Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Buchdoktor
Wohnort: 
Deutschland
Über mich: 
Romane, Krimis, Fantasy und Sachbücher zu sozialen und pädagogischen Tehmen interessieren mich.

Bewertungen

Insgesamt 612 Bewertungen
Bewertung vom 03.01.2017
DuMont Reiseabenteuer An guten Tagen siehst du den Norden
Kittel, Sören

DuMont Reiseabenteuer An guten Tagen siehst du den Norden


ausgezeichnet

Das Gesicht wahren und nicht aus der Reihe tanzen - ein Reisebericht aus Süd-Korea
Es ist sicher kein Zufall, dass Sören Kittel sich zu Süd-Korea hingezogen fühlt; denn den zugänglichen südlichen Landesteil und Deutschland verbindet die sehr spezielle Situation in einem früher oder noch immer getrennten Land. Kittel sah die Welt jenseits der deutschen Mauer zum ersten Mal mit 10 Jahren. In Deutschland wurde er u. a. bekannt mit einer Foto-Reportage über Kneipen in Süd-Korea mit ungewöhnlich „deutschen“ Namen.

Kittels Kapitel über die Hauptstadt Seoul liest sich wie die Beziehung zu einer kapriziösen Geliebten. Ein Fluss und ein Hügel sind unbedingt nötig für eine Stadt, trägt ihm Herr Yang aus der Sicht des Geomanten vor. Kittels erste Begegnungen mit in Süd-Korea lebenden Ausländern bestätigen das eigenwillige Verhältnis zwischen dem Gastland und Einwanderern, die zwischen sich und ihre Heimatländer offensichtlich eine möglichst große Distanz legen wollten. Süd-Korea hat derzeit ein sehr cooles Image bei jungen Ausländern. „Es gibt viel Arbeit, freundliche Menschen, sehr gutes Essen und wohl eins der besten Transport-Systeme weltweit. Hier gilt das umgedrehte New-York-Prinzip: „If you can’t make it anywhere – you can make it in Seoul.” " (Seite 19)

Kittels Reisereportagen entstanden auf Busreisen zu Orten, die ganz im Zeichen des „Han“ stehen, einer so nur in Süd-Korea möglichen Traurigkeit. Eine charakteristische Verbindung aus Sehnsucht nach etwas Unerreichbarem und der lebenslangen Unfähigkeit loslassen und vergessen zu können, nimmt er bei seinen Gesprächspartnern wahr. Konfuzianisch geprägte Länder wie China zeichnen sich durch ihr hohes Harmoniebedürfnis aus, durch den gesellschaftlichen Zwang das Gesicht des Anderen zu wahren und nur nicht aus der Reihe zu tanzen. Aus dem Schweigen hat sich in Süd-Korea das Vertuschen von Katastrophen und Skandalen entwickelt, das für Betroffene leidvolle Folgen hat. Beispiele sind der Untergang der Sewol mit hunderten von Todesopfern 1980 und der Amoklauf eines Polizisten 1982 mit über 50 Opfern. Beide Katastrophen wurden aufgrund von Denkverboten aus der Zeit der Militärdiktatur nicht aufgearbeitet.

Der Autor bereist ein Land, das ehemals japanisches Protektorat und lange von fremden Großmächten abhängig war. Der Korea-Krieg (1950 bis 1953) ließ das Land geteilt und auf dem Stand eines Entwicklungslandes zurück. Mit der langen Fremdbestimmung erklärt der Autor das Bedürfnis der Südkoreaner unter sich zu sein, einmal nicht mit Fremden Englisch sprechen zu müssen, nicht mehr vom Ausland abhängig zu sein. So verständlich diese Einstellung im Privaten sein mag, steht sie doch den Anforderungen des Arbeitsmarktes entgegen. „Der Frosch muss aus dem Brunnen, weil das, was er darin sieht, für ihn die Welt ist“, bringt ein Gesprächspartner das Problem des südkoreanischen Bildungssystems auf den Punkt. Ein bunter Strauß an Themen umfasst die Situation von jungen Leuten auf Partnersuche, die alter Menschen in einer überalterten Gesellschaft, deutsch-koreanische Ehen, aus Südkorea adoptierte Kinder, wie koreanische Bergarbeiter und Krankenschwestern als Arbeitsemigranten, die aus der Erinnerung in Deutschland fast wieder verschwunden waren.

