Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Bellis-Perennis
Wohnort: 
Wien

Bewertungen

Insgesamt 924 Bewertungen
Bewertung vom 06.08.2023
Putin
Baud, Jacques

Putin


gut

Während der Tage des Wagner-Putsches vor wenigen Wochen schien Putin den Berichten zufolge, nicht mehr ganz Herr des Geschehens zu sein. Die Geister, die er rief, haben sich verselbstständigt. Umso eigenartiger ist es, dass sich diese Söldner-Truppe dann plötzlich anders entschlossen hat. Ist hier viel Geld im Spiel?

Allerdings muss man, wie immer bei den Nachrichten aus dem Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, vorsichtig sein. Wenig davon ist seriös überprüfbar. Daher habe ich mir von diesem Buch einiges erwartet, zumal der Autor lt. Verlag Analyst für den Schweizer Strategischen Nachrichtendienst war und sein Operationsgebiet die (nunmehr ehemaligen) Ostblockstaaten war.

Doch leider wurde ich ziemlich enttäuscht und ratlos zurückgelassen. Mir ist schon bewusst, dass der Verlag Westend oftmals Autoren, die eine freundliche Haltung Russland und Putin gegenüber vertreten, Platz gibt. Und das darf und soll auch so sein.

Der Autor beschwört die westlichen Staaten, sich endlich wieder auf die Fakten zu besinnen und mit Russland auf Augenhöhe zu kommunizieren. Doch wie soll das gehen, wenn Putin Täter/Opfer-Umkehr betreibt? Kann irgendwer (außer Putin und seine Gefolgsleute) wirklich glauben, dass ein kleines Land wie die Ukraine den Riesen Russland überfallen hat?

Der Westen hat 2014 bei der Annexion der Krim durch Russland aus diversen politischen Gründen weggesehen. Seit dem 24.2.2022 macht er das nicht mehr.

Das Verhalten des Westens von 2014 erinnert ein wnig an die Appeasement-Politik von Neville Chamberlain, der Hitler keinen Einhalt gebot, als er das Sudetenland annektierte. Erst als er am 15.3.1939 in Prag einmarschiert, ändert man die Beschwichtigungspolitik und spielt damit Hitler in die Hände.

Es scheint, als könnte aus der Geschichte, spät, aber doch gelernt werden und deshalb wird nun versucht, Putin Einhalt zu gebieten.

Dass der Westen nicht immer die glaubwürdige Rolle innehat, die er sich selbst anmaßt, ist auch klar. Dennoch finde ich die manchmal reißerische Wortwahl nicht angebracht, wenn Russland gelobt und der Westen verteufelt wird. Klar, spielt Propaganda auf beiden Seiten eine Rolle. Die eigenen Verluste werden kleingeredet, die des Gegners vervielfacht. Manche Vorwürfe, die Putin gemacht werden, wie dass er hinter den Gelbwesten-Protesten stehen soll, kann ich nicht nachvollziehen. Die sind vermutlich von der französischen Regierung schon hausgemacht.

Ich denke, man wird erst mit dem Abstand von 70, 80 Jahren herausfinden, welche Motive hinter dem Krieg zu finden sind. Was will er damit bezwecken, Millionen Menschen in Afrika, die auf das Getreide der Ukraine angewiesen sind, genau dieses durch den Ausfuhrboykott und die Vernichtung der Lebensmittel vorzuenthalten? Denn eigenes Getreide kann er ja in der benötigten Menge auch nicht liefern, ohne seine eigene Bevölkerung dem Hungertod preiszugeben. Auch das hatten wir schon einmal - um die benötigten Devisen für die Kollektivierung der russischen Landwirtschaft aufzubringen, wurde ukrainisches (!) Getreide verkauft. Man erinnere sich an den Holodomor von 1931/32. Möglicherweise hat sich Wladimir Putin verrechnet und ist tatsächlich nicht mehr Herr des Geschehens.

