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Mikka Liest
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⇢ Ich bin: Ex-Buchhändlerin, Leseratte, seit 2012 Buchbloggerin, vielseitig interessiert und chronisch neugierig. Bevorzugt lese ich das Genre Gegenwartsliteratur, bin aber auch in anderen Genres unterwegs. ⇢ 2020 und 2021: Teil der Jury des Buchpreises "Das Debüt" ⇢ 2022: Offizielle Buchpreisbloggerin des Deutschen Buchpreises

Bewertungen

Insgesamt 735 Bewertungen
Bewertung vom 24.12.2014
Herz aus Grün und Silber (eBook, ePUB)
Linnhe, Stephanie

Herz aus Grün und Silber (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Das Buch schaffte es bis ins Finale des Lovelybooks-Leserpreises 2014, und nachdem ich es gelesen habe, kann ich nur sagen: das hat es auch mehr als verdient! Ich habe das Buch mit sehr viel Vergnügen gelesen und würde es jedem empfehlen, der das Genre Urban Fantasy / Romantasy gerne liest und dabei das Besondere jenseits der Klischees sucht.

Zum Einen fand ich sehr originell, um welche Spezies paranormaler Wesen es geht. Keine Vampire, keine Dämonen, keine Engel, dafür... Nein, das verrate ich noch nicht, aber ich habe bisher noch kein Fantasybuch über diese mythologischen Wesen gelesen! Die Autorin stützt sich dabei zwar auf die bekannte Mythologie, macht aber etwas ganz Eigenes daraus, das so gut durchdacht ist, dass es bei aller Fantasie immer glaubhaft bleibt.

Die junge Heldin des Romans, Naya, gerät mitten hinein in einen uralten Konflikt, von dem ein normaler Mensch nicht einmal etwas ahnt. So wie es die besagten mythologischen Wesen gibt, so gibt es auch Menschen, die sie erbarmungslos jagen und töten. Dabei kann man nie wirklich sagen, wer nun die Guten und wer die Bösen sind, denn so einfach ist es nicht... Auf beiden Seiten gibt es Menschen, in die ich mich gut hineinversetzen konnte und deren Beweggründe ich nachvollziehbar fand. Jäger, die ehrlich glauben, sie würden die Menschheit vor dem Bösen beschützen. Wesen, die einfach nur in Frieden leben wollen, ohne ihre Kräfte auszunutzen. Und auf beiden Seiten gibt es wiederum die, die ihre eigene Agenda ohne Rücksicht auf Verluste brutal vorantreiben.

Dass es hier keine Schwarzweiß-Malerei gibt, hat mir sehr gut gefallen; es machte die Geschichte für mich komplexer und interessanter.

Naya ist eine sympathische Protagonistin, deren anfängliche Verwirrung und Angst ich gut verstehen konnte und der ich die ganze Zeit die Daumen drückte, dass für sie alles gut ausgehen würde. Auch Chase hat mir gut gefallen, denn er macht eine große Entwicklung durch im Laufe der Geschichte, während der er beginnt, alles zu hinterfragen, was ihm schon als Kind eingetrichtert wurde.

Die beiden fühlen sich direkt zueinander hingezogen, und ich fand ihre Liebesgeschichte richtig schön und dabei erfreulicherweise nicht zu kitschig. Natürlich ist auch alles nicht so einfach, und zwischen ihnen stehen scheinbar unüberwindliche Hindernisse...

Ich fand die Geschichte von Anfang an sehr spannend. Was hat es auf sich mit Nayas Träumen? Wer meint es gut mit ihr, wer will sie nur ausnutzen? Wem kann sie noch trauen, und wird es jemals wieder ein normales Leben für sie geben? Die Geschichte nimmt immer mehr an Fahrt auf, während die Gefahr für Naya und Chase immer größer wird.

Den Schreibstil fand ich einfach wunderbar. Die Autorin hat eine ganz eigene, unverwechselbare "Stimme" und beschreibt die Geschehnisse voller Atmosphäre und Sprachmelodie, mit großartigen Bildern.

