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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 739 Bewertungen
Bewertung vom 09.08.2016
Der Schatten des Windes / Barcelona Bd.1
Ruiz Zafón, Carlos

Der Schatten des Windes / Barcelona Bd.1


ausgezeichnet

Im Bann des Schicksals

Der Roman beschreibt einen Abschnitt aus dem bewegten Leben von Daniel Sempere. Die Geschichte beginnt 1945, als der zehnjährige Daniel mit seinem Vater, einem Buchhändler, den „Friedhof der Vergessenen Bücher“ besucht und endet etwa zehn Jahre später. In einem Nachwort skizziert Carlos Ruiz Zafón das Schicksal seiner Romanfiguren Jahre später. Hier schließt sich der Kreis der Ereignisse.

Der „Friedhof der Vergessenen Bücher“ ist ein magischer Ort, in dem Daniel sich ein Buch aussuchen darf, aus einem riesigen Reservoir verstaubter Bücher längst vergessener Autoren. Die Tradition will es, dass Daniel eine Beziehung zu dem ausgewählten Buch aufbaut, so das dessen Geschichte durch ihn weiterlebt. Diese Buchadoption ist Auslöser für zahlreiche Ereignisse in Daniels Leben.

Er wählt „Der Schatten des Windes“ von Julian Carax aus. Das Buch hat sein Interesse geweckt und er macht sich auf die Suche nach weiteren Informationen über den unbekannten Autor. Die Beschäftigung mit Carax beginnt spielerisch, aus jugendlicher Neugierde heraus und wird immer mehr zu einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

Carlos Ruiz Zafón hat eine wunderbare Art zu schreiben. Die Mischung aus Abenteuer, Krimi und Liebesgeschichte, eingewoben in einen politischen Hintergrund, ist nicht zu übertreffen. Die Geschichte wirkt trotz der gewagten Verschneidungen der Lebensläufe echt und ist an keiner Stelle langweilig. Die Verflechtungen der Romanfiguren, die Geschichte in der Geschichte und die Vergangenheitsbewältigung sind gekonnt inszeniert. Es ist ein Roman über den Reifungsprozess eines Heranwachsenden.

Bewertung vom 09.08.2016
Computernetzwerke
Schreiner, Rüdiger

Computernetzwerke


ausgezeichnet

Netzwerke wirklich verstehen

Bei diesem Buch handelt es sich um eine wohl strukturierte und verständliche Einführung in die Grundlagen von Netzwerken. Autor Rüdiger Schreiner versteht es, auf den Punkt zu kommen. Er erklärt den Aufbau und die zugehörigen Komponenten so, dass Zusammenhänge deutlich werden.

Der Fokus liegt auf dem OSI-Modell. Schreiner erläutert die für Netzwerkadministratoren wichtigen Schichten eins bis vier des OSI-7-Schichtenmodells einschließlich der Übertragungswege, Protokolle und Komponenten. Zur Zielgruppe dieses Buches gehören Einsteiger und künftige Administratoren.

In weiteren Kapiteln geht es um aktuelle Themen der Netzwerktechnik wie VLAN, VPN, WLAN, verschiedene Netzzugänge und IP V6. Deutlich wird, dass IP V6 mehr ist, als eine Erweiterung des Adressraumes. Die Verschlüsselungsmethoden im Zusammenhang mit VPN werden nur kurz angesprochen. Hier verweist der Autor auf weitergehende Literatur.

In den letzten Kapiteln befindet sich ein Fragenkatalog, um das Erlernte zu überprüfen, eine Übersicht über verschiedene Steckertypen, ein Exkurs in das Binär- und Hexadezimalsystem sowie ein Praxisteil mit Übungen. Es folgen konzeptionelle Überlegungen zur Einrichtung von Netzen und Fehleranalysen. Letztere sind recht kurz und sehr allgemein gehalten.

In dem Buch dominieren nicht Kommandozeilenbefehle. Es ist dennoch keinesfalls oberflächlich gehalten. Der Autor liefert prägnante Erklärungen und versteht es, durch Querverbindungen das Thema ganzheitlich anzugehen. Mit dieser verständlichen Einführung werden Voraussetzungen geschaffen, um tiefer gehende Werke überhaupt verstehen zu können.

