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hasirasi2
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Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1115 Bewertungen
Bewertung vom 22.03.2021
Mord in der Uckermark / Miss Merkel Bd.1
Safier, David

Mord in der Uckermark / Miss Merkel Bd.1


ausgezeichnet

Mit Mann, Mops und Bodyguard

„Und da denkt man, man hätte schon alle Sorten von Irren gesehen.“ (S. 13) Angela Merkel ist erst seit wenigen Wochen in Rente und zusammen mit Mann Achim, Mops Putin und Personenschützer Mike nach Klein-Freudenstadt in der Uckermark gezogen, als sie beim Spazierengehen von einem Mann in Ritterrüstung auf einem Pferd überholt wird. Der „Ritter“ stellt sich als Freiherr Philipp von Baugenwitz vor und lädt sie zum Weinfest auf sein Schloss ein. Nach dem Fest wird er tot im von innen verschlossenen Weinkeller gefunden und die örtliche Polizei plädiert auf Selbstmord. Aber Angela sieht das ganz anders. Zum einen war der Freiherr ein Schürzenjäger, der sich viele Feinde gemacht hatte, und zum anderen ist Angela langweilig. Sie braucht wieder eine Aufgabe! Immer nur Kuchen backen, den Hund ausführen und ihren Bodyguard in Verlegenheit bringen füllt sie einfach nicht aus. Also „überzeugt“ sie Achim („„Wie du meinst, Schatz“ … Ein Satz, den er sehr häufig sagte, weil er sein Leben wesentlich leichter machte. Und das von Angela auch.“ (S. 9)) und Mike, mit ihr zusammen zu ermitteln …

David Safier hat es geschafft, dass ich mich von der ersten Seite bis zur letzten Seite köstlich amüsiert und mitgeraten habe, ob es wirklich Mord war und wenn ja, wer warum dahintersteckt.
Ihm ist das Kunststück gelungen, Angela Merkel lustig, aber nicht lächerlich zu machen. Sie liebt immer noch ihren roten Blazer, macht die berühmte Raute um sich zu erden, wenn es unübersichtlich oder stressig wird, und bleibt diplomatisch, wenn sie darum gebeten wird Sachen zu regeln oder ihre Kontakte spielen zu lassen. Geschickt lässt er ihre Erinnerungen an die Jugend in der DDR einfließen und was sie als Kanzlerin erlebt hat – dabei kommt zwar kaum ein Politiker gut weg, aber für den Leser ist es extrem lustig. Angela ist sehr sympathisch, genau wie Achim, von ihr liebevoll „Puffel“ genannt. Der ist leider immer noch sehr weltfremd, unangepasst, oft viel zu ehrlich und eckt damit nicht nur einmal bei seinem Gegenüber an.
Mir hat gefallen, dass die beiden hier als liebevolles, gut eingespieltes Team dargestellt werden. „„Wir gehen morgen zum Aufschneiden der Leiche“, lächelte Angela. „Was für eine schöne Verabredung“, lächelte Achim zurück.““ (S. 76)
Auch Mike habe ich sofort ins Herz geschlossen. Der Personenschützer schlägt sich mit Problemen rum, die man sonst eher Frauen zuschreibt, ist sehr sensibel und schüchtern. Er versucht krampfhaft sein Gewicht zu halten, während Angela ihm diabolisch lächelnd immer extra große Stücke Kuchen mit viel Sahne auftut. „Seitdem er dem Ehepaar Merkel zugeteilt worden war, hatte er … bereits 2 Kilo und 385 Gramm zugenommen.“ (S. 11)
Der ermittelnde Kommissar Hartmut Hannemann ist kaum der Rede wert, mit seinem Leben unglücklich und zu unmotiviert, einen Mord als solchen überhaupt zu erkennen.

Angela hatte Achim einen ruhigen Lebensabend versprochen, aber die Umstellung fällt ihr nicht leicht. Zum Glück ist das beschauliche kleinstädtische Leben in der Uckermark nicht ganz so idyllisch wie erwartet. Bei ihren Ermittlungen stößt sie auf immer mehr Feinde des Toten und deren Motive. Zudem hatte sie gehofft, endlich eine richtige Freundin zu finden, aber plötzlich sind alle in Frage kommenden Frauen tatverdächtig. Wem kann sie noch trauen?

„Miss Merkel – Mord in der Uckermark“ ist sehr lustig, spannend und kurzweilig und zeigt die Kanzlerin von ihrer privaten Seite. Ich mochte auch die Uckermark als Schauplatz sehr und hoffe, dass Angela, Achim, Putin und Mike bald wieder ermitteln.

