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hasirasi2
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Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1127 Bewertungen
Bewertung vom 12.05.2021
Verlorene Engel / Max Heller Bd.6
Goldammer, Frank

Verlorene Engel / Max Heller Bd.6


ausgezeichnet

Die Angst geht um

Dresden, Oktober 1956: Vor drei Jahren wollte Kommissar Max Heller mit seiner Frau Karin und seiner Ziehtochter Anni in den Westen fliehen, weil die DDR nicht das Land war, was sie sich erhofft hatten, aber sie blieben wegen ihrem Sohn Klaus und dessen schwangerer Freundin. Da seine Vorgesetzten inzwischen seine Weigerung akzeptieren, in die SED einzutreten, soll er endlich ausgezeichnet und befördert werden. Doch zuvor gilt es, einen Serienvergewaltiger zu fassen, der schon in fast allen Stadtteilen zugeschlagen hat. Als die erste Frau diesen Übergriff nicht überlebt, scheint ihnen die Zeit davonzurennen – sind beim Täter inzwischen alle Hemmschwellen gefallen? Eine Polizeisekretärin bietet sich als Lockvogel an, nächtelang spaziert sie durch Dresden, immer im Blickfeld der Beamten. Und wirklich geht ihnen bald ein Verdächtiger ins Netz, und noch einer, und noch einer – aber keinem von ihnen kann man die Vergewaltigungen und den Mord nachweisen ...
Da taucht Alexej Saizev bei Heller auf und teilt ihm mit, dass zwei russische Soldaten aus der Kaserne geflohen sind, die nach Ungarn versetzt werden sollten, um den dortigen Volksaufstand niederzuschlagen. Er traut ihnen diese Taten durchaus zu und eines der Opfer behauptet ja auch, ihr Peiniger habe russische gesprochen. Die Emotionen in der Bevölkerung kochen hoch, Rufe nach Selbstjustiz werden laut.
Auch privat hat Heller große Sorgen. Ziehtochter Anni ist still geworden, lässt in der Schule nach, streitet und prügelt sich mit ihren Mitschülern und ihrer besten Freundin. Was ist nur los mit ihr? Außerdem überlegen Karin und er immer wieder, wann der richtige Zeitpunkt ist, Anni von ihrer Herkunft zu erzählen. „Ich frage mich, ob nicht da draußen irgendwo jemand herumläuft, der Annie sucht, der sich fragt, was aus ihr geworden ist. Der sich Vorwürfe macht, sie noch nicht gefunden zu haben.“ (S. 15)

„Verlorene Engel“ ist schon der 6. und leider auch vorletzte Band der Krimireihe von Frank Goldammer und für mich war er genauso gruselig, fesselnd, verwirrend und erschütternd wie der erste Teil „Der Angstmann“. Obwohl wir schon fast sommerliche Temperaturen haben, wurde ich die Gänsehaut beim Lesen einfach nicht los. Zu grausam sind die Vergewaltigungen, zu detailreich werden sie zum Teil geschildert. Man spürt das Entsetzen und die Sprachlosigkeit der Opfer, die Angst in der Bevölkerung und den Druck, der auf den ermittelnden Behörden lastet. Neben der Polizei suchen bald auch das MfS und die Russen fieberhaft nach dem Täter und den flüchtigen Soldaten. Frauen trauen sich im Dunkeln nicht mehr auf die Straße, man braucht schnelle Ermittlungsergebnisse, hat Angst vor weiteren Opfern weiteren Toten.

Geschickt bindet Frank Goldammer die damals aktuellen politischen Ereignisse ein. In Ungarn tobt ein Volksaufstand, der auch Heller und seine Frau kurzzeitig hoffen lassen, dass sich die Lage vielleicht doch noch wendet, die restriktiven Maßnahmen der Russen gelockert werden und sich die DDR als eigenständiges und unabhängiges Land entwickeln kann. Außerdem schildert er die Bedingungen in der russischen Armee. Die Soldaten, oftmals Bauern aus den entlegensten Gebieten der Sowjetunion, waren nicht freiwillig hier und der Situation auch überhaupt nicht gewachsen. Die Zustände in den Kasernen müssen grauenvoll gewesen sein, dazu immer wieder der Drill durch die Vorgesetzten – da nehmen einige lieber billigend den Tod auf der Flucht in Kauf, als zu bleiben. „Arme Schweine sind das. Ich war mal in einer Kaserne. Ein Zuchthaus ist ein besserer Ort, sage ich Ihnen.“ (S. 319)

Ich mag die Art, wie dem Leser Einblicke in die Ermittlungen aber auch das Privatleben der Ermittler gewährt werden. Max Heller ist immer noch sehr unangepasst, kann einfach nicht lockerlassen und wendet jeden Fakt so lange, bis er die Täter stellen und überführen kann. Seine Familie muss dabei leider oft zurückstecken und Karin fühlt sich mit ihren Sorgen oft allein gelassen.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.05.2021
Achtsam morden am Rande der Welt / Achtsam morden Bd.3 (6 Audio-CDs)
Dusse, Karsten

Achtsam morden am Rande der Welt / Achtsam morden Bd.3 (6 Audio-CDs)


ausgezeichnet

Ist der Rucksack zu klein, sind die Wünsche zu groß.

