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Juti
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Insgesamt 631 Bewertungen
Bewertung vom 16.04.2019
Arabische Clans
Ghadban, Ralph

Arabische Clans


gut

Die Gefahren einer Parallelgesellschaft

Nach dem „Professoren-Motzki“ (Hans-Peter Schwarz) habe ich das zweite kritische Flüchtlingsbuch in diesem Jahr gelesen. Der Autor kennt sich gut im arabischen Migrantenmillieu aus. Ab dem 6. Kapitel (S.182) gefällt mir das Buch richtig gut. Dann hätte das Buch nur 100 Seiten und Politiker würden sich vielleicht vermehrt die Mühe machen dies zu lesen.

Es erklärt wie der libanesische Clan der Mhallami in Deutschland mit dem Rechtsstaat in Konflikt kommt und liefert auch Lösungsansätze.

Schade nur, dass dieser Band teilweise unverständlich Fehler enthält und hier ist auch der Verlag gefragt, der doch einen Lektor haben muss, dem so etwas auffällt:
Auf der ersten Seite nach dem Inhaltsverzeichnis (S.9) steht: „Außer der islamischen gibt es in Deutschland keine andere Parallelgesellschaft“ und gleich auf der nächsten Seite: „nur bei den Muslimen ist eine Parallelgesellschaft entstanden“. Mein lieber Herr Gesangsverein. Ein Sachbuch, das gleich mit Wiederholungen anfängt. Und auch später fällt dem Autor immer wieder auf, dass er Dinge zum zweiten Mal schreibt, etwa die kurdische Herkunft der Mhallami.

Auf S.22 steht, dass Jeanne d‘Arc im 15. Jahrhundert auch manchmal nach ihrer Mutter Jeanne Romee hieß. Kann ja sein, aber im nächsten Satz heißt es, dass Christentum sei damals noch nicht in ganz Europa verbreitet gewesen. Sieht man mal davon ab, dass es mit Albanien und Bosnien auch heute zwei muslimische Staaten in Europa gibt, ist die Aussage falsch. Ich weiß, dass die Entdeckung Amerikas für fromme Christen wegen der Vielzahl Ungetaufter ein Schock war.

S. 28 beginnt mit: „Ein Jahrhundert vor der Entstehung des Islams wurden wichtige Handelswege über Arabien umgeleitet.“ Diese Aussage hätte ich gerne entfaltet. Die Weihrauchstraße ging ohnehin nach Arabien, die Seidenstraße nie. Was wurde jetzt umgeleitet?

Und der Witz des Ganzen: Eigentlich braucht es das 1.Kapitel nicht. Beginnt das Buch auf S.56, wenn ihr den ein gewisses Grundwissen von Arabien und dem Islam habt.

Auf Seite 240 wird behauptet, Deutschland hätte 8 Nachbarstaaten, es sind aber 9, glauben Sie mir.

Trotz der Fehler und Wiederholungen ist das Thema wichtig und in seinem Kernbereich ist der Autor auch kompetent. Also gerade noch 3 Sterne. (Vielleicht gibt es mal eine 2., korrigierte Auflage).

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.04.2019
Der Vogelgott
Röckel, Susanne

Der Vogelgott


gut

Impressionistische Familiengeschichte

Schwieriges Buch, von dem ich gerne eine Interpretation lesen würde. Weil das keiner wagt, beschreiben alle den Inhalt:

Der Ornithologe Konrad Weyde hat auf einer Reise einen riesigen Vogel gefangen, der in seiner Heimat als Gott verehrt wurde, sein jüngster Sohn Thedor begegnet dem Vogelgott ebenfalls als er ein Jahr für „Save the World“ in Kiw-Aza, die Tochter lernt ihn durch die Promotion über den Maler Wolmuth kennen und der älteste Lorenz schreibt als Journalist über ihn.

Nachdem ich beim „Gott der Barbaren“ viel über eine mir zuvor unbekannte Sekte in China las, hoffte ich auch hier theologische Neuigkeiten kennenzulernen. Aber die Handlung ist rein fiktiv.