Fazit:
Eine gelungene Fantasy-Geschichte, in der eine junge australische Studentin unverhofft zwischen die Fronten eines uralten Krieges gerät und feststellen muss, dass hinter der vertrauten Normalität Wesen existieren, die direkt der Mythologie entsprungen zu sein scheinen. Die Autorin macht aus dieser Mythologie etwas ganz Eigenes, das als Grundlage für eine originelle Geschichte voller Spannung und Romantik dient. Die Charaktere haben mir gut gefallen, den Schreibstil fand ich fantastisch, und ich werde die Autorin ab jetzt mit Sicherheit im Auge behalten?

Bewertung vom 14.12.2014
The Woman Who Stole My Life
Keyes, Marian

The Woman Who Stole My Life


gut

Auf den ersten Seiten verliebte ich mich schon Hals über Kopf in Stella, die so herrlich normal und kein Stück perfekt zu sein schien, und dabei so rundum liebenswert, dass ich sie einfach ins Herz schließen musste. Mehr als einmal ertappte ich mich bei einem breiten Grinsen oder sogar einem Lachen, und ich fand mich wieder in Stellas halbherzigen (und vergeblichen) Versuchen, mehr Sport zu treiben, weniger Süßes zu essen und fleißig am Computer zu arbeiten, ohne dabei stundenlang auf Twitter oder Facebook zu versumpfen. Mal ehrlich - wer kennt ihn nicht, den Kampf gegen den inneren Schweinehund, in seinen vielfältigen Formen? Marian Keyes beschreibt diesen Kampf hier mit viel humorvollem Augenzwinkern, und ich fand das herrlich.

Auch Spannung baute sich für mich schnell auf, denn die Erzählung springt munter hin und her zwischen Stellas Gegenwart als ratloser Autorin von Selbsthilferatgebern, der unglaublichen Geschichte, wie es überhaupt dazu kam, und verschiedenen (oft haarsträubenden) Episoden aus der Zeit ihres größten Erfolges. Als Leserin bekommt man hier ein Häppchen serviert, da wird ein Puzzleteilchen enthüllt, und man muss sich selber zusammenreimen, was Stella in den letzten Jahren so alles erlebt hat, wobei sie von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt alle Emotionen durchlief. Und das ist alles andere als durchschnittlich oder langweilig: Krankheit, Liebe, Freundschaft, Verrat...

Ich fand die Geschichte erfrischend originell und konnte das Buch in der ersten Hälfte kaum weglegen, weil ich einfach sofort und direkt wissen wollte, wie es weitergeht mit Stella und den Menschen um sie herum.

Diese werden alle sehr bunt und lebendig von Marian Keyes geschildert, und anfangs hat mich das sehr begeistert. Doch so nach und nach wich diese Begeisterung immer häufiger Ernüchterung. Manchmal war die Autorin vielleicht einfach zu erfolgreich in ihrer Schilderung eines weniger sympathischen Charakters, denn ich fand manche schlicht unerträglich.

Mannix, in gewissem Sinne der karmische Auslöser aller Ereignisse, ist dagegen in meinen Augen ein sehr angenehmer Protagonist, denn er wirkt zwar auf den ersten Blick nicht so, als wäre er ein netter Kerl, aber dahinter verbirgt sich ein sehr sensibler Mensch mit vielen guten Eigenschaften. Auch seinen Bruder Roland fand ich einen richtigen Lichtblick im Dschungel der eher schwierigen Charaktere.

Letztendlich war Stella für mich eine große Enttäuschung. Am Anfang setzte ich große Hoffnungen in ihre persönliche Entwicklung. Durch ihre schwere Krankheit schien sie zu einer Art abgeklärten Weisheit zu finden, zu einem ganz neuen Verständnis für ihre Möglichkeiten und ihre Stärken... Wie eine in tausend Farben schillernde Silvesterrakete zischte diese Entwicklung einem Himmel mit tausend Möglichkeiten entgegen - um dann kläglich abzustürzen.

