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Magnolia
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Bayern

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Insgesamt 622 Bewertungen
Bewertung vom 03.07.2022
Der Bewunderer: Thriller
Shepherd, Catherine

Der Bewunderer: Thriller


ausgezeichnet

Endlich heißt es wieder: Laura Kern ermittelt. Mit ihrem neuesten Thriller hat sich Catherine Shepherd wiederum selbst übertroffen – falls dies überhaupt möglich ist. Der 7. Band um die Ermittlerin hat es in sich, der Prolog setzt den „Bewunderer“ gleich mal in Szene.

Und dann liegt sie da, diese wunderschöne Frau. Inmitten eines Sees. Dieser wurde bis auf wenige Details perfekt auf eine riesige Leinwand gemalt. Wer ist sie und warum diese zur-Schau-Stellung?

Bald ist eine junge Frau abgängig, bei einer anderen finden sich äußerst suspekt agierende Gestalten in deren Nähe. Die Hintergründe werden durchleuchtet und man ist geneigt, den doch recht finsteren Typen böse Absichten zu unterstellen - ich habe mich gleich mal auf einen Täter eingeschossen. Auch wenn so einiges dagegen spricht, so finden sich genauso viele Argumente für diese Täter-These. Auch drängt sich der Gedanke an die Frau im Prolog immer wieder auf – ist sie schon in Erscheinung getreten, ist sie in Gefahr oder vielleicht schon das nächste Opfer?

Die Ermittlungen führen ins Künstlermilieu, daneben blicken wir 21 Jahre zurück. Zwei Brüder werden näher durchleuchtet, der ältere will den jüngeren beschützen. Was ist das für eine Story? Sie will nicht so recht zu der eigentlichen Geschichte passen, wir lesen immer mal wieder dazwischen Rätselhaftes.

Die Charaktere sind allesamt authentisch, als Leser komme ich dem Geheimnis keinen Schritt näher, die Autorin legt gekonnt falsche Fährten. Auch „Der Bewunderer“ ist ein Buch, das ich nicht weglegen konnte. Ab der ersten Seite war es fesselnd, außerordentlich spannend und total undurchsichtig. Wohl dosiert wird ein wenig Privates eingestreut - diesmal ist es eher Max, Lauras Kollege und guter Freund. Das perfide Spiel mit den schönen Künsten wird dadurch aufgelockert.

Das Buch ist ausgelesen, ich kenne den „Bewunderer“. Es waren wiederum sehr kurzweilige und äußerst rätselhafte Lesestunden. Genau so, wie ich es von Catherine Shepherd gewohnt bin. Ihre Bücher sind allesamt Spitzenklasse, ich kann sie sehr empfehlen.

Bewertung vom 03.07.2022
Sturmrot (MP3-Download)
Alsterdal, Tove

Sturmrot (MP3-Download)


ausgezeichnet

Mit „Sturmrot“ hat Tove Alsterdal den ersten Band der Trilogie um die Ermittlerin Eira Sjödin vorgelegt, „Erdschwarz“ und „Nebelblau“ werden folgen.

Nach 20 Jahren kehrt Olof Hagström zurück ins Haus seiner Kindheit, sein Vater lebt vermutlich noch immer dort. Hier angekommen, findet er diesen erstochen vor. Kehrt sein Kindheitstrauma zurück? Als 14jähriger hat ihn sein Vater vertrieben, nachdem Olof den Mord an einer Jugendlichen gestand.

Auch die Polizistin Eira Sjödin hat sich entschlossen, Stockholm ade zu sagen. Ihre demente Mutter kann nicht mehr alleine leben und Eira will sich um sie kümmern. An den damaligen Mordfall kann sie sich nur noch vage erinnern, sie war einfach zu jung. Und nun, bei den Ermittlungen um den Tod eines älteren Mannes, stolpert sie über diesen Mordfall und das Geständnis des 14jährigen Olof, der Fall Lina Stavred, wie die junge Frau hieß, drängt sich immer wieder dazwischen.

