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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Hennie
Wohnort: 
Chemnitz

Bewertungen

Insgesamt 260 Bewertungen
Bewertung vom 22.07.2022
Als das Böse kam
Menger, Ivar Leon

Als das Böse kam


sehr gut

Wehe, wenn der Zeigefinger zittert!
Beinahe Junos gesamtes Leben versteckt sich die Familie auf einer einsamen Insel. Gemeinsam mit ihrem Bruder Boy bewohnen sie eine Blockhütte mitten im Wald. Einen kleinen Eindruck der düsteren Atmosphäre vermittelt das Cover recht eindringlich. Vater, Mutter, Kinder sind angeblich aus Südland geflohen, was es aber auf ihrem Brettspiel gar nicht gibt. Ebenso Nordland nicht, wo sie leben.
Eine unbestimmte Gefahr bedroht die kleine Gemeinschaft und deshalb müssen die Heranwachsenden viele Regeln und Gebote beachten. Eine davon ist, wenn die Sirene ertönt, müssen sie in einen Schutzraum, der sie vor dem Zugriff der Fremdlinge bewahrt.

Die bizarre Geschichte wird aus der Sicht der 16jährigen Juno dargestellt. Ihr naiver, unverstellter Charakter machte mir zunächst viel Freude. Das junge Mädchen hatte meine Sympathie. Sie kannte ja kein anderes Leben; sie wußte nichts von der Außenwelt. Eine gewisse Spannung stellte sich recht bald ein. Juno beginnt Fragen zu stellen und sie macht sich ihren Reim drauf. Unbedingt will sie die andere Seite des Sees erkunden. Dabei bringt sie sich und ihren 12jährigen Bruder in Gefahr.

Es hätte ein noch packenderer Thriller werden können bei der Thematik, von der ich hier noch nichts verraten möchte. Doch irgendwie fand ich einiges stark überzogen, ja regelrecht unlogisch. Lustig fand ich den Einfall des Autors, Junos Zeigefinger zittern zu lassen, wenn sie lügt. Ein untrügliches Zeichen für die Mutter, die sich als böse Frau entpuppt, eine Hexe wie im Märchen.
Wäre ich um einiges jünger, hätte ich das Buch sicher verschlungen. Es ist durch den einfachen, schönen Schreibstil für Jugendliche sehr geeignet und sie sehen vieles sicher nicht so kritisch wie ich.

Es reicht für vier von fünf Sternen und meine bevorzugte Empfehlung für jugendliche Leser!

Bewertung vom 19.07.2022
Fischers Frau
Kalisa, Karin

Fischers Frau


ausgezeichnet

Teppichgeschichte(n)
Der Ausgangspunkt für Karin Kalisas Roman „Fischers Frau" sind die sogenannten Fischerteppiche, die Ende der Zwanziger Jahre des 20. Jahrhundert durch Nebenerwerb von Fischern und ihren Familien der Region Ostpommern entworfen und geknüpft wurden.
Der Anlass für diese Art der Beschäftigung war die Verhängung eines dreijährigen Fischfangverbotes im Jahr 1928 in der südlichen Ostsee, damit sich die stark gelichteten Fischbestände erholen konnten. In ganz Europa wurden die Teppiche der Verkaufsschlager. Doch der Grüne in dieser Geschichte fällt aus dem Rahmen, denn diese Farbe verwendeten die Fischer kaum. Farbschattierungen, Musterung, Materialien, Symbolik und Signierung, alles sehr ungewöhnlich. Wer und was steckt dahinter?

