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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Luisabella
Wohnort: 
Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 187 Bewertungen
Bewertung vom 21.01.2024
Lichtungen
Wolff, Iris

Lichtungen


ausgezeichnet

»Lev mochte ihre Stimme, ihr Lächeln, und er begann, sich vorzunehmen, sie [Kato] zum Lachen zu bringen. Es gelang fast immer, und einmal fragte sie ihn, nachdem sie gemeinsam über etwas gelacht hatten, warum er nicht mehr laufen könne.« (S. 211)

Wundervoll poetisch erzählt die Autorin Iris Wolff in ihrem neuen Roman »Lichtungen« in neun Kapiteln angefangen in der Gegenwart und von dort immer weiter in die Vergangenheit blickend die Beziehung zwischen Lev und Kato. Ebenso wie ihre vorherigen Romane ist auch das Setting in diesem Roman in Siebenbürgen und erzählt neben der Geschichte um die beiden Protagonist*innen ganz nebenbei von der Kultur, Traditionen und Lebensweisheiten aus dieser Region Rumäniens. Lev und Kato treffen sich als Erwachsene wieder und in Rückblenden erfahren wir als Lesende immer mehr Details über diese wundervolle Freundschaft, die in der gemeinsamen Kindheit begann.

»»Du bist der einzige Freund, den ich habe.« [Kato] »Es würde funktionieren«, sagte er leise. Wie weh es tat, dass sie nicht daran glaubte.« S.120 💔

Der Roman besticht für mich durch die wunderschöne Sprache und Erzählweise der Autorin, die subtile, ruhige und poetische Art und Weise wie alle Details — auch die Schreckliche — erzählt werden und der Zusammenhalt erlebt wird. Nach diesem poetischen, gefühlvollen, sprachgewandten und schönen Roman möchte ich unbedingt noch weitere Bücher der Autorin lesen.

Große Herzensempfehlung für diesen Roman 🐦‍⬛💜

Bewertung vom 20.11.2023
Das Ende der Unsichtbarkeit
Nguyen, Hami

Das Ende der Unsichtbarkeit


ausgezeichnet

»Es gab dieses Wir und die anderen. Unser Anderssein hatten wir uns nie ausgesucht, und doch war es nun mal ein Umstand, den wir nicht ändern konnten. Wir konnten nur unser Bestes geben, um damit zu leben.« (S.63) 💔

Lassen wir das kurz auf uns wirken.

Es tut weh, und das sollte es auch. 💔 Was bedeutet es, wenn mensch sich selbst unsichtbar macht, um nicht aufzufallen?

»Ich war die personifizierte Unsichtbarkeit. Alles war besser, als aufzufallen, denn dann hätten die anderen gemerkt, wie meine Lebensrealität wirklich aussah.« (S. 92) 🧖🏻‍♀️

Hami Nguyễn schreibt in ihrem Sachbuch »Das Ende der Unsichtbarkeit. Warum wir über anti-asiatischen Rassismus sprechen müssen.« über 💥 anti-asiatischen Rassismus 💥: Angefangen damit, dass Menschen eines riesigen Kontinents auf ‚Asiat*innen‘ reduziert werden; über Boatpeople und die Historie der vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen in der DDR und deren Familien; über die ständige Angst vor einer Abschiebung, institutionalisiertem Rassismus in Behören (ja, natürlich auch bei der Ausländerbehörde), Duldungsverlängerungen von 3 Monaten (😢) und Asylanträgen bis hin zu den Progromen (Rostock-Lichtenhagen (1992); Hoyerswerda (1991)) und diversen Gewalt- und Tötungsdelikten. Sie erklärt, wieso Unsichtbarkeit ein Teil der Rassismuserfahrungen ist, die Menschen mit vermeintlich ost- bzw. südostasiatischen Wurzeln erfahren. Und, warum der ‚positive‘ Rassismus mit dem Mythos der Vorzeigeminderheit nicht nur einen enormen psychischen Stress für Betroffene bedeutet, sondern auch, warum es den strukturellen Rassismus, der dahinter steht, so unsichtbar macht. Hami Nguyễn gelingt es hervorragend, die Verbindung zwischen all wissenschaftlichen Aspekten und ihrer persönlichen Geschichte herauszustellen und so dieses Sachbuch nicht nur extrem faktenbasiert und fundiert zu schreiben, sondern die Leserschaft zusätzlich auf einer weiteren emotionalen Ebene zu erreichen.

