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Benutzername: 
Igelmanu
Wohnort: 
Mülheim

Bewertungen

Insgesamt 997 Bewertungen
Bewertung vom 22.07.2018
Der letzte Zeuge
Misch, Rochus

Der letzte Zeuge


ausgezeichnet

Rochus Misch, geboren 1917, war nie Mitglied der NSDAP. Wegen seiner Körpergröße und Statur wurde er nach der Musterung für die Leibstandarte SS Adolf Hitler ausgewählt. Er arbeitete bis zum letzten Tag als Leibwächter, Kurier und Telefonist Hitlers, hielt auch noch nach dessen Tod die Stellung im Führerbunker. Hier erzählt er seine Geschichte.

Als ich dieses Buch entdeckte, wurde ich gleich neugierig. Was war das für ein junger Mann, der da in unmittelbarer Nähe Hitlers seinen Dienst tat? Was bewegte ihn und wie dachte er über die furchtbaren Dinge, die um ihn herum geschahen?
Rochus Misch schrieb diese Autobiographie, eben weil ihn ständig aus aller Welt Fragen erreichten. Er erkannte den Wert, den sein Bericht für die Nachwelt hat, weil dieser den Leser zwingt, sich differenziert mit der Thematik auseinanderzusetzen.

Diese Auseinandersetzung ist nicht leicht, die Wertung fällt schwer. Es ist ein unbequemes Buch, denn wie gerne würde man Misch, treues Mitglied des persönlichen Begleitkommandos Hitlers, einfach als Nazi verurteilen. Und sich sagen, dass man selber garantiert anders gehandelt hätte…

Misch als Person zu beurteilen, fällt schon schwer. Da gibt es so einiges, was Verständnis oder gar Sympathie weckt, andere Dinge befremden. Wie er auf seinen Posten kam, gehört zu den nachvollziehbaren Punkten.
Die Vollwaise Rochus Misch, aus einfachen Verhältnissen stammend, hatte sich zu den SS-Verfügungstruppen gemeldet, weil diese mit Vergünstigungen und Zukunftsperspektiven lockten. 1939 wurde Misch in Polen schwer verletzt, hatte u.a. einen glatten Lungendurchschuss. Dass anschließend der Gedanke, wieder an die Front zurück zu müssen, ihm nicht gerade verlockend erschien, ist nur zu verständlich. Als für das persönliche Begleitkommando des Führers ein »absolut zuverlässiger junger Mann« gesucht wurde, der »keinen Ärger macht«, kam man auf Misch.
Dieses Anforderungsprofil trifft seinen Charakter recht gut. Er war zuverlässig auf seinem Posten, tat pflichtbewusst seine Arbeit, war immer da, wenn man ihn brauchte und hielt ansonsten den Mund. Wenn er erzählt, kommt es einem so vor, als hätte er einen ganz normalen Job bei einem ganz normalen Arbeitgeber gehabt. Da ist nichts von Aggressivität in seinem Bericht, er wirkt auch nicht sonderlich politisch. Zu interessieren scheint ihn nur, wie es ihm und seiner Familie geht. Das wirkt nicht bösartig oder egozentrisch, er denkt einfach nicht weiter. Vermutlich gab und gibt es sehr viele Menschen wie ihn.

Befremdlich wird es, wenn er beispielsweise den Privatmann Hitler als »normaler, einfacher Mann, der einfachste Mensch, den ich kannte« beschreibt. Ich möchte ganz einfach Hitler nicht als normalen Menschen betrachten, nicht mal, wenn ich lese, wie er im Schlafanzug nach einer Wärmflasche für seine Füße verlangt. Misch betont immer wieder, dass er keine Kenntnis darüber hatte, was in den Konzentrationslagern vor sich ging. In der Nähe des Führers wäre nie über so etwas gesprochen worden, auch unter den Kameraden nicht. Kann das wirklich so stimmen?