Fazit:

Ganz so sachlich, wie er von sich behauptet zu sein, finde ich den Autor nicht. Es fällt mir schwer, dieses Buch zu bewerten. Der eine oder andere Gedanken ist es wohl wert, sich damit näher zu beschäftigen. Letztlich kann Jacques Baud die Frage, ob Putin noch Herr des Geschehens ist, nicht schlüssig beantworten. Nach langem Abwägen gibt es 3 Sterne.

0 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.08.2023
Die Akte Madrid / Lennard Lomberg Bd.2
Storm, Andreas

Die Akte Madrid / Lennard Lomberg Bd.2


ausgezeichnet

Diesmal begibt sich der Kunstsachverständige Lennard Lomberg auf die Suche nach einem Gemälde, das in den Wirren des Spanischen Bürgerkriegs und des Zweiten Weltkriegs verschwunden ist. Doch damit nicht genug ist es, nach Jahren des unbeachteten Daseins, nun erneut abhandengekommen. Und das ausgerechnet aus dem Besitz des deutschen Verteidigungsministers, dem man Ambitionen zu noch höheren Weihen nachsagt, und der nun, ob der Provenienz des Gemäldes, in Erklärungsnotstand geraten könnte, was er mit allen gebotenen Mitteln verhindern will.

Lennard Lombard soll das Bild ohne viel Aufsehen wiederbeschaffen. Dabei wird er von der Kriminalrätin Sina Röhm unterstützt. Doch diesmal wird Lomberg selbst zum Gejagten, denn hinter dem verschollenen Gemälde verbirgt sich ein Geheimnis, das Lombergs Glaubwürdigkeit erschüttert, denn das Gemälde hat seinen Weg schon einmal gekreuzt.

Meine Meinung:

Wie schon in ersten Fall „Das neunte Gemälde“ führt uns Autor Andreas Storm geschickt in mehreren Handlungssträngen aus der Gegenwart von 2016 in Spaniens Vergangenheit von 1936 und 1943. Und auch Lombergs Vater spielt im Jahr 1968 eine Rolle.

Die Ähnlichkeit des Plots mit dem ersten Fall fällt sogar Lennard Lomberg auf, was darauf schließen lässt, dass er es immer wieder mit dem selben Klientel zu tun. Vielleicht sind es nicht dieselben Personen, aber das Vater-Sohn-Erbe, das sowohl ihn als auch seine Kunden in die Untiefen von Beutekunst und Kunstraub hinabsteigen lässt.

Obwohl Andreas Storms Kunstkrimis alle fiktiv sind, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der eine oder andere Raub so oder so ähnlich stattgefunden hat. Die Handlung ist anspruchsvoll und so mancher Leser wird ob der Fülle der „Mitspieler“ stöhnen. Hilfreich hier den Überblick zu wahren, ist die Personalliste am Ende des Buches in der die historischen und fiktiven Personen angeführt sind. Das Personenverzeichnis wäre eventuell diesmal besser zu Beginn des Krimis platziert, um die Leser gleich auf die komplexen Handlungsstränge einzustimmen. Um sich auf den wichtigsten Schauplätzen zurechtzufinden, gibt es Stadtpläne von Granada und Bonn auf den Vorsatzseiten.

Fazit:

Ein gut gelungener und höchst komplexer Kunstkrimi, dem ich gerne 5 Sterne gebe.

Bewertung vom 05.08.2023
Die Kälte der Mur
Wieser, Gudrun

Die Kälte der Mur


ausgezeichnet

In ihrem zweiten historischen Krimi mit Ida Fichte und Wilhelm Koweindl nimmt uns Autorin Gudrun Wieser in die Umgebung von Graz des Jahres 1882 mit. Nach den Vorkommnissen im Mädchenpensionat am Annaberg ist dieses geschlossen und Ida Fichte hat eine neue Anstellung als Hauslehrerin von Theodor, dem ängstlichen Sohn des Zoologen Prof. Lahothny und seiner Frau. Die neue Aufgabe nimmt sie ziemlich in Anspruch, zumal auch die Gnädige Frau an manchen Tagen Idas Zuspruch zu benötigen scheint, sodass sie auf die ein wenig hölzern verfassten Briefe des Landgendarmen Wilhelm Koweindl nicht antwortet.

