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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
violetta1961
Wohnort: 
Frankfurt am Main

Bewertungen

Insgesamt 53 Bewertungen
Bewertung vom 11.09.2021
Das Glashotel
Mandel, Emily St. John

Das Glashotel


sehr gut

Der Titel "Das Glashotel" lässt vermuten, dass es um Durchlässigkeit und Perspektivwechsel geht.
Die weibliche Hauptfigur Vincent, an deren Namen ich mich gewöhnen musste, lebt im Laufe der Jahre sehr unterschiedliche Leben. So verliert sie früh ihre Mutter, die im Meer umkommt. Sie sucht einen Ort oder eine Beziehung, wo sie sich zugehörig, heimisch fühlen kann, verstrickt sich aber dann in eine Abhängigkeit mit dem reichen Investmentbanker Alkaitis, durch den sie ein luxuriöses aber langweiliges Dasein lebt. Als die betrügerische Firma auffliegt, verlässt sie ihn. Besonders die Geschichten über die Opfer dieser Firma, die ihr gesamtes Erspartes verlieren, finde ich sehr gelungen. Exemplarisch werden Schicksale geschildert, die sich plötzlich im "Schattenland" des amerikanischen Lebens wiederfinden, keinen Wohnort mehr haben, umherziehen, Not leiden oder sich selbst das Leben nehmen. Aus der Fülle der Geschichten hat mir die Geschichte des Halbbruders Paul auch sehr gut gefallen, sowie die fließenden Möglichkeiten, dass Verstorbene erscheinen oder dass Insassen im Gefängnis sich Gegenwelten zum tristen Alltag ausdenken, in die sie flüchten können.
Das Glashotel, ein Luxushotel, in dem Vincent und Paul eine Zeitlang arbeiten, liegt schon abseits der Zivilisation am Meer. Vincent, die im letzten Abschnitt ihres Lebens als Köchin auf einen Containerschiff arbeitet, entscheidet sich, nun die meiste Zeit ihres Daseins auf dem Meer zu verbringen. Der Stil dieses Romans ist klar und unterhaltsam, leicht lesbar, seine Struktur beweglich. So mag ich die Zeitsprünge sehr und die Fragen nach der eigenen Moral, die sich am Ende der Lektüre stellt.

Bewertung vom 30.08.2021
Der perfekte Kreis
Myers, Benjamin

Der perfekte Kreis


ausgezeichnet

Schon das gelungene Cover des neuen Romans von Benjamin Myers deutet das Thema an: es geht um Schönheit und Perfektion.
Aber nicht nur ... Die durch ihre Aktionen eng verbundenen Freunde Calvert und Redbone teilen ein Geheimnis. Es geht um Kornkreise, die im Sommer 1989 in Nordengland vermehrt auftauchen.
In zehn Kapiteln wird das Auftauchen und Aussehen der Kornkreise beschrieben. Bei jedem neuen Kornkreis zeigt sich, welche Schönheit und Verbundenheit zu Kosmos und Natur diese haben. Nach und nach berichten Medien darüber und Zuschauer jeder Couleur werden angezogen, die sich der vermeintlichen Aufklärung dieser rätselhaften Phänomene widmen. Doch wer erschafft diese? In einem immer spannender werdenden Buch beschreibt Myers nicht nur die Freundschaft der beiden unkonventionellen Männer und die nordenglische Landschaft und Bevölkerung mit Humor und Einfühlsamkeit, sonder regt den Leser auch zum Nachdenken über Themen der Menschheit an. Ich kann mir gut einen Nachfolgeband vorstellen.

Bewertung vom 19.08.2021
Ich hatte nicht immer, was ich wollte, aber alles, was ich brauchte
Lindeblad, Björn Natthiko;Bankler, Caroline;Modiri, Navid

Ich hatte nicht immer, was ich wollte, aber alles, was ich brauchte


ausgezeichnet

Das Cover zeigt die Silhouette eines buddhistischen Mönchs, der sich auf Wanderschaft befindet, eingehüllt in eine nicht ganz fassbare Landschaft in Ockerorange - der Farbe der Kutten - und einem hellen himmelsähnlichen Teil mit davonfliegenden Vögeln. Es gefällt mir gut und vermittelt mir Erdung, Gleichmut, Freiheit.
Björn Natthiko Lindeblad schreibt über seine lange Zeit als Mönch in buddhistischen Klöstern der Waldtradition, in Thailand und anderen Ländern. Durch seine menschliche humorvolle Art fühle ich mich als Leserin bald mit ihm freundschaftlich verbunden und kann mich seinen Erfahrungen in Meditation und Geistesleben annähern. Besonders interessant finde ich auch, dass er sich wieder entscheidet, in Schweden zu leben. Durch das immer wiederkehrende Bild, mit einer geöffneten Hand das Leben mehr leben zu können als mit einer ängstlich geballten, gibt er hilfreiche Bilder weiter.
Dieses autobiografische Buch ist für alle LeserInnen interessant, die sich für die buddhistische Geisteshaltung interessieren. Es ist tiefgründig, aber leicht zu lesen.