Oft benahm sich Stella wie ein Bettvorleger und ließ wirklich jeden nach Belieben auf ihr herumtrampeln. Nicht mal, wenn es um ihre große Liebe ging - um den Mann, der wirklich als einziger Mensch in ihrem Leben vor allem an sie dachte! -, brachte sie die Willenskraft auf, sich zu wehren, und das war es, was mir das Buch im Endeffekt verleidete und auch der eigentlich schönen Liebesgeschichte schnell einen bitteren Beigeschmack verlieh.

Am Schluss des Buches kam mir Stellas Reise zu sich selbst dann doch nur wie eine Reise ins Nirgendwo vor.

Fazit:
Das Buch hat eigentlich unglaublich viel zu bieten: einen tollen Humor, eine originelle Geschichte und eine gute Prise Romantik jenseits kitschiger Klischées. Meine anfängliche Begeisterung wich aber leider immer mehr der Enttäuschung darüber, dass Stella sich benimmt wie ein rückgratloser Bettvorleger mit Märtyrerkomplex. Viel von ihrem Potential verpufft ungenutzt, und das Ende hinterließ einen eher schalen Geschmack in meinem Mund.

Bewertung vom 11.12.2014
Gelöscht / Gelöscht-Trilogie Bd.1
Terry, Teri

Gelöscht / Gelöscht-Trilogie Bd.1


sehr gut

Dystopien für junge Leser gibt es inzwischen wie Sand am Meer. Deswegen ist meine erste Frage immer: bietet dieses Buch etwas Neues, noch nie Dagewesenes? Hier kam ich zu der Antwort: ja, absolut, denn die Autorin hat ihre ganz eigene Vision der Zukunft zum Leben erweckt und viele originelle Ideen mit eingebracht.

In der Welt von "Gelöscht" werden jugendliche Schwerverbrecher - vor allem Mörder und Terroristen - nicht ins Gefängnis gesteckt oder gar zum Tode verurteilt, sondern ihr Gehirn wird mit einer komplizierten Operation sozusagen zurückgesetzt auf Null. Sie verlieren all ihre Erinnerungen und müssen grundsätzliche Dinge wie Laufen und Sprechen erst wieder lernen, aber danach dürfen sie zurück in die Freiheit - mit Einschränkungen. Sie müssen ein sogenanntes "Levo" tragen, das ihre Gefühle überwacht, um sicherzustellen, dass sie immer ruhig, glücklich und friedlich sind. Starke Angst oder Wut führen dazu, dass das Levo seinen Träger kurzerhand ausschaltet.

Ich fand es sehr interessant, durch die Augen von Kyla, einer 16-jährigen "Slaterin", mitzuverfolgen, wie der Alltag nach der Zurücksetzung aussieht, denn das wirft viele Fragen über die Ethik einer solchen Maßnahme auf. Außerdem wird schnell klar, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, dass vielleicht noch ganz andere Dinge hinter dem Slaten stecken als nur Strafvollzug... Wem kann Kyla noch trauen? Ihrer neuen Mutter, die meist ruppig und unfreundlich ist? Ihrem neuen Vater, der scheinbar nur ihr Bestes will? Nicht immer sind die Dinge so, wie sie anfänglich scheinen...

Jugendliche verschwinden manchmal einfach, und niemand traut sich, offen Fragen zu stellen, was mit ihnen passiert ist - denn sonst könnte man der Nächste sein, den die "Lorder" holen. Nur Kyla macht sich auf die Suche nach der Wahrheit, mit der Hilfe von Ben, einem Slater, in den sie sich verliebt hat. Für die beiden steht dabei alles auf dem Spiel, denn als Slater darf man sich keinen Fehltritt leisten, ohne mit dramatischen Konsequenzen rechnen zu müssen - und auch keine Kritik am System. Sonst wird man "zurückgegeben", was immer das heißen mag.