Kittels Reportagen sind erstaunlich emotional und zeugen von tiefem Verständnis für sein Gastland. Die Trauer um den Riss, der durch das Land und durch betroffene Familien geht, kann wohl nur jemand nachvollziehen, der das in ähnlicher Form erlebt hat. Eine klug zusammengestellte Reise aus dem Jahr 2013, die den Lesern Türen öffnet und mit Sicherheit dem Nutzen bringt, der in einem internationalen Team eng mit Süd-Koreanern zusammen arbeitet.

Bewertung vom 03.01.2017
Harper Lee und Truman Capote
Lavizzari, Alexandra

Harper Lee und Truman Capote


ausgezeichnet

Wie wahrscheinlich ist es, dass zwei weltberühmte Autoren aus einem Ort stammen und seit ihrer Kindheit eine wechselhafte Beziehung zueinander hatten? Monroeville/Alabama, die Heimatstadt von Harper Lee und Truman Capote und zugleich der Schauplatz von Lees einzigem Roman, vermeldet heute rund 6500 Einwohner. Harper Lee nutzte als Rahmen für ihren Roman „Wer die Nachtigall stört“ ein Gerichtsverfahren aus dem Jahr 1933, ihre mutterlose, burschikose Icherzählerin Scout ist ebenso offensichtlich das Alter Ego der Autorin wie Rechtsanwalt Atticus deren Vater nachempfunden ist. Lee und Capote waren Nachbarskinder, beide begehrten gegen die vorgezeichnete Rolle auf, beide flüchteten sich in ihrer Kindheit mit ihren Büchern in Nelles Baumhaus. Beide Autoren haben dem Gefährten aus Kindertagen eine Romanfigur in einem Entwicklungsroman gewidmet. Nelle Harper Lee stellt ihrer Icherzählerin „Scout“ den Freund Dill zur Seite, der unverkennbar Truman Capote nachempfunden ist, Capote wiederum lässt seine Freundin Nelle als Idabel in seinem Roman „Andere Stimmen, andere Räume“ auftreten. Doch mit der Veröffentlichung von Capotes „Kaltblütig“ trennen sich die Wege beider Autoren. Harper Lee nimmt übel, dass ihre Arbeit als Rechercheassistentin für Capote in dessen Widmung zu "Kaltblütig" nicht ausreichend gewürdigt wird. Ohne Lees Liebenswürdigkeit hätte Capote, dem Sonderling im rosa Morgenmantel, während seiner Recherchen in einer Kleinstadt in Kansas niemand auch nur die Tür geöffnet. Dass Capote anschließend im Gegenzug Lee bei der Korrektur ihres Romanmanuskripts ermutigt und unterstützt hätte, danach wird man in den Biografien der beiden Autoren vergeblich suchen. Lee ist offenbar in die klassische Falle all jener klugen Frau geraten, die "hinter einem großen Autor stehen". Sie selbst ist als Autorin von ihrem Vater, ihrer Schwester und guten Freunden selbstlos unterstützt worden, aber nicht von ihrem Weggefährten und Autorenkollegen.

Alexandra Lavizzari versammelt in ihrer recht kurzen Doppelbiografie einer komplizierten Beziehung eine Fülle von Material, das mit Anmerkungen und Literaturhinweisen ergänzt wird. Da Wer die Nachtigall stört ... mein Interesse als jugendliche Leserin daran geweckt hat, wie Kinder Lesen lernen, bekommt Lavizzaris Buch einen Ehrenplatz, nachdem es mir die Wartezeit verkürzt hat auf das lange unveröffentlicht gebliebene Gehe hin, stelle einen Wächter.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.01.2017
Das Kind der Anderen
Roberts, Bethan