Eigentlich wollte der achtsame Anwalt Björn Demel seinen 45. Geburtstag mit seinen „Mandanten“ in einem Restaurant feiern, ohne dass die etwas von dem Anlass erfahren. Schließlich hat er ein gutes Verhältnis zu ihnen. Dass sie zwei ehemals verfeindeten Mafia-Clans angehören, dessen Chefs er im Zuge der bei seinem Therapeuten Joschka Breitner erlernten Achtsamkeit leider umbringen musste, weiß keiner. Offizielle leiten Sascha einen Kindergarten, Carla einen Escort-Service und Walter ein Security Unternehmen, nur Stanislaws Drogenhandel lässt sich nicht beschönigen. Doch dann läuft die Feier komplett aus dem Ruder und seine Ex-Frau taucht mit ihrem neuen Freund auf – den Björn von früher unter einem anderen Namen kennt. „Ich hörte etwas klicken. Es war die Büchse der Pandora.“
Als er seinem Therapeuten davon erzählt macht der ihm klar, dass er nicht mehr auf seine Bedürfnisse achtet, sondern sich nach anderen richtet und langsam in eine Midlife-Crisis schliddert. Er rät ihm zu einer Auszeit. Björn soll den 800 km langen französischen Pilgerweg nach Santiago de Compostela gehen und dabei über folgende Fragen meditieren: „Was ist der Sinn des Lebens? Welches Verhältnis habe ich zum Tod? Was brauche ich wirklich für ein erfülltes Leben?“

Leider wird schon am ersten Abend seiner Pilgerschaft auf ihn geschossen und in den folgenden Tagen sterben immer wieder Mitpilger – nur waren leider nie sie, sondern immer Björn gemeint. Sein Attentäter ist also kein Profi. Doch wer ist er und was hat er gegen ihn? Achtsam meditierend und oft intuitiv schafft er nach und nach mehrere Probleme bzw. Gegner aus dem Weg. „Es ging nicht mehr darum, mich selbst zu finden. Es ging vor allem darum, nicht gefunden zu werden.“

Auch der dritte Teil der „Achtsam morden“ Reihe hat mich wieder hervorragend unterhalten. Ich habe mich köstlich amüsiert, wie Autor Karsten Dusse Klischees und Sinnsprüche zum Thema Pilgern einbringt und mich mehr als einmal gefragt, ob er für das Buch wohl selber gepilgert ist. Außerdem kommt die Spannung nicht zu kurz. Zusammen mit Björn rätselt man bis zuletzt, wer ihm warum ans Leder will.
Wie schon in den Vorgängerbänden geht es für Björn um Selbsterkenntnis und Selbstreflexion, darum, eigene Wünsche und Träume nicht nur zu erkennen, sondern sich auch zu erfüllen – natürlich achtsam und im Einklang mit seiner Umwelt.

Ich habe schon viele Bücher über das Pilgern gelesen und träume davon, irgendwann selbst den Camino zu gehen. Und gerade jetzt, wo man nur noch im Kopf reisen darf, macht so ein Hörbuch besonderen Spaß. Zudem werden denen, die sich noch nie mit dem Thema beschäftigt haben ganz nebenbei wichtige Informationen und Bräuche zum Pilgern nähergebracht. „Der Weg gibt dir nicht was du willst, sondern was du brauchst.“

Auch dieses Hörbuch wurde wieder vom Autor selbst eingelesen und ich habe seiner ruhigen und entspannten Stimme sehr gern zugehört.

Bewertung vom 05.05.2021
Soul Food
Acevedo, Elizabeth

Soul Food


ausgezeichnet

Babygirl

„Seit ich mich erinnern kann, wollte ich Köchin werden.“ (S. 41)
Die 17jährige Emoni lebt in einem Problemviertel in Philadelphia, ist die Mutter der zweijährigen Emma und im Abschlussjahr der Highschool. Während ihre Mitschüler einen genauen Plan von ihrer Zukunft haben, ist Emoni froh, wenn sie neben der Schule im Burgerladen genug Geld verdient, um ihrer `Buela (Großmutter), bei der sie mit Emma lebt, nicht auf der Tasche zu liegen. Abschalten und runterkommen kann sie nur, wenn sie kocht. Dabei probiert sie immer wieder neue Rezepte aus, entwickelt selbst welche, spielt dabei sehr kreativ und innovativ mit Gewürzen, Aromen und Zutaten. Familie und Freunde sind begeistert, denn ihr Essen löst etwas bei den Menschen aus, berührt sie im Innersten. Als in der Schule Kochkurs angeboten wird, kann sie nicht widerstehen, doch im Unterricht gelten andere Regeln als in ihrer Küche: „Kochen ist eine Wissenschaft, Instinkt reicht nicht aus.“ (S. 95)

