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Magnolia
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Bayern

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Insgesamt 622 Bewertungen
Bewertung vom 20.05.2022
Schmelzpunkt
Harlander, Wolf

Schmelzpunkt


ausgezeichnet

Und wieder ist es Wolf Harlander gelungen, ein Thema unserer Zeit in einen packenden Thriller zu verpacken. Das ewige Eis bricht – das Cover lässt Schlimmes ahnen. Während es in der Arktis frühlingshaft warm ist, frieren sie in Berlin. Das Wetter schlägt Kapriolen, es wird immer schlimmer, es gibt kein Zurück.

Eine Gruppe Touristen führt der junge Inuk Nanoq über das Eis, sie wollen Eisbären sehen, glauben sich im Disneyland. Schließlich haben sie für diesen Trip bezahlt, also sollte auch was geboten sein. Schöne Fotos wollen sie schießen, Sicherheit ist eher Nebensache.

Als Nanoq eine große Anzahl toter Fische findet, kommt es auch der deutschen Wissenschaftlerin Hanna Jordan nicht geheuer vor. Jedoch sind die verendeten Fische spurlos verschwunden, Hanna und Nanoq geraten immer wieder an ihre Grenzen. Zeitgleich sind die beiden BND-Agenten Nelson und Diana inkognito unterwegs, um mysteriösen Zwischenfällen auf die Spur zu kommen.

Der Klimawandel ist eines der brennendsten Probleme unserer Zeit. Es geht um Profit, um die unbändige Gier nach der Vorherrschaft, nach ungeteilter Macht, wir erleben dies täglich in all seinen erschreckenden Ausmaßen. Das Eis gibt nicht nur Bodenschätze frei, die Begehrlichkeiten wecken und wer der Erste ist, bekommt das größte Stück vom Kuchen ab. Auch Umweltsünden von erschreckendem Ausmaß zeigen leider einen allzu realistischen Aspekt auf.

Wolf Harlander hat gut recherchiert. Er verpackt seinen Umwelt-Thriller in Zwischenmenschliches, hat die hierfür perfekten Charaktere geschaffen. Aus Sicht eines Einheimischen, der von Kindesbeinen an weiß, wie er die Natur lesen muss. Der wissenschaftliche Faktor wird mit Hanna perfekt und spannend abgedeckt und die beiden vom BND sind sehr einflussreichen Mächten auf der Spur.

Wie schon in „Systemfehler“ und „42 Grad“ beschreibt Wolf Harlander in seinem „Schmelzpunkt“ ein nüchtern objektives, ja illusionsloses Szenario vor der beeindruckenden Kulisse Grönlands sehr mitreißend und spannend. Der Autor versteht es, seine Leser informativ zu fesseln. Kurzum: Sehr lesenswert!

Bewertung vom 17.05.2022
Der Tote aus Zimmer 12
Horowitz, Anthony

Der Tote aus Zimmer 12


sehr gut

Eins vorweg: Man sollte sich die nötige Lesezeit nehmen, um dem „Toten aus Zimmer 12“ gerecht zu werden.

Es beginnt ganz zauberhaft in einer herrlichen Umgebung. Das Hotel auf Kreta, in welchem das Ehepaar Treherne absteigt, wird von Susan Ryeland und ihrem Lebensgefährten betrieben. Die Trehernes wollen hier jedoch nicht Urlaub machen, sie sind auf der Suche nach ihrer Tochter Cecily und nun bitten sie Susan, ihnen zu helfen. Aber was hat Susan damit zu tun? Nachdem ihr eine grotesk anmutende Geschichte erzählt, ihr außerdem eine hohe Summe versprochen wird, lässt sie sich auf das absonderliche Abenteuer ein und findet sich kurz darauf in London wieder.

Ein Buch im Buch – um Cecily ausfindig zu machen, sollte Susan „Atticus unterwegs“ lesen, denn hier sollte die Erklärung für ihr mysteriöses Verschwinden zu finden sein. Dieses Werk hat Susan vor Jahren lektoriert und nur sie könnte herauslesen, was passiert ist. Davon sind die Trehernes überzeugt.

