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Benutzername: 
Luisabella
Wohnort: 
Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 191 Bewertungen
Bewertung vom 15.02.2024
Die Verletzlichen
Nunez, Sigrid

Die Verletzlichen


sehr gut

»Wie oft muss ich es dir noch sagen? Du weißt, was ich will. Ich habe es dir hundertmal gesagt. Ich liebe dich. Ich liebe dich, aber ich kann so nicht mehr weitermachen. Wann immer wir jetzt miteinander sprechen, streiten wir. Es bringt mich um. Du sagst, ich würde dir nicht zuhören, aber du bist es, die nicht zuhört. Bitte, entscheide dich einfach, verdammt noch mal. Tu, was du willst, aber hör bitte, bitte auf,
mich zu verarschen.

Man muss aus eigener Erfahrung lernen, was eine Figur in einer Erzählung von Edna O'Brien feststellt, nämlich dass Liebe deshalb so schmerzhaft ist, weil zwei Menschen mehr wollen, als zwei Menschen geben können.« (S. 123) ❤️‍🩹

In ihrem neuen Roman »Die Verletzlichen« schreibt die Autorin Sigrid Nunez (übersetzt aus dem Englischen von Anette Grube) über eine namenlose Ich-Erzählerin, die Autorin ist, und während des 1. Lockdowns der Corona Pandemie auf den Papageien Eureka 🦜 ihrer Freundin Iris aufpasst und sich gemeinsam mit einem jungen Familienfreund dieser — Giersch — das luxuriöse Appartement teilen muss. Der Roman ist eine Mischung zwischen der Schilderung dieser Situation einhergehend mit der Reflexion des Erlebten durch die Protagonistin selbst sowie deren Philosophieren und Sinnieren über das Schreiben und Schriftsteller*innen-Sein. Die eingestreuten Anspielungen und Zitate auf andere Autor*innen und Werke empfand ich als sehr gelungen und bereichernd:

»Jetzt kenne ich die Wahrheit: Wichtig ist, was man während des Lesens erlebt, die Gefühlszustände, die eine Geschichte hervorruft, die Fragen, die einem dazu einfallen, und nicht die fiktionalen Ereignisse, die geschildert werden.« (S.9)

Eine sehr schöne, inspirierende, humorvolle und philosophische Lektüre 🩷 Fans von Büchern über das schriftstellerische Schreiben und Gedanken dazu 📖💭 und alle Sigrid Nunez-Fans — you’ll love this lovely novel. 🦜💚

Bewertung vom 15.02.2024
Mutter ohne Kind
Lindner, Eva

Mutter ohne Kind


ausgezeichnet

»Weltweit kommt es jährlich zu 23 Millionen Fehlgeburten. In jeder Minute, die verstreicht, verlieren 44 Frauen auf dieser Welt ihre Schwangerschaft.« (S. 15)

In ihrem Sachbuch »Mutter ohne Kind — Das Tabu Fehlgeburt und was sich daran ändern muss« schreibt die Autorin Eva Lindner über das Tabu zu Fehl- & Totgeburten. In insgesamt 11 Kapiteln, gerandet von Einleitung und Ausblick schreibt die Autorin über verschiedene Aspekte rund um diese Themen. Jede Kapitelüberschrift enthält einen Frauennamen einer Frau, die ihre persönliche Geschichte dazu geteilt hat und die begleitende Unterüberschrift, die das Thema framt. Über die Problematik von fehlender Gender-Medizin, über mangelnde Forschung, Weiterbildung und Schulungen sowie die Zulassung von Medikamenten und Problematik im Umgang mit den Gesetzen (wie bspw. §218 Abtreibung, aber auch dem Mutterschutz) werden hier zahlreiche Aspekte aufgegriffen, an persönlichen Beispielen verdeutlicht und anschließend wissenschaftlich und sachlich erläutert und mit Statistiken belegt.

Bei diesem Thema zeigt sich wieder einmal, wie sehr das Patrichariat Frauen abwertet und schlechter stellt und wie dringend sich Missstände und Tabus ändern müssen in Bezug auf Fehlgeburten.

