den Leser zu fesseln und durch diese Geschichte eine ganze Bandbreite an Gefühlen zu wecken. Für mich war es ein sehr intensives Leseerlebnis. Ein grandioses Leseerlebnis.
Ein Buch, dem ich gerne mehr als 5 Punkte gegeben hätte, es hätte viel mehr verdient.