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leseleucht
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Alfter

Bewertungen

Insgesamt 123 Bewertungen
Bewertung vom 14.04.2024
Gussie
Wortberg, Christoph

Gussie


ausgezeichnet

Endlich erzählt
Die Geschichte der Gussie Adenauer, der zweiten Frau von Konrad Adenauer, war mir bisher nicht bekannt und ist in Buchform meiner Kenntnis nach auch noch nicht erzählt worden. Diese bedauerliche Lücke schließt der Autor Christoph Wortberg mit dem vorliegenden Roman dankenswerter Weise.
Auf zwei Zeitebenen lässt er Gussie ihr Leben mit und für Konrad Adenauer erzählen. Einmal nach dem Ende der Schreckenszeit während Krieg und Drittem Reich, hierbei auch mit Rückblicken auf ihre Kindheit, was die Chronologie bisweilen etwas verwirrt. Und dann während der Jahre der Machtergreifung bis zur letzten Inhaftierung Adenauers in einer Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald.
Die Beziehung zu Adenauer ist zugleich Gussies größte Herausforderung und sinnstiftende Konstante in ihrem reichen, aber auch gefahrenreichen Leben. Als junges Mädchen entscheidet sie sich für die Ehe mit einem bereits verwitweten Mann, Vater von drei Kindern, Oberbürgermeister von Köln, Gegner der Nazis, Katholik und ein verschlossener Charakter. Durch die Machtergreifung Hitlers gerät er in große Gefahr, muss mehrfach abtauchen, umziehen und wird immer wieder abgeholt und verhört. Eine Herausforderung auch für seine junge Frau, die ihm selbst noch vier weitere Kinder geboren hat. Immer in Angst um ihn, aber auch um ihre Kinder versucht sie ihren „Mann“ an seiner Seite zu stehen, ohne allzu sehr einem eigenen Leben, vielleicht als Musikerin, nachzutrauern. Sie geht mit ihm alle schweren Wege bis zu dem Moment, an dem sie zwischen ihm und ihren Kindern wählen muss.
Christoph Wortberg gelingt es, das eindrückliche Porträt einer beeindruckenden Frau zu malen. Er bedient sich der Informationen aus familiären Quellen und ihren Briefen und verwebt sie mit Fiktion zu der Gedanken- und Gefühlswelt einer Frau, in die der Leser sich gut eindenken und -fühlen kann. Beeindruckend ist ihre Lebenshaltung wider alle Repressalien und Gefahren, ihre tiefe und bodenständige Liebe zu einem Mann, den sein politisches Leben zu einer gewissen Härte und zum Verschließen seiner Gefühle zwingt, ihr Familiensinn, ihre aufrechte Haltung und ihre Liebe zum Leben.
Der Autor verwendet eine klare, gut lesbare Sprache, ohne dabei auf Emotionalität, eindrückliche Bilder und lebensphilosophische Betrachtungen zu verzichten. Vielleicht wird das Buch an einigen Stellen zu sentimental, aber im Nachklang bleibt auf jeden Fall die starke Intensität der Beziehung zwischen Gussie und Konrad Adenauer, die Sympathie für eine bewundernswerte, starke, mutige, lebenskluge und -hungrige Frau, der zu Unrecht zu lange kein ehrenvolles Denkmal gewidmet wurde. Das hat der Autor mit seinem Roman zu Recht nachgeholt.