6 von 8 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.03.2021
Der Fall Gloriosa
Wilkes, Johannes

Der Fall Gloriosa


sehr gut

Mord mit Ansage

Endlich ist Kommissar Mütze zu seinem Lebensgefährten Karl-Dieter gezogen und sie müssen nicht mehr pendeln. Erfurt hat ja auch viel zu bieten, u.a. den weltberühmten Erfurter Dom mit seiner „Gloriosa“, der größten und klangschönsten freischwingenden Glocke des Mittelalters. Doch ausgerechnet in dieser hängt am Ostersonntag kopfüber ein Toter. „Unsere Gloriosa wiegt locker zehn Tonnen, das hält auch der größte Thüringer Dickschädel nicht aus.“ (S. 8) Und während Mütze und sein neuer Kollege Thomas Stulpenpilz, genannt Braunkärsch, im Umfeld des ersten Toten ermitteln, gibt es am Ostermontag bereits den nächsten – dieser wurde in einer Kiste mit Puffbohnen erstickt. In der Nähe finden sie einen Zettel: „Dieses war der zweite Streich, doch der dritte folgt sogleich.“ (S. 86). Damit ist klar, obwohl die Toten augenscheinlich nicht miteinander zu tun hatten, verbindet sie etwas. Aber was und wer wird das dritte Opfer sein? Und hört der Täter danach auf oder hat er, wie Max und Moritz, sieben Streiche, also sieben Opfer, im Sinn? Mütze und Braunkärsch müssen sich beeilen …

Ich kenne Mütze und Karl-Dieter bereits aus dem „Fall Fontane“ und habe mitgefiebert, als das liebenswerte Pärchen jetzt in eine Beziehungskrise stürzt. Auch Mützes Kollege Braunkärsch hadert mit einem schlimmen Erlebnis in seiner Vergangenheit, über das der Leser lange im Unklaren bleibt. Leider bleibt dadurch die Spannung etwas auf der Strecke. Es gibt zwar gleich zu Beginn einen Toten und bald darauf den nächsten, auch die Todesarten sind sehr außergewöhnlich, doch dann zieht es sich, weil die Ermittlungen immer wieder vom Privat- und Beziehungsleben der Ermittler unterbrochen werden. Während Mütze und Karl-Dieter im „Fall Fontane“ noch herrlich unprätentiös waren, wurden hier zu viele Klischees bedient. Mir fehlte das Stringente des Vorgängers.

Johannes Wilkes setzt auch im „Fall Gloriosa“ sehr auf die Vermittlung des Lebensgefühls in Erfurt, inkl. der Stadt- und Glockengeschichte. Dazu erfährt der interessierte Leser noch alles über das berühmte Erfurter Blau, das aus Waid gewonnen wird. Ergänzt wird das Buch durch Schillers „Lied von der Glocke“, „Wanderers Nachtlied“ von Goethe und Karl-Dieters Lieblingsrezepte.
Außerdem wird jedes Kapitel von der Glocke selbst beendet, indem sie ihre Erinnerungen und aktuelle Geschehnisse erzählt. Meiner Meinung nach ist das Buch etwas für Erfurt- und Literaturliebhaber, mir sind die 242 Seiten diesmal zum Teil etwas lang geworden. 3,5 Sterne.

Bewertung vom 11.03.2021
Kein Feuer kann brennen so heiß (MP3-Download)
Noll, Ingrid

Kein Feuer kann brennen so heiß (MP3-Download)


ausgezeichnet

Das späte Mädchen

Eigentlich sollte Lori (Lorina) ein Junge werden, genau wie schon ihre Schwester Carola. Die sieht wenigstens hübsch aus und ist eine erfolgreiche Bankerin, aber Lori ist für ihre Eltern eine Enttäuschung auf ganzer Linie: „Mein Gesicht erinnert an eine misslungene Kinderzeichnung.“ und ihr Körper würde jedem Mann zur Ehre gereichen – eben ein Plumplori. Aber sie kann sehr gut kochen, ist kräftig und redet nicht viel, der Beruf als Altenpflegerin scheint für sie perfekt zu sein.
Und die Stelle bei Victoria Alsfelder ist ein Lottogewinn. Die nette alte Dame ist seit einem Schlaganfall halbseitig gelähmt und sitzt im Rollstuhl. Ihr Mann hat sie zwar verlassen, sorgt aber gut für sie. Lori bekommt nicht nur ein sehr gutes Gehalt, sondern auch noch freie Kost und Logis. Außerdem gibt es noch die halbtags-Haushälterin Nadine, einen Gärtner und den Physiotherapeuten Boris, der Frau Alsfelder dreimal in der Woche behandelt. Ach ja, der Großneffen Christian, auch mehr oder weniger liebevoll „der Erbschleicher“ genannt, gehört auch zu der illustren Runde. Offiziell kümmert er sich um alles Technische und Finanzielle, aber Nadine traut ihm nicht und steckt auch Lori bald damit an.