Rückblickend verurteilt Misch die Taten der Nazis, fragt sich sogar, wie »Untaten solchen Ausmaßes nur ein so gut gehütetes Geheimnis bleiben konnten«. «. Aber damals lebte er ein Dasein voller Widersprüche, vermittelte den ganzen Tag über Telefonate für Hitler und ging abends nach Hause, zur politisch links eingestellten Ehefrau und hörte mit dem Schwiegervater zusammen den Feindsender. Der Eindruck manifestiert sich, dass dieser junge Mann einfach nur überleben wollte und die Realität um sich herum bewusst ausblendete. Wenn er berichtet, wie Magda Göbbels ihren Kindern die Totenhemdchen anzieht, merkt man allerdings, dass der Familienvater Misch dabei an seine Grenzen kam.

Das Buch enthält neben vielen Fotos auch detaillierte Karten von Führerbunker und Reichskanzlei, einen umfangreichen Anhang mit geschichtlichen Erläuterungen und zahlreichen Kurzbiographien.

Bewertung vom 22.07.2018
Der Fälscher / Oberinspektor Stave Bd.3
Rademacher, Cay

Der Fälscher / Oberinspektor Stave Bd.3


ausgezeichnet

»Trümmerfrauen haben den Schlamassel entdeckt. Sie haben am Haus gearbeitet, als eine Windböe eine Mauer umgeworfen hat. Können von Glück sagen, dass sie nicht erschlagen worden sind. Als sich der Staub legte, haben sie ein Skelett entdeckt. Und dann noch ein Kunstwerk.«

Hamburg, im Juni 1948. Oberinspektor Frank Stave ist gerade noch einmal mit dem Leben davongekommen. Während eines Einsatzes war er niedergeschossen worden, hatte im Krankenhaus viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Zurück im Dienst lässt er sich von der Mordkommission zum Chefamt S versetzen, das den Schwarzmarkt bekämpft.
Als in den Trümmern eines Kontorhauses Kunstwerke gefunden werden, soll er sich eigentlich nur um deren Herkunft kümmern. Und nicht um die Ermittlungen zu dem Skelett, das gleich daneben gefunden wurde. Aber Stave kann nicht aus seiner Haut, zumal ihm auffällt, dass der Kollege aus der Mordkommission gar nicht daran denkt, den Todesfall zu untersuchen.
Damit nicht genug, Staves Freund, Lieutenant MacDonald, bittet ihn um Hilfe in einem speziellen Fall. Der Tag X naht, die Einführung der neuen Währung. Bislang herrscht größte Geheimhaltung, doch trotzdem tauchen auf dem Schwarzmarkt eigenartige Geldscheine auf, was die Alliierten sehr beunruhigt.

Mit diesem Krimi unternimmt der Leser wieder eine Zeitreise. Cay Rademacher schildert so intensiv, dass man meint, um sich herum die Trümmer zu sehen. Stave muss nicht nur in seinen Fällen ermitteln, sondern auch privat zusehen, wie er sein Überleben sichert. Schließlich sind auch für ihn die Geschäfte leer und die Erlebnisse aus dem Krieg ein Trauma, das bewältigt werden will.

Die herrschende Armut, die gesamten Lebensumstände und der Wirbel rund um die Einführung der D-Mark prägen das Buch. Ebenfalls im Fokus steht die Vergangenheitsbewältigung, auch im Hinblick auf den Umgang mit Nazis und NS-Verbrechern. Viele kamen bekanntlich ungeschoren davon, das wird hier angeprangert. Mittendrin findet sich die Krimihandlung, die aus heutiger Sicht ungewöhnlich wirkt, aber perfekt in den zeitlichen Rahmen passt.

Dies war nach „Der Trümmermörder“ und „Der Schieber“ der dritte und letzte Fall für Frank Stave. Man kann jeden Band unabhängig voneinander lesen.

Fazit: Großartiger Krimi mit ganz viel Zeitgeschichte. Schade, dass diese Reihe nur aus drei Bänden besteht!