Als Mutter, die ebenfalls ein Kind in der Schwangerschaft verloren hat, hat die Autorin eine sehr persönlichen Perspektive zu diesem Thema. Es gelingt Ihr hervorragend, dies in den Kontext einzubetten und ein sowohl sachliches als auch sehr einfühlsames Sachbuch zu schreiben. Ich habe großen Respekt vor dieser Leistung! Das Sachbuch finde ich sehr gut formuliert, belegt und ausgearbeitet. Besonders gut gefallen hat mir, dass die Autorin am Ende 11 Forderungen passend aus jedem Kapitel eine ableitet und damit ganz konkret aufzeigt, wie sich dies verbessern ließe. Das macht Hoffnung — noch mehr, wenn dieses Buch und die Forderungen ganz viele Menschen lesen würden!

Große Leseempfehlung 🩷

Bewertung vom 05.02.2024
Spur und Abweg
Tallert, Kurt

Spur und Abweg


gut

»In den Spuren und Abwegen kann ich nur vage betrachten, was von der Vernichtung blieb, und das ist eben einerseits ein ganzes Menschenleben und andererseits nicht viel.« Kurt über seinen Vater (169)

Mit 17 Jahren war Kurt’s Vater als Halbjude im Lager Lenne (Niedersachsen) interniert und hat das Zwangsarbeitslager der Nazis überlebt, während andere Familienangehörige durch die Nazis ermordet werden. Mit 58 Jahren wird der Journalist und Politiker Harry Tallert (1927-1997) ein letztes Mal Vater — von Kurt als Jüngstem von vier Kindern — und verstirbt 12 Jahre später. Kurt Tallert hatte also nicht viele gemeinsame Lebensjahre mit seinem Vater und nähert sich diesem mit seinem autobiografische Werk mittels einer literarischen Analyse. Welche Auswirkungen kann das erlittene Leid durch die Nazis auf nachfolgende Generationen haben? Inwiefern prägt dies die Folgegenerationen? Genau diese Fragen greift Kurt Tallert einfühlsam, eindringlich und äußert akribisch in seiner literarischen und gegenwärtigen Spurensuche auf.

»Mein immer gut gekleideter Vater sitzt in einem Büro an einem unscheinbaren Schreibtisch, während sich zu seiner Linken ein Zirkuskrokodil an der Tischkante abstützt. […] Auf dem Foto blickt er dennoch gelassen zu dem mittels Kühlung ruhiggestellten Raubtier, als wäre dieses archaische Reptil ein Stück gezähmter Vergangenheit. Diese Bedeutung konnte das Bild wohl nur für mich haben.« 55f 🐊

In seinem Sachbuch »SPUR UND ABWEG« setzt sich der Autor Kurt Tallert intensiv mit seinem Vater und damit schlussendlich auch sich selbst auseinander. Die Leerstellen, die sein Vater hinterlassen hat, untersucht Kurt in diesem Buch intensiv, indem er Unterlagen, Tagebücher, Aufzeichnungen, Briefe und Karten des Vaters studiert, analysiert und in historische Kontexte setzt. Zudem berichtet er von seinen eigenen Kindheitserinnerungen und setzt diese in den Kontext des Lebens seines Vaters. Mit 6 Jahren betritt Kurt zum ersten Mal gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald:

»Heute sehe ich das Bild des sechsjährigen Jungen, der auf dem ehemaligen Appellplatz steht, sich umblickt, in sich kehrt und nicht wieder ganz aus sich herauskommt. Oder zumindest nicht als derselbe. Ich glaube, an diesem Tag wurde mir die Skepsis als eine Art Urvertrauen in die Enttäuschung eingepflanzt. Ich lernte, dass es möglich war, jederzeit möglich, dass die Umwelt sich gegen einen kehrte, dass sie mit einem brechen konnte, dass sie einen brechen würde, dass es Situationen gab, in denen ein Mensch aus allen Situationen gerissen werden konnte, und dass er nichts dazu tun musste und nichts dagegen tun konnte, außer - und das ist recht erbärmlich - Glück zu haben.« 37

Dieses sehr persönliche, intensive Zeugnis und Auseinandersetzung mit dem Leben des eigenen Vaters sowie den eigenen Anteilen an der Erinnerung ist sehr interessant und umfangreich. Stellenweise empfand ich die Lektüre so, dass der der Autor abschweift und der roten Faden etwas verloren geht. Nichtsdesto trotz ist es ein sehr wichtiges Zeitzeugnis, das vergegenwärtigt, wie sehr die deutsche Geschichte Generationen nach wie vor prägt; wie wichtig es ist, uns immer wieder zu erinnern: NIE WIEDER IST JETZT.