Eira ist eine sehr nahbare Ermittlerin. Nicht nur als Polizistin lerne ich sie kennen, ich begleite sie durch ihren Alltag. Sie ist ein sehr sympathischer Charakter, ist zielstrebig und vielschichtig. Dieser erste Band hat mich neugierig gemacht auf die beiden Folgebände, Tove Alsterdal hat diese Figur sehr glaubwürdig angelegt.

Es geht um sehr viel mehr, als es der Anfang vermuten lässt. Immer tiefer taucht Eira ein, gräbt an Stellen, wo es richtig weh tut, findet Zusammenhänge, zieht ihre logischen Schlüsse daraus, lässt sich von nichts und von niemandem aufhalten. Diese Ermittlerin muss ich unbedingt im Auge behalten, sie verspricht kurzweilige Stunden und gute kriminalistische Unterhaltung.

Der ungekürzten Hörbuchfassung vom Argon Verlag habe ich 11 Stunden und 20 Minuten gebannt gelauscht. Heike Warmuth gibt mit ihrer ausdrucksstarken Stimme die Stimmung gekonnt wieder, verleiht jeder einzelnen Person ihren ganz eigenen Charakter.

Der gelungene Auftakt zur Eira-Sjödin-Trilogie macht Lust auf mehr. „Das Spannungs-Highlight aus Schweden“ gibt Einblick in menschliche Abgründe. Sehr lesens- bzw. hörenswert!

Bewertung vom 02.07.2022
Das Marterl
Laubmeier, Johannes

Das Marterl


sehr gut

Johannes Laubmeier lebt schon lange nicht mehr in seiner Heimatstadt, A. nennt er sie kurz und bündig. Wer es denn wissen will, um welche niederbayerische Kleinstadt es sich handelt, wird sicher fündig. Ein Bub ist er noch, als seine heile Welt in sich zusammen stürzt. Der Vater verunglückt mit seinem Motorrad tödlich.

„Je länger etwas zurückliegt, desto stärker tritt es einem vor Augen.“ Die Zeit heilt Wunden sagt man, die Erinnerung verklärt so manch traumatisches Erlebnis, anderes tritt in den Hintergrund, man vergisst es und wieder anderes bleibt lebendig, man empfindet es im Nachhinein sehr viel intensiver.

Ein Marterl wird von den Hinterbliebenen zur Erinnerung an ein Unglück aufgestellt, man sieht sie immer wieder am Wegesrand. Ob der Erzähler eines dieser Wegekreuze meint oder ob eher die Bilder seines Vaters in seiner Phantasie geweckt werden, als Metapher sozusagen – wer weiß.

Johannes kommt alleine ins Haus seiner Eltern, in dem seine Mutter nach wie vor lebt, diese sich aber gerade auf Reisen befindet. Er will es so, will ungestört als erwachsener Mann der Vergangenheit nachspüren. Sein Leben sieht so ganz anders aus als das, was er hier immer noch vorfindet. Traditionsbehaftet sind sie schon. Diejenigen, die hier geblieben sind. Fest verwurzelt in A., es ist ihre Heimat.

Und so ziehen seine Kinderjahre an ihm vorüber, die Kapitel erzählen etwa von dem kleinen „Tiefseetaucher“, dessen Bild auf dem Cover sehr authentisch rüberkommt - „der Junge“ wie der Autor ihn nennt, wie er war, wie er mit seinem Vater so einiges erlebt. Viele Erinnerungen kommen wieder an die Oberfläche. Die Jahre der Kindheit wechseln sich ab mit Kapiteln vom heutigen Johannes. Wo und wie er lebt wird kurz angerissen, vor allem aber entdeckt er A. wieder.