Lori ist schon 30 und völlig unerfahren, als sie das erste Kompliment ihres Lebens bekommt. „Du hast wunderschöne Kulleraugen.“ sagt Boris zu ihr und obwohl Frau Alsfelder Lori warnt, lässt sie sich auf ihn ein. Leider wird aus dem stürmischen Liebhaber schnell ein tyrannischer Gigolo und Lori will ihm wirklich nur einen Denkzettel verpassen, der allerdings gewaltig schief geht …

Ingrid Noll hat sich mit „Kein Feuer kann brennen so heiß“ wieder einmal selbst übertroffen. Sie braucht sie keine dramatische Handlung, um Spannung aufzubauen, sondern nutzt geschickt eigentlich Alltägliches, außerdem liebe ich ihre pointierte Situationskomik. Ihre Figuren sind mitten aus dem Leben gegriffen und trotzdem herrlich skurril. Das ist zum einen die ungewöhnliche Arbeitgeberin, für die ein Physiotherapeut singen können muss oder wenigstens Gedichte und Balladen rezitieren, dafür macht sie gern Abstriche bei der fachlichen Kompetenz, und zum anderen die robuste Pflegerin, die mit 30 plötzlich die Frau in und die Liebe für sich entdeckt. Ergänzt werden sie durch die nette, aber misstrauische Haushälterin, den geschickten Erbschleicher, einen notorischen Fremdgänger und einen ewigen Studenten. Zu ihnen gesellen sich bald noch ein aufgeschwatzter Welpe und ein zurückgelassenes Baby, die den gemütlichen Haushalt ordentlich durcheinander und neuen Schwung reinbringen.

Das Hörbuch ist sehr amüsant und kurzweilig. Ich habe Anna Schudt gern zugehört. Ihre Stimme passt perfekt zur Ich-Erzählerin Lori, klingt je nach Situation spitzbübisch, unbedarft bzw. gewollt unschuldig.

Bewertung vom 10.03.2021
Das Kino am Jungfernstieg - Der Filmpalast / Kino-Saga Bd.2
Jary, Micaela

Das Kino am Jungfernstieg - Der Filmpalast / Kino-Saga Bd.2


ausgezeichnet

Vier Jahre sind vergangen, seit Lili Pahl und John Fontaine nach der verschwundenen Filmrolle von Thea von Middendorffs letztem Film gesucht und dabei ein Familiengeheimnis aufgedeckt haben. Leider hatten sie auf dem Heimweg einen schweren Autounfall und Lili kann sich nicht mehr erinnern, was sie damals gefunden haben. Aber sie weiß noch, dass sie und John ein Liebespaar waren.
Seit damals hat sich viel verändert. Lili wurde bei dem Unfall schlimm verletzt und konnte sich nicht dagegen wehren, dass ihr Mann Albert und Peter, der Mann ihrer Halbschwester Hilde, aus dem Filmpalast von Lilis Eltern einen Jazzclub gemacht haben. Lili möchte nichts mehr mit dem Filmgeschäft zu tun haben und arbeitet als Cutterin für die Wochenschau. Als sie einen Bericht über die neu gegründete Berlinale schneidet erfährt sie, dass Thea von Middendorff einen neuen Film drehen wird – ausgerechnet John Fontaine berichtet darüber.

Micaela Jary schließt mit dem zweiten Band zwar nahtlos an die Handlung des ersten an, trotzdem muss man diesen nicht unbedingt gelesen haben, um die Zusammenhänge zu verstehen.

Lili ist eine in mehrfacher Hinsicht gebrochene Frau. Bei dem Unfall hat sie sich u.a. das Becken gebrochen und seitdem fast immer Schmerzen. Mit ihrem Mann verbindet sie nur eine Vernunftehe, trotzdem fordert er regelmäßig seine ehelichen Rechte ein. Ihr Schwager und ihre Halbschwester wollen ihr nach dem Kino jetzt auch noch das Trümmergrundstück abluchsen, auf dem ihr Elternhaus stand. Und Lili hat sich fast schon mit allem abgefunden, kaum Kraft oder einen Ansporn, etwas an der Situation zu ändern – bis John und Thea in Hamburg auftauchen. Lili liebt John immer noch, aber sie traut ihm nicht und rechnet sich auch keine gemeinsame Zukunft mit ihm aus.

Neben Lili sind auch ihre Nichte Gesa und Thea zwei sehr interessante Figuren. Gesa mochte ich schon im ersten Band, sie ist eine sehr nette, hilfsbereite und unkomplizierte junge Frau, die von der Karriere beim Film träumt und Lili nacheifert. Thea hingegen hat ihre beste Zeit, die große Karriere, eigentlich schon hinter sich, aber der neue Film ist ihre Chance, wieder durchzustarten. Wenn da nicht ihre Vergangenheit und das Geheimnis um den Tod ihres Mannes wären …

"Der Filmpalast“ ist extrem spannend, stellenweise fast schon ein Krimi. Lili versucht sich zu erinnern, was 1944 und 1947 geschah, warum es zu dem Unfall kam und was sie zuvor entdeckt hatten. Außerdem will sie das Trümmergrundstück nicht auch noch an Hilde verlieren.

