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Juti
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Insgesamt 631 Bewertungen
Bewertung vom 29.01.2019
Mittagsstunde
Hansen, Dörte

Mittagsstunde


gut

Drei gute Geschichten braucht ein guter Roman. Dieses Buch erzählt nur eine gute und eine schlechte.

Zum einen wie Ende der 60er Jahre die Flurbereiningung das fiktive Dorf Brinkebüll sich wandelt. Bei mir wurde Erinnerungen wach, an den Laden in meinem Heimatdorf, die Bäckerei, der erste Diskobesuch, die Straßenverbreiterung, dann in den 80er Jahren die Verkehrsberuhigung und die Dorfgrundschule, die tatsächlich letztes Jahr geschlossen wurde.

Gekonnt malt die Autorin diese Dorfszenerie, etwa wie der Dorflehrer Steensen das Hünengrab vor der Flurbereiningung rettet. Ebenso die Einteilung der neuen Dorfbewohner in „Seggt moin und Seggt kein moin“ (S.100).

Die Probleme werde nicht ausgespart, etwa das der Dorfladen schließen muss, weil die Bewohner lieber in der nächsten Stadt einkaufen, dank Auto. Auch der Verkehr wird schneller, weil die alten Kastanien gefällt wurden, ja sogar das liebste Dorfkind wird von einem Lkw überfahren.

Die zweite Geschichte von Ingwer Feddersen, der zu Pflege seiner Großeltern in deren Gastwirtschaft nach Brinkebüll zurückkehrt, ist leider völlig missraten. Vielleicht ist noch spannend, dass sein Großvater Sönke als Kriegsheimkehrer gar nicht sein biologischer Vater ist.

Aber die verrückte Mutter, die Pflege der Eltern und Ingwers Leben in Kiel in einer alt gewordenen Studenten-WG langweilten mich doch sehr. Mir fehlt es ein wenig an Handlung. Meditativ wie Peter Handke ist das Buch nicht.

Schade, mit „Altes Land“ hat Romane lesen für mich begonnen. Damals schrieb noch keine Kritiken. Auf „Mittagsstunde“ von Dörte Hansen habe ich mich gefreut, empfehle aber nur Teile des Buches. 3 Sterne.

12 von 15 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.01.2019
Das Feld
Seethaler, Robert

Das Feld


sehr gut

eine Stadtbeschreibung vom Friedhof

Nur ein Österreicher kann auf die Idee kommen, den Friedhofs von Paulstadt zum Leben zu erwe­cken.
Erst war ich ein wenig enttäuscht, dass die Geschichte des verrückte Pfarrers nicht vertieft wird. So haben wir keinen echten Roman, sondern eher eine Sammlung von Kurzgeschichten vor uns, denen einzig gemeinsam ist, dass die Ich-Erzähler auf dem Friedhof in Paulstadt leben.

Während ich noch dem Pfarrer nachtrauere – übrigens kommt die Religion bei den Toten nie gut weg, einige Paulstädter waren in ihrer Jugend sehr katholisch, es nutzte nichts – einige Kapitel nicht verstehe, taucht die Erzählung vom Bürgermeister auf, der nicht nur keiner Frau aus dem Weg gehen konnte, nein wir hören vom Einsturz des Daches mit drei Toten. Die tote Frau wiederum konnte so ihre schlechte Ehe beenden, der Mann war auch nicht begeistert.

Die einzelnen Kapitel sind eher kleine Romane, die ihre Lebensgeschichte erzählen. Manchmal nur teilweise, selten mit Kindheit, nicht immer ist die Todesursache klar. Fast immer geht es entweder um den Beruf, wie bei dem Journalisten, der 39 Jahre für den Paulstädter Boten geschrieben hat oder um die Liebe. Der alte Mann des ersten Kapitel ist nicht der einzige Lebende, ebenso lebt Camille, aber sie verlässt Paulstadt.

Es kommen mir Gedanken auf, ob es nicht besser gewesen wäre, nur eine Geschichte zu schreiben. Die Loveparade in Duisburg erzählt von den Toten wäre wohl zu makaber, aber der Untergang der Titanic, das ginge.