Ich fragte mich manchmal, ob das Land Awa so etwas wie der Islamische Staat ist, dessen Anhänger dann Lorenz auch in Deutschland gefunden hat. Doras Kunstgeschichte passt nicht so ganz, außer das dieses Kapitel zeigt, dass Sekten kein neues Phänomens sind. Alles spekulativ, aber ich glaube, wer dieses Buch religionskritisch liest, der befindet sich auf dem Pfad der Tugend.

Spannend und gut komponiert. Aber die Frage, warum ich dieses Buch lesen soll, bleibt doch weitgehend unbeantwortet. 3 Sterne.

Bewertung vom 09.04.2019
Ein Regenschirm für diesen Tag
Genazino, Wilhelm

Ein Regenschirm für diesen Tag


ausgezeichnet

Lebenssinn eines Überlebenskünstlers

Den FAZ-Statistiker von „Das Feld“ von Robert Seethaler wünschte ich mir. Auf 177 Seiten kommen so viele Menschen vor, dass ich sie nicht zählen konnte.
Einige nur für eine halbe Seite, andere wie der Engel (gibt es die weibliche Form „Engelin“?) Lisa, die dem Ich-Erzähler ihr Konto als Abfindung überlässt, weil sie ihn verlassen hat, vergisst der Protagonist nie.

Wir wissen wenig über unseren Helden. Ort und Zeit der Handlung sind fiktiv.
Unser Protagonist spricht von „innerer Genehmigung“, die er braucht um sein Leben zu rechtferti­gen. Ich nenne das Sinn. Diesen sieht er nicht in unbeachteten Berufen wie Sanitäter oder Wach­mann.

Er läuft viel durch die Stadt, um sich zu erinnern, wie er z.B. Susanne als Kind ohne es zu merken an den Busen fasste, lehnt aber danach Kindheitserinnerungen ab. Ihm fällt eine alte „Sterbephantasie“ wieder ein: Er wünscht sich, „daß links und rechts meines Sterbebettes je eine halbnackte Frau sitzen sollte. Ihre Stühle sollten so nah an mein Sterbelager herangerückt sein, daß es mir leichtfiele, mit den Händen die entblößten Brüste der Frauen zu berühren. Ich glaubte damals, mit dieser körperlichen Besänftigung würde mir die Zumutung des Sterbens besser bekommen.“(S.24) Das glaube ich gerne. Es folgt eine Philosophie über Front- oder Seitenanblick von Brüste bis hin zum Satz, „daß sich Brüste immer weiter aus seinem Leben entfernen“(S.25).

Aber seine große Liebe hieß Lisa 42, die trotz obiger Handlung „mangelnde finanzielle Verwurzelung in der Welt“ bei ihm beklagte, woran die Beziehung wohl scheiterte. Mit Lisa braucht er keinen Sinn.
Lisa ist als Lehrerin gescheitert. Erst an dieser Stelle erfahren wir, dass unsere Hauptperson sein Geld als Schuhtester verdient, dessen Gehalt aber später so gekürzt wird, dass Leben so unmöglich ist, weshalb der Tester nur noch phantasierte Berichte abliefert.

Dann besucht er Margot, seine Friseuse und schläft mit ihr. Aber zum Orgasmus kommt er nicht. Er trifft Himmelsbach einen gescheiterten Fotograf, man könnte aber auch sagen ein Lebenskünstler wie er selbst. Himmelsbach wird später mit Margot verkehren. Er wird aber auch den Ich-Erzähler bitten bei Messerschmidt vom General-Anzeiger um einen Job für ihn zu bitten. Messerschmidt erklärt ihm wie schlecht Himmelsbach war, möchte aber, dass der Protagonist wieder für die Zeitung arbeitet, was er dann auch macht.

Susanne kehrt zurück in das Geschehen. Sie sagt, dass „armen Leute[n] in ihrem ganzen Leben keinen bedeutenden Menschen kennenlernen.“(S.71) und dass sie mit ihm über Unsinn reden kann. Erstmals fühlt der Lebenskünstler, dass Susanne ihn „nicht durchschnittlich findet.“ Später heißt es: „Es entsteht zwischen Susannes Beinen die Hoffnung, daß ich das Leben eines Tages werde genehmigen können“ (S.143)
Susanne lädt ihn auch zum Essen ein, wo er den anderen Gästen erzählt, er sei Leiter des Institut für Gedächtnis- und Erlebniskunst. Seine Aufgabe sei es, Menschen, denen das Leben wie ein langgezogener Regentag vorkäme einen Regenschirm für diesen Tag zu bieten. (S.105) Ein anderer Gast, Frau Balkhausen, nimmt das so ernst, dass sie sich mit dem Künstler trifft und 200 Mark dafür bezahlt. Auf ihre Empfehlung ruft auch noch Frau Tschakert ein, dass unsere Helden zu folgenden Ausruf bringt: „Stell dir vor, ich leite ein Institut, das es nicht gibt und verdiene damit sogar Geld“ (S.165).

