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Wedma

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Insgesamt 549 Bewertungen
Bewertung vom 23.09.2016
Sieben minus eins / Berger & Blom Bd.1
Dahl, Arne

Sieben minus eins / Berger & Blom Bd.1


schlecht

Von der Lobpreisung im Klappentext: „…psychologisch raffiniert, voller abgründiger Wendungen und unerhört spannend.“ lies ich mich in die Irre führen und holte das Buch. Ich lese gerne in Reihen und einen Auftakt einer spannenden Krimireihe wollte ich nicht verpassen.
Aber was dann kam, war eine durch und durch konstruierte wie primitive Geschichte voller Klischees, sowohl in der Handlung als auch in den Beweggründen der Figuren. Beinah keins von noch so abgedroschenen Klischees, die man schon zig mal woanders gelesen hat, die wiederum von irgendwem als Erfolgsfaktoren für einen Bestseller identifiziert worden waren, wurde hier ausgelassen. All diese Dinge, wie z.B. der Freud’sche Ansatz bei den Tätermotiven (die Hauptfiguren kennen sich seit Kindheit und dort ist das wahre Motiv zu suchen), irgendwelche Teile, die bei jedem Tatort als Zeichen und zwecks der Wiedererkennung liegengelassen werden, dazu kommen als Emotionsgrundalge und Zieldefinition der Ermittler gleich mehrere verschwundene Mädchen, dann gibt es den bösen Staat, der den Spruch „Undank ist der Welt Lohn“ mit jeder Handlung der Polizei- und Geheimagenturbosse zum Besten gibt, etc. All die alten Kamelle werden von einem pseudo (Bestseller-)Thriller (im Sinne von Wettstreit Gut gegen Böse) zu anderen herübergereicht. Gähn.
Die Hauptfiguren sind zwei zombihafte Unsympathen, mit denen man wohl kaum durch die Geschichte fiebern kann, demenspr. lässt einen weitestgehend kalt, was ihnen demnächst passiert. Die Höhe ist wohl bei dem Sam Berger erreicht, der wichtige Gegenstände, die von den Angreifern im Anmarsch nicht entdeckt werden sollen, im eigenen Darm eben schnell verschwinden lässt. Anschließend folgt ein langes Verhör. Da fragt man: „Sitzt er da gut?“ Auch paar andere Details aus seiner Vergangenheit disqualifizieren ihn in der Rolle des Helden.
Seine Partnerin hat nichts von einer Frau. Sie ist ein Zombie, der für eine Frau rein willkürlich erklärt wurde.
Die Handlung ist absolut nicht spannend, sondern wirr und auf Teufel-komm-raus-ich-will-hier-einen-Bestseller-produzieren dürftig gebastelt. Der Kern lässt sich wie folgt zusammenfassen: Es dreht sich alles um den Schwanz. Klingt wirr und komisch? Ist es auch. Leider kein Witz.
Ich habe mich sehr lange durchs Buch gequält, dann eine Hörbuchversion geholt, damit ich überhaupt mal ans Ende komme. Beim heimischen Werkeln geht meistens auch etwas weniger Gutes. Aber dadurch, dass diese dürftige Geschichte vorgetragen wurde, wirkte sie noch grotesker und komischer. Der Nachname Berger wird als Berja ausgesprochen. Vllt ist es auf Schwedisch richtig, bloß diese Zusammensetzung an Klängen weckt bei mir ganz andere Assoziationen, die wiederum irreführend wie störend sind. Das Hörbuch wurde zurückgegeben.
Die Schreibe ist a lá viel gewollt, wenig gekonnt. Die Art der Stoffdarbietung erscheint mir Leserherabwürdigend, da dem Leser die Fähigkeit, eigene Schlüsse zu ziehen, gänzlich abgesprochen wurde. Alles wird fertigbreiartig dargereicht, allerhand Zeugs behauptet (sehr viel „tell“ aus dem „Show, don’t tell“), was auch nicht unbedingt stimmt und ich meine liebe Mühe hatte, dem Quatsch Glauben zu schenken. Eigentlich braucht man bloß zu schlucken, aber das mochte ich nicht, da im hohen Grade ungenießbar.
Es wohnt diesem Machwerk auch keine Seele inne. Alles ist so kalt, befremdend, zombihaft, dass man sich fragt, warum man das alles in einem Buch haben muss. Falsch interpretierter Realismus.
Ich versuche, solche Perlen so gut wie es geht umzuschiffen, damit ich gar nicht erst in die Pflicht komme, so etwas zwecks der Rezension zu lesen, aber der Werbetext führt einen so gründlich in die Irre, dass es doch dazu gekommen ist, was mich sehr ärgert.
Fazit: Es gibt rein gar nichts, was ich an diesem Machwerk für gut erklären kann. Auf einem Reißbrett als Massenware entworfen, mehr gewollt als gekonnt dargeboten und ein Hype drum herum organisiert. Ein Stern und nie wieder Arne Dahl.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.09.2016
Brot backen in Perfektion mit Hefe
Geißler, Lutz