Nichtsdestotrotz erhalten wir mit den vielen Mosaiksteinen (die FAZ hat einen Statistiker dafür angestellt) doch ein recht gutes Bild von Paulstadt, von der die Süddeutsche weiß, dass es im Süddeutschen Sprachraum liegt. Ich möchte hinzufügen, dass Berge von Paulstadt nicht zu sehen sind. Der Postbote weiß noch, dass man die Stadt von Nord nach Süd in 25 Minuten, von West nach Ost in nicht einmal 20 Minuten durchläuft (S.135). Eine Straßenbahn wurde geplant, aber abgelehnt. Auf der Marktstraße gibt es mehrere Geschäfte.

Also Paulstadt ist deutlich größer als Unterleuten. Da trifft es sich gut, dass die Mittagsstunde von Dörte Hansen als nächstes auf meinem Leseplan steht. Wegen einiger nicht verstandener Geschichten muss vergebe ich 4 Sterne. Ein Inhaltsverzeichnis hätte dem Buch ebenso gut getan. Dann müsste ich nicht dem Statistiker der FAZ glauben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.01.2019
Der Welterkunder
Vorpahl, Frank

Der Welterkunder


gut

Mit Frank Vorpahl durch die Südsee

Mein erstes Buch über Georg Forster und ja, es ist auch eine Biographie. In den Fußnoten und im Text erfährt der Leser, dass der Autor sein ganzes Leben schon mit Georg Forster verbracht hat.
Von einer Biographie erwarte ich auch, dass sie die Schriften Forster bewertet. So gefällt mir, dass er, im Gegensatz zum heute viel berühmteren Kant, keinem Rassismus aufgessen ist, ist ihm hoch anzurechnen. Außer Forsters Schüler Alexander v.Humboldt, mit dem er am Niederrhein gereist ist, fallen mir nicht viel Deutsche ein, die so dachten.

Interessant ist auch, wie der Autor die Archive durchforstet und in Paris eine Wasserfall-Zeichnung Forsters findet, die auf der Cook-Reise eigentlich der Landschaftsmaler William Hodges hätte zeichnen müssen, der aber mehr die theatralische als die realistische Malerei liebte.

So ist nach zwei Kapiteln die Biographie zu Ende. Wir suchen mit dem Autor den Wasserfall. Kapitel drei handelt vom Fehlschlag auf Tahiti. In Kapitel 4 lernen wir dann erstmal Forsters Forschung am Atlantik kennen, bevor im nächsten Kapitel der Wasserfall erfolgreich in Neuseeland gefunden wird.

Wer denkt, das Buch sei damit zu Ende, der irrt (leider). Es folgen noch vier weitere Kapitel. Erst geht es um den Brotfruchtbaum, den Forster als erster zeichnete und den Kapitän Bligh mit der Bounty 1789 von Tahiti in die Karibik verschiffen sollte, wenn nicht die Meuterei dazwischen gekommen wäre. Vorpahl traf einen Nachfahren von Bligh, der erstaunlich genug mit einigen Getreuen nach England zurückkehrte und seine Mission einige Jahre später sogar noch erfüllte.
Da das alles für mich neu war, war es meistens spannend.

Der Besuch auf den Osterinseln wurde dann zum harten Brot. Ureinwohner überprüften Forsters Sprachforschung, die heute noch größtenteils stimmt.
Und in Tanna, gehört heute zu Vanuatu, waren die Forster 15 Tage an Land, konnten wegen Tabus aber nicht in den Krater eines gerade aktiven Vulkans schauen, der wohl immer noch aktiv ist.
Wir lesen auch über Kannibalismus und im letzten Kapitel findet Vorpahl dann auch noch Bilder Forster in Australien, obwohl der Welterkunder nie dort war.


Der Verlag hätte das Buch ruhig in etwas größere Schrift drucken können. Dann wäre klar, dass es ein echter Schinken ist, der mich leider gegen Ende zunehmend langweilte, einfach weil das Thema nicht mehr interessant war. Die Sprache ist aber immer erfrischend. 3 Sterne.

Lieblingszitat:
Die prägenden Jugendjahre in London und an Bord der Resolution trugen gewiss dazu bei, dass Forsters Sprache frei blieb vom bräsigen deutschen Gelehrtenstil. (S.36)

Bewertung vom 18.01.2019
Die faszinierende Welt des Snooker
Kalb, Rolf

Die faszinierende Welt des Snooker


sehr gut

Unterhaltsames vom deutschen Mr Snooker

Als Snookerfreund habe ich mich auf dieses Buch gefreut. Anfangs habe ich es auch mit Begeisterung gelesen. Leider wiederholt sich Rolf Kalb oft. Kapitel fünf über die Top Ten ist als Beispiel zu nennen.