Mia Sund ist eine diplomierte Faserarchäologin an der Greifswalder Universität. Ihr wird vom Chef der außergewöhnliche Fischerteppich vorgelegt mit einer Bemerkung, die sie tief im Innersten erschüttert, die ihre verdrängte Vergangenheit wieder unliebsam hervorruft. Sie wird durch den Satz „Nicht, dass es eine Fälschung ist“ mehr als wachgerüttelt. Dabei war es ihr bis dahin so wichtig, dass sich rein gar nichts in ihrem Leben verändert. Sie beginnt sich intensiv mit dem Teppich zu beschäftigen, will seinem Geheimnis auf den Grund gehen und verlässt dafür ihre mühsam erkämpfte Komfortzone, ihr Dasein im selbstgewählten Mittelmaß. Die Spur führt nach Zagreb. Dort auf der Suche nach Fakten findet Mia zwar ihr persönliches Glück, wahrscheinlich endlich ihr Lebensziel, aber zu der talentierten Teppichknüpferin gibt es leider nur Fragmentarisches. So beginnt sie das Wenige über Nina, die außerdem eine begnadete Erzählerin gewesen sein soll, in eine märchenhafte, fiktive Geschichte mit realem Bezug zum Zeitgeschehen einzubinden. Es entstehen wunderbare Erzählfäden, Interpretationen, die aus neuer Perspektive mit vertauschten Rollen betrachtet werden (z. B. hier hat der Fischer Wünsche im Gegensatz zum Märchen!).
Die beiden Frauen, Mia und Nina, sind grundverschieden und irgendwie auch wieder nicht. Sie trennen viele Jahrzehnte, gehören verschiedenen Generationen an. Und doch versteht es Karin Kalisa in ihrer Erzählung zwischen den Zeitebenen, zwischen dem Hier und Heute, zwischen Gegenwart und Vergangenheit Schicksale und geschichtliche Ereignisse zu verflechten.

"Als sei die Vergangenheit ein Brausepulver und die Gegenwart ein Glas Wasser.“ (S. 136)

Der Erzählfaden verbindet das Echte mit dem Falschen, die Fantasie mit der Wirklichkeit, das Märchenhafte mit dem Realen. Ab und zu sprudeln die Ideen über und drohen sich zu verheddern, aber dann folgen die Gedanken wieder einer mir klaren Linie. Ich konnte mich auf dieses Buch einlassen und der Kraft des Erzählens folgen.

Fazit:
Mit Karin Kalisas „Fischers Frau“ war ich sehr gern unterwegs; und zwar mit Mia (Gegenwart) und Nina (Vergangenheit) auf den Spuren eines geheimnisvollen Teppichs. Der Weg führte von Greifswald, Stralsund, Freest nach Zagreb, durch halb Europa u.a. Spanien und schließlich nach Schweden.
Eine interessante, recht ungewöhnliche Reise zu eigenen Erkenntnissen mit vielen textilen Metaphern. Hier werden Fäden geknüpft, verknotet, verbunden, fallengelassen, als lose Enden hängengelassen, vergessen oder irgendwann wieder aufgenommen.
Teils realistisch, teils fiktiv. Fischerteppiche von der Ostsee - für mich ein ganz neues textilgeschichtliches Thema!

Bewertung vom 30.06.2022
Das Versteck des Kleopatra-Falters / Hüterin der Schmetterlinge Bd.1
Rahlff, Ruth

Das Versteck des Kleopatra-Falters / Hüterin der Schmetterlinge Bd.1


ausgezeichnet

Bezaubernder Schmetterlingsmythos
Aufmerksam geworden durch das fabelhaft gestaltete Cover, beschäftigte ich mich mit der Leseprobe. Die gefiel mir sehr gut.
„Die Hüterin der Schmetterlinge" von Ruth Rahlff ist ein wunderbarer Reihenauftakt für meine zehnjährige Enkelin, die zudem auch Stella heißt wie die Heldin der Geschichte.

Das junge Mädchen Stella bereitet heimlich für ihre Freundin Yanna eine Creme, die Kleopatra-Creme. Für die Rezeptur wird der goldgelbe Puder des Kleopatra-Schmetterlings benötigt. Hat sie bei der Herstellung etwas falsch gemacht? Denn alle Schmetterlinge der Gattung sind plötzlich spurlos verschwunden! Stellas Großmutter Aveline und Mutter Nathalie sind Mitglieder der Tagfalter-Gilde und berechtigt für die Zubereitung von Cremes und Seifen. Die Erlaubnis dafür erhält man erst mit 14 Jahren. Doch Stella hat dieses Alter noch nicht ganz erreicht. Der Zusammenhang mit dem Verschwinden der Falter ist ersichtlich. Doch ist es tatsächlich, so wie es scheint?