In drei Teile hat Anthony Horowitz seinen Thriller gegliedert, wobei der erste Teil das Umfeld der Vermissten durchleuchtet, alle könnten etwas damit zu tun haben. Um dann abrupt bei Atticus Pünd und seinen Ermittlungen zu landen. Die Leser sind sozusagen mit Susan dabei, dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Wir lesen hier einen ganz anderen Fall, ein Mord sollte aufgeklärt und bestenfalls zwischen den Zeilen Cecilys Versteck herausgelesen werden um dann im dritten und letzten Abschnitt wieder am Ausgangspunkt zu sein. Wird Susan den Fall auf diese sehr eigenwillige Weise lösen können?

Anthony Horowitz hat seinen ganz eigenen Schreibstil – etwas nostalgisch angehaucht, so mein Empfinden. Vor allem das Buch im Buch, welches im Gestern spielt, umgibt der vergangene Glanz. Ich war zunächst verwirrt und dachte eher an eine kurze Episode, um dann festzustellen, dass dies eine in sich abgeschlossene Geschichte ist, die mit der eigentlichen Story nur insofern zu tun hat, als hier des Rätsels Lösung gefunden werden sollte. Diese dazwischengeschobene Geschichte war in sich unterhaltsam und doch wurde ich nicht recht warm damit. Um dann wieder in die Ursprungsgeschichte zurückzukehren und mich mit Susan und ihren Methoden wieder ganz wohl zu fühlen.

Unterhaltsam war das gesamte Werk, keine Frage. Die Susan-Momente fand ich lebendig und kurzweilig, ich war jeden Moment dabei, konnte mich auf sie gut einlassen. Mit Atticus Pünd wurde es dann very british, etwas zu langatmig, als ob mich eine Zeitmaschine in eine andere Schreibepoche gebeamt hätte.

Ein interessantes Buch, das man so nicht alle Tage liest. Dranbleiben lohnt sich, auch wenn es durchaus einige Längen zu überbrücken gilt. Spannend war es allemal.

Bewertung vom 16.05.2022
Flug 416
Newman, T. J.

Flug 416


sehr gut

Es war alles nur ein Traum. Bill wacht auf, sein immer wiederkehrender Albtraum hat ihn wie so oft auch diesmal heimgesucht. Schon die ersten Seiten haben es in sich, sind bedrückend, um dann vom ganz normalen Familienalltag abgelöst zu werden. Die Familie Hoffman wartet auf den Techniker, das Internet streikt. Als er kommt, muss Bill weg, er ist außerplanmäßig für Flug 416 eingeteilt. Das schlechte Gewissen plagt Bill trotzdem, hat er doch das Saisoneröffnungsspiel in der Little League seines Sohnes verpasst. Wieder mal ist dem Flugkapitän der Job dazwischengekommen. Carrie ist deswegen sauer auf ihn, er will mit ihr reden. Endlich! Eine Mail von ihr, ein Foto im Anhang – aber hier stimmt doch was nicht! „Bring das Flugzeug zum Absturz, oder deine Familie stirbt.“ Der Albtraum in seinem ganzen Wahnsinn hat begonnen.

Der Klappentext und die Stimmen auf den Innenseiten des Umschlags wecken mein Interesse. Es geht gleich richtig los, ab der ersten Seite herrscht Chaos. Atemlos verfolge ich die Szenerie, ich bin entsetzt davon. Habe ich sowas nicht schon mal gelesen? Könnte durchaus sein und doch bin ich magisch angezogen. Allein das Cover macht neugierig auf diesen Flug vier-eins-sechs. „Willst du die Passagiere retten oder deine Familie“ ist eine Frage, die man nicht beantworten kann. Nicht beantworten will. Wie soll man über das Leben anderer entscheiden? Schon die ersten Seiten waren sehr verstörend, der kurze Einblick in die Familie war gleich vorbei, um zum Wesentlichen zu kommen. Eine unbeschreibliche Angst, der sich niemand aussetzen möchte und doch haben sie keine Wahl.

