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Raumzeitreisender
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Ahaus
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 739 Bewertungen
Bewertung vom 12.08.2016
Raumordnung und Raumplanung
Langhagen-Rohrbach, Christian

Raumordnung und Raumplanung


sehr gut

Grundlagen der Raumplanung

Ziel dieses Fachbuches ist es, Grundlagen der Raumplanung zu vermitteln und wesentliche Begriffe in formaler und inhaltlicher Sicht zu definieren. Diesem Anspruch wird Autor Christian Langhagen-Rohrbach gerecht. Er ist promovierter Geograph und Mitglied der Akademie für Raumforschung und Landesplanung.

Das Buch ist aus einer Vorlesung zum Thema „Raumordnung und Raumplanung“ entstanden und befasst sich primär mit den Grundbegriffen, den rechtlichen Grundlagen und der historischen Entwicklung der Raumplanung.

Es ist kein Arbeitsbuch, aus dem hervorgeht, wie man Planungen praktisch durchführt. Das betrifft Fragen zur Organisation, zu Bürgerbeteiligungen, zur Datenermittlung- und aufbereitung in technischer Hinsicht, zur Einleitung und Umsetzung der einzelnen Verfahrensschritte, zur Beteiligung von Trägern öffentlicher Belange und der Politik und zur Präsentation von Planungsergebnissen. Diese Dinge lernt man in einer Planungsabteilung. Das Buch liefert das Basiswissen, das erforderlich ist, um die Arbeiten einer Planungsabteilung verstehen und einordnen zu können.

Zum Inhalt gehören theoretische Grundlagen der Raumplanung, der planerische Rahmen (EU-Recht, Bundesraumordnung etc.), die Landes- und Regionalplanung, Fachplanungen, Bauleitplanung und Planungswerkzeuge in europäischen Staaten. Im letzten Kapitel setzt sich der Autor kritisch mit der Raumplanung auseinander. Er insistiert, dass es in Deutschland zwar ein ausgefeiltes System an Planungsinstrumenten und -prozessen gibt, die Landes- und Regionalplanung aber deutlich mehr in der Öffentlichkeit agieren sollte.

Das Buch ist wohl strukturiert, mit einigen Grafiken versehen und enthält in den Randstreifen übergeordnete Stichworte zur Orientierung. Verwendete Abkürzungen sind erläutert, aber ein Stichwortverzeichnis fehlt. Zielgruppe sind geowissenschaftlich Interessierte. Die Ausführungen sind trocken aber verständlich.

Bewertung vom 12.08.2016
Der Stoff, aus dem der Kosmos ist
Greene, Brian

Der Stoff, aus dem der Kosmos ist


sehr gut

Raum und Zeit im Fokus der empirischen Forschung

Das Buch erhebt den Anspruch, Wissenschaft in ihrer Entstehung zu vermitteln. Um das zu erreichen, bezieht Autor Brian Greene die historische Entwicklung der Physik in seine Ausführungen mit ein. Er thematisiert, wie Fragen, die längst für endgültig beantwortet erklärt worden sind, von späteren Generationen immer wieder neu aufgegriffen und in einen neuen Kontext gestellt werden. Hierzu gehören zweifelsohne die Fragen nach Raum und Zeit.

Das Buch gliedert sich in 5 Teile. Im ersten Teil geht es um die Grundlagen der Physik. Greenes Erklärungen zu den Relativitätstheorien faszinieren. Die Abhängigkeiten von Raum und Zeit erläutert er plastisch anhand von unterschiedlichen Schnitten eines Brotlaibs. Die Kuriositäten der Quantenmechanik werden deutlich, ebenso wie Einsteins Konflikt mit den Folgerungen aus der Quantenmechanik.

Im zweiten Teil liegt der Fokus auf dem Begriff der Zeit. Unsere Erfahrung sagt uns, dass wir in der Gegenwart leben, dass die Zeit fließt und dass sie eine Richtung hat. Trotzdem ist das „Jetzt“ physikalisch nicht greifbar. Jeder Teil der Raumzeit ist gleichwertig mit jedem anderen Teil. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und das Fließen der Zeit entpuppen sich, wie Einstein es sah, als hartnäckige Illusionen.