Ein wichtiger Beitrag gegen das Vergessen!

Bewertung vom 31.01.2024
Klarkommen
Hartmann, Ilona

Klarkommen


sehr gut

»Ich war besessen von coolen Leuten. Es war nicht genug, in ihrer Nähe zu stehen, es war nicht genug, sie zu beobachten, Ich wollte sie verzehren, sie in mich aufnehmen, mich von innen nach außen stülpen und dann endlich so sein wie sie.« (83)

In ihrem neuen Roman »klarkommen« schreibt die Autorin Ilona Hartmann über das Erwachsen werden und, was das eigentlich bedeutet — also mal so ganz konkret. Sie schreibt von den Freuden der neugewonnen Freiheiten, aber auch den Schattenseiten dieser Freiheiten: Geld verdienen, WG-Leben, Studium, Parties, Freund*innen und dabei sich selbst zu finden.

„Ich war gleichzeitig schon erwachsen und trotzdem noch sehr jung, das Leben schien mir zu kurz und zu lang gleichzeitig und jede Entscheidung gleichermaßen lebensverändernd wichtig und vollkommen egal."

Mounia, Leon und die namenlose Ich-Erzählerin sind seit ihrer Schulzeit ein eingeschworenes Trio. Gemeinsam ziehen sie nach dem Abi zusammen in eine WG, beginnen ihr jeweiliges Studium, suchen sich ihre ersten Jobs und vor allem auch sich selbst.

Der Roman ist in (sehr) kurzen Kapiteln geschrieben, die mir kombiniert mit dem zeitweise ironischen, ernsten und auch verbittertem, aber immer sehr ehrlichem Schreibstil, Tagebuch-Vibes gegeben haben. In Momentaufnahmen begleiten wir die Ich-Erzählerin, wie sie ihre erste Liebe verliert, wie sie sich neu verliebt, wie sie ihre beste Freundin ganz neu kennenlernt, wie sie eben ihr Leben lebt. Ilona Hartmann gelingt es mit ihren knackigen Sätzen und Kapiteln den Übergang von Jugend ins Erwachsensein so zu skizzieren, dass Lesende sich in ihre eigenen Anfänge des Erwachsen-Seins rekapituliert werden, und die Angst, die beste Zeit des Lebens nicht richtig auszufüllen, wird spürbar. Die Message wird schnell klar: Wir müssen nicht nach den absurden und nie definierbaren Maßstäben von COOL gerecht werden, um ein unser Leben zu leben und »klar[zu]kommen«.

Ein kurzweiliger, amüsanter, authentischer und toller Roman über eine Zeit im Leben, die ich gern mit mehr Lebenserfahrung viel entspannter gelebt hätte. Aber wer hätte das eben nicht?! Meine einzige Kritik ist, dass ich mir an der ein oder anderen Stelle noch etwas mehr Tiefe gewünscht hätte und manche Dinge für mich zu vage gelassen bzw. nicht auserzählt worden sind.

Leseempfehlung von mir 🖤

[3.5 / 5 ★ ]

Bewertung vom 21.01.2024
Lichtungen
Wolff, Iris

Lichtungen


ausgezeichnet

»Lev mochte ihre Stimme, ihr Lächeln, und er begann, sich vorzunehmen, sie [Kato] zum Lachen zu bringen. Es gelang fast immer, und einmal fragte sie ihn, nachdem sie gemeinsam über etwas gelacht hatten, warum er nicht mehr laufen könne.« (S. 211)

Wundervoll poetisch erzählt die Autorin Iris Wolff in ihrem neuen Roman »Lichtungen« in neun Kapiteln angefangen in der Gegenwart und von dort immer weiter in die Vergangenheit blickend die Beziehung zwischen Lev und Kato. Ebenso wie ihre vorherigen Romane ist auch das Setting in diesem Roman in Siebenbürgen und erzählt neben der Geschichte um die beiden Protagonist*innen ganz nebenbei von der Kultur, Traditionen und Lebensweisheiten aus dieser Region Rumäniens. Lev und Kato treffen sich als Erwachsene wieder und in Rückblenden erfahren wir als Lesende immer mehr Details über diese wundervolle Freundschaft, die in der gemeinsamen Kindheit begann.