Laßt euch auf dieses tolle Buch ein!

Fazit:
Imponierend, wie die Autorin ihre jugendlichen Helden Stella und Victor von der Nachtfalter-Gilde durch die Geschichte führt. Sie beide halten die Zukunft ihrer Zünfte in den Händen und sie trotzen gemeinsam dem Widerstand ihrer Eltern, die eine langjährige Feindschaft gegeneinander hegen und pflegen.
Abenteuerlich, spannend mit viel Mythos um Schmetterlinge.

Von mir gibt es die Höchstbewertung!

Bewertung vom 15.06.2022
Die Verdammten (eBook, ePUB)
Korten, Astrid

Die Verdammten (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ein intensiv erzählter Thriller
Mit „Die Verdammten“ ist Astrid Korten wieder ein Thriller gelungen, der die Bezeichnung vollends verdient und rechtfertigt. Mit Sebastian, Cherry und Karo schuf sie drei Charaktere, denen so scheint es, zunächst nichts Außergewöhnliches im Alltag geschieht. Sebastian ist geschieden von einer unsympathischen, übergriffigen Frau. Sie entzieht ihm die beiden Kinder, macht ihm das Leben sehr schwer. Dazu befindet er sich in momentanen, finanziellen Schwierigkeiten. Cherry, die makellos schöne Krankenschwester, hat ein undurchsichtiges Verhältnis mit einem verheirateten Arzt. Sie freundet sich mit ihrer liebenswürdigen Kollegin Karo an, die wiederum große Probleme mit ihrem Übergewicht sowie einem traumatischen Erlebnis aus ihrer Vergangenheit hat.

Die Geschichte der drei Protagonisten wird äußerst spannend über drei Teile und in 112 kurzen Kapiteln erzählt. Dabei wechseln sich die o.g. Hauptpersonen ständig ab. Das erhöht zusätzlich die Spannung und wirkt auf mich als eine besondere, oft beklemmend wirkende Dramaturgie. Bis kurz vor dem Ende wußte ich nicht sicher, wie die diversen Geschehen und einzelne Personen zusammenhängen. Im Grunde werden erst im relativ kurzen dritten Teil die teilweise verhängnisvollen Verkettungen sichtbar. Einiges wird meiner Meinung nach zu guter Letzt der Fantasie des Lesers/der Leserin überlassen.

Es ist toll, wie es der Autorin erneut gelang, mit einer neuen Thematik aus dem Repertoire menschlicher Konflikte, ein fesselndes Buch zu schreiben. Mit den drei „Verdammten“ verbindet sie so viel, dass ich manchmal fast die Übersicht verlor. Da musste ich dann nochmal intensiver lesen und den betreffenden Ablauf bzw. Fakt erneut auf mich wirken lassen, Überlegungen anstellen und Schlußfolgerungen ziehen.

Aus dem Alltag entstehen hier Situationen, die tiefste Gefühle, massive Emotionen und folgenschwere Reaktionen hervorrufen. Die Verflechtung verschiedenster Sachverhalte (vor allem die zahlreichen Lügen, eine Krankheit, Gewaltfantasien u.v.m.) wurde logisch und für mich nachvollziehbar dargestellt.

Fazit:

„Die Verdammten“ ist ein intensiv erzählter Psychothriller mit bewegenden Schicksalen.

Das ist eine packende Geschichte für alle, die hinter die Fassade schauen wollen.

Die Verwicklungen der einzelnen Personen miteinander und untereinander wurden wieder einmal hervorragend in einer atemberaubenden Handlung verwoben.

Ich gebe gerne meine Empfehlung und bewerte mit fünf von fünf Sternen.

