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Benutzername: 
Igelmanu
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Mülheim

Bewertungen

Insgesamt 990 Bewertungen
Bewertung vom 01.11.2018
Sprechen wir über Beethoven
Büning, Eleonore

Sprechen wir über Beethoven


ausgezeichnet

»Die Musik Ludwig van Beethovens hat schon das Publikum zu dessen Lebzeiten erschüttert, verstört und entzweit. Sie polarisierte die Öffentlichkeit, wie es bis dahin noch keinem Komponisten mit seinen Werken hatte gelingen können. Seither macht sich jede Generation ihren eignen Reim darauf – oder sie versucht es, zumindest. Bis heute geht das so. Beethoven lebt. Seine Kunst greift uns immer noch ins Gemüt.«

Überall um uns herum finden sich Spuren von Beethoven. In der Werbung, als Klingelton, bei feierlichen Momenten – auch wer sonst nichts von klassischer Musik weiß, kennt doch »Für Elise« oder die »Eroica«.
Warum ist das so? Warum werden wir von seiner Musik erschüttert? Weshalb ist sie durch die Zeiten hindurch so präsent?

Eleonore Büning hat sich dieser Fragen angenommen. Sie ist Redakteurin namhafter Zeitungen und moderiert Musiksendungen für SWR und WDR, beim Kulturradio RBB z.B. im Jahr 2015 eine 26-teilige Sendereihe, die Grundlage dieses Buchs bildet. Ludwig van Beethoven war außerdem das Thema ihrer Dissertation.

Im Mittelpunkt stehen die Werke Beethovens. Wie entstanden sie, wie erfolgreich waren sie, welchen Einfluss hatten sie auf andere? Die populären Werke tauchen natürlich auf, die großen Symphonien und Sonaten, aber auch weniger bekannte Werke. Den Rahmen bilden dabei die wichtigsten Stationen im Leben Beethovens, von der frühen Kindheit, dem ersten Schaffen bis zum Tod. Viele interessante Fragen werden dabei behandelt.
Bei Beethoven denkt jeder sofort daran, dass er taub war. Aber war er vollständig taub? Und wie lief das mit seinem Gehörverlust ab?
War er ein Wunderkind? Wie viele Oktaven konnte er greifen?
Was wussten Mozart und Beethoven voneinander, wie standen sie zum jeweils anderen? Wie war Beethovens Verhältnis zu Haydn? Oder zu Goethe?
Wie stand es um seine Finanzen? Wie kam er bei den Frauen an? Und wer war die »Unsterbliche Geliebte«?

Neben diesen Fragen zur Person geht es immer wieder um Musik, um Beethovens Werke. Seine ersten Streichquartette zum Beispiel, oder alles rund um die politische Oper Fidelio, ihre Entstehung, die späteren Aufführungen, die verschiedenen Fassungen. Vor allem letzteres fand ich faszinierend!

Bei allem, was die Autorin schreibt, spürt man ihre Begeisterung für die Musik Beethovens. Gleichzeitig gelingt es ihr, leicht verständlich die Besonderheiten der einzelnen Werke zu vermitteln. Allerdings sollte man schon ein wenig Ahnung von Harmonielehre haben. Der Stil ist unterhaltsam und die hochwertige Aufmachung des Buchs rundet das Lesevergnügen ab.

Fazit: Fundierte Informationen rund um die Musik Beethovens in einem unterhaltsamen Rahmen.

»Beethoven lebt! Und zwar in den Ohren und Herzen all derer, die sich mit seiner Kunst immer wieder neu auseinandersetzen und davon zehren.«

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.10.2018
Sörensen fängt Feuer / Sörensen Bd.2
Stricker, Sven

Sörensen fängt Feuer / Sörensen Bd.2


ausgezeichnet

»Was sagen wir dem denn, dem Vater?«, fragte Jennifer.
»Keine Ahnung«, murmelte Sörensen. »Moin, wir haben Ihre Tochter, Sie Arxxx, zeigen Sie mal bitte Ihren Keller?«
»Klingt doch gut.«
»So machen wir’s.«

Es ist kurz vor Weihnachten im nordfriesischen Katenbüll. Mitten in der Nacht irrt da eine junge Frau durch die Straßen der Kleinstadt, nur mit einem Nachthemd bekleidet, blind und völlig orientierungslos.
Kriminalhauptkommissar Sörensen erfährt von ihr lediglich, dass ihr Name Jette ist. Ihren Nachnamen oder Wohnort will sie nicht nennen, ist offenbar zu Tode verängstigt. Doch in einem kleinen Ort finden sich schnell Ermittlungsansätze und Sörensen und seine Kollegen kommen zu Jettes Adresse. Und als sie hinfahren, zu noch reichlich weiterer Arbeit…