»»Du bist der einzige Freund, den ich habe.« [Kato] »Es würde funktionieren«, sagte er leise. Wie weh es tat, dass sie nicht daran glaubte.« S.120 💔

Der Roman besticht für mich durch die wunderschöne Sprache und Erzählweise der Autorin, die subtile, ruhige und poetische Art und Weise wie alle Details — auch die Schreckliche — erzählt werden und der Zusammenhalt erlebt wird. Nach diesem poetischen, gefühlvollen, sprachgewandten und schönen Roman möchte ich unbedingt noch weitere Bücher der Autorin lesen.

Große Herzensempfehlung für diesen Roman 🐦‍⬛💜

Bewertung vom 20.11.2023
Das Ende der Unsichtbarkeit
Nguyen, Hami

Das Ende der Unsichtbarkeit


ausgezeichnet

»Es gab dieses Wir und die anderen. Unser Anderssein hatten wir uns nie ausgesucht, und doch war es nun mal ein Umstand, den wir nicht ändern konnten. Wir konnten nur unser Bestes geben, um damit zu leben.« (S.63) 💔

Lassen wir das kurz auf uns wirken.

Es tut weh, und das sollte es auch. 💔 Was bedeutet es, wenn mensch sich selbst unsichtbar macht, um nicht aufzufallen?

»Ich war die personifizierte Unsichtbarkeit. Alles war besser, als aufzufallen, denn dann hätten die anderen gemerkt, wie meine Lebensrealität wirklich aussah.« (S. 92) 🧖🏻‍♀️

Hami Nguyễn schreibt in ihrem Sachbuch »Das Ende der Unsichtbarkeit. Warum wir über anti-asiatischen Rassismus sprechen müssen.« über 💥 anti-asiatischen Rassismus 💥: Angefangen damit, dass Menschen eines riesigen Kontinents auf ‚Asiat*innen‘ reduziert werden; über Boatpeople und die Historie der vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen in der DDR und deren Familien; über die ständige Angst vor einer Abschiebung, institutionalisiertem Rassismus in Behören (ja, natürlich auch bei der Ausländerbehörde), Duldungsverlängerungen von 3 Monaten (😢) und Asylanträgen bis hin zu den Progromen (Rostock-Lichtenhagen (1992); Hoyerswerda (1991)) und diversen Gewalt- und Tötungsdelikten. Sie erklärt, wieso Unsichtbarkeit ein Teil der Rassismuserfahrungen ist, die Menschen mit vermeintlich ost- bzw. südostasiatischen Wurzeln erfahren. Und, warum der ‚positive‘ Rassismus mit dem Mythos der Vorzeigeminderheit nicht nur einen enormen psychischen Stress für Betroffene bedeutet, sondern auch, warum es den strukturellen Rassismus, der dahinter steht, so unsichtbar macht. Hami Nguyễn gelingt es hervorragend, die Verbindung zwischen all wissenschaftlichen Aspekten und ihrer persönlichen Geschichte herauszustellen und so dieses Sachbuch nicht nur extrem faktenbasiert und fundiert zu schreiben, sondern die Leserschaft zusätzlich auf einer weiteren emotionalen Ebene zu erreichen.

»Weißt du, wie es ist, immer ein Alien unter euch zu sein?« (S. 237) 👾

Es ist so ein verdammt wichtiges Sachbuch, das Hami Nguyễn verfasst hat. Denn: Wir brauchen sie alle: Die Geschichten, Perspektiven und Lebenserfahrungen aller Menschen unserer Gesellschaft. Es ist so wichtig, zu verstehen, wie Lebensrealitäten differenzieren und wie wir alle unsere Gesellschaft zu einer besseren machen können — für ALLE für UNS ALLE. 🤝🏼

»Representation matters: Damit sind nicht nur Hautfarbe, Herkunft oder das Geschlecht gemeint, sondern auch Traditionen, Geschichten und Lebensrealitäten.« (S.76)

DANKE liebe Hami Nguyễn 🧡💜 für Dein unfassbar kluges, recherchiertes, bereicherndes und wichtiges Sachbuch und Deinen Mut, dies mit uns allen zu teilen. Ich wünsche diesem Buch unfassbar viele Leser*innen.