Bewertung vom 07.04.2024
Elyssa, Königin von Karthago
Vallejo, Irene

Elyssa, Königin von Karthago


ausgezeichnet

Der Neid der Götter
Der Roman „Elyssa“ schreibt die Geschichte der unglückliche Liebe zwischen Elyssa und Aeneas neu. Doch das Grundgerüst bleibt: Aeneas wird mit seinen Versprengten nach dem Untergang Troias und langer Odyssee an die Küsten Afrikas gespült. Er ist auf göttlicher Mission, soll er doch ein neues Land für sein restliches Volk im fernen Italien finden. Da kommt ihm die Liebe der Karthager Königin Elyssa dazwischen. Könnte Karthago die neue Heimat sein? Oder muss er wieder in See stechen mit ungewissem Ausgang? Aber auch vor den Toren Karthagos lauert der missgünstige Feind, der sich die Königin und ihre Karthager und damit ihren Reichtum und ihre Macht unterwerfen will. Droht Aeneas das Schicksal eines zweiten Troia?
Irene Vallejo erzählt die Geschichte aus vielen verschiedenen Perspektiven: aus der weiblichen Sicht der Königin Elyssa, die nach Flucht und Jahren als Herrscherin unter Männern, ohne Nachfahren, aus einer nicht aus Liebe geschlossenen Ehe nun Liebe und Begehren in Aeneas findet, doch von ihren Selbstzweifeln und der Sehnsucht nach Ankommen weiter geplagt. Aus der Sicht der jungen Anna, die die Rolle einer Prophetin zukommt. Als Außenseiterin, Verstoßene hat sie einen distanzierten Blick auf die Menschen. Aber auch sie sehnt sich nach Gemeinschaft und eine Heimat in Frieden und Ruhe. Auch Aeneas ist ein Vertriebener, kriegsmüde und zugleich auf der rastlosen Suche nach einer Heimat, in der Gesetze regieren sollen und nicht mehr die Waffen, in der es keine Gewalt und keinen Krieg mehr geben soll.
Auch der Dichter Vergil kommt zu Wort: Er soll ein Epos zu Ehren des Augustus, des Bringers der pax Augusta, schreiben, doch fehlen ihm lange die Worte, fühlt er sich doch verraten und verkauft an die Gunst des Augustus und unfrei und auch auf eine gewisse Art heimatlos.
Am Interessanten für mich ist die Perspektive des Gottes Eros. Der Liebesstifter betrachtet mal philosophisch versonnen, mal mit einer gewissen Selbstironie die Menschen und die Götter. Er fragt sich nach der Rolle der Götter in der Welt der Menschen. Schon ihm gelingt es nicht, dass sich die Menschen seinem Liebeswillen beugen. Als Liebesstifter versagt er immer wieder, die Menschen sind zu komplex für eine einfache Liebesspielerei. Aber sind nicht alle Götter Illusionen der Menschen, ihr eigenes Tun zu legitimieren? Zugleich beneidet Eros die Menschen um ihre Fähigkeit zu Liebe und Leidenschaft, um ihre Vergänglichkeit, aus der allein Neues entstehen kann, im Gegensatz zur ewig gleichbleibenden Unsterblichkeit der Götter, und vor allem um ihre Fähigkeit, Geschichten zu erfinden und so das Vergangene und das Gegenwärtige zu verweben und der Vergänglichkeit zu entrücken.
In schönen Bildern und anmutiger Sprache, die auch die Übersetzung zu wahren weiß, spinnt Irene Vallejo genauso wie einst Vergil eine dieser Geschichten, um die uns die Götter durchaus beneiden können.

Bewertung vom 04.04.2024
Ostseefinsternis / Pia Korittki Bd.19
Almstädt, Eva

Ostseefinsternis / Pia Korittki Bd.19


gut

Okay

Ein Überfall und ein Mord in dem kleinen Ostseestädtchen Kaltenbrode, in dem Pia Korittki mit ihrer Familie Urlaub macht und in dem sie ihren 19. Kriminalfall lösen muss. Und beides scheint miteinander in Verbindung zu stehen und mit einer alten Fehde der Familien der Hagendorfs und Böttchers zusammenzuhängen.
Die Zahl der möglichen Täter ist groß, die falschen Fähren, denen die Ermittler nachspüren vielfältig. Als einer der Hauptverdächtigen Pias Sohn bedrohlich nahe kommen könnte, liegen nicht nur ihre eh schon angeschlagenen Nerven blank, sondern auch ihre Beziehung erfährt eine Belastungsprobe.
Der Krimi ist solide gemacht.
mit spannenden Momenten wie dem Bewegungsprofil des Täters, aber auch Längen, dem Hin und Her zwischen verschiedenen Verdächtigen. Mit interessanten Figuren, wie der blinden Helmgard Böttcher, der für mein Gefühl mehr Raum hätte gegeben werden können. Mit den üblichen Verdächtigen, enttäuschten Liebhaber:innen, zwielichtigen Geschäftspartnern, Macht ausübenden Familienangehörigen, aber auch überraschenden Wendungen. Ob man mit dem Ende als Leser zufrieden ist, möge jeder am Ende der Lektüre selbst entscheiden.

