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lustaufbuch

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Insgesamt 165 Bewertungen
Bewertung vom 02.09.2024
Fabelland
Geipel, Ines

Fabelland


gut

»Wann fängt man an, jemanden in die Vergangenheitsform zu setzen?
Wenn die Geschichte vorbei ist? Wenn der andere einen nicht mehr interessiert? Wenn es noch einmal losgeht?«

Ines Geipel, kurz vor dem Fall der Mauer, im August 1989 nach Darmstadt geflohen, schildert in diesem Buch überwiegend subjektive Erinnerungen an ihre Zeit während und nach der DDR sowie zur Zeit des Mauerfalls.
Dabei reist die Autorin zurück in die Zeit des Umbruchs und geht verschiedenen Fragen auf die Spur:
Wie wirkte sich der Fall der Mauer auf die Menschen aus und wie nahmen diese ihn wahr? Wie vollzog sich die Einheit und wie lassen sich heutige rechtsextreme Tendenzen erklären?

Besonders der Bezug zu ihrer eigenen Familie bleibt in Erinnerung, schließlich stieß Geipel selbst erst 2003, bei Akteneinsicht, auf diese Tatsachen.
So erfuhr sie, dass ihr Vater unter acht verschiedenen Namen für die Staatssicherheit der DDR im Westen spionierte. Ihre Mutter wusste dabei über alles Bescheid.
Das Schweigen darüber, dass niemand darüber jemals redete, belastet noch heute.

Auch sonst bietet ihr Buch Abrisse über bestimmte Ereignisse, Erlebnisse und Personen. Beim Lesen bemerkt man ihre poetische Sprache. Kein Wunder, schließlich ist sie Professorin für Verskunst an der wohl renommiertesten Schauspielschule Deutschlands: „Ernst Busch“ in Berlin.

Gegen Ende wendet sie den Blick auf die (Erfolgs-)Geschichte der AfD, deren Radikalisierung und kritisiert die zunehmende Auferlegung von zuschreibenden Identitäten, seitens der rechtsextremistisch eingestuften Partei, wie sie auch aktuell im Wahlkampf zu bemerken sind.

Trotz der spannenden Einblicke, welche das Buch bietet, konnte es mich jedoch nicht wirklich überzeugen. Vielmehr hätte ich mir eine etwas geordnetere Struktur gewünscht, da diese meines Erachtens teils chaotisch und immer wieder sprunghaft war.
Auch wurde ich aus manchen geschilderten Ereignissen nicht wirklich schlau, einerseits weil der Zusammenhang nicht klar ersichtlich war und andererseits erschienen mir diese teils als belanglos.

0 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.08.2024
Das Diamantenmädchen
Arenz, Ewald

Das Diamantenmädchen


ausgezeichnet

»Diamanten machen die Menschen meistens gierig. Fast immer werden sie mit Blut bezahlt.«

Als die Journalistin Lilli Kornfeld ihren Jugendfreund und sogleich ihre erste und einzige große Liebe Paul aufsucht, um ihm, da er Diamantenschleifer ist, einen geheimen Auftrag zu vermitteln, lässt sich noch nicht erahnen, welche weiteren Ereignisse diese Handlung auslöst, geschweige denn, wie tief diese sie in ihre eigene Vergangenheit führen. In eine Zeit der unbeschwerten Kindheit und zugleich in eine Zeit, als der Krieg Menschen veränderte und ihr Bruder sein Leben an der Front lassen musste.
Fast zur gleichen Zeit wird die Leiche eines schwarzen Trommlers entdeckt. Es herrscht Ratlosigkeit und diese verstärkt sich, nachdem ein Rohdiamant am Tatort gefunden wird.
Zwei Szenarien, die nur auf dem ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Spätestens als einer der beiden Ermittler des Mordfalls mehr durch Zufall auf Lilli trifft, wird den Beteiligten klar, dass diese Ereignisse mit hoher Wahrscheinlichkeit zusammenhängen müssen.