Die Autorin baut geschickt und schnell die Spannung auf und lässt sie dann bis zur letzten Seite nicht mehr abklingen. Ich hatte das Buch in Nullkommanix durch und hätte am liebsten direkt mit Band 2 weitergelesen...

Die Charaktere fand ich sehr gelungen, sehr authentisch. Gut gefiel mir auch, dass man nicht jeden Charakter direkt in "gut" oder "böse" einteilen kann, sondern dass die Autorin eher mit den ersten Eindrücken der Leser spielt, um sie dann auf den Kopf zu stellen und zu hinterfragen.

Eigentlich wird Slatern davon abgeraten, sich zu verlieben, denn das könnte die Gefühle so gefährlich durcheinander bringen, dass das Levo reagiert. Bei leichten emotionalen Turbulenzen führt das zu Bewusstlosigkeit, bei starken zum Tod. Aber Kyla kann ihre Gefühle nicht so einfach kontrollieren, besonders nicht, wenn es um Ben geht. Die Liebesgeschichte ist eher zaghaft und leise, ich fand sie aber dennoch sehr romantisch.

Der Schreibstil ist eher einfach, was dazu passt, dass Kyla ja gerade erst wieder Sprechen gelernt hat. Aber ich fand ihn sehr angenehm zu lesen, klar und einfach und dennoch eindringlich. Ich konnte mir alle Szenen immer wunderbar bildlich vorstellen, und auch die Emotionen der Charaktere kamen meines Erachtens gut rüber.

Fazit:
In einer nicht allzu fernen Zukunft werden die Gehirne jugendlicher Straftäter "neu gestartet" und sie beginnen danach ein neues Leben, ganz von vorne. Kyla, die das gerade hinter sich hat, versucht, sich in ihrer neuen Familie und ihrer neuen Schule einzuleben, stellt aber schnell fest, dass hinter diesem System mehr steckt als der Öffentlichkeit vorgegaukelt wird. "Gelöscht" ist eine spannende Jugenddystopie mit überzeugenden Protagonisten, originellen Ideen, ein bisschen Romantik und einem Schreibstil, der trotz aller Einfachheit klar und ansprechend ist.

Bewertung vom 10.12.2014
Fucking Grimm
Kastenholz, Markus

Fucking Grimm


sehr gut

Auf der ersten Seiten dachte ich mir noch: oha, dieser Grimm, der scheint ja ein ganz schön verbitterter Drecksack zu sein... Ob mir das Buch dann wohl gefallen wird?! Und tatsächlich tat ich mich erst ein wenig schwer, las mich etwas schleppend ein in die Geschichte - aber dann hatte sie mich auf einmal gepackt und ließ mich bis zum fulminanten Schluss nicht wieder los.

Ja, Alexander Grimm kann ein schwieriger, negativ eingestellter Mensch sein. Manchmal nimmt er sich zu wichtig, manchmal suhlt er sich ein wenig im Selbstmitleid... Aber er ist auch jemand, der Ehrlichkeit hochschätzt und sein eigenes Verhalten kritisch hinterfragt. Und vor allem ist er jemand, der für seine Freunde bedingungslos alles tut. Trotz aller Ecken und Kanten ist er mir im Laufe des Buches richtig ans Herz gewachsen, und Markus Kastenholz hat mit ihm einen dreidimensionalen, schlüssigen Charakter geschrieben, über den ich gerne mehr lesen würde.

Ach ja, habe ich schon erwähnt, dass Grimm auch allen Grund zum Selbstmitleid hat? Zum einen ist er ein übergewichtiger Albino, was natürlich nach sich zieht, dass er überall angestarrt und manchmal auch verlacht wird. (Alleine das fand ich schon interessant, denn ich kann mich nicht erinnern, schon einmal ein Buch gelesen zu haben, in dem ein Charakter mit Albinismus zu kämpfen hat.) Und zum anderen hat er manchmal einfach wirklich grausamstes Pech, der arme Kerl.