Bewertung vom 09.08.2016
Der Himmel unter der Stadt
McCann, Colum

Der Himmel unter der Stadt


ausgezeichnet

Abbild einer rauen Wirklichkeit

Dem irischen Autor Colum McCann ist mit diesem Roman eine eindrucksvolle Milieustudie aus der Arbeiterwelt von New York gelungen. McCann beschreibt den Alltag der Verlierer der Gesellschaft, die zwar täglich ihr Leben im Tunnelbau oder Stahlhochbau riskieren, aber an den Pfründen des Wohlstandes nicht teilhaben. Es geht aber nicht nur um die Menschen, die an den Baumaßnahmen beteiligt waren, sondern auch um die, die später in den Katakomben der Tunnel leben, weil sie keinen festen Wohnsitz mehr haben. Das Leben ist rau, brutal, oftmals hoffnungslos. Dennoch lassen sich die Protagonisten nicht unterkriegen.

Der Roman ist in zwei Geschichten in unterschiedlichen Zeitebenen (1916 und 1991) unterteilt. Die Hauptakteure sind Nathan Walker, ein Arbeiter, der 1916 am Tunnelbau beteiligt war und Treefrog, der 1991 in dem Tunnel lebt. Im Laufe der Geschichte gibt es eine zeitliche und inhaltliche Annäherung. Während die Zeitsprünge in der ersten Hälfte durch Kapitel scharf getrennt sind, verschwimmt diese Trennung in der zweiten Hälfte des Buches. Innerhalb einzelner Kapitel wechselt Autor McCann zunehmend die Erzählebenen. Durch diese immer kleiner werdenden Sprünge deutet sich an, dass die Geschichten inhaltlich konvergieren, dass es Schnittstellen gibt zwischen beiden Erzählsträngen.

Die Erzählungen sind eindringlich, düster, aber auch hoffnungsvoll. McCann beschreibt unterschiedliche Schicksale, die von Armut, Schuld, Liebe und Sehnsucht, aber auch von Gewalt, Rassismus, Raub und Drogen geprägt sind. Er schafft eine Atmosphäre, die die Leser in den Bann zieht. Auch wenn es sich um eine Mischung von Historie und Fiktion handelt, wirkt der Roman authentisch. Der Titel beschreibt durch seine Symbolik, was das Buch ausmacht. Es gibt auch einen Himmel für die Verlierer der Gesellschaft, aber dieser befindet sich unter der Stadt.

Bewertung vom 09.08.2016
Jenseits von Gut und Böse
Schmidt-Salomon, Michael

Jenseits von Gut und Böse


ausgezeichnet

Abschied von der Moral – eine kritische Analyse

Michael Schmidt-Salomon (MSS) skizziert eine menschenfreundliche Philosophie jenseits von Gut und Böse. Er verabschiedet sich von den archaischen Denkmustern Schuld und Sühne. Das Böse sei eine Wahnidee. Es ist ein Mythos, dass das sogenannte Böse erst mit dem Menschen in der Welt aufgetaucht ist. Auch in der Tierwelt gibt es grausame Verhaltensweisen.

Die moderne Hirnforschung lehrt uns, dass das Ich eine Konstruktion des Gehirns ist (siehe z.B. Thomas Metzinger „Der Ego-Tunnel“). Die grundlegende Funktion des Bewusstseins ist es nicht, das Verhalten zu steuern, sondern dem Ich einleuchtende Begründungen dafür zu liefern, warum es sich so und nicht anders verhält.

Bereits Schopenhauer erkannte, dass ein von Ursachen unabhängiger (also freier) Wille gegen das Kausalitätsprinzip verstoße. Die Menschen schließen aus der Handlungsfreiheit (tun zu können, was man will) auf die Existenz von Willensfreiheit (beliebig wollen zu können, was man will). Ein freier Wille ist mit wissenschaftlichen Überlegungen nicht zu vereinbaren.

Im dritten Kapitel erläutert MSS seine Definitionen von Moral und Ethik. In der Moral geht es um subjektive Wertigkeit von Menschen vor dem Hintergrund vermeintlich vorgegebener metaphysischer Beurteilungskriterien, in der Ethik hingegen um die objektive Angemessenheit von Handlungen anhand intersubjektiv ausgehandelter Spielregeln.