»Weißt du, wie es ist, immer ein Alien unter euch zu sein?« (S. 237) 👾

Es ist so ein verdammt wichtiges Sachbuch, das Hami Nguyễn verfasst hat. Denn: Wir brauchen sie alle: Die Geschichten, Perspektiven und Lebenserfahrungen aller Menschen unserer Gesellschaft. Es ist so wichtig, zu verstehen, wie Lebensrealitäten differenzieren und wie wir alle unsere Gesellschaft zu einer besseren machen können — für ALLE für UNS ALLE. 🤝🏼

»Representation matters: Damit sind nicht nur Hautfarbe, Herkunft oder das Geschlecht gemeint, sondern auch Traditionen, Geschichten und Lebensrealitäten.« (S.76)

DANKE liebe Hami Nguyễn 🧡💜 für Dein unfassbar kluges, recherchiertes, bereicherndes und wichtiges Sachbuch und Deinen Mut, dies mit uns allen zu teilen. Ich wünsche diesem Buch unfassbar viele Leser*innen.

Mein Sachbuch-Highlight 2023 ! 💜🧡

Bewertung vom 03.11.2023
Tove Ditlevsen
Andersen, Jens

Tove Ditlevsen


sehr gut

Wo sind die T O V E D I T L E V S E N Fans? I’ve got you 🖤

Seit dem internationalen Neu-Entdecken und Erfolg der Kopenhagen-Trilogie (auf Deutsch: Kindheit, Jugend, Abhängigkeit) wird die Schriftstellerin international gefeiert. In einer Deutlichkeit und mit einer Radikalität, wie man sie zu ihren Zeiten nicht gewohnt war - und schon gar nicht von Schriftstellerinnen, schrieb sie u. a. über Sex, Begierde, Geschlechter, Mutterschaft, Zweierbeziehungen, Depression, Missbrauch, psychische Erkrankungen. Auch heute ist sie damit (feministische) Inspiration und Vorbild. 🔥

Tove Ditlevsen (*14.12.1917 | † 07.03.1976) hat viele Leben gelebt, bis sie ihrem ein bewusstes Ende setzte. Mit 21 Jahren erschien ihr Debütroman »Kindheit« und bis zu ihrem Selbstmord 1976 veröffentlichte sie 30 Bücher.

»Zu schreiben heißt, sich selbst auszuliefern. Sonst ist es keine Kunst. Man kann es kaschieren, aber man schreibt immer über sich selbst.« Tove Ditlevsen 1966 (S.15)

Über diese starke, aber auch verletzliche Frau und Autorin schreibt der dänische Literaturkritiker und Biograph (u. a. Astrid Lindgren, Hans C. Andersen) Jens Andersen in seiner neuen Biografie: »Tove Ditlevsen. Ihr Leben.« (Übersetzt 🇩🇰 von Ulrich Sonnenberg). Dabei orientiert er sich sehr nah an ihrem Werk, zieht Parallelen zwischen ihrem Leben und Büchern und baut Zitate aus Interviews, ihren Büchern und Gedichten ein. So entsteht ein umfassendes Porträt einer Frau, die schon immer mit vollstem Herzen Schriftstellerin sein wollte und war. Für ihre Werke verarbeitete sie Ihr dynmaisches Leben: Angefangen bei ihrer Kindheit in Vesterbrø über insgesamt 4 geschiedene Ehen, Muttersein von drei Kindern, Alkohol- und Drogensucht und psychische Erkrankung.

»Fünfzig Jahre, bevor jemand den Begriff »Autofiktion« prägte, behandelte sie Ihr Leben in fiktionalisierter Form, unter Verwendung von realen Orten, Namen, erinnerter Ereignissen und Personen aus dem engsten Familien- und Bekanntenkreis.« (S.14)

Eine starke Biografie, die dieser beeindruckenden Frau mehr als gerecht wird und ein neues Verständnis ihrer Werke schafft. Große Leseempfehlung für alle Tove Ditlevsen Fans. 🖤

Bewertung vom 02.11.2023
Asiatische Nudelküche
Yen, Dennis

Asiatische Nudelküche


sehr gut

Der Trend von asiatischer Küche nimmt seit Jahren stetig zu und in vielen urbanen Städten öffnen Ramen-Bars und asiatische Nudelrestaurants. Genau diesen Trend greift das Kochbuch auf und bringt ihn in unsere Küchen.