Viel hat sich nicht verändert. Es ist eher ein nüchterner Blick ohne Emotionen. Eine Abrechnung mit seiner alten Heimat, so kommt es mir stellenweise vor. Mit dem Mief, dem Althergebrachten. Auf den Spuren seines Vaters habe ich ihn vermutet, aber je mehr ich lese, desto weniger glaube ich es ihm. Als ob er diejenigen verachtet, die hiergeblieben sind, die einen sehr beschränkten räumlichen Radius haben. Er, der aufgeschlossene Weltbürger, fühlt sich denen nicht mehr zugehörig. War er es je? Als Junge vielleicht…

Und dann lese ich weiter, nachdem ich das Buch ein paar Tage zur Seite gelegt habe. Und lerne Johannes und sein Anliegen anders kennen. Schicht für Schicht arbeitet er sich durch die Kartons und die alten Möbel im Schuppen, bis er auf Sachen seines Vaters stößt. Und Seite für Seite lese ich mehr, sehr viel mehr, sehr viel intensiver. Ich meine die Verbundenheit zu seinem zu früh verstorbenen Vater zu spüren. Es ist viel Zeit vergangen, er kann sich gerade an die emotionalsten Momente nicht mehr gut erinnern – ich kann es sehr gut nachempfinden.

Er, der Sohn vom Hans, hat sich die Erinnerung an seinen Vater auf seine Weise zurückgeholt. Es war ihm ein tiefes Bedürfnis.

„Das Marterl“ ist eine Biographie mit mehr oder weniger fiktionalen Elementen. Unsere Erinnerung – spielt sie uns nicht auch ab und an einen Streich, ist eher stellenweise fiktional? Ein Buch, das Emotionen weckt. Das ich gerne gelesen habe, das ich verurteilt habe. Mit dem ich mich versöhnt habe.

Bewertung vom 30.06.2022
Anschlag auf Olympia
Kellerhoff, Sven Felix

Anschlag auf Olympia


ausgezeichnet

Friedliche und heitere Spiele sollten es werden. Die Jugend der Welt trifft sich 1972 in München. Im olympischen Dorf entlang der Connollystraße hatten die Athleten der israelischen Mannschaft ihr Quartier. Am Morgen des 5. September drangen acht Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation „Schwarzer September“ in das Appartement der israelischen Sportler, sie kamen nahezu mühelos an ihr Ziel, nahmen die Israelis als Geiseln. Die Sicherheitsbedingungen waren sehr leger, nichts war abgeschlossen, keiner dachte ernsthaft an so ein Szenario.

Ein halbes Jahrhundert liegt dieses Drama zurück. Hätte es verhindert werden können?

„Was 1972 in München wirklich geschah“ ist ein gut recherchiertes Zeitzeugnis des Journalisten und Historikers Sven Felix Kellerhoff. Nicht nur er hat sich des Themas angenommen, es wurde viel über das Attentat geschrieben, es wurde mehrfach verfilmt und doch überlagerten fiktionale Sequenzen den wahren Sachverhalt. Nicht so hier. Kellerhoffs Darstellung ist immer durch Quellen belegt, im Anhang finden sich diese Nachweise.

Gegliedert in „Vorspiel“, „Drama“ und „Nachspiel“ lese ich eine Chronologie des „Anschlags auf Olympia“, beginnend mit dem „Überfall“.

Sehr interessante Hintergrundinformationen über das Zustandekommen und den Zuschlag für den Austragungsort München, den Sicherheitsvorkehrungen, die im Nachhinein nicht als solche bezeichnet werden können, folge ich gespannt. Es waren unruhige Jahre, die RAF war gefürchtet, die PLO verbreitete Angst und Schrecken, der Autor hat hierzu gut informiert. Die ganze Dramatik ist in kurzen Kapiteln dargestellt, die auch zeitlich und minutiös ein gutes Gespür der Abfolge geben. Zwischendurch sind Original-Bilder abgedruckt, die dem Gelesenen noch mehr Intensität verleihen.