Meine lange Inhaltsangabe ist nicht vollständig. Einige Personen musste ich weglassen, ebenso Gedanken über Essen, Langeweile oder Schuld. Das Buch kann man lesen als Biografie von Otto Normalverbraucher oder aber als philosophischen Beitrag zum Sinn des Lebens. 5 Sterne
(leicht gekürzt)

Bewertung vom 02.04.2019
Die neue Völkerwanderung nach Europa
Schwarz, Hans-Peter

Die neue Völkerwanderung nach Europa


gut

Der Professoren-Motzki

Am 13.3. 2017 erschienen zwei Bücher zum gleichen Thema: Dieses hier und „Die Getriebenen“ von Robin Alexander.
Während ich das Buch des Journalisten Alexander zeitnah lesen konnte, gingen 2 Jahre ins Land bis ich dieses Werk hier lesen konnte. Mag sein, dass inzwischen doch einige Zeit verstrichen ist, mag aber auch sein, dass Alexander mehr die Beziehung der Politiker untereinander in den Vordergrund stellte, während hier die rechtliche Seite der Migrationspolitik mehr beleuchtet wird. So ist für die Schließung der Balkanroute auch die Wiener Konferenz im Februar 2016 Österreich verantwortlich und nicht Sebastian Kurz, der nicht namentlich genannt wird.

Das Buch beginnt mit dem Bild vom Schwarzen Schwan, der plötzlich auftaucht und die Völkerwanderung sei ein Beispiel in der Politik dafür (S.11). In den folgenden Kapiteln widerlegt sich der Autor aber selbst. Auf S.15 spricht er davon, dass alle „unübersehbaren Flüchtlingscharen“ auch integriert werden müssen, aber von Integration ist nachher nicht mehr die Rede. Folglich lehnt Schwarz auch Familiennachzug strikt ab.

Das zweite Kapitel braucht viele Seiten und 4 Fakte, um zu beschreiben, dass Migration seit Jahren ein weltweites Problem ist. Das nächste Kapitel ist vermutlich das wissenschaftlichste des ganzen Buches. Schwarz zeigt die historische Entwicklung des EU-Rechts von der 1984 zwischen Kohl und Mitterrand vereinbarten Reisefreiheit innerhalb der EU im Schengen-Vertrag, die den Nachteil hatte, dass für die Überwachung der Außengrenze nach wie vor das jeweilige Mitgliedsland zuständig ist. Nach außen Staatenbund, nach innen Bundesstaat ist sein Schlagwort.
Im sonst mit Zahlen gut belegte Thesen - etwa dem Problem der Ausweisung nicht berechtigter Asylbewerber: „Im Juni 2016 hielten sich schließlich 550.000 abgelehnte Asylbewerber auf, die eigentlich hätten zurückgeführt werden müssen, darunter 400.000 länger als sechs Jahre.“(S.91) – fehlt aber der Nachweis, dass wegen Schengen die internationale Kriminalität tatsächlich angestiegen ist.
Nach Schengen folgte 1997 die Dublin-Verträge, wonach Migranten im ersten Land der EU Asyl beantragen müssen, was vor allem die Mittelmeerländer betrifft, die mehrfach genannt werden.

Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Politik des „Durchwinkens“ von September 2015 bis März 2016. Über Grenzzäunen und dem Türkei-Abkommen hat auch Alexander geschrieben.
Neu für mich war, dass schon Innenminister Schily 2004 angeregt hat, in Afrika Flüchtlingslager für die EU zu errichten. Auf den Mittelmeer gerettete Flüchtlinge sollten dahin zurückgeführt werden. Die Idee fand keine Mehrheit und scheitert auch deswegen, weil sich die EU nicht auf Flüchtlingskontigente einigen konnte (vgl. S.149f).