Bewertung vom 10.07.2018
Schlaf, Engelchen, schlaf / Kripochef Alexander Gerlach Bd.13
Burger, Wolfgang

Schlaf, Engelchen, schlaf / Kripochef Alexander Gerlach Bd.13


sehr gut

»Du hast gedacht, ich habe dich vergessen? Habe ich nicht. Ich werde dich nie vergessen. Erst, wenn du tot bist und vermodert, dann werde ich dich vergessen.«

Mails mit einem solchen Wortlaut können einen schon beunruhigen. Kein Wunder, dass der Empfänger Prof. Dr. Jan-Friedrich Henecka Hilfe sucht. Der Heidelberger Kripochef Alexander Gerlach ist zwar derzeit krankgeschrieben, doch wer ihn kennt, der weiß, dass er viel besser gesundet, wenn er etwas zu tun hat. Als eine Art Privatermittler nimmt Gerlach die Recherche auf und stößt in Heneckas Vergangenheit schon bald auf zwei spektakuläre Ereignisse. Vor etwa 16 Jahren verschwand die kleine Lisa, die beste Freundin von Heneckas Tochter Merit. Zuletzt hatten die Mädchen Merits 8. Geburtstag gefeiert, dann machte sich Lisa auf zu ihrem nur 200 Meter entfernten Zuhause, kam dort jedoch nie an. Bis heute fehlt von ihr jede Spur. Letzteres trifft auch auf Heneckas Ehefrau zu, die noch vor Lisa verschwand. Gerlach vermutet, dass jemand guten Grund hat, den Professor zu bedrohen…

Auch den 13. Fall für Alexander Gerlach habe ich wieder genossen. Der Aufbau ist einfach gut gemacht, die Handlung wird spannend erzählt und entwickelt. Es gibt so viele Ermittlungsansätze, dass ich lange Zeit keine Ahnung hatte, wie sich das alles am Ende auflösen soll. Zu meiner Freude war alles stimmig und logisch, wirkte nachvollziehbar.

Die Ermittlungen sind diesmal erschwert, da Gerlach ja privat und heimlich agiert – man ist ja schließlich krank. Ohne die gelegentliche Unterstützung von Sohn Henning („Was darf ich diesmal Gesetzwidriges für dich tun?“) wäre er vermutlich grandios gescheitert.

Gerlach als Privatermittler ist sicher mal was anderes, mir fehlten aber seine Kollegen Balke und Vangelis, auch Runkel tauchte nur mal am Rande auf und Sönnchen, sonst unverzichtbar bei jedem schwierigen Fall, spielte ebenfalls keine Rolle wie sonst. Das fand ich sehr schade, habe aber Hoffnung für Band 14, schließlich ist Gerlach bei soviel Arbeit wieder gesund geworden ;-)

Fazit: Wieder ein spannender Fall! Gerlach als Privatermittler muss für meinen Geschmack aber nicht sein, er handelt ja auch im Dienst nicht ausschließlich nach den Buchstaben des Gesetzes.

Bewertung vom 10.07.2018
Giftmorde

Giftmorde


sehr gut

Schon die „Giftmorde 1“ hatten mir auf unterhaltsame Weise verdeutlicht, was so alles an tödlichen Waffen im heimischen Garten wächst. Morde mit Gift sind meist gut durchdacht und geplant, bei den hier verwendeten Giften kommt noch hinzu, dass sie selbst hergestellt werden aus natürlichen (und meist auch schön anzusehenden) Zutaten.
Für diese Anthologie hat Andreas M. Sturm wieder tödliche Anleitungen von Mitautorinnen und -autoren gesammelt und natürlich auch selber eine Geschichte beigetragen.

Der Leser darf sich erneut auf eine große Vielfalt freuen. Unter den fünfzehn Geschichten finden sich auch historische, sogar eine phantastische ist dabei. Die Handlungen und Motive sorgen ebenfalls für Abwechslung, ich war sehr erfreut, auch im zweiten Band immer wieder Neues zu lesen. Zwar gibt es natürlich die klassischen Mordmotive wie Rache, Eifersucht und Gier, hier tauchen aber noch diverse andere auf. Besonders schön ist, dass man bei vielen Geschichten vom dem Schluss und/oder der Auflösung überrascht wird. Hier siegt nicht immer das Gute, hier kommen nicht alle Protagonisten mit ihren Plänen durch. Manches läuft wie im wirklichen Leben völlig anders als gedacht und nicht immer gerecht. Mir gefiel diese Unvorhersehbarkeit sehr!