Es war erschreckend zu lesen, wie wenig Rechte Frauen damals hatten. Obwohl Lili und Hilde ihre Eltern beerbt hatten, bestimmen ihre Männer über die Besitztümer, machen die Geschäfte, verwalten die Konten und dürfen ihren Frauen sogar verbieten zu arbeiten. Hilde und Lili erfahren nicht einmal, wie es überhaupt um ihr Vermögen steht Für Hilde ist das völlig in Ordnung, sie bekommt ein großzügiges Haushaltsgeld zugeteilt und ordnet sich ihrem Mann in allem devot unter. Lili hingegen will ihr Leben selbst bestimmen, kann das Kino und die Villa ihrer Eltern nicht vergessen und träumt von deren Wiederaufbau.

Micaela Jary zeigt ein sehr eindrucksvolles Bild der damaligen Zeit. Neben einem spannenden Einblick in die Entwicklung des Filmgeschäftes, lässt sie auch den Alltag wieder lebendig werden. Die Versorgungslage hatte sich zu Beginn der 50er Jahre noch nicht wirklich verbessert. Die Menschen hatten zwar wieder ausreichend zu Essen, aber es gab keine Kleiderstoffe oder Schuhe zu kaufen. Wohnraum war extrem knapp, die Städte oft noch Trümmerwüsten und die Besitzer der Grundstücke wurden enteignet bzw. mit kleinem Geld abgefunden, wenn sie die zerstörten Gebäude nicht aufbauen konnten. Die Frauen hatten kaum Rechte, dafür aber umfängliche Pflichten und ein selbstbestimmtes Leben war ihnen leider nur selten vergönnt.

Mich hat auch es restlos begeistert und ich bin gespannt, ob Lilis Geschichte jetzt auserzählt ist oder wir doch noch erfahren, wie es mi

Bewertung vom 09.03.2021
Klaras Schweigen
Storks, Bettina

Klaras Schweigen


ausgezeichnet

Der Franzose

Freiburg 1948/49: Klara ist 18 und hatte Glück, ihre ganze Familie hat den Krieg überlebt und ihr Haus steht auch noch. Sie arbeitet in einem Économat (Lebensmittelgeschäft für die französischen Soldaten) und geht am Wochenende gern tanzen. Ihre jüngere Schwester Lotte geht noch zur Schule und ihre Mutter verdient Geld mit Näharbeiten, da ihr Vater seit Jahren arbeitslos ist. Er ist kein angenehmer Charakter, macht den 3 Frauen das Leben zur Hölle, kontrolliert und beschimpft sie, will jeden ihrer Schritte bestimmen – schließlich ist sie erst mit 21 volljährig. Klara lehnt sich immer wieder auf, während ihre Mutter und ihre Schwester kuschen. „Ohne dich war alles viel besser. Da war der Krieg draußen. Jetzt haben wir ihn hier im eigenen Haus mit dir.“ (S. 78)

Freiburg 2018: Nach einem Schlaganfall spricht Klara plötzlich nur noch Französisch. Ihre Enkelin Miriam ist irritiert, sie wusste nicht einmal, dass Klara die Sprache beherrscht, dabei ist sie nach dem frühen Unfalltod ihrer Eltern bei ihr und Opa Eduard aufgewachsen. Eines der ersten Worte, die Klara sagt, ist „Pascal“. Miriam hat den Namen noch nie gehört, aber Klaras Schwester Lotte sagt abwertend, dass das „der Franzose damals“ gewesen sein könnte. Mehr will oder kann sie dazu allerdings nicht sagen.

Miriam ist schon Mitte 40 und beruflich erfolgreich, aber privat läuft es nicht so gut. Ihr Leben ist von Verlusten geprägt, sie tut sich schwer damit, anderen zu vertrauen und Beziehungen einzugehen.
Klara scheint ein erfülltes und glückliches Leben gehabt zu haben, wenn man vom frühen Verlust ihrer Tochter absieht. Doch sie, Eduard und Lotte haben sich vor Jahren geschworen, dass eine Sache nie ans Licht kommen darf und Klara hatte sie erfolgreich verdrängt. Durch den Schlaganfall kommen die Erinnerungen nach und nach wieder hoch und reißen die alten Wunden neu auf.

Auf der Suche nach Klaras Vergangenheit und dem mysteriösen Pascal reist Miriam bis an die Atlantikküste, doch auch dort können nicht alle Fragen beantwortet werden – einigen Antworten wissen nur Klara und Lotte. „Ein Tisch und siebzig Jahre Klaras Schweigen trennten sie voneinander.“ (S. 284) Die werden gezwungen, sich endlich an damals zu erinnern und vor allem damit auseinander zu setzen. Am Ende muss auch Miriam ihre Biographie neu schreiben.

„Klaras Schweigen“ ist eine sehr ergreifende Liebes- und Lebensgeschichte. Bettina Storks beschäftigt sich darin mit Vergangenheitsbewältigung und Verlusten, Familiengeheimnissen und welche Erfahrungen und oder Ängste wir (unbewusst) von unseren Vorfahren übernehmen. Sehr einfühlsam und gleichzeitig fesselnd erzählt Bettina Storks parallel auf zwei Zeitsträngen Klaras und Miriams Geschichte.