Im fünften Kapitel thematisiert MSS Kritikfähigkeit, die ein wesentlicher Bestandteil der Entwicklungsgeschichte der Naturwissenschaften ist, jedoch bei den (statischen) Religionen fehlt. Bei Aussagen, die einen hohen Wahrheitsanspruch für sich reklamieren, ist das Prinzip der Kritik unerlässlich.

Eines der m.E. wichtigsten Themen „Emergenz“, welches thematisch mitten ins Buch gehört, hat MSS, der Komplexität wegen, als letztes Kapitel angefügt. Es geht um Mikrodetermination (Bestimmung des emergenten Systems durch Ursachen auf niederer Integrationsebene) und Makrodetermination (Rückwirkung des emergenten Systems auf niedere Integrationsebenen).

MSS lehnt sowohl den radikalen eliminatorischen Reduktionismus (Phänomene der Biologie und Kultur sind vollständig auf physikalische Prinzipien zurückzuführen) als auch das starke anti-naturalistische Emergenz-Prinzip (emergente Prozesse sind nicht durch Ursachen auf niederer Integrationsebene determiniert) ab. Er favorisiert ein starkes, naturalistisches Emergenz-Prinzip: Kausalität wird durch das Auftreten emergenter Phänomene nicht durchbrochen; kulturelle Phänomene widersprechen nicht den grundlegenden biologischen, chemischen und physikalischen Determinanten, werden durch diese jedoch nicht hinreichend erklärt.

Im Bereich der Makrodetermination liefert MSS mit dem evolutionären Selektionsprinzip einen naturalistischen Ansatz, wie diese denn funktionieren kann. Die Frage, wie ein Gedanke Auswirkungen auf Moleküle und Atome hat, ist mit dem evolutionären Selektionsprinzip, wo Häufigkeiten beeinflusst werden, nicht hinreichend erklärt. Das Modell erklärt, wie ein emergenter Prozess seinen „Fußabdruck“ in der physikalischen Welt hinterlässt, es erklärt aber nicht, wie ein Gedanke auf die physikalische Welt wirkt.

Wir unterliegen einer Jahrtausende alten Prägung von Gut und Böse. MSS versucht diese mit naturalistischen Argumenten aufzubrechen. Er rüttelt, wie auch schon die Hirnforschung in den letzten Jahrzehnten, am Selbstverständnis des Menschen. Ob es gelingt, das Weltbild zu verändern, wird die Zukunft zeigen. Das Buch, welches sich an eine breite Leserschaft richtet, sollte man lesen, wenn man bereit ist, sich kritisch mit dem Thema „Gut und Böse“ auseinander zu setzen. Es sollte aber nicht das einzige Buch zum Thema sein.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.08.2016
Tinnitus natürlich heilen
Hamann, Brigitte

Tinnitus natürlich heilen


sehr gut

„Ein Wurm bohre und brumme in seinem Kopf“ (Römischer Kaiser Titus)

Unter (subjektivem) Tinnitus wird ein Symptom verstanden, bei dem Betroffene Geräusche wahrnehmen, die keine äußere für andere Menschen wahrnehmbare Quelle besitzen. Es handelt sich um eine Volkskrankheit. Allein in Deutschland sind ca. drei Millionen Menschen betroffen. (15) Autorin Brigitte Hamann beschreibt physische und psychische Ursachen für Tinnitus.

Es gibt keine Wunderpillen gegen Tinnitus, aber Behandlungsmethoden, die die Auswirkungen reduzieren können, existieren schon. Hamann stellt zahlreiche Therapien strukturiert vor. Zur ersten Gruppe gehören übliche Behandlungsmethoden (Infusionen, Sauerstofftherapie, …), zur zweiten Gruppe zählen Selbsthilfemaßnahmen (Meditation, Musik- und Klangtherapie, ...) und die dritte Gruppe umfasst alternative Methoden (Tibetische Medizin, Hypnosetherapie, …). Letztlich geht es ohne fachkundige Unterstützung nicht.