Aus einer zufälligen Begegnung heraus entwickelt sich für Grimm ein wahnwitziger Höllenritt, bei dem es anfangs scheinbar nur um den Selbstmord eines Teenagers zu gehen scheint, hinter dem aber viel, viel mehr steckt... Im Laufe des Buches enthüllt sich dem Leser eine Ebene nach der anderen, die Geschichte wird komplexer und verwickelter, und damit steigt auch die Spannung immer mehr an. Gegen Ende wurde es mir fast ein wenig zuviel mit der Verwicklung, und ich hatte einen Moment, wo ich das Buch zuklappte und dachte: Wirklich? Das jetzt auch noch? Aber um Grimm selber dazu zu zitieren:

"Schon viele Geschichten hatte Grimm in seinem Leben gehört. (...) Auch unglaubwürdige. (...) Eigentlich zu verrückt, um wahr zu sein. Andererseits war nichts verrückter als eben jene Wahrheit."

Im Endeffekt ist mir ein Buch, das die Originalität bis aufs Äußerste ausreizt, doch tausendmal lieber als langweiliger 08/15-Durchschnittsbrei.

Der Schreibstil des Buches ist... eigen. Und ich meine das gar nicht negativ, nur brauchte ich ein bisschen, bis ich mich daran gewöhnt hatte. Der Autor bedient sich oft ungewöhnlicher Satzstrukturen und origineller Metaphern und Bilder, und daraus entsteht eine ganz eigene, unverwechselbare Sprachmelodie, die irgendwie perfekt zum Protagonisten passt: mal sperrig und eckig, mal unerwartet sanft und poetisch.

"Grimms düstere Friedhofsstimmung stieg nun endgültig die Stufen zur Kammer der Depression hinab, um dort für eine Schweigeminute zu verharren. (...) Er versuchte sich nicht vorzustellen, wie das Mädchen weinend das Fenster öffnete, um hinaus auf den Sims zu klettern. Wie sie zögerte, mit bebenden Lippen und am ganzen Körper zitternd wie Espenlaub. Wie sie blutend, mit beidseitig geöffneten Pulsadern, nach unten in die Tiefe sah, um dann den entscheidenden Schritt zu tun. Einer, der ihr Leben auslöschte."

Fazit:
Alexander Grimm ist ein ungewöhnlicher Hauptcharakter: mal verbitterter Drecksack, mal treuer Freund und sogar verliebter Softie. Eine unerwartete Begegnung mit einer alten Freundin schmeißt ihn mitten hinein in eine Geschichte, die mit Selbstmord beginnt und die Abgründe dessen, wozu der Mensch fähig ist, bis zum Bodensatz auslotet. Definitiv nichts für zartbesaitete Leser! So sperrig und ungewöhnlich wie der Protagonist ist manchmal auch der Schreibstil, aber gerade das fand ich nach einer kurzen Eingewöhnungsphase interessant und lohnend.

Bewertung vom 05.12.2014
Die Berufene
Carey, M. R.

Die Berufene


ausgezeichnet

"Die Berufene" hat mich so sehr gefesselt und beeindruckt, wie das schon sehr lange keinem Buch mehr gelungen ist. Ich habe die Rezension paradoxerweise lange vor mir hergeschoben, weil ich nicht wusste, wie ich einerseits dem Buch gerecht werden und andererseits nicht zu viel verraten sollte!

Ich bin völlig "blind" an das Buch herangegangen, ohne das Geringste darüber zu wissen - und hätte mir vorher jemand gesagt, dass es sich um einen Endzeitroman handelt, hätte ich vielleicht nicht danach gegriffen. Und mein Gott, hätte ich da eine literarische Kostbarkeit verpasst! Es ist nicht "nur" ein Endzeitroman, es ist so, so viel mehr. Eine Geschichte über das Erwachsenwerden unter ungünstigsten Umständen, über Mut im Angesicht des scheinbar Aussichtslosen, über Selbstlosigkeit ungeachtet des eigenen Risikos... Es ist brutal und rührend, intelligent und emotional, gnadenlos konsequent und dennoch auf verquere Art und Weise hoffnungsvoll.