Zwischendurch lässt Bill sein Leben Revue passieren. Kurze Sequenzen eines glücklichen Lebens. Darf es sein, dass das schon alles war? Seine Kinder – Scott, der muntere 11jährige und Elsie, das Baby – kann, muss, darf er sie opfern, um die 149 Seelen im Flugzeug zu retten?

Dieser Flug ist eines der Bücher, die ich am Stück inhaliert habe. Einmal angefangen war es nicht möglich, diesem Grauen zu entkommen. Die Autorin hat als Flugbegleiterin gearbeitet, sie weiß um die Abläufe, hat mit Jo, der Chefstewardess, eine greifbare Figur geschaffen. Sie arbeiten sich vorwärts und doch fehlt ihnen ein entscheidendes Detail. Das FBI am Boden und die Crew in der Luft lassen nichts unversucht. Ihre Angst ist greifbar, die Spannung lässt nicht nach. Angst wechselt sich ab mit dem unbedingten Willen zu überleben. Aber wie sollte das möglich sein?

T. J. Newman ist mit ihrem Debüt ein actionreicher Thriller gelungen, den ich nicht mehr weglegen konnte. Das Szenario kam mir schon bekannt vor, ich hatte es so ähnlich schon des Öfteren gelesen. Die Dramatik und der Nervenkitzel waren da, diesen Flug von Los Angeles nach New York werde ich so schnell nicht vergessen, auch wenn er stellenweise Superheldentum erkennen ließ, was es so gar nicht gebraucht hätte, auch das lange nicht erkennbare Motiv war etwas fadenscheinig. Und doch war es ein rasantes Lesevergnügen.

Bewertung vom 10.05.2022
Die Paradiese von gestern
Schneider, Mario

Die Paradiese von gestern


sehr gut

Mario Schneider entführt seine Leser nach Südfrankreich in „Die Paradiese von Gestern“.

Unaufgeregt erzählt er von einer Gräfin, die am Ende ist. Ihr einst stolzer Besitz ist heruntergewirtschaftet, ihr Hotel, das Chateau Violet, wird geschlossen. Außer ihrem treu ergebenen Diener ist keiner mehr da und in diesen letzten Tagen verschlägt es ein junges Pärchen aus dem Osten hierher: Ella und René - sie können endlich reisen, den Duft der weiten Welt atmen. Und nun sitzen sie hier beim letzten Diner mit Charlotte und Vincent, dem Diener. Charlottes Sohn gesellt sich kurzentschlossen dazu.

Es sind die gegensätzlichen Akteure, die diese Geschichte, die nach der Wende angesiedelt ist, sehr lebendig machen. Ich lerne Charlotte de Violet, die Gräfin, dreißig Jahre zuvor kennen. Sie ist mit ihrem dreijährigen Sohn Alain in Biarritz samt Kindermädchen und Diener. Hier kommt ihr Charakter schon gut zum Vorschein, ich werde mich noch des Öfteren an diese Urlaubstage erinnern.

Extreme lassen so manche Sequenz zuweilen überzogen daherkommen. Die sehr dominante Ella schickt René weg, sie drängt ihn direkt, mit Alain nach Paris zu fahren und hier spürt man eine abgehobene, sich selbst feiernde Gesellschaft, die es zwar geben mag, in die aber einer aus dem Osten so gar nicht hinpasst. Das normale Paris bleibt gänzlich außen vor.

Mario Schneider beschreibt verschiedene Gesellschaftsschichten, die im besten Falle unter sich bleiben. Die jungen Leute aus dem Osten sind ihrerseits sehr forsch, neugierig sowieso. Ihre Herkunft hat sie geprägt, aber nicht nur sie, auch die Gräfin vertritt ihren Adelsstand. Ihr Stolz, ihre selbst gewählte Abgrenzung ist stets spürbar. Das Ungesagte steht wie eine undurchdringliche Mauer zwischen ihr und denen, die ihr nie zu nahe kommen dürfen.