Brot backen in Perfektion mit Hefe


ausgezeichnet

Die Gestaltung des Buches legt nahe, dass es als Souvenir für Backbegeisterte und diejenigen, die es werden wollen, angedacht war. Es gibt viele professionell gemachte Farbfotos von Broten und Brotbackutensilien. Die Seiten sind aus festem, glattem, hochwertigem Papier.
Von Lesezeichenbändchen gibt es hier gleich zwei in beige und braun, in etwa für Grundrezept und ein weiteres Rezept, das auf diesem Grundrezept basiert.
Das Coverbild passt zum Inhalt ganz wunderbar. Das Foto der verschiedenen Brote macht Lust aufs Brotbacken. Das Buch hat zwar einen Schutzumschlag, wenn man den aber entfernt, sieht das Buch genauso aus - vorne wie hinten.
Inhaltsangabe ist recht anschaulich wie witzig gestaltet: Zwei Seiten voll mit kleinen Fotos von jeweiligen Broten, dessen Bezeichnung als Überschrift oben und die Seitenangabe links unten dazu. Da hat man alles gleich, quasi auf einem Blatt vor sich und kann direkt zu den gewünschten Rezepten gehen.
Insg. finde ich die Gestaltung des Buches sehr gelungen: Ein wahres Schmuckstück in jeder Brotbackküche.
Es gibt 70 Rezepte, wobei es paar Grundrezepte gibt, der Rest ist deren Abwandlung.
Hinten auf dem Umschlag sieht man einen Hinweis: „Auch für Einsteiger geeignet!“ Das kann ich bestätigen. Auf den ersten 31 Seiten werden die Grundregeln vermittelt, die Backutensilien samt Bildern vorgestellt, ein kurzer Exkurs in Mehltypen ist auch da, wobei alle Themen sehr zugänglich erleuchtet wurden.
Die einzelnen Arbeitsschritte der Teigherstellung wurden anhand von Bildern und nicht allzu viel Text einfach und anschaulich erklärt. Man erfährt u.a., was es mit dem Dehnen und Falten des Teiges auf sich hat, was ein Quellstück und was ein Brühstück ist und welche Rolle diese Teile beim Brotbacken spielen.
Es gibt ein extra Kapitel „Rezepte verändern“ mit Tabellen, wo man Tipps bekommt, woran man bei den Rezeptveränderungen achten sollte, z.B. bei Umwandlung Weizen vs. Dinkel, mit und ohne Vorteig, normal vs. vegan, etc. Hinten im Buch ab S. 180 gibt es eine große Tabelle, in der die Mengen an Zutaten aller im Buch aufgeführten Rezepte bereits auf 0,5kg, 0,81kg, 1, 2, 3, 4 und 5 kg hochgerechnet wurden.
Alle Rezepte sind extra fürs Backen zu Hause angepasst.
Bei jedem Rezept steht oft: „Für 1 Brotlaib von ca.1kg“, dann folgen die wenigen Zutaten und Arbeitsschritte. Sehr zugänglich, sehr klar. Ein Foto vom fertiggebackenem Brot begleitet jedes Rezept.
Es gibt Herzhaftes z.B. Dinkelvollkornmischbrot, Körnerbrot, Wurzelbrot mit Oliven und Käse; oder auch Süßes, z.B. Schokobrot (sieht sehr schokoladig aus), Zimtschnecken, Dinkelbrioche, Rosinenbrot, Hefezopf, etc.
Es gibt Rezepte populärer franz. Brote wie Pain d’Epi, Baguette, Ficelle, Fougasse, Brioche, oder auch von bekannten ital. Broten wie Ciabatta, Focaccia, Grissini.
Es gibt auch ein Rezept mit genauer Anleitung zum Selbst-Croissants-backen.
Man hat im Grunde alles an nötigen Infos, um gleich mit dem Brotbacken anfangen zu können. Die Vielfalt wie Auswahl an Broten, die man selbst backen kann, ist sehr gut getroffen.
Für diejenigen, die abschätzen wollen, ob das Buch in ihr Kochbücherregal rein physisch passt, mag folgende Info hilfreich erscheinen: Das Buch wiegt 1260gr, ist 24,3cm breit, 28,7cm hoch und 2cm dick.
Info für empfindliche Nasen: Das Buch riecht etwas, aber nicht zu sehr nach Druckerfarben. Bei der Fülle an Fotos ist es an sich kein Wunder.
Fazit: Ein schönes Brotbackbuch mit Rezepten gängiger Brotsorten, prima zum Selbst-in-der-heimischen-Küche-Brotbacken. Dafür muss man kein Back-Profi sein. Auch für Anfänger ist dieses Backbuch bestens geeignet. Die meisten Rezepte sind einfach und schnell zu bewerkstelligen. Die Fotos, wie die Gestaltung des Buches insg., überzeugen auf der ganzen Linie. Als Geschenk für Backbegeisterte zum Geburtstag oder zu den nicht mehr so fernen Weihnachten ist „Brot Backen in Perfektion“ von Lutz Geissler eine sehr gute Wahl.

