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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 08.09.2007
Zeit der Reife
Sartre, Jean-Paul

Zeit der Reife


weniger gut

Diesen Roman kann man nur aus seiner Zeit heraus lesen. Nach dem zweiten Weltkrieg war der Begriff der Freiheit etwas Absolutes, der Griff nach den Sternen. Die Lösung überhaupt. Wer wollte sich schon freiwillig noch einmal Ketten anlegen lassen? Die bürgerliche Existenz einer Ehe droht als Hort der Unfreiheit, wenn eine Geliebte ein Kind erwartet. Sartres Mathieu Delarue flüchtet in die Arme einer anderen Frau, überläßt dem Freund die werdende Mutter. Wie aber sieht seine wiedererlangte Freiheit aus, sie ähnelt sehr der Enthaltsamkeit, Askese. Aus Angst vor zu viel Beziehung geht man besser gar keine ein. Verantwortung zu tragen als Drohung, unter ihr zusammenzubrechen. Als kleinbürgerliche Spielwiese. Dann doch lieber der eigenen Philosophie des Existenzialismus folgen, das Leben als endlich, in Sein und Nichts aufgespalten sehen und das Nichts als das Ausschlaggebende betrachten, das jedem Menschen am Ende seines Weges bleibt. Wir verschwinden einfach. Tabula rasa. Warum Rücksicht nehmen? Warum sich nicht Selbstverwirklichen? Delarue plädiert sein Anrecht darauf, sich einsam fühlen zu wollen und unbehelligt von uns allen sein Ego zu pflegen. Wie Sartre ihn beschreibt, ist es ein faszinierendes Dokument eines Schriftstellers, der seiner Zeit Orientierung bietet, obwohl um ihn herum alles zusammengefallen ist. Heute wirkt der ganze Roman doch etwas egoman. Ein wenig angestaubt.
Polar aus Aachen

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Bewertung vom 08.09.2007
Macbeth
Shakespeare, William

Macbeth


ausgezeichnet

So kommen Könige zu Fall. Sie schwingen sich zur Macht auf und tragen den Keim ihres Sturzes in sich. Manchmal ist es das Geld, der Neid, die Eifersucht, Selbstüberschätzung, auch oft die Verkennung der Verhältnisse, oft der Gegner zu stark, die Widerstände zu groß, einer einfach nur größenwahnsinnig. Nicht selten gibt sich ein neuer Herrscher in Abhängigkeiten, die er zuvor nicht einzuschätzen wußte. In Macbeth schildert Shakespeare das Machtstreben eines Emporkömmlings, der nicht vor Mord zurückschreckt, um ans Ziel zu kommen. Duncans blinder Ehrgeiz wird nur von seiner Frau Lady Macbeth überboten. Wie Shakespeare es schafft, ein Netz von Intrigen zu weben, von eigener wie fremder Hand gesponnen, deren Stricke selbst Duncan zu Fall bringen, gehört zum Besten was Dramenliteratur aufzuführen weiß. Egal ob Banquo, Macduff, die Hexen, Lords, Edelleute, Mörder wie Boten sie alle spielen auf Shakespeares großer übergreifenden Weltbühne mit, die den Kreis immer wieder schließt, und wiegen sich in seiner Sprache.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 08.09.2007
Romeo und Julia
Shakespeare, William