Ein spannender Fall mit einem ungewöhnlichen Ermittler! Es gibt schon einen ersten Band für Sörensen, ich lernte ihn jetzt erstmalig kennen. Und muss sagen, dass ich zwar schon auf reichlich Ermittler mit psychischen Problemen und/oder Drogenabhängigkeiten gestoßen bin, aber ein Kriminalhauptkommissar mit einer Angststörung war mir neu. In der Realität wäre so jemand für lange Zeit krankgeschrieben, aber Sörensen versucht nicht nur, seinen Dienst zu tun (ohne dass jemand von seiner Krankheit erfährt), sondern zusätzlich sein Medikament abzusetzen. Die Schwierigkeiten, die das alles mit sich bringt, stehen immer wieder im Fokus und werden sehr intensiv beschrieben.

Daneben gibt es natürlich noch einen Fall zu lösen – und der hat es richtig in sich. Schon bald stecken Sörensen und sein Team tief in einem Geflecht aus religiösem Wahn, Kleinstadtgeheimnissen und brutalen Morden. Wie steckt die blinde Jette da mit drin? Was weiß sie und ist sie »nur« traumatisiert, oder steckt noch mehr hinter ihrem Schweigen?
Den Ermittlern läuft die Zeit davon. Nebenbei haben auch die anderen im Team an privaten Schwierigkeiten und Sorgen zu knacken. Alles wirkte gut nachvollziehbar und beinahe jeder war mir sympathisch.

Der Regionalkrimi hat eine tolle Atmosphäre, Wetter, Sprache, Gegend, Mentalität – alles kommt sehr echt rüber. Der lockere und witzige Umgangston zwischen den Ermittlern und Sörensens manchmal selbstironische Gedankengänge haben mich gut unterhalten. Und Hund Cord ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben, den schließt man sofort ins Herz!
Die Auflösung erscheint stimmig und obwohl ich in die richtige Richtung gedacht hatte, konnte ich mich noch überraschen lassen. Das mag ich sehr!

Fazit: Spannend, tolle Atmosphäre und ungewöhnliche Ermittler – dieser Krimi hat Spaß gemacht.

Bewertung vom 23.10.2018
Die Waffen-SS
Bremm, Klaus-Jürgen

Die Waffen-SS


ausgezeichnet

»Nicht lange nachdem der Kampfgruppenkommandeur mit seinem Panzer die Kreuzung hinter sich gelassen hatte, eröffneten die zurückgebliebenen SS-Soldaten mit ihren automatischen Bordwaffen das Feuer auf ihre wehrlosen Opfer. Wer von den Amerikanern die ersten Salven überlebt hatte, wurde anschließend per Kopfschuss getötet.«

Es sind Taten wie diese, die man gemeinhin mit der Waffen-SS in Verbindung bringt, Gräueltaten, die in ihrer Brutalität jedes Maß vermissen lassen. Auf der anderen Seite hält sich hartnäckig das Bild von der Waffen-SS als militärischer Elite des Regimes, die immer wieder kritische Lagen an allen Fronten meistern konnte.
Was die Kriegsverbrechen und Massenmorde angeht, gibt es keine Zweifel, genügend Gerichtsurteile sind dazu ergangen. Aber wie steht es mit der Frage nach der Elite? Klaus-Jürgen Bremm, Historiker und Publizist mit dem Spezialgebiet Militärgeschichte, hat sich diesem Punkt gewidmet.

Akribisch arbeitet er die Geschichte durch, vom ersten scharfen Einsatz der Truppe am 30. Juni 1934 an bis weit in die Nachkriegszeit. Chronologisch werden Einsätze und Schlachten durchgearbeitet, präzise aufgeschlüsselt in Aktivitäten der Wehrmacht einerseits und solche der Waffen-SS andererseits. Schon nach kurzer Zeit wankt das Bild der militärischen Elite gewaltig, lässt sich von Ausnahmen abgesehen keine aus militärischer Sicht bedeutendere Rolle erkennen. Und das trotz häufig besserer Ausrüstung.
Dieses Bild zieht sich durch. Immer wieder stößt man auf überzeichnete Darstellungen der Leistungen der Waffen-SS in der Presse, liest man von Aktionen, bei denen gewöhnliche Heeresdivisionen ebenfalls beteiligt waren, teils sogar höhere Verluste im Kampf hatten, und trotzdem den Platz auf den Titelseiten für die SS-Division räumen mussten.