Der Autor überzeichnet seine Charaktere, sie sind allesamt ein wenig daneben, keinem der hier agierenden möchte man begegnen und doch entsteht eine Sogwirkung, die einen tief eintauchen lässt. Wie es scheint, passiert nicht viel und doch ist es eine ganze Menge, auch das Ende deutet eher an als das es preisgibt. Und doch ist der Schluss für mich die einzig mögliche Option. Das Leben geht weiter, endet bald oder irgendwann…

Nicht alle, aber so manche Darsteller waren mir äußerst unsympathisch, andere dagegen blieben eher im Hintergrund. Ein leises Buch, das ich gerne gelesen habe. Es erzählt von Liebe, auch vom Tod und ist doch voller Leben.

Bewertung vom 04.05.2022
Der Tod macht Urlaub in Schweden / Die Österlen-Morde Bd.1
Motte, Anders de la;Nilsson, Måns

Der Tod macht Urlaub in Schweden / Die Österlen-Morde Bd.1


sehr gut

Peter ist auf dem Weg zu seiner Tochter, sie lebt bei seiner Ex-Frau und ist seit heute 16. Eine nette kleine Party sollte es werden – naja, sie ist wohl etwas größer ausgefallen. Der Kriminalkommissar Peter Vinston macht Urlaub in Österlen – eigentlich ist er krankgeschrieben und sollte sich hier erholen, Abstand gewinnen von seinem nervenaufreibenden Job in der Stockholmer Mordkommission. Die halbe High Society von Österlen ist in Partylaune…

…soweit, so gut. Bald danach kommt eine erfolgreiche Unternehmerin unter mysteriösen Umständen ums Leben. War es ein Unfall? War es Mord? Tove Esping, ihres Zeichens Kriminalassistentin der örtlichen Polizei, ermittelt.

Der erste Band der Österlen-Morde ist ausgelesen und dank der Personengalerie, in die ich anfangs des Öfteren vorblättern musste, waren mir die hier agierenden Charaktere bald vertraut. Sie alle hatten einen gewissen Charme – die einen waren eher spröde, sperrig, von sich schon eingenommen während andere so einiges verschwiegen. Erwartet hatte ich eher einen Krimi der leichten, humorigen Art, was auch durchaus zutraf, bekommen habe ich sehr viel mehr - einen spannenden, bis zuletzt undurchsichtigen, gut geschriebenen Schweden-Krimi. Erst gegen Ende war auch ich dem- oder derjenigen auf der Spur, lag mit meinen Vermutungen richtig, wie sich auf den letzten Seiten herausstellte.

Auch wenn man es kaum glauben mag - Pluto, die Katze, hatte ihren nicht zu unterschätzenden Anteil an der Aufklärung. Sie fehlt zwar auf dem Cover, ein typisches Schwedenhaus, die Urlaubsidylle ist gut sichtbar, wenn da nicht der blutige Stein wäre. Mit Pluto wäre das Bild perfekt gewesen.

Ein unterhaltsamer Auftakt mit so manch eigenwilligem Charakter, ich werde Peter und Tove bestimmt wiederbegegnen.

Bewertung vom 30.04.2022
Der Papierpalast
Heller, Miranda Cowley

Der Papierpalast


sehr gut

Schlafhütten direkt am See waren es, eine mit einfachen Mitteln erbaute Hütte, ihr Palast – der Papierpalast von Elles Familie. All die Jahre war dies ihr Ferienhaus, in dem sie – mittlerweile 50 mit Mann und drei Kindern - nun wieder ist. Auch Jonas trifft sie wieder. Ihn, der sie noch immer wie magisch anzieht. Auch er ist gebunden und doch können sie nicht voneinander lassen.

