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seschat
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Bewertungen

Insgesamt 898 Bewertungen
Bewertung vom 01.10.2018
Nein ist das neue Ja
Nick, Désirée

Nein ist das neue Ja


ausgezeichnet

Desirée Nick ist vieles - Schauspielerin, Realitystar, Comedian oder Fashionista - und seit Jahren auch überzeugte Neinsagerin. Denn der Weg zum eigenen Glück bzw. Erfolg führe, so Nick, über bewusste Entscheidungen. Der derzeitige allgemeine Trend der Ja-Sagerei hingegen verstört nicht nur sie, sondern auch mich. Wo bleibt man denn selbst bei solch faulen Kompromissen? Ich denke, wahrscheinlich bleibt man auf der Strecke und wird immer kleiner und unzufriedener. Deshalb möchte auch ich öfter Nein sagen und mich damit gleichwohl unbeliebt machen. Who cares? Auch Desirée Nick ist dieser Meinung, nicht nur wegen des gesundheitlichen Aspekts. Denn das anhaltende, devote Ja kann langfristig psychosomatische Erkrankungen, wie beispielsweise Burnout, Stress oder Depressionen, begünstigen. Deshalb und um persönlich voranzukommen, sei es wichtig, so Nick, auf der Arbeit, innerhalb der Familie und des Freundeskreises oder zu der ständigen Online-Verfügbarkeit bewusst Nein zu sagen. Denn jeder hat nur dieses eine Leben. Alles, was persönlich lähmt bzw. auslaugt, mache nur unglücklich. Deswegen hat Neinsagen m. E. auch viel mit Achtsamkeit zu tun. Ich habe Desirée Nicks lockere Anekdotensammlung zum Thema sehr gern gelesen. Zum einen hat mir Nicks scharfzüngige Ader sehr gefallen und zum anderen ihr ehrlicher, unverstellter Blick auf sich selbst bzw. das prominente Umfeld. Auch, dass sie nicht den Anspruch an sich stellte, abermals ein langweiliges Selbsthilfebuch zu verfassen, fand ich klasse. Die insgesamt 240 Buchseiten enthalten damit 100 Prozent Nick, was besonders ihre Fans freuen wird. Und ihre Empfehlungen, z. B. einmal Digital-Detox zu betreiben oder eine Not-to-Do-Liste zu erstellen, sind auch nicht schlecht. Mich hat besonders Nicks sarkastische Schreibe beeindruckt, die nicht selten üppige Lachsalven verursachte. Meine Nick'sche Lieblingswortschöpfung lautet "Merkels Sedierungssemantik". Alles in allem las ich mich flüssig durch Nicks Erfahrungen bzw. Ratschläge.

FAZIT
Ein humoriger Inspirationsquell für angehende Neinsager. Für mich steht nach der Lektüre jedenfalls fest, Nein ist das neue Ja.

Bewertung vom 29.09.2018
Es geht voran
Prescher, Manfred

Es geht voran


ausgezeichnet

Manfred Preschers 248-seitige "Geschichte der deutschsprachigen Popmusik" konnte mich aufgrund der luziden und pointierten Darstellungsweise von Anfang an von sich überzeugen.