Das Kind der Anderen


sehr gut

Maggie wird heute das Kind holen. Bei diesem harmlos klingenden Satz stellten sich mir die Haare auf den Unterarmen auf; denn Maggie wird den zweijährigen Samuel entführen, dessen Kindermädchen sie ist. Es hätte alles perfekt sein können. Samuels Mutter kann wieder ganztags arbeiten, seit Maggie sich um Samuel kümmert. Maggie hat bereits Erfahrung in mehreren Familien gesammelt. Sie ist äußerst kompetent und mehr als ein einfaches Kindermädchen. Doch wie bei jedem anderen Elternpaar bisher auch, für das Maggie arbeitete, kriselt es nach der Geburt des ersten Kindes in der Beziehung von Samuels Eltern. Greg spricht nicht mit Nula, sondern erkundigt sich auf sonderbare Art bei Maggie, wie es seiner Frau geht. Trotz der Entlastung durch Maggie wirkt Nula überfordert, fast desinteressiert an ihrem Sohn. Maggie wird zum Prellbock für unausgesprochene Konflikte des Ehepaars Shaw. Ihre Beziehung zu Samuel ist beinahe zu innig, ihre Fürsorge zu perfekt, so dass seine Mutter sich ausgegrenzt fühlt. Aber auch auf die Beziehung zwischen Vater und Sohn reagiert Nula eifersüchtig. Eine fatale Rivalität zwischen den beiden Frauen schaukelt sich hoch, wer die bessere Mutter für Samuel ist. Die Wurzeln ihres Machtkampfs liegen weit zurück. Ein langer Rückblick erzählt von jenem denkwürdigen Sommer auf der Insel Mon in Anglesey, in dem Nulas Vater sich für seine Nichte Maggie interessierte und Nula mit Maggies Bruder Joe zusammen war. Nun ist Maggie mit Samuel auf dem Weg auf die Insel ihrer Kindheit. Ein verstörender Unterton hat sich bis zu diesem Stand der Ereignisse aufgebaut, der Böses befürchten lässt. Maggie ist sich vermutlich selbst noch nicht klar, was sie auf der Insel sucht und was sie von Joe will, zu dem der Kontakt seit damals abgebrochen ist. Gefährlich nur, dass Maggie keinen Plan hat, wie es mit ihr und Samuel weitergehen soll.

Bethan Roberts ist eine Meisterin verstörender Untertöne. Die - klassische - Rivalität zweier Frauen um ein Kind zeigt sie im modernen Umfeld einer Karrierefrau und ihrer Angestellten. Maggie kann schwer damit umgehen, dass sie nur eine Angestellte ist und konnte schon früher nur schwer den Abschied verkraften, wenn die von ihr betreuten Kinder in den Kindergarten kamen und ihr Vertrag damit endete. Doch die Ursache der Eskalation liegt tiefer, als der bloße Abschied von einem niedlichen Kind vermuten lässt. Raffiniert formuliert und fesselnd wie ein Psychothriller liest sich dieser Roman, wenn auch die Ursache des Dramas vorhersehbar ist und die Ursachenforschung damit - für meinen Geschmack - reichlich lang ausfällt. Dennoch ein feinfühlig beobachtetes Buch über Mutterschaft und das Nicht-Mutter-Sein.

Bewertung vom 03.01.2017
Vögel rund ums Futterhaus
Singer, Detlef

Vögel rund ums Futterhaus


ausgezeichnet

5. neu bearbeitete Auflage 2016 der älteren Auflage Vögel rund ums Futterhaus

Die Neuauflage des bewährten Naturführers erklärt zunächst, dass Vogelarten nicht deshalb bedroht sind, weil einige Tiere im Winter aus Futtermangel verhungern, sondern weil der Mensch ihre Lebensräume zerstört. In vier Kapiteln werden häufige Besucher am Futterhaus (einschließlich Tauben, Krähen und Dohlen), selten anzutreffende Vögel, Wasservögel und Vögel des Waldes (Rebhuhn, Sperber) mit sehr guten Fotos vorgestellt. Die Fotos sind teils halb- oder ganzseitig; sie zeigen manche Vogelarten in mehreren Abbildungen, je nach Geschlecht, Alter oder Jahreszeit. Nur rund ein Dutzend Vogelarten sind häufig im Winter in der Nähe menschlicher Siedlungen zu sehen (u. a. Blaumeisen); seltener trifft man z. B. den Stieglitz an. Auch Wasservögel (wie Graureiher oder Stockente) und Waldvögel brauchen in harten Wintern die Fürsorge des Menschen. Eine Tabelle, welcher Vogel was frisst, und Anleitungen zur Herstellung von Weichfutter und Fettfutter lassen keine Wünsche offen.

