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Wedma

Bewertungen

Insgesamt 546 Bewertungen
Bewertung vom 29.12.2016
Mein Sommer mit Mémé (eBook, ePUB)
Briag, Élaine

Mein Sommer mit Mémé (eBook, ePUB)


weniger gut

Mein Sommer mit Memé ist ein Familienroman, der zwar alle Zutaten für eine süffige Geschichte hat, insgesamt aber nicht überzeugen kann. Die Authentizität, das Talent und das Können im erzählerischen Bereich haben mir hier arg gefehlt. Zu sehr wirkte auf mich das Ganze wie „möchte-gerne-kann-aber-nicht-recht-mir-fällt-auch-nichts-Gescheites-ein.“
Die Protagonistin Paula schaffte es kaum, mich in ihren Bann zu ziehen. Zu konstruiert kam sie mir vor, sowie die Konflikte, die sie an den Tag legte, größtenteils an den Haaren vorbei. Paula will keinen Familienurlaub auf dem Anwesen im Burgund, sie hat ganz andere Pläne, die ihr viel wichtiger erscheinen, aber ihre Großmutter Memé weiß sie zu überzeugen, wie alle in dieser Familie. Der Bruder hofft aufs Erbe und viel Geld, das er dringend braucht. Seine Frau und Tochter haben sich unterzuordnen. Am Ende gibt es eine von Memé von langer Hand vorbereitete Lösung. Wie überraschend. Sie hat sie alle voll im Griff und lässt Dinge tun, die ihr passend erscheinen. So gesehen, gibt es nur eine Heldin hier: Memé, der Rest besteht aus charakterlosen wie klischeehaften Marionetten.
Es gab ein Sammelsurium an typischen Themen, die von einem Familienroman zum anderen gereicht werden, und woanders doch schon viel besser und beeindruckender gebracht wurden. Das Themenarrangement ähnelte einer Patchworkdecke: hier kommt ein Thema, z.B. Eheprobleme des Bruders, dann das nächste an der Kante des Vorigen, z.B. seine pubertierende Tochter, usw.
Es wird gemeinsam und allein gekocht, über veganes Essen Vorträge gehalten, die Art der Infoversorgung ist hier dürftig wie im gesamten Roman, regionale Weine eingekauft, in alten Familiengeheimnissen, die eher flach und wenig spektakulär ausfallen, gekramt. Hier wird versucht den Hauch von Nichts aufzubauschen. Es bleibt seicht und langatmig bis zum Schluss. Die Auflösung verdient bloß ein Kopfschütteln. Happy Ends dieser Art sind schlicht abgedroschen und sollten längst passé sein.
Vom Stil/Ausdruck her war ich auch herzlich wenig angetan. Überflüssige Adverbien, zu reger Gebrauch von Hilfsverben („war“ ist das liebste Wort der Autorin) und zu viele Erklärungen, denen ich kaum Glauben schenken konnte, haben mir die Lesefreude vergällt, genauso wie überzogene Männerfiguren und ihr unglaubwürdiges Verhalten. Manche sind wie romantische Helden aus Groschenromanen und lediglich dazu da, um enspr. Effekte beim weiblichen Publikum zu erhaschen. Die Versuche, den ehem. Verlobten von Memé als einen Rüpel darzustellen, scheiterten kläglich, da wenig kunstfertig dargeboten, was auch zur allg. Unglaubwürdigkeit beitrug.
Die Zutaten sind zwar da, aber zu einer Geschichte, die auch Lesevergnügen mitbringt, kommt es wohl kaum. Ich habe mich geärgert, mit dem Buch angefangen zu haben. Die Geschichte erwies sich als zigster Abwasch von schon mal in zig Variationen dagewesenen und viel besser erzählten Familienstories. Kaum lesenswerte Ansätze, Ideen oder auch Art der Darbietung. Es gibt durchaus spannende Interpretationen von Wohlbekanntem. Dazu muss man Talent haben und schreiben können. Hier ist der nicht der Fall. Das schöne Cover und unbekannter Name haben mich Bewegt, zum Buch zu greifen. Leider erwies es sich als keine besonders gute Idee.
Ich mag gerne gute Familiengeschichten. Leider erschien mir diese in jeder Hinsicht zu primitiv und nicht der Rede wert.