Dabei bräuchte er den scharfen analytischen Verstand von Ida mehr denn je. Seit einigen Wochen werden Körperteile am Ufer der Mur angespült. Sie müssen, wie der Gerichtsmediziner trocken feststellt, von mehreren Frauenspersonen, stammen. Er sei sich ziemlich sicher, dass es sich um Dienstmädchen handelt. Doch niemand scheint sein(e) Dienstmädchen zu vermissen. Koweindl und sein neuer Mitarbeiter, der Probegendarm Leopold Leitner, stehen vor einem Rätsel.

Nun, Koweindl fasst sich ein Herz und taucht unangemeldet und zu unpassender Zeit im Haus Lahothny auf. Dass er damit Ida in Schwierigkeiten bringt, nimmt er gar nicht wahr. Er ist nur über ihre Zurückhaltung und ihre Weigerung, ihn überhaupt anzuhören, erstaunt. Man scheidet beiderseits verstimmt.

Doch dann verschwindet, wie so viele Dienstboten vor ihr, die Zugehfrau Leni und wenig später auch die Gnädige Frau. Zurück bleiben der ohnehin traumatisierte Sohn Theodor, sein Vater und sein Onkel, der sich ebenfalls ein wenig seltsam verhält. Ida beginnt auf Wunsch des Hausherrn zu recherchieren und findet einiges heraus, was die Gnädige Frau nicht in allzu gutem Licht erscheinen lässt.

Meine Meinung:

Auch der zweite Fall für Ida Fichte und Wilhelm Koweindl hat mir sehr gut gefallen. Der Krimi ist sehr gut recherchiert und zeichnet ein ziemlich authentisches Bild der damaligen Lebenswelt. Hier die begüterten Bürger oder Adeligen dort die Dienstboten, die nichts gelten. Die Leser merken deutlich, dass in der ausschließlich männlich besetzten Kriminalpolizei, das Wissen um Dienstboten fehlt, denn erst spät kommen Koweindl und sein Probegendarm Leopold Leitner auf die Idee, nach dem Dienstbotenbuch der verschwundenen Dienstboten zu suchen.

Auch dass Soldaten, die in Verbrechen verwickelt sind, sei es als Täter oder Opfer, nicht der zivilen Gerichtsbarkeit, sondern der militärischen unterstehen, ist richtig beschrieben.

Der Schreibstil gefällt mir und ich finde die Charaktere sehr gut herausgearbeitet. Ob Koweindl das Angebot des Militärs annehmen wird? Und wie entwickelt sich die Beziehung zu Ida weiter? Ich bin das sehr gespannt auf einen weiteren Fall. Außerdem bin ich neugierig, ob sich in einer späteren Fortsetzung Koweindls Wege mit dem wohl berühmten Grazer Kriminologen Dr. Hans Gross kreuzen werden, der 1893 sein „Handbuch für Untersuchungsrichter“ veröffentlicht hat.

Fazit:

Gerne gebe ich dieser gelungenen Fortsetzung 5 Sterne.

Bewertung vom 02.08.2023
Der Teufelshof / Akte Nordsee Bd.2
Almstädt, Eva

Der Teufelshof / Akte Nordsee Bd.2


ausgezeichnet

Der Klappentext verrät ja schon einiges. Die Polizei schießt sich auf die bereits einmal geschiedene und nun neu vermählte Anna als Täterin ein, die noch dazu aus Estland stammt. Wer die eingefleischten Dorfbewohner eine Nordseeinsel kennt, weiß, dass man mindesten 50 Generationen dort ansässig sein muss, um als Einheimischer gelten zu dürfen. Man hat es ja schon immer gewusst, dass die da sich nur einen guten deutschen Mann angeln will. Und außerdem, der Tatort ist ja als Teufelshof bekannt - da kann es ja nur Mord und Totschlag geben.