Schöner wäre gewesen, wenn er noch von mehr Kämpfen, wie das WM-Finale 2018 berichtet hätte.
Auch die Schwierigkeit von Bällen, eine besonders gute Lösung eines Snookers oder Spielkunst wie Queue-Power fehlt.

Wenn er von Berlin berichtet, dann hätte er auch schreiben sollen von den Reportern, die ihn bei Eurosport vertreten, Frank Winkler zum Beispiel.
Schön wiederum fand ich die kleine Biographie, wie Rolf Kalb zum Snooker kam. 4 Sterne.

Bewertung vom 10.01.2019
Am Anfang war Gewalt
Jones, Mark

Am Anfang war Gewalt


sehr gut

Revidierung der Vorstellungen aus dem Geschichtsunterricht

Ich glaubte immer, die Deutschen seien im Ersten Weltkrieg noch so klug gewesen, dass sie frühzeitig den Krieg beendeten, also ohne Besetzung des eigenen Landes. Aber das war nicht so. Nur der Matrosenaufstand verhinderte eine Kamikaze-Aktion der deutschen Marine und führte zur Novemberrevolution. Neu für mich auch, dass die Absetzung des preußischen Königshaus fast ohne Blutvergießen stattfand. Nur die Angst vor einem Offiziersaufstand und vereinzelte Gefechte führten zu wenigen Toten.

Dann aber, weil Regierungstruppen in Berlin Matrosen im Marstall nicht ohne Verluste entwaffnen konnte (am 24.12.!), weil es Angst in der gesamten Bevölkerung vor einem Liebknecht-Aufstand gab, führte die Regierung, also Verteidigungsminister Noske den Schießbefehl ein und die Zahl der Toten wuchs, die durch die Gräuel der Nazis in Vergessenheit gerieten.
Zu nennen sind die Niederschlagung des Januaraufstand, der früher Spartakusaufstand hieß, die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, und die Beendigung des März-Streikes am Alexanderplatz mit folgenden Straßenkämpfen in Lichtenberg.
Immer wieder betont Jones die Bedeutung von Gerüchten: Die Spartakisten hatten nie genug Kämpfer für eine erfolgreiche Revolution, also wurde die russische Gefahr in fast der gesamten deutschen Presse überschätzt. Zu den Straßenkämpfen in Lichtenberg kam es, weil Revolutionäre angeblich einen Polizeiposten überfallen hätten. Einen solchen Überfall gab es aber nicht.

Die Zeit des legitimierten Tötens dauerte bis zum 6.5.1919, als Regierungstruppen nach der Niederschlagung der Räte-Republik in München 21 unschuldige Katholiken töteten, ja massakrierten. In Bayern setzte sich die SPD, im Gegensatz zur regierungstreuen SPD in Berlin, dafür ein, dass den Tätern ein Prozess gemacht wurde. Auch die katholische Kirche übte Druck aus.

Viel Neues habe ich gelernt und den bräsigen, deutschen Professorenstil haben ich nicht gefunden. Die meisten Kapitel beginnen erzählerisch mit einem Beispiel für die Gewalt, dann folgt die politische Ursache und Hintergründe, zum Schluss die Bewertung in der Presse.

Der Pressespiegel wiederholt sich. Wo nichts Neues steht, muss nicht wörtlich zitiert werden. Ein wenig bekommt man das Gefühl, der Autor habe in den Archiven die Zeitung “Freiheit“ der USPD gefunden, dadurch eine neue Sicht bekommen und will diese dem Leser mitteilen. Fast gebetsmühlenartig ist vom „Gewaltmythos“ die Rede.

Wegen dieser Wiederholungen nur 4 Sterne.

Bewertung vom 06.01.2019
Wer wir sein könnten
Habeck, Robert

Wer wir sein könnten


gut

benennt die Probleme, zeigt aber keine Lösungen. Eine Grüne Vision fehlt.

Es gibt Bücher, auf die man sehnsüchtig wartet. Manchmal ist man nachher ein wenig enttäuscht, weil der Titel verspricht, dass Habeck schreibt, was eine Grüne Regierung ändern möchte. Stattdessen folgen viele Beispiele gegen die AfD, aber dafür braucht es kein Buch:

Der Anfang gefällt mir, dass Wörter wie „Heimat“, die mal missbraucht wurden, trotzdem zur Sprache gehören. Interessant ist der Exkurs über die romantische Liebe. Liebe im Mittelalter bestand in einer von den Eltern arrangierten Hochzeit. In der Moderne entscheiden die Herzen.
Worte schaffen Wirklichkeit, wie 2008, als die Regierung während der Finanzkrise sagte, dass das Geld der Sparer sicher sei.