Und es ist so originell, dass mir manchmal der Atem stockte ob der schieren Genialität der Geschichte.

Aber vor allem lebt das Buch von seiner kindlichen Heldin, Melanie. Die ist ein kleines Genie, macht sich über alles tiefgehende Gedanken und ist dennoch anrührend unschuldig - und das bis zur letzten Seite, obwohl sie bis dahin vieles erlebt und vieles tut, was diese Unschuld im Keim hätte ersticken können. Es ist manchmal geradezu erschütternd, wie innig und selbstlos sie immer noch fähig ist, zu lieben und zu vertrauen, obwohl ihr selber herzlich wenig Liebe in ihrem kurzen Leben entgegengebracht wurde.

Auch die anderen Charaktere sind großartig, und es ist schlicht und einfach unmöglich, sie in Schubladen zu stopfen. Sogar diejenigen, die scheinbar Unentschuldbares tun, haben oft gute Gründe dafür - oder gar keine andere Wahl. Macht es das besser? Das ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall macht es es problematisch, diese Menschen gedankenlos zu verurteilen. Der Autor fordert den Leser und seinen moralischen Kompass gnadenlos: man ist geradezu gezwungen, mitzudenken und sich vielleicht auch zu fragen, wie man selber in der gleichen Situation gehandelt hätte. Sehr gut fand ich, dass sich jeder Charakter im Laufe des Buches weiterentwickelt, denn Stillstand kann hier buchstäblich der Tod sein...

Ist das Buch spannend? Oh ja, und das auf vielfältige Art und Weise. Es gibt blutspritzende, rasante Action (gelegentlich mit Ekelfaktor) und einen irrsinnigen Wettlauf gegen den Tod, aber es ist auch auf leise Art und Weise spannend, die emotionale Entwicklung der Charaktere zu verfolgen. Auch die essentiellen Fragen, die hier aufgeworfen werden, fand ich intellektuell spannend: Was macht einen Menschen überhaupt zum Menschen? Wieviele Opfer darf die Wissenschaft fordern, wenn es um das Überleben geht? Und vieles mehr, wobei der Autor nie in kopflastige, dröge Pseudo-Intellektualität verfällt.

Ich war sehr beeindruckt vom Schreibstil, der mühelos die verschiedensten Nuancen beherrscht. Mal klar und schwerelos leise, mal brachial und atemlos verworren... Immer atmosphärisch und eindringlich.

Das Ende hat mich erwischt wie ein Schlag in die Magengrube, und dennoch könnte es meines Erachtens kein perfekteres Ende geben. Als ich das Buch zuschlug, schwirrte mir der Kopf... Und die Geschichte begleitete mich noch tagelang in Gedanken.

Fazit:
"Die Berufene" ist ein Buch, das über Genregrenzen hinaus wirkt, und das glasklar und eindringlich. Einerseits ein Endzeitroman, andererseits ein Roman über das Erwachsenwerden und die grundlegendsten Fragen des Lebens, mit einer großartigen kindlichen Heldin, die einem schnell ans Herz wächst... Ich habe beim Lesen die volle Bandbreite der Emotionen erlebt und konnte das Buch einfach nicht mehr weglegen bis zum unerwarteten, grausam-genialen Ende.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.12.2014
Todesmarsch
King, Stephen

Todesmarsch


ausgezeichnet

Wenn man "Todesmarsch" auf den kleinsten Nenner runterrechnet, kommt so etwas dabei raus: in einer dystopischen Zukunft treten Jugendliche in einem grausamen Medienspektakel gegeneinander an, und nur einer kann überleben.

