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Benutzername: 
Emmmbeee
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Feldkirch

Bewertungen

Insgesamt 108 Bewertungen
Bewertung vom 06.09.2022
Anleitung ein anderer zu werden
Louis, Édouard

Anleitung ein anderer zu werden


ausgezeichnet

Durch die Nacht zum Licht
Ein dreißigjähriger Mann blickt auf seine Anfänge in einem nordfranzösischen Dorf und sein bisheriges Leben zurück. Mit dem Stigma der Armut versehen (aber arm waren andere Dorfbewohner auch), weit schwerwiegender jedoch mit dem der Homosexualität durchlebte er eine äußerst schwierige Kindheit.
Daraus will er sich befreien, und es gelingt dem Jugendlichen, sich Stufe für Stufe emporzuarbeiten. In den ersten Jahren fördern ihm Helena und ihre Familie in Amiens und statten ihn mit dem wichtigsten Knowhow aus. Doch auch sie muss er hinter sich lassen, wenn er in Paris den Aufstieg schaffen will.
Per aspera ad astra, von der Widerwärtigkeit zu den Sternen, so zeichnet Edouard Louis seinen Weg. Es ist eine gewaltige Leistung, immer wieder Bestnoten zu erreichen, sich zu Eliteschulen vorzukämpfen, sich mehr als seine Mitbewerber der Zulassungen würdig zu erweisen.
Er setzt sich in entbehrungsreichen Jahren mit eisernem Willen durch, doch wird ihm sein Elternhaus immer fremder. Seine Eltern können bald nicht mehr mit ihm Schritt halten und fühlen sich von ihm verachtet. Er meidet sie, auch wenn er sie liebt. Selbst dieser Konflikt macht ihm schwer zu schaffen. Veränderung bedeutet auch viel Verlust.
In einer gepflegten Sprache, temporeich, farbig, lebendig schildert Edouard Louis seine schmerzhafte Metamorphose. Wenn das Leben Veränderung bedeutet, dann ist das seine ein Paradebeispiel. Selbst aus seinem Geburtsnamen Eddy Bellegeule (schöne Fresse) schält sich der junge Mann heraus.
Einige Punkte kommen mir unwahrscheinlich vor, etwa dass bereits die Mitschüler des Erstklässlers sein Schwulsein erkannt oder dass Helenas Eltern es geduldet haben sollen, wenn die beiden Teenager im selben Bett schliefen. Doch es ist ein Roman, also muss nicht alles mit der Wirklichkeit übereinstimmen.
Mir gefällt, wie das Werk durchstrukturiert ist. Es beginnt gleich schon mit zwei Prologen und ist in vier Teile portioniert, die zugleich die vier wichtigsten Abschnitte in Edouards Leben darstellen. Zahlreiche Fotos ergänzen den Text.
„Anleitung ein anderer zu werden“ ist ein Buch, das jungen und sicher auch älteren Menschen Mut macht, ihren eigenen Weg zu finden und ihn unbeirrt zu gehen.

Bewertung vom 27.08.2022
Schlangen im Garten
vor Schulte, Stefanie

Schlangen im Garten


gut

Ungewöhnliche Trauerbewältigung

Trauer ist individuell, und es gibt kein Wie oder Genug oder Zu wenig. Dass eine Familie einen so ungewöhnlichen Weg wie das Verspeisen des mütterlichen Tagebuchs wählt, nachdem diese gestorben ist, dürfte allerdings selten vorkommen.
Stefanie vor Schulte hat mit ihrem Roman „Schlangen im Garten“ ein Buch vorgelegt, zu dem ich nur schwer vorgedrungen bin. Da habe ich mir bei ihrem Erstling „Junge mit schwarzem Hahn“ bedeutend leichter getan.
Die häufigen Metaphern bedingen ein Mitdenken, ein ständiges Interpretieren. Man muss genau lesen, darf die Seiten keineswegs überfliegen. Doch das Durchhalten lohnt sich, denn gegen Schluss entwirren sich die Fäden allmählich, und einige Querverbindungen schälen sich heraus. Mit dem Verlauf der Handlung kommen immer mehr Personen hinzu, die seltsame Dinge tun. Man muss schon sehr aufpassen, dass man den Überblick und den Faden nicht verliert.
Viele Stellen wirken reichlich surreal, man wähnt sich über weite Strecken in einem Fantasyroman. Manchmal ist die Sprache im Telegrammstil gehalten: kurze oder halbe Sätze, einfacher Punkt statt Fragezeichen, sodass die Fragen zu Feststellungen werden.
Insgesamt ein meisterlich behandeltes Thema, das uns alle angeht. Zu einem Lieblingsbuch wird der Roman mir allerdings nicht.