Emoni hatte es nie leicht im Leben. Ihre Mutter ist bei ihrer Geburt gestorben und ihr Vater war überfordert, hat sie bei seiner Mutter „abgeladen“ und ist nach Puerto Rico zurückgegangen. Als sie mit 14 ungeplant schwanger wurde, musste sie sich schief ansehen und oft auch beschimpfen lassen – doch sie hat sich nicht unterkriegen lassen. Der Vater ihrer Tochter ist nur ein Jahr älter und nimmt seine Tochter nur jedes zweite Wochenende, schließlich hätte sie das Kind ja nicht bekommen müssen.
Emoni scheint nirgendwo richtig dazu zu passen. Ihre Haut ist heller als gewöhnlich, durch die Mutterschaft ist sie erwachsener und verantwortungsvoller als ihre Mitschüler und sie hat auch keine Zeit, um mit ihnen auszugehen oder abzuhängen. Sie liebt ihre Tochter über alles, kümmert sich rührend um sie. Für ihr „Babygirl“ würde sie alles tun. Andererseits ist sie planlos, was ihre Zukunft angeht. Sie hat kein Geld für ein College und überlegt stattdessen sofort ungelernt in einer Küche arbeiten. Außerdem traut sie keinem Jungs mehr, ist im Umgang mit ihnen unsicher und will nie wieder eine Beziehung eingehen. Aber Malachi, der Neue ihrer Klasse, ist ganz anders als ihr Ex – rücksichtsvoll und zielstrebig. Ist er der perfekte Freund oder nur ein guter Schauspieler? „Mir ist zwar auch bewusst, dass die Vergangenheit kein Spiegelbild der Zukunft sein muss, aber sie zeigt doch, wie sie sich entwickeln könnte. Und wenn Deine erste große Liebe dir das Herz bricht, kann es noch sehr lange bluten.“ (S. 336)

„Soul Food“ ist ein sehr berührendes Buch und handelt von der Suche einer jungen Frau nach ihrem Platz im Leben, ihrer Zukunft und ihren Wurzeln. Aber es ist noch so viel mehr. Eine sehr poetische Geschichte über Freundschaft, Homosexualität und Rassismus, über das Erwachsenwerden und die Abnabelung von der Familie – und darüber, endlich wieder seinen Gefühlen und Instinkten zu (ver)trauen.
Es ist natürlich auch ein Buch über die Fusion-Küche, das man dank Elizabeth Acevedos Beschreibungen mit allen Sinnen genießen kann und das einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Und nicht zuletzt beinhaltet es drei wunderbar zarte Liebesgeschichten, die zum Hoffen und Träumen einladen.

Bewertung vom 30.04.2021
Der Himmel über der Stadt / Fräulein Gold Bd.3
Stern, Anne

Der Himmel über der Stadt / Fräulein Gold Bd.3


ausgezeichnet

Hulda liebt die Arbeit als Hebamme in ihrem Viertel und ihre Unabhängigkeit. Doch ihre Einkünfte werden imme wenigerr. Ein Ehemann, der ihr ihre Freiheiten und ihre Arbeit lässt, wäre die Lösung. Aber Karl scheint keine Zukunftspläne mit ihr zu haben. Also nimmt sie eine Stelle in Frauen-Universitätsklinik Berlin-Mitte an – endlich feste Arbeitszeiten und ein gutes Gehalt. Doch dort ist sie nur noch Handlangerin. Die eigentlichen Geburten betreuen die Ärzte, immer mit Hebammenschülerinnen, Praktikanten und Assistenzärzten im Schlepptau. Alles ist unpersönlich, nur auf den medizinischen Aspekt ausgerichtet. Hulda hadert mit der Situation und überlegt, doch wieder aufzuhören. Die leitenden Ärzte sind untereinander uneins, es gibt Kompetenzgerangel und einen (Wett-)Streit um eine Professur. Zudem fällt Hulda auf, dass es unnatürlich viele Todesfälle unter den Gebärenden gibt. Sie weiß zwar, dass die Todesrate bei Hausgeburten noch höher ist, aber die Art und Weise, wie bzw. woran die Frauen sterben gibt ihr zu denken. Natürlich kann sie ihre Neugierde nicht zügeln ...

„Fräulein Gold – Der Himmel über der Stadt“ ist bereits der dritte Teil der Reihe mit der forschen und furchtlosen Hebamme, die sich von kaum jemandem etwas sagen lässt und sich jetzt mit ihren Vorgesetzten anlegt. Doch den Frauen gegenüber sie ist sehr mitfühlend und kann nicht nein sagen, wenn sie um Hilfe bitten. Sei es, weil eine nicht schwanger werden kann oder will oder es nicht sein darf. Dass Hulda sich damit selber in Gefahr bringt, weil Verhütung nicht gern gesehen und Abtreibung verboten ist, ignoriert sie einfach. Sie vertritt die Meinung, dass die Frauen selber über ihren Körper bestimmen sollen. Für diese fortschrittliche Einstellung bewundere ich sie sehr, denn Frauen hatten damals als Ehefrauen und Mütter ihren Platz im Leben zu suchen und zu finden.
Dass Hulda diesem Frauenbild so gar nicht entspricht, fand Karl immer sehr anziehend, doch langsam will sie mehr – vielleicht sogar irgendwann ein eigenes Kind im Arm halten. Aber ist Karl wirklich der richtige dafür? Er flüchtet sich immer mehr in den Alkohol und hat aufgehört, nach seiner Herkunft zu suchen, scheint nichts mehr zu haben, was ihm Halt gibt. Außerdem ist da ein junger Assistenzarzt in der Klinik, der Hulda schon am ersten Tag auffällt. Es knistert zwischen ihnen. Ist er vielleicht der Richtige für eine gemeinsame Zukunft?

