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Magnolia
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Bayern

Bewertungen

Insgesamt 622 Bewertungen
Bewertung vom 08.06.2022
Das Letzte, was du hörst
Winkelmann, Andreas

Das Letzte, was du hörst


ausgezeichnet

„Die Lüge der Vergangenheit ist die Wahrheit der Zukunft.“

Das Monster ist unter seinem Bett, der Junge weiß das ganz bestimmt. Aber wo kann er sich verstecken? Was ist „Damals“ passiert? Schon die ersten Zeilen lassen Schreckliches vermuten, viele Fragen tun sich auf.

„Hilf mir… ich bin am Baum…“ Dies liest Roya auf dem Display ihres Handys während der nächtlichen Fahrt. Ahnt, was das zu bedeuten hat. Sie muss zu Martina. Unbedingt.

Wir sind im Heute und dazwischen schleicht sich das Damals. Zunächst scheint alles strukturiert, wenn auch nicht durchschaubar. Zwei ganz und gar unterschiedliche Geschichten – oder doch nicht? Noch passt so gar nichts zusammen. Das Damals ist so mysteriös wie verstörend. Was geht hier vor? Wie passen diese grässlichen Szenen dazu?

Andreas Winkelmann hat mich schon wieder ganz tief ins Buch gezogen, hin zu diesem süchtig machenden Podcast, zu dieser samtigen Stimme. „Hörgefühlt“ ist ihr Lebenselexier, sie folgen Marc Maria Hagen, wollen nichts verpassen, auch seine Seminare sind heiß begehrt. Die neuen Medien, die sozialen Netzwerke mit all ihren Auswüchsen werden näher durchleuchtet, einer dieser Stars der Podcast-Szene ist dieser Marc Maria Hagen. Seine Fans lechzen nach seinen Ratschlägen, sind ihm regelrecht verfallen. Daneben geht es um sehr viel zerstörerische, hasserfüllte Gewalt.

Die Charaktere sind allesamt gut skizziert, allen voran Carola Barreis, die bärbeißige Kommissarin. Ihr messerscharfer Verstand geht einher mit ihrer direkten Art. Wer damit nicht umgehen kann, hat Pech gehabt. So manche Gestalt ist nicht gleich einzuordnen, sie alle sind facettenreich und lebensnah gezeichnet.

Ne Nachtschicht in punkto Lesen ist immer vorprogrammiert, sobald ich einen Winkelmann in Händen halte. Mit Lesen aufhören? Jetzt? Geht gar nicht! Auch wenn es ganz kurz ziemlich vorhersehbar scheint, es eher dahinplätschert, kann es noch nicht alles gewesen sein. Zu viele Seiten sind übrig. Nein, die Story nimmt nochmal so richtig Fahrt auf. Vorhersehbar war gar nichts, das weiß ich jetzt – ein wiederum sehr spannender, atemraubender Thriller. „Das Letzte, was du hörst“ – brillant dargeboten von Andreas Winkelmann.

Bewertung vom 06.06.2022
Amelia
Burns, Anna

Amelia


gut

„Die Unruhen begannen an einem Donnerstag. Um sechs Uhr abends. So jedenfalls erinnerte sich Amelia daran.“ Und so beginnt die Erzählung um Amelia, einem Mädchen, das während der „Troubles“, dem Nordirlandkonflikt, in Belfast aufwächst. Wir schreiben das Jahr 1969. Inmitten ihrer großen Familie ist sie doch alleine und weiß auch als Achtjährige schon, was es heißt, wenn sich hinter jeder Ecke Bewaffnete verbergen könnten.

Es ist zwar ein zu Beginn achtjähriges Mädchen, um das sich die Geschichte rankt, von einer normalen Kindheit jedoch ist wenig zu spüren. Sie spielen mit Gummigeschossen, denken sich in ihre eigene Welt, die um sie herum so gar nicht normal ist. Aus Amelias Blickwinkel wird diese Geschichte erzählt, die Jahre gehen dahin. Es sind schlimme Jahre und blutige Kämpfe zwischen zwei Bevölkerungsgruppen – die Protestanten, die für den Verbleib im Vereinigten Königreich sind und die Katholiken, die als Republikaner für eine Loslösung kämpfen. Bis zu den 1994 beginnenden Friedensverhandlungen begleiten wir Amelia.