Bewertung vom 24.08.2022
Die Stimme meiner Schwester
Vieira Junior, Itamar

Die Stimme meiner Schwester


sehr gut

Die Stärke der Frauen
Es ist eine kleine, enge Welt ohne nennenswerte Perspektiven, in die Bibiana und Belonísia hineingeboren werden. Durch ein Unglück schneidet eine von ihnen sich ein Stück Zunge ab. Sie ist dadurch keineswegs sprachlos, denn ihre Schwester versteht sie auch ohne Worte. Als Bibiana ihr Glück woanders sucht, weiß Belonísia sich kraft ihrer Stärke allein zu helfen, wächst über sich hinaus und behauptet sich besser als die meisten anderen Dorfbewohner.
Schlimmer als Sklaverei scheint die Ausbeutung in diesem Landstrich. Ein Mann nach dem anderen wird umgebracht, zurück bleiben Frauen und Kinder in Hunger, Not, Entrechtung, Demütigung. Sich aufzulehnen scheint keine Lösung zu sein, denn auch der kleinste Protest wird brutal niedergeschlagen. Auf jeden Widerstand folgen weitere Repressionen.
Die Menschen sind aufs Engste mit der kargen Erde und der Witterung verbunden, aber auch mit den Geistern der Vorfahren. Ohne die Kraft der Frauen könnte das Dorf nicht bestehen.
Doch zurück zu den Schwestern. Das unheilvolle Messer spielt eine wichtige Rolle und durchzieht wie ein roter Faden die Geschichte, angefangen beim Diebstahl durch die Großmutter. Auf dem Cover wird es durch erhobene Aloe Vera-Blätter ausgedrückt, die wiederum zur Wundheilung maßgeblich beitragen.
Itamar Vieira Junior wechselt beim Erzählen häufig die Zeiten. Das wäre verwirrend, wenn er nicht sehr markante Namen für die einzelnen Generationen ausgewählt hätte. In drei Teilen erfährt der Leser nach und nach, was geschehen ist. Wer aufmerksam liest, erkennt anhand der Verben schon sehr bald, welches der Mädchen sich nur mitteilt (durch Gesten oder Blicke) und welches sprechen kann.
Aus der Zeit nach der offiziellen Sklavenbefreiung speziell in Südamerika, wo Schwarze sich mit Indigenen vermischt haben, wissen wir nicht viel. Itamar Junior ist wegen seiner Doktorarbeit ihren Lebensbedingungen auf den Grund gegangen und hat schonungslos offengelegt, wie schändlich mit ihnen umgegangen wurde.
„Die Stimme meiner Schwester“ ist ein außergewöhnlicher Stoff, der inhaltlich aus den üblichen Themen von heute heraussticht. Ein notwendiges Buch, das jedem Interessierten die Augen öffnet.

Bewertung vom 14.08.2022
Sanfte Einführung ins Chaos
Orriols, Marta

Sanfte Einführung ins Chaos


sehr gut

Tod oder Leben?

Marta und Daniel, gut situiert und modern ausgerichtet, erwarten ein Kind. Zunächst stehen ihm beide ablehnend gegenüber, doch die Wartezeit bis zum Abtreibungstermin füllt sich mit allen möglichen Überlegungen und Wünschen. Daniel will seiner Partnerin die Entscheidung überlassen, sie aber in allem unterstützen. Dennoch fühlt er sich hilflos, und auch Marta kommt allein nicht gut zurecht.
Da sowohl die Protagonistin als auch die Autorin denselben Vornamen tragen, sind autobiografische Strecken sehr wahrscheinlich. Man muss die Situation vor einem Schwangerschaftsabbruch wohl schon einmal erlebt haben, um sich so gut hineinfühlen und sie beschreiben zu können. Jedenfalls geht es mir als Leserin sehr nahe, was da geschieht, nämlich zunächst ein Chaos der Gefühle vor der endgültigen Entscheidung und im Leben danach, so oder so. Schritt für Schritt wird auch der Leser mit dem Unvorhergesehenen konfrontiert und mit eingebunden. Sehr vielen steht vor dem Einstürzen ebenso wie vor einer neuen Zukunft. Denn Abtreibung oder neues Leben erwarten: Jetzt wird nichts mehr so sein, wie es bisher war.
Mir gefiel der Aufbau dieses Romans, gegliedert in zwei Teile, die zuerst Daniel, dann Marta beleuchten. In 23 Kapiteln erzählt Marta Orriols von wenigen Tagen in Schwangerschaftswoche 8 und 9. Die Abschnitte tragen teilweise sehr treffend Titel wie „Im Takt“ und „Aus dem Takt“. Ein gerade heute wieder sehr aktuelles Thema, das präzise seziert wird, aber mit Wärme und Anteilnahme. Die Sprache ist flüssig, leicht, farbig, der Stil wirkt stellenweise fast unbeteiligt-trocken.
Obwohl kaum neue Aspekte zur Abtreibungsentscheidung geboten werden, empfehle ich den Roman allen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen.