Positiv ist, dass den Lesern eine Vielzahl von Therapieformen vorgestellt werden, die (negativ) den Eindruck erwecken, als ob es einfache Lösungen für das Problem Tinnitus gäbe. Eine Heilung ist nur in wenigen Fällen möglich. Viele Betroffene werden mit einer Linderung der Auswirkungen zufrieden sein müssen. Insofern klingen Titel und Klappentext zu optimistisch. Ich hätte es begrüßt, wenn Betroffene zu Wort gekommen wären, die die eine oder andere Therapieform angewandt haben bzw. Statistiken über Erfolge Auskunft geben würden. Auch dürfte es ohne fachkundige Beratung schwierig sein, bei der Vielzahl von Möglichkeiten, den individuell richtigen Weg zu finden.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.08.2016
Die Physik der Unsterblichkeit
Tipler, Frank J.

Die Physik der Unsterblichkeit


weniger gut

Der Entwurf einer naturwissenschaftlichen Religion

Für sein Entwicklungsmodell des Universums benötigt Frank Tipler, Professor für mathematische Physik, keine vitalen Kräfte. Er erklärt den Menschen und die Strukturen der Welt mit den Mitteln der Physik. Religiöse Glaubensbekenntnisse wie „Auferstehung von den Toten“ und „Unsterblichkeit der Seele“ seien physikalische Ereignisse.

Tipler gilt als Experte auf dem Gebiet der globalen allgemeinen Relativitätstheorie. Mit diesem Buch verlässt begibt sich in den Bereich der Metaphysik. Er begründet die physikalische Omegapunkt-Theorie und verschneidet diese, entgegen den Warnungen seiner Fachkollegen, mit Begriffen und Vorstellungen der Theologie.

Die Omegapunkt-Theorie ist eine physikalische Theorie, die den weit in der Zukunft liegenden Endzustand des Universums behandelt. Der Omegapunkt ist das Gegenstück zur Anfangssingularität, die in der Kosmologie allgemein als Urknall bezeichnet wird. Der Begriff „Omegapunkt“ geht auf den Jesuiten Teilhard de Chardin zurück.

Eine physikalische Interpretation der Welt setzt voraus, dass man den Menschen als eine besondere Art von Maschine betrachtet, mit einem Gehirn als Träger der Informationsverarbeitung und der Seele als Software. Hierfür wird die Welt in Quanten zerlegt und auf dieser untersten Ebene der physikalischen Strukturen der Mensch als ein Bündel quantenmechanischer Zustände definiert.

Die Menschheit wird den Weltraum kolonisieren, da biologisches Leben auf der Erde langfristig dem Untergang geweiht ist. Für die Kolonisierung des Weltraumes sind Sonden mit sich selbst reproduzierenden Konstrukteuren erforderlich, also Maschinen, die andere Maschinen generieren können.

Tipler ist der Auffassung, dass jedes System einschließlich des Menschen durch eine endliche Anzahl von Quantenzuständen hinreichend definiert ist und daher nichtbiologische Trägermedien denkbar sind, auf die die Informationen, die das Leben ausmachen, implementiert werden können.

Der Autor entwirft eine Computermetaphysik und erklärt damit die Auferstehung. Die physikalische Auferstehung besteht darin, dass Leben in den Computern der fernen Zukunft (nahe des Omegapunktes) emuliert wird. Dies betrifft nicht nur den einzelnen Menschen, sondern die gesamte Welt.

Tipler verwendet in seiner Theorie ausschließlich Bausteine der Physik und vernachlässigt die Strukturen, mit denen Biologen, Neurologen oder Soziologen arbeiten. Durch Selbstorganisation emergieren in der Natur (aus den Grundbausteinen der Physik) neue Entwicklungsstufen bis hin zu lebenden Strukturen, die jeweils ihre eigenen Werkzeuge und Interpretationen benötigen. Diese Strukturen sind nicht physikalisch erklärbar. Tipler muss sich daher den Vorwurf gefallen lassen, eine extrem reduktionistische Position zu vertreten.

Wissenschaftliche Theorien gelten in ihrem eng umrissenen Definitionsbereich. Extrapolationen oder die Verknüpfung von unterschiedlichen Theorien führen zu verwässerten Ergebnissen. In diesem Sinne hat Tipler keine wissenschaftliche Theorie, sondern eine naturwissenschaftliche Religion kreiert.