Bewertung vom 04.04.2024
Kantika
Graver, Elizabeth

Kantika


gut

Fremd
Rebecca Cohens ist immer die Fremde: fremd in ihrer Geburtsstadt als Jüdin in der Türkei, fremd als Jüdin in Spanien, das die Juden einst gewaltsam vertrieb und in das Rebecca mit ihrer Familie nun ziehen muss, als ihr Vater alles Hab und Gut verliert und die Zeichen für die Juden in der Türkei ungünstig stehen. Fremd in ihrer Ehe mit einem Mann, den sie kaum kennt, mit dem sie zwei Kinder hat und der mehr in der Welt herumstreift als zu Hause zu sein. Fremd dann auch in Amerika, wohin sie aufgrund der sich zuspitzenden Lage für die Juden in Europa von ihrer Familie geschickt wird. Als Witwe nun auch Fremde in einer neuen Ehe mit einem Fremden mit einer fremdartigen Tochter, die durch einen Geburtsfehler an einer Gehirnerkrankung leidet.
Auch wenn es ihr vielleicht nicht gelingt, heimisch zu werden, so verlässt Rebecca Cohens doch nie der Mut und die Kraft, sich den Schwierigkeiten zu stellen und die Herausforderungen anzupacken, die ihr das Leben stellt. Bis zum Schluss bewahrt sie sich dabei auch so etwas wie Lebensfreude, der sich in ihren Liedern äußert, die einen roten Faden durch ihre Odyssee darstellen könnten.
Auch wenn ein Roman, so enthält er doch viele reale Züge aus der Familiengeschichte der Autorin, die sich in dem Buch auf zu den Wurzeln ihrer Geschichte macht.
Bewundernswert ist sie auf jeden Fall, die Heldin ihrer schweren Lebensgeschichte, Rebecca Cohen. Doch bleibt sie auch mir fremd bis zum Schluss, sowie auch ihr Leben in den verschiedenen Ländern, das so ganz anders ist: eine Mischung aus Aberglauben, Spiritualität und Religion auf der einen Seite und Pragmatismus, Alltagstauglichkeit und Eigenständigkeit auf der anderen. Befremdend finde ich auch manche im Buch geschilderte Szene, befremdlich auch die Charaktere des merkwürdigen ersten Mannes von Rebecca, ihres eigenwilligen Vaters, ihres gut, aber auch sehr rigide wirkenden zweiten Mannes, ihrer Söhne sowie ihrer Stieftochter Luna. Ich habe mich nicht leicht eingelesen in dieses Leben.