Bewertung vom 16.09.2016
Bella Germania
Speck, Daniel

Bella Germania


ausgezeichnet

„Bella Germania“ von Daniel Speck habe ich sehr gerne gelesen und kann jedem ans Herz legen. Die Geschichte hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen, denn sie hat alles, was einen tollen Schmöker ausmacht: Liebe, Drama, überlebensgroße Figuren, spannende Handlung auf mehreren Zeitebenen, überraschende Wendungen, prima ausgearbeiteten historischen und sozio-politischen Hintergrund, starken Bezug zu heutigen Problemen der Gesellschaft, auch eine feine Prise Humor schwingt da mit. Der Schreibstil ist aussagestark, bildhaft, mitunter sehr intensiv in seiner Wirkung, entbehrt dabei aber keineswegs die Leichtigkeit, was ein sicheres Zeichen fürs Können des Autors ist. Auch die Art der Stoffdarbietung bestätigt immer wieder, dass hier ein Profi an den Werken war.

Der Roman hat gleich einige Figuren, auf allen Zeitebenen, mit denen man mitfiebern und durch die Geschichte gehen kann. Auch Nebenfiguren sind so lebendig, dass sie einem noch länger im Gedächtnis bleiben. Der sympathische Giovanni, der gutes Essen und Trinken sehr schätzt und sonst seine Prioritäten prima zu setzen weiß, ist hier mein Favorit.

Es gibt auch viel Liebe in diesem Roman. Giuliettas Liebesgeschichte mutet als Neuinterpretation von Romeo und Julia an, vor Kulisse der 50-70Jahre des 20-Jh. gesetzt.

Die Wechsel zwischen den Zeiten sind sehr gut gewählt worden und sorgen für genug Abwechslung und Spannung. Auch die Erzählperspektiven: Julia erzählt ihre Sicht der Dinge in der Gegenwart, sonst ist es allwissender Erzähler, eigenen sich sehr gut, um diese komplexe Geschichte unterhaltsam und überzeugend erzählen zu können.

Sehr gelungen finde ich auch die Balance zwischen hell und dunkel, Freude und Trauer, Liebe und Tod, Ernst und Humor, etc. Trotz all dem Drama und Ernsthaftigkeit der Themen liefert „Bella Germania“ Lesevergnügen pur. Man kann das Buch kaum aus der Hand legen und möchte keine Seite vermissen, obwohl es ein über 4 cm dicker Schinken ist. Ein gutes Buch ist gut auf jeder Seite. Das stimmt auch in Bezug auf „Bella Germania“.

Die Geschichte ist außerdem voll von schönen, geistreichen, wahren, zum Nachdenken verleitenden Sätzen, die jedes Zitatenheft schmücken können.

Man kann noch viel über Bella Germania schreiben, ich mache aber hier Schluss und sage:

Ein tolles, absolut lesenswertes Buch, bitte mehr davon. „Bella Germania“ gehört zu meinen persönlichen Lesehighlights des Jahres. Ein sehr beeindruckendes Debüt von Drehbuchautor Daniel Speck. Ich bin auf die Verfilmung wie auf weitere Bücher aus der Feder des Autors sehr gespannt und sage: Vielen herzlichen Dank für diese grandiose Arbeit. Weiter so!

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.09.2016
Die unsterbliche Familie Salz
Kloeble, Christopher