Bewertung vom 02.03.2021
Prost, auf die Erben
Kalpenstein, Friedrich

Prost, auf die Erben


sehr gut

Der Sheriff von Brunngries

Als Brunngries‘ erfolgreichster Bauunternehmer Ludwig Holzinger tot in der Badewanne gefunden wird, auf dem Tisch neben ihm diverse Spirituosen und eine sehr teure Zigarre, überrascht das die Dorfbewohner kaum. Ludwig hat selber immer mit seinem frühen Tod gerechnet. „Der Holzinger hat immer Vollgas gegeben. Ob auf der Straße oder im Leben.“ (S. 26) Und als bei der Obduktion herauskommt, dass es Mord war, werden sofort seine negativen Seiten und Eigenschaften ans Licht gezerrt. Seine Zahlungsmoral als Unternehmer war unterirdisch, er lag mit seinen Geschwistern im Clinch und hat alles flachgelegt, was nicht bei drei auf dem Baum war. Tatmotive und -verdächtige gibt es also genug, aber wer hat ihn nun warum auf dem Gewissen?

„Prost, auf die Erben“ ist der zweite Fall, den Hauptkommissar Constantin Tischler in Brunngries ermitteln muss. Tischler hat sich inzwischen eingelebt und kennt die meisten Menschen im Ort, aber wenn es um Interna, kleine Geheimnisse oder Altlasten geht, sind ihm der übereifrige Polizeiobermeister Fink und vor allem dessen Mutter stets einige Schritte voraus. Zum Glück teilen sie ihr Wissen gern mit ihm, und zum Leidwesen von Tischlers Magen auch einige ungewöhnliche bayrische „Köstlichkeiten“.
Weil Holzingers Großbaustelle, ein Chaletdorf für Urlauber kurz vor der Fertigstellung, wegen der Ermittlungen stillgelegt wurde, hängen Tischler diesmal der Polizeioberrat und der Bürgermeister im Nacken. Er soll doch bitte an die Nachunternehmer und die fehlende Tourismuseinnahmen wegen der verzögerten Fertigstellung denken! Und Pressemeldungen á la „Mord in der Feriensiedlung“ sind ja auch ganz, ganz schlecht für Brunngries!
Auch privat läuft es nicht so richtig rund. Britta (Frau Dr. Neufeld), die er beim ersten Fall kennengelernt hat, lässt sich zwar weiterhin von ihm umwerben, ihn aber (noch?) nicht ran. Außerdem legt ihm weiterhin jemand aus seiner Vergangenheit gefaltete Papierkraniche auf die Fußmatte und erinnert ihn damit an ein Versprechen und eine große Schuld.

Friedrich Kalpenstein schreibt gewohnt humorvoll, mit viel Lokalkolorit („Die ganze Gegend ist ein einziger Heimatfilm …“ (S. 62)) und auch die Spannung des Kriminalfalles stimmt. Da ich lange in einer Baufirma gearbeitet habe, kamen mir beschriebenen Zustände auf der Baustelle und in der Branche leider nur zu bekannt vor – gemauschelt wird halt überall, das Setting passte perfekt.
Nur Tischler selbst ist für mich kein richtiger Sympathieträger – muss er ja aber auch nicht zwingend sein. Er bezeichnet sich als Sheriff von Brunngries und scheint wie aus einem alten Western gefallen: ein echter Macho mit O-Beinen, einem locker sitzenden Colt und zu viel Testosteron im Blut. Weich wird er nur bei seinem Jaguar E-Type 1969 und seiner Hightech-Kaffeemaschine. Mal sehen, ob ich bei seinem nächsten Fall immer noch den Ohrwurm „Macho Man“ von „The Village People“ im Ohr habe …

Bewertung vom 28.02.2021
Der Club der toten Sticker
Kruse, Tatjana

Der Club der toten Sticker


ausgezeichnet

… denn ihr Hobby ist mörderisch!

„Ich bin auf der Flucht und brauche Hilfe! … Man hält mich für einen Mörder!“ (S. 134) Nie hätte der pensionierte Kommissar Siggi Seifferheld damit gerechnet, dass er selbst mal in das Visier seiner ehemaligen Kollegen gerät. Kurz zuvor hatte er noch gedacht, dass die sehr hübsche, sehr junge, aber leider auch leicht übergriffige und übermotovierte Journalistin Gunda Selund sein größtes Problem ist, die immer noch seine Biographie schreiben will. Doch dann wird ein toter Sticker nach dem anderen gefunden – ermordet mit einer Präzisionsschleuder. „Seifferheld hatte in seinem Job viel gesehen, ab das war das Unheimlichste, was ihm je untergekommen war.“ (S. 54) Sticken ist zum tödlichen Hobby geworden und jeder Sticker in Lebensgefahr. Räumt Siggi, der vom Weltruhm als DER Männersticker träumt, etwa die lästige Konkurrenz aus dem Weg oder hat er sich gar einen St(rrr)icker zum Feind gemacht?! Oder gibt es jemanden in seiner Vergangenheit, der jetzt endlich mit ihm abrechnen will?