Bewertung vom 23.12.2016
George Sand
Strohmeyr, Armin

George Sand


sehr gut

Ich muss gleich vorwegschicken, dass diese Bio mich im direkten Vergleich zu der von Chopin nicht wirklich beeindrucken konnte. Viele Details, die über die Persönlichkeit von G. Sand, ihre Ecken und Kanten Aufschluss geben, wurden schlicht ausgeklammert. Ich gewann den Eindruck, der Autor wollte seinen Schützling besser in der Öffentlichkeit dastehen haben. Und diese bemerkenswerte Distanz zwischen dem Autor und der Person, die er beschreibt, tat der Bio insg. nicht besonders gut.
Hier gibt es u.a. eine unspektakuläre Version dessen, wie sich George Sand und Chopin kennenlernten. Auch die gesamte Beziehung und der Abschied nach acht Jahren beeindruckt in der Schilderung von Herrn Strohmeyr wohl kaum. Bei Zamoyski ist es viel detailreicher, mit Beigabe von Hintergründen und situativ dargeboten worden.
Auch viele pikante Details waren hier ausgelassen, die einiges über die Person G. Sand aussagten, z.B. was Heirat ihrer Tochter Solange angeht und warum die Ehe von vorn herein zum Scheitern verurteilt war. G. Sand spielte dabei eine zentrale Rolle. Hier wird lediglich trocken erzählt, was geschah, nachdem die Ehe das Ende genommen hatte. Auch was Beziehung von Solange zu Chopin, die Feindschaft von ihrem Sohn ggü. Chopin, wie G. Sand den Genie gegen einen Flegel nach acht Jahren ausgetauscht hat, etc. ist hier so gut wie nicht da.
Im Großen und Ganzen kommt die Person George Sand gut zur Geltung: Ihr politisches und soziales Engagement, trotz aller Rückschläge und Enttäuschungen. Sie war eine starke, tatkräftige Frau, die das Leben gestalten wollte. Ihre schriftstellerischen Erfolge sind gut beleuchtet worden. Sie schrieb viel und war eine Bestsellerautorin. In ihren Romanen verarbeitete sie die Themen, die damals noch gewissermaßen Tabu waren. Eine Art Frauenrechtlerin würde man sie heute nennen. Sie wollte u.a. mehr Selbstbestimmung für Frauen und lebte auch selbst ihren Traum. Sie trennte sich recht früh von ihrem Mann, sie hat ihn schon fast unter Zwang geheiratet, und nahm sich immer neue Liebhaber. Sie konnte sich immer wieder aufs Neue unsterblich verlieben. Auch ihr ausgeprägter Mutterinstinkt, sie fing an irgendwann alle, ihre Liebsten inklusive, zu bemuttern, kam hier gut zur Geltung. Sie hatte einen breiten Freundeskreis. Viele kamen mehrmals zu ihr nach Nohant. In jungen Jahren waren es Liszt und seine damalige Lebensgefährtin. Auch andere Musiker um Liszt und Chopin zählten zu ihren Freunden. Umfangreiche Korrespondenz, die G. Sand führte, gibt einen einleuchtenden Einblick in ihr Leben. Zum Schluss zählten Gustav Flaubert und Victor Hugo zu ihrem engen Kreis. V. Hugo sagte an ihrem Grab u.a.: „Ich trauere um eine Tote und begrüße eine Unsterbliche.“
Einige Worte des Autors über G. Sands Romane haben mich doch beeindruckt: „Doch bei genaueren Betrachtung erweisen sich diese Bücher als Historiografie einer bäuerlichen Welt, die im Begriff ist, durch die Umbrüche der Zivilisation unwiederbringlich unterzugehen. Die Personen in George Sands Dorfromanen besitzen noch die urtümliche dabei aber nicht volkstümelnde Kraft der einfachen, unverdorbenen Leute. Sie gehen noch handwerklichen Arbeiten nach, die sie- anders als die zivilisierten Städter- nicht ihrer selbst entfremden. Mit diesen Romanen… wird George Sand nicht nur zum genauen Beobachter und Chronisten einer vorindustriellen Zeit und einer originären Bevölkerung, sie verweist damit indirekt auch auf die Gefahren der Zivilisation, die den Menschen allzu oft seiner Wurzeln beraubt und ihn in einer Welt auswechselbarer und gesichtsloser Waren zum bloßen Objekt des Konsumzirkels degradiert.“ S. 191.
Wenn auch ihre Werke heute nicht mehr so oft gelesen werden, so bleibt sie eine schillernde Person ihrer Zeit, die viele Nachahmerinnen hatte und bis heute fasziniert.