Die unsterbliche Familie Salz


gut

Familie Salz erschien mir zu schwer, konstruiert und völlig überladen von Problemen und Ereignissen vor historischem Hintergrund zw. 1914 und 2015. Ich gewann leider den Eindruck, dass dieses Buch nicht für Leser geschrieben wurde, da sich der Autor kaum darum gekümmert hat, wie es dem Leser bei seiner Geschichte wohl ergehen mag, ob sich so etwas wie Lesevergnügen dabei einstellt. Das Buch wurde meines Erachtens eher zur Befriedigung des eigenen Geltungsdranges geschrieben (a lá ich bin wer, ich kann/weiß was), evtl. mit dem Schielen auf irgendwelche Juries von irgendwelchen Preisverleihungen. Für Leser, die eine erfüllende, packende Familiengeschichte suchen, war es nicht geschrieben.
Man hat keine Figur, mit der man sich identifizieren und durch die Geschichte fiebern kann. V. a. Lola Rosa, die so viel Raum im Roman einnimmt, ist eine gestörte, wenig sympathische Persönlichkeit, die nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das ihrer Nachkommen nachhaltig ruiniert.
Es wird gerne zwischen den Zeiten und Perspektiven gesprungen. Es ist zwar keineswegs chaotisch, kommt schon am Ende zu einem großen Bild der Familie Salz zusammen, aber da fragt man sich: Und warum genau musste ich es wissen? Spaß gemacht hat es mit Sicherheit nicht.
Es fängt gut an. Die Ereignisse in 1914 sind auch so einladend geschrieben worden, dass man eine süffige Familiensaga dahinter vermutet. Leider ist es dem nicht so.
Lola Rosa Salz, 1914, 59 Seiten. Hier erzählt 9-Jährige Lola aus Ich-Perspektive über sich und ihre Familie, die aus München nach Leipzig zieht, da der Vater Hotel Fürstenhof übernimmt. Lolas Mutter hat eine Angewohnheit, Schattenrisse der Familienmitglieder anzufertigen und daraus etwas über die Persönlichkeit dieser Menschen anbzuleiten. Bei Lola findet diese Beschäftigung mit Schatten eine ganz andere Ausprägung. Diese wird sich dann auf eine düstere Art in Frauen der Familie fortsetzen.
Alfons Ervig, 1944-1945, 93 Seiten. Alfons Ervig ist Ehemann von Lola und erzählt aus seiner Perspektive in Form von Tagebucheinträgen, wie es ihm und Lola, beide Schauspieler vom Beruf, mit zwei kleinen Kindern während des Krieges erging. Lola fürchtete Bombardement in Karlsruhe und versuchte, sich und die Kinder im Osten in Sicherheit zu bringen. Hier wird das Thema Flüchtlinge ausführlich behandelt und gezeigt, wie schwer es war, eine Bleibe zu finden. Hilfsbereitschaft der Einheimischen hielt sich sehr in Grenzen. Lola klebte fest an ihren Prinzipien und so war sie von Sudetenland, wo ihre Schwester einen Bauernhof bewirtschaftete, immer weiter gereist und immer dorthin, wo es am gefährlichsten wurde. Hier war es mir zu konstruiert, es gab zu viele Zufälle, die der Familie stets weiterhalfen. Die Besatzer, weder die Russen noch die Amerikaner, kommen da nicht gut weg. Aber die Darstellungen der Russen nehmen viel mehr Raum ein und gießen Wasser auf die Mühlen der heute so populär gemachten Russenphobie.
Aveline Salz, 1959-1960, 94 Seiten. Aveline ist Tochter von Lola und Alfons. Sie erzählt über ihre jungen Jahre, wie sie zu einem Sohn kam, und über ihre Mutter, die täglich etliche Flaschen Löwenbräu intus haben muss, um den Tag zu überstehen. Auch Aveline ist dem Alkohol verfallen, was Auswirkungen auf ihr weiteres Leben und das ihres Sohnes hat. Dieser Part wirkt verstörend, da Lola ihre psychischen Probleme auf ihre Tochter überträgt und sie mit einer gruseligen Geschichte maltretiert. Die Erzählperspektive wirkt auch eher verstörend: Eine Du-Perspektive, als ob Aveline diesen Part sich selbst erzählt.
Es geht so ähnlich auch weiter.

Fazit: Zäh, schwer, düster, konstruiert. Ich habe mich durchs Buch gequält und fühlte mich wie auf einer dürftigen Party, in der Hoffnung, vllt wird es noch? Meist wünschte ich, ich hätte ein anderes Buch angefangen. Es wurde nicht wirklich und ich war froh, dass es doch (endlich) vorbei war. Der Autor kann was, aber was nutzt es, wenn es keinen Spaß macht, das Ergebnis dieses Könnens zu lesen.

Bewertung vom 09.09.2016
Lebensgeister
Yoshimoto, Banana

Lebensgeister


ausgezeichnet

„Lebensgeister“ von Banana Yoshimoto habe ich beinah in einem Rutsch gelesen und bin restlos begeistert. Ich wollte bloß nur kurz reinschauen, aber nach paar Seiten konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen.

Mich faszinierten diese schlichte Leichtigkeit des Schreibstils, die Heiterkeit der Grundstimmung, obwohl es um ernste Dinge geht: den Tod des Geliebten, den Weg zurück ins Leben und Trauerbewältigung der Protagonistin, und last but not least die allem zugrundliegende Dankbarkeit. All die Zutaten so gekonnt gemischt und so erfrischend anders wie authentisch präsentiert! „Lebensgeister“ haben für einige erfüllte wie gespannte Lesestunden gesorgt, u.a. weil man gar nicht vorausahnen kann, wie es weiter geht, und das wollte ich unbedingt wissen.

Sayoko, eine dreißigjährige Kunstkuratorin, hat eine Nahtoderfahrung gemacht und nachdem sie zu den Lebenden zurück war, konnte sie nicht nur die andere Welt und ihre Bewohner um sich sehen, u.a. ihren lange verstorbenen Opa, sie hat eine neue Sicht auf diese Welt bekommen. Sayoko teilt ihre Überlegungen zum Leben, zur Liebe, zum Tod, zu Veränderungen, zur Freundschaft, Familie uvm. den Lesern fast nebenbei mit. Dabei sind ihre Gedanken so hell, so voller Lebensbejahung, aber ohne das Leben mit seinen Unsicherheiten und Gefahren zu verklären. Da stehen so manche Dinge geschrieben, so kann nur eine japanische Buddhistin schreiben. Auch auf die Gefahr hin, dass diese Sätze ohne Kontext ihre Wirkung z.T. verlieren, hier paar Zitate:

„Es gibt viele Menschen, die sich nach einer radikalen Änderung sehnen, aber nur wenige, die ihr wahres Wesen begreifen. Bei mir war es auch so.“ S. 86.
Ihr Opa rät ihr: „Alles hat seine Zeit, braucht seine Zeit. Daran solltest du immer denken. Wenn du zu weit nach vorne schaust, stolperst du. Verweile lieber im Moment, und geh Schritt für Schritt deinen Weg.“ S. 111.
„Wer im Herzen frei ist, macht auch anderen Menschen frei.“S. 135.