Die Geschichte des Kosmos erläutert Greene in „Raumzeit und Kosmologie“. Hier geht es um Symmetrien, um Entstehungsmodelle für den Kosmos und um die großräumige Struktur der Raumzeit. Hinsichtlich der Ausführungen zum Higgs-Feld ist das Buch nicht mehr aktuell. Vieles ist bis heute unklar. Das gilt z.B. für die dunkle Materie und die dunkle Energie.

Seinem Lieblingsthema, der Stringtheorie, widmet sich Greene im vierten Teil des Buches. Da die schwingenden Energiefäden so klein sind, dass sie nicht direkt empirisch untersucht werden können, ruht die Hoffnung auf indirekten Beweisen. Einige Forscher sind der Meinung, dass eine Theorie, die sich jedem direkten empirischen Test verschließt, nicht in den Bereich der Physik gehöre.

Im letzten Teil des Buches spekuliert Greene über Sciencefiction-Themen wie Teleportation und Zeitreisen. Er erläutert die theoretischen Möglichkeiten auf Basis unseres heutigen Kenntnisstandes. Da wird noch viel Wasser den Rhein entlang fließen, bevor wir wie Perry Rhodan rückwärts durch die Zeit reisen.

Es handelt sich um ein recht ausführliches populärwissenschaftliches Werk. Die Leser sind gefordert, wenn sie sich auf 640 Seiten bei kleiner Schrift und wenigen Bildern mit der Grundstruktur des Kosmos beschäftigen. Die Informationsdichte ist hoch im Vergleich zu sonstigen populärwissenschaftlichen Büchern. Wer lediglich einen kleinen Einstieg sucht, könnte mit dieser Lektüre überfordert sein.

Positiv fällt auf, dass Brian Greene Hinweise gibt, wann Kapitel übersprungen werden können, ohne dass der rote Faden verloren geht. Umstrittene Themen benennt Greene als solche und abweichende Auffassungen verpackt er in den Anmerkungen. Auf 50 Seiten Anmerkungen finden die Leser in kleiner Schrift tiefer gehende Erläuterungen. Damit werden unterschiedliche Leserkreise angesprochen. Das Glossar hätte ausführlicher sein können. Begriffe wie Dekohärenz, Komplementarität, Nichtlokalität oder Hologramm werden darin nicht erläutert.

Sind Raum und Zeit fundamentale Konzepte? Es gelingt uns nicht, außerhalb von Raum und Zeit auch nur zu denken. Trotzdem gehen führende Physiker heute davon aus, dass Raum und Zeit aus fundamentaleren Bestandteilen abgeleitet sind. Dies liegt außerhalb unserer Erfahrungs- und auch Vorstellungswelt. Die Naturwissenschaften behandeln längst Fragen, die einst den Philosophen vorbehalten waren. Brian Greene vermittelt den Lesern, wie tief die theoretische Physik in die Grundstrukturen von Raum und Zeit eingedrungen ist, bei der Suche nach den „Atomen“ der Raumzeit.

Bewertung vom 12.08.2016
Aufstand des Individuums
Sprenger, Reinhard K.

Aufstand des Individuums


ausgezeichnet

Wie viele Querdenker kann sich ein Unternehmen leisten?

Reinhard Sprenger analysiert in diesem Buch weit verbreitete Managementmethoden. Nach seiner Einschätzung scheitern diese an nicht akzeptierter Individualität. Das Problem besteht darin, dass Organisationen verabsolutiert und Mitarbeiter gleich gemacht werden. Vorgesetzte beurteilen ihre Mitarbeiter immer noch danach, ob sie fleißig sind und Überstunden machen und nicht danach, ob sie Initiative ergreifen und selbständig Projekte abwickeln können. Praktiziertes Führungsverhalten erinnert sehr an Kindererziehung.