Mein Sachbuch-Highlight 2023 ! 💜🧡

Bewertung vom 03.11.2023
Tove Ditlevsen
Andersen, Jens

Tove Ditlevsen


sehr gut

Wo sind die T O V E D I T L E V S E N Fans? I’ve got you 🖤

Seit dem internationalen Neu-Entdecken und Erfolg der Kopenhagen-Trilogie (auf Deutsch: Kindheit, Jugend, Abhängigkeit) wird die Schriftstellerin international gefeiert. In einer Deutlichkeit und mit einer Radikalität, wie man sie zu ihren Zeiten nicht gewohnt war - und schon gar nicht von Schriftstellerinnen, schrieb sie u. a. über Sex, Begierde, Geschlechter, Mutterschaft, Zweierbeziehungen, Depression, Missbrauch, psychische Erkrankungen. Auch heute ist sie damit (feministische) Inspiration und Vorbild. 🔥

Tove Ditlevsen (*14.12.1917 | † 07.03.1976) hat viele Leben gelebt, bis sie ihrem ein bewusstes Ende setzte. Mit 21 Jahren erschien ihr Debütroman »Kindheit« und bis zu ihrem Selbstmord 1976 veröffentlichte sie 30 Bücher.

»Zu schreiben heißt, sich selbst auszuliefern. Sonst ist es keine Kunst. Man kann es kaschieren, aber man schreibt immer über sich selbst.« Tove Ditlevsen 1966 (S.15)

Über diese starke, aber auch verletzliche Frau und Autorin schreibt der dänische Literaturkritiker und Biograph (u. a. Astrid Lindgren, Hans C. Andersen) Jens Andersen in seiner neuen Biografie: »Tove Ditlevsen. Ihr Leben.« (Übersetzt 🇩🇰 von Ulrich Sonnenberg). Dabei orientiert er sich sehr nah an ihrem Werk, zieht Parallelen zwischen ihrem Leben und Büchern und baut Zitate aus Interviews, ihren Büchern und Gedichten ein. So entsteht ein umfassendes Porträt einer Frau, die schon immer mit vollstem Herzen Schriftstellerin sein wollte und war. Für ihre Werke verarbeitete sie Ihr dynmaisches Leben: Angefangen bei ihrer Kindheit in Vesterbrø über insgesamt 4 geschiedene Ehen, Muttersein von drei Kindern, Alkohol- und Drogensucht und psychische Erkrankung.

»Fünfzig Jahre, bevor jemand den Begriff »Autofiktion« prägte, behandelte sie Ihr Leben in fiktionalisierter Form, unter Verwendung von realen Orten, Namen, erinnerter Ereignissen und Personen aus dem engsten Familien- und Bekanntenkreis.« (S.14)

Eine starke Biografie, die dieser beeindruckenden Frau mehr als gerecht wird und ein neues Verständnis ihrer Werke schafft. Große Leseempfehlung für alle Tove Ditlevsen Fans. 🖤

Bewertung vom 02.11.2023
Asiatische Nudelküche
Yen, Dennis

Asiatische Nudelküche


sehr gut

Der Trend von asiatischer Küche nimmt seit Jahren stetig zu und in vielen urbanen Städten öffnen Ramen-Bars und asiatische Nudelrestaurants. Genau diesen Trend greift das Kochbuch auf und bringt ihn in unsere Küchen.

Das Kochbuch »Asiatische Nudelküche - Ramen, Udon, Wantans und alles was dazugehört« vom Schweden Dennis Yen (mit familiären Wurzeln in China & Vietnam) präsentiert auf 160 Seiten 71 asiatische Nudelrezepte, Soßen und Beilagen: Von schnellen Nudelrezepten auf Basis von Instantnudeln bis zu aufwändigen Ramen und Pho ist hier sehr viel vereint.

»Ich bin seit vielen Jahren stolz und dankbar für die Essenskultur, die ich als Kind erleben durfte, sie hat mich geprägt, ohne sie wäre ich nicht der, der ich heute bin. […] Für mich ist das Essen, das ich koche, eine Form, Liebe und Wertschätzung zu zeigen, Erinnerungen zu vermitteln und meine Familiengeschichte zu erzählen.« (S. 7) #foodisalovelanguage

Was ich toll an diesem Kochbuch finde:
🍜 Jedes Rezept hat ein Foto. Für mich ist das essentiell, da ich dies als Inspiration sehe, ob ich etwas kochen möchte.
🍜 Unter jeder Überschrift ist eine kleine Erläuterung zum Rezept.
🍜 Mit tollen Illustrationen werden bspw. ’Nützliche Utensilien’ und auch ‚Vorräte‘ erläutert
🍜 Übersicht zu verschiedenen Nudeln sowie Tipps zur Zubereitung
🍜 Angaben zu Portionsanzahl sowie Zubereitung

Was hat mir gefehlt?
🌱 Kleine Symbole, ob ein Rezept vegan / vegetarisch / fleischhaltig ist, um schnell entscheiden zu können, ob das Rezept passend ist.
🌱Alternativen bei Fleischgerichten (logisch, dass dies nicht für Rezepte wie Hühnerbrühe funktioniert, aber bei Bin Bo Hue wäre es möglich), um diese zu vegetarischeren / veganisieren.