Immer mehr erfahre ich von der Vergangenheit, von all dem Ungesagten. Es drängt an die Oberfläche, lässt sich nicht mehr zurückhalten. Der sorgsam gehütete Schein bröckelt immer mehr, die Erzählung schwenkt vom Heute zurück ins Gestern. Von der Kindheit, ihren Jugendjahren und der bis jetzt nach außen hin intakten Familie lese ich. Wird Elle sich entscheiden müssen? Hierbleiben oder doch Neues wagen wollen?

Die ungekürzte Hörbuchfassung dieses Papierpalastes habe ich mir von Vera Teltz vortragen lassen. Sie ist eine der Besten ihres Fachs, schon ihre nuancierte Sprechart lässt mich eintauchen in die Geschichte.

Es geht ganz klar um die noch immer unbändige Anziehungskraft, das Ausleben dessen in einer klaren Sprache. Elle und Jonas verbindet ihre heimliche Liebschaft und dann ist noch das Geheimnis ihrer Jugend, sehr viel mehr eine gemeinsame Erinnerung. Es ist eine zuweilen derbe, sexualisierte Sprache, die sich durch den Roman zieht. Die Charaktere sind mir allesamt nicht sehr nahe. Mir kommt es eher vor, als ob ich sie aus der Ferne beobachte, mit keinem von ihnen möchte ich näher bekannt sein. Und doch hat ihre Geschichte eine Sogwirkung auf mich. Die Autorin versteht es, Geschichten lebendig zu erzählen, man möchte einfach mehr erfahren. Ein Widerspruch in sich und doch ist es so.

Das Cover zeigt eine friedliche Umgebung in Pastellfarben, eine idyllische Landschaft mit dem See im Vordergrund. Dahinter wird irgendwo der Papierpalast sein, indem sie die Sommer des Lebens verbracht haben. Zuweilen bedrückend und aufwühlend, dann wieder konkret und lebensnah. Hält dieses Haus aus Papier, „Der Papierpalast“ den Stürmen des Lebens stand?

Bewertung vom 30.04.2022
Das Mädchen und der Totengräber / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.2
Pötzsch, Oliver

Das Mädchen und der Totengräber / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.2


ausgezeichnet

Wäre da nicht die diebische Putzfrau, wäre der mumifizierte Professor nicht so schnell gefunden worden. Im Depot des Kunsthistorischen Museums – ganz weit hinten – wurde seine nach allen Regeln der Kunst präparierte Leiche entdeckt. Bald ist die Rede von einem Fluch, war der Tote doch ein bekannter Ägyptologe. Der Geist des alten Ägypten schwebt über allem…

Wir schreiben das Jahr 1894 und begegnen auch hier, im zweiten Fall für den Wiener Inspektor Leopold von Herzfeldt, dem so schrulligen wie liebenswerten und sehr belesenen Totengräber Augustin Rothmayer wieder.

Wie schon beim ersten Band „Das Buch des Totengräbers“ zeigt das Cover den Wiener Zentralfriedhof, etwas düster, so wie man sich die Umgebung um die letzte Ruhestätte vorstellt. Rothmayer ist hier daheim, er fühlt sich in der Nähe der Toten schon wohl. Etlichen Kapiteln vorangestellt sind Auszüge aus seinem Almanach „Totenkulte der Völker“. Hier gewährt er interessante Einblicke über den Umgang mit den Toten aus verschiedenen Kulturen, gleich mal ist einiges über die ägyptische Kunst der Mumifizierung zu lesen. Ja, einen Touch ins Makabere hat dies allemal und interessant ist es zudem.

Sowohl das Personenverzeichnis am Anfang als auch das hintangestellte Wienerische für Piefkes sind gut zu gebrauchen.

Der Autor wollte schon immer einen Roman über Mumien schreiben, wie er seinen Lesern verrät. Also waren wahre historische Hintergründe sozusagen das Gerüst, um das sich dieses so schaurige wie lesenswerte Kriminalstück dreht.