Bewertung vom 28.07.2021
Der Panzer des Hummers
Minor, Caroline Albertine

Der Panzer des Hummers


ausgezeichnet

Das sehr schöne, gemalte Cover illustriert nicht unbedingt den gelungenen Roman von Caroline Albertine Minor, spiegelt aber ein Gefühl wider: Über Familie, Partnerschaft, Kinder, Freiheit, Tod und Leben nachzudenken.
Gekonnt werden die Geschichten von drei dänischen Geschwistern, die sich voneinander entfernt haben, beschrieben. Ich habe jede Schilderung, ob in Kopenhagen, London oder in den USA sehr genossen. Gefallen haben mir auch die ungewohnten, aber doch alltäglichen Themen wie z.B. der Kopfläusebefall eines Kindes. Eine Lieblingsfigur ist die Seherin Beatrice in den USA. Liebenswürdig, emotional abgewrackt, weise. Durch sie werden andere Themen möglich, Sichtweisen über die Grenze des Todes hinweg. So gibt es auch immer wieder kurze Passagen, in denen Minor versucht, Dialoge zwischen Verstorbenen und Lebenden einzuflechten. Damit integriert sie ein Thema, das oft tabuisiert wird. Ich freue mich schon auf den nächsten Roman!

Bewertung vom 23.07.2021
Mein Sternzeichen ist der Regenbogen
Schami, Rafik

Mein Sternzeichen ist der Regenbogen


sehr gut

Das Cover des Buchs gefällt mir: bunt, verspielt und voll denkbarer Möglichkeiten. Wieder einmal hat mich Rafik Schami mit seinen Geschichten bezaubert. Die aktuelle Sammlung von Erzählungen ist in Themen wie Geburtstage, Reisen, Geheimnisse, Tiere usw. eingeteilt. Nicht nur die deutsche Gesellschaft mit ihren Gepflogenheiten, sondern auch die seines Heimatlandes Syrien nimmt der Autor schmunzelnd und selbstironisch unter die Lupe.
Dabei gelingt es ihm spielerisch, vor allem langjährige Beziehungen zwischen Männern und Frauen mit ihren Themen darzustellen. Die Tendenz, vor allem runde Geburtstage eskalieren zu lassen, hat etwas Absurd-Komisches; aber tatsächlich haben viele so Situationen doch auch schon erlebt. Die Kapitel eignen sich auch sehr gut zum Vorlesen und würden sicherlich zu Gesprächen über die eigene und fremde Kultur anregen.

Bewertung vom 17.05.2021
Nachrichten von Männern
Decker, Anika;Berlin, Katja

Nachrichten von Männern


weniger gut

Nach dem Leseeindruck war ich sehr neugierig auf das Buch.
Leider finde ich es enttäuschend. Schon das Cover vermittelt gestalterisch den Eindruck, 40-50 Jahre alt zu sein und wirkt verstaubt.
Zum Inhalt: die vielen Kategorien sind mir zu unübersichtlich und könnten vereinfacht werden. Bei manchen der aufgeführten Nachrichten bin ich verwirrt, weil ich nicht weiß, wer wem antwortet, also: Schreibt jetzt Person 1 oder Person 2?
Das Buch führt in vielen Beispielen, auf welche grobe Art und Weise sich Männer erlauben, mit Frauen zu kommunizieren, mit Frauen, mit denen sie in den meisten Fällen ein enges Verhältnis pflegen oder gepflegt haben. Sicherlich ein Zeichen dafür, dass in puncto Frauenbewegung immer noch einiges brachliegt. Aber, auf der anderen Seite erfährt die LeserIn durch die Nachrichten auch jede Menge über die beteiligten Frauen. Und was da manchmal an Lebensstil hindurchblitzt, wirkt in einigen Fällen auch nicht moralisch einwandfrei ...