Oh, sagt da der moderne Leser. Kenn ich schon, hab ich schon tausendmal gelesen. Battle Royale! Die Tribute von Panem! Allerdings muss man sich da einer Sache bewusst werden: der erste Band von "Die Tribute von Panem" ist 2008 erschienen, "Battle Royale" 1999... "Todesmarsch" wurde in den 70er Jahren für eine ganz andere Generation von Lesern geschrieben und 1979 veröffentlicht, also lange, bevor Dystopien zu einem gehypten Genre wurden.

So wenig originell das Thema also aus heutiger Sicht wirkt, so originell war das Buch doch damals, und es ist meiner Meinung nach immer noch durchaus lesenswert.

Das Buch liest sich anders, als man das heute von Dystopien gewöhnt ist, mehr introspektiv als darauf zentriert, dass der Protagonist sich gegen das Regime auflehnt. Es geht hauptsächlich um die Gefühle und die Psychologie der teilnehmenden Jugendlichen: zunehmende Verzweiflung, Selbsthass, Todeswunsch und komplette Übersättigung, aber auch Hoffnung und Selbstlosigkeit. Was hat sie dazu getrieben, an etwas teilzunehmen, bei dem die Überlebenschancen gerade mal 1 zu 99 sind? Und was treibt die Zuschauer dazu, sich so etwas geradezu todesgeil anzuschauen? Auch die Zuschauer sind übersättigt, brauchen den ultimativen Kick und hinterfragen gar nicht mehr, ob so etwas ethisch vertretbar ist.

Das Ganze ist auf perfide Art spannend, aber oft schmerzhaft grausam und schwer zu lesen. Denn so nach und nach lernt man die verschiedenen Charaktere kennen, und die meisten davon wachsen einem ans Herz. Aber man weiß ja von Anfang an, dass alle bis auf Einen auf elende Art und Weise sterben werden... Im Endeffekt gönnt man das nicht einmal den weniger sympathischen, denn so etwas hat niemand verdient - und vielleicht ist genau das die Botschaft?

"Todesmarsch" ist eines der ersten Bücher von Stephen King alias Richard Bachman, und das merkt man auch am Schreibstil, der noch nicht ganz ausgereift ist und gelegentlich zu dick aufgetragenem Pathos neigt. Für jüngere Leser, die in den 70ern und 80ern noch gar nicht am Leben waren, lesen sich sicher auch die Dialoge etwas befremdlich, denn heutige Jugendliche sprechen ganz sicher nicht mehr so. Dennoch entwickelt das Buch einen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann!

Stephen King selber hat einmal gesagt, die Bücher, die er unter seinem eigenen Namen verfasst habe, seien positiver als die von Richard Bachman. Schwer zu glauben, schließlich schreibt er hauptsächlich Horror! Aber tatsächlich ist es so, dass in den Büchern von Stephen King am Ende meist doch noch das Gute siegt - und hier? Ich will noch nicht verraten, ob der Protagonist nun siegt oder nicht, und im Endeffekt ist es auch egal, denn was bleibt, ist die Erinnerung an unsägliches Leid und menschliche Grausamkeit. Dennoch würde ich das Buch jedem weiterempfehlen, der etwas lesen will, das zum Nachdenken anregt.

Fazit:
100 Jugendliche treten den Todesmarsch an, aber nur einer kann überleben - Stephen King hat 1979 unter seinem Pseudonym Richard Bachman vielleicht eines der ersten Bücher dieser Art veröffentlicht, und es ist sogar noch grausamer und schonungsloser als die meisten heutigen Dystopien àla "Die Tribute von Panem" oder "Battle Royal".

Es ist geradezu sadistisch, wie er den Leser dazu bringt, mit den Charakteren mitzufühlen, nur um sie dann einen nach dem anderen eines elendigen Todes sterben zu lassen... Hier ist buchstäblich der Weg das Ziel, und mit jedem Schritt denken die teilnehmenden Jugendlichen mehr über die eigene Vergänglichkeit und den Wert des Lebens nach - zu spät, viel zu spät. Ein Buch, das einem an die Nieren geht, aber meiner Meinung nach ein lohnendes Buch, das zum Nachdenken anregt.