Obwohl einige Leser bestimmt wieder einen Krimi erwarten, ist der dritte Band eher ein Spannungsroman, wenn auch ein extrem fesselnder. Karl jagt einen Mörder, der es auf junge, homosexuelle Männer abgesehen hat und Hulda versucht die Todesfälle in der Klinik aufzuklären. Zudem feindet einer der Ärzte sie immer wieder wegen ihrer jüdischen Herkunft an und sie muss sich auch mit der Beziehung ihrer Eltern auseinandersetzen. Doch nicht nur Hulda, auch ihr Freund Bert, der Kioskbesitzer, bekommt die Vorläufer des Nationalsozialismus zu spüren.

Die Autorin Anne Stern hat Huldas Zerrissenheit zwischen Fortschritt und Individualität, Gehen oder Bleiben, Karl oder Assistenzarzt sehr gut herausgearbeitet. Ich bin fasziniert, wie liebevoll sie selbst die kleinsten Nebenfiguren gestaltet und habe neben Bert zwei neue heimliche Lieblinge, den Pförtner der Klinik, ein echtes Faktotum, und seine Tochter.
Sie schildet den Klinikalltag, den medizinischen Fortschritt und die Behandlungsmethoden sehr anschaulich, aber trotzdem steht immer Hulda im Vordergrund, ihr Ringen um das Wohl der Patientinnen und deren Kinder.
Aber auch die goldenen 20er lassen sich schon erahnen. Hulda tanzt nach dem Dienst schon mal in schummrigen Kneipen die Nächte durch, raucht und trinkt, feiert das Leben. Anne Stern versteht es meisterliche, die damalige Zeit lebendig werden zu lassen, die Nöte und Sorgen ihrer Protagonisten eindringlich zu schildern.

Auch der dritte Band mit Hulda Gold ist ein echtes Highlight und ich fiebere jetzt dem vierten entgegen, denn die kleine Romantikerin in mir

Bewertung vom 25.04.2021
Der tote Rittmeister / Viktoria Berg Bd.2
Dix, Elsa

Der tote Rittmeister / Viktoria Berg Bd.2


ausgezeichnet

Das verschwundene Mädchen

„Viktoria atmete tief ein. Endlich war sie da.“ (S. 21)
Juni 1913: Viktoria Berg verbringt die Sommerfrische wieder auf Norderney. Sie ist inzwischen Lehrerin und besucht hier ihre Schülerin Elli, die wegen einer schweren TBC im Seehospiz liegt. Am Tag zuvor ist deren beste Freundin Rike verschwunden und Elli bittet sie, diese zu suchen. Als die Krankenschwestern behaupten, Rieke existiere nur in Ellis Fantasie, wird Viktoria hellhörig – sie glaubt ihrer Schülerin mehr und begibt sich auf die Suche nach der Verschwundenen.
Auch der Journalist Christian Hinrichs ist wieder auf der Insel. Er berichtet über die Feierlichkeiten zum 25jährigen kaiserlichen Thronjubiläum, als bei einem Offiziersrennen zu Pferd am Strand ein toter Rittmeister gefunden wird. Christian fällt sofort auf, was bei dem Toten alles nicht stimmt und teilt dies dem ermittelnden königlichen Badekommissar mit, der ihn daraufhin als Hilfsbeamten rekrutiert.

„Der tote Rittmeister“ ist der zweite Band mit den unkonventionellen Ermittlern Viktoria und Christian, die sich im Vorjahr hier auf Norderney kennengelernt und zusammen einen Mord aufgeklärt haben. Aus der sich dabei vorsichtig anbahnenden Beziehung ist leider nichts geworden, weil Viktoria als Lehrerin nicht verheiratet sein darf und ihr der Beruf und damit ihre Selbstverwirklichung wichtiger war als ein Ehemann. Christian konnte ihre Entscheidung nicht nachvollziehen und ist immer noch sauer. Doch da Rieke und der tote Rittmeister oft zusammen gesehen wurden und sie ist ausgerechnet in der Nacht verschwand, als er ermordet wurde, begegnen sich Viktoria und Christian im Rahmen ihrer Ermittlungen wieder und sind sich schnell einig: Das kann kein Zufall sein!