Das Kochbuch »Asiatische Nudelküche - Ramen, Udon, Wantans und alles was dazugehört« vom Schweden Dennis Yen (mit familiären Wurzeln in China & Vietnam) präsentiert auf 160 Seiten 71 asiatische Nudelrezepte, Soßen und Beilagen: Von schnellen Nudelrezepten auf Basis von Instantnudeln bis zu aufwändigen Ramen und Pho ist hier sehr viel vereint.

»Ich bin seit vielen Jahren stolz und dankbar für die Essenskultur, die ich als Kind erleben durfte, sie hat mich geprägt, ohne sie wäre ich nicht der, der ich heute bin. […] Für mich ist das Essen, das ich koche, eine Form, Liebe und Wertschätzung zu zeigen, Erinnerungen zu vermitteln und meine Familiengeschichte zu erzählen.« (S. 7) #foodisalovelanguage

Was ich toll an diesem Kochbuch finde:
🍜 Jedes Rezept hat ein Foto. Für mich ist das essentiell, da ich dies als Inspiration sehe, ob ich etwas kochen möchte.
🍜 Unter jeder Überschrift ist eine kleine Erläuterung zum Rezept.
🍜 Mit tollen Illustrationen werden bspw. ’Nützliche Utensilien’ und auch ‚Vorräte‘ erläutert
🍜 Übersicht zu verschiedenen Nudeln sowie Tipps zur Zubereitung
🍜 Angaben zu Portionsanzahl sowie Zubereitung

Was hat mir gefehlt?
🌱 Kleine Symbole, ob ein Rezept vegan / vegetarisch / fleischhaltig ist, um schnell entscheiden zu können, ob das Rezept passend ist.
🌱Alternativen bei Fleischgerichten (logisch, dass dies nicht für Rezepte wie Hühnerbrühe funktioniert, aber bei Bin Bo Hue wäre es möglich), um diese zu vegetarischeren / veganisieren.

Insgesamt ein wirklich tolles, schön illustriertes und bebildertes Kochbuch, das ich allen Fans der asiatischen Küche sehr empfehlen kann. ❤️

Bewertung vom 22.10.2023
Diamantnächte
Rød-Larsen, Hilde

Diamantnächte


sehr gut

»Wie stark ein Augenblick in uns wirkt, wenn er sich in Echtzeit entfaltet, wie ausgeliefert wir ihm sind, und dann ist er im Nu vorbei; während er von einem neuen Augenblick abgelöst wird, verblasst der alte, schwindet dahin. Puff! Aber die Reste bleiben zurück, wie Asche im Körper.« (S. 95) 💔😮‍💨

»DIAMANTNÄCHTE« ist ein Roman, der in einem sehr ruhigen, unaufgeregten, distanzierten aber dennoch feinfühligem Ton in Fragmenten die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der 49-jährigen Übersetzerin Agnete erzählt. Dabei brilliert das Buch durch solche — I’d say — ✨Diamant✨-Sätze und -Beobachtungen, wie das obige Zitat 💎.

HOW ARE YOU? — Die Protagonistin wird von dem Wunsch, gesehen zu werden, angetrieben. Dies zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Leben: Angefangen mit ihrer Kindheit, in der sie sich selbst Verletzungen zuführte; über ihre Jungend, in der sie in eine Essstörung entwickelt, um wenigstens die Kontrolle über ihren Körper zu erlangen; bis hin zu ihrer Studienzeit, in der sie toxische Beziehungen eingeht und dabei hofft, dass ihr stiller Hilferuf entlarvt wird.

»DIE AKZEPTANZ EINER SITUATION kann sich, wenn man zur Anpassungsfähigkeit neigt, innerhalb von Sekunden in den Wunsch verwandeln, dass sie genau so sein sollte. Diese Neigung ist etwas, was mich an mir selbst erschreckt.« (S. 176)

Es fällt der Protagonistin nicht leicht, all diese Fragmente aus ihrer Vergangenheit heraufzubeschwören, ihre Vergangenheit zu sezieren und ehrlich mit sich selbst zu sein. Damit zeigt der Roman eindrücklich, dass, wie wir die Geschichten über uns selbst erzählen, trägt erheblich dazu bei, wie nicht nur die Anderen, sondern vor allem auch wir uns selbst sehen.