Insgesamt ein wirklich tolles, schön illustriertes und bebildertes Kochbuch, das ich allen Fans der asiatischen Küche sehr empfehlen kann. ❤️

Bewertung vom 22.10.2023
Diamantnächte
Rød-Larsen, Hilde

Diamantnächte


sehr gut

»Wie stark ein Augenblick in uns wirkt, wenn er sich in Echtzeit entfaltet, wie ausgeliefert wir ihm sind, und dann ist er im Nu vorbei; während er von einem neuen Augenblick abgelöst wird, verblasst der alte, schwindet dahin. Puff! Aber die Reste bleiben zurück, wie Asche im Körper.« (S. 95) 💔😮‍💨

»DIAMANTNÄCHTE« ist ein Roman, der in einem sehr ruhigen, unaufgeregten, distanzierten aber dennoch feinfühligem Ton in Fragmenten die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der 49-jährigen Übersetzerin Agnete erzählt. Dabei brilliert das Buch durch solche — I’d say — ✨Diamant✨-Sätze und -Beobachtungen, wie das obige Zitat 💎.

HOW ARE YOU? — Die Protagonistin wird von dem Wunsch, gesehen zu werden, angetrieben. Dies zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Leben: Angefangen mit ihrer Kindheit, in der sie sich selbst Verletzungen zuführte; über ihre Jungend, in der sie in eine Essstörung entwickelt, um wenigstens die Kontrolle über ihren Körper zu erlangen; bis hin zu ihrer Studienzeit, in der sie toxische Beziehungen eingeht und dabei hofft, dass ihr stiller Hilferuf entlarvt wird.

»DIE AKZEPTANZ EINER SITUATION kann sich, wenn man zur Anpassungsfähigkeit neigt, innerhalb von Sekunden in den Wunsch verwandeln, dass sie genau so sein sollte. Diese Neigung ist etwas, was mich an mir selbst erschreckt.« (S. 176)

Es fällt der Protagonistin nicht leicht, all diese Fragmente aus ihrer Vergangenheit heraufzubeschwören, ihre Vergangenheit zu sezieren und ehrlich mit sich selbst zu sein. Damit zeigt der Roman eindrücklich, dass, wie wir die Geschichten über uns selbst erzählen, trägt erheblich dazu bei, wie nicht nur die Anderen, sondern vor allem auch wir uns selbst sehen.

»Aber ich interessiere mich für mich selbst, warum habe ich mich ergeben, zum Verzehr dargeboten? Ich bekomme Lust, mich selbst zu umarmen, fest, zärtlich, geborgen. Mich ein wenig hin- und herzuwiegen, ein leises Lied in mein Haar zu singen, zu sagen: Komm her, dann passe ich auf dich auf.« (S. 153) ❤️‍🩹

Dieser Roman ist krass deep.🥵 Die Autorin schafft es, mit einer Leichtigkeit über all diese schweren Themen zu schreiben, dass sie nicht direkt ins Auge fallen. Indirekt stellt dieser Roman viele philosophische, moralische und gesellschaftliche Fragen. Ich habe einige Sätze bewusst langsamer gelesen, und bewundere den Schreibstil der Autorin sehr: DIAMANTNACHT 💎 — was für eindrückliche und philosophische Metaphern hier geschaffen worden sind.

»DIAMANTNÄCHTE« 💎🤍 von der norwegischen Übersetzerin, Lektorin und Autorin Hilde Rød-Larsen (Übersetzung 🇳🇴: Ursel Allenstein) erinnerte mich sehr an den norwegischen Roman »MACHT« und greift ebenfalls die Thematik von ME TOO und dem starken Willen, sich selbst nicht als Opfer zu sehen, auf.