Diese Bio ist als Einstieg in das Thema ganz in Ordnung. Wer aber tiefer in das Leben und Wesen von George Sand blicken möchte, der wird in Chopin Bio von A. Zamoyski fündig.

Bewertung vom 21.12.2016
Sparifankerl
Rößner, Susanne

Sparifankerl


gut

Nach der Leseprobe neugierig geworden, wollte ich den Krimi zu Ende lesen. Im Nachhinein betrachtet hat mich die LP gründlich hinters Licht geführt. Das Thema der häuslichen Gewalt und sexuellen Missbrauchs steht deutlich im Vordergrund. Der Rest ist Beiwerk.
Es gibt zwei Erzählstränge, die sich abwechseln. Hauptkommissar Sauerwein und sein Team in Rosenheim stoßen auf mysteriöse Todesfälle, die natürliche Ursachen zu haben scheinen und kaum als Morde eingestuft werden können. Die Leichen der Männer werden zudem sehr schnell eingeäschert. Im parallel zu den Ermittlungen laufenden Erzählstrang wird ein Ehepaar gezeigt, 30-40 Jahre alt, kinderlos. Der Mann ist ein psychisch kranker Sadist, der seinen sexuellen Trieb nicht nur mit anderen Frauen zelebriert, sondern auch seine Frau mit immer brutaleren Foltermethoden „beglückt“. Auch seine Freunde sind bei den Missbrauchsorgien mal dabei. Die Frau wehrt sich nicht, schottet sich von der Welt ab und hofft auf bessere Zeiten.
Zum Schluss kommen die zwei Erzählstränge zusammen, das Team kann ein weiteres Ermittlungserfolg verzeichnen, bei dem es klar wird, wer hinter den Todesfällen steckt und warum. Dieses Warum ist anhand von weiteren Missbrauchsfällen erläutert worden und erklärt u.a., weshalb sich die Opfer nicht wehren, worum es den Tätern dabei geht, etc.
Insg. ist die Geschichte schon recht breit erzählt. Einige Wiederholungen, viele Dialoge sorgen dafür, dass man sich wie in einer Vorabendserie gefangen fühlt: Es wird viel geredet, passieren tut aber wenig. Erst langsam kommen die Ermittler zu den Motiven. Die Längen, da sich die Ermittlungen oft im Kreis drehen, und Erklärungen zu den einzelnen Ermittlungsschritten, sowie Schilderungen aus dem privaten Bereich des Teams, nehmen die Spannung. Erst im letzten Viertel kommt Bewegung in die Sache. Bei der „schrecklich netten“ Familie gibt es eine Fülle an detaillierten Folterbeschreibungen, Einblicke in die perversen Gedanken des Sadisten, genauso wie die Sicht der Dinge der missbrauchten Frau.
Gezielt wurde im gesamten Verlauf die emotionale Ebene angepeilt. Zum Schluss wurde meine Leselust totogeschlagen mit all den grausigen Stories über andere Familien mit gleichem Problem. Begriff der Effekthascherei tauchte mehrmals bei mir gedanklich auf.
Einiges am Plot kam mir konstruiert vor, hier und dort tauchten Glaubwürdigkeitsfragen auf.
Zu allem Überfluss wurde oft genug vorgegeben, was man/frau bei den Schilderungen fühlen/denken soll.
Sprachlich sah ich auch Luft nach oben. Sätze wie „Sein Herz hämmerte wie ein Presslufthammer in der Brust…“ S. 327, kommen hin und wieder vor.
Mit den Figuren konnte ich nicht warm werden. Gut möglich, dass man die Reihe vom Anfang an kennen sollte. Eine Figur allerdings hat mich größtenteils überzeugt: Nora, die Dialekt spricht und später mit dem kaputten Kiefer immer noch deutlich und authentisch rüberkommt. Sehr gut gelungen.