Sayoko geht nun ihren Weg und trifft auf interessante Menschen, die ihre neue Sicht der Dinge teilen. Sie helfen ihr, ihr neues Leben zu gestalten und nicht einsam zu sein. So bekommt sie neue Freunde, und einer wird vielleicht zu ihren neuen Lebensgefährten.

Wir haben ca. 150 Seiten reinen Textes, sie schaffen aber großes Kino und hinterlassen einen bleibenden Eindruck.

Das Coverbild passt wunderbar. Diese Heiterkeit und etwas beinah Surreales in diesem Bild finden sich in dieser Geschichte fast auf jeder Seite wieder.

Nach paar Tagen, als die „Lebensgeister“ ausgelesen waren, griff ich wieder zu dem Buch und las es nochmals. Ich wollte diese Leichtigkeit aufs Neue erleben, Sayoko und ihren Opa wieder über ihre Erlebnisse reden hören, ihre Dankbarkeit und Weisheit hautnah erleben.

Fazit: Es lohnt sich. Banana Yoshimotos „Lebensgeister“ sind eine wahre Bereicherung, auch der schönen, schlichten, bildhaften Sprache wegen. Das Buch gehört auf jeden Fall zu meinen persönlichen Favoriten dieses Lesejahres. Ich bleibe verzaubert und auf weitere Werke der Autorin gespannt zurück.

Herzlichen Dank an Diogenes Verlag dafür, dass diese großartige Geschichte auch die Leser in Deutschland erreicht hat.

Bewertung vom 09.09.2016
Hier ist alles Banane

Hier ist alles Banane


ausgezeichnet

„Hier ist alles Banane“ ist eine kluge, unterhaltsam gemachte politische Satire, die einen erfrischend anderen Blick auf das Weltgeschehen der letzten zwanzig Jahre liefert.

Hörbuch. 6 CDs, ca. 450 Minuten, ungekürzte Lesung von Reiner Kröhnert.

Der Klappentext beschreibt in groben Zügen den Inhalt recht treffend.
Die Tagebücher fangen kurz vor dem Tod Honeckers in Chile an (CD1), beschreiben seine und Margots Ankunft dort und erklären, wie es dazu kam, dass Jorge Rodriguez zu ihrem Fahrer und Helfer in schwierigen Lebenslagen wurde, sagen, warum sich der ehem. Staatschef der DDR und seine Frau für seinen angeblichen Tod entschieden haben und enden ganz sanft in 2015 (CD 6). Dazwischen kommen noch viele Themen, die sowohl die DDR Zeiten, als auch das Weltgeschehen unter einem unorthodoxen Blickwinkel beleuchten.
Honeckers Tagebucheinträge spiegeln nicht nur einen erfrischend anderen Blick auf das Geschehen des öffentlichen Lebens in der ganzen Welt, wie z.B. all die EMs und WMs, die es in diesem Zeitraum gab, sondern berichten auch über sein Leben (nach dem „Tod“) in Chile, über seine gelegentlichen Schwierigkeiten, das Leben dort zu begreifen und über die Diskussionen, die er mit seiner Margot immer noch in alter Manier führt. Die beiden sind nach wie vor der Meinung, dass das Imperialismus kraft seiner Systemfehler dem Tode geweiht ist, dass es mit der BRD weiterhin bergabgeht, dass die moderne Sklaverei immer neue Züge annimmt, etc. und verstehen sich als tapfere Kämpfer für die sozialistischen Ideale.
Honeckers beschaffen sich auch Computer und verfolgen auf diese Weise das Leben, das sie verlassen haben. Zu sozialen Netzwerken und all den Informationen, die Menschen dort über ihr Leben preisgeben, staunt Honecker und meint, sie hätten so viele Agenten in der DDR engagieren mussten, damit sie zumindest etwas aus dem Privatleben bestimmter Personen herausfinden konnten, heute in SNs geht es viel einfacher und ganz von allein. Über Edward Snowdens Enthüllungen und die Notwendigkeit des Abhörens der Gespräche der Bürger, um abweichende Ansichten zu erkennen, um korrigierend eingreifen zu können, philosophiert Honecker zum Schluss in CD6 und resümiert:„Und ich denke, dass in dieser Hinsicht nie große Unterschiede zwischen den Vereinigten Staaten, der BRD und DDR gegeben hat. Und ich glaube auch nicht, dass zwischen den Regierungen darüber je irgendwelche Zweifel bestanden haben.“
Es gibt noch mehr von ähnlichen Einsichten zu anderen Themen des öffentlichen Lebens. Zum Gauck und seiner Vergangenheit in der DDR sagt Honecker auch manch lustige Dinge. Einige Ratschläge an andere Politiker und Regierungschefs im In- und Ausland hat er auch parat.