Bewertung vom 05.08.2022
Matrix
Groff, Lauren

Matrix


sehr gut

Eine Frau, die ihren Mann steht

Zu einer Zeit, da Frauen fast überall unterdrückt und bei der Eheschließung enteignet wurden, wächst Marie heran, die nicht in einer normalen Vater-Mutter-Kind-Familie erzogen worden ist. Starke Frauenbilder hatte sie von klein auf vor Augen. Da sie als unehelicher Sproß des englischen Thrones geboren wurde, glaubt Königin Eleonore von Aquitanien, mit ihrer Halbschwester nach Belieben verfahren zu können, und schickt sie in ein völlig heruntergekommenes, verarmtes Kloster.
Maries Einstand ist denn auch ein äußerst armseliger. Doch bald kann sie sich aufgrund ihrer Klugheit und ihres Geschickes durchsetzen, und davon profitieren auch die übrigen Nonnen und das umliegende Land. Doch Neid und Eifersucht gibt es überall.
Mir gefällt schon mal das Thema, das bisher so wohl noch kaum angeschnitten wurde. Doch auch der Erzählstil, die Sprache der Übersetzerin Stefanie Jacobs, ein nicht unwesentlicher Faktor, hat mich von Beginn an sehr gern lesen lassen.
Die Spannung hält sich durch alle 9 Kapitel hindurch. Die Handlung hat Drive und ist doch nicht aufregend, sie fließt trotz der Veränderungen ruhig dahin. Eine Ausnahme bildet natürlich die Abwehr der anstürmenden Rüpel, welche nachts durch das Labyrinth einbrechen und zum Kloster gelangen wollen. Wie klug umgehen die Nonnen doch das Gebot „Du sollst nicht töten“!
Die Charaktere der Nonnen sind sehr plastisch herausgearbeitet, man sieht sie richtig vor sich und kann ihre Reaktionen vorausahnen. Auch vom Zustand der Abtei konnte ich mir ein gutes Bild machen.
Mit Maries Tod endet zwar der Roman, nicht jedoch das Bestehen ihres Klosters. „Und die Stunden verstreichen, und die Arbeit geht weiter“, so lautet der letzte Satz.
Die Gestaltung des Covers lässt vermuten, dass sowohl die Strahlkraft dieser Äbtissin als auch ihre Visionen dargestellt werden sollen. Erst auf den zweiten Blick habe ich die Schönheit des Bildes erkannt.
Auf der Rückseite des Schutzumschlags sind die Reaktionen von drei Autorinnen angeführt. Mich freut es, dass Louise Erdrich mit einer überzeugenden Aussage darunter ist. Obwohl ich historische Romane sonst nicht so mag, dieser hat mich bis zur letzten Seite gefesselt. Ich empfehle ihn allen, die sich darüber freuen, dass es zu allen Zeiten starke und gescheite Frauen gab und die gute Literatur schätzen.

Bewertung vom 24.07.2022
Der Mann, der vom Himmel fiel
Tevis, Walter

Der Mann, der vom Himmel fiel


gut

Außerirdisch und doch sehr irdisch

Ein Humanoider von einem anderen Planeten trifft mit einem Auftrag in Kentucky auf. Dort beginnt er mit seinen andersartigen Technologien zu wirken und hat zunächst viel Erfolg damit. Doch Reichtum schafft Neider und verursacht Misstrauen. Von da her sehr irdisch, denn das passiert Tag für Tag.
Das alles lässt aber auch an Jesus Christus denken, der quasi ebenfalls von einem anderen Stern kam, mit einer Mission und zum Scheitern verurteilt. Bitte, wertet das nicht als Blasphemie, aber der Gedanke liegt nahe.
Ich habe etwas Zeit gebraucht, um in den Roman und seine Charaktere hineinzufinden. Kaum war die Rede von diesem High-Tech-Labor, ahnt man auch schon, dass es kein Happy End geben wird. Sehr unheilverkündend ist alles, der Untergang war mir immer vor Augen.
Über allem schwebt David Bowie, denn der Roman, bereits 1962 geschrieben, wurde 1976 mit ihm in der Hauptrolle verfilmt. Der humanoide Außerirdische namens Thomas Jerome Newton ließ sich damals in idealer Weise vom Sänger verkörpern. Zu dieser Zeit kannten wir Bowie als bunt eingefärbten Ziggy Stardust und fast ausgemergelt schlank, der Alien in Person.
Ich fand die Sprache lebendig, eingängig und flüssig, den Text spannend. Doch da ich keine Science-Fiction-Leserin bin, würde ich das Buch trotzdem kein zweites Mal lesen. Die Umschlaggestaltung finde ich passend und ansprechend.