„Es ließ sich nicht leugnen, ein Teil von Seifferheld war neugierig. Aber der überwiegende Teil von ihm war über 60 und wollte die letzten Jahre nicht mit Mordermittlungen verbringen, sondern damit, sich einen Namen als Sticker zu machen.“ (S. 43) Eigentlich wollte sich Siggi endlich nur noch auf sein Hobby, ach was sage ich, seine Berufung – das Sticken – konzentrieren und keine irren Mörder mehr jagen. Aber den Verdacht, selber der Täter zu sein, kann er natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Normalerweise ermittelt ja immer seine ganze Familie mit, aber diesmal sind er und Hovawart Onis auf sich allein gestellt. Seine eifersüchtige Herzdame Marianne ist wegen einer Erb-Sache im Ausland unterwegs und seine Schwester Irmingard mit ihrem Mann Helmerich im Urlaub. Nur die neugierige Frau Hoppe von gegenüber sieht, hört und weiß fast alles und damit dann kurz darauf ganz Schwäbisch Hall …

Sehr spannend, sehr rasant und unvergleichlich amüsant! „Der Club der toten Sticker“ ist schon der 8. Band mit Kommissar Siegfried Seifferheld und hoffentlich nicht der letzte! Tatjana Kruse versteht es meisterlich, den Leser mit falschen Fährten, skurrilen Protagonisten, Siggis nicht immer ernstzunehmenden Polizeiberichten, viel Schwäbisch Haller Lokalkolorit, einem filmreifen Showdown und ihrem unvergleichlichen Humor zu fesseln und bestens zu unterhalten.
Außerdem liebe ich die pointierten Beschreibungen des (Zusammen-) Lebens in einer Kleinstadt, in der fast jeder jeden kennt (wenn auch nur vom Sehen) und man sich von den neugierigen Nachbarn oder der überfürsorglichen Familie ständig überwacht fühlt.

Leider war auch dieses Buch wieder viel zu schnell ausgelesen. Wann kommt Nachschub, Frau Kruse???

Bewertung vom 24.02.2021
Mit Abstand verliebt
Rothmund, Juli

Mit Abstand verliebt


sehr gut

Liebe in der Krise

Februar 2020: Auf der Party eines Freundes fällt Jelly Lennard auf – vor allem seine ungewöhnlich grünen Augen haben es ihr angetan. Doch Lennard hat kein Interesse an dem über und über tätowierten Surfergirl. Trotzdem treffen sie sich kurz darauf wieder – in der Schlange für den Corona-Test, weil der Gastgeber der Party positiv ist. Leider sind die Tests kurz vor ihnen alle und sie werden nach Hause geschickt. Während sich Lennard an die 14tägige freiwillige Quarantäne hält und sich noch Wochen danach panisch auf Symptome untersucht, nimmt es Jella gelassen und lebt ihr Leben einfach weiter – die Party ist schließlich schon ne Weile her. Trotzdem bleiben sie in Kontakt via WhatsApp, erst lose, dann wird es immer enger und schließlich merken sie, dass sie sich ineinander verliebt haben. Aber ein Treffen im wirklichen Leben ist inzwischen nicht mehr drin, oder?

„Mit Abstand verliebt“ ist die erste Corona-Love-Story und verknüpft geschickt das Prickeln und Herantasten einer neuen Liebe mit den besonderen Bedingungen während einer Pandemie. Dabei wurden viele Fakten und kuriose Nachrichten rund um das Virus amüsant verpackt und der damals aktuellen Entwicklungsstand wird immer wieder zwischen den Kapiteln eingestreut.
Es geht dem Autorenduo darum, alle Auswirkungen von Covid bzw. der Bedrohung durch es zeigen – physische und psychische, aber auch materielle. Sie stellen Existenz- und allgemeinen Ängsten, Entlassungen und Kontaktsperren neuen Hobbys und das generelle Umdenken oder einer Neufindung gegenüber. „Ich glaube, viele haben Angst vor Langeweile.“ … „Ich glaube, die meisten Leute haben Angst vor sich selbst.“ (S. 142)
Allerdings wurde mir das stellenweise zu ausufernd und sachlich, auch der erhobene moralische Zeigefinger war manchmal zu viel.
Man erinnert sich beim Lesen unweigerlich an die Anfangszeit von Corona, die Ahnungs- und Arglosigkeit und späteren Ängste. Zudem ist die Thematik ungebrochen aktuell, steuern wir doch gerade auf die 3. Welle zu.