Aus den Angaben über die Autorin lassen sich viele Parallelen zwischen der Protagonistin und ihr selbst feststellen, so dass ich mich frage, wie viel von diesem Roman Fiktion und wie viel Erlebtes ist. 💭

Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Roman polarisiert. Es ist kein einfacher Roman - weder thematisch noch literarisch. Mich hat der Roman durch den besonderen Erzähl- und Schreibstil in einen Sog gezogen und berührt. Leseempfehlung für alle, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen können und möchten. ❤️‍🩹 Ich bin sehr gespannt auf hoffentlich weitere Bücher und Übersetzungen der Autorin (auf Norwegisch ist dies bereits ihr 2. Roman).

[CN: Sexueller Übergriff; Essstörung; Selbstverletzendes Verhalten; Depression]

Bewertung vom 21.10.2023
Endstation Malma
Schulman, Alex

Endstation Malma


sehr gut

»»Ich will nicht, dass du mir erklärst, warum es dir schlecht geht!«, brüllt er. »Ich will, dass du etwas dagegen tust!«« Oskar zu Harriet (S. 282)

In seinem neuen Roman »Endstation Malma« 🦅 schreibt der schwedische Autor Alex Schulman (Übersetzung 🇸🇪: Hanna Granz) aus der Perspektive von drei Personen - Harriet, Oskar & Yana - erneut über Familie, Generationentraumata, Depression, Beziehungsproblemen, Verlust, Freiheit 🦅 und die Macht unserer Erinnerungen. Setting des Romans sind drei Zugfahrten auf drei Zeitebenen 🛤️ ,in denen Lesende über die Erinnerungen der drei Personen immer mehr die Familiengeschichte, das große Ganze und schlussendlich das Drama begreifen. 💔

Es ist ein Roman, der zum Nachdenken anregt, der beschäftigt und schmerzt. Es zerreißt einem das Herz, wenn zwei Kinder ihren sich streitenden und vor der Scheidung stehenden Eltern im Bett lauschen und hören, dass weder Mutter noch Vater die eine Tochter bei sich behalten wollen. Es ist nicht leicht zu lesen, wie viel Schmerz Kinder erfahren, wenn Eltern sich so streiten, dass die Beziehung und Familie zerbricht.

»Wann weiß man, dass man ein Kind verloren hat?« Oskar 💭 (S. 110)

Hilft es, die eigene Kindheit immer und immer wieder zu durchleben? Wie viel Erinnerung und Aufarbeitung tut uns gut? Wie sehr beeinflusst uns unsere Vergangenheit?

»Er legt einen Arm um sie, und sie lehnt den Kopf an seine Brust, und dann verschwindet sie erneut, taucht durch die Jahrzehnte. Offenbar gefällt es ihr dort. Die geraden Linien von der Kindheit bis in die Gegenwart hinauf, alles, was man jetzt ist, kann und muss durch das erklärt werden, was einem früher widerfahren ist. « (S. 233)

Das Alex Schulman ein meisterhafter Erzähler ist, wissen wir spätestens seit »Verbrenn all meine Briefe«💌. Mit seinem neuen Buch hat er sich noch tiefer in mein Herz geschrieben. Gekonnt verbindet er persönliche Kindheitserinnerungen und -Traumata mit fiktiven Figuren und schreibt so krass authentische, emotionale und literarisch anspruchsvolle Romane. 😮‍💨 Noch mehr beeindruckt hat mich der Roman und das Werk des Autors nach seiner Lesung, in der ich realisiert habe, wie viel Wahres, Erlebtes, Traumatisierendes der Autor in seinen Roman verarbeitet. Die Geschichten sind frei erfunden, dennoch ist alles passiert. 💔

»Yana doesn’t make any progress at all. She has no journey. That’s exactly what I want, because that’s how life works. Sometimes you just stand still.« Alex Schulman, Lesung HH 18.10.23 🧡

So viel Kluges, so viel Emotionales und so viel Gefühl lesen sich aus diesem und den anderen Büchern des Schweden. Ich bedaure, dass es so viele mehr Bücher von ihm nur auf Schwedisch gibt, und noch mehr, dass mein Schwedisch nicht ausreicht, um diese zu lesen. 😢 Umso mehr freue ich mich auf alle weiteren deutschen Übersetzungen des Autors - looking at you dear dtv 👀❤️

Große Leseempfehlung für alles von Alex Schulman und im Besonderen seinen neuen Roman.

[CN: Depression, Selbstmord]