Wie kam es dazu? Weshalb erbrachten die angeblichen Elite-Soldaten in Wahrheit keine herausragenden Leistungen? Bremm blickt an dieser Stelle auf die Zusammensetzung der Truppe und ihre Ausbildung.

Die Propagandatruppe sollte halt in erster Linie gut aussehen, daher steckten die großgewachsenen Gestalten in beeindruckenden schwarzen Uniformen. Ihre zweite Aufgabe war, »willige Schlächter des Regimes zu sein«, die sich dadurch auszeichneten, dass sie keine Fragen stellten und niemals diskutierten.

Bekanntlich nutzte das Regime seine angsteinflößende Wirkung zur Sicherung der eigenen Machtposition. Und die martialischen SS-Truppen waren dabei ein wichtiges Instrument. Zweifel an der überragenden Stärke durften nicht aufkommen, weshalb selbst glatte Fehlschläge durch öffentlichkeitswirksame Auszeichnungen getarnt wurden.
All das wird vom Autor gut herausgearbeitet und sachlich dargestellt. In einigen Fällen, in denen es für der SS zugerechnete Gräueltaten keine Beweise gibt, erwähnt er das ebenfalls. Diese Objektivität schätze ich gerade bei Sachbüchern besonders!

Sehr interessant ist auch die Betrachtung der Nachkriegszeit. Wie erging es den ehemaligen SS-Soldaten, wie war ich Ansehen und wie stellten sie sich dar? Der Autor führt hier die faszinierende These aus, dass sie nach dem Krieg erfolgreicher waren als währenddessen. So schafften sie es, dass bei ihrem Bild in der Öffentlichkeit die Darstellung von »kämpferischer Bewährung, Heldentum und Opfermut« im Fokus stand.

Die detaillierten und sachlichen Schilderungen werden durch zahlreiche Fotos und Karten zu den einzelnen Schlachten unterstützt. Im Anhang gibt es u.a. eine genaue Übersicht sämtlicher Verbände der Waffen-SS.

Fazit: Sehr speziell, aber hochinteressant und bestechend durch eine detaillierte und sachliche Darstellung.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.10.2018
Der Teufel von Wacken
Denzau, Heike

Der Teufel von Wacken


sehr gut

»Und die schwarzen Männer tun dir wirklich nichts, Mama?«

Die kleine Ida macht sich Sorgen. Annika Blomberg, ihre Mama, wird als Ärztin beim Wacken-Festival Dienst tun. Alle „schwarzen Männer“ dort wären lieb und friedlich, beruhigt sie ihre Tochter. Sie ahnt nicht, was auf sie zukommen wird. Denn unter den friedlich feiernden Metalheads versteckt sich wirklich das Böse…

Dieser Fall für Lyn Harms von der Kripo Itzehoe war für mich der erste aus der Reihe, mich reizte besonders der Schauplatz rund um das Wacken-Festival.
Tatsächlich kann der Leser sich auf reichlich Wacken-Feeling freuen. Skurrile schwarzgekleidete Gestalten, verschlammte Gummistiefel, Bier in Strömen und laute Musik – alles wird höchst anschaulich beschrieben und schafft eine passende Atmosphäre.

Ausgangspunkt der Handlung ist ein Raubüberfall auf einen Juwelier, der in einem Schusswechsel endet. Lyn und ihre Kollegen (darunter auch Lyns Mann Hendrik) jagen folglich eine Bande von Raubmördern, denen offenbar tatsächlich die Flucht gelungen ist, denn tagelang gibt es kaum eine Spur. Bis sich dann plötzlich die Ereignisse überschlagen…

Es wird noch diverse Tote geben, es wird spannend, einige Male blutig und brutal. Gleichzeitig wird immer wieder die menschliche Seite der Ermittler und Opfer betont, was zwangläufig berührt.
Die Charaktere waren mir nur ein wenig zu eindimensional, richtig böse Personen haben zwar ihren Reiz, noch lieber ist es mir aber, wenn sie nicht nur böse oder nur gut sind. Wirkt einfach menschlicher und realistischer. Die Ärztin Annika ist ein gutes Beispiel für einen realistischen Charakter, ihre Gedanken und Taten sind, obwohl völlig nachvollziehbar, nicht immer ganz in Ordnung.

Persönlich fand ich es auch schade, dass es so gar nichts zum Mitermitteln gab, wer was tut bzw. tat ist bekannt, letzte offene Fragen schnell geklärt. Man kann im Grunde nur die Flucht der Täter einerseits und die Jagd der Polizei andererseits mitverfolgen und sich fragen, wer gewinnen wird. Vieles ist dabei vorhersehbar, ein paar Überraschungen gibt es zum Glück aber doch noch. Das Ende wirkt stimmig, so dass ich mich im Großen und Ganzen gut unterhalten fühlte.