Personalentwicklung ist Teil des Problems, als dessen Lösung sie sich ausgibt, weil die Entwicklung in aller Regel in Anpassung besteht. Die Folge davon ist, dass soziale Ähnlichkeit befördert wird. Von Teams hält Autor Sprenger nichts, weil diese ohne klare Kompetenzen quer zur Hierarchie angesiedelt sind und eine Tendenz zur Mitte haben. Die Kreativität geht unter und der Einzelne verliert seine Identität. Zielvereinbarungen sind aus Misstrauen geboren und verleiten zu kurzfristigem Aktionismus. Identifikation mit dem Unternehmen führt zu Selbstverneinung.

Im zweiten Teil des Buches beschreibt Sprenger das individualisierende Unternehmen. Rezepte bietet er nicht an. Die Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen, wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Bereits heute ist ein Kampf um Talente erkennbar, auf den sich Unternehmen einstellen müssen. Gute Führungskräfte sind nicht angepasst, sondern unverwechselbar. Führende haben Folgende. Kompetenz hat man nur, wenn diese von Mitarbeitern anerkannt wird.

Vorgesetzte müssen Mitarbeiter stören, damit diese nicht in die Erfolgsfalle tappen, nach dem Motto „Einmal gut, immer gut“. Talente müssen richtig eingesetzt werden, im Zweifel zu Lasten der Organisation. Da es künftig zu wenig hochqualifizierte Fachkräfte geben wird, müssen Fachkarrieren mit Freiräumen und angemessener Bezahlung geschaffen werden. Hierbei ist zu beachten, dass nicht Geld allein, sondern insbesondere Vertrauen bindet. Wenn die Meinung des Einzelnen zählt, führt das zu verantwortlichem Verhalten und zu einer Qualitätsverbesserung.

Führung erfordert Klarheit und Konsequenz. Klärende Gespräche müssen geführt werden. Beschäftigungsgarantie ist unternehmerischer Selbstmord. Entscheidungen sind nur dann erforderlich, wenn es Zweifel hinsichtlich der richtigen Handlungsalternativen gibt. Widersprüchliche Situationen und Entscheidungszwänge sind Existenzvoraussetzungen für die Führungskraft. Zielvereinbarungen dürfen nicht an Belohnungen gekoppelt werden, weil sie sonst demotivierend wirken.

Reinhard Sprengers Perspektive ist die des Individuums. Sein Schreibstil ist verständlich, seine Argumentationen provokativ und unterhaltsam. Er entwickelt zahlreiche interessante Überlegungen für ein breites Publikum. Was ich vermisse, sind Grenzen. Wie viel Individualität ist wirtschaftlich vertretbar? Bedenkt man, dass Individualität in Eigensinn ausarten kann, muss die Frage erlaubt sein: Wie viele Querdenker kann sich ein Unternehmen leisten?

Bewertung vom 11.08.2016
Denkspiele der Welt
Delft, Pieter van; Botermans, Jack

Denkspiele der Welt


sehr gut

Herausforderungen für kreative Menschen

„Denkspiele der Welt“ ist ein Klassiker unter den Rätselbüchern. Zeitlos wie Fragestellungen der Logik sind auch die beschriebenen Knobeleien. Die Autoren Pieter van Delft und Jack Botermans haben historische Denksportaufgaben aus verschiedenen Teilen der Welt gesammelt und übersichtlich zusammengestellt. Die Aufgaben wurden wie folgt strukturiert:

Legespiele
Teilungsprobleme
Polyformen
Streichholz Puzzles
Domino-Probleme
Zusammensetzspiele
Packprobleme
Magische Quadrate
Ring-Kordel-Kugel-Vexiere
Schnur- und Seiltricks
Irrgärten und Labyrinthe
Drahtvexiere
Zahlen- und Logikprobleme
Das Binäre System
Positionspuzzles

An dieser Übersicht wird deutlich, dass Kopfnüsse, die sich mit Papier und Bleistift lösen lassen (z.B. Magische Quadrate), nur einen kleinen Teil des Buches ausmachen. Der Schwerpunkt liegt bei mechanischen Geduld- und Geschicklichkeitsspielen (z.B. Ring-Kordel-Kugel-Vexiere), die anhand vorhandener Bauanleitungen auch selbst erstellt werden können.