Bewertung vom 23.03.2024
Der heimliche Beobachter
Unger, Lisa

Der heimliche Beobachter


gut

Böser Genpool
Hannah und ihr Mann Bruce wollen ein luxuriöses Wochenende mit Hannahs Bruder, seiner Frau, einer guten Freundin und derem neuen Lover in exklusiver „Hütte“ im tiefsten Wald verbringen, in einer Gegend, in der es schon mal ein Unwetter gibt und alles von der Außenwelt abgeschieden ist.
Perfekter Ort für ein unheimliches Verbrechen, denn die sechs sind nicht allein in dieser Wildnis. Sie werden gleichzeitig von verschiedenen Seiten beobachtet.
Das Setting verspricht viel Spannung, die Einleitung hingegen ist relativ lahm. Die Autorin braucht 120 Seiten, bis denn alle drei Paare mit ihren Lifestyle-Problemen vorgestellt und in dem einsamen Luxusressort angekommen sind.
Der Mittelteil nimmt dann ein wenig an Fahrt auf. Die Konstellation zwischen den drei Paaren ist nicht ohne Spannungen, und als ein Unwetter aufzieht, ist dem Leser klar, dass nun bald eine dramatische Wende eintritt, zumal der neue Lover von Hannas Freundin plötzlich verschwunden ist.
Parallel dazu entspinnt sich die Geschichte um den Jungen Henry, der seine Mutter durch einen tragischen Mord verliert, seinen Vater nicht kennt und über ein Unternehmen, dass durch DNA-Tests die Möglichkeit eröffnet, Verwandte zu finden, eine Tante kennenlernt, über die er die Spur zu seinem Vater aufnimmt. Dieser hat als Samenspender viele Nachkommen „gezeugt“, sodass Henry viele Halbgeschwister hat, zu denen er Kontakt über die Gen-Datenbanken aufzunehmen versucht. Dabei enthüllt sich das dunkle Geheimnis seines Vaters.
Womit wir im Schlussteil angelangt wären, der allerdings ein für mich arg konstruiertes Motiv für denjenigen enthüllt, der Hannah und ihrer Familie auf den Fersen ist und sie auszulöschen droht. Auch der Showdown im Ferienidyll ist nicht wirklich logisch. Für den langen Weg, den der Täter gegangen ist, agiert er letztlich doch ziemlich kopflos.
Bei all den Krimis auf dem großen Markt gibt es für mich eindeutig lohnendere Fälle.

Bewertung vom 11.03.2024
Trabant
Sommer, Stefan

Trabant


sehr gut

Herr (im) Himmel
denkt man sich bisweilen als Leser, wenn man die Geschichte von Georg Himmel oder viel mehr die Geschichten von ihm liest.
Eine mysteriöse SMS seines Vaters veranlasst ihn, den Sonderling, den Andersartigen, den Sternengucker, den Träumer, den Hirngespinstler, fluchtartig die Hochzeits(vor)feier seines besten Freundes mit dem alten Familienopel Corsa zu verlassen und über die Alpen nach München zu düsen, um seinen Vater vor einem großen Fehler zu bewahren. Wie er denkt. Auf seiner Fahrt durch die Nacht sucht er in seinen Erinnerungen nach Indizien dafür, dass die Ehe seiner Eltern zu scheitern droht. Dabei ist doch seine Familie neben seinem besten Freund das, was ihn in seinem von Ängsten, Sorgen und Paranoien geprägten Leben Halt und Wärme gibt. Aber war das alles nur eine Illusion, sind seine Eltern die, für die er sie hält? Merkwürdige Dinge und Zeichen ereignen sich an einem Tag mit Schnapszahldatum, dass eine Menge Heiratswilliger auf die Straßen treibt, um dieses Datum für ihren Hochzeitstag zu nutzen, auch eine Prinzessin und einen Agenten, der diese entführen will – laut Internet. Und die Anzeichen verdichten sich – zumindest für Georg Himmel, dass er diesen Agenten besser kennt, als er sich eingestehen möchte. Oder doch nicht?
Dazu kommt noch das abrupte Verschwinden eines roten Sternes, de Beteigeuzes, der Georg Himmel schon seit Kindheit ein Wegweiser und Verbindungsglied zum Vater zu sein scheint.
So ist nicht nur der Nachname des Protagonisten ein sprechender, sondern auch der Titel des Büchleins doppeldeutig: zum einen kann man ihn auf diesen Stern beziehen, zum anderen auf Georg Himmel selbst, der die Eltern wie ein Trabant umkreist. Dass er dabei in seiner Wahrnehmung ein wenig die Umlaufbahn verlässt und sich in Phantasien, gespeist aus der nachträglichen Deutung vergangener Familiengeschichten, versteigt, in denen die Phantasie mit der Wirklichkeit ihr Spiel treibt, macht ihn für den Leser nur sympathischer.
Er ist schon wirklich ein komischer, aber herzerwämender Held, dieser Georg Himmel. Diesen Eindruck erhält der Leser sowohl aus seinen Verhaltensschrullen auf der weiten Reise heimwärts, die man noch den Umständen schulden darf, als auch aus den vielen Episoden aus seiner Kindheit. Dabei wächst er einem zusehends ans Herz, wie er vor Angst vor dem ersten Referat nicht schlafen kann, wie er nach dem Abitur aus Protest ein halbes Jahr auf einem Parkplatz vor einem Möbelhaus campiert, wie er als Hausmeister in einem Planetarium zu arbeiten beginnt und dann auf einmal mit seiner Soziophobie zum Sprecher der Sternenreise wird. Und alles immer begleitet, getragen und behütet von seinen Eltern, deren vermeintliche Trennung für Georg den Zusammenbruch seines Universums bedeuten würde, den es heldenhaft zu verhindern gilt.
Nur das vage Ende lässt den Leser ein wenig unversöhnlich zurück mit diesem ansonsten so kleinen feinen Büchlein.