Ich hätte es begrüßt, wenn Tipler die Religion in einem separaten Kapitel behandelt hätte. Tiplers provokante These „Theologie wird ein Teilbereich der Physik“ beruht auf einem Kategorienfehler; damit überspannt er den Bogen. Mit seiner Theorie gibt es eine fantastische Theorie mehr auf dem Markt der Möglichkeiten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.08.2016
Kryptografie
Schmeh, Klaus

Kryptografie


ausgezeichnet

umfassend – verständlich – akuell - empfehlenswert

Das mit über 800 Seiten recht umfangreiche Werk ist grob gesehen in 6 Teile gegliedert. Die zentrale Frage des ersten Teils „Wozu Kryptografie?“ wird aktuell durch die Enthüllungen des US-Whistleblowers Snowden beantwortet [1]. Das Buch ist vor dessen Enthüllungen entstanden, der Name NSA kommt aber so oft vor, dass Autor Schmeh dieser Organisation am Schluss ein eigenes Kapitel widmet.

Klaus Schmeh ist von der Geschichte der Kryptografie fasziniert (724) und lässt einige Erkenntnisse über die Enigma und andere historische Verschlüsselungsmaschinen in sein Buch einfließen. Bereits bei diesen Erläuterungen wird deutlich, dass es oft die weichen Faktoren sind (Faktor Mensch), die dazu führen, dass der Code geknackt wird.

Ab dem zweiten Teil geht es ins Eingemachte. Schmeh beschreibt moderne Verschlüsselungsmethoden. Hierzu zählt z.B. der Data Encryption Standard (DES), an dessen Entwicklung die NSA beteiligt war. (82) Auch wenn es paradox klingt, erhöht die Offenlegung der Funktionsweise eines Verschlüsselungsverfahrens seine Sicherheit. (87)

Der Autor erläutert ausführlich den Aufbau symmetrischer und asymmetrischer Verschlüsselungsverfahren. Die Schwachstelle der symmetrischen Verschlüsselung ist das Schlüsselaustauschproblem. Beide Kommunikationspartner („Alice und Bob“) müssen den gleichen Schlüssel verwenden. Dieses Problem gibt es bei der asymmetrischen Verschlüsselung, die mit öffentlichen und privaten Schlüsseln arbeitet, nicht. Öffentlicher und privater Schlüssel hängen zwar voneinander ab, aber aus dem öffentlichen Schlüssel kann nicht der private Schlüssel abgeleitet werden.

Schmeh verwendet zahlreiche Skizzen, um Sachverhalte zu verdeutlichen. So bringt er z.B. den Unterschied zwischen asymmetrischer Kryptografie und digitaler Signatur durch einfache Prinzipskizzen prägnant zum Ausdruck. (177, 202) Von der digitalen Signatur ist der Weg nicht weit zu Hashfunktionen, die dazu dienen, das Signieren zu vereinfachen.

In der Einleitung betont Krypto-Experte Schmeh die Bedeutung der praktischen Umsetzung der Kryptografie. (4) Diesem Anspruch wird er ab dem dritten Teil des Buches gerecht. Aber bevor er Software und Hardware zur Kryptografie beschreibt, stehen vorbereitend elementare Themen wie Standardisierungen, kryptografische Protokolle, Methoden der Authentifizierung und auch Angriffsmethoden auf Schlüssel an.

Die Implementierung von Krypto-Verfahren hat seine Tücken, wie Schmeh deutlich macht. Wenngleich die theoretischen Grundlagen der Kryptographie ausgereift sind, gibt es zu viele Fallstricke bei der Umsetzung. Auch ist es schwierig, die Qualität der Umsetzung zu beurteilen.

Ein besonderes Thema ist die Kryptografie im OSI-Modell. Der Autor beschreibt, welche Verschlüsselungen in welcher Schicht möglich bzw. sinnvoll sind. Dabei wird unter anderem erkennbar, dass die Anwender „Alice und Bob“ umso mehr Einfluss darauf haben was und wie verschlüsselt wird, je höher die Schicht ist.