Das Buch enthält zahlreiche Bilder und Grafiken sowie historische Hintergrundinformationen zu den Themen. Die Anleitungen sind verständlich. Auf den letzten Seiten sind Lösungen angegeben. Mich hat am meisten das Verwandlungsproblem „Fall von der Welt“ fasziniert, wo aus dreizehn in einem Kreis fechtenden Chinesen nach einer Drehung zwölf werden. (35)

Die Auseinandersetzung mit den Aufgaben schult die Problemlösungskompetenz. Es versteht sich von selbst, dass eine Neigung zu Denksportaufgaben vorhanden sein muss. Rätselfreunden kann ich das Buch empfehlen.

Bewertung vom 11.08.2016
Der Fürst des Parnass
Ruiz Zafón, Carlos

Der Fürst des Parnass


sehr gut

Ein Geschenk an die Leser

„Der Fürst des Parnass“ erfüllt (mindestens) drei Funktionen: Es ist ein Roman über den großen spanischen Schriftsteller Miguel de Cervantes Saavedra, gleichzeitig ein wichtiger Schlüssel zum „Friedhof der Vergessenen Bücher“ und zu guter Letzt eine Lektion hinsichtlich der Versuchung Eitelkeit. Wer die Barcelona-Romane kennt, kommt an diesem kleinen Büchlein nicht vorbei; als eigenständiges Werk ist es nicht gedacht. Nach Aussage des Autors ist es ein Zusatz, eine Art Geschenk an die Leser.

Carlos Ruiz Zafón nutzt seine Fantasie, um Lücken im Lebenslauf von Miguel de Cervantes Saavedra, dem Autor des Don Quijote, zu schließen. Er integriert diese Figur in seine Barcelona-Trilogie und verarbeitet literarisch die Tatsache, dass Miguel de Cervantes Saavedra erst in späteren Jahren seines Lebens Erfolg hatte.

Der Roman spielt in Barcelona und ergänzt die Barcelona-Romane. Manche Geheimnisse werden gelüftet, andere Rätsel bleiben im Nebel verborgen. Es ist ein Merkmal großer Literatur, dass die Erzählungen sich auf verschiedenen Ebenen bewegen und Interpretationen zulassen. Diesem Anspruch wird „Der Fürst des Parnass“ gerecht. Bei der Struktur der Barcelona-Romane, einer Mischung aus Mystik, Fantasie, Historie und Abenteuer, erwarte ich keine einfache Lösung. Es werden auch im vierten Band Geheimnisse bestehen bleiben.

Alles im Leben hat seinen Preis. Der Fürst der Finsternis ist ein Verführer. „Sie [Cervantes] werden ein Meisterwerk schreiben, doch um das zu tun, werden Sie verlieren, was Sie am meisten lieben.“ (55) Aber wir haben Wahlfreiheit und so hat Corelli recht. „Die Wahl lag immer bei Ihnen, mein Freund [Cervantes]. Und Sie wissen es.“ (76) Parallelen zu dem imposanten Film „Im Auftrag des Teufels“ mit Al Pacino und Keano Reeves drängen sich auf. Es geht um die Verführung des Menschen.

Die Geschichte bewegt sich auf verschiedenen Erzählebenen. Bezüge zur Literatur sind erkennbar. Aufschlussreich in diesem Sinne ist z.B. die Rede von Sancho am Grab von Cervantes. (80) Hier wird deutlich, dass Sancho den Fürst der Finsternis, ähnlich wie Sancho, der Stallmeister von Don Quijote, seinen Herrn, durchschaut hat.

Das Buch ist dünn und die Schrift groß. Der dürftige Umfang ändert aber nichts an der Qualität des vielschichtigen Inhalts. Auch entspricht der Inhalt der im Klappentext beschriebenen Zielsetzung. Es stellt sich eher die Frage, ob zentrale Themen wie „Der Friedhof der Vergessenen Bücher“ und „Andreas Corelli“ auf so wenigen Seiten abgehandelt werden sollten. Antworten wird vermutlich der zu erwartende (dicke) vierte Band liefern. „Der Fürst des Parnass“ ist Pflichtlektüre für die Kenner der Barcelona-Romane. Wer diese Reihe kennen lernen möchte, sollte nicht mit diesem Buch starten.