Es ist diese Art, den Kern der Dinge messerscharf zu beobachten, auf Honeckers Art zu interpretieren und in kurzen, präzisen Sätzen zu erfassen, die dieses Werk so eigenartig und absolut hörenswert macht. Dieser Humor, der oft wie ein Wink mit Zaunfall rüberkommt, brachte mich öfter zum Schmunzeln und noch öfter zum Lachen.
Vor allem die großartige Lesung von Reiner Kröhnert hat dieses Werk enorm bereichert. Er liest nicht, er spielt die Einträge mit seiner tollen Stimme durch. Man denkt, man hört dem Erich Honecker zu. Dazu kommen die Kommentare von Jorge, dem Fahrer, die Reiner Kröhnert in einer ganz anderen Stimmlage, leicht lispelnd und mit typisch spanischem, rollendem R interpretiert. Hier und dort kommt Jorge zu Wort und gibt seinen Senf dazu, kommentiert die Geschehnisse, die Honecker zu seinen Gunsten geschildert hat und erzählt, wie sich die Dinge aus seiner Sicht zugetragen hatten.

Fazit: Das Hörbuch hat mir nicht nur vergnügliche Stunden bereitet und mich mehrmals zum Lachen gebracht, sondern hin und wieder auch nachdenklich gestimmt. Ein Hörgenuss, das seinesgleichen sucht. Ich bin froh, Reiner Kröhnert in diesem Werk kennengelernt zu haben und freue mich auf seine weiteren Werke, wie auf die tolle politische Satire dieser Art.

Bewertung vom 24.08.2016
Nach einer wahren Geschichte
Vigan, Delphine

Nach einer wahren Geschichte


sehr gut

Im Wesentlichen ist es ein Stück, das von zwei Profi-Schreiberinnen Anfang-Mitte vierzig handelt, die sich ausgiebig zum Thema Schreiben und Literatur austauschen. Aber auch andere Kernthemen wie Freundschaft, Liebe, Familie, das Leben insg. werden recht tiefgründig wie geistreich ausdiskutiert.
Die eine, Delphine, hat es zum nennenswerten Erfolg geschafft und die andere, L. genannt, betätigt sich nach eigenen Angaben als Ghostwriterin. Die Kernfrage, zu der die Diskussionen immer wieder zurückkehren, ist, was die Leser wirklich wollen. Die Ghostwriterin vertritt vehement die Meinung, die Leser wollen das wahre Leben, Realismus, übersetzt in Literatur. Delphine sieht es anders: Fiktion ist der Weg zum Erfolg. Bloß der lässt sich nicht mehr für Delphine einstellen. Sie befindet sich in einer Schaffenskrise und schlittert immer weiter hinein, je mehr Zeit sie mit L. verbringt. Delphine ahnt nicht, was L. eigentlich vorhat und lässt sich von Ausführungen ihrer neuen Freundin mitreißen. L. spielt eine fürsorgliche Freundin, ist immer für Delphine da, hat stets ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Probleme. Als es schon zu spät ist und Delphine diese Freundschaft fast mit dem Leben bezahlt, fallen ihr Schuppen von Augen.
Die Frage der eigenen Identität ist in dieser Geschichte aktiv, anhand des eigenen Beispiels, „einer wahren Geschichte“, wie der Titel besagt, angegangen worden. Als erfolgreiche Schriftstellerin sieht sich Delphine gezwungen, sich immer neu erfinden zu müssen. In die Richtung, in die L. sie drängt, will sie aber nicht gehen, etwas Eigenes will ihr auch nicht recht gelingen, nicht zuletzt, weil L. sich dazwischen stellt und dafür sorgt, dass Delphine immer weiter in die krankhafte Schreibblockade abgleitet.
Auch das Thema der Einsamkeit in der modernen Großstadtgesellschaft schwingt aktiv mit. Paris ist voll von Menschen, Delphine ist aber einsam wie in der Wüste. Selbst ihrem Freund kann sich Delphine nicht anvertrauen und landet immer mehr in der Isolation.
Die Art der Stoffdarbietung ist etwas gewöhnungsbedürftig. Es ist, als ob die Autorin den Verlauf ihrer Krankheit vor Augen der Leser Schritt für Schritt freilegt. Sie blickt auf die Geschehnisse zurück und versucht dabei zu erklären, wie es dazu kommen konnte. Sie zeigt, wie arglos und einsam sie war, nennt aber auch die Punkte, die sie aufhorchen ließen, sie dazu brachten, Verdacht zu schöpfen. Diese vorausschauenden, auf den bekannten Ausgang der Geschichte gerichteten Kommentare nahmen leider Spannung weg, von der die Geschichte auch sonst nicht gerade strotzt.
Delphine war mir leider zu naiv. Ich konnte einfach nicht glauben, dass sich eine Frau mit Lebenserfahrung, eine gefeierte Schriftstellerin und sonst nicht auf den Kopf gefallen, so benehmen, bzw. hinters Licht führen lassen kann. Und je näher sich die Geschichte dem Schluss neigte, desto konstruierter und unglaubwürdiger kam sie mir vor: Drama auf Teufel komm raus. Ohne diese Naivität wäre diese Geschichte gar nicht möglich.
Auf der anderen Waageschale gibt es Vorzüge wie Fragestellungen zu akuten Themen des heutigen Lebens, leise Kritik der modernen Gesellschaft und eine Menge von geistreichen Sätzen. Es ist schon psychologisch fein, mir fehlte dennoch ein Quäntchen Raffinesse.
Die Länge der Kapitel ist sehr gut, passend ausgewählt. Es ist die Art von Stoff, der durchaus genug Zwischenraum braucht. Manchmal, nach drei-vier Seiten, ein Kapitelende zu sehen war schon eine Wohltat.
Fazit: Ein geistreicher, lesenswerter Roman, der gut unterhält und zum Nachdenken über die eigene Identität, ihre Fragilität, uvm. anregt. Interessant vor allem für Schreiberlinge und diejenigen, die es werden wollen, aber auch für passionierte LeserInnen, denn Delphine erzählt aus dem Nähkästchen, wie sich eine erfolgreiche Schriftstellerin nach einem Erfolg fühlt und wie ihre Arbeit und damit verbundenen Schwierigkeiten aussehen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.08.2016
Meine geniale Freundin / Neapolitanische Saga Bd.1
Ferrante, Elena