Bewertung vom 31.05.2022
Ein unendlich kurzer Sommer
Pfister, Kristina

Ein unendlich kurzer Sommer


ausgezeichnet

Mitten aus dem Leben
Die junge Lale nimmt sich eine Auszeit, läuft eigentlich vor sich selbst davon und strandet im „Nirgendwo“ auf dem Campingplatz des alten, ansonsten ziemlich abweisenden, granteligen Gustav. Bei ihr macht er eine Ausnahme, zeigt sich von seiner freundlichen Seite und überlässt ihr einen Wohnwagen. Im Gegenzug soll sie ihm zur Hand gehen bei verschiedenen Tätigkeiten.
Christopher ordnet den Nachlaß seiner verstorbenen Mutter und findet einen aussagekräftigen Brief, versteckt und vergessen in einem Buch. Daraufhin beschließt er die Insel La Réunion zu verlassen und nach Deutschland zu reisen. Sein Ziel ist der Campingplatz und Gustav.

Ich meide eigentlich Geschichten, die den Anschein haben, inhaltlich mit Herzschmerz oder schmalzigem Gesülze aufzuwarten. Doch ich habe es keine Zeile bereut, dieses Buch gelesen zu haben. Mit wachsendem Interesse verfolgte ich die Entwicklung der handelnden Charaktere, ihre Beziehungen zueinander, besonders der Hauptpersonen Chris, Lale, Gustav und Flo. Das sind Menschen mit Ecken und Kanten, mit Fehlern. Sie agieren lebendig, sehr authentisch. Ich finde, die Stimmungen der Menschen und ihr Miteinander auf dem Campingplatz wurden nachvollziehbar von der Autorin eingefangen, mal tieftraurig, mal mit Humor. In wenigen Tagen (hier auch der Bezug zum Titel) werden Entscheidungen getroffen, die das weitere Leben wesentlich bestimmen. Wird sich ein Schicksal wiederholen? Gibt es ein Happy End? Die Auflösung gibt es ganz zum Schluß mit einem hoffnungsvollen Blick in die Zukunft.
Lales pragmatischer Erkenntnis auf S. 170 „Es gibt keine Paralleluniversen, es gibt nur Entscheidungen, die man trifft“ schließe ich mich an. Etwas abgewandelt formuliert sie das gegen Ende der Geschichte auf S. 352 "Wer sagt, dass ein Paralleluniversum nicht genau der richtige Ort für mich ist?"

Fazit:
"Ein unendlich kurzer Sommer" ist für mich eine unterhaltsame Geschichte, die realistische Themen so vielfältig wie das Leben beschreibt. Dazu gehören neben Freundschaft, Liebe, Zusammengehörigkeitsgefühl, aber auch entscheidende Weichenstellungen, Kurzschlußreaktionen, verpaßte Momente und Abschiede. Und nicht zu vergessen: Krankheit und Tod.
Ich erlebte eine feinfühlige, kurzweilige Sommerlektüre, die ich sehr gern weiter empfehlen möchte mit fünf von fünf Sternen.

Bewertung vom 30.05.2022
Der Tote aus Zimmer 12
Horowitz, Anthony

Der Tote aus Zimmer 12


ausgezeichnet

Atticus und Susan
Die Geschichte beginnt mit Susan Ryeland, einer ehemaligen Lektorin, die mit ihrem griechischen Freund Andreas ein reizendes kleines Hotel auf Kreta führt. Doch die Idylle trügt, denn vieles im täglichen Betrieb verläuft nicht reibungslos, sondern eher chaotisch. Das Personal ist unzuverlässig, die Lieferanten ebenso und auch die Gäste haben so ihre besonderen Bedürfnisse. Der Alltag gestaltet sich zunehmend stressiger und die Beziehung leidet. Susan sehnt sich zurück nach ihrem alten Leben in London. Als sie vom Ehepaar Treherne gebeten wird, sich mit dem Verschwinden ihrer Tochter Cecily und einem Mord in ihrem Hotel Branlow Hall vor acht Jahren zu befassen, überlegt sie nicht lange und begibt sich nach England. Sie interessiert zudem, was die Geschichte mit dem Roman „Atticus unterwegs“, den sie damals lektorierte, zu tun hat. Die Aufklärung soll ein riskantes Unterfangen werden. Mehrmals begibt sich Susan in Gefahr...