Der Autor ist ein absoluter Kenner der deutschen Zeitgeschichte. „Anschlag auf Olympia“ ist ein Blick zurück auf das schockierende Attentat, auf all die Versäumnisse. Ein Sachbuch, das er für seine Leser gut lesbar aufbereitet hat. Diese wahre Begebenheit liest sich spannend und immer mal wieder kehrt die Erinnerung zurück. Die Gründung der GSG9, die ab April 1973 einsatzbereit war, war die Konsequenz aus den damaligen Ereignissen.
Ein Blick zurück auf die XX. Olympischen Spiele, die friedlich und heiter begannen und ein nie für möglich gehaltenes Ausmaß annahmen. Tragische und aufs Tiefste verstörende Stunden - ein Buch, das jeder an Zeitgeschichte Interessierte lesen sollte. Sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 30.06.2022
Mord in Montagnola / Moira Rusconi ermittelt Bd.1
Vassena, Mascha

Mord in Montagnola / Moira Rusconi ermittelt Bd.1


sehr gut

Auf Hermann Hesses Spuren wandelnd, bin ich in Montagnola gelandet. Und dies nicht, um mehr von einem meiner Lieblingsdichter zu erfahren, den es für etliche Jahre in diese malerische Gegend gezogen hat. Nein, in der Nevèra, einem der typischen historischen Tessiner Eiskeller, liegt ein Toter.

„Hochspannung vor malerischer Kulisse!“ Ja, ein kurzer Blick auf Cover und Titel und meine Neugier war geweckt, der Klappentext tat ein Übriges – diesen Krimi musste ich lesen. „Tödliches Tessin – der furiose Auftakt einer neuen Krimireihe“ macht Laune und Lust auf mehr.

Moira ist her gekommen, um nach Ambrogio, ihrem Vater, der einen leichten Schlaganfall hatte, zu sehen. Bald begegnet sie Luca, ihrer Jugendliebe, der als Rechtsmediziner arbeitet und sie in diesem ominösen Fall bittet, der örtlichen Polizei als Dolmetscherin zur Verfügung zu stehen.

Moira Rusconi ermittelt… und das, obwohl sie keine Polizistin ist. Sie arbeitet Chiara, der echten Polizistin, zu. Die beiden verstehen und vertrauen sich.

Wie eine erfrischende Brise lesen sich die ersten Seiten, dabei wollte ich nur mal kurz hineinschnuppern und bin direkt hängen geblieben. Sympathischen Charakteren, allen voran Moira und Luca, habe ich über die Schulter geschaut.

Der erste Zwischenfall ist schon beunruhigend: Original Hesse-Briefe sind verschwunden. Ambrogio als ehemaliger Literaturprofessor ist wohl der richtige Ansprechpartner in dieser Angelegenheit. Und natürlich muss in dem Mordfall ermittelt werden. Moira hat das richtige Gespür und gibt auch dann nicht auf, als der Fall scheinbar gelöst ist.

Ein Krimi, der mit der richtigen, wohldosierten Mischung aus Mordermittlung und Privatem gut unterhält. Die so unterschiedlichen Protagonisten sind überzeugend und lebensnah dargestellt, die Handlungsstränge logisch nachvollziehbar, wenn auch ein wenig überzeichnet. Der gelungene Auftakt mit viel Lokalkolorit. Ein Wohlfühlkrimi, in dem es vordergründig nicht blutig und knallhart zur Sache geht. Gerne bin ich wieder dabei, wenn es heißt: Moira Rusconi ermittelt wieder.

Bewertung vom 25.06.2022
Mord und Limoncello
Horn, Elizabeth

Mord und Limoncello


ausgezeichnet

Ja, ich bin bekennender Italien-Fan und als solcher kann ich mir diesen Gardasee-Krimi nicht entgehen lassen.

„Mord und Limoncello“ ist der Auftakt einer neuen Krimi-Reihe rund um Commissario Fabio Angelotti und gleich sein erster Fall hat neben dem Mord sehr viel Charme, was auch – aber nicht nur – an dem Commissario und an Charlotte, der Ehefrau des Mordopfers, liegt.

Es gibt diesen unterhaltsamen Regionalkrimi auch als Hörbuch und genau dieses habe ich sehr genossen. Oliver Dupont hat ihnen allen eine Stimme gegeben, das ungekürzte Hörbuch ist fast 9 Stunden lang Genuss pur. Ich konnte mich zurücklehnen und mich gen Limone beamen. Vor der malerischen Kulisse dieses beschaulichen Örtchens geschieht das Verbrechen. Der Urlaub von Jens und Charlotte endet jäh, als Jens tot aufgefunden wird. Er hat in einem lange zurückliegenden Fall ermittelt – hat dieser bis dato ungeklärte Fall mit seinem Tod zu tun?