Bewertung vom 20.07.2022
Die Wunder
Medel, Elena

Die Wunder


gut

Erschütternde Familiengeschichte

Spanien in den Jahren zwischen 1969 und 2018, zwei Frauen. Die ältere von ihnen wird durch ihre Lebensjahre begleitet. Sie ahnt im Alter, dass sie soeben ihrer Enkelin begegnet ist. Dazwischen der Verlauf einer Familie in Aufstieg und Absturz. Doch worum es eigentlich geht und mich tief berührt hat, ist die schmerzhafte Entfremdung zwischen Müttern und ihren Töchtern.
Mir gefällt der Schreib- und Erzählstil von Elena Medel, von der ich zuvor noch nichts gelesen habe. Dennoch fand ich nur schwer in diesen Roman hinein. In elf Kapiteln, die zeitlich vor- und zurückspringen, wird eine erschütternde Familiengeschichte ausgebreitet.
Diese Zeitsprünge können sehr verwirren, weil erst viel später aufgelöst wird, was im betreffenden Abschnitt angedeutet wurde. Im folgenden handelt es sich ja wieder um eine andere Person in einer anderen Zeit. Ist aber jemand ein langsamer Leser oder legt längere Zeit das Buch aus der Hand, ist es für ihn schwierig, wieder hineinzufinden, denn er wird wahrscheinlich das Geflecht neu entwirren müssen. Auch hat sich mir die Bedeutung des Titels bis zum Ende nicht erschlossen.
Vermisst habe ich sowohl ein Glossar für die spanischen Ausdrücke als auch eine Zeittafel, in der das politische Geschehen auf der iberischen Halbinsel verzeichnet ist. Das ist in Mitteleuropa nicht allzu vielen Leuten bekannt. So kann man nur rätseln, von wessen Beerdigung die Rede ist und sich die Reaktionen darauf zusammenreimen.
Deshalb empfehle ich diesen Roman nur Kennern der spanischen Geschichte seit 1968 weiter.

Bewertung vom 05.07.2022
Freundin bleibst du immer
Obaro, Tomi

Freundin bleibst du immer


sehr gut

Lesenswertes Romandebut

Mit „Freundin bleibst du immer“ legt Tomi Obaro ihren Romanerstling vor. Und ich muss sagen, das Werk ist ihr gelungen. Sofort fand ich in die Handlung und war mitten im Geschehen. Sie gewährt uns Einblick in das tägliche nigerianische Leben, im Fall der Hochzeit auch in das der oberen Mittelschicht. Das kennen wir Europäer so nicht nur wenig. Doch führt sie uns Lesern auch die nächtlichen Gefahren vor Augen, die den Alltag in vielen Ländern Afrikas ausmachen.
Immer wieder öffnen sich auch Seitenfenster, etwa mit Blick auf die Studentenunruhen Ende der Achtzigerjahre und den Einsatz von ausländischen Bildungshelfern. Authentischer geht es vermutlich wohl kaum, obwohl nirgends steht, wo die Autorin geboren wurde und aufgewachsen ist. Hauptstadt Lagos, Zaria und Kaduna im Norden von Nigeria.
Anlässlich einer Hochzeit treffen sich die Freundinnen Enitan, Zainab und Funmi in Lagos. Sie kommen aus unterschiedlichen Schichten, ließen sich zu Pflegekräften ausbilden und knüpften während dieser Zeit ihre Freundschaft fürs Leben. Nach dem Abschluss aber verschlägt es sie in verschiedene Richtungen.
Ein Kunstgriff ist der kurze Prolog. Anhand eines Fotos erfährt der Leser schon mal etwas über die drei Freundinnen Enitan, Zainab und Funmi. In den folgenden drei Teilen geht es in die Gegenwart, die Vergangenheit und um eine Hochzeit. Denn diese ist der Anlass zum Treffen nach langer Zeit.
Es ist bezeichnend, dass die Braut Destiny heißt, ein Wort, das auch im Originaltitel vorkommt und auf die vollkommen verschiedenen Schicksale der drei Freundinnen hinweist. Bei der Hochzeit selbst wäre ich gern dabei gewesen, am besten als Afrikanerin, so opulent und glanzvoll schildert Tomi Obaro die traditionellen Feierlichkeiten.
Das Glossar am Schluss des Buches hätte ich mir umfangreicher gewünscht. Das Wichtigste wird jedoch erklärt und gut verständlich beschrieben.
Das Cover zeigt eine Frau mit festlichem Kopfputz und aufwendigen Ohrringen, wie auch die Damen bei der geschilderten traditionellen Hochzeit erschienen sein werden. Ein Hingucker auf dem Büchertisch und im Schaufenster, der Roman ein aufsehen erregendes Debut, das ich jedem nur empfehlen kann.