Inhaltlich geht es um die Entwicklung der deutschen Musik von 1945 bis heute. Ausgehend vom Heile-Welt-Schlager hat es im Laufe der Zeit eine Vielzahl an verschiedenen Musikrichtungen (so z. B. Folk, Rap, Punk, Hip-Hop oder Elektromusik) innerhalb Deutschlands gegeben und die gibt es natürlich immer noch. Wenn aktuelle Künstler, wie Mark Forster oder Tim Bendzko, auf der Bühne stehen, dann jubeln diesen tausende Menschen zu bzw. singen eifrig mit. Doch warum ist das so? Welche Vorbilder gab es? Und wie konnte die deutsche Sprache so "populär" werden? Der Radiomoderator und Autor Martin Prescher liefert auf diese Fragen allerhand Antworten und schaut dabei sogar über die heimatlichen Gefilde ins Nachbarland Österreich hinüber. Hierbei werden nicht nur berühmte Liedermacher (z. B. Reinhard Mey und Hannes Wader), sondern auch Bands (die Ärzte, die Toten Hosen, Rammstein usw.) betrachtet. Erfolgreiche Solokünstler, wie Udo Lindenberg, Nena oder Herbert Grönemeyer, bekommen gar gesonderte Kapitel. Für den Laien, bzw. Spätgeborenen ist diese reiche Zusammenschau sicher eine lohnenswerte Lektüre. Der Kenner wird hingegen nicht viel Neues entdecken. Gleichwohl ist Prescher mit "Es geht voran" ein solides Überblickswerk zur Geschichte der deutschen Popmusik gelungen, das zudem kapitelweise mit interessanten Hör-/Liedtipps aufwartet und auch Fotomaterial zur besseren Visualisierung enthält. Das abschließende Personenregister verleiht dem Buch darüber hinaus den Charakter eines Nachschlagewerks.

FAZIT
Das perfekte Buch für Leser, die sich schnell zum Thema deutschsprachige Popmusik informieren wollen bzw. diese mögen.

Bewertung vom 24.09.2018
Adrian oder: Die unzählbaren Dinge
Stallhofer, Angelika

Adrian oder: Die unzählbaren Dinge


ausgezeichnet

Ehrlich gesagt, hat es etwas gedauert, mit dem Text warm zu werden. Doch dies hat sich gelohnt. Denn die Geschichte ist hoch aktuell wie brisant.

Worum geht's?
Der Wiener Werbetexter Adrian Keller erschafft im Auftrag seiner Firma die Werbefigur Max Beier. Dieser ist der geborene Karrierist und ein Digital Native. Dementsprechend gibt es für ihn nur ein Leitmotiv, nämlich höher, schneller, weiter. Adrian überblickt die Wirkmacht dieser Kampagnenfigur auf sein eigenes, fast schon spießiges Leben anfangs nicht. Und so lässt er sich auf das Abenteuer ein, sieben Tage, abgeschottet von der Außenwelt, in einem Smart Home zu verbringen, um sich dort für neue Werbefilme mit Max Beier inspirieren zu lassen. Ein waghalsiges Unterfangen, dass Adrian bald mit seiner eigenen Identität hadern lässt.

Meinung
Angelika Stallhofers Prosawerk "Adrian oder die unzählbaren Dinge" bietet dem literarisch feinsinnigen Leser allerhand Grund zur Freude. Denn einerseits ist die Sprache reich an poetischen Bildern sowie Metaphern und andererseits wechselt die Szenerie kontinuierlich. Auf den insgesamt 192 Buchseiten wird kaleidoskopartig auf Adrians Leben geschaut. Der Ich-Erzähler und Hauptprotagonist ist ein fleißiger Charakter, der seine Freundin Anna für ihre Fabulierkunst bewundert. Die Schriftstellerin kämpft wie er täglich ums richtige Wort. Doch gemeinsame Zeit ist rar gesät und beschränkt sich nur auf wenige Stunden bzw. Chats. Zudem muss sich Adrian auch noch um seinen ungeliebten Vater kümmern, dessen Heimkosten er bezahlt. Kurzum, Adrians Leben ist festgefahren. Die Figur Max Beier und die anschließende Einsiedelei im Smart Home bietet ihm ungeahnte Möglichkeiten zu sich selbst zu finden. Doch wer ist Adrian Keller wirklich? Was folgt, ist ein Verwirrspiel aus Realität und Illusion, dem Adrian auf der Stelle erliegt. Denn der vermeintliche Freund kann sich später auch als windiger Spion entpuppen.