Fazit: Wer sich für häusliche Gewalt, Motive und Ursachen interessiert, wird hier fündig. Diesem Krimi liegt eine gründliche Recherche zu dem Thema zugrunde. Ich konnte mich aber weder für die Art der Stoffdarbietung noch für das Thema erwärmen. Ich mag keine ausführlichen Gewaltszenen lesen, so etwas wie Spannung oder Lesevergnügen konnte ich hier leider nicht entdecken.

Bewertung vom 06.12.2016
Corporate Anarchy
Honne, Nils

Corporate Anarchy


gut

Marvin, der die unzumutbare Lage der Nation ändern will und im Alleingang nichts als Ärger mit der Polizei erreicht hat, schließt er sich einer Gruppe an, deren Anführer anfangs verspricht, dass die ganzen Aktionen nur dazu da wären, Denkzettel zu verpassen und umsichtigeres Verhalten der Betreffenden zu fördern. Aber schon bald geht es ganz anders zu. Grausige Folter stehen auf dem Tagesplan. Und bis zum Morden ist auch nicht mehr weit.
In etwa bis zur Hälfte wird es so getan, als ob es solche Gruppen noch nie gegeben hätte, als ob diese Zelle etwas ganz Neues zuwege brächte, dabei ist Ähnlichkeit mit RAF und anderen Organisationen dieser Art, angepasst an die heutigen Gegebenheiten, kaum zu übersehen. In der zweiten Hälfte erlebt man Folter en Detail. Nach paar Fällen, die schon recht krass ausfielen, kamen noch weitere, noch grausamere dazu. Dabei tauchte die Frage auf: Und warum muss ich es so genau wissen? Diese Ausführlichkeit grenzte deutlich an Effekthaschrei.
Die Figurenentwicklung war mir zumindest fragwürdig: Seltsam, dass Marvin, der anfangs einen äußerst kritischen Verstand zur Schau getragen hat, diesen in der Gruppe los ist, macht alles mit und mutiert zum treuen Handlanger. Hin und wieder hinterfragt er die Taten, wird aber vertröstet und um den kleinen Finger gewickelt. Zum Schluss aber wird er plötzlich als dem Anführer ebenbürtich hingestellt, wohl um ein effektvolles Finale zu ermöglichen.
Die Frauenfiguren, davon gibt es nicht viele, sind recht schwach. Sophie, eine Aktivistin der Gruppe, die recht oft auftritt, blieb für mich schemenhaft und blutleer bis zum Schluss.