Das macht das Ermitteln für Fentje und den Journalisten Niklas nicht einfacher.

Auch in ihrem zweiten Krimi mit Fentje Jacobsen versteht es Eva Almstädt Spannung aufzubauen und sie auch bis zur letzten Seite zu halten. Selbst ich als alte Krimi-Tante habe den Täter lange nicht auf dem Radar gehabt.
Die Autorin Eva Almstädt schreibt in gewohnter Form - leicht und flüssig. Das Lokalkolorit der Halbinsel Eiderstädt spielt auch eine große Rolle.

Bin schon neugierig wie sich die Beziehung zwischen Fentja und Niklas, die sich ja derzeit nur beruflich annähern, weiterentwickelt. Es scheint ja hier doch ein wenig zu knistern.

Fazit:

Eine gelungene Fortsetzung, der ich gerne 5 Sterne gebe.

Bewertung vom 31.07.2023
Die Bibliothekarin und der Tote im Park (eBook, ePUB)
Ritter, Michael

Die Bibliothekarin und der Tote im Park (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Dieser Krimi entführt uns in die Mitte der 1920er-Jahre nach Wien. Rita Girardi ist Bibliothekarin an der Geologischen Bundesanstalt. Sie ist unverheiratet und eine für diese Zeit sehr fortschrittliche Frau. Mit Leib und Seele geht sie ihrem Beruf nach, ist Mitglied eines Chors und schreibt Rezensionen für die Reichspost.

Ihr Leben wird plötzlich durch insgesamt drei Morde, die in unmittelbarer Umgebung ihrer Arbeitsstelle verübt wurden. Es sieht zunächst so aus, als ob die Verbrechen in keinerlei Zusammenhang stünden, handelt es sich bei den beiden Toten doch um ihren Wohnungsnachbarn und einen unbekannten Obdachlosen, dem sie immer wieder ein paar Groschen zusteckt.

Dann entdeckt sie ausgerechnet im viel beachteten geologischen Werk ihres Chefs Hofrat Wallner eine handschriftliche Notiz und glaubt nun an einen Zusammenhang. Allerdings nimmt niemand sie so recht ernst. Weder der ermittelnde Kriminalbeamte Julius Hechter noch Albrecht Huber, seines Zeichens Arzt im nahe gelegenen Krankenhaus Rudolfstiftung, der mit Rita im selben Chor singt, glauben zunächst an Ritas Intuition.

Als dann noch ihr Praktikant dem Mörder zum Opfer fällt und der Arzt überfallen wird, erfährt die Ermittlung eine dramatische Wendung.

Meine Meinung:

Ich mag historische Krimis, die in Wien spielen. Die Gegend rund um den Arenbergpark seine Geschichte sind mir gut bekannt. Leider verunzieren zwei hässlicher Flaktürme, Relikte aus der NS-Zeit den Park. Aber so weit ist es ja bei diesem Krimi nicht. Der Autor Michael Ritter, den ich schon aus seinen anderen beiden historischen Wien-Krimis kenne, hat einiges in seinem Nachwort dazu geschrieben.

Der Plot ist gut aufgebaut und die Charaktere haben so ihre Ecken und Kanten. Besonders der Vorzimmerdrachen von Direktor Georg Geyer, Frau Pfeiffer, ist quasi überlebensgroß vor mir auferstanden. Da ich selbst Beamtin bin, kenne ich solche Sekretärinnen auch. Bei Rita oder Isabella wird zwischen Vornamen und der Anrede Fräulein plus Nachname abgewechselt, aber Frau Pfeiffer ist immer Frau Pfeiffer. Hofrat Wallner empfinde ich mit seiner väterlichen Art ein wenig übergriffig, »anlassig», wie wir in Wien sagen. Und natürlich kann man ihm den »Haushaltsunfall» überhaupt nicht abnehmen. Welcher Hofrat der 1920er-Jahr hat auch nur einen einzige Gedanken an den Haushalt verschwendet? Wozu gibt es denn Personal? Vielleicht nicht mehr soviel wie zu Kaisers Zeiten, aber eine Zugehfrau bestimmt.