Meine geniale Freundin / Neapolitanische Saga Bd.1


gut

Meine geniale Freundin Band 1 umfasst 406 Seiten reinen Textes. Zuvor gibt es eine 5-Seitige Aufstellung der handelnden Personen nach Familien geordnet. Sehr hilfreich, um durch das Gewirr von ital. Namen der gar nicht mal wenigen handelnden Personen durchzukommen. Prolog: 5 Seiten. Kindheit: 77 Seiten, Frühe Jugend: 318 Seiten.
Der Prolog hat mich fasziniert und viele Fragen aufgeworfen. Warum wollte Lila verschwinden? Wohin? Was wollte sie damit erreichen? Nun hat sie es auch getan und was nun? Da geht es aber nicht weiter. Die Fragen bleiben unbeantwortet. Der gesamte Roman besteht aus Reminiszenzen, beginnend mit früherer Kindheit.
Die Erinnerungen an die Kindheit kamen mir schon recht ausführlich vor und spätestens ab S. 55 tauchte hartnäckig die Frage auf: Und warum muss ich das alles so genau wissen? Da werden voll im Ernst, in allen Einzelheiten die Vorkommnisse in Primärschule vor Augen der Leser ausgebreitet, z.B. wer welche Puppe wohin geschmissen hat und welche Jungs mit Steinen beworfen wurden, dann kommen die Prüfungen der Primärschule, die darauffolgende Mittelstufe, die Prüfungen der Mittelstufe, das Gymnasium, zu dem die Erzählerin dann geht und Lila in Vaters Werkstatt aushelfen muss, etc. Der Detailreichtum wirkte auf mich eher ermüdend, erforderte sehr viel Zeit und Geduld.
Ich habe erwartet, dass es mit den Reminiszenzen mal aufhört und man gefesselt lesen darf, was jetzt auf der Suche nach Lila in der heutigen Zeit passiert oder ähnliches. Leider nicht. Auf die Kindheit folgte die Jugend, ebenfalls in der epischen Breite, mit den Bildern der Armut in Neapel im armen Viertel der Nachkriegszeit, denn die beiden Mädels kommen aus armen Familien, Lila ist Schusters Tochter und Linús Vater ist Pförtner in der Stadtverwaltung. Die Autorin kümmert sich gar nicht darum, den Leser zu fesseln, Sympathie für ihre Protagonistinnen zu erzeugen, ihre Geschichte spannend aufzubauen und entsprechend zu präsentieren. Elena Ferrante ähnelt in der Hinsicht den Leuten, die sich sehr gerne reden hören, in aller Selbstverständlichkeit davon überzeugt, dass ihr pausenloses Geplapper auch freie Ohren findet. Die Art der Stoffdarbietung ist reine Berichterstattung durchwirkt mit einigen Dialogen.
Aus dem ganzen Ungetüm schälen sich irgendwann die Bilder der damaligen Zeit, der Zwei-Klassen-Gesellschaft: hier die Reichen und Schönen, dort die armen Malocher, die sich mal zum Spaziergang auf die besseren Straßen getraut haben, wie auch einige Probleme des Erwachsenwerdens.
Die beiden Mädels sind recht unterschiedlich, was in früherer Jugend noch deutlicher wird, halten aber zusammen, denn Linú, die Erzählerin, die brave Gymnasiastin, ist nach wie vor von Lila und ihrem Charakter fasziniert. Im letzten Drittel wurde es paar Seiten lang spannend, denn Lila hat zwei Verehrer und die beiden wollen sie heiraten. Das Mädel ist gerade fünfzehn, das macht aber nichts. Mit sechzehn wird geheiratet. Der Roman endet am Lilas Hochzeitstag. Es gibt noch weitere drei oder vier Bänder. Vllt im letzten wird die Auflösung für Lilas Verschwinden aus dem Prolog präsentiert.
Ich lese zwar gerne in Reihen und Romane über Freundschaft gehören zu meinen Favoriten, kann mich insg. schon für vieles begeistern, aber hier werde ich nicht so viel Durchhaltevermögen haben und Unmenge an Zeit aufbringen können. Die Sprache ist zwar griffig und aussagekräftig, aber zu viel Narrativ insg. und Unmenge an Details. Ferrantes Kunstfertigkeit hat es nicht geschafft, mich für ihre Geschichte zu entflammen. Keine Ahnung, warum man es lesen soll. Drei Sterne mit viel Wohlwollen.