Es bleibt aber nicht bei der Mumie, etwa zur gleichen Zeit werden in mehreren Wiener Bezirken übel zugerichtete Leichen gefunden. Allesamt waren sie junge, gutaussehende Männer. Leo hat genug zu tun, er ist ein sympathischer, zuweilen auch etwas schwieriger Charakter. Ein Ermittler, ein Kieberer, hat nie Feierabend und das kommt seinem Privatleben nicht immer zugute. Er will es immer genau wissen, begibt sich nicht nur einmal in große Gefahr. Er ist schon ein feiner Pinkel und wird es immer bleiben, hat sich aber mittlerweile hier in Wien ganz gut akklimatisiert. Seine Methoden sind fortschrittlich und nicht immer ganz regelkonform, zuweilen beäugen ihn seine Kollegen misstrauisch, die Vorgesetzten sowieso. Mit der Polizeifotografin Julia und dem Totengräber Rothmayer verbindet ihn mindestens ein freundschaftliches Verhältnis, beide sind sie ihm eine große Stütze bei der Aufklärung dieser verzwickten Mordfälle.

Ist es die Wissenschaft, der Aberglaube, Totenkult und Magie oder einfach nur der Irrsinn? Neben der mumifizierten Leiche und den auf grausige Art um Leben gekommenen jungen Männern führt der Weg in den neu eröffneten Tiergarten mit so mach absonderlichen Gestalten und Geheimnissen, die nicht an die Öffentlichkeit dringen sollten.

Je weiter ich lese, desto mehr bin ich gefangen. Es ist wie ein Sog, das Buch zur Seite zu legen ist unmöglich. Oliver Pötzsch hat einen spannenden, sehr unterhaltsamen Roman vorgelegt, der dem Vorgängerband in nichts nachsteht. Er holt seine Leser mühelos ab und führt sie zurück ins anno dazumal in ein Wien, in dem Mörder ihr Unwesen treiben und vermittelt wie nebenbei viel Wissenswertes, auch – aber nicht nur – über das unterirdische Wien.

Sowohl Leopold von Herzfeldt als auch August Rothmayer und noch so einige sind mir gute Bekannte geworden. Sie sind mittlerweile sowas wie ein eingespieltes Team und sehr gerne würde ich den beiden so unterschiedlichen und durchaus charmanten Charakteren weiterhin zusehen, wie sie den bösen Buben von damals auf die Schliche kommen.

Man kann in den sehr lesenswerten zweiten Band der Totengräber-Serie einsteigen, ohne den ersten Fall zu kennen. Aber warum sollte man sich dieses Lesevergnügen entgehen lassen? „Das Mädchen und der Totengräber“ empfehle ich jedem, der Krimis mag - eine Kriminalgeschichte vom Feinsten.

Bewertung vom 28.04.2022
Der Weg der Teehändlerin / Die Ronnefeldt-Saga Bd.2
Popp, Susanne

Der Weg der Teehändlerin / Die Ronnefeldt-Saga Bd.2


ausgezeichnet

Ronnefeldt – seit 1823 steht der Name für exzellenten Tee. Susanne Popp führt ihre Leser zurück zu den Anfängen dieser Frankfurter Kaufmannsfamilie. Eine genussvolle und facettenreiche Zeitreise setzt sich mit diesem zweiten Band der dreiteiligen Ronnefeldt-Saga fort.

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1853, es ist Februar und viel zu warm für diese Jahreszeit. Der zugefrorene Main droht überzugehen, das Eis bricht. Und schon sind wir mittendrin, es geht hektisch zu, die Warenlager müssen schnellstens geräumt werden.

Friederike Ronnefeldt führt den Teehandel, ihr Prokurist gibt nach außen hin den Ton an, da eine Frau an der Spitze eines Unternehmens alleine nicht bestehen kann. Ihre Kinder sind an der Schwelle zum Erwachsensein und nun stellt sich mehr denn je die drängende Frage, wie es weitergehen wird mit Ronnefeldt-Tee.