Wie immer habe ich jede Geschichte einzeln bewertet. Sechs von ihnen erhielten von mir 5 Sterne, dreimal vergab ich 4 Sterne. 3 Sterne gab es von mir für fünf Geschichten, eine konnte mich nicht erreichen und erhielt lediglich 2 Sterne. Im Schnitt ergibt das eine Wertung von 3,9, also verdiente 4 Sterne.

Fazit: Abwechslungsreiche und gelungene Krimiunterhaltung, hier ist für jeden etwas dabei. Ich freue mich, dass „Giftmorde 3“ schon in meinem Bücherregal auf mich wartet.

Bewertung vom 10.07.2018
Tod in der Marsch
Nygaard, Hannes

Tod in der Marsch


gut

»Man hört so viel von Kindesentführung, schoss es Frau Pohl durch den Kopf. Doch sie beruhigte sich gleich selbst wieder: Quatsch! Nicht bei uns. In Husum gibt es so etwas nicht.«

Hauptkommissar Christoph Johannes wird aus Kiel nach Husum versetzt. Die Arbeit der Polizei dort stellt normalerweise keine allzu große Herausforderung dar, doch diesmal ist es anders. Eine junge Frau und ihre kleine Tochter werden vermisst und Christoph und seine Kollegen merken schnell, dass etwas Furchtbares geschehen sein muss.
Die Suche nach den Vermissten führt die Beamten in ein kleines Dorf, in dem das Leben sicher und das Umfeld idyllisch erscheint. Vorausgesetzt natürlich, man gehört zur alteingesessenen Dorfgemeinschaft…

Dieser Krimi hatte mich thematisch und von der Örtlichkeit her sehr gereizt. Gerne hätte ich eine noch bessere Bewertung abgegeben, doch erscheint mir speziell die Krimihandlung arg vorhersehbar, hielt für mich keine großen Überraschungen bereit.
Wenn man aber über die Krimihandlung hinausblickt, wird es interessant. Hier dreht sich alles um Opfer, Außenseiter und gesellschaftliche Verlierer. Das vermeintlich gesunde Volksempfinden hat schnell einen Schuldigen ausgemacht, Christoph und sein Team hingegen suchen weiter den wahren Täter. Eine Auflösung gibt es, ein glückliches Ende sieht aber anders aus. Insofern erscheint das Buch leider sehr realistisch.

Einer von Christophs Kollegen scheint ein interessanter Charakter zu sein, seine Aktivitäten und sein Verhalten ließen mich manches Mal grinsen. Er befindet sich in einer nördlichen Küstenregion und benimmt sich wie im vielzitierten Wilden Westen. Die übrigen Charaktere, auch Christoph selbst, blieben blass und erscheinen auch nicht gerade vielschichtig. Ich sehe hier aber trotzdem Entwicklungspotential und werde daher schauen, wie es im Folgeband weitergeht.

Fazit: Als Krimi nur Durchschnitt, aber eine sehr gute Milieustudie. Ich gebe der Reihe mit Band 2 eine weitere Chance.

Bewertung vom 10.07.2018
Essen kommen!
Kujawski, Tine; Muschiol, Claudia

Essen kommen!


sehr gut

Dieses Buch nennt sich selbst das „sentimentalste Kochbuch der Welt“. Tatsächlich geht es um mehr als um Rezepte, es geht auch um ganz viel Kindheitserinnerungen.