Mit seinem handlichen Format und einer sinnvollen Auswahl an Vogelarten ein praktischer Vogelführer für die Fensterbank oder einen Platz im Wintergarten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.01.2017
Anatomie eines Soldaten
Parker, Harry

Anatomie eines Soldaten


ausgezeichnet

Captain Tom Macintosh ist im Einsatz in Afghanistan schwer verwundet worden. Erzählt wird seine Geschichte von 45 Gegenständen und damit aus ebenso vielen unterschiedlichen Perspektiven. Zeugen der Ereignisse sind Ausrüstungsgegenstände wie Toms Kampfstiefel, alle mit seiner Personenkennziffer markiert, medizinische Geräte, die bei seiner Rettung und Rehabilitation zum Einsatz kommen, aber auch für das Leben in Afghanistan charakteristische Gegenstände. Die Handlung läuft nicht linear ab; die Szenen wirken beliebig gemischt und aneinandergereiht. Harry Parker hat nach eigener Aussage seine Kapitel so verfasst und angeordnet, dass sie in beliebiger Reihenfolge gelesen werden können. - Die ausländischen Truppen haben das ohnehin harte Leben im Land noch härter gemacht, halten sich aber für die Retter der Landbevölkerung. Drei Parteien stehen sich im Kampf gegenüber, zwei davon nehmen zögernd Verhandlungen miteinander auf. Tom Macintosh als Vertreter des Britischen Militärs wird aufgrund seiner Jugend und seiner geringen Erfahrung an diesem Einsatzort von den Einheimischen nur zögernd als Verhandlungspartner akzeptiert. Der prowestlich orientierte Kushan Hhan hat früher einmal die Bewässerung der Felder organisiert und will durch Zusammenarbeit mit den Briten erreichen, dass endlich wieder die zerstörten Häuser und Kanäle instandgesetzt werden und die Bauern ihren Lebensunterhalt verdienen können. Aktar führt eine Rebellengruppe, die wie er nicht aus der Gegend stammt. - Der Gegensatz zwischen den beiden afghanischen Parteien wird in den beiden Jugendlichen Feridun und Latif erneut aufgenommen, die eher zufällig auf die Seite der Einheimischen und der Aufständischen geraten sind. Beide sind praktisch noch Kinder, denen gerade die ersten Barthaare wachsen. Die Jungen haben sich nicht bewusst für eine der Seiten und deren Weltanschauung entschieden, sondern Feridun will seiner Familie dienen und dem Vater gehorchen; Latif will ebenfalls mit seiner Tätigkeit zum Familieneinkommen beitragen. - Mich hat zunächst verblüfft, dass Munition z. B. ein Bewusstsein davon haben kann, dass mehrere Exemplare von dieser Art existieren oder ein Schuh wissen kann, dass er selbst und sein spiegelbildliches Gegenstück beide zusammen ein Wir bilden. Ein Teppich, auf dem einheimische Wortführer mit britischen Militärangehörigen verhandeln, wird zum wichtigen Zeugen des Gespräches. Wer außer dem Dolmetscher würde mehr über ein so wichtiges Treffen wissen als der Teppich? Wer zweifelt, ob unbelebte Gegenstände Bericht erstatten können, wird mit dem Buch vermutlich nicht glücklich. Mit den Gegenständen als Gedächtnisstütze fand ich die ungewöhnliche Erzählweise sehr wirkungsvoll. „Anatomie eines Soldaten“ wird mir von allen bisher gelesenen Kriegsromanen sicher eindringlich im Gedächtnis bleiben. Tom ist dem Tod gerade noch einmal von der Schippe gesprungen. Durch das gesamte Buch hindurch hat mich die Frage nach menschlichen Fehlern begleitet. Welche Fehleinschätzungen sind Tom unterlaufen? Wie hätte es sein Schicksal beeinflusst, wenn Befehlsgeber oder Mediziner anders entschieden hätten? Kann eine ausländische Macht mit militärischen Mitteln in einem Land wie Afghanistan überhaupt etwas erreichen? Was können Fremde bewirken, die keinen Schimmer von der regionalen Kultur haben und die ohne Dolmetscher und deren Interpretation der Lage kaum handlungsfähig wären? Hätte es für die beiden afghanischen Jungen andere Handlungsmöglichkeiten gegeben?
Niemand kann diesen Kampf gewinnen, hat Hhan bereits zu Anfang festgestellt. Und das ist sicher die entscheidende Erkenntnis aus diesem bemerkenswerten Buch.

Bewertung vom 03.01.2017
Blutroter Tod / Reiko Himekawa Bd.1
Honda, Tetsuya

Blutroter Tod / Reiko Himekawa Bd.1


sehr gut

Reiko Himekawa hat viel erreicht, sie ist schon vor ihrem 30. Lebensjahr Kommissarin der Tokioter Kriminalpolizei und die einzige Frau in ihrer Dienststelle. Reiko musste doppelt so hart arbeiten wie ein Mann, um als Frau nicht bei der Verkehrspolizei aufs Abstellgleis geschoben zu werden. Mit Erreichen ihres Postens hat sie noch lange nicht die Anerkennung aller Kollegen erreicht. Bisher galt bei der Kripo, dass derjenige weniger Fehler macht, der wenig arbeitet und passive Kollegen umso schneller befördert werden.