Bewertung vom 11.08.2016
David Bowie Is

David Bowie Is


ausgezeichnet

Changes One Bowie

„Mich fasziniert die Kunst des 20. Jahrhunderts seit jeher, und ich interpretiere sie, von Expressionismus bis Dadaismus, auf meine Weise.“ (84)

David Bowie ist ein Phänomen. Er zählt zu den kreativsten Künstlern der letzten Jahrzehnte mit einem hoch entwickelten Gespür dafür, ob ein Wandel in der Luft liegt und welcher Stil im Entstehen begriffen ist. Er greift Stimmungen zu einem Zeitpunkt auf, wo sie für die meisten Zeitgenossen noch im Unbewussten schlummern, verschneidet diese mit vergangenen Moden, entwickelt daraus seine eigene Sicht und wird damit zum Trendsetter für Musik, Mode und Design. Dabei waren seine Musik, seine Auftritte und sein Aussehen stets außergewöhnlich und im Verhältnis zum jeweiligen Zeitgeist, gewagt.

David Bowie hat sein privates Archiv für das Londoner Victoria & Albert Museum geöffnet. Zzt. läuft die Ausstellung „David Bowie Is“ in Berlin. Das Buch „David Bowie“ ist sozusagen der Ausstellungskatalog. Er ist in 16 Kapitel gegliedert, in denen verschiedene Autoren Themen aus dem Wirken von David Bowie vorstellen. Da es sich um eigenständige Aufsätze handelt, gibt es auch Überschneidungen.

Das Buch, ein Bildband, enthält zahlreiche Kostüme, Plattencovers, Fotos, Notizen zu Bühnenbildern, Originaltexte zu Musikstücken und sonstige Accessoires. Auch das Vinylkostüm, welches er trug, als er mit Marianne Faithful zusammen „I Got You Babe“ gesungen hat, ist dabei. Die Aufnahmen sind perfekt. Die Erläuterungen zu den Plattencovers hören leider bei „Let's Dance“ (201) auf.

Der Bildband vermittelt Perspektiven auf den vielseitigen Künstler David Bowie. Auch seine Herkunft und Jugendzeit wird kurz beschrieben. Wer der Mensch hinter diesen vielen Masken ist, bleibt dennoch nebulös. Dazu müsste Bowie wohl eine Autobiographie schreiben. Trotzdem gilt: Der Bildband ist eine Hommage auf den Performance-Künstler David Bowie und einfach grandios.

Bewertung vom 11.08.2016
Einsteins Schleier
Zeilinger, Anton

Einsteins Schleier


sehr gut

Zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit - die seltsame Welt der Quantenphysik

Ich glaube nicht, dass Robert Musil in seinem Klassiker "Der Mann ohne Eigenschaften" an die Besonderheiten der Quantnenphysik gedacht hat, als er thematisierte, dass es neben einem Wirklichkeitssinn auch einen Möglichkeitssinn geben muss, aber er bewegte sich in einer (literarischen) Begriffswelt, die zur Quantenphysik passt. Ohne Beobachtung existieren keine Eigenschaften; durch Beobachtung konkretisiert sich eine Wirklichkeit aus einem Fundus an Möglichkeiten.

Physikprofessor Anton Zeilinger hat mit seinen "Teleportations"-Experimenten die Quantenphysik in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Mittels verschränkter Photonen übertrug er Quantenzustände von einer Seite der Donau zur anderen. Um halbwegs zu verstehen, was dort experimentell gezeigt wurde, ist es erforderlich, sich mit den Eigenheiten der Quantenphysik zu beschäftigen. Das Buch liefert die notwendigen Grundlagen in allgemein verständlicher Form ohne Formeln.