Fazit: Ein paar Schwächen, aber dafür eine tolle Atmosphäre. WACKEEEN!!!

Bewertung vom 11.10.2018
Muskelkater kann man nicht streicheln
Eckert, Guido

Muskelkater kann man nicht streicheln


gut

»Eines der Ziele dieses Buches besteht vielleicht darin, immer wieder einen simplen Vorsatz zu bestärken: dranzubleiben. Das ist das Einzige, was zählt.«

Große Erwartungen an sich können schaden, einen ausbremsen. Genau wie der bekannte Schweinehund, über den an anderer Stelle im Buch berichtet wird und den vermutlich jeder nur zu gut kennt. Der Autor selbst trainiert seit 25 Jahren regelmäßig in Fitnessstudios und schafft es erfolgreich, den Schweinehund auf Abstand zu halten.
In diesem Buch will er erzählen, wie ihm das gelingt und zudem über die Studios selber berichten, die für ihn absolut faszinierende Orte sind. Was für Menschen gehen dorthin? Was treibt sie an? Und wie trainieren sie? Wenn sie denn trainieren, denn nicht selten stellt sich der Schweinehund in den Weg und nagelt den eigentlich Trainingswilligen auf dem heimischen Sofa fest.

Guido Eckert ist für sein Buch quer durch Deutschland gereist und hat verschiedenste Studios besucht. Kleine und große, solche in der Provinz und solche in Metropolen. Dort hat er beobachtet, Fragen gestellt und viele Gespräche geführt.

Der Einstieg ins Buch gefiel mir sehr gut. Da ging es um grundsätzliche Dinge, da wurde auch der Schweinehund vorgestellt – und das auf äußerst vergnügliche Weise ;-) Wer geht in Studios und warum? Wie wird dort trainiert, wie oft und wie intensiv? Wie passt es zusammen, dass so viele Deutsche übergewichtig sind und sich im Alltag kaum bewegen und gleichzeitig so viele Menschen wie noch nie in Fitnessstudios angemeldet sind? Das alles war informativ und unterhaltsam.
Die vielen Gespräche, die der Autor anschließend präsentierte, fesselten mich irgendwann nicht mehr so sehr, sie waren in meinen Augen voller Wiederholungen, drehten sich immer wieder um dieselben Punkte. Aufbau von Muskelmasse, Abbau von Fett, Ernährung, Diäten, Essstörungen, Anabolika… Ganz ehrlich, da hätte ich lieber nur ein paar zusammengefasste Infos gelesen als diese ganzen Gespräche.

Ich habe mich dann auch gefragt, wie dieses Buch irgendjemandem beim Dranbleiben helfen will. Dieses für mein Empfinden viel zu viele Reden über Anabolika & Co. könnte einen Leser erstens vermuten lassen, dass sich die beschriebenen Zustände und Personen in den meisten Studios finden (in meinem aber zum Beispiel nicht!) und zum anderen interessiert mich persönlich das nur am Rande. Ich hätte gern mehr über Durchhaltestrategien gelesen, mit denen man einer Unlustphase begegnen kann. Dazu gab es zwar auch was, aber mehr Platz nahmen die Gespräche mit skurrilen Bodybuildern ein oder die Beschreibung essgestörter junger Menschen. Offenbar liegt der Schwerpunkt des Buchs doch auf dem Unterhaltungswert und ich bezweifle auch nicht, dass das vielen Lesern gut gefallen wird. Meinen Schweinehund konnte das Ganze aber leider nicht durchgehend fesseln.

Mit gemischten Gefühlen habe ich zudem von der enormen Häufigkeit gelesen, mit denen beinahe alle im Buch vorkommenden Personen trainieren. Auch der Autor erklärt deutlich, dass schon mindestens zweimal in der Woche trainiert werden müsste, Zitat: »Einmal ist keinmal«. Ohne Frage sollte man häufiger als einmal in der Woche trainieren, aber vielleicht schafft man das zum Beispiel aus zeitlichen Gründen einfach nicht. Weil man vielleicht neben einem Vollzeitjob noch Kinder zu versorgen hat, nach den eigenen Eltern schaut, ein Haus baut oder abends noch ein zusätzliches Fernstudium absolviert. Ich denke, Bewegung ist so wichtig, dass jedes bisschen zählen sollte und ein Spruch wie »Einmal ist keinmal« nur dazu führen kann, dass man den einen Sportabend pro Woche, den man realisieren könnte, auch noch fallen lässt, weil er eh nichts bringt. Ich trainiere dreimal pro Woche, hatte aber auch Zeiten, in denen ich es lediglich einmal geschafft habe. Wenn ich das dann hätte sein lassen, wäre ich heute bestimmt nicht mehr dabei.