Es sind die täglichen Kleinigkeiten, die Anna Burns vor dem Hintergrund der Konflikte hervorhebt. Die Unruhen und deren Auswirkung beschreibt sie anhand der Einzelschicksale. In einer sehr derben Sprache, die es für mich so nicht unbedingt gebraucht hätte. Gewalt und Missbrauch sind allgegenwärtig, von Zuneigung keine Spur. Immer wieder kommt es zu sehr brutalen Szenen, die bis ins Detail beschrieben werden. Des Öfteren musste ich das Buch zur Seite legen und mich zwingen, doch noch weiterzulesen.

Die Charaktere sind allesamt mit sich selbst beschäftigt, nehmen keinerlei Rücksicht auf die Befindlichkeiten anderer. Sind hemmungslos, Alkoholexzesse und Tablettenmissbrauch sind an der Tagesordnung, keiner schert sich drum. Jeder ist sich selbst der Nächste und der Feind, der Andersdenkende, wird mit allen nur erdenklichen Mitteln bekämpft. Gnadenlos. Skrupellos. Ich lese sehr viel Zwischenmenschliches der brutalsten Art. Jeder nimmt sich, was er kriegen kann und das in jeglicher Hinsicht. Familienmitglieder, Freund und Feind – alle sind mit sehr viel Vorsicht zu betrachten. Zimperlich ist hier niemand, oftmals habe ich das Gefühl, dass es einzig um das nackte Überleben geht. Als ob man noch zu Lebzeiten ein kleines Stück vom Kuchen abbekommen möchte.

Erwartet habe ich einen Roman vor dem geschichtlichen Hintergrund, gelesen habe ich vom Schicksal Amelias und derer, die ihr am nächsten stehen - nichts für schwache Nerven, auch nichts für diejenigen, die mehr über die Troubles erfahren wollen. Es ist ein ungeschönter Einblick in die Psyche eines jungen Menschen, der seinen Weg suchen muss - die Gefahr zu scheitern ist groß. Letztendlich war ich froh, die letzten Seiten gelesen zu haben. Ein zuweilen sowohl beklemmendes als auch schockierendes Zeugnis in einer sehr derben Sprache um verlorene Jugendjahre.

Bewertung vom 02.06.2022
Die Verdammten (eBook, ePUB)
Korten, Astrid

Die Verdammten (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die Straße. Das Video. Die Radfahrerin in der Nacht – und dann der fürchterlich zugerichtete Frauenkörper… was war das denn! Ein Traum? Ist es Wirklichkeit? Schon die ersten Seiten lassen mir das Blut in den Adern gefrieren. Das Spiel beginnt und ich bin mittendrin, kann mich dem Sog, die dieser Psychothriller erzeugt, nicht entziehen.

Drei sehr unterschiedlichen Menschen begegne ich, tauche in ihr Leben ein, meine zu wissen, wie sie ticken. Die einen mag ich sofort, andere sind mir suspekt, ich traue ihnen so gar nicht. Im Wechsel begleite ich Sebastian, Cherry und Karo. Ihr Leben, ihre Wege, die sich irgendwann kreuzen. Es entstehen Sympathien, Antipathien, Unverständnis, sehr viele Zweifel und des Öfteren schlichtweg Empörung über Lügen, Intrigen, über das Überschreiten von Grenzen.

Sebastian – seine Ex-Frau macht ihm das Leben zur Hölle, die gemeinsamen Kinder hält sie tunlichst von ihm fern, sie wünscht ihm alles erdenklich Schlechte und genau so handelt sie. Kann und will er das so einfach wegstecken? Cherry steckt in einer schwierigen Beziehung, an der sie trotz allen Widrigkeiten festhalten will. Sie ist eine treue Seele – ist sie das? Und Karo – sie hat ihr Leben nicht so ganz im Griff. Warum wohl?