Die Quantenphysik ist so merkwürdig, dass Albert Einstein, einer der Wegbereiter dieser Theorie, sich Zeit seines Lebens weigerte, diese als letztgültige Beschreibung der realen Welt anzuerkennen. Ihm behagte nicht, dass der Zufall, und zwar kein subjektiver, sondern ein objektiver Zufall, Einzug in die Wissenschaft gehalten hatte. Dennoch hat die Quantentheorie bislang sämtliche Falsifikationsversuche unbeschadet überstanden.

Autor Zeilinger erläutert den Welle-Teilchen-Dualismus, geht kurz auf die historische Entwicklung ein (Elektromagnetismus, Hohlraumstrahlung, Schrödingergleichung, Heisenbergsche Unschärfebeziehung etc.), thematisiert ausführlich das Doppelspaltexperiment und erläutert typische Begriffe aus der Quantenphysik wie Superposition, Verschränkung, Dekohärenz und Komplementarität.

Die Ausführungen zum Doppelspaltexperiment sind recht dominant, führen aber dazu, dass die Eigenarten der Quantenphysik plausibel werden. Dafür kommen die (denkbaren) Anwendungen der Quantenphysik (Quantencomputer, Quantenkommunikation, Quantenkryptographie etc.) etwas zu kurz. Zum Thema Komplementarität und der philosophischen Einordnung empfehle ich ergänzend das Buch "Der Teil und das Ganze" von Heisenberg.

Anton Zeilinger präsentiert sich als sachlicher Aufklärer schwieriger naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Er ist weniger der fesselnde Vermittler wie z.B. Feynman oder Gribbin. Auch habe ich bildhafte Beschreibungen, wie sie für Greene typisch sind, vermisst. Dennoch gilt: Seine allgemeinverständlichen Ausführungen überzeugen und auch ist positiv festzuhalten, dass er sich auf dem Boden der Naturwissenschaften bewegt, zahlreiche Experimente beschreibt und nicht zu (esoterischen) Grenzüberschreitungen neigt, auch wenn das Thema dazu verleiten könnte.

Bewertung vom 10.08.2016
Zusammenhänge. Gedanken zu einem naturwissenschaftlichen Weltbild
Ditfurth, Hoimar von

Zusammenhänge. Gedanken zu einem naturwissenschaftlichen Weltbild


ausgezeichnet

Ein brillanter Vermittler naturwissenschaftlicher Erkenntnisse

Der Buchtitel gibt zum Ausdruck, worum es in diesem Werk geht. Hoimar von Ditfurth (HvD) beschreibt naturwissenschaftliche Zusammenhänge. Es geht primär um die Disziplinen Astronomie, Medizin und Biologie. Die (überwiegend zwei- bis dreiseitigen) Essays sind gleichzeitig leicht verständlich und wegen der übergreifenden Fragestellungen, die behandelt werden, niveauvoll. Die Beiträge stammen aus den Jahren 1964-1971 (HvD war in den 1960er Jahren bei Boehringer beschäftigt) und wurden ursprünglich in der Zeitschrift „Naturwissenschaft und Medizin“ veröffentlicht.

Ich habe das Buch seit Jahren mal wieder gelesen und stelle fest, dass es sich um überwiegend zeitlose Beiträge handelt. Auch fällt HvDs unnachahmliche Art und Weise auf, naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln. Diesen Stil vermisse ich in vielen aktuellen Büchern. Die Essays fesseln; sie sind von einem Autor verfasst, der das Staunen nicht verlernt hat. HvDs Ausführungen bewegen sich auf dem Boden der Naturwissenschaften und sind von der Vision getragen, dass die Welt einen Sinn hat, den wir zwar erahnen, aber niemals ergründen können.

Viele der Gedanken sind in seine späteren Bücher eingeflossen. „Unser Gehirn ist kein Organ zur Erkenntnis der Natur, sondern ein Organ zum Überleben“ und „Wir sind, mit anderen Worten, die Neandertaler von morgen“ sind solche zentralen Aussagen. Lediglich Prognosen in „Immer eins nach dem anderen“ und „Kosmische Quarantäne“ erweisen sich tlw. als überholt. Das beeinflusst die Qualität des Buches aber nur unwesentlich. Wer HvD nicht kennt, findet über dieses Buch einen leichten Einstieg in seine Werke.