Bewertung vom 24.08.2016
Boy in the Park - Wem kannst du trauen?
Grayson, A. J.

Boy in the Park - Wem kannst du trauen?


ausgezeichnet

„Boy in the park“ von A.J. Grayson hat mich sehr positiv überrascht. So fein psychologisch austariert, so gekonnt und spannend erzählt, mit einer gelungenen Überraschung zum Schluss!, kaum zu fassen, dass es Debüt der Autorin ist.
Ich habe mich insgeheim schon vom Thriller-Genre verabschiedet, war aber von der Leseprobe sehr positiv angetan: Gute, philosophisch angehauchte Beobachtungen, mit feinem Humor garniert und treffender Gesellschaftskritik angereichert, haben meine Neugier entflammt. Also habe ich dem Roman eine Chance gegeben und wurde keineswegs enttäuscht.
Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen: Heute in San Francisco und vor paar Jahrzehnten an div. Plätzen in US. Im Heute beobachtet Dylan Aaronsen, etwa Mitte vierzig, ein sympathischer Kassierer im Bio-Supermarkt, wie ein kleiner Junge in jeder seinen Mittagspausen zum Teig in den Park kommt. Eines Tage verschwindet er auf eine rätselhafte Art. In der Vergangenheit führen die Bandaufzeichnungen auf Kassetten(!) Gespräche der Psychologin P. Lavrentis mit einem geistig umnachteten, manisch-aggressiven, unter akutem Mordverdacht stehenden jungen Mann namens Joseph in einer geschlossenen Anstalt in US. Lange versteht man nicht, was die beiden miteinander zu tun haben, denn am Anfang wird größtenteils aus Dylans Ich-Perspektive von seinem Leben in der Großstadt erzählt. Seine Sicht der Dinge ist so unterhaltsam, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte.
Nach und nach offenbart „Boy in the park“ seine gesellschaftskritische Seite. Z.B. Ein Dichter ist mit seiner Kunst völlig erfolglos und dazu verdammt, seinen Lebensunterhalt als Kassierer zu verdienen. Wer hat dagegen Erfolg? Der Chef des Supermarktes, ein Betrüger, der den neurotischen Großstädtern unnütze Wässerchen und Tütchen als Lebensmittelergänzungen tagein tagaus anschwätzt. Dieses Geschäft läuft ganz wunderbar, der Betrüger und die Betrogenen scheinen zufrieden. Dies und noch einige andere derartige Dinge sind so schön, mit Augenzwinkern gezeigt, dass diese Seite des Romans mich an unterhaltsame politische Satire denken ließ. Auch andere aktuelle Themen wie Waffenbesitz, Gewalt in der Familie, Einsamkeit, wachsender Armut in der amer. Gesellschaft sind gekonnt in den Erzählteppich hineingewoben worden. Und immer wieder taucht der Junge im Park, anfangs vor Dylans Augen in seinen Mittagspausen, später auf seiner Reise vor seinem geistigen Auge.
Im letzen Viertel wird der Roman z.T. zum Reiseführer. Die Fahrt von Frisco nach Nashville und zurück wird mit Landschaftsbeschreibungen angereichert, bildhafte Erinnerungen an einen Besuch bei Grand Canyon sind auch dabei. Ich empfand diese Schilderungen als eine angenehme Abwechslung. Dylans Sicht, denn auch hier führt er oft das Wort, seine freundliche Seite ist eine Bereicherung und gute Unterhaltung zugleich.
Es gibt auch einiges, das mir weniger gut gefiel: manches war zu breit erzählt, manches wiederholte sich unnötig, einige Züge und Gedanken, insb. im letzen Viertel, passten zu Dylan einfach nicht, manche Kindermissbrauchsszenen, obwohl eigentlich glaubhaft dargeboten, konnte ich trotzdem nicht abnehmen.
Der Roman liest sich aber trotz der Schwere einiger Themen sehr leicht und fabelhaft schnell, da recht flott geschrieben, in kraftvoller, aussagestarker Sprache. Es gibt einige geistreiche Sätze, die ihren gebührenden Platz in jedem Zitatenheft finden können.
Zum Schluss wird alles aufgelöst, es wird klar, was der Junge im Park mit dem Ganzen zu tun hat. Überraschung zum Schluss halte ich für sehr gelungen. Kann man nicht voraussehen. Prima in Szene gesetzt.
Fazit: Ein sehr gut gelungener, gekonnt und spannend geschriebener, psychologisch fein austarierter Roman, der nicht nur prima unterhält und zum Nachdenken anregt, sondern auch auf emotionaler Ebene berührt. „Boy in the park“ hat mir viele erfüllte Lesestunden bereitet. Fünf Sterne und eine uneingeschränkte Leseempfehlung!