Romeo und Julia


ausgezeichnet

Es gibt Leute, die behaupten der eigentliche Star dieses Stücks sei der Balkon, auf den Julia steht, während Romeo sie von unten anhimmelt. Doch haben so viele Feinheiten aus Romeo und Julia Spuren in der Literatur auf den Bühnen hinterlassen, daß es nicht einem Architekten zu verdanken ist, daß Shakespeare uns eine Geschichte hinterlassen hat, deren Grundzüge jeder kennt oder Theatergänger verklärte Augen bekommen, wenn der Name Romeo oder Julia fällt. Die Liebe, immer wieder die Liebe. Unerschütterlich bis in den Tod, und doch verraten, ohne Happy End. Shakespeare war ein großer Autor. Er findet uns nicht mit einem glücklichen Ende ab. Inmitten von all den Capulets und Montagues kann es das auch nicht geben. Shakespeare zeichnet nicht nur eine Liebesgeschichte. Er zeigt auch die Auswirkung von Haß und Gewalt. Er beschreitet die Wege des Verrats und Mißtrauens und fängt mit seiner Geschichte gleichsam wie in einem Netz, das menschliche Scheitern ein. Wer will nicht an die Liebe glauben, stehe auch die ganze Welt gegen sie? Wer sie nicht verteidigen? Wer nicht mit ihr untergehen? Und so wird die Geschichte von Romeo und Julia Bestand haben, solange es Menschen gibt.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 08.09.2007
November 1918
Döblin, Alfred

November 1918


ausgezeichnet

Vier Bände, die es in sich haben. Und damit sind nicht die vielen hundert Seiten gemeint. Döblins Unterfangen, die Geschichte des untergehenden Kaiserreichs, des ersten Weltkriegs und der Umwälzungen bei der Geburt der Weimarer Republik erzählerisch zu bewältigen, wird viel zu selten gewürdigt. Döblins Literatur zeichnet das Leben in den Straßen, den Hinterhöfen, den Raucherzimmern der Macht aus. Er zieht sich in keinen Zauberberg zurück oder widmet sich dem Untergang des bürgerlichen Salons. Er sieht immer das Gesamte, das sich dann in viele einzelne Stränge aufspaltet, ineinander verwickelt ist. Das eine kann nicht ohne das andere sein. Sie bringen sich gegenseitig hervor. Die Titel der einzelnen Bände: Bürger und Soldaten, Verratenes Volk, Heimkehr der Fronttruppen, Karl und Rosa sind Beleg dafür, daß Döblin mit der damaligen Geschichtsschreibung, die auch heute noch ihre Auswirkungen hinterläßt, nicht ganz konform geht. Sein Blick ist subjektiv von den Ereignissen, den Fakten aufs Menschliche gerichtet. Von unten nach oben. Daß er es schafft uns mitten hineinzuziehen, trotz der vielen Jahre Abstand uns die Zeit nahe zu bringen, ist der Verdient eines großen Schriftstellers. Er fängt nicht nur die Menschen in November 1918 ein, er fängt vor allem Leser, die sich von der Weite es eines solchen Werks nicht abschrecken lassen. Zeit nehmen. Lesen. Unbedingt! Sofort!
Polar aus Aachen

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.09.2007
Sakrileg / Robert Langdon Bd.2
Brown, Dan

Sakrileg / Robert Langdon Bd.2


weniger gut

Wie ein Buch für eine Verfilmung geschrieben wird, führen Grisham und Crichton alle paar Jahre vor. In den englischsprachigen Ländern existiert gleichermaßen eine Schule an Spannungsliteratur, die mit dem Verkauf des Buches auch die Filmrechte mit auf den Markt bringt. Eine bessere Vermarktungstrategie wie bei Sakrileg hat man kaum gesehen. Die Frage lautet: Hält der Roman den Erwartungen Stand? Eine Heerschar von Lesern begab sich auf Entschlüsselungstour, ließ sich durch immer neue Codes verführen. Der waghalsige Plot einer Verschwörung innerhalb der Kirche führt sicher dazu, daß das Interesse an Geheimbünden und deren Machenschaften neu entdeckt wird, doch handelt es sich bei Sakrileg um Gebrauchtsliteratur. Ist der Hype vorüber, ist er nur noch für jene interessant, die nicht an ihm teilgenommen haben. Es gibt Thriller, die bleiben länger haften, die liest man auch ein zweites Mal gern. Ist der Code in Sakrileg geknackt oder spätestens, wenn sich der Roman auf das banale Ende zubewegt, kommt man sich vor, als verlasse man einen Claude-Van-Damme-Film. Man bewundert anschließend höchstens noch die Explosionen. Bei Sakrileg heißt das, wie beim Rätsel in der Wochenendbeilage ist man an der Lösung aus acht Buchstaben interessiert. Nicht an den Menschen. Egal ob Langdon oder Neveu. Auch die zahlreichen Nebenfiguren, sie bleiben alle blaß. Klischees. Außerhalb ihrer Jagd sind sie leblos. Dan Brown hat das Kalkül in den Mittelpunkt gerückt, die Raffinesse, die religiösen Abgründe. Die Rechnung ist aufgegangen. Und was bleibt nach ein paar Jahren von Sakrileg. Die Vorlage für einen Film.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.09.2007
Die Anstalt
Katzenbach, John

