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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 09.09.2007
Kalter August
Temple, Peter

Kalter August


ausgezeichnet

Wenn ein Ermittler das Gefühl hat, daß seine eigenen Leuten ein falsches Spiel treiben, er zur selben Zeit in einer tiefen Lebenskrise steckt, sind das nicht die besten Voraussetzungen, um wie ein Held dazustehen. Auch in der Provinz gibt es Rassismus, Korruption, politische Intrigen und Kindesmißbrauch. Joe Cashion, der sich nach Verwundung und anschließender Versetzung vor der Abgründen der Welt in Sicherheit gebracht zu haben glaubte, findet sich urplötzlich mitten im sozialen, wie moralischen Verfall wieder, während er selber sein Haus reparieren muß, eine seltsame Freundschaft zu Rebb, einem Streuner ohne festen Wohnsitz, unterhält und eine neue Liebe findet, vor der er sich eher fürchtet, als sich Kopf über in sie hineinzustürzen. Es geht ums Überleben in Peter Temples ausgezeichnetem Roman. Selbst die Mörder am Ende strengen sich auf grausige Art an, ihre Vergangenheit zu bewältigen. Wie Temple es schafft, den Suspense seiner Handlung nicht zu untergraben, während er ein Spiegelbild der australischen Gegenwart zeichnet, ist lesenswert und macht neugierig auf seine bereits erschienen Romane.
Polar aus Aachen

1 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.09.2007
Erklärt Pereira
Tabucchi, Antonio

Erklärt Pereira


ausgezeichnet

Kann man sich der Politik entziehen, unter einer Diktatur zumal? Ja. Es gibt genug Nischen, in denen man es sich bequem machen kann. Wie ein gewisser Pereira in Lissabon. Man muß die Augen nicht unbedingt verschließen, man darf nur den Mund nicht öffnen und schon wehen die politischen Zustände über einen hinweg. Trotzdem läßt er sich um seine Beschaulichkeit bringen, als Monteiro Rossi und seine Freundin Marta in sein Leben treten. Ein Leben, daß unter der eigenen Vergangenheit wie begraben da liegt. Daß Tabucchi seinen Helden daraus erwachen läßt, liegt in seinem Glauben daran, daß es nur eines Anstoßes braucht, um einen inneren Umsturz zu erzielen. Zur richtigen Zeit, von den richtigen Personen und man bewegt sich doch. Einher geht diese Veränderung in Pereira mit dem Gefühl, daß das Leben zu ihm zurückkehrt. Die Angst, wie der Mut, wie die Zweifel, unter Umständen sogar den Tod. Doch ein Leben, ohne all das, was einen Menschen ausmacht, erzählt uns Tabucchi in seinem klugen Roman, ist kein Leben, das sich zu leben lohnt.
Polar aus Aachen

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.09.2007
Das Schweigen des Lichts
Jelloun, Tahar Ben

Das Schweigen des Lichts


ausgezeichnet

Wie bewertet man einen politischen Roman, dem es in erster Linie darauf ankommt, die Folgen einer Fehlentscheidung zu schildern, die bei anderem Ausgang anders bewertet worden wäre? Es handelt sich bei "Das Schweigen des Lichts" nicht um eine Reportage, die Fakten aneinander reiht, um aufzuklären. Salims Geschichte nach dem gescheiterten Putsch gegen König Hassan II dient Tahar Ben Jelloun als Beschreibung einer Verurteilung zum langsamen Verrecken unter der Erde. In seinen drastischen Bildern erschreckend. In einer bildreichen Sprache wird beschrieben, wie ein Mensch versucht in seinen Gedanken zu überleben, sich der Gefühle, den Schwächen zu entwöhnen, sich einen Rest Menschenwürde zu bewahren. Ein Sujet kommt zu einem Autor, ist womöglich nur zu einem bestimmten Zeitpunkt für ihn faßbar. Tahar Ben Jellouns Verarbeitung der Ereignisse in Tazmamart ist persönlich. Er erhebt nicht den Anspruch zu dokumentieren. Doch durch seinen Roman entreißt er die Eingeschlossenen der Vergessenheit. Was kann man mehr von ihm verlangen? Daß er uns mit seiner politischen Meinung überfrachtet? Im günstigsten Fall veranlaßt er uns dazu, mehr wissen zu wollen. Und das ist jedem im Zeitalter des Internets möglich. Tahar Ben Jellouns Roman gibt uns dazu das Rüstzeug in die Hand, indem er uns mit seiner Poesie verführt, ihm bis ans Ende zuzuhören.
Polar aus Aachen

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.09.2007
Kalte Hölle / Inspektor Rutledge Bd.7
Todd, Charles