Die restlichen Seiten werfen ein Blick in die Zukunft, 2 Jahre später ist das nicht so spannend. Der ehemalige Bonner Professor wirft mit Zahlen wie Sarrazin umher (S.186f), die Euro-Krise nennt er zwar, nicht aber, dass Merkel dort als eiserne Kanzlerin galt, sie diesen Ruf los werden wollte und
so zu Mutter Teresa wurde.
Der Aufstieg rechter Parteien in ganz Europa ist ebenso ein Folge der Migration wie der Brexit, dessen Lager entscheidende Stimmen aus den Anti-Migrationswählern gewonnen hat.
Banalitäten, dass die Türkei ein mächtiger Staat ist (S.191), und Frechheiten wie „Zumutungen für die Bürger"(S.194) und im Schlusswort vergammelnde Autobahnen (vgl.S.244), möchte ich so nicht lesen. Ein Literaturverzeichnis fehlt auch.

Als Lesetipp empfehle ich nur Kapitel 3 und 4 zu lesen. Dort habe ich Neues erfahren. Im Rest nicht. 3 Sterne

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.04.2019
Philogelos, der Lachfreund
Hierokles;Philagrios

Philogelos, der Lachfreund


gut

Dieses hoch wissenschaftliche Werk, in Griechisch und Deutsch, mit zahlreichen Anmerkungen zur Übersetzung und Kommentaren, lässt sich auch als Sammlung von 250 antiken Witzen lesen. Ich habe mich teilweise köstlich amüsiert. 3 Sterne. Beispiel:

Witz 173: Ein Kymäer bot Honig zum Verkauf an. Jemand kam, kostete und fand ihn sehr gut. „Ja“ sagte der Kymäer, „wenn mir nicht eine Maus hineingefallen wäre, würde ich ihn gar nicht verkaufen.“

Bewertung vom 29.03.2019
21 Lektionen für das 21. Jahrhundert
Harari, Yuval Noah

21 Lektionen für das 21. Jahrhundert


gut

Precht ist besser
Bei „Homo Deus“ bemängelte ich, dass dem Autor ein Theologie-Studium fehlt. In diesem Buch kommt die Religion wahrlich nicht zu kurz. Das Inhaltsverzeichnis verrät, dass Religion auf Kapitel 8, 12, 13, 16, 20 und 21 verteilt wird, na denn. Religion dient heute nicht mehr zur Lösung von Problemen, sondern verlangt in der Tat einen politischen Standpunkt, immer verbunden mit der Gefahr des Nationalismus bzw. Fundamentalismus, unabhängig von der Partei und schafft Identität.
Moral hat es schon vor der Religion gegeben, wie Schimpansen zeigen, die kranke Familienmitglie­der pflegen. Das Kapitel über Gott ist schwach, mir missfällt auch diese Definition:„säkuläre Menschen lehnen alle unwissenschaftlichen Dogmen ab und sind Wahrheit, Mitgefühl und Freiheit verpflichtet“(S.280). Dies gilt auch für Angela Merkel und viele andere Christen.
Zum Thema Gerechtigkeit merkt der Autor an, dass Diebstahl klar unmoralisch ist. Wenn aber ein Unternehmen Gewinn macht, weil es die Flüsse verschmutzt, dann sieht das nicht jeder so.
Im Kapitel über den Sinn gefällt mir die Aussage eines Mannes: „ich habe gelernt, dass ich auf Erden bin, um anderen Menschen zu helfen. Was ich noch nicht herausge­funden habe, ist, warum die anderen Menschen hier sind.“(S.368)
Einverstanden bin ich mit der Ablehnung des Opfer. Im Buddhismus gibt es diesen Sinn: „Wenn ich einfach nur meinen Atem spüre und nichts tue, werde ich Erleuchtung erlangen und der weiseste und glücklichste Mensch auf erden sein.“ (S.398)
Zuletzt wird gesagt, dass der Liberalismus vom Glauben an das „Ich“ lebt, was mich an den letzten Essay von David Forster-Wallace erinnert. Der Autor selbst lebt sehr gut dank Meditation, da Gefühle wie Ärger und Wut im eigenen Körper, er sagt Geist, entstehen. Das wiederum erinnert mich an den Satz von Karl Rahner: „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein.“