Als Reiko im Fall eines Toten zu ermitteln hat, der übel zugerichtet und in eine Baustellenplane eingewickelt gefunden wurde, läuft die Polizeiroutine an. Zwei Abteilungen, die sich spinnefeind sind, müssen bei den Ermittlungen kooperieren – in ritualisierten Abläufen, bei denen jede Person einen exakt festgelegten Platz in der internen Befehlskette einnimmt. Wenn Reikos Team nicht zügig Ergebnisse liefert, wird eine Abteilung mit ausgebufften Ex-Geheimdienstlern den Fall übernehmen. Bald gibt es deutliche Hinweise darauf, dass der Tote mit den vielen Schnittwunden das erste Opfer in einer Mordserie sein könnte. Parallel zu den Ermittlungen sät die Sicht in das Innenleben einer schwer traumatisierten Person beim Leser Zweifel an den Ermittlungsergebnissen.

Trotz ihres beruflichen Erfolgs haben Reiko nie ihre Selbstzweifel verlassen. In der Zusammenarbeit mit dem machohaften Kollegen Katsumata stellt sich heraus, dass Reiko aus ihrem sehr persönlichen Motiv zur Polizei zu gehen dem karrierebewussten Katsumata breite Angriffsfläche bietet. Er hat alle Personalakten seiner Konkurrenten genauestens studiert. Katsumata teilt Fahndungserfolge ungern im Team und ist entschlossen, seine Interessen mit allen Mitteln durchzusetzen. Die Ermittlungen bringen das Doppelleben des ersten Toten ans Licht, der jeden Monat einen festen Termin wahrnahm, nach dem er stets wie beflügelt in seine Alltagsroutine zurückkehrte. Im Gegensatz zu ihren systematisch arbeitenden Kollegen folgt Reiko Himekawa stärker ihrem Instinkt und hat mit unkonventionellen Ideen bereits einige Fahndungserfolge erzielt. In diesem Fall kommt sie im Gespräch mit einem befreundeten Gerichtsmediziner auf eine Idee, der ihre Kollegen zunächst nicht folgen können. Außer dem Erfolgsdruck, der auf den Ermittlern lastet, hat Reiko konstant mit dem offen sexistischen Katsumata zu kämpfen, der sich am Arbeitsplatz wie ein Sakuza im Sakko benimmt. Reiko ist ihm zu schlau, zu erfolgreich und zu gut aussehend und muss deshalb mit allen Mitteln bekämpft werden. Unter diesen Rahmenbedingungen muss nun recherchiert werden, was es mit den „Strawberry Nights“ auf sich hat. Der Plot entwickelt sich überraschend, u. a. weil das Schicksal des Icherzählers aus dem ersten Kapitel erst spät aufgedeckt wird. Nachdem der Groschen bei Ermittlern und Lesern gefallen ist, werden alle Handlungsfäden logisch zusammengeführt und das Rätsel der Toten in den blauen Planen wird plausibel gelöst.

Im ersten Band (in Japan 2006 erschienen und aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt) seiner Krimi-Reihe wartet Tetsuya Honda mit einer Reihe sehr blutiger Morde auf und einer jungen Kommissarin, für deren Kollegen erfolgreiche Frauen im Polizeidienst noch Neuland sind. Fein austarierte Hierarchien bei der japanischen Kriminalpolizei geben anschaulich Einblick in den japanischen Alltag und in die Situation qualifizierter Frauen am Arbeitsplatz. Hondas Figuren wirken im ersten von bisher 5 Romanen zunächst stark scherenschnittartig; in der Figurenzeichnung ist noch Luft nach oben vorhanden. So sind seine Traumatisierten extrem belastet oder verhaltensauffällig, der sexistische Kollege agiert besonders ekelhaft und Reiko selbst zeigt sich bisher noch sehr unkritisch gegenüber ihren eigenen Motiven für eine Karriere bei der Polizei. Als Serienauftakt kann „Blutroter Tod“ jedoch mein Interesse an den Folgebänden und Reikos weiterer Karriere wecken.