Mich hat vor allem die Stärke der Sprache, die in diesem Roman wie eine Waffe gebraucht wird (vgl. Kurt Tucholsky), beeindruckt. Stallhofers literarische Kennerschaft und ihre poetische Ader mochte ich auf Anhieb. Obgleich ich mit dem Plot zu Beginn zu kämpfen hatte, nahm er mich gefangen und führte dazu, dass ich das Buch nicht weglegen konnte. Dies lag auch an der aktuellen Thematik. Denn die negativen Auswirkungen der digitalen Medien auf unser selbstbestimmtes Leben sind m. E. nicht zu unterschätzen. Wer sich willfährig alles nur noch von Computern abnehmen lässt, der wird weichgespült und der eigenen Handlungsmacht beraubt (s. Adrian). Dementsprechend verstehe ich diese z. T. recht surreale Lektüre als Warnung für das eigene Leben. Darüber hinaus fand ich die Einbindung des Covers - Botticellis "Frühling" in Puzzleform - in die Handlung sehr gelungen und reizvoll. Alles in allem hat Stallhofer nicht nur damit guten Geschmack bewiesen.

Fazit
Ein literarisch anspruchsvolles Werk, das herausfordert und nicht mehr loslässt.

Bewertung vom 20.09.2018
Gschlamperte Verhältnisse / Rechtsmedizinerin Sofie Rosenhuth Bd.5
Gruber, Felicitas

Gschlamperte Verhältnisse / Rechtsmedizinerin Sofie Rosenhuth Bd.5


ausgezeichnet

INHALT
Für Gerichtsmedizinerin Dr. Sofie Rosenhuth fängt der Sommer in München-Giesing sehr turbulent an. Erst schwimmt eine männliche Leiche in der Isar und dann stößt man auch noch auf seltsame Schädelreliquien. Das verspricht eine Menge Arbeit. Privat sieht es für Sofie auch nicht ruhiger aus, denn gleich zwei Herren buhlen um ihre Gunst...

MEINUNG
Der 5. Fall mit und für Dr. Sofie Rosenhuth bot abermals beste Unterhaltung. Wer auf heitere Kriminalfälle mit viel bayerischen Charme steht, der wird Felicitas Grubers Romanreihe lieben.
Denn nicht nur die humorig-bunten Cover sind eine Schau, sondern auch die skurrilen Provinzfälle samt schrulligen Charakteren.
Besonders Hauptprotagonistin Sofie ist mir ans Leserherz gewachsen. Ihre Natürlichkeit, ihren Dialekt und ihre Hilfsbereitschaft finde ich seit dem ersten Band sehr sympathisch. Sie hat wie ihre altersweise Tante Vroni das Herz am rechten Fleck, muss aber aufpassen, dass sie dieses nicht an den falschen Mann verschenkt. Die On-off-Beziehung mit ihren Ex-Mann, den Kriminalhauptkommissar Joe Lederer, ist jedenfalls kein Dauerzustand, weil er es mit der Treue nicht so genau nimmt. Da passt der schöngeistige Gerichtsjournalist Charly schon eher zu ihr. Aber wer weiß? Rund um die verworrene Beziehungskiste spielen sich wie immer allerlei kriminelle Dramen ab. Hierbei fand ich es sehr spannend, dass dieses Mal Sofies eiskalte Chefin Dr. Falk in amouröse Gefahr geraten ist und dabei ein kranker Serienmörder überführt werden konnte. Der Plot bot damit allerhand Abwechslung. Sprachlich konnte mich der locker-leichte, humorige Grundton wieder vollkommen von sich überzeugen. Vor allem die dialektalen Einsprengsel mochte ich.

FAZIT
Beste Unterhaltungsliteratur, der man nie überdrüssig wird. Wirklich a Mordsgaudi! Ich freue mich jetzt schon auf den Folgeband.

Bewertung vom 14.09.2018
Coco Chanel
Sieger, Nadine

Coco Chanel


ausgezeichnet

Hört man den Namen Coco Chanel, dann denkt man unweigerlich an stilvolle Mode und ein weltberühmtes Parfüm aus Paris. Aber über den Menschen Coco Chanel (1883-1971) weiß man abgesehen von ein paar Fotos erschreckend wenig. So ging es mir jedenfalls. Doch Nadine Siegers vorliegende Romanbiografie hat meine Wissenslücken auf sehr eindrückliche Weise schließen können.