Schmunzeln musste ich über die genaue Beschreibung von Ritas Schuhwerk: Hübsch, mit höherem Absatz aber unbequem, zu eng mit einer Spange - solche Details finden sich selten in von Männern geschriebenen Krimis. Ein Applaus von mir für den Herrn Autor.

Den Kriminalbeamten Julius Hechter bin ich bei »Wiener Hochzeitsmord» und »Wiener Machenschaften» schon begegnet - ein vielversprechender Mann. Ob es wohl eine Fortsetzung geben wird?

Seine so leicht dahin gesagten Worte, deuten darauf hin:

»Wenn Sie einmal Ihren Beruf wechseln und Kriminalistin werden wollen, melden Sie sich bei mir«, scherzte er und verabschiedete sich mit einem innigen Händedruck. »Eine Bibliothekarin als Detektivin, das wäre doch mal etwas Neues!«, rief er aus, als er aus dem Zimmer ging und schließlich die Wohnung verließ.

Das Cover passt sehr gut zur Zeit.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Krimi, der im Umfeld der ehrwürdigen Geologischen Bundesanstalt (seit 1. Jänner 2023 mit der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) zur »GeoSphere Austria“ zusammengelegt) spielt, 5 Sterne.

Bewertung vom 31.07.2023
Die Postkarte (eBook, ePUB)
Berest, Anne

Die Postkarte (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Wenn Zufall und Willkür über Tod oder Leben entscheiden.
Dieser Roman ist eine gleichsam berührende wie fesselnde Spurensuche nach den eigenen Wurzeln.

Anne Berest erzählt in vier unterschiedlichen Abschnitten über die Herkunft ihrer Familie. Da ist zum einem die Gegenwart, in der ihre kleine Tochter Clara in der Schule von einem Mitschüler hören muss, dass sie Jüdin ist und diese nicht gemocht werden. Diese Episode ist Anlass für Anne sich mit ihrer jüdischen Herkunft zu befassen. Das geschieht unter anderen mit Hilfe ihrer Mutter Lélia, die eine alte Postkarte erhalten hat, auf der die vier Namen von Familienmitgliedern angeführt sind, die in Auschwitz ermordet worden sind: Ephraïm, Emma, Noémi und Jacques. Wie Lélia erklärt sind Ephraïm und Emma Annes Urgroßeltern, Noémi und Jacques sind Großtante und Großonkel. Ein Name fehlt, nämlich der von ihrer Großmutter: Myriam. Sie ist die Einzige, die den Holocaust überlebte, heiratete und Tochter Lélia bekam.

Einige Jahre später beginnt Anne ihre Familiengeschichte anhand der Postkarte und anderen Dokumente ihrer Mutter akribisch zu recherchieren. Nicht immer gelingt es auf geradem Weg, Erkenntnisse zu erhalten. Immer wieder blockt auch Lélia ab, zu schrecklich sind die überlieferten Ereignisse. Doch Anne lässt sich nicht beirren und erhält mitunter Hilfe von unerwarteter Seite.

Lange bleibt unklar, wie die Postkarte aus der Vergangenheit in den Briefkasten der Gegenwart geraten ist.

Meine Meinung:

Dieser historische Roman, der die dramatische Geschichte einer Spurensuche nach den eigenen Wurzeln beschreibt, ist nicht mein erstes Buch zu diesem Thema. Was es so besonders bzw. anders macht?

Anne Berests Schreibstil ist eindringlich. Als Leser ist man - so schrecklich es auch ist - mitten im Geschehen. Das liegt zum Großteil an der peniblen Recherche der Autorin. Die Geschichte wird aus mehreren Perspektiven erzählt. Für viele Leser wird der französische Anteil an der Ermordung Tausender Juden, die nach Frankreich geflüchtet sind, vielleicht neu und verstörend wirken. Mir ist dies schon lange bekannt, trotzdem habe ich bislang unbekannte Details erfahren. Faszinierend zu lesen ist, wie Zufall und Willkür über Tod oder Leben entscheiden.