Das ist das erste Buch von Anthony Horowitz, das ich gelesen habe und ich bin begeistert. Wie der Autor die Leser mit seinen Einfällen fordert, gefiel mir sehr.
Die Handlung, die Ausarbeitung der Charaktere und den Sprachstil finde ich erstklassig.
Die Art seiner Protagonistin Susan sagte mir sehr zu. Sie kniet sich in die Sache richtig rein und läßt ihre Beziehungen spielen. Und doch kann sie sowohl den Mord als auch das Verschwinden von Cecily lange Zeit nicht aufklären. Rätsel über Rätsel! Nichts fügt sich zusammen. Sie befaßt sich wie Cecily nochmals eingehend mit dem Buch, um dem Mörder auf die Spur zu kommen. Und obwohl es auch danach anscheinend zu viele lose Enden in der Geschichte gibt, fügt sich zum Schluß der ziemlich komplexe Fall in logischer Weise durch diverse Wendungen und Schlußfolgerungen in Susans Zusammenfassung der komplexen Ereignisse.
Mit viel Finesse und außerordentlicher Kreativität schafft der Autor Verknüpfungen, teilweise ziemlich burlesk im Text versteckt, gibt eine Vielzahl von Hinweisen mit den Anagrammen und den doppelt vergebenen Initialen, die mir im nachhinein total schlüssig erscheinen. Und letztendlich dieser geniale Schachzug mit dem Buch im Buch, was ich so noch nie gelesen habe!

Horowitz gelang ein besonderer Thriller, der die Vergangenheit mit der Gegenwart verband. Ich hatte meine pure Lesefreude daran. Er schuf typisch britisches Flair á la Agatha Christie und das hervorstechend mit der Figur des Atticus Pünd.

Für mich ein 5-Sterne-Buch, das ich sehr gerne empfehle!

Bewertung vom 25.05.2022
Kaltherz
Faber, Henri

Kaltherz


ausgezeichnet

Wo ist Marie?
Genau wie das Thriller-Debüt "Ausweglos" war auch "Kaltherz" eine spannend erzählte Geschichte, wie ich es von diesem Genre erwarte.
Ich kann Arno Strobel nur zustimmen, dessen Fazit auf dem Cover verzeichnet ist. Er meinte:
„Ein echter Thriller, auf den Punkt erzählt, hochspannend bis zum Ende.“

Das Geschehen laut dem Klappentext scheint klar und logisch zu sein, aber stimmt das so?
Ich erlebte eine mitreißende Handlung aus der Ich-Perspektive der vier Protagonisten. Da ist die verschwundene Fünfjährige, Marie, ihre verzweifelte Mutter Clara, ihr undurchsichtiger, sehr gefasster, emotional recht abgebrühter Vater Jakob und die ziemlich überspannt agierende Polizistin Kim Lansky. Allesamt fabelhaft beschriebene Persönlichkeiten, die ich mir gut vorstellen konnte. Daneben gibt es noch einige interessante Charaktere, die den Verlauf des Geschehens maßgeblich vorantreiben.

Schon der Beginn der Geschichte sorgt mit dem ersten und dem letzten Satz für „Paukenschläge“. Was für eine Ausdruckskraft! Diese Art des Prologs ließ mich schon mal mit Fragezeichen, gespannter Erwartung und viel Neugierde zurück.
In zumeist kurzen Kapiteln und über fünf Teile wechseln sich die vier o.g. Hauptpersonen ab. Die Kapitel sind mit den Vornamen überschrieben, mit dem Wochentag, Datum und Uhrzeit. Das ist gut gemacht mit einer Ausnahme. Bei Marie haben mich die Angaben sehr verwirrt. Ich brachte sie nicht in den Kontext der gegenwärtigen Handlung. Meiner Meinung nach hätte es die Daten bei ihr nicht gebraucht. Es war für mich verständlich geschrieben. Ich konnte die Zusammenhänge wunderbar nachvollziehen, wenn auch nicht sofort. Das wäre mein einziger Kritikpunkt, der aber meine Bewertung nicht beeinflusst. Vielleicht habe nur ich es nicht verstanden!