Siegers 272-seitiges Buch ist alles andere als ein nüchternes Sachbuch. Denn äußerst lebendig, emotional und mit Verve wird darin Coco Chanels Leben, die eigentlich Gabrielle Chanel hieß, nacherzählt. Hierfür fügte die Autorin dem Fließtext nicht nur interessante Originalfotos, sondern auch markige Sentenzen der Modeikone hinzu.

Coco Chanel wuchs nach dem frühen Tod der Mutter in einem streng katholischen Waisenhaus des Klosters Aubazine auf. Doch sie wollte und konnte ihr Leben nicht hinter Klostermauern verbringen. Mit 18 nahm sie deshalb mehrere kleinere Jobs in Moulins an, u.a. als Sängerin. Dabei lernte sie ihren ersten Liebhaber und späteren Förderer Étienne Balsan kennen. Dieser führte sie in die gehobenen Kreise von Paris ein und ließ sie erste Hüte entwerfen. Auf Étienne folgten weitere Affären mit Lebemännern, die Cocos Talent förderten und zugleich finanziell davon profitierten. Kurzum, sie hatte ein Händchen für die falschen Männer, die zwar Momente der Leichtigkeit versprachen, aber sie letztendlich nicht heiraten oder gar eine Familie mit ihr gründeten. So viel Pech sie in privaten Dingen hatte, so viel Glück hatte sie beruflich. Sie dominierte die Modewelt der 1920er-Jahre. Ihre minimalistischen Tweedkostüme, das kleine Schwarze, ihre Jersey-Badeanzüge oder ihre legendären Matrosenhosen bilden nur einen Bruchteil ihrer modischen Meisterleistungen ab. Coco Chanel entwarf was ihr gefiel und brach dabei gern mit den gängigen Konventionen. So machte sie die Hosen für Frauen erst salonfähig und setzte zugunsten des einfachen Stils auf wenig Pomp. Große Blumenmotive und Rüschenapplikationen mochte sie so gar nicht. Knallige Farben erst recht nicht. Doch nicht nur modisch war sie der damaligen patriarchalisch geprägten Lebenswelt immer einen Schritt voraus. Sie rauchte Kette, hatte zahlreiche Affären, sprach mit scharfer Zunge und lebte individuell ihre Wünsche und Träume aus - damals noch ein Novum. Daher galt sie auch als bewundernswertes Enfant terrible in der damaligen Modewelt, das mit 70 Jahren ein grandioses Comeback feierte. Chapeau vor solch einer starken Macherin!

Siegers Lebensbeschreibung lebt vom emotionalen Auf und Ab des Ausnahmetalents. Coco Chanel war eine nach außen hin starke und schlagfertige, aber innerlich zweifelnde Persönlichkeit, der trotz knabenhafter Figur Männer wie Frauen gleichermaßen zu Füßen lagen. Selbst bekannte Hollywoodgrößen kleidete sie ein. Und sie war bis zu ihrem Tod ein wirkliches Arbeitstier, das trotz aller Verpflichtungen stets um das Wohl seiner Freunde besorgt gewesen ist. Finanzielle Unterstützungen von Künstlern waren keine Seltenheit.

FAZIT
Eine immens spannende Biografie, die sich flüssig und mit Gewinn lesen ließ. Coco Chanel hat als Autodidaktin Weltruhm erlangt und mit ihrer minimalistisch, zeitlosen Mode neue Maßstäbe gesetzt. Nun kann ich Karl Lagerfeld verstehen, der bis heute von ihr schwärmt.

Bewertung vom 12.09.2018
Gebrauchsanweisung für das Internet
Gehlen, Dirk von

Gebrauchsanweisung für das Internet


sehr gut

Wer schon immer wissen wollte, wie das Internet entstanden ist und woraus es besteht, der sollte zu Dirk von Gehlens gut lesbarer Gebrauchsanweisung greifen.