Die Autorinnen haben sich erinnert. An den Essensduft im Treppenhaus, wenn man aus der Schule nach Hause kam. An sonntägliche Festessen, Belohnungsnachtisch und Geburtstagskuchen, an Lieblingsgerichte, die man gerne jeden Tag verspeist hätte und an „Gruselfood“ aus der Rubrik „Ihhhhh … nicht schon wieder!“ Und weil sie zwar wussten, wie man Sushi macht, aber nicht, wie man Reibekuchen backt, haben sie ihre Mamas (und die Mamas weiterer Freundinnen) nach den Rezepten gefragt.

So ist dieses Kochbuch eine Ansammlung von alltagstauglichen Rezepten, lecker, sattmachend und meist nicht allzu aufwändig. Mir kam sehr viel davon bekannt vor und weckte Erinnerungen. Wobei das Gruselfood heute meist gar nicht mehr so gruselig ist ;-)
Die Mamas waren ehrlich, da stehen auch durchaus „Maggi“ oder „Miracoli“ im Rezept. Da wird noch mit Butterschmalz gebraten und Kalorien- bzw. Nährwertangaben fehlen völlig. Die spielten (auch in meiner Erinnerung) einfach keine Rolle damals. Bei jedem Rezept gibt’s noch ein Eckchen, in dem man eigene Notizen (bzw. Notizen der eigenen Mama) unterbringen kann.
Die Rezepte selbst sind leicht geschrieben und gut nachzumachen. Abbildungen gibt’s nicht immer, wenn man sie als Kind gegessen hat, weiß man aber, wie die Gerichte aussehen. Was es allerdings gibt, sind viele alte Fotos von essenden, naschenden, teigschüsselausleckenden Kindern, die (mit anderen Gesichtern natürlich) auch aus dem eigenen Fotoalbum stammen könnten.

Zwischen den Rezepten erinnern sich die Autorinnen an die unterschiedlichsten Dinge rund um das Thema Essen in der Kindheit. Da gibt es eine Aufzählung der nervigsten Ermahnungen beim Essen, eine Abhandlung über geschwisterlichen Futterneid, die Trickkiste der Eltern und vieles mehr. Sehr gut gefiel mir auch der an ein Schulbuch erinnernde Schutzumschlag (sehr praktisch außerdem) und das Prilblumen-Cover.

Fazit: Rezepte aus der Kindheit, viel Unterhaltungs- und Erinnerungswert. Wer zudem noch Ideen für das Buffet der nächsten Retro-Party sucht, wird hier sicher fündig. Das einzige was fehlt, ist die Mama, die die leckeren Sachen gekocht hat, wenn man von der Arbeit nach Hause kommt ;-)

Bewertung vom 10.07.2018
Der Schattenreiter
Conrath, Martin

Der Schattenreiter


gut

»Das Tor öffnete sich automatisch, wenn er einen bestimmten Punkt passierte. Starke Motoren zogen es in drei Sekunden nach oben. Sobald er die Garage verlassen hatte, schloss es sich ebenso schnell und automatisch. Sein Jeep und die Garage kommunizierten miteinander. Darüber staunte er immer wieder. Tote Dinge, die miteinander sprachen. So wie sein Navi und die Satelliten. Hat nicht jeder, der kommuniziert, eine Seele? Und kann man Seelen nicht töten? Natürlich. Er konnte Seelen töten, er konnte Wesen töten und Maschinen. Sogar das Tote konnte er töten.«

Im Saarland treibt ein Pferderipper sein Unwesen, schon zahlreiche Tiere fielen ihm zum Opfer. Eigentlich aber kein Fall für Kriminalhauptkommissar Martin Bremer, in dessen Aufgabenbereich die Aufklärung von Morden gehört. Doch dann wird auf eine Rechtsanwältin zu Pferd ein Anschlag verübt und plötzlich scheint es Verbindungen zu dem Ripper zu geben. Seine Ermittlungen führen Bremer auf einen nahgelegenen Reiterhof, was nicht unproblematisch ist, da er panische Angst vor Pferden hat…