Dieser Roman entführt den Lesenden ins Berlin der zwanziger Jahre – eine Zeit des Umbruchs –, in der die Gedächtniskirche noch stand und es das Romanische Café noch gab. Dabei kommen wir dem mysteriösen Mord auf die Spur und begleiten perspektivisch sowohl Lilli als auch die Ermittler und erhalten spannende Einblicke in das Mysterium von Diamanten.
Wie es in einem guten Krimi sein soll, fühlt man sich dabei ertappt, den Schuldigen erraten zu haben und wird dann von unerwarteten Wendungen überrascht – Arenz ist es geglückt!

Was mich jedoch gestört hat, war die unkommentierte, häufige Nennung des N-Wortes. Natürlich war dieses vor knapp hundert Jahren geläufig, dennoch wäre zumindest eine kurze Anmerkung und Einordnung diesbezüglich, besonders in einer Neuauflage, wünschenswert gewesen.

Wer sich auf eine literarische Reise in die Goldenen Zwanziger begeben und zugleich ein für Arenz eher untypisches Buch – nämlich einen Krimi – lesen möchte, dem ist dieser Roman sehr empfohlen.

Bewertung vom 28.08.2024
Im Land der Wölfe
Koester, Elsa

Im Land der Wölfe


ausgezeichnet

»Diese Balken, diese dicken blauen Balken, wie sie wachsen. Jeden Tag wachsen sie drüben in Sachsen, länger als alle anderen blauen Balken der Republik.«

Grenzlitz, eine Stadt am Rand von Sachsen, ist das komplette Gegenteil von Berlin. Die sog. Blauen werden von etwa jedem Dritten gewählt und dennoch zieht es Nana dorthin – sie möchte Katja Stötzel, die dortige Kandidatin der Zukunftsgrünen, als Coach unterstützen, um ein bestmögliches Wahlergebnis zu erzielen und ggfs. Oberbürgermeisterin zu werden.
Dazu kommt ein Zwist mit ihrem größeren Bruder Noah, welcher nicht nur kein starker Mann, sondern gar keiner mehr sein möchte. Verschiedene Ansichten und Erinnerungen prallen aufeinander, eröffnen Auseinandersetzung, die beide Geschwister nicht kalt lassen und in den Wunden der Vergangenheit wühlen.
Ebenfalls lässt sich Nana auf Falk Schloßer ein, einem Mann, dessen Ansichten nur so vor nationalem Patriotismus strotzen und der dennoch teils Verständnis für Nana hat.
Mit Zwiespälten wie diesem setzt sich das Buch auseinander.
Kann man mit Menschen, die gedanklich weit am rechten Rand zu verorten sind, in einer Gemeinschaft wertschätzend zusammenleben?

Besonders um den Austausch mit ihrem Bruder möglichst präzise in Roman zu verweben, untergliedert sich dieser in drei verschiedene Perspektiven.

Auf ungewohnte, besondere und teils experimentelle Weise erzählt Elsa Koester von dieser Stadt, dem Miteinander, den Unterschieden sowie den damit verbundenen Problemen der Einwohner.
Dabei ließen mich manche Stellen aufgrund von blankem Hass der Blauen gegen Neues oder für sie Ungewohntes erschaudern. Schlimmer ist es, dass diese geschilderten Ereignisse nicht bloß fiktiv, sondern heutzutage wieder real sind.

Wenn es einen aktuellen, politischen Roman gibt, der sich mit den Aufwärtstendenzen der AfD beschäftigt, diese objektiv anhand verschiedener Themen, Reaktionen und Handlungen aufzeigt und den Lesenden aus dessen Komfortzone holt, weil schlichtweg nicht alle Menschen überall gleich eingestellt sind, dann ist es dieser!