Dagegen war die Entwicklung des Anführers der Terrorgruppe recht gut gelungen: Vom hilfsbereiten Freund zum skrupellosen Geschäftsführer, quasi vom Paulus zum Saulus, der nicht viel anders ist, als diejenigen, die er foltert und zum Einlenken zwingt, bloß sein in mühsamer Kleinarbeit aufgebautes Geschäft ist eine Ecke fragwürdiger als all die anderen.
Recht treffend fand ich auch die gesellschaftskritischen Schilderungen. Da werden dem Leser die Dinge plastisch vor Augen geführt, vor denen er im Alltag gerne die Augen schließt.
Die Schreibe an sich ist schon auf gut geübtem Niveau.
Aber! Die Handlung erschien mir, gerade an wichtigen Wendepunkten, oft unglaubwürdig. Egal, was die Gruppe anstellt, wie komplex die Aufgaben sind, alles gelingt ihr ganz vorzüglich: das Rankommen an die ganz hoch angesiedelten Wirtschaftsbosse, die Finanzierung und Koordination der Gruppe und ihrer europaweiten Unterstützer inklusive.
Stark übertrieben, überzeichnet kamen mir manche Szenen vor, als ob die Aufgabe auch hier war auf eine, eher recht primitive Art, Eindruck zu schinden.
Besonders in der zweiten Hälfte tauchte oft die Frage auf: Ist es jetzt Verherrlichung des Terrors? Aufruf zur hemmungslosen Selbstjustiz? Die jungen Leute haben eine aus ihrer Sicht sinnvolle Aufgabe gefunden und gehen voll darin auf.
Ein wichtiger Punkt ist die schwache Aussage des Romans insg. Er fängt packend an. Marvins Sicht der Dinge ist sehr gesellschaftskritisch und man ist gespannt, wohin all sein Wissen führen wird. Es ist ein Wahnsinnsversprechen, der einen in die Geschichte hineinzieht und die Handlung erst gespannt verfolgen lässt. Leider verliert sich die Spannung in der bereits erwähnten Effekthascherei und Unglaubwürdigkeit, das anfangs abgegebene Versprechen verläuft sich im Sande. Man am Ende wird mit wohl bekannten Platituden abgefrühstückt.
Fazit: Es ist so ziemlich das Gegenteil davon, was sich ein Wohlfühlbuch nennt. Wer grausige Thriller mit ausführlichen Folterschilderungen und mit Sprengstoff in die Luft gejagten Kindern mag, oder ins Nichts führende Gesellschaftskritik, der wird hier fündig. Bei den nervigen Stoffwiederholungen und seltsamen Formulierungen, die ins Ressort unzureichendes Korrektorat fallen, muss man dann das Auge zudrücken. Bei der wenig augenfreundlichen Schrift tut man das automatisch.