Schmeh erläutert einige Anwendungen aus dem Alltag, die nicht nur für Administratoren wichtig sind. Hierzu gehören Geldkarten, Online-Bezahlsysteme, Gesundheitskarten, Kreditkartensysteme und elektronische Ausweise einschl. des elektronischen Personalausweises. Zu letztgenanntem Thema hätte ich mir mehr Informationen zu Anwendungen, Sicherheit, Verbreitung etc. gewünscht.

Es ist nicht leicht, ein Buch über ein trockenes Thema wie Kryptografie zu schreiben und das so aufzubereiten, dass der Inhalt unterhaltsam, präzise, tiefgehend, aber auch leicht lesbar ist. Klaus Schmeh ist das fast Unmögliche gelungen. Das Buch ist eine Fundgrube für IT-Leiter, Sicherheitsfachleute, Datenschützer und Administratoren. Es ist weniger ausgerichtet auf Programmierer und Mathematiker.

[1] Glenn Greenwald „Die globale Überwachung“

Bewertung vom 07.08.2016
Ruhm
Kehlmann, Daniel

Ruhm


gut

Ein Roman in Fragmenten – ein literarisches Experiment

Zu Beginn klingelt ein Mobiltelefon. Gleiches passiert am Ende der letzten Episode. Das ist kein Zufall. Daniel Kehlmann parodiert in diesem aus neun Einzelgeschichten bestehenden Roman (unter anderem) die Folgen der modernen Kommunikationstechnik auf unser Leben. Die Abhängigkeiten sind gewaltiger, als uns im Alltag bewusst ist.

Computertechniker Ebling wird zum Opfer eines technischen Fehlers. Aufgrund einer falschen Nummernzuordnung erhält er ständig Anrufe, die für einen gewissen Ralf bestimmt sind. Jedoch lässt sich Ebling nach kurzer Zeit auf das Spiel ein. Er entwickelt sich vom genervten passiven Opfer zum aktiven Gestalter einer Lebenswirklichkeit, die nicht die Seine ist. Mit dieser Geschichte gelingt Kehlmann ein humorvoller Einstieg in seinen verschachtelten Roman.

Fehler in der Technik können sich auch dramatisch auswirken. Maria Rubinstein, die in „Osten“ mit einer Journalistendelegation in Richtung China unterwegs ist, wäre nach einem Zwischenstopp froh, wenn sie überhaupt eine Verbindung hätte. Sie wird von der Reiseleitung vergessen und ist damit von der Außenwelt abgeschnitten.

An diesen Fragmenten des Romans wird erkennbar, dass es Autor Kehlmann nicht nur um das Versagen der Technik, sondern auch um Identitätsprobleme geht. Schauspieler Ralf Tanner weiß, was damit gemeint ist. Von einem Tag zum anderen bekommt er keine Anrufe mehr, weil die Telefongesellschaft die Anschlüsse falsch zugeordnet hat (siehe Querverbindungen zu „Stimmen“ und „Wie ich log und starb“). Sein Leben gerät aus den Fugen. Er wird zum mittelmäßigen Imitator seiner Selbst.

Eine besondere Rolle spielt der Schriftsteller Leo Richter, der in mehreren Episoden vorkommt und mindestens eine davon („Rosalie geht sterben“) selbst verfasst hat. Dies ist eine ernste Geschichte über eine todkranke ältere Frau, die sterben möchte. Seltsam ist, dass Protagonistin Rosalie Konversation mit dem Autor, also mit Leo Richter, führt. Kehlmann experimentiert mit den Erzählebenen, Realität und Fiktion werden vermischt.

Die Vermischung der Ebenen wird in der letzten Episode „In Gefahr“ auf die Spitze getrieben. Elisabeth und Leo Richter verreisen (wie auch in der ersten Episode „In Gefahr“) und treffen Lara Gaspard, eine Romanfigur von Leo Richter. Was ist Fantasie, was ist Realität? Zur Verwirrung trägt auch ein dünner Mann mit Hornbrille und fettigem Haar bei, der zweimal als Fahrer auftaucht, einmal real und einmal fiktiv in einer Geschichte von Leo Richter (S. 68 u. 185).