Schon den ersten Teil habe ich sehr genossen, mit Friederike so manches Mal gebangt und nun konnte ich die nächste Generation auf ihrem nicht immer einfachen Weg begleiten. Dem Teeimport aus Indien kam immer größere Bedeutung zu, er löste China als Teelieferant ab.

Das Figurenverzeichnis brachte mir alle agieren Personen wieder gut ins Gedächtnis, einige weitere kamen dazu, wobei die fiktiven Personen mit Doppelstern gekennzeichnet sind.

Die Kinder werden flügge und nicht jeder drängt ins elterliche Geschäft. Wer wird Friederikes Arbeit fortsetzen? Carl, der Älteste, geht nach Hamburg als Volontär - wäre er ein geeigneter Nachfolger? Elise dagegen möchte nichts lieber als Lehrerin werden. Minchen lockt das Schauspiel und Wilhelm ist künstlerisch sehr begabt. Fritz, der Jüngste, hat wohl noch etwas mehr Zeit, seinen Weg zu finden. Auch anderen Familienmitgliedern schaue ich über die Schulter, sie alle sind interessante Charaktere, mit denen ich mich freue, aber auch melancholische Stunden erlebe.

Die Autorin verknüpft gekonnt fiktive Personen und Ereignisse mit dem gut recherchierten historischen Hintergrund. Das renommierte Teehaus Ronnefeldt hat ihr Dokumente zur Familiengeschichte überlassen und ihr dabei freie Hand über die fiktiven Elemente gewährt. Und so konnte dieses sehr lesenswerte Gesamtwerk entstehen. Sie vermittelt rund um das Thema Tee viel Wissenswertes, vermengt diese feinen Aromen zu einer genussvollen Gesamtkreation – ein Geschmackserlebnis mit allen Sinnen, um in der Sprache des Tees zu bleiben.

„Der Weg der Teehändlerin“ - diese Zeitreise zurück ins 19. Jahrhundert war eine kurzweilige Lektüre, dabei habe die nächste Generation begleitet. Ich war ganz tief in deren Alltag und werde beim dritten Band „Das Erbe der Teehändlerin“, der im Frühjahr 2023 erscheint, mich wieder gerne zu den Ronnefeldts gesellen.

Bewertung vom 27.04.2022
Schwarzlicht / Dabiri Walder Bd.1 (MP3-Download)
Läckberg, Camilla; Fexeus, Henrik

Schwarzlicht / Dabiri Walder Bd.1 (MP3-Download)


sehr gut

Mit der Stockholmer Kommissarin Mina Dabiri und dem Profiler Vincent Walder, der als Mentalist auftritt, verbringe ich Stunden der Spannung und Düsternis.

Voller Grauen muss ich mir anhören, wie eine junge Frau in einer Kiste von Schwertern durchbohrt wird. Ganz langsam, als ob derjenige, der als Henker fungiert, jeden einzelnen Hieb, jeden präzise gesetzten Stich nahezu genießerisch zelebriert, sich daran erfreut.

Camilla Läckberg hat sich mit Henrik Fexeus einen Spezialisten für Psychologie und nonverbale Kommunikation mit ins Boot geholt, der auch als Mentalist sein Publikum fasziniert. Das perfekte Gespann für „Schwarzlicht“ - der gelungene Auftakt einer neuen Trilogie.

Die beiden Protagonisten sind eher Eigenbrötler. Während die geradezu krankhafte Bakterien-Phobie Minas Leben beherrscht, taucht Vincent seit Kindertagen in eine Welt der Illusionen und Täuschungen ab. Voller Komplikationen läuft nicht nur ihr privates Leben ab, auch die Ermittlungen kommen nicht voran. Verdächtige gibt es einige, selbst Vincent gerät in die Schusslinie.