Bewertung vom 02.03.2024
Die Burg
Poznanski, Ursula

Die Burg


gut

KIsmet - Wenn die KI über dein Leben bestimmt
Eine Gruppe Auserwählter – Influencerin, Preisrätslerin, Erfolgsgamer, Escape-Room-Betreiber – sind eingeladen das Riesenprojekt des Milliardärs Nevio zu erproben: Er hat mit Unsummen eine mittelalterliche Burg in ein gigantisches Escape-Room-Projekt verwandelt. Besonderheit: Die Escape-Rooms können von einer KI in beliebig viele verschiedene Settings verwandelt werden, je nach Gusto der Besucher. Kein Raum soll jemals dem anderen gleichen. Allerdings übernimmt die KI auf der Proberunde bald selbst die Zügel und die Probanden sitzen in einer tödlichen Falle. Der kontrollierenden Außenwelt spiegelt sie heile Welt vor, die Betroffenen aber merken bald, dass die KI immer wieder ihre Realität verändert und zwar in eine schaurige Gruselwelt with no escape.

Wie gewohnt ist Ursula Pouznansky eine Meisterin darin, virtuelle Welten vor den Augen der Leser:innen entstehen zu lassen, in unendlichen Variationen, bis ins kleinste gruselige Detail. Und wie auch sonst vermischen sich immer wieder Spiel- und Wirklichkeitsebene, immer wieder verfangen sich Protagonisten und Leser:innen in den Vexierbildern virtueller und realer Welten. Dabei übernimmt die perfide KI immer mehr die Regie über ein ausweglos scheinendes, endlos marterndes Spiel um Leben und Tod. Die Kreaturen und Aufgaben, denen sich die Gruppe stellen muss, nimmt immer skurilere und bedrohlichere Formen an.
Mir fehlt allerdings eine Figur, wie z. B. in Erebos, mit deren Schicksal ich mitfiebern kann und so wird der mühsame Weg aus der Burg auch ein wenig mühsam beim Lesen.
Die Message, dass KI, einmal entfesselt und losgelassen, ein Eigenleben entwickelt und schwer zu kontrollieren kann, ist nicht neu, allerdings phantasievoll verpackt. Dass die Autorin keine KI für das Schreiben ihrer Romane braucht, zeigt ihre blühende Phantasie.