Wie bereits bei „Die Tote in der Sommerfrische“ verbindet die Autorin Elsa Dix einen extrem spannenden Kriminalfall mit dem tollen historischen Setting von Norderney und lässt so Geschichte wieder lebendig werden. Sie schildert das mondäne Leben auf der Insel, beschreibt sehr anschaulich die schicken teuren die Hotels und die gutsituierten Gäste. Man trifft sich zu Tee und Mokkatorte, Salonkonzerten oder Abendveranstaltungen und es werden zukünftige Ehen angebahnt. Auf der anderen Seite marschieren aber auch Kinder in Uniform und strenger Formation über die Promenade und die Borkum rühmt sich, die erste judenfreie Insel der Nordsee zu sein – der Nationalsozialismus ist bereits zu erahnen.
Die Ermittlungen gestalten sich schwieriger als gedacht und gehen in verschiedenen Richtungen, was das Miträtseln besonders interessant machte. Ich hatte diesmal zwar relativ früh einen Verdacht, aber der war natürlich nur ein Teil der Lösung und der Täter und sein Motiv haben mich am Ende dann doch sehr überrascht.

Ich mag an Viktoria und Christian besonders, wie modern und aufgeschlossen sie sind. So diskutiert Viktoria leidenschaftlich über das Thema Frauenwahlrecht und verprellt damit die Damen und Herren von Stand und Christian lässt sich weder von der Familie des Toten noch vom Inselpolizisten in seine Nachforschungen reinreden.
Auch zwischenmenschlich knistert es wieder, Viktoria hat einen gutsituierten Verehrer und Christian ist eifersüchtig – ich hoffe sehr, dass aus ihnen doch noch ein Paar wird.
Außerdem bekommt Christian ein Angebot des königlichen Badekommissar, über das er ernsthaft nachdenken muss, denn sein Job als Journalist füllt ihn schon lange nicht mehr aus …

5 Sterne und meine Leseempfehlung für diesen spannenden, charmanten und sehr kurzweiligen historischen Nordseekrimi mit viel mondänem Flair. Kaum ausgelesen, hoffe ich schon auf das nächste Abenteuer von Viktoria und Christian.

Bewertung vom 22.04.2021
Die Tochter meines Vaters / Bedeutende Frauen, die die Welt verändern Bd.2
Seidel, Romy

Die Tochter meines Vaters / Bedeutende Frauen, die die Welt verändern Bd.2


ausgezeichnet

Auf den Spuren ihres Vaters

Sigmund Freud dürfte jedem Interessierten ein Begriff sein, aber wer kennt schon seine Tochter Anna? Ich bin ehrlich, ich hatte noch nie von ihr gehört, dabei war sie eine Vorreiterin auf dem Gebiet der Kinderanalyse.

Romy Seidel beschreibt in „Die Tochter meines Vaters“ wie eng das Leben von Vater und Tochter in den Jahren 1922 bis 1939 (bis zu seinem Tod) verknüpft war. Sie erzählt von der Liebe einer Tochter zu ihrem Vater, der fast bedingungslosen Selbstaufgabe und jahrelangen Pflege während seiner schlimmen Krebserkrankung, aber auch, wie Anna nach seiner Anerkennung für ihre Arbeit strebt, nach seinem Lob. Sie war seine Vertraute, Sekretärin und Vertretung, hat sich stets um ihn gesorgt und ihm umsorgt – und oft auch niemanden an ihn rangelassen, ihn von allen anderen abgeschirmt, hatte ich das Gefühl.
Als jüngstes von 6 Kindern hat sie ihm immer nachgeeifert und sich, obwohl sie Lehrerin war, von ihm zur Analytikerin ausbilden lassen. Trotzdem arbeitete sie erst „nur“ als Englisch-Übersetzerin in seinem Psychoanalytischen Verlag und behandelte die Patienten mit ihm zusammen. Erst mit 27 spezialisierte sie sich auf die Behandlung von Kindern, ein bis dahin unerforschtes Gebiet, gründete Kitas, Schulen und Kinderheime (für Kriegswaisen) „Ich möchte Kindern helfen, ihre Angst zu verlieren und sie stark fürs Leben machen.“ (S. 49)
Anna hat sich nie nach einem Mann und eigenen Kindern gesehnt, aber sie träumte von Zweisamkeit, jemanden der sie versteht und so nimmt wie sie ist. Die ungewöhnliche Beziehung, die sie dann eingeht, scheint in der Familie nie groß thematisiert oder diskutiert worden zu sein und auch die Autorin geht sehr sensibel und rücksichtvoll mit dem Thema um.
Dadurch, dass Anna immer bei ihren Eltern gewohnt hat, bekommt man auch einen sehr guten Einblick in das Familienleben der Freuds.

Romy Seidel ist es gelungen, ein sehr lebendiges, unglaublich fesselndes und informatives Portrait über diese starke Frau zu verfassen. Sie beschreibt Annas intuitive Arbeit mit den kleinen Patienten sehr anschaulich, wie lernfähig und flexibel sie war, dass sie immer wieder Neues ausprobiert und sich nicht geärgert hat, wenn mal was schief gegangen ist.
Ich bin durch die 400 Seiten förmlich geflogen und fand es etwas schade, dass Annas Leben nach dem Tod ihres Vaters nur noch kurz umrissen wurde, denn ihre Karriere war da noch längst nicht vorbei. Ich hätte nochmal 400 Seiten über sie lesen können …

Bewertung vom 21.04.2021
Mord frei Haus / Daphne und Francis Penrose Bd.3
Chatwin, Thomas