»Aber ich interessiere mich für mich selbst, warum habe ich mich ergeben, zum Verzehr dargeboten? Ich bekomme Lust, mich selbst zu umarmen, fest, zärtlich, geborgen. Mich ein wenig hin- und herzuwiegen, ein leises Lied in mein Haar zu singen, zu sagen: Komm her, dann passe ich auf dich auf.« (S. 153) ❤️‍🩹

Dieser Roman ist krass deep.🥵 Die Autorin schafft es, mit einer Leichtigkeit über all diese schweren Themen zu schreiben, dass sie nicht direkt ins Auge fallen. Indirekt stellt dieser Roman viele philosophische, moralische und gesellschaftliche Fragen. Ich habe einige Sätze bewusst langsamer gelesen, und bewundere den Schreibstil der Autorin sehr: DIAMANTNACHT 💎 — was für eindrückliche und philosophische Metaphern hier geschaffen worden sind.

»DIAMANTNÄCHTE« 💎🤍 von der norwegischen Übersetzerin, Lektorin und Autorin Hilde Rød-Larsen (Übersetzung 🇳🇴: Ursel Allenstein) erinnerte mich sehr an den norwegischen Roman »MACHT« und greift ebenfalls die Thematik von ME TOO und dem starken Willen, sich selbst nicht als Opfer zu sehen, auf.

Aus den Angaben über die Autorin lassen sich viele Parallelen zwischen der Protagonistin und ihr selbst feststellen, so dass ich mich frage, wie viel von diesem Roman Fiktion und wie viel Erlebtes ist. 💭

Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Roman polarisiert. Es ist kein einfacher Roman - weder thematisch noch literarisch. Mich hat der Roman durch den besonderen Erzähl- und Schreibstil in einen Sog gezogen und berührt. Leseempfehlung für alle, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen können und möchten. ❤️‍🩹 Ich bin sehr gespannt auf hoffentlich weitere Bücher und Übersetzungen der Autorin (auf Norwegisch ist dies bereits ihr 2. Roman).

[CN: Sexueller Übergriff; Essstörung; Selbstverletzendes Verhalten; Depression]

Bewertung vom 21.10.2023
Endstation Malma
Schulman, Alex

Endstation Malma


sehr gut

»»Ich will nicht, dass du mir erklärst, warum es dir schlecht geht!«, brüllt er. »Ich will, dass du etwas dagegen tust!«« Oskar zu Harriet (S. 282)

In seinem neuen Roman »Endstation Malma« 🦅 schreibt der schwedische Autor Alex Schulman (Übersetzung 🇸🇪: Hanna Granz) aus der Perspektive von drei Personen - Harriet, Oskar & Yana - erneut über Familie, Generationentraumata, Depression, Beziehungsproblemen, Verlust, Freiheit 🦅 und die Macht unserer Erinnerungen. Setting des Romans sind drei Zugfahrten auf drei Zeitebenen 🛤️ ,in denen Lesende über die Erinnerungen der drei Personen immer mehr die Familiengeschichte, das große Ganze und schlussendlich das Drama begreifen. 💔

Es ist ein Roman, der zum Nachdenken anregt, der beschäftigt und schmerzt. Es zerreißt einem das Herz, wenn zwei Kinder ihren sich streitenden und vor der Scheidung stehenden Eltern im Bett lauschen und hören, dass weder Mutter noch Vater die eine Tochter bei sich behalten wollen. Es ist nicht leicht zu lesen, wie viel Schmerz Kinder erfahren, wenn Eltern sich so streiten, dass die Beziehung und Familie zerbricht.

»Wann weiß man, dass man ein Kind verloren hat?« Oskar 💭 (S. 110)

Hilft es, die eigene Kindheit immer und immer wieder zu durchleben? Wie viel Erinnerung und Aufarbeitung tut uns gut? Wie sehr beeinflusst uns unsere Vergangenheit?