Bewertung vom 07.10.2018
Die geheime Bibliothek von Daraya
Minoui, Delphine

Die geheime Bibliothek von Daraya


ausgezeichnet

Mit einem Foto, das sie im Internet entdeckt hatte, begann es. Delphine Minoui, französisch-iranische Journalistin und Nahost-Expertin, wollte mehr wissen, wollte ergründen, wer und was hinter dem Foto steckt. Sie wurde fündig.

Daraya, ein rebellischer Vorort von Damaskus, wird ab 2012 eingekesselt und bombardiert. Während der folgenden vier Jahre versuchten die eingeschlossenen Bewohner, irgendwie zu überleben, dem täglichen Hunger und den täglichen Bomben zu trotzen. Wie fängt man es an, da nicht den Verstand zu verlieren?

Eine Gruppe junger Männer fand einen ungewöhnlichen Weg. Aus den Trümmern der zerstörten Stadt retteten sie Tausende von Büchern und errichteten damit in einem unterirdischen Versteck eine Bibliothek, die allen Einwohnern zugänglich ist. Die Akzeptanz ist groß, im Schnitt wagen sich pro Tag 25 Nutzer dorthin, eine wirklich beeindruckende Zahl, wenn man sich vergegenwärtigt, dass man sein Leben riskieren muss, wenn man ein Buch ausleihen will. Auch einer der Leiter der Bibliothek wurde auf dem Weg Opfer einer abgeworfenen Fassbombe, überlebte nur knapp und schwerstverletzt.

Delphine Minoui stand bei ihren Recherchen vor dem Problem, dass es nicht möglich war, nach Daraya hineinzukommen. Die einzige mögliche Verbindung bestand in einer wackligen Internetleitung. Auf diese Weise stand sie über Jahre hinweg, manchmal rund um die Uhr, mit Rebellen und Aktivisten in Kontakt, meist per Skype oder WhatsApp. Sie sprach mit Dutzenden von ihnen, erhielt regelmäßig Fotos und Videos. Immer wieder beschreibt sie, wie das Bild ihres Gegenübers auf dem Bildschirm plötzlich wackelt und verzerrt wird, weil wieder einmal in der Nähe eine Bombe einschlug, immer wieder hört sie die Detonationen im Hintergrund.
Deutlich merkt man, wie all das die Autorin berührt, ein Abschalten im normalen Alltag ist kaum noch möglich. Die Gespräche mit den jungen Männern beeindrucken sie sehr, vieles von dem, was sie sagen, zitiert sie wörtlich. Das kann den Leser nicht kalt lassen. Unglaublich, wie Menschen es in solchen Situationen schaffen, ruhig zu bleiben! Friedlich zu bleiben, sich nicht von Hass und Verzweiflung forttragen zu lassen. Ihnen helfen die Bücher, sie bieten Ablenkung, die Möglichkeit, dem Alltag zu entfliehen. Auch Kämpfer gehören zu den regelmäßigen Lesern, in Feuerpausen greifen sie zum Buch…


Gestaunt habe ich auch über die Wahl der Lektüre, neben der erwähnten Ablenkung ist in hohem Maß Bildung angesagt! Da werden Sachbücher verschlungen und psychologische Ratgeber, es wird über die im Dunkeln gehaltene Vergangenheit geforscht. Hoch im Kurs stehen auch Erfahrungsberichte von Menschen, die ebenfalls in Krisensituationen steckten. Man muss sich vorstellen, dass Menschen versteckt in Kellern sitzen und lesen, während über ihnen Bomben einschlagen…
»Die Bibliothek ist ihre verborgene Festung, die sie vor den Bomben schützt. Und die Bücher sind ihre Massenbildungswaffe.«

Die Errichtung der Bibliothek war ein Projekt zur Rettung des kulturellen Erbes, das Lesen wird zu einem Projekt des Widerstands. Und stets bleibt das Ziel vor Augen, der Wunsch nach Leben, Freiheit und Demokratie. In jedes Buch wurde auf die erste Seite der Name des Besitzers geschrieben, um es zurückgeben zu können, wenn der Krieg vorbei ist.
Nach vier Jahren Aushungern war es vorbei mit Daraya, nach Saringas und manchmal bis zu 80 Fassbomben täglich, erhielt die Stadt den Todesstoß: Napalm.
»Es ist also vorbei?«
»Natürlich nicht! Man kann eine Stadt zerstören. Aber Ideen nicht!«

Im Buch finden sich eine große Übersichtskarte von Syrien und ein Innenteil mit sehr berührenden Farbfotos.