Die drei Akteure werden gut skizziert, das Bild von jedem einzelnen ist in meinem Kopf verankert. Ich bin voreingenommen, verurteile, gelange aber immer wieder an einen Punkt, an dem ich zweifle. Nur phasenweise glaube ich, den Durchblick zu haben. Bin ich der Autorin auf den Leim gegangen? Wieder mal, wie schon so oft? Astrid Korten ist eine Meisterin des Verwirrspiels und auch hier, bei und mit den „Verdammten“ zieht sie wieder alle Register. Geschickt führt sie ihre Leser auf falsche Fährten und erst ganz zum Schluss wird so einiges erklärbar. Warum nur habe ich die Anzeichen nicht gesehen, sie nicht deuten können?

Die Verdammten dieser Welt – es gibt sie, es sind gar nicht so wenige.

Ein erstklassiger Thriller ist ausgelesen, ein subtiles, ein nervenaufreibendes Spiel mit der Wahrnehmung ist zu Ende. Im Nachwort geht die Autorin näher auf Pseudologia phantasica (zwanghafte Lügen) ein. Astrid Korten beleuchten immer ernste Themen, sie recherchiert dazu gründlich, man merkt dies ihren Büchern an.

„Die Verdammten“ ist ein spannender, wendungsreicher Thriller mit Charakteren, die polarisieren, die keinen kalt lassen. Sehr lesenswert.

Bewertung vom 29.05.2022
Der Puppenspieler von Palermo (eBook, ePUB)
Castronovo, Anna

Der Puppenspieler von Palermo (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Es ist schon viel zu lange her, dass ich „Kaktusfeigen“ gelesen habe und endlich geht es weiter. Wird Linda ihre Zwillingsschwester finden? Schon immer spürt sie, dass ihre Schwester noch lebt und nun will sie es wissen. Auch ihren Vater möchte sie endlich kennenlernen, den stolzen Sizilianer, von dem Mitzi, ihre esoterisch angehauchte Mutter, so gar nichts mehr wissen will. Linda ist so unerschrocken wie leichtsinnig, legt sie sich doch mit einem Mafia-Boss an. Hinterher hätte sie es natürlich anders anpacken müssen, sie bringt nicht nur sich selber, sondern ihr ganzes Umfeld in Gefahr.

Eine Sizilienreise vom Feinsten bietet Anna Castronovo wiederum. Auch sie hat eine sizilianische Familie, kennt die Gepflogenheiten der heißblütigen Italiener von Kindesbeinen an, ist sowohl den Münchenern als auch den Sizilianern sehr verbunden.

Ihre Charaktere sind allesamt fein gezeichnet, jede ist auf ihre Art authentisch. Mit Mitzi ist ihr eine gestandene Bayerin gelungen, sie nimmt kein Blatt vor den Mund, ist ein wenig derb und dann wieder zeigt sie eine ganz andere Seite, das Universum lässt schön grüßen. Linda ist eine junge Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht, auch wenn ihre Gefühle grad Achterbahn fahren - schuld daran sind Silvo und Mario. Und endlich hat Linda ihren Vater gefunden, den Puppenspieler Gaetano - in Palermo ist er zuhause. Die anderen alle von ihrer sizilianischen Familie kennt sie schon ne Weile, in „Kaktusfeigen“ habe auch ich sie getroffen. Sie sind mir ans Herz gewachsen - die einen mehr, die anderen weniger.

Die fiktive Geschichte um den „Puppenspieler von Palermo“ hat einen ernsten Hintergrund. Im Anschluss an den Roman schreibt die Autorin über die Kinder der kalabrischen Ndrangheta. Ein Programm, das Kindern, Jugendlichen und auch Frauen hilft, aus dieser mächtigsten Mafiaorganisation auszusteigen. Und dieses für viele so hilfreiche Programm für die Kalabresen hat Anna Castronovo nach Sizilien verlegt und es sehr gekonnt in die Story des „Puppenspielers“ integriert.

Beim Lesen spüre ich die Sonne Siziliens, aber nicht nur sie wärmt mich. Dieser wundervolle Roman um eine sizilianisch-bayerische Familie ist so lebensnah, zuweilen grantig, dann mit viel Humor und sehr liebenswert vor der herrlichen Kulisse Siziliens geschrieben – leidenschaftlich, temperamentvoll, einfach fantastisch - ein Lesegenuss, den ich sehr gerne weiterempfehle.