Das Hauptproblem des Buches ist das es allgemein alles ein bisschen behandelt, aber nichts richtig.
Im Computerschach kennt sich der Autor bestens aus (S.58ff). Gut gefällt mir, dass er die Bedeutungslosigkeit mehr fürchtet als die Ausbeutung. So sind wir schon beim kapitalistischem Paradies, dem allgemeinen Grundeinkommen, dem er das kommunistische Paradies mit allgemeinen Grunddienstleistungen wie kostenloser Bildung, Grundversorgung und kostenlosem Nahverkehr gegenüber stellt (S.68).
Interessant ist, dass der in der Zuwanderungsdebatte entstehende Rassismus in Wahrheit ein Kulturalismus ist, da biologische Unterschiede zu vernachlässigen seien.

Nicht neu ist, dass vergleichsweise wenig Menschen durch Terroristen sterben. Er erklärt aber, warum uns ein Anschlag in Brüssel mehr schockt als in Bagdad, denn: „Je weniger politische Gewalt in einem bestimmten Staat herrscht, desto größer ist der öffentliche Schock angesichts eines Terrorakts.“(S.223)
Mit Gewinn Krieg zu führen wird immer schwieriger. Einzig mit Besetzung der Krim ist Russland dies im 21. Jahrhundert gelungen.
Postfaktisch ist auch nicht neu, was schon die Judenprogrome im Mittelalter zeigen.

Und wissen wir nicht, dass wir 1986 mit Sozialismus und Liberalismus noch zwei Erzählungen hatten und dass seit der Finanzkrise 2008 auch der Liberalismus so nicht weiter gehen kann? Auf die Digitalisierung der Arbeitswelt warten wir seit 40 Jahren.
Die Gedanken über selbstfahrende Autos sind nicht neu. Oft ist dem Autor zuzustimmen. Wenn es falsch wird, dann ist es aber umso ärgerlicher. Auf S.142 schreibt er:„Die modernen Germanen entstanden aus der Verschmelzung von Sachsen, Preußen, Schwaben und Bayern.“ Abgesehen davon, dass die Schwaben ein Teil der Alemannen sind, diese auch in der Schweiz und Vorarlberg leben, hat er die Friesen vergessen (vielleicht glaubt der Autor, dies seien die Vorfahren der Niederländer) und das größte germanische Volk, die Franken, schlägt er ganz nach Frankreich.

Das Buch behandelt im Kapitel „Nationalismus“ die ökologische Herausforderung und das nicht immer richtig. (gek

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.03.2019
Der neunzigste Geburtstag
Bruyn, Günter de

Der neunzigste Geburtstag


gut

Der Ost-Motzki

Manchmal frage ich mich, warum ich überhaupt dieses Buch gelesen habe und nicht ein anderes. Mir gefiel wohl die Behandlung aktueller Politik, allerdings aus Ostdeutscher Sicht. Dies muss kein Nachteil sein, aber nach Lektüre des Buches wird doch klar, warum die AFD ein vorwiegend ostdeutsches Problem ist.

Hedwig Leydenfrost feiert am 5.8. 2016 ihren 90. Geburtstag. Ein Jahr vorher beginnen die Planungen, also ob ein Fest gefeiert werden soll oder nicht. Sie selbst ist kinderlos hat aber Fatima, ein bosnisches Flüchtlingskind aufgenommen. Aus ihrem Leben erfahren wir, dass sie in Westdeutschland gelebt, der Friedens- und Umweltbewegung nahe stand und in der zugehörigen Partei war (die Grünen werden nicht genannt). So passt es auch, dass sie mit Aktion neue Heimat Flüchtlingskinder unterstützen will.

Ihr jüngerer Bruder Leo, wir wissen nicht genau wie alt er ist, aber über 80 wird auch er sein, dagegen blieb in der DDR, wollte nicht in die Partei eintreten, lernte seine Frau Maria kennen, die früh starb, hat aber 2 Töchter und einen Sohn, der bei der Stasi arbeitete, trotzdem oder deswegen auch nach der Wende Karriere gemacht hat, aber jeden Kontakt mit den Vater abgebrochen hat.