Mord frei Haus / Daphne und Francis Penrose Bd.3


sehr gut

Ich schenk Dir einen Toten

… steht auf der Karte an der Leiche, die in rotes Geschenkpapier mit einer riesigen Schleife verpackt vor Annabelles Tür liegt. Nach der Polizei ruft Annabelle sofort ihre Tante Daphne Penrose an – die Postbotin und ihr Mann Francis haben nämlich bereits zweimal bewiesen, dass sie schlauer sind und sich in Cornwall besser auskennen als Chief Inspector James Vincent. DCI Vincent verdächtigt dann auch tatsächlich nur Annabelle, weil der Tote ihr Nachbar George Huxton ist, der sie unermüdlich mit Prozessen überzogen hat. Allerdings hat sich Huxton bei fast allen Bewohnern des Städtchens Fowey unbeliebt gemacht – aber wer von ihnen würde ihn deswegen ermorden?
Huxton bleibt nicht der einzige Tote und der Mörder schickt noch weitere Nachrichten an Annabelle, trotzdem haben Daphne und Francis Probleme, ihn zu ermitteln. Sie müssen tief Huxtons Vergangenheit und in den Geheimnissen ihrer Mitbürger wühlen, um dem Täter auf die Spur zu kommen. Damit bringt sich Daphne selber in Lebensgefahr.
Außerdem sorgen sie sich um ihre Freundin Lady Wickelton. Die Gesundheit der alten Dame verschlechtert sich rapide und DCI Vincent versucht das auszunutzen und ihr das Haus abzukaufen, dabei wollte die es für ein Museum stiften.

„Mord frei Haus“ ist bereits der dritte Band der Cornwall-Krimi-Reihe von Thomas Chatwin mit der ermittelnden Postbotin, aber man muss die Vorgängerbände nicht zwingend lesen, da die Handlung jeweils in sich abgeschlossen ist.

Daphne und Francis sind sehr sympathische Ermittler. Sie drängen sich den Auszufragenden nicht auf, sondern gehen sehr geschickt vor. Zudem erfahren sie als Postbotin und Hafenmeister sowieso viele Neuigkeiten vor allen anderen. Ich mag das Pärchen, weil sie auch nach 25 Jahren Ehe noch so harmonisch miteinander umgehen, ihrem Partner alle Freiheiten lassen und genau wissen, was sie aneinander haben und wie sie den anderen nehmen müssen. Sie sind beide sehr clever und geübt im Umgang mit Menschen, man vertraut sich ihnen gern an.

Die Handlung ist spannend und verzwickt. Ich hatte zwar einige Vermutungen zum Täter und seinem Motiv, aber die waren am Ende natürlich falsch. Wobei mir für Auflösung dann ein paar zu viele Zufälle zusammenkamen, aber dafür gab es einen sehr amüsanten Nebenstrang …

Thomas Chatwin versteht es den Leser zu fesseln, gut zu unterhalten und Lust auf Urlaub in Cornwall zu machen. Ich bin schon sehr gespannt auf den nächsten Fall von Daphne und Francis.

Bewertung vom 18.04.2021
Die Bildhauerin / Außergewöhnliche Frauen zwischen Aufbruch und Liebe Bd.5
Rosenberger, Pia

Die Bildhauerin / Außergewöhnliche Frauen zwischen Aufbruch und Liebe Bd.5


ausgezeichnet

Mitarbeiterin, Modell, Geliebte

„Die Bildhauerei war ihr Ursprung und ihr Lebensquell. Wenn sie nicht modellierte, hörte sie auf zu existieren.“ (S. 12) Camille Claudel formt schon als Kind Figuren aus Lehm und zwingt das Dienstmädchen, diese im Ofen zu brennen. Für sie ist klar, dass sie Bildhauerin werden will – nur Bildhauerin. „Ich werde niemals heiraten ... Ich lasse nicht zu, dass mir einer meine Freiheit raubt und mir verbietet, mich meiner Kunst zu widmen.“ (S. 20) In den Augen ihrer Mutter ist diese Äußerung ein Skandal, für sie kann eine Frau nur als Ehefrau und Mutter ihrer Bestimmung gerecht werden. Ihr Vater hingegen erkennt ihre außergewöhnliche Begabung schon früh und fördert sie entsprechend. Er ist sehr gebildet und hat eine umfassende Bibliothek, die Camille und ihr jüngerer Bruder Paul systematisch durcharbeiten.
1881 zieht die Familie nach Paris, wo Camille an der Académie Colarossi Unterricht bei dem Bildhauer Alfred Boucher erhält, obwohl er ihr nach eigener Aussage nicht mehr viel beibringen. Zusätzlich betreibt sie mit drei Engländerinnen, u.a. Jessie Lipscomp, noch ein eigenes Atelier, wo sie erst von Boucher und später von August Rodin unterrichtet werden. Der 24 Jahre ältere Rodin fasziniert Camille vom ersten Augenblick. Seine Kunst ist anders, naturalistisch, roh, expressiv, anregend – genau wie er. Obwohl sie immer wieder gewarnt wird, wird sie erst zu seiner Mitarbeiterin, dann zu seinem Modell und schließlich zu seiner Geliebten. „Weil ich ihn über alles liebe … Weil wir in unserer Arbeit perfekt harmonieren. … Weil er mir das Gefühl gibt, lebendig zu sein.“ (S. 228)