Bewertung vom 29.05.2022
Tiefes, dunkles Blau
Kobler, Seraina

Tiefes, dunkles Blau


gut

Rosa Zambrano ist Seepolizistin geworden, weil sie lieber über den Zürichsee blickt als in menschliche Abgründe – so wird sie beschrieben und bald wird eine Leiche aus dem See gefischt. Dieser Anfang verspricht viel Krimifeeling, das ansprechende Cover tut ein Übriges.

Moritz Jansen, der Arzt und Mitinhaber eines Biotech-Unternehmens, ist der Tote im See. Rosa war erst vor Kurzem in seiner Kinderwunsch-Klinik, um Eizellen einfrieren zu lassen, ihre biologische Uhr tickt.

Über Rosa erfahre ich so einiges, lerne sie eher als Privatperson denn als Seepolizistin kennen. Ihre Kochleidenschaft wird ausführlich beschrieben, auch Zürich zeigt sich von seiner schönsten Seite. Am liebsten würde ich mich gleich in Rosas Häuschen einquartieren und mich von ihr bekochen lassen.

Meist ist es so, dass eine Kriminalgeschichte mit Privatem garniert wird. Mal mehr, mal weniger. So als Auflockerung. Hier kommt es mir vor, als ob das Drumherum mit einer Prise Krimi gewürzt wäre, die richtigen Gewürze jedoch fehlen. Die Suppe, die Rosa bevorzugt kocht, schmeckt fade. Das erste Drittel hat mich aus kriminalistischer Sicht so gar nicht mitgenommen, da war ich eher außen vor – ich war stiller Beobachter ohne Emotionen. Um dann langsam mehr Zugang zur Seepolizistin zu bekommen, diese war aber eher sporadisch zu finden. Viel zu häufig driftete der ermittelnde Aspekt ins allzu private Umfeld ab.

Das Buch, die ganze Geschichte, spaltet. Es hat seine ganz eigene Atmosphäre, ist mit keinem herkömmlichen Krimi zu vergleichen. Es war ein Auf und Ab der Gefühle – mal wollte ich ihn verreißen, mich abfällig dazu äußern, um dann doch wieder hineingezogen zu werden. Rosa blieb mir fremd, ihre warmherzige Art, wie sie beschrieben wird, kam mir eher unnahbar vor. Wie entrückt.

Im Bereich der Genforschung bewegt sich dieses „tiefe, dunkle Blau“. Wie weit darf die Forschung in das Leben eingreifen? Diesem Thema gibt Seraina Kobler viel Raum.

Einen Krimi habe ich erwartet. Gelesen habe ich einen Roman mit kriminalistischen Elementen, der mich zunächst wenig begeistern konnte, mich aber dann doch ins Geschehen gesaugt hat. Der erste Fall für Rosa Zambrano war eher unaufgeregt, der Schluss ungewöhnlich – noch hat mich die Seepolizistin nicht für sich eingenommen, Seraina Koblers Schreibstil jedoch stimmt mich positiv.

Bewertung vom 25.05.2022
Kalte Blüten / Périgord-Krimi Bd.2
Dubois, Julie

Kalte Blüten / Périgord-Krimi Bd.2


ausgezeichnet

Der zweite Fall für die deutsch-französische Kommissarin Marie Mercier ist gelöst. Es heißt für mich nun Abschied nehmen von all den kulinarischen Genüssen und der zauberhaften Landschaft, die Julie Dubois so einladend beschreibt.

Unter einem Walnussbaum werden ein Schädel und kurz darauf der ganze Leichnam gefunden. Eine Ölmühle sollte hier, auf dem Grundstück der Familie Bartes, neu gebaut werden. Marie, die erst vor kurzem aus Paris zurück in ihre Heimat gezogen ist und das für diesen Fall zuständige Kommissariat leitet, ermittelt. Nicht jeder ist davon begeistert, sie stößt auf viel Widerstand.

„Kalte Blüten“ ist ein eher unblutiger, aber durchaus fesselnder Krimi. Marie hat das Haus geerbt, in dem sie mit Leonie, ihrer rüstigen Großtante, in einer WG lebt nach der Devise leben und leben lassen - zwei sehr sympathische Charaktere. Leonie bekocht sie mit regionalen Köstlichkeiten, da möchte man direkt mit am Tisch sitzen.