Das 224-seitige Buch liefert einen prägnanten Überblick zum Thema und ist deshalb vor allem für Einsteiger und überzeugte Offliner geeignet. Gängige Begriffe (Cloud, Sprachsteuerung, IP-Adresse oder Emojis), Trends (Social Media & Co) sowie die Chronologie der einzelnen Entwicklungen (E-Mail, Web oder Hashtag) werden allgemeinverständlich dargeboten. Zudem verfügt jedes Kapitel über nützliche Tipps zum besseren Umgang mit dem Internet.

Dirk von Gehlen ist als Journalist bei der Süddeutschen Zeitung für das Ressort Social Media/Innovation zuständig und kennt sich dementsprechend bestens mit der Materie aus. Dies merkt man der Lektüre auch an. Mir hat es besonders gefallen, wie er den für den Laien recht trockenen und nicht immer leicht zu erfassenden Stoff auf ein Normalmaß heruntergebrochen und sich dabei regelmäßig passender bildhafter Vergleiche bedient hat.

FAZIT
Ein gutes Sachbuch, das mit spannenden Kapiteln und weiterführender Lektüre aufwartet.

Bewertung vom 11.09.2018
Männerspagat
Schumacher, Hajo

Männerspagat


ausgezeichnet

Der bekannte deutsche Journalist und TV-Moderator Hajo Schumacher (*1964) ist immer für eine Überraschung gut. Nachdem er sich in seinem letzten Buch ausgiebig mit der Vaterrolle auseinandergesetzt hat, geht es in "Männerspagat" um die Rolle es Mannes in heutiger Zeit. Schon das witzige Cover spielt auf simple Weise auf die Vermischung der gängigen Geschlechterrollen an.

Noch nie war Mannsein schwieriger als heute, so Schumacher. Nach eigenen Recherchen und Erlebnissen steht für ihn fest, dass die gängigen männlichen Rollenbilder ausgedient haben. Der harte wie unbesiegbare Kerl ist weniger gefragt. Vielmehr müsse der "neue Mann" anderen und sich selbst zuhören können. Schwächen zu zulassen, über Emotionen und Ängste zu reden und auch einmal die Rolle zu tauschen, bringe neue Einsichten. Zudem ist der Autor die ständigen Kämpfe mit dem weiblichen Geschlecht leid. Um Stereotypen und Missverständnisse abzubauen, verlangt er nach einem ehrlichen wie respektvollen Verhältnis von Mann und Frau.

Schumachers "Männerbuch" ist nicht nur für ein männliches Publikum bestimmt, sondern liefert offene Einblicke in die männliche Seele dieser Tage, die auch für die weibliche Leserschaft interessant sein können. Mich hat vor allem die Ehrlichkeit der Ausführungen überrascht. Schumachers Seelenstriptease ist ein Wagnis, aber das hat sich m. E. nicht nur für den Autor selbst gelohnt. Ob nun Paartherapie, Tantra, Gespräche mit Freunden, Homosexuellen sowie Feministinnen, der Autor hat sich vielfältig ausprobiert und ausgetauscht. Herausgekommen ist dabei ein spannendes wie zeitgemäßes Buch, das zeigt, dass sich die bisherigen Geschlechterrollen immer mehr aufweichen, es gar zu Überlappungen bzw. Vermischungen kommt. Sicherlich ist diese Diskussion in Zeiten von Genderisierung nicht neu - aber in Hinblick auf die männlichen Rollenbilder schon. Denn während es für die Frauen in den letzten Jahrzehnten Emanzipations- wie Feminismusbewegungen gab, blieb der Mann meistens außen vor. Oder kennen Sie beispielsweise Zeitschriften, die sich unverstellt mit der männlichen Gefühls- und Arbeitswelt jenseits der gängigen Klischees auseinandersetzen?