Fazit:

Dieser fesselnden wie berührender Spurensuche nach den eigenen Wurzeln gebe ich gerne 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 31.07.2023
Die Erfindung des Lächelns (eBook, ePUB)
Hillenbrand, Tom

Die Erfindung des Lächelns (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

„La Jaconde, c’est partie!“

Wer kennst es nicht? Das berühmte Gemälde „La Gioconda“, besser bekannt als „Mona Lisa“ von Leonarda da Vinci? Ihr geheimnisvolles Lächeln bezaubert die Menschen seit dem 17. Jahrhundert und die Spekulationen, wer dafür Modell gesessen haben könnte, schraubt ihren Wert in die Höhe. So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass das Gemälde, das nur 77 x 53 cm misst, in den Fokus von Kunstdieben gerät.

Und genau davon erzählt dieser historische Roman.

Als der korpulente Museumsaufseher am Morgen des 22. August 1911 den Salon Carré betritt, fehlt das Bild. Zunächst denkt er sich nichts dabei, denn Bilder werden immer wieder zum Restaurieren oder Fotografieren abgehängt. Doch als dann wenig später der leere Rahmen gefunden wird, ist klar: Entsetzlich, das Bild wurde gestohlen - „La Jaconde, c’est partie!“ geht der Aufschrei durch toute Paris.

Commissaire Lenoir wird mit den Ermittlungen beauftragt, was gar nicht so einfach ist. Denn nicht nur, dass der Louvre offen wie ein Vogelhaus ist, gibt es Dutzende Generalschlüssel und Hunderte Handwerker und Künstler, die aus- und eingehen können. Lenoir hat eine Mammutaufgabe vor sich. Unter den zahlreichen Verdächtigen ist auch Pablo Picasso, Künstler, ständig klamm und ein begnadeter Kopist - so passt er - genauso wie seine Freunde sehr gut in das Täterprofil.

Stellenweise liest sich der Roman wie das Who-is-Who der künstlerischen Avantgarde der Stadt Paris von 1911. Neben der Ausdruckstänzerin Isadora Duncan treffen wir auch Literaten, Musiker wie Igor Strawinsky und Claude Debussy sowie Satanisten und andere Scharlatane.

Während die Menschen von Paris in der Kathedrale Notre-Dame um die Rückkehr des Bildes beten, bieten Hellseher und Wahrsager der Polizei ihre Dienste an.

Ob Commissaire Lenoirs Ermittlungen von Erfolg gekrönt sind, verrate ich jetzt nicht.

Meine Meinung:

Der Diebstahl der Mona Lisa hat schon mehrere Autoren und Filmemacher beflügelt, ihre eigene Sicht auf das Geschehen darzulegen. Mir hat dieser Roman, der sich manchmal von eigentlichen Succus der Geschichte ein wenig weit entfernt, sehr gut gefallen. Das Flair der Belle Époche ist sehr gut eingefangen. Es sind nur mehr wenige Jahre bis zum Großen Krieg. Man trifft sich in Straßencafés, trinkt Absinth bis zur Bewusstlosigkeit und lässt den lieben Gott einen guten Mann sein.

Ich kenne einige von Tom Hillenbrands Krimis rund um den Koch Xaver Kieffer, die nicht ganz so gut gefallen, wie dieses Buch hier rund um La Jaconde.