Die kriminalistischen Elemente sind gepaart mit ein wenig Amore, so wie es sich in diesem von der Sonne verwöhnten Land gehört. Und neben der Ermittlung, an denen Charlotte mit ihren zauberhaften grünen Augen unbedingt teilhaben muss, gehört auch zum guten Essen der titelgebende Limoncello unbedingt dazu.

Ein Wohlfühlkrimi, wie ich ihn nicht alle Tage lese bzw. höre. Ich mag es schon gerne härter, aber diese etwas gemächlichere Gangart hat das gewisse Etwas.

Neben sehr viel Lokalkolorit kommen die Ermittlungen voran, auch wenn ich als Leser immer ein wenig mehr weiß als der Commissario macht der Mordfall Fortschritte. Unerwartetes kommt natürlich dazwischen, da möchte ich ihm schon gerne einflüstern, was er denn als Nächstes tun soll bzw. wo die Suche erfolgversprechend ist. Letztendlich klärt sich alles auf, das Ende ist überraschend, einem Krimi würdig.

Eine gelungene virtuelle Reise nach Limone ist zu Ende, beim nächsten Fall um Commissario Fabio Angelotti werde ich ihn wieder begleiten, ihn bei der Auflösung unterstützen.

Bewertung vom 25.06.2022
Landpartie
Shteyngart, Gary

Landpartie


sehr gut

Sasha Senderovsky besitzt nicht nur ein Landhaus außerhalb New Yorks, auch gehören Gästebungalows zu seinem Anwesen und die bieten sich geradezu an, die Pandemie bei gutem Essen und viel Alkoholika gemeinsam mit alten Freunden zu überstehen. Und es gefällt ihm, dem russischstämmigen Schriftsteller, der Anführer dieser ländlichen Menagerie zu sein.

„Acht Freunde. Vier Romanzen. Sechs Monate Isolation“ - die Landpartie ist in vollem Gange.

Ein Thema, das jeder kennt und selbst durchleben musste.

Wer es sich in dieser Situation leisten kann, sein Dasein auf dem Lande zu verbringen und die damit einhergehende freiere Lebensweise, ist schon privilegiert. Es sind ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, die hier aufeinandertreffen. Ihre Gespräche geben Einblick in ihr bisheriges Leben, es wird gnadenlos durchleuchtet und nicht nur dieses eine allumfassende Virus gibt den Takt an. Einhergehend mit der Isolation werden Emotionen freigesetzt, die unter normalen Umständen nie an die Oberfläche gelangen würden.

Das Virus und die Mythen, auch all die mittlerweile wohlbekannten Verschwörungstheorien kommen zur Sprache. Die Pandemie wird immer mehr zum zwischenmenschlichen Intermezzo. Fast wie im Rauschzustand vergessen sie alles um sich herum, die Moralvorstellungen werden zunehmend lockerer, es geht zur Sache. Und hört beinahe nicht mehr auf, je weiter ich lese – ein Zuviel des Guten. War ich anfangs noch neugierig – es war durchaus kurzweilig, ja amüsant, ihnen zuzuschauen - so musste ich mich später zwingen, dem Ganzen zu folgen.

Ironisch, entlarvend, gesellschaftskritisch - Gary Shteyngart hat mit seiner „Landpartie“ in mehreren Aufzügen einen Blick zurück getan. Ein in weiten Teilen lesenswerter Roman mit einem Ende, das es so nicht gebraucht hätte.

Bewertung vom 21.06.2022
Winterschwestern (eBook, ePUB)
Hannah, Kristin

Winterschwestern (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Anja Whitson, die gebürtige Russin, ist eine kaltherzige Frau, besonders ihre beiden Töchter Meredith und Nina bekommen dies zu spüren. Ganz anders ihr liebevoller Vater, der ihnen vor seinem Tod das Versprechen abnimmt, sich um die Mutter zu kümmern. Ein schier unmögliches Unterfangen, denn Nähe zulassen können weder die Mutter noch die Schwestern, die nicht mal wissen, wie alt ihre Mutter ist. Eigentlich wissen sie gar nichts von ihr.