FAZIT
Eine lohnenswerte Lektüre, die authentisch übers Mannsein und -werden reflektiert und dabei Wege aus der Klischee- wie Rollenfalle aufzeigt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.09.2018
Hoffnung und Schicksal / Die Charité Bd.1
Schweikert, Ulrike

Hoffnung und Schicksal / Die Charité Bd.1


ausgezeichnet

Ulrike Schweikerts Mammutwerk "Die Charité" habe ich mit ausgesprochener Freude gelesen. Das lag vor allem an der brillanten Recherche sowie an den authentischen Charakteren. Seite für Seite lässt die Autorin den Leser in die Welt der Berliner Charité von 1830 bis 1840 eintauchen. In dieser medizinisch noch recht abenteuerlichen, weil rückständigen Zeit bewirkten einzelne Ärzte und Pfleger wirkliche Wunder und ließen Humanität walten. Schweikert entwirft ein lebendiges Bild dieses medizinischen Mikrokosmos', indem sie verschiedene mit der Charité verbundene Einzelschicksale parallel aufgreift. Hierbei vermischt sie Fiktion und Überlieferung auf brillante Weise miteinander. Ein Erzählstrang widmet sich dem legendären Chirurgen Professor Dieffenbach, der stets das neueste medizinisches Knowhow anwendet und heimlich in die Ludovica verliebt ist. Darüber hinaus wird das Leben der allein erziehenden Hebamme Martha betrachtet, die sich durchs Leben kämpfen muss. Zu guter Letzt wird auf das Schicksal der verwaisten Pflegerin und späteren Krankenschwester Elisabeth eingegangen, die sich Tag für Tag aufopferungsvoll und mit viel Empathie um ihre Patienten kümmert. Diesen drei Personen über die Schulter schauen zu dürfen, ist ausgesprochen spannend, da man dabei nicht nur viel über die Lebensumstände um 1830/40, sondern auch einen detailreichen Einblick in die damalige Medizin erhält. Besonders der Umgang mit den vorherrschenden Krankheiten, wie Cholera, Wundbrand und Kindbettfieber, förderte Neues sowie aus heutiger Sicht Erschreckendes zutage. Obschon die medizinische Komponente einen Großteil der Handlung ausmacht, wird das Privatleben der einzelnen Protagonisten nie vernachlässigt. Es sind vor allem die stetig wechselnden Erzählstränge, die den Plot nie monoton werden lassen. Im Gegenteil, einmal angefangen, möchte man den Historienroman gar nicht mehr zur Seite legen - wahrlich ein Pageturner par excellence. Auch Schweikerts zeittypischer Sprachstil trug seinen Teil dazu bei.

FAZIT
Ein fesselnder Historienroman mit Mehrwert, den man so bald nicht wieder vergisst. Hier wird Medizinhistorie spielerisch einfach vermittelt. Dafür vergebe ich gern 5 Sterne.

Bewertung vom 02.09.2018
Das Teemännchen
Strunk, Heinz

Das Teemännchen


ausgezeichnet

Diese kleine, aber feine Sammlung von Kurzgeschichten ist einfach nur genial. Wer auf rabenschwarzen Humor gepaart mit pragmatischer Pointiertheit und zuweilen skurriler Fantastik steht, der kommt an Heinz Strunks neuestem Werk wohl nicht vorbei. Mich haben vor allem die bildhaften, meist demaskierenden Physiognomiebeschreibungen der einzelnen Figuren beeindruckt. So fördert der Autor in seinem Erzählband Schicht für Schicht allerhand menschliche Schwächen, Fehlbildungen und Abgründe des sog. Prekariats zutage. Strunk hat einfach ein Faible für die sozial Abgehängten und deren Nöte. Damit bildet der Hanseat in der heutigen Heile-Welt-Belletristik eine interessante Ausnahme. Denn er beschönigt nicht, sondern schildert offen und unverstellt die meist prekäre Lebens- und Arbeitswelt der Unterschicht. Ob nun Axl Rose nach einem Konzert eine Hamburger Kneipe entert und dabei versackt, am Usedomer Strand ästhetische Welten aufeinanderprallen oder ein Mann an ein Windrad gefesselt wurde und sich nun unaufhörlich mitdreht, Strunks Szenarien sind einerseits alltäglich, andererseits auch traumatisch grotesk. Ich konnte mich für beides begeistern und trotz des recht bitterbösen Plots herzlich lachen.

FAZIT
Ein Meisterstück Strunk'scher Erzählkunst. Aber nichts für schwache Gemüter.