Die Anstalt


gut

Manchmal erscheint es einem so als habe John Katzenbach sich in seinem eigenen Sog verfangen und der Roman hätte 200 Seiten kürzer sein, dann wieder als gehörten die gedehnten Passagen zum Konzept, um den alltäglichen Wahnsinn in der Anstalt möglichst genau festzuhalten. Francis Petrels in sich gefangener Schrecken auf die Wand geschrieben fesseln in vielen Passagen, auch wenn der ein oder anderen Nebenfigur zu viel Raum für ihre Neurosen geboten werden. Doch man schleppt sich nach so vielen Stunden der Aufklärung entgegen. Obwohl Simon Jäger und sein Co-Sprecher Dannenberg die Stimmung in dem Roman faszinierend genau einfangen.
Polar aus Aachen

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.09.2007
Der Patient / Dr. Frederick Starks Bd.1
Katzenbach, John

Der Patient / Dr. Frederick Starks Bd.1


sehr gut

Wie leicht das Leben eines Menschen im Zeitalter des Internets zerstört werden kann, wenn man über die entsprechenden Kenntnisse verfügt, ist nicht gerade neu. Daß Katzenbach es trotzdem schafft aus der Perspektive des Psychiaters Stark ein heimtückisches Spiel um verlorene Identität und Schuldzuweisungen zu entfachen, die einer lang zurückliegenden Behandlung einer Patientin entspringen, fußt vor allem im ersten Teil, in dem der Plot einer 15 Tage Frist die Handlung vorwärtstreibt. Doch damit ist nur die Hälfte des Romans erzählt und die Umkehrung des sogenannten Spiels eröffnet gleichermaßen einen zweiten Krimi im Krimi, die der Anleitung folgt, wie setze ich mich zu Wehr, wenn mir jemand mein Leben stiehlt. Dieser Teil ist schwächer, da er dem genretypischen Heldentum unterliegt, daß ein Mensch unvermittelt alle Hinternisse aus dem Weg räumt. Allein der Umstand, wie Starks sich eine neue Sozialverscherungsnummer verschafft, unterliegt dem Verdacht: lange darüber nachgedacht, Prroblem gelöst. Daß das alte Leben anschließend nicht mehr aufgenommen werden kann, zu einer Art Katharsis des Helden führt, gehört zu den Stärken des Romans. Damit hätte der selbstgefällig. Dr. Starks sicher nicht gerechnet. Gegenüber: Die Anstalt eine deutliche Steigerung und trotzdem könnten es wieder ein paar Nebenschauplätze, Seiten weniger sein.
Polar aus Aachen

1 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.09.2007
Alles was du brauchst
Kennedy, A. L.