Leider beschäftigt sich der Autor dann zu sehr mit der AfD und deren Sprachbilder. Neben der Flüchtlingspolitik gibt es andere kritische Wörter, etwa „Alternativlosigkeit“ (S.23). Er zeigt, dass die „Klimakatastrophe“ zum „Klimawandel“ wurde, was zu optimistisch klingt, so dass die Grünen lieber „Klimakrise“ sagen (S.24).
Weitere Beispiele folgen: Aus dem Einwanderungsgesetz wird bei Konservativen ein Fachkräftezuwanderungsgesetz, aus Mindestlohn wird Lohnuntergrenze. Massentierhaltung sei falsch, weil Masse schwer zu definieren ist. Industrielle Landwirtschaft ist besser. Es gibt politische Kampfbegriffe wie Herdprämie.
Die „Ehe für alle“ vergisst er, die letztlich nicht viel mehr war, als ein Adoptionsrecht für Homos.

Abgesehen von einem Aufruf zum Kompromiss und einen Exkurs zur Gerechtigkeit bei der Frage, wie Landwirten angesichts des Dürresommers 2018 geholfen werden kann, folgen 25 Seiten, warum z.B. völkisch, Lügenpresse, und Festung Europa (S.48f) eine Nazi-Herkunft haben und Markus Söder das Wort „Asyltourismus“ nicht mehr verwenden will.
Aber anfangs schreibt Habeck, man dürfe missbrauchte Wörter benutzen, andererseits soll ich nicht von der Festung Europa sprechen, die die Außen­grenzen der EU schützt, damit keine Terroristen nach Europa kommen, ob­wohl die Nazis mit Festung Europa den vom Deutschen Reich besetzten Teil Europas meinten, also etwas ganz anderes?

Das nächste Kapitel behandelt die Unkultur der Diskussion im Internet, bevor im wohl schwierigsten Kapitel definiert wird, was die Nation Deutschland ausmacht. Er wählt, einen geschichtlich, literarischen Ansatz, den ich auch gerne hinterfrage möchte, aber nicht heute.

„Die Menschen der Neuzeit hatten ihre geistige Heimat verloren“ (Hannah Arendt, S.71) soll erklären, wie es zum Antisemitismus kam. Das gilt auch heute in unserer individualisierten Gesellschaft. Die Frage, wie man geistige Heimat schafft, bleibt unbeantwortet.

Eine wichtige Rolle spielt die moderne Kunst, die mit der „Majestät des Absurden“ irritieren darf (S.76), während die AfD die Kunst nur als Hüterin des nationalen Erbes sehen will.

Jeder versteht etwas anderes unter „Gerechtigkeit“ (S.81). Aber dafür gibt es Diskussionen. Sogar der Prolog des Johannes-Evangeliums wird zitiert, um die Göttlichkeit des Wortes herauszuheben.

Das nächste Kapitel, ärgert mich am meisten: Während der Autor Sarrazin mit „linker Sprachpolizei“ zitiert, hat er sie selbst auf S.89 eingeführt: „So sagt man nicht Neger, sondern Afrodeutsche“ Wer ist dieses „man“? Was soll aus dem Negerkönig bei Pippi Langstrumpf werden? Neger heißt im Wortursprung nur Schwarzer. Zu einem Schimpfwort wird es erst, wenn man es als solches benutzt. Hier wünsche ich mir eine Diskussion mit Robert Pfaller.

Satire hilft gegen Ideologen. Die Definition von Populismus umfasst 4 Punkte:
1.unzulässige Verallgemeinerung
2.unterstellte Alternativlosigkeit
3.früher war alles besser mit schiefem Beispiel
4.Teilung der Gesellschaft in „Wir und die“

Die Sozialreformen unter Schröder und die Bankenrettung sind Ursachen der Angst, die jetzt ausbricht. Die wahre Herausforderung ist Zuversicht (S.127).