Fazit: Dieses Buch sollte jeder lesen! Man darf nicht vergessen, was in Syrien geschieht. Sehr intensive und beeindruckende Schilderung – und die Kraft der Bücher ist schlicht faszinierend!

Bewertung vom 03.10.2018
Es geht voran
Prescher, Manfred

Es geht voran


ausgezeichnet

»Dieses Buch widmet sich nun der Geschichte der deutschsprachigen Popmusik. In den einzelnen Kapiteln werden die richtungsweisenden Künstler genauso beleuchtet wie die wichtigen Strömungen. Liedermacher, Rapper, Punks, Rocker, Scherzbolde und Sprachvirtuosen werden in den jeweiligen zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext eingebunden.«

Wenn ich heute das Radio einschalte, bekomme ich ziemlich viel deutschsprachige Musik zu hören. Das war nicht immer so, in meiner Jugend war es eigentlich eher die Ausnahme. Zumindest auf meinem bevorzugten Radiosender ;-) Auf dem meiner Eltern lief reichlich deutscher Schlager, der mich daher auch in der Kindheit begleitete.
Da Musik in meinem Alltag schon immer eine wichtige Rolle spielte, reizte mich dieses Buch über die Geschichte der deutschsprachigen Popmusik sofort, ich unternahm zusammen mit dem Autor eine sehr unterhaltsame Zeitreise und entdeckte viel Bekanntes und auch ein paar neue Dinge.

Die Zeitreise beginnt in den 1920er Jahren und endet mit dem Echo-Eklat 2018. Musik wurde zu allen Zeiten beeinflusst durch politische und gesellschaftliche Veränderungen, zugleich war sie Mittel sich auszudrücken, sich abzugrenzen, Stellung zu beziehen, oder – alternativ – sich abzulenken. Was hörte man so in der Weimarer Republik, was zu Nazizeiten und im Nachkriegsdeutschland? Und welche Musik wurde bei der Jugend populär? In diesem Stil geht es weiter bis zur heutigen Zeit.

Sehr schön lässt sich so verfolgen, wie auf die Heile-Welt-Schlager der Nachkriegszeit die Zeit der Liedermacher folgte, hier wird auch über die ersten Festivals auf Burg Waldeck in den 60er Jahren berichtet. Jeder wichtigen musikalischen Strömung wird ein eigenes Kapitel gewidmet, einzelne Künstler, wie zum Beispiel Udo Lindenberg, haben ebenfalls ihr eigenes Kapitel. Es fehlt kaum etwas, vom Schlager über die Liedermacher hin zu deutschem Rock, Punk und Rap ist alles vertreten. Auch die Musikszene in der DDR wird beleuchtet, spätestens an dieser Stelle entdeckt der „Wessi“-Leser die ersten unbekannten Namen.
Ganz viel Unbekanntes lese ich dann in den Abschnitten über Musik aus Österreich, da gibt es eben doch sehr viel mehr als Wolfgang Ambros und Falco. Noch nie im Leben habe ich beispielsweise von „Erstes Wiener Heimorgelorchester“ gehört. Der Autor gibt noch zudem den Hinweis, dass allein mit der österreichischen Liedermacher-Zunft ein eigenes Buch gefüllt werden könnte.

Sehr praktisch sind die Hinweise „zum Weiterhören“ unter jedem Kapitel. Da werden nämlich zu jedem behandelten Thema und den entsprechenden Künstlern CDs vorgeschlagen. Im Anhang gibt es sogar den Hinweis auf eine Spotify-Playlist zum Buch, so kann man leicht akustische Bildungslücken schließen.

Alle Kapitel wirken gut recherchiert, enthalten viele Zitate aus Presse und Medien, Interviews mit Künstlern und Fotos. Einzig bei den Kapiteln über Udo Lindenberg und die Musik in der DDR lässt der Autor auch persönliche Erfahrungen einfließen. Er schreibt sehr angenehm und man merkt ihm deutlich an, was die Musik für eine zentrale Bedeutung in seinem Leben hat. Die einzelnen Themen könnten natürlich jedes für sich noch ausführlicher behandelt werden, aber das würde den Rahmen eines einzelnen Buchs sprengen. Hier hätte man vielleicht noch einen zusätzlichen Anhang „zum Weiterlesen“ ergänzen können.

Fazit: Diese musikalische Zeitreise hat Spaß gemacht! Das Buch ist perfekt für einen Überblick auf die Geschichte der deutschsprachigen Popmusik.