Dieses Buch lässt mich ein wenig zwiespältig zurück. Lange Zeit habe ich mich gut unterhalten gefühlt, die Thematik mit dem Pferderipper ist ungewöhnlich, weshalb ich sie als reizvoll empfand. Obwohl mein tierliebes Herz an einigen Stellen laut aufschrie, speziell Pferdefreunde sollten sich gut überlegen, ob sie sich das hier antun wollen!
Daneben stehen natürlich noch weitere Themen im Fokus, allen voran der Mordanschlag auf die äußerst engagierte Rechtsanwältin. Als aktives Mitglied des Weißen Rings schlägt ihr Herz für den Opferschutz, kämpft sie dafür mit viel Einsatz und sammelt entsprechend reichlich Feinde. Viel Ermittlungsarbeit für Bremer und sein Team. Das hat mir alles sehr gut gefallen und die Art, wie Bremer sich seiner Angst stellt, fand ich klasse und spannend.

Jetzt kommt das „Aber“. Bei der Auflösung habe ich kopfschüttelnd in mein Buch gestarrt und mich gefragt, was das jetzt soll. Es gibt Motive, die erschließen sich mir einfach nicht, die empfinde ich nicht als logisch nachvollziehbar. Dieses hier gehört dazu. Andere Leser mögen das anders empfinden, mich hat der Schluss des ansonsten unterhaltsamen Krimis geärgert.

Fazit: Gute Idee, interessante Thematik und über weite Teile spannend. Die Auflösung hinkt aber für mein Empfinden.

Bewertung vom 10.07.2018
Wir sind dann wohl die Angehörigen
Scheerer, Johann

Wir sind dann wohl die Angehörigen


ausgezeichnet

»Johann, ich muss dir etwas sagen.«

Johann Scheerer wird diesen Morgen des 25. März 1996 nie vergessen. Diesen Morgen, an dem seine Mutter ihn weckte und ihm von der Entführung seines Vaters, Jan Philipp Reemtsma, erzählte.
Bis zu diesem Tag hatte sich sein Leben um die normalen Probleme eines 13jährigen gedreht, um Pubertät und Klassenarbeiten. Von einem Moment auf den anderen tritt an die Stelle der Angst vor der anstehenden Lateinarbeit die Angst um das Leben seines Vaters.
»Die Entführer werden das Geld bekommen, und dann werden sie ihn ermorden. So läuft das immer, wieso sollte es diesmal anders sein?«

In diesem Buch teilt er seine Erlebnisse und Empfindungen während der 33 Tage dauernden Gefangenschaft Reemtsmas mit dem Leser. Seine Art zu schreiben hat mich gleich von der ersten Seite angesprochen. Offen berichtet er über das Gefühlschaos, das in ihm tobte, den ersten Schock, die offenen und verdrängten Ängste. Und das schlechte Gewissen, das ihn ständig plagte, mit Fragen wie: Wie geht es gerade meinem Vater? Leidet er in diesem Moment, in dem ich zur Ablenkung Gitarre spiele oder fernsehe? Wobei die Möglichkeiten zur Ablenkung stark eingeschränkt waren, Polizei und Reporter keinen normalen Alltag zuließen, das Warten auf die nächste Nachricht der Entführer alles bestimmte.

Scheerer schildert detailliert die Ereignisse rund um die Entführung, die Telefonanrufe und Erpresserbriefe, die Übergabeversuche des Lösegeldes, die vielen Beratungen mit der Polizei. Und ebenso intensiv erzählt er von Sorgen und Hoffnungen, von quälender Langeweile und dem schon erwähnten schlechten Gewissen. Es ist eigentlich schon kompliziert genug, 13 Jahre alt zu sein. Auch Johann hatte an sich begonnen, sich abzunabeln, erste Schritte zum Erwachsenwerden getan. Und nun befindet er sich unter lauter Erwachsenen in einer Extremsituation, fühlt sich hilflos und überflüssig. Zudem merkt er, dass ihm irgendwelche Dinge verschwiegen werden, dass ihm Infos „kindgerecht“ vermittelt werden. All das lindert das Gefühlschaos in keiner Weise, bringt eher noch seine lebhafte Phantasie dazu, immer neue Horrorszenarien zu entwickeln.