Alles in allem: 3 Sterne (gekürzt)

Bewertung vom 03.01.2019
Erinnerung eines Mädchens
Ernaux, Annie

Erinnerung eines Mädchens


ausgezeichnet

Die Veränderung der Sichtweise der ersten sexuellen Beziehungen

Obwohl dieses Buch kein Inhaltsverzeichnis hat, möchte ich das Buch doch in drei Teile gliedern:
Im ersten Teil bis S.35 wird die Idee des Buches beschrieben: Ein Foto aus dem Sommer 1958 mit einer 18-jährigen: „Das Mädchen auf dem Foto bin nicht ich“ (S.19) schreibt Ernaux und hat damit Recht und Unrecht. Einerseits war sie auf dem Bild, aber bis 2014 -56 Jahre später schrieb sie diese Geschichte- ist sie eine andere geworden. Die Autorin nutzt dies, um ihr damaliges Leben in der dritten Person zu beschreiben. Gedanken beim Schreiben lesen wir in der Ich-Form.
Bis zum Sommer 1958 lebte sie als einziges Kind einer Krämerfamilie in Nordfrankreich in sehr katholischen Verhältnissen, war sehr gut in der Schule und las viel.

Im zweiten Teil besucht sie im Sommer 1958 eine Ferienfreizeit als Betreuerin, ohne Eltern, und macht ihre ersten sexuellen Erfahrungen. Es ist eben immer die Frage, was im Sex freiwillig ist, ihre Jungfräulichkeit hat sie jedenfalls nicht verloren: „Ich erinnere nicht, wie viele Male er versucht hat, in sie einzudringen, und sie ihm stattdessen einen geblasen hat. Einmal erklärt er, wie um das zu entschuldigen: „Ich bin halt gut bestückt.““ (S.46). In diesem Abschnitt braucht man wahrhaft dicke Eier, denn von nun an verführt sie alle Betreuer bis sie nach drei Wochen noch einmal, diesmal ausdrücklich freiwillig ein Nacht mit Liebhaber H verbringt.

Auf Seite 85 beginnt der diesmal auch im Druck getrennte dritte Teil. Das Leben nach dem Ferienlager verläuft in gesitteteren Bahnen. Sie vermisst H. Sie lebt während einer Ausbildung zur Grundschullehrerin in einem Nonnenkloster und darf keine anzüglichen Witze mehr machen.
Selbst ihre Periode setzt aus. Blut spielt schon vorher eine wichtige Rolle. Als sie erkennt, dass sie keine geborene Lehrerin ist, geht sie mit ihrer Freundin als Aupair nach England. Ihre Freundin wird beim Ladendiebstahl erwischt, worauf die beiden noch seriöser werden. Das Buch endet mit unserer Protagonistin als fleißige und zufriedene, wieder mit Blutungen lebende Literaturstudentin.

Ich habe nur Kritiken von Frauen über diese Erzählung gelesen. Ich kann nur wenige politische Bezüge erkennen, weiß nicht ob es der Frauenbewegung hilft und sehe erst recht nicht was das ganze Land damit anfangen soll.
Für mich zeigt dieses Werk wie aus einem Mädchen eine Erwachsene wird und wie die Sicht auf diese Metamorphose sich im Wandel der Zeit ändert. Mit anderen Worten, den Schlussworten, formuliert dies auch die Autorin als ihr Ziel. 5 Sterne, da es auch ohne Politik unterhaltsam ist.

Lieblingszitat:
Einmal hat eine Klassenkameradin kichernd auf ein Zitat von Paul Claudel in dem katholischen Kalender gezeigt, den das Pensionat verteilte: „Für einen Mann gibt es kein größeres Glück, als seinen Samen in fruchtbaren Boden zu pflanzen.“ Sie verstand nicht, was daran obszön war. (S.29)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.12.2018
Die Tyrannei des Schmetterlings
Schätzing, Frank

Die Tyrannei des Schmetterlings


schlecht

Finger weg!

Vielleicht bin ich nicht der richtige Leser für dieses Buch. Künstliche Intelligenz interessiert mich schon. Krimis aber nur selten. Und Science-Fiction ist eher nicht mein Stil.

Die Beschreibung des tropischen Landes im ersten Teil, der nur ein Prolog ist, habe ich mir noch gefallen lassen. Als aber im zweiten Teil dann ein Auto im Baum hing und künstliche Intelligenz es dorthin abgelenkt habe könnte, stutze ich bereits.