Bewertung vom 30.09.2018
Unverfrorene Freunde
Pütz, Klemens;Batarilo, Dunja

Unverfrorene Freunde


ausgezeichnet

»Niemand wird mich je über meine Arbeit jammern hören. Mein Beruf als Meeresbiologe ist außerordentlich vielseitig. Ich frickele an Peilsendern, ich lese gespeicherte Daten aus Fahrtenschreibern aus und ziehe daraus Schlüsse, ich arbeite in großartiger Natur mit den lustigsten Tieren der Welt.«

Klemens Pütz liebt seine Arbeit und die Objekte seiner Studien. Das liest man aus jeder einzelnen Seite dieses Buchs heraus – ich habe die Lektüre sehr genossen! Der promovierte Meereszoologe erforscht seit 1989 Pinguine und ist wissenschaftlicher Direktor des Antarctic Research Trust.

Pinguine mag eigentlich jeder. In Zoos gehören sie zu den Besuchermagneten, im Internet werden eifrig Pinguinbilder gepostet und geliked, sie sind Filmstars und vermutlich sitzt in jedem Kinderzimmer mindestens ein Plüschexemplar von ihnen.
Auch Pütz findet die Frackträger toll und sicher gehört er zu den Menschen, die am meisten über sie wissen und zudem weiter versuchen, noch mehr zu erfahren. Der Leser darf sich auf enorm viel Infos rund um diese faszinierenden Vögel freuen!

Das Buch gliedert sich in drei Kapitel: Pinguine an Land, Pinguine im Wasser und Welt im Wandel – Pinguine in Gefahr. Klemens Pütz schreibt sehr lebendig, man hat beim Lesen das Gefühl, man befände sich, so wie er, mitten zwischen den Tieren. Ich habe einiges schon Bekannte gelesen und viel Neues erfahren, alle Infos haben gemein, dass sie sehr gut verständlich und unterhaltsam präsentiert werden. Wer Pinguine aber bislang ausschließlich als liebenswert angesehen hat, muss stark sein, denn die Tiere sind nicht immer nett. Man sollte sie nicht vermenschlichen und eigene Moralvorstellungen auf sie übertragen. Das fällt schwer, eben weil man sie so mag. Aber in einer Pinguinkolonie kommt es zu Prostitution, Kidnapping und Pädophilie, der Autor räumt gründlich mit einigen idealisierten Meinungen über die Frackträger auf.

Ich lese also interessiert über Eigenarten und Verhaltensweisen, verfolge einen Exkurs zur Evolution der Pinguine (vor 30 Mio. Jahren lebten über 40 verschiedene Arten von ihnen auf der Erde!), begleite den Autor, wenn er sich an seine erste Fahrt in die Antarktis erinnert, verfolge seine bildgewaltigen Schilderungen der Umgebung, die man vermutlich doch nur richtig erfassen kann, wenn man sie selbst gesehen hat. Er erzählt von seinem Werdegang, wie er zu den Pinguinen kam und wie sie seitdem sein Leben bestimmen. Großartige Fotos von vielen herrlichen Tieren, von den Forschungsarbeiten und auch ein paar private Aufnahmen ergänzen alles perfekt. Hinzu kommen vorne und hinten im Buch sehr informative Karten der Regionen.

Aber natürlich ist nicht alles schön, der dritte Teil des Buchs befasst sich mit Themen, die traurig und besorgt machen. Da geht es um Umweltschutz, den Klimawandel, um Ölbohrungen und -tanker, um Überfischung, Schleppnetze und Plastikmüll. Kein Happy End in Sicht also für die beliebten Vögel? Pütz kämpft um sie. Der von ihm mitgegründete Antarctic Research Trust hat sich zum Ziel gesetzt, die Überlebenschancen von Pinguinen und anderen Bewohnern der Subantarktis zu verbessern, u.a. hat der Trust fünf kleine unberührte Inseln des Falkland-Archipels gekauft und daraus Reservate gemacht. Mit den Ergebnissen seiner Forschungen versucht der Pragmatiker Pütz, aufzuklären und Lösungsvorschläge zu erarbeiten, die dem Schutz der Tiere dienen. Und er schrieb dieses Buch, um den Lesern diese faszinierenden Tiere noch mehr ans Herz zu legen, denn…
»Denn nur was man liebt, das schützt man auch. In diesem Sinne schreibe ich auch dieses Buch: Wer die Zusammenhänge versteht, der kann auch dementsprechend handeln. Denn Pinguine brauchen Freunde – nicht nur auf YouTube.«

Fazit: Dieses Buch gehört ins Regal mit meinen Lieblingsbüchern. Und wer ein Geschenk für einen Tier- oder Naturfreund sucht: Hier ist es!