Bewertung vom 05.12.2016
Die goldenen Tage
Sabolo, Monica

Die goldenen Tage


ausgezeichnet

Die Goldenen Tage ist eher ein literarisches Werk als ein reiner Unterhaltungsroman. „Atmosphärisch dicht“, wie es auf dem Buchrücken steht, kommt schon hin. Er lässt die Bilder der vergangenen Zeiten aus den 1960-gern bis in die 1990-ger im beliebten Urlaubsort samt seinen illustren Urlaubern und ihren mitunter fragwürdigen Beschäftigungen vorm inneren Auge ablaufen.
Besonders am Anfang musste ich oft an die Anfangsstrophen der berühmten Lensky Arie aus der Oper von Tschaikowsky Eugen Onegin denken. Lensky steht eines grauen Morgens kurz vorm Duell, blickt auf sein noch junges Leben eines verwöhnten Landadeligen zurück, ahnend, dass da nicht mehr viel kommen kann und singt:„Wohin, wohin, wohin seid ihr entschwunden, meines Frühlings die goldenen Tage.“
Um gerade diese goldenen Tage geht es in diesem Roman. Man ist jung, reich und schön, und beschäftigt sich in der ersten Linie damit, das Leben zu leben, was hier konkret heißt: Parties feiern, den drei Cs nachstellen, sie aus der Ferne bewundern, sich sexuellen Fantasien hingeben, in späteren Jahren Drogen besorgen und herausbekommen, wer von wem und wann entjungfert wurde, und von wem Claudia schwanger geworden ist. Diese rein körperlich Ebene ist den Figuren des Romans von zentraler Bedeutung, als ob das Leben nur aus reiner Physis besteht und sich nur auf dieser Ebene abspielt. Die schöne Fassade wird bis zum Ende aufrechterhalten. Was sich dahinter verbirgt, mal ist die Rede von aufgeregten Eltern, die ihr Geld und wertvolle Gemälde unauffällig zur Sicherheit über die Grenze in die Schweiz bringen; mal wird vom verdeckten Drogenhandel erzählt; auch sonst all das, was nicht in die Öffentlichkeit gehört, bleibt weitestgehend im Hintergrund, wie kleine Puzzlesteinchen, die Besonderheiten der damaligen Zeit, der Weltanschauung, die entsprechendes Verhalten fordern.
Es wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt: Anfang sind es die Jungs, die Bewunderer der drei Cs, die mit ihren Eltern in Crans Montana urlauben, dann erzählt Charlotte, eine von drei Cs, wie sie diese Zeit erlebt hat, dann kommt Chris, die nächste von drei Cs, dann wieder die Jungs, aber schon etliche Jahre später, als sie ihre eigenen Familien hatten und trotzdem noch die drei Cs vergötterten, und Valentina, Claudias Tochter, die als 23-Jährige die ehem. Freundinnen ihrer vor Jahren verunglückten Mutter Claudia besuchen kommt. Diese unterschiedlichen Blickwinkel bereichern die Geschichte, lassen tiefer in die Figuren blicken und erfahren, dass diese von vielen bewunderte Freundschaft auch eher oberflächlicher Natur war, die Lebensunlust und Melancholie breiten sich mehr und mehr aus.
Oft wirkten auf mich die unterschiedlichen Perspektiven aber recht irritierend, denn die Erzählung in dritter Person, bei allen Erzählern, schafft solch eine Distanz zu den Figuren, die eine Annährung fast unmöglich macht. Auch wurde gerne in der erzählten Zeit gesprungen, z.B. vom älteren Franco und seinem späteren Tod erzählt, wobei man woher noch weit in den Jahren davor war und nachher in einer anderen Perspektive wieder in viel früherer Zeit ansetzte.
Die Sprache ist eher gewöhnungsbedürftig. Sie versucht, und es gelingt ihr manchmal, bildhaft, gar poetisch zu wirken. Es gibt paar nette fremde Gedichte auf Italienisch, deren deutsche Übersetzung hinten aufgeführt ist. Stellenweise ist der Ausdruck aber recht überdreht. Bei einigen Metaphern und Vergleichen musste ich ein Auge zudrücken und denken, besser, wenn ich sie dort nicht gesehen hätte. „Wir barsten wie ein Haufen flimmernder Atome in Stücke und zerfielen zu Staub, wie jene, deren Geist im Raum schwebte.“ S. 175.
Insg. blieb der Roman hinter den Erwartungen zurück. Den letzten Halbsatz des KTs: „ …eine Lektüre, die Sehnsüchte heraufbeschwört, die man längst für vergessen hielt.“, kann ich nicht nachvollziehen. Wer mal was ganz anderes lesen will, denn der Roman ist schon eigenartig und kaum mit einem anderen vergleichbar, kann hier zugreifen.