Bewertung vom 15.06.2022
Danke, Afrika! Was ich zwischen Dschibuti und Marokko fürs Leben lernte.
Wendt, Lena

Danke, Afrika! Was ich zwischen Dschibuti und Marokko fürs Leben lernte.


sehr gut

Afrika nähergebracht

Wenn man wie Lena Wendt einen Kontinent bereist, kommt es zu tiefergreifenden Begegnungen und Erfahrungen. Anders geht es gar nicht, aber man muss sich auf Land und Menschen auch einlassen. Genau das hat die Autorin getan.
Ein Querschnitt durch ihre Reisen und Erlebnisse, bunt gemischt. Doch nicht nur die schönen Touristenseiten beschreibt die Autorin, sondern auch die problematischen, vor denen wir gern die Augen verschließen: tiefe Armut, Hass, Rassismus, Mangel, Unterdrückung, doch auch viel Hoffnung. Sie lässt auch die Afrikaner selbst zu Worte kommen, was den Reiseberichten eine beachtliche Authentizität verleiht. Fotos. Ein wenig Humor.
Natürlich bestehen viele Unterschiede, in der Lebensweise, der Ernährung, der Kultur, den Traditionen. Doch Lena Wendt hebt auch die Gemeinsamkeiten hervor, was mir sehr sympathisch war.
Insgesamt ein Buch für alle, die Afrika ein wenig – oder noch gar nicht kennen.

Bewertung vom 06.06.2022
Schlaflos auf Sylt
Thesenfitz, Claudia

Schlaflos auf Sylt


gut

Open Start auf Sylt

Merle wird 50 und will mit Mutter und Stiefvater drei Tage lang still auf der Insel Sylt feiern. Doch Eltern und Schwestern überraschen sie mit einem Riesenfest, zu dem sie 50 unerwartete Gäste geladen haben.
Ein hübsches Coverbild, ein paar farbig beschriebene Ansichten von Sylt, eine durchprogrammierte, vielseitige Geburtstagsfeier, jede Menge Charaktere. So ganz nebenbei werden die Probleme des Mangels an Servicekräften und bezahlbarem Wohnraum auf der Insel gelöst. Auch für nicht wenige Beteiligte eröffnet sich ein neuer Start. Statt open end ergibt sich zur Abwechslung mal ein open start.
Aber sonst? Über weite Strecken, ich denke dabei an allzu ausführliche Lebensrückblicke und das endlose philosophische Gespräch zu früher Stunde unter stark angetrunkenen Menschen, wirkte der Roman auf mich etwas langatmig. Die diskutierten Perspektiven waren denn auch reichlich ausgelutscht.
Manche Personen fand ich überzeichnet, sie wurden für mich dadurch unglaubhaft. Für etliche Gäste wurde das Fest zur Partnertauschbörse. Es gab durchgeschüttelte Beziehungen, Tantra, Outings, Ärger, Tränen, Enttäuschungen am laufenden Band. Vieles war vorhersehbar und zumindest für uns mitdenkende Leser keine Überraschung.
Warum „schlaflos auf sylt“ ein Glücksroman sein soll, hat sich mir nicht ganz erschlossen. Vielmehr entpuppt es sich als Ratgeber für Menschen um die 50.
Was mir aber gar nicht gefallen hat waren die vielen Füllwörter, noch dazu in textnaher mehrfacher Wiederholung. In dieser Hinsicht hätte ich der Autorin mehr Sprachkunst zugetraut. Schön fand ich hingegen, dass Claudia Thesenfitz sich auf dreieinhalb Seiten hinweg bei so vielen Menschen bedankt.
Als Strandlektüre eignet sich der Roman durchaus. Die Ansprüche dürfen nur nicht allzu hoch liegen.