Bewertung vom 30.09.2018
Wild leben!
Baker, Nick

Wild leben!


sehr gut

»Die Renaturierung ist ein Annehmen der Natur und der Tatsache, dass die Natur es am besten weiß, eine grüne Weisheit, der wahre Wert des Lebens.«

Zurück zur Natur – ein Wunsch, der viele Menschen umtreibt, gerade in der heutigen Zeit, die immer schnelllebiger, immer technisierter wird, in der einem nicht selten die sprichwörtliche Luft zum Atmen fehlt. Auch ich fühlte mich vom Thema dieses Buchs gleich angesprochen.

Der Autor ist Biologe und bezeichnet sich selbst als biophil. Schon als Kind fühlte er sich nirgends so wohl wie in der freien Natur, daraus wurde eine tiefe Verbundenheit, die sich durch sein ganzes Leben zog und ihm auch in schweren Zeiten Kraft gab. Seine Erfahrungen möchte er nun mit dem Leser teilen und ihm helfen, sich selbst neu zu finden, sich selbst zu renaturieren.
»Wie denken Sie über die anderen Arten, mit denen Sie Ihren Lebensraum teilen? Bemerken Sie sie überhaupt? Das ist die Art von Renaturierung, um die es in diesem Buch geht. Es geht darum, Sie selbst zu renaturieren, Ihr Leben, Ihre Haltung, Ihren Geist, während Sie Herz und Seele wieder einsetzen – und damit die Entstehung tiefer Zufriedenheit, einer Liebe zu sich selbst, zu anderen Tieren und dem Ort einleiten, den wir Heimat nennen.«

Klingt alles gut, aber wie stellt man das an? Alles, was man dazu braucht, schlummert laut Nick Baker schon in uns, wir müssen es nur finden und wecken. Sein Appell an den Leser lautet, sich in die Natur aufzumachen und dort die Sinne zu öffnen. Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen – ein enormes Potential liegt in uns, ich war erstaunt, zu welchen Leistungen man mit ein wenig Übung in der Lage sein soll. Beispielsweise wird erklärt, dass wir über eine gute Nachtsicht verfügen können (natürlich ohne weitere Beleuchtung ;-)
Jedem dieser Sinne ist ein Abschnitt gewidmet. Wie Baker biologische Fakten mit eigenen Erfahrungen mixt, ist sehr schön zu lesen. Er berichtet von seinen Naturerlebnissen, von Tierbeobachtungen, von seinem Staunen über die Fähigkeiten indigener Völker (im Sinne von Naturvölkern), wie er von ihnen lernte und seine eigenen Sinne schulte. Wie man sich bewegt, spielt dabei auch eine große Rolle, immer wieder geht es aber zentral um Themen wie Achtsamkeit, Stille und Konzentration. Begriffe, die man auch im Zusammenhang mit sämtlichen Entspannungstechniken regelmäßig verwendet.

Das alles spricht mich sehr an. Und gerne würde ich wie vorgeschlagen einfach rausgehen und neue Sinneseindrücke sammeln. Leider merke ich nur ständig, dass Baker und ich in völlig verschiedenen Welten leben. Ich habe nicht mal einen Garten und um zum nächsten Park zu gelangen, muss ich mich erst mal ins Auto schwingen und eine halbe Stunde (wenn ich Glück habe) durch verstopfte Straße fahren. Im Park bin ich dann zusammen mit vielen, vielen anderen Menschen, die genau wie ich auf der Suche nach ein bisschen Grün sind. Leider ist die Anwesenheit anderer Menschen schon allein ein Punkt, auf den bei vielen der Sinnesübungen möglichst verzichtet werden soll. Wie soll ich das anstellen? Und woher soll ich die viele Zeit nehmen, die ich für die Übungen benötige?
Ganz ehrlich: In meinem vollgestopften Alltag, mit Doppelt- und Dreifachbelastung, fühle ich mich ein wenig unverstanden und alleingelassen. Mir fehlen kleine Ansätze, die ich in meinen Alltag einbauen kann. Ich würde ja auch gerne durch einsame Natur streifen, ich liebe sie, ich liebe Tiere, aber wenn hier nun mal keine ist (was sicher bedauerlich ist), muss ich auf den erreichbaren Park zurückgreifen, auch wenn er immer voller Menschen ist. Und mit den neuen Sinneseindrücken bis zum nächsten Urlaub warten.

Fazit: Beeindruckende Schilderungen, sehr schön zu lesen und sicher nachahmenswert. Leider fehlen mir persönlich kleine alltagstaugliche Ansätze. Wer günstiger wohnt und mehr Zeit hat, kann die Tipps sicher besser umsetzen.