Die Liebesgeschichte an sich sehr süß und außergewöhnlich, gerade weil Jella und Lennard sehr verschieden sind. Währen Jella das Leben genießt, bereitet sich Lennard akribisch und strategisch auf alle Möglichkeiten vor. Sie steht zwar nicht unbedingt für die Corona-Leugner, aber zumindest für die, die es lange (zu) locker gesehen und die Gefahr verkannt bzw. verdrängt haben. „Es wird ja hoffentlich bald Entwarnung geben, und wir können zu unserem normalen Leben zurück.“ (S. 83) Leonard ist das totale Gegenteil. Er bestellt schon Masken und Desinfektionsmittel, bevor es alle machen, richtet sich das perfekte Homeoffice ein und plant alles durch. Trotzdem finden sie virtuell zueinander und haben wirklich romantisch Dates. Und am Ende versteht man auch, warum beide so geworden sind, wie sie sich geben.

4 Sterne für diese amüsante und zum Nachdenken anregende Lovestory.

Bewertung vom 21.02.2021
Wohin die Reise geht
Ferber, Marlies

Wohin die Reise geht


ausgezeichnet

Mit Gerontos on Tour

Es ist eine sehr ungewöhnliche Reisegesellschaft, die Marlies Ferber auf diesen abgedrehten Roadtrip schickt.
Rentner Jakob soll für seinen Sohn 1 Mio. € Schwarzgeld zu einer Schweizer Bank bringen, getarnt als Kurzurlaub („… ich will einen Notgroschen, in Sicherheit … Nicht für mich, aber für die Familie …“ (S. 16.). Seinem Chorfreund Matthias erzählt er zwar von der Reise, aber natürlich nicht von dem Geld. Matthias ist Polizist, war schon ewig nicht mehr im Urlaub und will mit. Außerdem können sie in seinem Wohnwagen reisen - „Modell Rossini. Mit Lattenrost und orthopädischer Matratze.“ (S. 25). Und natürlich reist auch Eddie mit, Matthias Hund, ein früherer Bombenspürhund mit Knalltrauma.
Auf einer Raststätte fällt Jakob Tilda auf. Sie ist verwirrt und weiß nicht, wie sie hier hingekommen ist, aber sie kennt ihre Adresse – zumindest ungefähr. Tilda erinnert ihn an seine verstorbene Frau, die ebenfalls dement war.
Auch die Straßenmusikerin Alex ist auf der Raststätte gestrandet. „Je nachdem, wie sie sich zurecht machte, konnte sie wie fünfzehn oder fünfundzwanzig aussehen. … Offen für Veränderung, bereit zur Täuschung.“ (S. 28) Sie behauptet, von ihrer Reisegruppe vergessen worden zu sein. Jakob hat mit beiden Frauen Mitleid und überredet Matthias, sie mitzunehmen.
Doch nicht nur Jakob, sie alle haben ein Geheimnis. Und dann kommt es zur Vollsperrung der Autobahn, weil die Polizei jemanden sucht …

„Wohin die Reise geht“ ist eine bittersüße, melancholische und überraschende Geschichte über vier völlig verschiedene Menschen, die durch den Zufall und das Schicksal zusammengeschweißt werden.
Jakob hatte früher eine Kaffeerösterei. Nach dem Konkurs folgte der soziale Abstieg, den ihm sein Sohn heute noch unterschwellig vorwirft. Nur deswegen lässt er sich zu dem Geldtransport überreden. Sein schlechtes Gewissen wird noch größer, als er Matthias belügen und ihm eine harmlose Reise vorgaukeln muss.
Matthias ist erst 40, aber gesundheitlich angeschlagen. Er hat eine gute Menschenkenntnis und überhaupt kein gutes Gefühl bei Alex.
Die hält ihre Mitreisenden ganz schön auf Trab. Sie hatte es bisher nicht leicht und läuft vor ihren Problemen davon, verklärt die Situation aber. „Ich will keine Wände, der Himmel ist mein Zelt, nachts leuchten mir die Sterne. Die Welt ist mein Zuhause.“ (S. 165)
Tilda hingegen hatte ein erfülltes Leben. Sie war Opernsängerin und Lehrerin, leider ohne eigene Kinder. Ihr Mann und ihre beste Freundin sind schon gestorben. Zum Glück kümmern sich deren Kinder um Tilda. Dass sie seit einiger Zeit immer wieder Sachen verlegt und Aussetzer hat, macht ihr Angst. Sie will auf keinen Fall ins Heim! Und auf der Reise scheinen die Probleme gleich viel kleiner zu sein. „Sie hatte sich jung gefühlt, wie beim Aufbruch in die weite Welt, die Abenteuer und Überraschungen bereithielt.“ (S. 178)

Die Autorin schreibt mit leichter Feder über falsches Pflichtgefühl, Unrechtsbewusstsein und Schuld, über die Annäherung der verschiedenen Charaktere und Generationen und Hilfe zur Selbsthilfe.

Selten hat mich ein Unterhaltungsroman so nachhaltig berührt und zum Nachdenken angeregt. Wie gehen wir eigentlich mit unseren „Alten“ um? Sind wir uns immer bewusst, dass sie trotzt allem noch mündig sind, auch wenn sie schon kleine Aussetzer haben und schwierig im Umgang werden?