Ich finde auch diesen Thriller genau wie das Debüt „Ausweglos“ sehr gelungen. Vieles war nicht so, wie es schien. Es gibt viele überraschende Wendungen, die schnell alles wieder auf den Kopf stellen und neue Situationen entstehen lassen.
Von Beginn bis zum Schluß spannend erzählt, wobei das Ende nochmal alles toppt, ein Ende, dass alle ungeklärten Fragen für mich zufriedenstellend beantwortet. Der etwas durchgeknallten Lansky möchte ich ganz gern wiederbegegnen. Sie ist eine vollkommen untypische Ermittlerin mit sehr viel Empathie für die Arbeit und für die Menschen. Vielleicht findet Henri Faber für sie eine passende Aufgabe in seinem nächsten Werk?

Von mir gibt es die Höchstbewertung mit einer dringlichen Empfehlung für alle Thrillerfans!

Bewertung vom 10.05.2022
Gretas Erbe / Die Winzerin Bd.1
Engel, Nora

Gretas Erbe / Die Winzerin Bd.1


gut

Streben nach Bildung
Mit großer Erwartung bin ich in diesen Roman gestartet, denn die Hauptperson Greta ist in etwa so alt wie ich. Ich habe also diese Zeit bewußt erlebt und sie war außerordentlich prägend für mich, für meinen persönlichen und beruflichen Werdegang. Allerdings im anderen Teil Deutschlands.
Die ersten Kapitel haben mich voll in die Geschichte reingezogen. Das Schicksal Marias machte mich betroffen. Der Zeitsprung ins Jahr 1970 zur Tochter Greta erfolgte danach abrupt. Greta war da im gleichen Alter wie Maria. Da musste ich mich erst einmal kurz zurechtfinden, da die erwachsenen Personen die gleichen Namen trugen. Die Mutter Gretas starb bei ihrer Geburt, den Vater kennt sie nicht und sie lebt bei der Winzerfamilie Hellert als Ziehtochter, die zudem vier eigene Kinder haben.

Die Entwicklung der Geschichte um Greta, die die Jahre von 1970 bis 1975 umfasst, liest sich unterhaltsam. Für mich aber wie aus einer anderen Welt. Ich musste mich immer öfter während des Lesens vergewissern, in welcher Zeit ich mich befand. Mir kam es so vor, als wäre von den 50-ern die Rede, jedenfalls irgendwie aus der Zeit gefallen. Reale, fassbare Anhaltspunkte lieferten ab und zu historische Begebenheiten wie die Titelschlagzeile „Wir haben abgetrieben!“ der Zeitschrift Stern vom 6. Juni 1971 oder das Münchner Olympia-Attentat 1972.

In der Familie Hellert zählt in der Hauptsache das, was der ab und zu jähzornige Vater Harald bestimmt und für richtig hält und natürlich die Arbeit rund um den Wein. Für große Gefühle und zwischenmenschliche Zuwendungen ist da wenig Platz. Erst recht nicht für eine Halbwaise, die als ständig verfügbare billige Arbeitskraft im Haushalt und im Weinberg ausgebeutet wird. Es gibt viele übergriffige Momente ihr gegenüber, auch solche voller dünkelhafter Herablassung. Trotzdem erscheint Greta wie eine Lichtgestalt, wie aus einem Märchen. Nichts kann ihr etwas anhaben. Sie ist blond, zierlich, hübsch, intelligent, liebt Bücher, ist wißbegierig, nur positive Eigenschaften, während ihre Zieheltern und die Geschwister überwiegend negativ dargestellt werden. Harald, der Ziehvater ist ein rückwärtsgewandter Typ, verschließt sich vehement gegen alles Neue. Der Fortschritt geht an seiner Winzerei vorbei. Sein Frauenbild ist katastrophal. Dementsprechend hat es Greta mit ihrem Streben nach Bildung sehr schwer. Aber da ist ja das titelgebende Erbe in Sicht.
Das Ende der Geschichte in diesem ersten Teil der Reihe konnte mich nicht überraschen. Ich habe schon sehr früh geahnt, was es mit dem Erbe auf sich hat und wer dahintersteht.