Meredith ist die Bodenständige, sie ist für alle da, hat alles im Griff, managt die familieneigene Apfelplantage. Nina hingegen ist an den Brennpunkten der Welt zu finden. Immer unterwegs, der Fotoapparat ist ihr ständiger Begleiter.

Es ist ein sehr holpriger Start für die drei Frauen. Während Meredith sich um ihre Mutter kümmert, weiß es Nina aus der Ferne immer besser, ist nur selten wirklich da.

Kristin Hannah hat wiederum einen grandiosen Roman vorgelegt. Schon „Die vier Winde“ habe ich regelrecht verschlungen und auch hier, mit den „Winterschwestern“, ist es mir ähnlich ergangen. Einmal angefangen, konnte ich diese großartige Geschichte um eine Familie inmitten des Zweiten Weltkrieges nicht mehr weglegen. Ich habe alles um mich herum vergessen, bin immer tiefer eingetaucht in deren Leid, kam dem Geheimnis der Mutter lange nicht näher, sie hat ihr Schicksal in ihrem Herzen vergraben, sprechen konnte sie nicht darüber - was ich anfangs so gar nicht verstehen konnte. Welche Mutter verschließt sich ihren Kindern dermaßen?

Anja erzählt den Kindern von klein auf Märchen, immer und immer wieder. Und genau diese Märchen – so wünscht es sich der sterbende Vater – sollte sie den Schwestern erzählen. Nicht bruchstückhaft, so wie sie es seit je her getan hat. Nein, die ganze Geschichte sollten ihre Töchter erfahren. Auch ich lese zwischendurch diese Märchen. Zunächst waren sie nicht sonderlich aussagekräftig, aber je mehr ich davon wusste, je weiter Anja Vergangenes aufleben lies, desto intensiver wurden diese.

Ja, „Winterschwestern“ ist ein hochemotionaler Roman, der das Schicksal einer Familie im Krieg erzählt, von deren Überlebenskampf und ihrem unermesslichen Leid. Kristin Hannah findet die richtigen Worte – eine bewegende, eine aufwühlende, eine sehr lesenswerte Familiengeschichte.

Bewertung vom 20.06.2022
Süße Versuchung / Sardinien-Krimi Bd.2 (eBook, ePUB)
Némus, Gesuino

Süße Versuchung / Sardinien-Krimi Bd.2 (eBook, ePUB)


sehr gut

Der zweite Teil der Sardinien-Krimi-Reihe aus der Feder von Gesuino Némus liegt in deutscher Übersetzung vor. „Süße Versuchung“ ist ein Regionalkrimi mit etwas schrulligen Charakteren, die in ihrem kleinen Örtchen Telévras ihr Dasein fristen. Kein Tourist will sich hierher verirren, was der örtliche Heimatverein gerne ändern möchte.

Ein Unfall versetzt alle in Aufruhr, eine junge Frau war mit ihrem Auto von der Straße abgekommen und in eine Schlucht gestürzt. Der Busfahrer meldet den Unfall und bald darauf wird dieser erschossen aufgefunden. Keiner glaubt so recht an einen Selbstmord, auch wenn dies auf den ersten Blick so aussehen mag. Französin war die Verunfallte, ansonsten ist nichts bekannt über sie, also verbleibt sie erst mal im Kühlhaus. Hauptkommissar Marzio Boccinu ermittelt.

Den ersten Teil habe ich nicht gelesen, konnte aber problemlos mit Teil zwei losstarten. Charaktere, wie man sich die etwas abseits gelegenen Dorfbewohner vorstellt, sind aufs Trefflichste gezeichnet. Allesamt sind sie „Typen“, lassen sich nicht mehr verbiegen.

Schon die Beschreibung der Protagonisten ist es wert, diesen Krimi zu lesen. Wie etwa Michelangelo Ambéssi, der nur 153cm große, ehemalige Jockey, der alles über Pferde weiß oder Donamìnu Stracciu, Dichter seines Zeichens. Sie sind ebenso vertreten wie Titina Inganìa, die es dem Inspektor angetan hat.