Mein Tipp für alle, die „Goldene Zeiten im Gepäck“ von Adriana Popescu mochten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.02.2021
Die Frau von Montparnasse / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.17
Bernard, Caroline

Die Frau von Montparnasse / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.17


sehr gut

Herz aus Kopf an?
Das Gefühl hatte ich beim Lesen von Caroline Bernards neuem Roman über Simone de Beauvoir. Gegen alle Konventionen und die Erwartungen ihrer Eltern studiert Simone Philosophie und wird Lehrerin, lernt dabei Jean-Paul Sartre kennen und lieben und bindet sich mit einem Pakt lebenslang an ihn – keine Heirat aber eine gleichberechtigte Beziehung, bei der sie auch andere Partner haben dürfen. Es klingt revolutionär – denn neben ihrer sexuellen Freiheit würde er ihr auch nie vorschreiben, wie, wo oder woran sie arbeitet oder ihre Zeit verbringt. Dass Sartre sich in der Realität dann doch immer wieder einmischt, vor allem wenn es seine Affären (er)fordern oder er Simone antreibt, dass sie ihren Roman schreiben soll, hat sie hingenommen.
Keine Frage, Simone de Beauvoir war und ist eine Frau, die polarisiert. Aus gutem Hause stammend hätte sie nach dem Willen ihrer Eltern eigentlich einen passenden (reichen) Mann heiraten und Kinder in die Welt setzen sollen, doch sie will mehr. Und weil es noch kein Vorbild für die moderne unabhängige Frau gibt, wird sie es eben selbst. Sie ermutigt ihre Schülerinnen zu selbstständigem Denken und freien Entscheidungen, fördert sie und damit oft auch die Abnabelung vom Elternhaus. Und nicht wenige von ihnen landen in Sartres oder ihrem Bett und damit ihrem Leben. Sie alle werden eine große Familie, oft belastet von persönlichen Dramen, aber man kümmert sich umeinander und unterstützt sich. Wobei gerade der Zusammenhalt, die Organisation und Planung des zum Teil sehr fragilen Gebildes allein in Simones Händen liegt.

Caroline Bernard zeichnet hier das Bild einer Frau, die bis zur Selbstaufgabe arbeitet. Ich hatte oft das Gefühl, dass alle anderen und deren Bedürfnisse – allen voran Sartres – zuerst kommen. Simone liest seine Arbeiten gegen und gibt ihm immer wieder neue Denkanstöße. Ihr eigene Arbeit erledigt sie erst danach, wenn er sie nicht mehr braucht. Ihr ganzes Leben lang überdenkt sie immer wieder die Rolle der Frau im Allgemeinen und ihre eigene im Besonderen und erkennt irgendwann: „Man kommt aber nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ (S. 413) Sie ist die ewig Zweifelnde, stagniert nie, sucht immer neue Blickwinkel und ist offen für Anregungen – und man ist als LeserIn live dabei.
Ich habe sie für ihren Mut und ihre scharfe Intelligenz bewundert, dass sie kein Problem damit hat, Sartre und anderen Männern oder Frauen zu widersprechen und ihnen die Fehler in ihre Interpretation oder Argumentation aufzuzeigen.
Genau wie in ihrem Denken und Leben nimmt Sartre auch im Roman einen sehr großen Platz ein. Egal wie frei sie zu sein glauben, sie können nicht ohne einander, auch wenn es irgendwann nur noch eine geistige Verbindung ist und keine körperliche mehr. Dabei habe ich mich oft gefragt, ob es wirklich Simones freier Wille war, sich so an ihn zu binden, oder ob sie sich ihm doch (unbewusst) unterworfen hat. Schließlich hat er von Beginn an die Rahmenbedingungen ihrer Beziehung festgelegt. In meinen Augen hat sie zu viel hingenommen, ihm seine Fehler immer wieder nachgesehen und entspricht damit meiner Meinung nach doch genau dem Frauenbild, dass sie verändern wollte. Sie fordert Freiheit und Unabhängigkeit für alle Frauen und ist es doch selber nicht, lässt sich von ihm manipulieren. Am erschreckendsten fand ich, dass sie aus Rücksicht, seine Gefühle und seinen Ruf einen ihrer Liebhaber bis nach Sartres Tod verheimlicht hat.

„Die Frau von Montparnasse“ ist ein Buch, für das man Zeit braucht. Es regt dazu an, sich mit Simone und Jean-Paul als Menschen, Philosophen und Literaten auseinanderzusetzen und auch damit, in wieweit sich unsere Rollenverständnisse im Vergleich zu damals geändert haben oder nicht.
Caroline Bernard schreibt sehr emotional, lässt uns auch Simones Nervenkrisen und Unsicherheiten miterleben und in das Paris und Lebensgefühl zu Beginn des letzten Jahrhunderts abtauchen.