»Er legt einen Arm um sie, und sie lehnt den Kopf an seine Brust, und dann verschwindet sie erneut, taucht durch die Jahrzehnte. Offenbar gefällt es ihr dort. Die geraden Linien von der Kindheit bis in die Gegenwart hinauf, alles, was man jetzt ist, kann und muss durch das erklärt werden, was einem früher widerfahren ist. « (S. 233)

Das Alex Schulman ein meisterhafter Erzähler ist, wissen wir spätestens seit »Verbrenn all meine Briefe«💌. Mit seinem neuen Buch hat er sich noch tiefer in mein Herz geschrieben. Gekonnt verbindet er persönliche Kindheitserinnerungen und -Traumata mit fiktiven Figuren und schreibt so krass authentische, emotionale und literarisch anspruchsvolle Romane. 😮‍💨 Noch mehr beeindruckt hat mich der Roman und das Werk des Autors nach seiner Lesung, in der ich realisiert habe, wie viel Wahres, Erlebtes, Traumatisierendes der Autor in seinen Roman verarbeitet. Die Geschichten sind frei erfunden, dennoch ist alles passiert. 💔

»Yana doesn’t make any progress at all. She has no journey. That’s exactly what I want, because that’s how life works. Sometimes you just stand still.« Alex Schulman, Lesung HH 18.10.23 🧡

So viel Kluges, so viel Emotionales und so viel Gefühl lesen sich aus diesem und den anderen Büchern des Schweden. Ich bedaure, dass es so viele mehr Bücher von ihm nur auf Schwedisch gibt, und noch mehr, dass mein Schwedisch nicht ausreicht, um diese zu lesen. 😢 Umso mehr freue ich mich auf alle weiteren deutschen Übersetzungen des Autors - looking at you dear dtv 👀❤️

Große Leseempfehlung für alles von Alex Schulman und im Besonderen seinen neuen Roman.

[CN: Depression, Selbstmord]

Bewertung vom 17.10.2023
Girlhood
Febos, Melissa

Girlhood


sehr gut

»Es war mir unmöglich zu unterscheiden, was an meinem Verhalten wirklich ich und was dagegen kulturell auferlegt war - insofern das überhaupt je möglich ist.« (S. 108) 💭

Diese und viele weitere extrem kluge, deepe und zum Nach- und Weiterdenken anregenden Sätze habe ich mir in dem Memoir & Sachbuch »GIRLHOOD« von Melissa Febos ( 🇺🇸 Übersetzung: Stefanie Jacobs) herausgeschrieben.

In »GIRLHOOD« 🎈schreibt die Autorin basierend auf ihren eigenen Erfahrungen über die Einflüsse des Patriarchats und der Gesellschaft auf ihr Aufwachsen, Erwachsen werden, Sexualität, Sexualisierung und Selbstbild als Frau. Wirklich beeindruckend ist BTW, wie viel die Autorin bereits erlebt hat: Vom Aufwachsen mit einer feministischen und caring Mutter in Cape Cod, über Drogensucht ab Anfang 20, Arbeit als Domina zur Studiumsfinanzierung bis zur Gegenwart, in der sie als Professorin arbeitet und mit ihrer Ehefrau zusammenlebt. In den insgesamt 6 versammelten Essays dieses Buches werden Themen wie sexualisierte Gewalt, Missbrauch, Beeinflussung von Geschlechterstereotypen auf Aufwachsen und Sozialisierung, Slutshaming (inkl. Begriffsentwicklung), Hexen, Überkommen von Schönheitsidealen und Körperbewertung, Mutter-Tochter-Beziehung und zahlreiche weitere feministische Themen aufgegriffen.

»Das Schreiben dieses Buchs hat mir geholfen, die Geschichte meiner Mädchenjahre zu korrigieren und Wege zurück zu mir selbst zu finden. Die Geschichten anderer Frauen haben mir gezeigt, dass ich nicht allein bin, und die Erkenntnis, wie gewöhnlich wir alle sind, hat etwas Heilendes.« Vorwort (S. 10)

Beim Lesen des Buches wird genau dies auch deutlich: Die Verarbeitung der eigenen Erfahrungen und Vergangenheit der Autorin durch ihr Schreiben und ihre Essays. Dabei schafft die Autorin eine sehr passende, literarisch anspruchsvolle und inhaltlich starke Verknüpfung ihrer eigenen, teilweise intimen Erfahrungen mit Zitaten und Gedanken anderer Autor*innen bzw. Wissenschaftler*innen und setzt damit alles in philosophische und soziologische Kontexte und steuert Fakten bei. Dadurch wird das Buch auf eine sachlichere Ebene gehoben, zugleich schafft die Autorin aber auch eine sehr persönliches Verständnis der Themen zum Wiederfinden in der ein- oder anderen Beschreibung.

Gerade die erste Hälfte des Buches empfand ich als sehr stark und habe mir etliche Passagen und Argumente markiert. Im Vergleich dazu fand ich die letzten beiden Essays nicht ganz so stark, aber dies ist bei dieser persönlichen Verarbeitung von Themen sicherlich auch eine subjektive Wahrnehmung.