Bewertung vom 25.02.2024
Bücher? Nein, danke! / Lesen nervt! Bd.1
Schumacher, Jens

Bücher? Nein, danke! / Lesen nervt! Bd.1


ausgezeichnet

Findest du auch, Lesen NÄRVT?
Dann findest du in Karoline Kneberwecht eine Verbündete. Die schräg bunte Spinnendame mit der Vorliebe für Fencheltee fühlt sich durch Büchereibesucher, die viele Bücher aus dem Regal ziehen und so ihr Spinnenhaus zerstören, in ihrer Ruhe gestört. Also führt sie einige gewichtige Argumente gegen das Lesen ins Feld.
Wenn du diese auch gegen Lehrer und Eltern und andere Leute, die dich zum Lesen überreden wollen, ins Feld führen willst, musst du allerdings erst einmal das kleine Büchlein „Lesen nervt!“ lesen. Und es könnte sein, dass am Ende eine kleine Überraschung auf dich wartet.

Liest du gern?
Dann glaubst du jetzt vielleicht, das Buch sei nichts für dich. Aber wenn du lustige Geschichten, Wort- und Bilderrätsel, bunte Bilder und nicht nur lesen, sondern dabei auch selbst aktiv werden magst, dann könnte dir dieses Buch großen Spaß und ein paar vergnügliche Lesestunden bereiten.

Denn wenn es so tolle Bücher gibt wie „Lesen nervt!“ dann ist Lesen auf jeden Fall „lustig, spannend, romantisch, abenteuerlich und ein toller Zeitvertreib“ und Lesemuffel haben keine Chance.
Also auf: lesen und mitmachen!

Bewertung vom 09.02.2024
Das Lächeln der Königin
Gerhold, Stefanie

Das Lächeln der Königin


ausgezeichnet

Mäzen der Kunst und der Menschlichkeit
„Was hatten sie Berlin nicht alles hinterlassen, was hatten sie nicht alles getan, um ihr Land voranzubringen auf seinem Weg zu wirtschaftlicher Prosperität und kultureller Blüte.“
Dieses Zitat aus dem Roman „Das Lächeln der Königin“ von Stefanie Gerhold gilt auch für ihren Protagonisten, den Baumwollfabrikanten James Simon. Er ist Kunstsammler, der seine Renaissance-Sammlung bedeutender Maler dem Berliner Museum stiftet, der Kinderhäuser und Armenhäuser unterstützt, der sich für die sozialen Belange seiner Angestellten einsetzt, auch noch, als die die Wirtschaftskrise seine Firma aufzufressen droht. Und er ist nicht zuletzt der Mann, der sich der Archäologie verschrieb, ohne je selbst die Ausgrabungsstätten in Ägypten besucht zu haben. Er ist es, der die berühmte Büste der Nofretete ins Berliner Museum bringt.
Doch erntet nicht er die Begeisterung des Berliner Volkes für ihre „Königin“, sondern er gerät in die diplomatischen Ränke zwischen Deutschland, Frankreich und England, die alle aus ägyptischen Schatztruhen schöpfen wollen. Es beginnt ein Feilschen um die „Königin“, deren Existenz in Berlin durch den Ausgang des Ersten Weltkrieges noch problematischer wird. Auf einmal schwebt der Vorwurf im Raum, der Jude James Simon habe sich ihrer unrechtmäßig bemächtigt, sie gehöre nach Ägypten. Der zunehmende Antisemitismus, der den Juden die Schuld am Verlust des Krieges und der Not der Deutschen gibt, bedrängt mal mehr, mal weniger offen auch James Simon, den einst so kultur- und menschenzugewandten Mann, der alles gegeben und am Schluss alles verloren hat.
Die Autorin zeichnet ein warmes, liebevolles Porträt dieses großherzigen, gütigen, feingeistigen, intellektuellen und aufgeschlossenen Mann, dem es nie um sich ging und der gerne alles Schöne und Gute mit allen zu teilen bereit war, und der am Ende aus seiner Welt der Musik, der Kunst, des Altertums und der Archäologie verdrängt wurde durch eine neue, laute, rohe Zeit.
In dem Roman „Das Lächeln der Königin“ kommt der Leser wir Simon selbst nie nach Ägypten, es ist kein Abenteuerroman, es geht nur mittelbare um ferne Länder, um das Abenteuer der Ausgrabungen. Der Leser ist mit Simon in Berlin und wartet auf die Dinge, die da kommen. Trotzdem entwickelt der Roman eine Spannung und einen Lesesog, der einen das Büchlein in seiner gut leserlichen Art nicht gerne wieder aus der Hand legen lässt.
In einer Zeit heute, in der der Antisemitismus auch wieder erstarkt, erscheint ein solcher Roman besonders wichtig, der uns auf ganz leise, aber eindringliche Art zeigt, wie sich bedrohlich langsam eine Entwicklung in Gang setzt, die aus Neid, Missgunst, Gier und Profilierungssucht und erst in zweiter Linie aus Dummheit zu einer menschlichen Katastrophe unermesslichen Ausmaßes wird.
„Und wozu hatte es geführt? Niveauvoller oder gar friedlicher hatte es die Menschen jedenfalls nicht gemacht, dass sie in den Museen nun als leuchtendes Beispiel den Reichtum früherer Hochkulturen präsentiert bekamen?“ Kann man den Menschen durch das Schöne zum Besseren erziehen? Und kann er aus der Geschichte endlich einmal lernen?