Ein Mix aus kriminalistischen Elementen und Privatem ergeben zusammen eine „Süße Versuchung“ der etwas eigenwilligen Art. Bittersüß, wie schon der Titel und das Cover vermuten lassen. Auch der Humor kommt nicht zu kurz, die sardische Stimmung tut ein Übriges. Die Auflösung ist überraschend, aber dennoch schlüssig. Ein lesenswerter Krimi mit viel Lokalkolorit.

Bewertung vom 20.06.2022
Die Freundinnen vom Strandbad - Wellen des Schicksals / Die Müggelsee-Saga Bd.1
Heiland, Julie

Die Freundinnen vom Strandbad - Wellen des Schicksals / Die Müggelsee-Saga Bd.1


ausgezeichnet

Gerade noch rechtzeitig haben Betty, Clara und Martha den schon etwas älteren Horst vor dem Ertrinken gerettet, sie sind „die drei tollen Lebensretterinnen vom Müggelsee“ - dieser heiße Julitag 1956 ist der Beginn ihrer Freundschaft.

Die drei ganz und gar unterschiedlichen jungen Mädchen leben im Berliner Osten. Noch ist es möglich, im Westteil zu arbeiten oder auch heimlich Waren über die Grenze zu schmuggeln. Dennoch hat die Staatssicherheit ihre Ohren überall, keiner kann sich sicher sein, nicht ausspioniert zu werden. Es sind die Jahre vor dem Mauerbau, die damals 13jährigen Mädchen begleite ich bis zu Walter Ulbrichts großer Lüge „niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ und deren Folgen für sie und ihre Liebsten.

Sehr anschaulich vermittelt Julie Heiland die Lebensverhältnisse in der damaligen DDR. Der familiäre Hintergrund der drei Freundinnen zeigt deutlich auf, ob und wie man in diesem Staat seinen Traum verwirklichen konnte. Etwa die FDJ - formal war die Mitgliedschaft freiwillig, jedoch mussten all die, die sich dem widersetzten, mit Benachteiligungen rechnen. Studieren und ein berufliches Weiterkommen war somit schier unmöglich, die Freie Deutsche Jugend war nur dem Namen nach frei. Die Staatssicherheit, die Stasi, war allgegenwärtig, schon die Kleinsten wurden für Spitzeltätigkeiten missbraucht. So konnte man sich ein Volk der Denunzianten heranziehen, das Unrechtsbewusstsein wurde im Keim erstickt.

Vom Mädchen zur Frau – von 1956 bis hin zum Mauerbau 1961 begleite ich die Betty, Clara und Martha. Sie sind ganz normale Jugendliche mit ihren Zukunftsträumen, der ersten Liebe und den so gegensätzlichen Familienverhältnissen.

Der Titel und auch das Cover kommen unbeschwert daher, es stecken aber viele Schicksale dahinter. Die drei so unterschiedlichen Freundinnen verkörpern jede für sich einen Frauentyp von eher unselbständig und anhänglich bis absolut selbstbestimmt. Sie leben in einem Staat, der nur jene hochkommen lässt, die nichts hinterfragen, sich linientreu geben.

Ich war zwar nie mittendrin, hab aber den Mauerbau und die Schicksale dahinter vielfach gehört, gesehen, gelesen und werde es immer wieder tun. Nie werde und will ich verstehen, wie man die Freiheit jedes einzelnen derart beschneiden kann, sie eher als nützliches Individuum denn als selbst denkenden Menschen behandelt.

„Wellen des Schicksals“ – der erste Teil um die „Freundinnen vom Strandbad“ habe ich sehr gerne gelesen. Auf unterhaltsame Weise habe ich wie nebenbei einen tiefen Einblick in die Struktur der DDR erhalten. Die Charaktere sind allesamt glaubhaft dargestellt – ein wunderbarer Roman „über Freundschaft, die keine Grenze kennt“, der bald seine Fortsetzung mit den „Wogen der Freiheit“ findet.