Bewertung vom 17.11.2016
Gut leben
Zeldin, Theodore

Gut leben


sehr gut

Klappentext gibt treffend den Inhalt des Buches wieder. Wenn man das Vorwort liest, bekommt man Vorstellung des Autors von dem, wie die Diskussion aufgebaut ist und was im Buch insg. passieren wird. Es ist eine Art Gespräch, bei dem der Autor seine Sicht der Dinge zu den genannten Themen erläutert.
Es ist ein recht amüsantes Lesen. Die Denke von Theodore Zeldin ist so erfrischend anders, als das, was man sonst so im Bereich erwartet. Eine schnörkellose Stringenz der Gedankenführung, bei der erst die Thesenvorstellung, dann die aufgezählten Argumente in ihrer Eindeutigkeit und Klarheit folgen, dann Fazit als kurze Zusammenfassung des Gesagten, darf man hier nicht voraussetzen. Manchmal scheint, dass sich Zeldin vom Thema recht weit entfernt. Im Großen und Ganzen vermittelt er seine Aussagen sehr gut und deutlich. Wenn man sich einmal reingelesen hat, kann man nicht so leicht aufhören, da fliegen die Seiten nur dahin.
Theodore Zeldin ist ein Freidenker, dessen Ideen durchaus reizend und es wert sind, darüber allein zu sinnieren oder zusammen mit Freunden in einer geselligen Runde ausdiskutiert zu werden. Er stellt z.B. eine gängige Doktrin vor und sagt seine Meinung dazu, wie sinnvoll ihm dieses, oft hpts. in der öffentlichen Meinung existierende Gebilde erscheint, gibt auch Beispiele und Sicht der Dinge anderer Denker, manchmal aus früheren Jahrhunderten, Ost und West sind dabei bei gleichermaßen präsent. Zeldin erzählt das Leben bekannter und weniger bekannter Persönlichkeiten, die mit ihrem Gedankengut und ihren Werken eine Spur in der Geschichte, Philosophie und Literatur hinterlassen haben. Dabei musste ich staunen, was für eine Menge an Wissen dieser Mann bereits in sich aufgenommen hat. Er nutzt es, um seine eigenen Thesen zu erläutern und auch die Leser mit spannenden Lebensgeschichten zu unterhalten.
Das Buch ist auch sehr schön und hochwertig gestaltet. Leinen, wie in guten alten Zeiten, hält Festeinband und die darin enthaltenen Seiten prima zusammen und lädt zum Aufschlagen des Buches ein. Auf jeder Seite gibt es ein 1-2 Einsparungen, die eine knappe Zusammenfassung des gerade Gesagten darstellen.
Auf der Rückseite liest man einen Satz: „Zeldin ist ein mitreißender Weggefährte, ungezwungen und charmant, irrlichternd zwischen Geschichtsschreibung und Philosophie.“ The Independent. Das passt.

Fazit: Warum soll man dieses Buch lesen? Um Theodore Zeldin und seine Ideen kennenzulernen. Er gibt mit seinen Ausführungen ein breites Feld an Themen zum Nachdenken, sowohl über das eigene Leben, als auch über das der Gemeinschaft, in der man aktiv ist. Seine Vorschläge über die Gestaltung der Zukunft sind es wert, gehört und mit Freunden und Kollegen ausdiskutiert zu werden. Der Autor legt besonderen Wert auf den Gedankenaustausch und möchte diesen auch gezielt anregen. Er sagt, das kann zu gutem Leben führen. Das ist der Titel dieses Buches. Ich kann dieses Werk gerne weiterempfehlen. Als Geschenk zum Geburtstag oder zu den nicht mehr fernen Weihnachten für Freunde und Familie ist es eine gute Idee.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.11.2016
Die Schwester des Tänzers
Stachniak, Eva

Die Schwester des Tänzers


gut

„Die Schwester des Tänzers“ ist ein Frauenroman, der sich gründlicher Recherchen über die einst berühmte Familie Nijinsky und Künstlermilieu in Russland Anfang des XX Jh. bedient, jedoch kraft mangelnder Fertigkeit, die Leser auch emotional zu bewegen, nicht so recht überzeugen kann.

Es gibt zwei Zeitebenen. 1939 schreibt Blonislawa Nijinska, etwa Mitte vierzig, während der langen Schiffsüberfahrt in die USA ihre Erinnerungen ins Tagebuch. Sie denkt an ihre Kindheit zurück, an ihre Familie, an ihre Mutter, an ihren Vater, an ihren hochbegabten Bruder Waslaw, dem keiner etwas im Tanz vormachen konnte. Die damalige Zeit, was es hieß, in Russland als eine Künstlerfamilie zu leben, die Ideale der Kindheit, in die angesagte, vom Zaren unterstützte Tanzschule zu schaffen und dort die besten Ergebnisse zu erzielen, werden detailliert vor Augen der Leser ausgebreitet.