Pia Rosenberger hat mit „Die Bildhauerin“ ein ganz außergewöhnliches Portrait dieser Ausnahmekünstlerin geschaffen. Sie bringt dem Leser Camilles Ringen um Weiterentwicklung, Akzeptanz, Anerkennung („Kunst ist Kunst, egal, ob ein Mann oder eine Frau sie schafft.“ (S. 62)) und um Rodins bedingungslose Liebe nahe. Sie zeigt ihre Zielstrebigkeit und Ehrgeiz, wie sie fast schon verbissen um alles kämpft, was ihr wichtig ist und sich dabei auch über die Ansichten und Grenzen der damaligen Zeit hinwegsetzte.
Camille war sehr leidenschaftlich, intelligent und kreativ, scheint aber Umgang mit anderen Menschen sehr unnachgiebig gewesen zu sein. „Dir ist kein Preis zu hoch für dein Kunst, oder? Du bist sogar bereit, deine Freunde dafür zu opfern. Pass auf, dass du nicht irgendwann allein dastehst.“ (S. 22) Vielleicht lag das daran, dass sie nie eine richtige Kindheit hatte, von ihrer herrschsüchtigen und stets unzufriedenen Mutter nicht geliebt wurde und immer ihren Vater beeindrucken wollte, um seiner Förderung und seinen Ansprüchen gerecht zu werden.
Ihre Beziehung zu Rodin ist sehr symbiotisch und explosiv, beide sind nicht besonders kompromissbereit, wenn es um ihre Arbeit und ihre Vorstellung vom Zusammensein geht. „Rodin war ein Menschenfresser, der seine Modelle im Namen der Kunst abnagte und ihre Knochen nach getaner Arbeit ausspuckte und hinter sich warf.“ (S. 297) Doch so sehr sie sich auch privat fetzen, in der Kunst ergänzen sie sich perfekt. Sie reiben sich aneinander und entwickeln sich dabei weiter, interpretieren die gleichen Themen, tragen oft eine Art Wettkampf um die beste Umsetzung aus. Das gipfelt in ihrer Arbeit an der Sakuntala-Plastik, in der alle, die sie kennen, den Spiegel ihrer Beziehung zu Rodin sehen – die verlassene Frau, die immer wieder vergibt.

Auch ihr Bruder Paul und ihre innige Beziehung zueinander hat Eingang in das Buch gefunden. Auch er sieht sich in erster Linie als Künstler und grenzt sich von der Familie ab, aber im Gegensatz zu ihr sucht er einen Brotberuf, der ihm genügend Freiheiten lässt.

Das alles schildert Pia Rosenberger sehr lebendig und mitreißend, man kann sich in die Emotionen der verschiedenen Charaktere gut einfühlen. Sehr unterhaltsam fand ich auch die „Gastauftritte“ von Claude Debussy, der Camille ebenfalls umgarnt ...

Bewertung vom 15.04.2021
Pension Herzschmerz
Below, Christin-Marie

Pension Herzschmerz


ausgezeichnet

Proseccolaune

Als drei Freundinnen in einer Proseccolaune die Gartenlaube auf Nordeney, in der sie untergekommen sind, auf den Namen „Pension Herzschmerz“ taufen, wissen die noch nicht, dass ihr langgehegter Traum von einer eigenen Pension Wirklichkeit werden könnte ...

Lou, Anna und Kim sind Mitte 20. Als Kim anruft, dass sie sich den Fuß gebrochen hat, ist ganz klar, dass Lou und Anna sie besuchen fahren. Schließlich lebt Kim da, wo andere Urlaub machen – auf Norderney. Doch Kim hat nicht nur einen gebrochenen Fuß, sondern ist auch noch unglücklich verliebt. Anna hat sich gerade erst von ihrem untreuen Freund getrennt und je länger Lou mit ihnen zusammen ist, desto klarer wird ihr, dass auch sie schon lange nicht mehr glücklich ist in ihrer Beziehung. Als sie hören, dass die Pension, in der Kim ihren Fußpflegesalon betreibt, bald einen neuen Pächter sucht, werden sie hellhörig – davon haben sie schließlich früher schon geträumt. Ein Konzept hätten sie auch schon. Inspiriert von ihrer eigenen Situation. Sie würden in ihrer Pension Frauen und Männern helfen, den Liebeskummer zu überwinden. „Was hat das Meer nur an sich, dass es einem sofort besser geht, sobald man es sieht?“ (S. 54)

Die drei Freundinnen sind sehr verschieden und ergänzen sich dadurch perfekt. Anna ist eine starke Persönlichkeit, impulsiv und lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Sie hat ständig neue Träume und sucht noch ihren Platz im Leben und im Beruf. Lou ist eher still, angepasst und hatte gedacht, dass sie mit ihrem Nils die perfekte Beziehung führt. Kim ist eine Macherin und vor ihrer Familie regelrecht nach Norderney geflüchtet. Sie hat sich auf der Insel gut eingelebt und wird von allen gemocht. Sie sind eigentlich im besten Alter und noch unabhängig, um zusammen neu durchzustarten, aber trauen sie sich auch und vor allem, bekommen sie den Zuschlag für die Pension?
Auf der Suche nach Unterstützern für ihre Idee lernen sie Norderney und seine Bewohner näher kennen, neben dem Inselchor (alles Männer!) und deren Frauen vor allem den erstaunlich jungen Bürgermeister und die älteste Insulanerin.