„Ein Beitrag zur Debatte“ wirkt auf mich nicht authentisch. Die Geschichte ist zwar unterhaltsam, jedoch klingt der Slang konstruiert. Es ist nicht die Jugendsprache, sondern Kehlmanns Vorstellung von der Jugendsprache, die hier umgesetzt wurde. Dieses Experiment ist nur mäßig gelungen.

„Ruhm“ ist laut Buchbeschreibung ein Roman in neun Geschichten. In einem Interview sprach Daniel Kehlmann von einem Roman, der aus jeweils abgeschlossenen aber eng zusammengehörenden Episoden besteht. Jede Geschichte außer der letzten funktioniere auch für sich allein.

Es gibt zahlreiche Verknüpfungen zwischen den Geschichten, jedoch überwiegt die Fragmentierung. Der Roman bietet reichlich Stoff für Interpretationen, aber er fesselt nicht. Dazu sind die Einzelgeschichten zu weit auseinander, das Gesamtwerk zu konstruiert. Abweichung von der Norm, wohl durchdachte Struktur und Variationen im Stil reichen nicht aus, es muss auch Atmosphäre geschaffen werden, wie sie eher in einem durchgängigen Gesamtwerk möglich ist.

Positiv bleibt festzuhalten: Der Roman fordert heraus. Identität ist ein großes Thema. Kehlmann betreibt ein Versteckspiel, welches man ergründen möchte. Wo liegen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion? Wie sind die Erzählebenen aufgebaut? Wo liegen die Verbindungen zwischen den Episoden?

Bewertung vom 07.08.2016
Der Junge, der Träume schenkte
Di Fulvio, Luca

Der Junge, der Träume schenkte


sehr gut

"Kleines, man nennt sie die Diamond Dogs"

Titel und Titelbild suggerieren einen anderen Inhalt und haben mich im ersten Drittel des Buches irritiert. Die Geschichte spielt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Das junge italienische Mädchen Cetta wird vergewaltigt und zieht mit ihrem Baby nach New York. Ihren Lebensunterhalt verdient sie (zwangsläufig) mit Prostitution. Sie und ihr Kind Christmas führen ein hartes entbehrungsreiches Leben. In der Lower East Side ist Gewalt an der Tagesordnung.

Der Bezug zum Titel wird erkennbar, als Christmas heranwächst und seine (fiktive) Gang "Diamond Dogs" gründet. Er hat Talent, wie in einem Gespräch mit Gangsterboss Arnold Rothstein deutlich wird. "Ich kann Geschichten erzählen. Das ist das Einzige, worin ich wirklich gut bin ... Geschichten, an die die Leute glauben. Die Leute träumen nämlich gern." Christmas übersteht diese Begegnung, aber nicht alle Jungs überleben den Straßenkampf.

Der Roman hat viele Facetten und so geht es nicht nur um Straßenkampf, Vergewaltigung und Schutzgelder, sondern auch um die besondere (Liebes-)beziehung zwischen Ruth und Christmas. Die Lebensgeschichten von Ruth und Christmas sind voller Dramatik und ihre Charaktere markant, geformt von den besonderen Lebensumständen. Mit Sal und Bill gibt es weitere Protagonisten, die (auf unterschiedliche Weise) einen Wandel durchmachen. Beides sind Menschen voller Tiefe, jedoch unterscheiden sie sich wie Tag und Nacht.

Autor Luca Die Fulvio versteht es, die Spannung auf einem mittleren Level zu halten. Insbesondere warten die Leser gespannt darauf, ob es noch einmal zu einer Begegnung zwischen dem psychopatischen Kriminellen Bill und Ruth kommt. Christmas nutzt Chancen, die ihm geboten werden und macht was aus seinem Talent. Seine Entwicklung hat aber auch unnatürliche Züge. Es hätte dem Buch nicht geschadet, weniger dick aufzutragen.

Auch am Ende des Buches bin ich noch der Meinung, dass das Titelbild nicht zum Roman passt. Das Bild suggeriert einen anderen Inhalt. Insbesondere assoziiert man mit diesem Bild nicht die vielen Gewaltdarstellungen, die im Buch beschrieben werden. Dennoch handelt es sich um einen lesenswerten Roman, der nicht nur unterhält, sondern auch einen Eindruck vermittelt, mit welchen Widrigkeiten Einwanderer zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu kämpfen hatten.