Während seine Familienbeziehung noch interessant ist, kann ich den vielen Dorfbewohnern, die auch wie bei Hansens „Mittagsstunde“ zeigen, dass sich das Leben auf dem Dorf wandelt, nicht viel abgewinnen. Ich glaube, es ist auch nicht so gedacht, dass alle Personen zu behalten sind.

In einer Szene wird die Zusammenlegung der Friedhöfe behandelt, was mir sehr gut gefallen hat. Weniger gefällt mir die seitenlange Ablehnung einer Gender gerechten Sprache. Die Pfarrerin muss gleich 3 Gemeinde versorgen und wird von Leo ebenfalls kritisiert. Dass sie sich letztlich mit Fatima auf eine lesbische Beziehung einlässt, darf man wohl so lesen.

Die Behandlung der „Willkommenskultur“ bringt substantiell nichts Neues. Einzig dass das Dorf von Flüchtlingskindern, - und damit auch von fremdenfeindlichen Anschlägen verschont bleibt, wie ich beim Lesen schon befürchtet und Streit unter den Dorfbewohnern vermutete, all das kommt nicht, weil gar keine Flüchtlinge ins Dorf wollen. Das ist eine interessante und nicht vorhersehbare Wendung.

Mir ist das Buch zu bieder erzählt. In Menasses „die Hauptstadt“ wird satirisch Auschwitz als Hauptstadt vorgeschlagen. Produktive, neue politische Ideen fehlen hier, nur dem Motzen wird Raum gegeben. Auch der Verlauf der Geburtstagsfeier wird im Grunde vorher schon verraten, von mir aber nicht. Man kann dieses Buch lesen, muss es aber nicht. 3 Sterne.

2 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.03.2019
Fräulein Nettes kurzer Sommer
Duve, Karen

Fräulein Nettes kurzer Sommer


sehr gut

Feminismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts

Lange habe ich mich gefragt, welches Buch Karen Duve geschrieben hat. Eine Biografie von Annette von Droste-Hülshoff ist es nicht. Vielmehr geht es um das Verhältnis von Göttinger Studenten mit Annette.

Wir erfahren viel über das Leben einer Adelsfamilie mit unzählbar vielen Kindern, so dass wir dankbar auf den Familienstammbaum im Einband zurückgreifen können.
Einer von Ihnen, Onkel August, der wie der Stammbaum zeigt nur 5 Jahre älter als seine Nichte Nette ist, war tatsächlich Student in Göttingen. Als er die Uni verlassen musste, um den elterlichen Bökerhof zu verwalten, kommen seine Kommilitonen dorthin zu Besuch.

Da auch Nette oft die Verwandtschaft besucht, lernt sie den von August am meisten geförderten Dichter Straube kennen, der aber nicht so talentiert ist wie sie. Dennoch darf Nette das nur denken, weil die eigentliche Aufgabe einer Frau ist es, eher schweigend den Männergesprächen zu folgen als eine eigene Meinung zu vertreten. Aber Nette hält sich nicht an die Etikette.
Wir erleben das langweilige Leben der adligen Frauen am Hof mit und da hat Frau Westermann aus dem Quartett recht, zu lange und zu oft.

Als sie mit dem verarmten Protestanten Straube auch noch eine Liebesbeziehung anfängt, ist sie bei der Familie ganz unten durch. Dann will noch Arnstwaldt, eine anderer Student, mit Nette verkehren will, angeblich im Sinne Straubes, um sie auf die Probe zu stellen, sie lehnt ihn aber ab. Als dieser dann noch Straube verrät, er habe das Herz Annettes gewonnen, muss Nette sich schuldig bekennen. Die Beziehung zu den Literaten bricht ganz ab, die zur Verwandtschaft am Bökerhof ruht, aber in den späteren Jahren hat man sich wohl noch versöhnt.