Als ich auf S.50 die unterirdischen Dialoge gelesen habe, kam der Gedanke die Zeit für bessere Bücher zu nutzen. Die FAZ-Kritik bestärkte mich. Es klingt wirklich wie schlecht übersetztes Englisch. Und wieso Herr Scheck ausgerechnet die Sprache dieses Buch lobt, bleibt mir ein Rätsel. 1 Stern.

2019 kann nur besser werden.

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.12.2018
Der lange Weg zur Freiheit
Mandela, Nelson

Der lange Weg zur Freiheit


gut

Lange, zu lange Autobiographie des Friedensnobelpreisträgers

Spannend ist das Leben von Nelson Mandela, einem Mann, der über 10.000 Tage im Gefängnis gesessen hat. Spannend ist es schon, zu lesen, warum er die Lust am Leben nicht verloren hat.
Spannend ist auch, zu erleben, wie ein Kind eines afrikanischen Stamms sich der westlichen Welt anpasst und Rechtsanwalt wird. Spannend wie ein Gefangener, der Ende der 60er Jahre in Verges­senheit zu geraten schien, in den 70er wieder entdeckt wurde. Spannend wie und wann Mandela denkt, dass Gewalt ein Mittel der Politik sein darf, die er aber nie gegen Menschen einsetzen will. Ändert er dazu wirklich seine Meinung oder reagiert er nur auf Änderungen der Regierung?

Leider ist dieses Buch zu lang. Es fehlte der Lektor, der das Buch auf mindestens die Hälfte zusammen streichen sollte. Ich konnte diesen Schinken nicht in einem Rutsch lesen.
Anfangs wurde mir zu viel über Leute erzählt, die in Europa nun wirklich keiner kennt. Später gefiel mir nicht, dass Mandela erst schreibt, welchen Inhalt seine Rede hatte und dann auch noch die Rede wörtlich zitiert.

Vermutlich kann man dieses Buch nicht kürzen, weil der Autor die Grundlagen dafür im Gefängnis schrieb und niemand dieses historische Dokument verändern will. Dennoch: Ein moderner Klassiker. Ich werde mir den Film noch anschauen. 3 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.12.2018
Das Spiel des Engels / Barcelona Bd.2
Ruiz Zafón, Carlos

Das Spiel des Engels / Barcelona Bd.2


sehr gut

Startschwierigkeiten des Erfolgsautor

Gerne möchte ich mal zählen, wie oft Autoren über Autoren schreiben. David Martin heißt hier die Hauptperson. Und eigentlich ist der gesamte Erste Akt überflüssig. Er arbeitet bei einer Zeitung und schreibt für zwei Verleger, die ihn ausbeuten. Witzig ist allein, dass er später zwei Bücher schreibt, eins unter seinem Namen, das von den Kritikern verrissen wird und eins, quasi geheim als Hilfe für einen „Freund“, das über den Klee gelobt wird.

Nach diesen 200 Seiten erwartet den Lesern aber die Spannung aus dem ersten Band. Wie beim Tatort im Fernsehen ist die Handlung kompliziert, aber nicht sinnlos. Nur wer war jetzt der Herr Corelli? Selbst wenn er Luzifer sein soll, so kann mit der Metapher doch nur ein realer Mensch gemeint sein, der sich nicht in Luft auflösen kann. Und darf man ein Buch vom Friedhof der vergessenen Bücher einfach in den Kamin schmeißen? Dafür liegt sein Manuskript für Corelli nun dort. Ist das der Hinweis? Sind Diego Marlasca und Corelli eine Person?

Philosophisch hätte Ruiz Zafon mehr in die Tiefe gehen können, da David ein religiöses Buch schreiben soll. Immerhin ein paar lohnende Zitate gibt es.
Emotionen werden auch geweckt, etwa als die Liebe zu Cristina nicht klappen will, weil sein „Freund“ sie heiratet. Aber das Verkuppeln von Isabelle an Sempere Junior klappt und was im Epilog beschrieben wird, entfaltet der dritte Band, den ich versehentlich vorher gelesen habe.

Dieser Roman hat nicht einen solchen historischen Bezug wie der dritte, es ist aber gute Unterhaltung, wie gesagt ab Seite 200. Daher 4 Sterne.

Lieblingszitat:
Nichts ist gerecht. Das Höchste, was man anstreben kann, ist, dass es logisch ist. Die Gerechtigkeit ist eine seltene Krankheit in einer ansonsten kerngesunden Welt. (S.318)