Bewertung vom 26.08.2024
Juli, August, September
Grjasnowa, Olga

Juli, August, September


ausgezeichnet

»Wir geben uns so viel Mühe für eine Religion, obwohl wir nicht an Gott glauben, für eine Vergangenheit, an der kaum etwas gut war, für eine Zukunft, die maximal ungewiss ist, und für eine Identität, die wir selbst nicht mehr verstehen.«

Ludmilla, genannt Lou, ist, nachdem ihre erste Ehe abrupt von ihrem Ex-Mann im Alleingang beendet wurde, zum zweiten Mal verheiratet. Diesmal mit einem Pianisten, der die meiste Zeit nicht daheim, sondern auf Tournee ist. Somit bleibt es überwiegend ihre Aufgabe die gemeinsame Tochter Rosa zu erziehen und zugleich die ins Wanken geratene Beziehung aufrecht zu erhalten. Als das Paar eines Tages darauf zu sprechen kommt, wie sie ihr Kind über jüdische Identität aufklären können, ist das der Beginn einer Reihe von aufeinanderfolgenden Ereignissen und einer Spurensuche, tief in den Trümmern der eigenen Vergangenheit.
Gemeinsam mit Rosa, von ihrer Mutter überredet und begleitet, reist sie kurzentschlossen nach Gran Canaria zum 90. Geburtstag ihrer Großtante. Dort fasst sie nach und nach den Entschluss ihrer Vergangenheit, die alle angeht, in Israel nachzuspüren.

Was macht jüdisch sein heute noch aus?
Und wie geht man mit der Vergangenheit um?
Fragen der jüdischen Identität durchziehen den Roman von Olga Grjasnowa, sind sanft in ihm verwoben, geben Denkanstöße und lassen die Lesenden selbst darüber nachdenken.
Aber auch die Vergänglichkeit ist stets gegenwärtig und beschäftigt die Protagonistin sehr. Ihre Ehe scheint zu zerbrechen, jeder interessiert sich dafür und sie will es schlichtweg nicht fassen, sondern verzweifelt bei der Suche nach einem für sie erfüllenden Leben.

Besonders die stilvolle, bewusste Sprache der Autorin, welche schon nach wenigen Sätzen ein intensives, visuelles Lesevergnügen ermöglicht, hält den Leser in dieser besonderen Geschichte gefangen.

Ein aktueller, großartiger Roman, der sich bewusst mit der, die Gegenwart sowie die Zukunft beeinflussenden Vergangenheit auseinandersetzt!

Bewertung vom 22.08.2024
Wie der Osten Deutschland rettet
Czaja, Mario

Wie der Osten Deutschland rettet


sehr gut

»Wer die Biografien der Menschen in Ostdeutschland kennt, weiß, dass sie keine westdeutsche Belehrung brauchen.«

Mario Czaja, aktuelles Mitglied des Deutschen Bundestags und ehemaliger Generalsekretär der CDU, selbst aus dem Gebiet der ehemaligen DDR stammend und in Ost-Berlin aufgewachsen, widmet sich, wie sein Buch verrät, schon lange der wichtigen Ost-West-Thematik.

Schnell wird deutlich, dass er nicht nur über, sondern in erster Linie mit den Menschen reden möchte. Mit Menschen, aus den sog. neuen Bundesländern, die verzweifelt sind, wütend und enttäuscht. In erster Linie von der Regierung und Politik der letzten Jahrzehnte.
Doch wieso ist diese Lage so prekär?
All diesen Themen, wie es dazu kam, warum es jetzt so ist, wie der Ist-Zustand aussieht (auch im Vergleich mit dem Westen) und vor allem was man ändern könnte und muss(!), widmet sich der Politiker Mario Czaja.

So enthält dieses Buch viele durchdachte Lösungen für ein gemeinsames Miteinander auf gleicher Augenhöhe. Dafür plädiert er bspw. für einen zweiten Aufbau Ost, bei dem die dortig gegebenen Möglichkeiten und Zukunftspotenziale effektiv genutzt werden, indem u.a. mehr in die Bereiche Forschung und Entwicklung investiert wird.