Die eigentliche Geschichte ist in Rückblenden, chronologisch in Zeitabschnitte aufgeteilt, wie z.B. 1894-1900, 1900-1908, etc. erzählt worden. Ins Jahr 1939 wird nur kurz zurückgekehrt. Dort passiert auch nicht viel, höchstens Bronjas Sorge, ob sie heil ankommen und auch angenommen werden, bleibt davon über. Erst scheint, dass Bronja allein fährt, aber nach und nach stellt sich heraus, dass sie auch weitere Familienmitglieder dabei hat.
Im Grunde ist es die Geschichte der Künstlerin und ihrer Familie, denn Bronja war auch selbst eine begabte Tänzerin und später Choreografin, die mit ihrer Arbeit Profis wie Laien stets überzeugte. Bronja ist eine bodenständige Frau, die ihren praktisch orientierten Verstand und ihr Können täglich einsetzt und das Überleben ihrer Familie sichert. Als Kontrast zu ihr steht ihr hochbegabter und allerseits bewunderter Bruder. Zu genial, um zumindest sein eigenes Leben und sein Genie in die produktiven Bahnen zu lenken. Das sich im Laufe der Jahre ändernde Verhältnis zu ihrem Bruder ist gut und deutlich herausgekommen. Auch der Konflikt Waslaws mit seinem Vater ist ebenso bildhaft rübergebracht worden. Es ist eben eine oft tragische Geschichte voller zwischenmenschlicher Konflikte.

Viele bekannte Namen fallen im Laufe der Erzählung: Anna Pavlova, Tamara Karsavina, die prima Balerinas der damaligen Zeit, Fjodor Shaljapin, der berühmte russische Sänger, der mit seiner tiefen Stimme damals ganz Europa bezauberte, Sergej Diagilev, Manager und Freund des jungen Waslaw Nijinsky, Igor Strawinsky, der berühmte rus. Komponist, uvm.
Was kunsthistorischen Gehalt angeht, ist der Roman recht interessant und hörenswert. Er gibt tiefe Einblicke ins Künstlermilieu der damaligen Zeit, führt vor Augen, was es eigentlich hieß, das Leben dem Tanz und der Kunst zu widmen, was es für Bronja bedeutete, einen genialen Bruder zu haben und oft in seinem Schatten zu stehen, wobei sie selbst auch hochtalentiert war und harte Arbeit nie gescheut hatte. Solche Fragen wie Freundschaft, Liebe, Familienzusammenhalt, Verantwortung fürs Leben anderer übernehmen, Kinderkriegen, aber auch Kindertod, Schuldzuweisungen, familiärer Zwist, uvm. werden vor Augen der Leser/Hörer ausgebreitet. So gesehen ist es ein typischer Familienroman.

Aber von der Seite der Fertigkeit, eine mitreißende Geschichte zu erschaffen, konnte mich „Die Schwester des Tänzers“ nicht ganz überzeugen. An mehreren Stellen kam sie mir recht langatmig vor.
Gabriele Blum hat ganz gut vorgelesen. Sie hat Bronja ihre Stimme gegeben und sich große Mühe gemacht, die Geschichte unterhaltsamer und lebhafter zu präsentieren. Dies ist ihr auch größtenteils gelungen, aber ganz konnte sie dem Text seine Eintönigkeit nicht wegnehmen.

Fazit: Eine durchaus interessante Geschichte der hochbegabten Tänzerin und Choreografin Bronislawa Nijinska, die man gerne kennenlernen sollte, wenn man sich für das Leben der Tänzer am Anfang des 20.Jh in Russland interessiert und etwas vom Geist der damaligen Zeit auf sich wirken lassen möchte. Auf emotionaler Ebene kann es nicht ganz überzeugen.