Jan Philipp Reemtsma wurde nach 33 Tagen gegen Zahlung eines Lösegeldes von rund 30 Mio. Mark freigelassen. Nach diesen 33 Tagen war sein Leben und das seiner Angehörigen ein anderes geworden.

Fazit: Sehr intensiv und persönlich. Bei diesem sehr natürlich erzählten Bericht eines 13jährigen fühlt man auf jeder Seite mit.

»Die Worte kamen aus seinem Mund, erreichten meine Ohren und konnten nichts bewirken, um die große Leere in meinem Kopf zu füllen. Rauschen, Dröhnen und Taubheit. Ich merkte, dass ich schon innerhalb dieser wenigen Stunden jemand anderes geworden war. Ich kannte ihn noch nicht, doch fürchtete ich mich davor, ihn kennenzulernen.«

Bewertung vom 20.06.2018
Mein Leben als Dosenöffner
Ludwig, Mario

Mein Leben als Dosenöffner


ausgezeichnet

»Katzen sind wahre Zaubertiere. Auf der einen Seite stolz und unnahbar, auf der anderen Seite zärtlich und verschmust. Freiheitsliebend und doch anhänglich. Und dann ist da noch diese einmalige Eigenschaft, dass sie sich von „ihrem“ Menschen keineswegs erziehen lassen, sondern im Gegenteil ihren „Dosenöffner“ schon nach wenigen Wochen locker um den Finger wickeln. Das Unglaubliche: Der auf subtile Art domestizierte nützliche Idiot genießt das auch noch.«

Mario Ludwig ist Biologe, Autor von mehr als 20 Büchern, regelmäßiger Verfasser von Artikeln in Zeitschriften und Zeitungen und präsent in Radio und Fernsehen. Als er vor Jahren vom Hundemenschen zum Dosenöffner mutierte, begleitete er diesen Vorgang mit wissenschaftlicher Neugier. So las er sich kreuz und quer durch die existierende Katzenfachliteratur und diskutierte mit selbsternannten Katzenpsychologen.

In diesem Buch lässt er den Leser teilhaben an seinen persönlichen Erlebnissen mit den schnurrenden Vierbeinern Pünktchen und Spikey. Nach jeder Episode gibt es einen hochinteressanten Infoteil mit abwechslungsreicher Thematik. Da kann es zum Beispiel um die Herkunft von Sprichwörtern gehen („die Katze im Sack kaufen“, „einen Kater haben“) oder um Gerichtsurteile (Stichwort: Nachbargarten als Katzenklo). Fasziniert haben mich auch wissenschaftliche Ausführungen zu Themen wie zum Beispiel „wie finden Katzen nach Hause?“ (ich hatte noch nie zuvor von Hörbildern gehört!) oder die Frage, ob Katzen auch Alzheimer bekommen können.
Ferner werden besondere Katzen vorgestellt, zum Beispiel die erste geklonte Katze, eine Spionagekatze, eine Katze im Zeugenstand oder der „unsinkbare“ Kater Oskar, der während des 2. Weltkriegs als Schiffskater innerhalb von sechs Monaten die Versenkung von drei Schiffen erlebte und überlebte.

All diese informativen Abschnitte sind eingebettet in herrlich unterhaltsame Geschichten über Pünktchen und Spikey. Ihr Dosenöffner schreibt mit Augenzwinkern und ganz viel Liebe, das merkt man deutlich. Vermutlich wird Vieles den meisten anderen Dosenöffnern mehr oder weniger bekannt vorkommen, das mindert aber sicher nicht den Spaßfaktor beim Lesen. Und um Katzenklappenkriege zu erleben, muss man ohnehin mindestens zwei Fellnasen haben.
Jede Episode wird eingeleitet durch ein Zitat, da sind bekannte und weniger bekannte dabei oder solche von Berühmtheiten. Witzige Zeichnungen runden alles perfekt ab.

Fazit: Ein großer Lesespaß und dazu noch sehr informativ. Pflichtlektüre für Dosenöffner und Tierfreunde.