ALL IN ALL: Ein sehr wichtiges, feministisches Memoir, aus dem ich viele kluge Gedanken und schöne Formulierungen mitnehmen konnte. Große Empfehlung 🩷

Bewertung vom 09.10.2023
Migrantenmutti
Penner, Elina

Migrantenmutti


ausgezeichnet

»Oh mein Gott, say it with me, Salzen ist nicht Würzen.« (S.84) 🧂 - hat mich so sehr zum Lachen gebracht, dass ich mich fast an meiner Brezeln 🥨 verschluckt hätte.

»MIGRANTENMUTTI« von Elina Penner ist literarische Satire on Point 🤌🏼 Sie verpackt teils traurige teils beschämende teils wütend-machende Tatsachen, Erlebnisse und Beobachtungen so gut mit Sarkasmus und Humor, dass ich oft laut lachen musste, obwohl einiges wirklich beschämende Beispiele für unsere Gesellschaft sind. Andererseits hält sie unserer Gesellschaft gekonnt den Spiegel vor 🪩 ,kritisiert absolut zu Recht den Umgang mit Armut, Migration und Integration in Deutschland 🤝🏼 und teilt Alltagsdinge, bei denen sich sicherlich vielen wiederfinden können.

Als Deutschrussin hat sie eine andere Perspektive auf Deutschland als vielen Kartoffeln 🥔 (Essay ALMAN unbedingt lesen🤝🏼) und kann dies unglaublich gut in Worte fassen. Sie schreibt aus einer migrantischen Sicht über Elternschaft in Deutschland, aber bei vielen Schilderungen habe ich mich ebenfalls wiedergefunden, bspw. warum Menschen ihre Schuhe nicht vor dem Betreten einer Wohnung ausziehen (I HATE IT TOO🥵) oder, wenn ihr Partner den Reis zum Kochen abmisst:

»Leute: Er. misst. den. Reis. ab. Mit einer Waage. Ich habe so gelacht, ich konnte nicht mehr.« (S.93) 🍚😭

Vom Aufwachen in einer Großfamilie mit 4 Töchtern bin ich es auch gewohnt, dass es immer so viel Essen gab, dass jederzeit noch mind. 3 Besucher*innen hätten mitessen können. Elinas Unverständnis darüber, dass man Besuch nicht selbstverständlich zum Essen einlädt, fühle ich so so sehr und kenne dies auch. Auch ich koche immer so, dass spontan Freund*innen zum Essen bleiben können, weil Essen für mich auch eine Love Language ist.

Über Familienplanung bis Kindererziehung und Umgang mit Geld werden hier etliche Themen aufgegriffen und ich feiere Elina extrem für ihre authentische, ehrliche, kritische und kluge Diskussion und Darstellung.

GANZ GROSSE LESEEMPFEHLUNG ❤️‍🔥

P.S.: Lieb diesen Tipp extrem:
»Für Fans von heteronormativen Beziehungen gilt im Hinblick darauf [Familiengründung], wie das so klappen könnte als Familie, nach wie vor der Tipp: AUGEN AUF BEI DER PARTNERWAHL.« (S.109) Die folgende Liste sollten sich alle FLINTA*, die Männer Daten, unbedingt absichern.

Bewertung vom 07.10.2023
Vom Ende der Nacht
Daverley, Claire

Vom Ende der Nacht


ausgezeichnet

»Ich wusste, dass du nicht mit vollem Herzen dabei warst. Ich wusste von Anfang an, dass du eine andere liebst.« Jem zu Will (S.326)

In ihrem Debütroman »VOM ENDE DER NACHT« erzählt die Autorin Claire Daverely in einer wunderschönen Sprache die Liebesgeschichte von Will und Roe, die sich als Teenager kennenlernen und sehr unterschiedlich aufgewachsen und sozialisiert sind. Natürlich treffen damit stückweit Welten aufeinander - nicht im Sinne von Diskrimminierungserfahrungen sondern im 'klassischen Sinne' von Bad Boy meets Well-behaved Daughter. Was als Lovestory starten kann, endet schon mit dem ersten Kuss. Aber trotz unterschiedlicher Lebenswege und Leben, treffen die beiden immer wieder aufeinander.