Fazit:

Gut recherchiert und opulent erzählt, da macht auch das Abschweifen zu Nebenthemen nichts aus. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Bewertung vom 31.07.2023
Marthas Geheimnis / Die Zuckerbaronin Bd.1
Sahler, Martina;Wolz, Heiko

Marthas Geheimnis / Die Zuckerbaronin Bd.1


ausgezeichnet

Man schreibt das Jahr 1908, der Fuhrwerksunternehmer Korbinian Schinder betreibt mit seiner Frau Barbara und den drei gemeinsamen Töchtern Martha, Gwendolyn und Helene einträgliche Schmuggelfahrten. Was geschmuggelt wird? Saccharin, jenes synthetische Süßungsmittel, das - wie der geneigte Leser in einem Nebenstrang erfährt - kurz zuvor von einem deutschen Auswanderer in die USA, Constantin Fahlberg, als Nebenprodukt entdeckt worden ist. Ursprünglich als apothekenpflichtiges Medikament für Diabetiker verwendet, hat sich das billige Saccharin nun zur Alternative zum teuren Rübenzucker entwickelt. Das hat natürlich die Lobby der Zuckerbarone genannten Fabriksbesitzer, die aus den Zuckerrüben den beliebten Zucker herstellen, auf den Plan gerufen. Mit Erfolg - Saccharin ist in Deutschland verboten. Doch was verboten ist, erzeugt Sehnsucht und Gier. Die Gewinnmargen sind äußerst lukrativ.

Was ursprünglich wie ein sportlicher Wettstreit zwischen Schmugglern und Zöllner beginnt, entwickelt sich zu einem Katz-und-Maus-Spiel, das mit einer Katastrophe endet. Barbara, Korbinians Ehefrau stirbt bei einer dieser Schmuggelreisen. Nun ist nichts mehr wie zuvor. Zwar betreibt die Familie das Schmuggelgeschäft unvermindert weiter, aber der bislang familienintern benutzte Leitsatz, „auch armen Leuten zu süßem Genuss verhelfen zu wollen“, wechselt zu einem Hass auf die Zuckerbarone. Man will ihnen möglichst viel schaden.

Als Martha auf dem Erntedankfest einen jungen Mann, den sie bislang noch nie gesehen hat, kennenlernt, scheint sie das bisherige Interesse an den Schmuggelfahrten ein wenig verloren zu haben. Beide sind Feuer und Flamme füreinander. Was Martha nicht weiß: Der junge Mann ist Alexander Wallenberg, der Sohn des verhassten, örtlichen Zuckerbarons.

Damit nimmt der historische Roman eine dramatische Wendung, in deren Verlauf, die Familie Schinder auseinanderzubrechen droht.

Meine Meinung:

Die Geschichte des Rübenzuckers ist an sich schon sehr spannend. Während der Kontinentalsperre, die Napoleon über Europa verhängt hat, ist kaum Rohrzucker aus der Karibik nach Europa gekommen. Ab ca. 1800 beginnt der Aufstieg der Zuckerrübe und wenig später die industrielle Gewinnung des Rübenzuckers. Die Investitionen für die Zuckerraffination ist beachtlich, sodass nur finanziell potente Familien hier zum Zug kommen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich-Ungarn floriert das Geschäft mit dem Anbau der Zuckerrübe und der Herstellung des Zuckers. Damit ist klar, dass man sich das Geschäft von dem chemischen Süßstoff, der billig herzustellen ist, nicht kaputt machen will. Zwar wird auch in Deutschland und Österreich-Ungarn Saccharin in kleinen Mengen erzeugt, darf aber nur in Apotheken als alternatives Süßungsmittel für Diabetiker auf Rezept abgegeben. Der Verkauf in freien HandeI ist verboten. Nur in der Schweiz ist Saccharin ohne Einschränkung erhältlich, was Schmuggler wie die (fiktive) Familie Schinder auf den Plan rufen. Sie transportieren das Schmuggelgut höchst einfallsreich in diversen Verstecken. Darüber kann man in diesem Roman allerlei lesen.