Der Fall ist undurchsichtig, so mancher Typ nicht gerade vertrauenerweckend. Auch die Familie Barthes ist keine Vorzeigefamilie, sie sind sich untereinander nicht gerade wohlgesonnen. Was ist passiert damals, als das Unglück geschah? Oder war es Mord? Man rätselt und hat bald Verdächtige, um dann doch wieder zu zweifeln. So manch dunkles Geheimnis kommt zum Vorschein aber alle schweigen sie. So einiges ist passiert und gegen Ende kommt nochmal richtig Schwung in die Sache.

Die Spannung ist immer da, auch wenn es zwischendurch eher gemächlich zugeht. So manche Passage hat mich des Öfteren schmunzeln lassen - ein liebens- und lesenswerter Krimi mit viel Charme und immer feinen Gerüchen in der Nase. „Kalte Blüten“ fesselt bis zum Schluss – ich freue mich schon auf den nächsten Fall, der hoffentlich nicht zu lange auf sich warten lässt.

Bewertung vom 25.05.2022
Terra di Sicilia. Die Rückkehr des Patriarchen / Die Carbonaro-Saga Bd.1
Giordano, Mario

Terra di Sicilia. Die Rückkehr des Patriarchen / Die Carbonaro-Saga Bd.1


ausgezeichnet

Das abwechslungsreiche Leben des Barnaba Carbonaro oder „eine deutsch-italienische Familiengeschichte über die Suche nach dem großen Glück“.

Über drei Generationen lerne ich die Familie Carbonaro kennen, allen voran den Patriarchen. Um ihn geht es, um seine großen Träume, seinen unbedingten Willen trotz widriger Umstände etwas aus seinem Leben zu machen. Sie sind arm, schon bald muss der kleine Barnaba mit anpacken, jede Lira wird gebraucht. Zum Lernen ist da kein Platz, lesen wird immer ein Problem bleiben und doch gibt er nie auf, seine hochtrabenden Pläne wollen erreicht werden. Die Zahlen haben es ihm angetan, er kann sie sehen, spüren, schmecken – hier macht ihm keiner was vor.

Mario Giordano ist eine anrührende und warmherzige Geschichte gelungen. Seinen Erzählstil kennt man von den Tante Poldi-Büchern, er beschreibt die Lebensgeschichte eines Sizilianers, der zuweilen ein wenig schlitzohrig daherkommt. Ihm wird nichts geschenkt, er will das aber auch gar nicht. Von ganz unten fängt er an, lernt alles über die Zitrusfrüchte und schafft sich mit dem Export nach Deutschland ein gutes Auskommen.

Abwechselnd sind wir auf Sizilien im Gestern und in München um 1960. Als alter Mann kehrt er hierher zurück, seine Kinder und Enkel leben hier. Beide Erzählstränge habe ich gerne verfolgt, auf Sizilien war ich noch ein Stückchen lieber.

Um Barnaba Carbonaro, dem Urgroßvater des Autors, rankt sich „Terra di Sicilia“. Ein Produkt der Fantasie ist dieser Roman, hie und da historisch verwurzelt – so lese ich die letzten Zeilen dieser großartigen Familiengeschichte. Ein unterhaltsamer Lesegenuss.

Bewertung vom 25.05.2022
Düsteres Watt / Liv Lammers Bd.6 (eBook, ePUB)
Weiß, Sabine

Düsteres Watt / Liv Lammers Bd.6 (eBook, ePUB)


sehr gut

Liv Lammers ermittelt wieder. Ihr mittlerweile sechster Fall führt sie auf Sylt zu den Schönen und Reichen. Sabine Weiß hat mit „Düsteres Watt“ einen wendungsreichen Krimi vorgelegt, in dem sie neben dem Kriminalfall auch zwei gravierende gesellschaftliche Probleme wie häusliche Gewalt und Selbstverletzung aufgreift.