Bewertung vom 07.05.2021
Wenn Haie leuchten
Schnetzer, Julia

Wenn Haie leuchten


ausgezeichnet

Das Buch von Julia Schnetzer hat mich sehr begeistert. Sie hat es in zehn verschiedene Kapitel eingeteilt, von denen jedes einzelne absolut lesenswert ist. Ob es nun um das Leuchten der Haie und anderer Meeresbewohner geht, um die Sprachforschung der Delfine oder ganz aktuell um die Viren im Meer: Sie kann die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Meeresforschung verständlich und gleichzeitig mit Witz und Humor übermitteln. So gelingt ihr ein - im besten Sinne - populärwissenschaftliches Buch. Als Leserin erfahre ich viel über die im Vergleich zum Weltall doch noch nicht so intensiv erforschte Meereswelt, die nicht nur uralte sondern auch weltrekordverdächtige Lebewesen beheimatet. Die Autorin, die in Mariner Mikrobiologie promovierte, ist inzwischen auch Gast in Talkshows, nicht zuletzt wegen ihres Talents, auch komplizierte Sachverhalte einfach darzustellen. Ich hoffe auf ein Nachfolgewerk.

Bewertung vom 03.04.2021
Gefangen und frei
Sheff, David

Gefangen und frei


sehr gut

Sehr überzeugend!
David Sheff schreibt klar, informativ und mitfühlend über den Gefangenen Jarvis Jay Masters. Je mehr der Leser über dessen Familiengeschichte erfährt, desto verständlicher wird es, wie sein Leben in Gewalt, Kriminalität und letztendlich im Gefängnis mündet. Dort verbringt er wegen eines nicht begangenen Verbrechens viele Jahre im Todestrakt. Durch Betreuer und Freunde findet Jarvis Masters schließlich zum Buddhismus und gibt seinem Leben eine entscheidende Wendung. Ich fand die Beschreibungen des Alltags im amerikanischen Gefängnis interessant und nachvollziehbar; ebenso die mentale Entwicklung Masters' in buddhistischen Stufen, die auch eine Gliederung in den Kapiteln des Buches darstellen. Als Leserin von Pema Chödröns Büchern habe ich mich besonders über die intensive Freundschaft zwischen Jarvis und ihr gefreut. Ein Buch, dass Hoffnung macht auf die Möglichkeit, Gewaltspiralen zu unterbrechen. In diesem Sinne ein Beitrag zu Frieden und Verständnis.

Bewertung vom 08.03.2021
Der Zirkus von Girifalco
Dara, Domenico

Der Zirkus von Girifalco


ausgezeichnet

Ein großer Erzähler
Domenico Daras Roman spielt in der kleinen kalabrischen Stadt Girifalco. Dabei beschreibt er einige sehr unterschiedliche Personen - deren Charakter und Schicksal im Verlauf des Romans immer wieder aufgegriffen wird - so anschaulich, humorvoll und tiefgründig, dass man bald das Gefühl bekommt, sich in diesem kleinen Ort, wo jeder jeden kennt, selbst aufzuhalten. Am Ende des Buches gibt es ein Personenregister, um den Überblick zu behalten. Als ein verirrter Zirkus seine Zelte für einige Zeit in Girifalco aufschlägt, kommen noch andere Verwicklungen und Aufregungen dazu. Die Themen sind sehr menschlich: unerfüllte Liebesbeziehungen, vermisste Menschen, sexuelle Ausschweifungen bis hin zu geistiger Behinderung und moralischer Ausgrenzung lediger Mütter.
Das Lebensgefühl dieses altmodisch oder zeitlos anmutenden süditalienischen Ortes, fast eines Dorfes, ist sehr schön getroffen.
Zusätzlich angereichert wird das Buch durch astronomisch-philosophische Betrachtungen über das Leben, das Schicksal, den Zufall. Ich möchte noch viel mehr von diesem Autor lesen. Einfach wunderbar!

Bewertung vom 24.02.2021
Aus der Mitte des Sees
Heger, Moritz

Aus der Mitte des Sees


sehr gut

Schwimmen und beten
Moritz Heger nimmt uns in seinem in 14 Tage eingeteilten Roman mit in den Alltag und langfristigen Ablauf einer Benediktinerabtei. Seit dem Fortgang seines etwa gleichaltrigen Mitbruders Andreas, der mit einer Frau in der profanen Welt eine Familie gründet, hinterfragt Bruder Lukas, der im Mittelpunkt des Romans steht, seinen weiteren Lebensweg. Soll er im Kloster bleiben, in dem es fast nur noch alte Mönche gibt, oder soll er den starken Gefühlen folgen, die Sarah bei ihm auslöst und es Andreas gleichtun? Lukas geht täglich im See schwimmen und o.g. Themen werden meditativ im Wasser reflektiert. Das Buch ist einfühlsam und ruhig geschrieben. Welche Entscheidung Lukas schließlich trifft, bleibt bis zum Ende unvorhersehbar. Mir hat der detaillierte Einblick ins Klosterleben und in die Gefühls- und Gedankenwelt eines Mönchs sehr gut gefallen.