Das Verbot der Erzeugung und dem Handel Saccharin gilt von 1902 (in Österreich-Ungarn ab 1898) bis in den Ersten Weltkrieg. Erst da wird Saccharin als Ersatzstoff für Zucker zugelassen. Nach dem Ersten Weltkrieg verliert die Donaumonarchie durch ihre Aufteilung in neue Staaten sowohl ihre Anbaugebiete (Böhmen und Mähren) als auch ihre Abnehmer. Die Geschichte der Zuckerbarone, die durch Enteignungen ihre Investitionen verlieren, ist damit Geschichte.

Doch zurück zur Geschichte der Familie Schinder. Schon allein der Name deutet an, was der Roman auch preisgibt: Sie (waren und) sind nicht angesehen im Dorf. Wer sich mit der Herkunft von Familiennamen beschäftigt weiß, dass die Schinder und Abdecker wie auch die Henker zu den „unehrlichen“ Berufen zählten. Niemand wollte sie haben, aber jeder brauchte sie. Denn wohin mit den Kadavern von verendetem Vieh? Diese Familien lebten am Rande der Dörfer, mussten bis spät in die Neuzeit an ihrer Kleidung deutlich erkennbar sein - also buchstäblich ausgegrenzt.

Eine Vermischung mit den anderen Ständen war kaum möglich. Dass hier eine Schinder-Tochter einen Wallenberg heiratet, ist höchst ungewöhnlich und wird den beiden einiges abverlangen. Der zweite der Teil Familien-Saga „Die Zuckerbaronin: Gwendolyns Hoffnung“ erscheint Ende Oktober 2023.

Martina Sahler und ihren Schreibstil kenne ich schon durch andere historische Romane. Geschickt sind hier Fakten und Fiktion verwoben und zu einem spannenden historischen Roman verarbeitet, der sich leicht und flüssig lesen lässt.

Fazit:

Ein gelungener Auftakt einer Familien-Saga rund um den Rübenzucker. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Bewertung vom 31.07.2023
PHI
Vorndran, Helmut

PHI


sehr gut

Tote, Säure und Parfum

Dieser 13. Krimi mit Franz Haderlein & Team ist ein wenig anders als die zwölf vorhergehenden.
Sowohl die beiden Ermittlerschweine Riemenschneider und Pressack spielen ebenso wie die Ermittler nur eine untergeordnete Rolle.

Hauptdarsteller sind unter anderem eine Bohrfirma, die statt Wasser für die Landwirtschaft ein riesiges Vorkommen seltenen findet, ein amerikanischer Multimilliardär, der mit einem E-Hubschrauber durch den Bamberger Luftraum schwebt, sowie zahlreiche Leichen, die mit einer starken Säure und verschiedenen bekannten Parfums übergossen worden sind, und das Naturschutzgebiet in der Mojave-Wüste.

Meine Meinung:

Grundsätzlich sind die Themen, Zerstörung der Umwelt des Profits wegen und Rache sehr spannend. Leider fehlt gerade deswegen die Leichtigkeit und der schräge Humor, die Helmut Vorndrans frühere Krimis ausgezeichnet. Schon der letzte „Obsidiangold“ hat nicht nur Deutschland als Schauplatz. Hier in „PHI“ müssen wir uns über den großen Teich nach Amerika begeben, um die Hintergründe der Mordserie zu verstehen.

Aufgelockert wird der Krimi nur durch Robert „Fidibus“ Suckfüll, den etwas schrulligen Polizeichef, der den Abgang von Andrea Onello mit etwas verstümmelten Balladen der Klassiker wie Goethe oder Schiller bedauert. Wenig später sorgt er für Kopfschütteln, da er einem Haßfurter Start up, das Brennholzscheite verleast auf dem Leim geht. Wer Vorndrans Krimis kennt, weiß um die Geschichten der echten oder vermeintlichen Geistesgaben der Haßfurter.

Schmunzeln musste ich Lagerfeld, der wieder auf amourösen Pfaden wandelt. Trotzdem fehlt mir diesmal der schwarze Humor und Arbeit der Ermittlerschweine.

Fazit:

Für mich nicht der beste Krimi dieser Reihe, daher gibt es diesmal nur 4 Sterne.