Kalte Hölle / Inspektor Rutledge Bd.7


weniger gut

Was wirklich überrascht an diesem eher biederen Krimi, ist der tote Freund von Inspektor Rutdlege, der sich in bester Freundesmanier immer wieder mal zu Wort meldet, um seine Sicht der Dinge darzulegen oder eine Bemerkung fallen zu lassen, die Rutledge nicht in den Kram paßt. Die Geschichte ist altbekannt: Ein tote Familie, ein Kind überlebt und taucht ab, ein Kreis von Verdächtigen, viel Schnee, so daß niemand wegkommt. Und wir befinden uns im Orientexpress oder auf dem Nil und harren der Aufklärung durch den genialen Mr. Rutledge. Er ist allerdings nicht ganz zu unantastbar geformt wie ein Mr. Poirot. Ihm wird der Fall sogar entzogen, und er ist auf die Hilfe der verschwiegenen Dorfbewohner angewiesen. Nur bedingt spannend. Eher ein Roman der Kälte in einer abgelegenen Landschaft, und eine Beschreibung, wie man als Mensch dort überlebt.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 09.09.2007
Anna Karenina
Tolstoi, Leo N.

Anna Karenina


ausgezeichnet

Ein Roman, der sich in seinem ersten Satz spiegelt, der wie eine Essenz vieler Tragödien anmutet: „Alle glücklichen Familien ähneln einander; jede unglückliche aber ist auf ihre eigene Art unglücklich.“ Und doch ist Anna Karenina vor allem die Tragödie einer Frau. Weltliteratur sorgt immer wieder dafür, daß die Geschichten, die zuvor so nie erzählt worden sind, einem vorkommen, als wären sie einem längst bekannt, als habe da jemand es nur auf den Punkt gebracht. Sie sorgt dafür, daß ihre Geschichten sich über die Jahrhunderte so anfühlen, als erlebten wir sie jetzt, als brauchten wir nur die Mode, die Frisuren, die Offiziersjacken auszuwechseln und der modernen Technik Tribut zu zollen und entdeckten Anna Karenina an der nächsten Ecke. Was für eine große Liebestragödie, bei der Karenina alles einsetzt und alles verliert, in der gezeigt wird, wie für manche Menschen ein Wert wie Vertrauen nicht unbedingt gleich gewertet wird. Tolstoi besitzt dabei noch ein Raster an Moral, auf dem er die Erschütterung wiegt, unter der wir seinen Roman lesen. Er ist bereit bis ans Ende von dem zu gehen, was man sich als Leser nur denkt: Die Familie verlassen, ein mißratenes Leben gegen ein besseres einzutauschen, sich nicht vorschreiben zu lassen, wie man zu leben, zu lieben hat. Aber sind wir bereit den Preis zu zahlen? Die Karenina ja. Auch wenn sie sich zu Anfang nie hat vorstellen mögen, worin er besteht. Wie viele Menschen gibt es, die so konsequent zu leben verstehen? Wenige. Wie viele Schriftsteller, die einen solchen Roman zu schreiben vermochten? Kaum einen. Einen Roman, den man in sich trägt, der viele andere Geschichten lostritt. Lesen, lesen, lesen, immer wieder lesen.
Polar aus Aachen

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.09.2007
Hamlet
Shakespeare, William

Hamlet


ausgezeichnet

Gibt es ein Stück, aus dem mehr Zitate zum Allgemeingut geworden sind? Die selbst in abgewandelter Form, auf ihr Original hinweisen? Neben Romeo und Julia dürfte das Drama um den dänischen Kronprinzen wohl zu den meistbekannten Stücken bei Nichttheatergängern zählen. Der Vater ermordet, selbst tief in der Sinnkrise steckend wütet Hamlet im Verlauf der Handlung durch den Hof für die scheinbar gerechte Sache. Er zieht eine Blutspur hinter sich her, treibt die unglücklich verliebte Ophelia in den Selbstmord und wird am Ende selbst gerichtet. Ein düsteres Werk, daß sein Überleben vor allem dem Umstand zu verdanken hat, daß es auf jede Zeit paßt, nicht zuletzt immer wieder im Film aktualisiert wird, sich Regisseure auf der Bühne dazu berufen fühlen, sich die Frage zu beantworten, was hat Hamlet mit uns zu tun? Alles. Shakespeare hat eine Fabel auf die Menschheit geschrieben. Wir nehmen uns, was wir zu unserem Glück glauben, unbedingt besitzen zu müssen. Selbst Hamlet dient der Gerechtigkeit nicht allein, nachdem die Mutter sich mit dem Mörder des Vaters vermählt hat. Er ist so in sich versponnen, daß man ihn sich schlecht als weisen König vorstellen könnte. Shakespeares Stärke beruht auch hier wieder in den zahlreichen Nebenfiguren. In Horatio, Polonius, Güldenstern und Rosenkranz, in denen er weitere Varianten menschlichen Strebens vorführt. Ein Stück, das immer neue Deutungen provoziert, obwohl alle glauben alles bereits darüber gesagt zu haben. So lebendig, so unsterblich.
Polar aus Aachen

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.09.2007
Schachmatt
Carter, Stephen L.