Das ungewöhnliche Ermittlerduo harmoniert nicht immer im herkömmlichen Sinne, dafür sind sie beide fast schon zu unnahbar und doch gehören sie irgendwie zusammen. Trotz vieler Hindernisse geben sie nicht auf und nicht nur sie sind sehr eigenwillige Charaktere.

Neben den Ermittlungen zu den aktuellen Fällen schiebt sich ein Handlungsstrang aus früheren Zeiten öfter dazwischen. Dies scheint wichtig für die heutige Aufklärung zu sein, der lange nicht sichtbare Schluss ist für meine Begriffe jedoch arg überzogen. Ein gut gemachter Thriller, der sich spannend, düster und komplett undurchsichtig durchs Buch zieht. Genau so, wie es sein soll – rätselhaft, vielschichtig, voller Illusionen und Täuschungen.

Vera Teltz als Hörbuch-Interpretin für Argon Hörbuch gelingt es, mich nicht nur bei Laune zu halten, sie fesselt mit ihrem so facettenreichen Vortrag. Auch sie führt direkt in ein Reich der Fantasie, des Unerklärlichen. Sie versteht es bestens, jedem einzelnen seine individuelle Note zu geben.

Ein gut gemachter erster Band um Mina und Vincent, deren Folgebände ich weiterhin dem Hörbuch lauschen werde.

Bewertung vom 25.04.2022
Zurück nach Übertreibling / Vikki Victoria Bd.1
Gray, Gloria;Felder, Robin

Zurück nach Übertreibling / Vikki Victoria Bd.1


sehr gut

Was ist da los in aller Herrgottfrüh, also um zwölf Uhr mittags – das Telefon hört gar nicht mehr auf zu läuten und wer ist am anderen Ende der Leitung? Wolf Wolff, Vikkis Mann für alle Fälle, erzählt ihr von Toni Besenwiesler und seinem Ausbruch aus Stadelheim. Jetzt ist Gefahr im Verzug. Meint Toni doch, dass die Vikki ihn vor dreizehn Jahren in den Knast gebracht hat und nun schaut es aus, als ob er auf Rachefeldzug wäre.

Schon der Titel macht deutlich, was hier los ist – in Übertreibling geht es zuweilen ganz schön grotesk zu, die Ereignisse überschlangen sich regelrecht. Nicht alles ist schrill und überzogen, beileibe nicht. Zu lesen ist dieses Gaunerstück mit mindestens einem Augenzwinkern, wobei der erste Zwischenfall vom Witz der Hauptdarstellerin lebt und das ist nun mal Vikki, die es in jungen Jahren aus dem tiefsten Bayerischen Wald nach München verschlägt. Sie ist amüsant und geistreich, urig, bodenständig und auch mal divenhaft launisch und glamourös, aber sie hat das Herz auf dem rechten Fleck.

„Zurück nach Übertreibling“ ist ein überwiegend kurzweiliger Krimi, wobei dieser leicht skurril und hanebüchen daherkommt. Der eigentliche Fall ist eher das Gerüst, um das sich Vikkis Geplapper rankt. Mal gefällt mir ihr Slang richtig gut, dann wieder nervt dieser tierisch, driftet ins beinahe Unerträgliche ab. Ein Wechselbad der Eindrücke sozusagen. Sie ist schon sehr umtriebig, es ist immer was los, wenn sie in der Nähe ist. Geschickt hält sie alle Fäden in der Hand, dirigiert auch die harten Jungs. Da kennt sie nichts, die Vikki.

Geschickt bringt sie die Genderdebatte ins Spiel, auch die Influencerszene und die einhergehende immer mehr fehlerhafte Schreibweise der jungen Internetnutzer muss natürlich angesprochen werden. Dies sind Themen unserer Gesellschaft, denen sich auch eine Vikki nicht verschließen kann.

Dass hier jedes Klischee bedient wird, zeigt auch das Cover. Ihrem kriminalistischen Romandebüt aus Übertreibling folgen demnächst „Grüsse aus Bad Seltsham“. Ein Schelm, wer dabei um die Ecke denkt.