Fazit:
Wie mit Greta und ihrem Streben nach Bildung umgegangen wurde empfand ich als sehr bitter. Für mich ist vieles unvorstellbar und vieles empörte mich. Trotz meiner Vorbehalte und meinem vielfachen Unverständnis ließ sich das Buch gut lesen.
Ich vergebe drei von fünf Sternen!

Bewertung vom 02.05.2022
Mord in Montagnola / Moira Rusconi ermittelt Bd.1
Vassena, Mascha

Mord in Montagnola / Moira Rusconi ermittelt Bd.1


sehr gut

Beschauliches Tessin? Wohl nicht immer!
Moira Rusconi überlegt nicht lange als sie vom Schlaganfall ihres Vaters Ambrogio erfährt. Sie, gerade frisch getrennt, packt ihre Sachen und kehrt von ihrem Wohnort Frankfurt/Main nach Jahren in das Tessiner Dörfchen Montagnola zurück. Ihren Papa findet sie schon wieder einigermaßen fit vor. Jedoch wird bald ein Toter in einem landestypischen historischen Eiskeller gefunden. Zu den polizeilichen Ermittlungen wird sie, die als Übersetzerin arbeitet, hinzugezogen. Sie soll dolmetschen. Deutschsprachige Touristen fanden die Leiche.
Was für ein Zufall, dass Luca Cavadini, der Jugendfreund Moiras, als leitender Rechtsmediziner der Tessiner Kantonspolizei arbeitet!

Schon durch den Prolog und den wenigen Seiten der Leseprobe war ich von dem Geschehen gefesselt. Wodurch verwirkte der Mann in dem merkwürdigen Gefängnis sein Leben? Was hatte er getan, falsch gemacht? Diese Fragen beschäftigten mich, bis ich das Buch endlich in den Händen hielt. »Leben ist das kostbarste Geschenk, und du hast es einfach sinnlos vergeudet« sind die letzten Worte, die der Todgeweihte vernimmt.

Ich habe das Buch schnell gelesen durch den herrlich leichten und lockeren Schreibstil. Die Charaktere sind gut gezeichnet. Ich konnte sie mir lebhaft vorstellen. Angenehm fiel mir auf, dass so gut wie alle Personen, auch die mit Polizeiarbeit beschäftigten, ein Privatleben haben. Es „menschelt" sehr. Moira ist eine liebenswürdige, angenehme, junge Frau. Das bemerkte ich an ihrem Umgang mit dem Vater, seinen fünf Katzen und ihre Sorge, dass es allen in ihrem Umfeld wohlergeht. Ihr freundlicher, offener Charakter macht es ihr leicht mit den Leuten in Kontakt zu treten. Engagiert und wißbegierig verfolgt sie vermeintliche Spuren und ermittelt über ihre eigentliche Profession hinaus. Mit einer natürlichen guten Kombinationsgabe gesegnet, trägt sie wichtige Fakten zur Aufklärung des Falles zusammen. Jedoch stehen da hin und wieder gesetzliche Vorschriften und Paragraphen im Wege.

„Mord in Montagnola" ist ein lesenswerter Regionalkrimi mit einer großen Portion Lokalkolorit. Durch die Umtriebigkeit Moiras bekommt man einen wunderbaren Blick auf die Schönheiten der Gegend. Wie beiläufig erfuhr ich von dem Örtchen Montagnola, seinen teilweise skurrilen Bewohnern und von dem besonderen Flair. Mir machte es Lust auf dieses Fleckchen Erde.
Übrigens auch über Hermann Hesse wird mehrfach gesprochen. Neben der Aufklärung des Mordes müssen seine verschwundenen Briefe gefunden werden.
Der Krimi kommt ohne gewalttätige Szenen aus. Im großen und ganzen ist alles sehr harmonisch. Für das Genre vielleicht zu harmonisch!? Wer das liebt, ist hier richtig.
Ich freue mich jedenfalls auf die Fortsetzung, will ich doch u. a. wissen, wie es mit Luca und Moira weitergeht.