Schachmatt


sehr gut

Dunkle Geheimnisse von Vätern sind bei Söhnen nicht gut aufgehoben. Sie müssen entblättert werden. In Talcott Garlands Fall muß zuerst seine Naivität überwunden werden, mit der er dem Tod des Vaters gegenübertritt. Carter legt ein Netz aus, in dem sein Held sich in bester hitchcockscher Art als ein Unschuldiger verfängt, bis ihm nichts anderes übrig bleibt, als den Fall zu lösen. Bei Talcott heißt es, das nicht unumstrittene Denkmal des Vaters zum Einsturz zu bringen. Warnungen, Verdächtigungen reißen den Sohn aus seinem Alltag, drängen ihm die Ermittlung in eigener Sache förmlich auf, gleichzeitig führt er uns in eine Gesellschaftsschicht, die so noch nicht beschrieben wurde. Daß er sich dabei eines Plots bedient, der gleichsam das Aufdröseln mehrerer Rätsel erfordert, gehört zu den genreüblichen Gesetzen, allerdings interessiert er sich vor allem für die Menschen in seiner Geschichte. Was aus ihnen wegen des Geheimnisses geworden ist. Und wie Unwissen, Naivität Voraussetzung dafür sind, daß es solange geheim bleiben konnte. Ein spannender Thriller, indem nicht zuletzt das Schachspiel von Bedeutung ist, mit einer überzeugenden Götterdämmerung.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 08.09.2007
Dämmerung
Salter, James

Dämmerung


ausgezeichnet

Alle elf Geschichten überzeugen durch den knappen Stil, die präzise Sprache, die es Salter erst ermöglicht, mit beinah nichts einen Menschen oder eine Situation zu beschreiben. Interessanter noch, was er alles wegläßt, für nicht als nötig betrachtet, um uns eine Geschichte zu erzählen. Glanzstück ist sicher Dämmerung, die Erzählung, die dem Band auch seinen Titel gibt. Wie Mrs. Chandler in ihrem maßgeschneiderten Kostüm den Tag verlebt, ihrer Scheidung trotzt, den Hausverwalter vergeblich zu einem Drink überreden will, ist große Literatur, die sich stets darin spiegelt, daß sie unaufdringlich daherkommt. Wie schreibt Salter noch: Alles weg, Pony, Gans, Junge. Sie behielt das Haus. Und wir diese Erzählungen in Erinnerung.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.09.2007
Die Stadt der Blinden
Saramago, José

Die Stadt der Blinden


ausgezeichnet

Was wäre wenn? In Zeiten, in denen die moderne Welt sich vor Terrorismus und Giftanschlägen fürchtet, schildert Saramago die Folgen einer Infektion, die Versuche sie einzudämmen, und den Ausbruch des Chaos. Während bei Max Frisch in "Mein Name sei Gantenbein" die Blindheit noch dazu dient, die anderen auszuspionieren, widmet sich Saramago der Hilflosigkeit und dem Meistern des Schicksals. Fast wie eine Parabel auf unsere Zeit, die glaubt sich durch immer schärfere Gesetze schützen zu können, werden die Blinden interniert, weggesperrt, als wäre die Gesellschaft dadurch in der Lage, die Epidemie einzudämmen. Als sich die Tore des Lagers allerdings öffnen, hat sich die Stadt längst selbst erblindet. Wer mag, kann diesen Roman unter dem Vorzeichen des Was wäre wenn auf uns übertragen. Was wäre, wenn wir uns vor allem geschützt hätten, wären wir nicht dann alle blind geworden, um es ertragen zu können. Ein poetischer Roman, leicht zu lesen, obwohl seine Moral bleischwer in den Gliedern hängen bleibt.
Polar aus Aachen

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.09.2007
Der Mann, der den Zügen nachsah
Simenon, Georges

Der Mann, der den Zügen nachsah


sehr gut

Auf was für verrückte Ideen man doch kommt, wenn man sein Leben über hat. Man setzt sich in den Zug, verläßt die Familie und beginnt ein neues Leben. Weit weg. Wenn George Simeon diese Geschichte schreibt, weiß man, daß das nicht so einfach geht. Zu sehr hat sich Kees Popinga in den Fallstricken seines bisherigen Lebens verstrickt, als daß es ihn so einfach frei geben würde. Zu unsicher ist dieser so typische Held aus Simeons Schreibstatt, daß er auch weiterhin seinem Untergang entgegenstrebt. Nach dem Motto: Wohin du auch gehst, du nimmst dich überallhin selbst mit. Fast unausweichlich erscheint der Mord da. Leben, lieben, frei sein, unter diesem Banner ist der ein oder andere schon gestrauchelt. Wer sich Simenon anvertraut, der erfährt alles über die Abgründe eines Charakters, alles über die Unausweichlichkeit des Schicksals und ist wie in vielen seiner Bücher von der Spannung fasziniert.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.