Bemerkenswert dabei erscheint, dass er Teile seine eigene Partei, bezüglich der Gleichstellung der Partie Die Linke mit der AfD, gemäß der Hufeisentheorie, kritisch betrachtet und gar eine pragmatische Zusammenarbeit mit der Linkspartei als Möglichkeit sowie als potentielle Chance sieht. Schlicht und einfach, weil Czaja sich mit den Lebensgeschichten der Menschen beschäftigt, Veränderungen anstrebt, die Besserungen mit sich ziehen und er diese auf möglichst effektive Weise angehen will.

Auch wenn ich nicht allen Aussagen von Czaja persönlich zustimme und das Buch durchaus etwas Eigenlob, ihn sowieso seine Partei betreffend, überschattet, ist es eine große Empfehlung.
Lasst uns Czajas Devise folgen und anstelle (unwissend) über die Menschen, mit den Menschen reden und uns mit der Thematik auseinandersetzen!

Bewertung vom 04.08.2024
Senza casa
Bachmann, Ingeborg

Senza casa


ausgezeichnet

»Bleiben ist tödlich und Fortgehen ist keine Lösung.«

Dieser Band der Salzburger Bachmann Edition enthält sowohl autobiografische Skizzen, Tagebuchnotizen sowie Texte aus bisher gesperrten Teilen des Nachlasses. Da Ingeborg Bachmann keineswegs regelmäßig, sondern eher sporadisch private Erlebnisse und ihr eigenes Empfinden festhielt, sind der ergänzende literaturwissenschaftliche Kommentar sowie der Stellenkommentar bei der Lektüre nicht nur hilf-, sondern allem voran aufschlussreich.

Durch diese hier versammelten persönlichen Texte kommt man Ingeborg Bachmann so nah wie nur selten. Geprägt von den Erlebnissen des Krieges, schwierigen Liebesbeziehungen mit Paul Celan und später Max Frisch befand sie sich in einem umtriebigen Zustand. Sie war stets unterwegs, rastlos, geplagt von Fernweh und dem Gefühl, nie richtig angekommen zu sein und sich zu Hause fühlen zu können.

Das „Neapolitanische Tagebuch“, verfasst zwischen Mitte Februar und Ende September 1956, gibt darüberhinaus Einblicke in ihren Alltag auf Lesereise sowie in das Zusammenleben als Wohn- und Arbeitsgemeinschaft mit dem Komponisten Hans Werner Henze, welches sie doch sehr auf die Probe stellte. Schließlich hing sie gedanklich noch Celan nach und fühlte sich bereits direkt nach der Ankunft nicht wohl dort.
So notierte sie am 15. Februar 1956, bereits in Neapel, folgende kurze Sätze: „Senza casa. Sono senza casa.“ Treffend fassen diese ihren inneren Zustand zusammen, denn übersetzt bedeuten sie: „Ohne Heim. Ich bin ohne ein Zuhause.“

Aber auch ihre Schwierigkeiten beim Schreiben, auf Lesereisen und persönliche Leiden, bzw. Folgen aus all diesem Umständen, wie Schlafmangel oder übermäßiger Alkoholkonsum, werden deutlich.

Wer sich vertiefter mit Ingeborg Bachmann beschäftigen möchte – es lohnt sich sehr! –, dem ist dieser Band, bzw. die Salzburger Bachmann Edition insgesamt, sehr zu empfehlen!

Bewertung vom 04.08.2024
Die Geschichten in uns
Wells, Benedict

Die Geschichten in uns


ausgezeichnet

»Ich verstand früh, dass Lesen einen in manchen Momenten retten kann. Dieses Gefühl trage ich noch immer in mir.«

Seitdem ich vor einigen Jahren den Roman „Vom Ende der Einsamkeit“ gelesen habe, zählt Benedict Wells zu meinen absoluten Lieblingsautoren. Kaum ein anderer kann Emotionen so treffend beschreiben und gleichzeitig bei den Lesenden das Gefühl erwecken, als wären sie mitten in der Geschichte und würden ebenfalls diese Gefühle empfinden. Seine Sätze sind ein Blick ins eigene Ich. Manche berühren einen sanft, andere sind geradezu hart, während seine Sprache stets einen euphancholischen (hierfür unbedingt Hard Land lesen!) Schleier hinterlässt.