» Nie wieder, hatte er sich geschworen. Nie wieder würde er sie berühren oder ihr nahekommen, für den Fall, dass sein Herz es nicht überstehen würde.« Will (S.443)

Wenn Deine Dunkelheit auf meine Dunkelheit trifft, entsteht Licht. - Diese Metapher verpackt Claire so wundervoll in dieser Lovestory, die vielleicht auch ein bisschen verklärt, dass unsere Schwächen, Laster und vielleicht sogar Zwänge und Psychosen sich verbessern, wenn wir unser Leben mit dem richtigen Menschen teilen. Versteht mich nicht falsch, in diesem Buch liebe ich diesen vermeintlichen Kitsch.

Ein wunderschöner Roman mit Protagonist*innen, die ich sehr verstehen und mitfühlen konnte. Große Leseempfehlung - ich habe es geliebt und verschlungen.

Bewertung vom 29.09.2023
Im Prinzip ist alles okay
Polat, Yasmin

Im Prinzip ist alles okay


sehr gut

»So schlecht er auch mit mir umging - ein Teil von mir war überzeugt, ihn zu brauche. Es gab eine Art Sicherheit in seiner Gewalt für mich, die ich mir nicht erklären konnte.« (S.39) 💔

Miryam ist dreißig Jahre alt, Mutter einer kleinen Tochter und hat Depressionen. Diese hat sie nicht ernst seit der Geburt ihres Babys, wie im Verlaufe des Buches deutlich wird, aber werden dadurch erneut präsenter. Schnell wird deutlich, dass Miryam und ihr jüngerer Bruder Deniz in einem von Gewalt geprägten Elternhaus aufgewachsen sind und die Gewalt auch ihre eigenen Beziehungen prägte. Lange war sie in Therapie, um die familiär-erlernten destruktiven Muster und ihre Depression zu bearbeiten. Jetzt als Mutter will sie vor allem eins: Es besser machen als ihre Eltern. Doch in ihrer aktuellen Lage - isoliert durch Kontaktabbrüche von ihr wichtigen Menschen sowie beeinflusst durch die perfekte Instagram-Sicht von Momfluencern - redet sie sich ein, dass nicht einmal ihr Kind sie mögen würde und deswegen den Vater immer bevorzugen würde.

Durch den achronistischen Schreibstil setzt sich das Gesamtbild der Protagonistin mit jedem Kapitel wie bei einem Puzzle mehr und mehr zusammen, und es wird deutlich, warum das Leben für Miryam alles andere als OKAY ist. Zum Ende des Buches laufen die zeitlichen Abstände zwischen den Kapiteln immer stärker zusammen, so dass Lesende am Ende im ‚Jetzt‘ mit Miryam angekommen sind.

Der Autorin gelingt es hervorragend, Miryam’s unangenehmen Gefühle zu transportieren. Ich habe mich beim Lesen sehr unwohl gefühlt und jedes Mal, wenn der jungen Frau Undankbarkeit vorgeworfen worden ist, sie aufgefordert wird die Vergangenheit einfach sein zu lassen oder das Patriachariat personifiziert durch ihren Partner, Eltern und Bruder (»Ich glaube nicht, dass ich dramatisch, zu sensibel bin oder sonst eine dieser Eigenschaften habe […]« (S.258) ) ihr einen weiteren Stoß versetzen, hätte ich sie am liebsten umarmt und ihr klargemacht, dass sie das nicht verdient hat. Dass sie sich - für mich als Lesende - zu wenig zur Wehr setzt ist als Ausdruck der Krankheit aber auch der weiblichen Sozialisation sehr gut geschrieben. Es tut nahezu weh, zu lesen, wie sehr Miryam struggelt. 💔 Ihr Scheitern fühlt sich so viel schlimmer an, weil man weiß, wie sehr sie es besser machen wollte

In ihren Debütroman »Im Prinzip ist alles okay« schreibt die Journalistin und Autorin Yasmin Polat über die Emanzipation einer jungen Mutter 💜, Gewalterfahrung innerhalb der Familie, Generationentraumata und Mutterschaft.

Ein emotionaler Roman, der die Gefühlslage und Situation einer jungen, depressiven und traumatisierten Mutter sehr eindrücklich vermittelt. Ich empfehle ihnen allen Personen, die sich mit Mutterschaft, Generationsttraumata und Selbstbestimmung aus einer dieser Perspektive auseinander setzen möchten und können. 💜

[CN: Depression, physische + psychische Gewalt]

4.5 / 5 ☆