Karl von Raboisen wird nach einem rauschenden Fest tot auf einer Düne gefunden und bald stellt sich heraus, dass er ertrunken ist. Wie passt der Fundort zum Tod durch Ertrinken? Die Ermittlungen gestalten sich schwierig, die Familie und deren Umkreis sind nicht gerade auskunftsfreudig.

Es ist zwar nicht erlaubt ist, die Wanderdünen auf eigene Faust zu betreten, jedoch hält sich beileibe nicht jeder dran. Auch Michelle Müller, die immer wieder die Herausforderung sucht und viel Zuspruch für ihre ins Netz gestellten Filme bekommt, will es wieder mal wissen. Ihre Drohne schwebt über die Lister Wanderdünen…

…von denen ich nebenbei viel Interessantes erfahre. Wie etwa vom Strandhafer, der die Wanderdünen etwas befestigen sollte oder Wissenswertes rund um das Watt.

Endlich Urlaub! Liv ist mit ihrer Familie auf Sylt und freut sich auf entspannte Tage, der Todesfall auf den Dünen kommt ihr dazwischen. Mit ihren Flensburger Kollegen durchleuchtet sie die adelige Familie, deren nach außen vermittelte schöne Fassade bröckelt, menschliche Abgründe tun sich auf.

Vielschichtige Charaktere beleben das Geschehen. Privates vermischt sich gekonnt mit den kriminalistischen Elementen, man nimmt den Figuren ihr Handeln sofort ab. Sylt ist landläufig als mondän bekannt, die Insel ist aber so viel mehr. Der Todesfall und die einhergehenden Ermittlungen sind anschaulich dargestellt, auch ein Vermisstenfall und eine später aufgefundene Leiche fügen sich in die Handlung ein.

Sylt ist immer eine Reise wert, aber auch wer die Insel nicht kennt, wird sich hier bald wohl fühlen. Der sechste Band um Liv Lammers ist wiederum – wie nicht anders erwartet – sehr kurzweilig und lesenswert und kann auch ohne Kenntnis der Vorgängerbände gelesen werden.

Bewertung vom 25.05.2022
Ein unendlich kurzer Sommer (MP3-Download)
Pfister, Kristina

Ein unendlich kurzer Sommer (MP3-Download)


ausgezeichnet

Vor was läuft Lale davon? Gustavs Campingplatz kommt ihr gerade recht, hier gibt es viel zu tun. Auch wenn ihr Aktionismus nicht unbedingt das ist, was Gustav hier haben möchte, so lässt er sie doch gewähren. Und dann kommt Christophe – ist er der erste Gast der Saison?

Es „menschelt“ oder anders ausgedrückt – eine unendlich traurig-schöne Geschichte, direkt aus dem Leben gegriffen. Bald bin ich mit ihnen im Campingplatz, meine sie alle schon ein wenig zu kennen. Ja, ihre Fassade ist da, dahinter blicke ich erst später. So nach und nach werden Details aus ihrem Leben bekannt, alles wohl dosiert. Gustav als mürrisches Bindeglied zwischen den beiden Protagonisten, deren Kennenlernen so federleicht daherkommt. Dass sie alle Wunden haben, das Schicksal es beileibe nicht nur gut gemeint hat, erahnt man, je weiter die Story voranschreitet.

Es ist alles dabei, was das Leben ausmacht. Von der Liebe in ihrer Vielfalt ist zu hören, auch Hoffnung und dazwischen Hoffnungslosigkeit, aber auch dieses Gefühl gehört nun mal dazu. Vertrauen und Verrat, Tod und Trauer, all das und noch viel mehr macht diesen „unendlich kurzen Sommer“ aus. "Über das Ankommen, Loslassen und Neubeginnen" schreibt Kristina Pfister. Ich mag ihre Geschichte sehr.

Vanida Karun hat für Argon-Hörbuch diese Sommergeschichte gelesen, sie ist eine versierte Hörbuchinterpretin. Schon von Kindesbeinen an waren Hörbücher ihr Metier, man merkt ihr die Leidenschaft an.

Ein Buch, das berührt. Humorvoll, lebendig, voller Leben, auch in den ernsten Momenten. Als Hörbuch ein besonderes Erlebnis. Es kommt still und leise und ist doch so gewaltig. Perfekt nicht nur als Sommerlektüre.