Bewertung vom 31.12.2023
Das Philosophenschiff
Köhlmeier, Michael

Das Philosophenschiff


gut

Fremd
Das Philosophenschiff ist per se ein spannendes Sujet: Auf ihm wurden die den russischen Revolutionären unliebsam gewordenen Inellektuellen, sofern sie nicht erschossen wurden, ins Ausland abgeschoben. So auch die 14jährige Anouk Perlemann-Jacob. An ihrem 100. Geburtstag beginnt, sie einem Schriftsteller von diesem Lebensabschnitt zu erzählen.
Beeindruckend ist, wie es dem Autor gelingt, den beiden Protagonistin so unterschiedliche Erzählstile in den Mund zu legen, dass man sie jeweils daran erkennt, ohne dass erklärt werden müsste, wer spricht. Dabei liegt mir die Sprechweise und die Figur des Schriftstellers ein wenig näher, auch wenn er insgesamt sehr im Hintergrund bleibt. Er ist eher eine Projektionsfläche für die Erzählung Anouk Perlemann-Jacobs. Ihr Art zu erzählen wirkt auf mich irgendwie hektisch und immer noch im Duktus einer 14jährigen, die ein lange gehütetes Geheimnis offenbart. Sie schildert eine düstere Zeit im revolutionären Russland und auf dem großen Ozeandampfer, der sie in eine ungewisse Zukunft bringt. Ihre Erlebnisse haben etwas geradezu Surreales, das sich damit aber auch einem klaren historischen Blick auf die Ereignisse entzieht. Ohne ein Minimum an Vorkenntnissen wäre es mir schwer gefallen, mich in die Geschehnisse eindenken zu können. Hinzu kommt das Erzählen in Zeitsprüngen, das ab und an auch auf Nebengleise abzudriften scheint und manchmal in Erzählschleifen auf bereits Erzähltes zurückkommt, dass es schwer macht, sich in einem Erzählsog wiederzufinden.
Für mich ist die Lektüre fremd und damit deutlich hinter meinen Erwartungen geblieben. Mir hat sich des öfteren die Frage aufgedrängt, was der Sinn dieser Erzählung sein könnte, die manchmal historisch, manchmal philosophisch, aber nichts davon eindeutig, daherkommt. Geht es einfach nur darum zu erzählen und das Spiel mit der Fiktion, wenn sie Anouk Perlemann-Jacob an einen Schriftsteller wendet, der niederschreiben soll, was sie ihm erzählt, in dem Wissen, dass alles Wahre sich hinter der Erfindung verstecken kann? Einige vermeintliche historische Ereignisse, auf die in diesem Büchlein rekurriert wird, kann man sich in der Wirklichkeit so vorgestellt haben, findet man aber nicht immer in ihrer Historizität verbürgt.