Alles was du brauchst


sehr gut

Kann man schreiben lernen? Einige sagen: ja, andere behaupten, nur Menschen, die das Unglück in sich tragen, schreiben. Mary Lamb scheint am Ziel ihrer Wünsch angelangt zu sein, als sie ein Stipendium gewinnt, um auf einer Insel in einer Art Künstlerkolonie das Schreiben zu vervollkommnen. Zwar muß sie sich den Respekt hart erarbeiten, aber sie ist stur genug, sich nicht abweisen zu lassen. Daß sie dabei ausgerechnet auf ihren Vater trifft, stand in der Ausschreibung nicht drin, vielleicht hätte sie dann gezögert. Wie A. L. Kennedy ihre beiden Protagonisten sich auf der Suche nach menschlicher Nähe unter dem Deckmantel des schriftstellerischen Ausdrucks umkreisen läßt, besitzt Kraft und Poesie. Wer sich hier von wessen Schatten zu befreien sucht, bleibt lange Zeit im Ungewissen. Ob dies überhaupt möglich ist, eine Frage, die der Leser beantworten muß.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 07.09.2007
Love
King, Stephen

Love


weniger gut

Wenn sich Stephen King an einer Liebesgeschichte versucht, zucken eingefleischte King-Fans sicher zusammen, doch wer King aus Shining kennt, weiß, daß das Übernatürliche nicht zu Kurz kommen wird. Vor allem dann wenn im Mittelpunkt ein Schrifsteller steht. Scott Landon ist allerdings schon tot und die Geschichte windet sich um seine zurückgebliebene Frau Lisey, die allmählich dem Wahnsinn verfällt, indem sie Scotts Stimme hört und dessen manischen Vorstellungen anheimfällt. Hinter allem versteckt sich eine schreckliche Familiengeschichte und genau hier beginnt das ganze Konstrukt King'scher Romankunst durchzuscheinen. Es muß natürlich eine Schauergeschichte her, es muß natürlich das Böse im Vergangenen ruhen, dem Alltag entspringen. Die Geschichte langweilt, weil man Liseys Stimme überdrüssig wird. Das alles hat King bereits spannender zu erzählen vermocht. Hier ist der Anspruch, mit einem Bein im Literarischen und mit dem zweiten in der simplen Welt des Horror zu stehen, nicht gelungen. Love ist über weite Strecken Witwengewäsch. Man wartet sehnsüchtig darauf, daß Lisey endlich den Grund erfährt, wieso alles so ist, wie es ist. Nicht als Einstieg für einen Leser geeignet, der zum ersten Mal sich Stephen King zuwendet.
Polar aus Aachen

5 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.09.2007
Das Opfer
Katzenbach, John

Das Opfer


sehr gut

Wer Thriller hört oder liest oder sie sich ansieht, dem stellt sich unweigerlich die Frage, wie würdest du dich in so einer Situation verhalten? Würdest du unweigerlich zum Opfer oder dich rechtzeitig zur Wehr setzen, notfalls mit Gewalt? Die überragende Mehrheit wird wohl von sich behaupten wollen, daß sie, was demjenigen in der Geschichte passiert, nicht mit sich machen zu lassen würde. John Katzenbachs Roman Das Opfer setzt genau hier an. Ashley Freeman wird von einem manisch auf sie fixierten Psychopathen erst mit seiner Liebe bedrängt, dann verfolgt, schließlich schreckt er sogar vor einem Mord nicht zurück. Katzenbach entwickelt die Geschichte langsam, verstrickt die weit verstreute Familie Ashleys darin und führt uns vor Augen, wie hilflos wir sind, wenn ein Stalker keine Grenzen mehr kennt, wie all das versagt, was Ashleys Vater in seinem Beschützerdrang gegen Michael O'Connell ins Feld führt, wie die Familie an den Abgrund gezerrt und zumindest ein Mitglied darüber hinaus gestoßen wird. Macht und Ohnmacht spiegeln sich in der obsessiven Liebe eines überzeugend dargestellten Psychopathen, der sein teuflisches Spiel entfachen kann, weil dem Gesetz die Hände gebunden sind und zumindest zu Anfang die Verharmlosung des unglücklich Verliebten greift. In seiner Verankerung in unserem alltäglichen Leben sicher das Beste, was bisher ins Deutsche von Katzenbach übersetzt worden ist.
Polar aus Aachen

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.