Das Buch macht Lust auf Norderney, Erdnussbutter-Cookies und Milchreis als Seelenschmeichler. Die Insel, ihre Besonderheiten und Strände werden sehr anschaulich beschrieben.

„Pension Herzschmerz“ von Christine-Marie Below ist ein charmanter, warmherziger, überraschender, tiefgründiger und humorvoller Wohlfühlroman mit Tiefgang über beste Freundinnen, die zusammen dem Liebeskummer trotzen und sich vielleicht sogar neu verlieben – und das nicht nur in die Nordseeinsel …

Mein Lieblingszitat aus dem Buch ist übrigens: „… wenn du schon in den Seilen hängst, dann schaukele wenigstens ordentlich.“ (S. 98)

Bewertung vom 13.04.2021
Träume von Freiheit - Ferner Horizont
Böschen, Silke

Träume von Freiheit - Ferner Horizont


ausgezeichnet

Ein echte Schlammschlacht

… ist die Scheidung von Florence und Henri de Meli in den 1880er Jahren in New York. Sie zieht sich über Jahre hin, die Presse berichtet ausführlich und die Öffentlichkeit fiebert mit. Florence wird ungewollt zum Vorbild für die unglücklichen, scheidungswilligen Frauen der damaligen Zeit.

Wie es zu diesem Prozess kam und warum Florence unbedingt nach amerikanischem Recht geschieden werden wollte, erzählt Silke Böschen im zweiten Teil ihrer Reihe „Träume von Freiheit – Ferner Horizont“, der auf Florence de Melis Leben basiert.
Alles beginnt 1881. Florence und Henri sind zwar Amerikaner, leben aber in der amerikanischen Kolonie in Dresden. Er ist 11 Jahre älter als sie und muss nicht arbeiten, denn seine Mutter kommt für alle Ausgaben auf. Florence genießt das Leben in der High Society, die Bälle und Empfänge, aber sie engagiert sich auch in der amerikanischen Gemeinschaft und für die Wohltätigkeit, singt im Chor. Das Paar hat zwei kleine Kinder, die Florence über alles liebt. Leider mischt sich Henris Mutter immer mehr in das Familienleben ein, sie hat Florence noch nie gemocht. Und da eine Scheidung in dieser Gesellschaftsschicht nicht in Frage kommt, schmieden Henri und seine Mutter den Plan, Florence für verrückt erklären zu lassen und weisen sie in eine Irrenanstalt ein …

Silke Böschen ist wieder ein echter Schmöker gelungen. Die über 500 Seiten lesen sich extrem flüssig und haben mir einen verregneten Tag versüßt.
Henri und Florence sind sehr verschieden. Er fühlt sich von der Lebenslust und Energie seiner Frau oft überfordert und schickt sie regelmäßig zur Erholung zur Kur. Während er ruhige Abende mit einem ausgiebigen Dinner und danach dem einen oder anderen Glas Absinth liebt, geht sie gern aus, hat viele Freunde und nach Henris Ansicht flirtet sie zu offensiv und zu viel. Auch bei der Erziehung der Kinder sind sie sich uneins. Er ist extrem streng zu ihrem Sohn und züchtigt ihn regelmäßig. Sie selbst wird von ihm und seiner Mutter zwar „nur“ mit Worten verletzt, trotzdem ist die Situation für sie kaum auszuhalten. Aber wegen der Kinder hält sie es aus.
Mir hat sehr gut gefallen, wie die Autorin die Dynamik des Paares inkl. der Schwiegermutter geschildert hat, wie sich die Situation immer mehr aufheizt, bis Henri sich nur noch durch Florence‘ Einweisung zu helfen weiß.

Auch das Umfeld, in dem die Handlung angesiedelt ist, wird sehr anschaulich beschrieben. Als echte Dresdnerin habe ich meine Stadt wiedererkannt (wobei ich erst durch das Buch erfahren habe, dass es hier mal eine amerikanische Siedlung gab) und auch die Kureinrichtungen, in den Florence untergebracht wird, gibt es zum Teil heute noch. Zum Glück sind aber die Anamnese- und Behandlungsmethoden heute nicht mehr die gleichen, die waren zum Teil nämlich sehr erschreckend.

Ich habe nur zwei klitzekleine Mankos anzumerken. Zum einen hatte ich ausgehend vom Klappentext hauptsächlich Florence Flucht quer durch Europa bis nach Amerika und den Kampf um ihre Scheidung und die Kinder erwartet und zum anderen war mir das Verhalten der Protagonisten an einigen Stellen etwas zu überzogen.