Bewertung vom 30.04.2022
Der große Fehler
Lee, Jonathan

Der große Fehler


gut

Zu Unrecht vergessen
Jonathan Lees Roman „Der große Fehler“ trägt dazu bei, dass der Visionär Andrew Haswell Green aus der Vergessenheit geholt wurde. Dieser Mann lebte von 1820 bis 1903. Er gilt als "Vater des Großraums New York". Die Stadt verdankt ihm den Central Park, die New York Public Library, das American Museum of Natural History, das Metropolitan Museum of Art, den Bronx Zoo, die unter seiner Verantwortung entstanden. Er hat New York geprägt wie kaum ein anderer und doch ist er heute nahezu unbekannt.

Der Roman stellte für mich keine leicht zu lesende Lektüre dar. Lee wählte einen ungewöhnlichen Sprachstil, der sich m. M. nach an die Sprache der damaligen Zeit anlehnte. Die historische reale Figur des Andrew Green und die ihn umgebenden Menschen werden der Leserschaft in einer recht ausschweifenden Erzählung nahegebracht. Dazu gehören Nebenhandlungen mit Personen und Begebenheiten, die ins Nichts führen, endlose Schachtelsätze, detaillierte Beschreibungen von Bagatellen. Wer sich durch die verschiedenen Eigenwilligkeiten (bspw. mehrmalige Wiederholung von Wörtern oder Sätzen) der an und für sich schönen Sprache des Autors kämpft, wird u. a. belohnt mit aufschlussreichen Seiten zur Geschichte New Yorks und der besonderen Entwicklung der Stadt. Die einzelnen Kapitel sind überschrieben mit den Toren des Central Parks (z. B. Scholars Gate) und lehnen sich an den Inhalt an.
Es ist ein ziemlich intensiv erzählter Roman, bei dem fast jeder Satz eine tiefere Bedeutung zu besitzen scheint. Ganz stieg ich nicht dahinter, glaube ich. Auf den wenigen Seiten werden viele Erkenntnisse untergebracht. Doch mir fiel es schwer, alles zu verstehen. Mir scheint, als würde viel auch zwischen den Zeilen vermittelt und da fehlen mir die Kenntnisse zu New York, zur Person Greens, zu seinem Umfeld, zur Geschichte... Es sind sehr viele Feinheiten im Text. Keine einfache Lektüre! Eine ungewöhnliche Lektüre!
Ungewöhnlich ist schon der Beginn des Romans. Am Freitag, den 13. November 1903 wurde Andrew Green durch fünf Schüsse unmittelbar vor seinem Zuhause ermordet. Über mehrere Handlungsstränge wird rückwärts das Leben Greens beleuchtet. Ich lernte nebenbei einige skurrile Charaktere kennen. Licht ins Dunkel brachten erst die letzten Seiten. Vorher rätselte ich, warum sollte man einen Menschen wie Andrew Green umbringen?

Für mich war das Buch nicht geeignet zum Hintereinanderweglesen. Zum Glück konnte ich es in einer Leserunde mit Anderen diskutieren.

Fazit:
Diese Geschichte fußt auf einem wahren Ereignis und berichtet aus dem Leben und vom Sterben des visionären Städteplaners Andrew H. Green. Er lebte in einer Zeit voller Vorurteile, Klassenunterschiede und Rassendiskriminierung. Aus schwierigen Verhältnissen stammend, gelang es ihm trotz kleiner und großer Fehler ein sinnvolles, erfülltes Leben zu führen. Dieser Roman sollte erreichen, den vergessenen Mann wieder ein wenig ins Bewußtsein der New Yorker zu bringen.