Eigentlich könnte das Buch so auf S.474 enden, aber diese Geschichte wird auserzählt, ja sogar Harry Heine taucht als Göttinger Student noch auf. Ich vermute Karen Duve hat in der Göttinger Uni so viel interessantes Material entdeckt, dass sie uns die zweifellos spannende, aber doch wenig zum Thema passende, Erlebnisse Heines in Göttingen nicht vorenthalten wollte. Im Epilog wird die Geschichte von Personen erzählt, die ich im Laufe der Erzählung bereits vergessen hatte. Und damit meine ich nicht die Gebrüder Grimm, die ich noch nicht genannt habe.

Gut gefällt mir übrigens die Einordnung in die Zeitgeschichte, mit dem Ausbruch eines indonesischen Vulkans 1817, der zu Missernten und nach Hans-Erhard Lessing auch zur Erfindung des Fahrrads führte, die Ermordung Kotzebue und das Erwachen des deutschen Nationalbewusstseins.

Wegen gewisser Längen 4 Sterne.

Lieblingszitat:
Die Religion ist nicht dafür da, zu verdammen, sondern zu befreien. Zu befreien und fröhlich zu machen. (S.391)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.03.2019
Der Widersacher
Carrère, Emmanuel

Der Widersacher


ausgezeichnet

Reale Familientragödie

Dieses Buch hat mich wirklich gefesselt. Ähnlich wie bei Leila Slimani „Dann schlaf auch du“ wird ein realer Fall beschrieben, nur bringt diesmal ein Familienvater seine Familie und seine Eltern um.

Der Autor nimmt am Prozess teil und schreibt eine Biografie über den Mörder.
Sicherlich erfüllt er damit auch einen Wunsch des Täters, doch wird dieser nicht rein gewaschen. Carrere hat zwar viel über den Katholizismus nachgedacht und es lohnt sich auch das Interview zwischen ihm und der Übersetzerin im Anhang zu lesen, doch eine göttliche Bestimmung für Romand, dem Mörder, im Gefängnis sieht er zum Glück nicht. Eine Krankenschwester sieht das so, eine andere Journalistin bedauert dagegen, dass es die Todesstrafe nicht mehr gibt.
Der Autor lässt den Leser klar erkennen, wo und wie er handelt.

Zwischen dem ersten Satz: „Während Jean-Claude Romand am Samstagmorgen, den 9.Januar 1993, seine Frau und seine Kinder tötete, saß ich mit meinen in der Versammlung der Schule unseres älteren Sohnes.“ und dem letzten: „Dieses Geschichte zu schreiben, dachte ich, kann nur ein Verbrechen sein oder ein Gebet.“ steht die des Doppellebens Romands, der sich als Arzt der WHO ausgibt, aber nur ein Lügenhaus aufbaut, das in einer Tragödie enden musste.

Sehr spannend und nichts zu meckern. 5 Sterne.

Bewertung vom 13.03.2019
Tage ohne Ende
Barry, Sebastian

Tage ohne Ende


weniger gut

Brokeback Mountain II

Vorweg: Ich bin kein Western-Fan.
Aber dieses Buch wurde im Literarischen Quartett so gelobt, dass ich es auch lesen wollte.

Ich verstehe ja, dass Thea Dorn als Autorin von „Mädchenmörder“ dieses Buch gefällt. Ich wundere mich aber wirklich, dass die liebe Frau Westermann diesen Roman auch gerne gelesen hat. Mir enthält das Buch viel zu viele Gewaltszenen. Etwa auf S.52 wo steht, wie die Indianer die Körperteile einzelnd und langsam abschneiden.

Die im Quartett so oft erwähnte rührende Liebesgeschichte zwischen John Cole und dem Ich-Erzähler kommt viel zu kurz. Die Heirat der beiden war für mich nicht weltbewegend. Ist es heute noch witzig, wenn zwei Männer heiraten? Ist es interessant, wenn sie ein Indianerkind aufziehen? Haben wir das nicht so ähnlich schon in Brokeback Mountain gesehen?

Antigewaltsätze wie: „Es ist nicht allzu schwer, für sein Land zu sterben.“ (S.138) sind selten. Am Ende kommt der Ich-Erzähler noch vor Gericht wegen Fahnenflucht, woraus sogar Mord wird.
Das Ende ist aber rührend. Vielleicht passt das nicht zu diesem Buch, aber genau das gefällt mir.

Ich kann also in das Loblied nicht einstimmen und vergebe nur 2 Sterne.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.