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MaWiOr
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Halle

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Insgesamt 3573 Bewertungen
Bewertung vom 13.08.2022
Die Tournee
Fauser, Jörg

Die Tournee


ausgezeichnet

„Die Tournee“ ist ein Roman aus dem Nachlass des relativ früh verstorbenen Autors. Als er neun Monate später bei einem Unfall ums Leben kommt, ist das Buch noch unvollendet. Die Protagonisten sind drei Personen, die sich auf dem absteigenden Ast befinden. Da ist Harry Lipschitz, Mitglied der 8. Abteilung der Schöneberger SPD und ehemaliger Mitarbeiter des Ostbüros, dem nicht nur das Herz zu schaffen macht. Der gescheiterte Lebenskünstler Guido Franck dagegen ist Münchner Galerist und die alternde Schauspielerin Natascha Liebling „mit dem Lächeln für alle Fälle, die mit einem Provinztheater als gescheiterter Filmstar mit einem Boulevardstück durch die deutschen Lande tingelt.

Verknüpft werden die Geschichten durch die ebenso planvollen wie rätselhaften Aktivitäten eines Mannes, „der sich Charles Kuhn nannte, aussah wie ein Filmstar, sich benahm wie ein Ganove und sich ausdrückte wie ein Philosoph“, und der ehrgeizigen Journalistin Vicky Borchers-Bohne, die die Tournee begleitet.

Wie immer bei Fauser verwischen sich die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Der Roman ist ein Abbild der Bundesrepublik in den späten 1980er Jahren. Die gebundene Diogenes-Ausgabe, die zum 75. Geburtstag erschien, wird neben Exposés und Entwürfen und den Text „Die Wunde der Komödianten – Mit dem Theater auf Tournee“ des Autors auch durch zwei weitere Beiträge ergänzt: „Bühnenreif – Mein Freund, der stille Anarchist“ (Detlef Bernd Blettenberg) und „Der Roman als Apfelsine – Jörg Fausers Arbeit an seinem letzten Buch (Jan Bürger). Eine weitere Besonderheit: jedes Kapitel des Romans beginnt mit einem Faksimile von Fausers Manuskript.

Bewertung vom 12.08.2022
Ich liebe eine Tigerente
Janosch

Ich liebe eine Tigerente


ausgezeichnet

Was kann man schon an einer getigerten Ente aus Holz finden? Der grüne Günter Kastenfrosch liebt sie jedenfalls. Doch in einer Beziehung läuft nicht immer alles glatt. So ist es auch bei den beiden.

Und so erzählt Janosch in Bild und Text über den abwechslungsreichen Alltag des scheinbar ungleichen Paares. Da kommt es schon einmal zum Krach, dass der oft großmäulige Günter am liebsten mit der Faust auf den Tisch hauen will, doch danach kommt es zur Versöhnung. Eine überaus menschliche Beziehungskiste, die Janosch mit seinen beliebten Figuren da unter die Lupe nimmt. Natürlich mit Humor, denn ohne Humor wird das Ideal einer romantischen Liebe unerträglich. Sie besteht nicht nur aus wildem Herumküssen sondern aus der gemeinsamen Bewältigung des Alltags.

Fazit: Ein witziger Ratgeber für alle Lebenslagen mit Augenzwinkern und tieferem Hintergrund, der zudem in jede Hand- oder Gelenktasche passt.

Bewertung vom 11.08.2022
Andalusische Radierungen/Eaux-fortes andalouses
Phelps, Anthony

Andalusische Radierungen/Eaux-fortes andalouses


ausgezeichnet

Der haitianische kanadische Schriftsteller Anthony Phelps (Jg. 1928) ist als Lyriker, Prosaautor, Journalist und bildender Künstler aufgetreten. Als Gegner des Diktators Duvalier musste er 1964 nach einem Gefängnisaufenthalt ins Exil nach Montreal gehen, wo er noch heute lebt. Sein literarisches Werk umfasst etwa dreißig Bücher. In deutscher Übersetzung erschienen vor einigen Jahren die ersten Prosawerke. Nun liegt mit „Andalusische Radierungen“ erstmals eine Auswahl seiner Gedichte in deutscher Sprache vor. Die Originale wurden verschiedenen Lyrikbänden entnommen – meist aus den 1980er und 2000er Jahren.

Wie die Prosa ist auch die Lyrik von Anthony Phelps, der in dem chilenischen Nobelpreisträger Pablo Neruda sein großes Vorbild sah, eng mit der Geschichte seines Heimatlandes verbunden – trotz seines langen Exils. Sie legen ein Zeugnis ab von der haitianischen Wirklichkeit – „Doch eines Morgens / kamen sie über die salzige Straße hierher / und säten Schrecken in den Herzen deiner Kinder aus.“ Vielfach besingt Phelps, der sich selbst als Nomade bezeichnet, auch die Schönheit der Karibik: „Karibik / grünes Maya-Dschungel-Meer / Graues Ruinenmeer / Karibik des kopfüber blickenden Gotts / Karibik des hohen Heldentums.“

Oft sind es wunderbar märchenhafte Verse, geprägt von tropischer Sinnlichkeit und Exotik, u.a. in „Schwarze Orchidee“, einer Ode auf das Weibliche. Der Schönheit der kanadischen Metropole Montreal, die ihm eine zweite Heimat geworden ist, widmet er ebenfalls ein Epos. In dem titelgebenden Gedic
ht „Andalusische Radierungen“ blickt er noch einmal auf das Land seiner Kindheit und Jugend zurück.
Die Gedichte wurden von Rike Bolte, der Begründerin und Kuratorin des Poesiefestivals Latinale, ins Deutsche übertragen, während der Literaturwissenschaftler Peter Klaus in seinem Vorwort über die Biografie und das Werk von Anthony Phelps informiert.