Doch sein neues Buch ist kein Roman, sondern eine Mischung aus Autobiografie und Ratgeber, um seines Erachtens möglichst gute Prosatexte zu verfassen.
Seine ehrliche, von Leichtigkeit beflügelte Sprache bietet uns Einblicke in sein bisheriges Leben und zeigt Parallelen zu seinen Werken auf, wie sie bisher noch nicht fassbar waren. Zugleich gibt Wells nicht nur viele Schreibtipps, gespickt mit Anekdoten, sondern öffnet die Türen seiner Werkstatt: Dadurch dürfen wir ihm beim Überarbeiten und Umschreiben zweier Textstellen seiner Romane „Vom Ende der Einsamkeit“ und „Hard Land“ regelrecht über die Schulter schauen und von ihm lernen.

Um die Zusammenhänge jedoch vollkommen erschließen zu können, wäre es von Vorteil, wenn man bereits einige – bestenfalls alle – Bücher von Benedict Wells kennt. Schließlich bezieht er sich, um bestimmte Aspekte anschaulich zu schildern, öfters auf seine eigenen Texte.

Eine große Leseempfehlung, unabhängig davon, ob ihr bereits Wells-Fans seid, selbst gerne Texte schreibt oder einfach mehr über den Autor erfahren wollt.
Wer seine Bücher liest, stößt auf großartige Zitate, die man sich am liebsten alle merken möchte, weswegen ich das Schlusswort übergebe:
»Jahrelang trieb ich in meiner eigenen Wortlosigkeit und hatte keine Ahnung, ob ich mich dabei auf das Ufer zubewegte oder mich von ihm entfernte.«

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.07.2024
Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens
Reuter, Gabriele

Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens


sehr gut

»Vielleicht bekommen sie dann Mut, es selbst in die Hand zu nehmen, statt sich von ihren Eltern und der Gesellschaft vorschreiben zu lassen, wie sie leben sollen«

Die junge Agathe Heidling möchte ihr Leben eigenständig gestalten, ohne Konventionen und Pflichten leben. Doch mit genau diesen Einschränkungen hat sie zu kämpfen. Tag für Tag leidet sie unter den Zwängen ihrer Eltern und der Gesellschaft. So darf sie kaum eigene Entscheidungen treffen, muss sich stetigen Bevormundungen unterwerfen und sich schlichtweg einer Welt fügen, die nicht der ihren entspricht, sondern von Männern dominiert wird. Agathe kämpft dagegen an, rebelliert und verzweifelt, bis sie mehr und mehr zerbricht, alle Lebensfreude verliert und schlussendlich in eine Nervenheilanstalt eingewiesen wird.

Gabriele Reuters Roman ist, aufgrund der Thematik sowie ihrer einprägsamen Sprache, eine Rebellion gegen die vorherrschende Machtsysteme. Dabei verarbeitet sie, wie das Nachwort von Tobias Schwartz verrät, teilweise ihre echten Erlebnisse und erschafft dadurch ein wichtiges Porträt der Gesellschaft und deren konservative Prägung zum Ende des 19. Jahrhunderts.

Oftmals wird der Vergleich mit Fontanes „Effi Briest“ angestellt, doch ähneln sich diese Romane, meiner Ansicht nach, nur bedingt. Schließlich handelt es sich hier nicht um eine unglückliche Ehe und die Flucht in eine Affäre.
Ähnlichkeiten lassen sich aber dennoch erkennen, vor allem in den Schilderungen der gesellschaftlichen Zwänge, insbesondere für Frauen. Dagegen bemerkt man bei Reuter eine direktere Sprache, ohne Beschönigungen, die teilweise mit Wut gefüttert ist.

Ein Klassiker, der – leider –, trotz seiner ehemaligen Bekanntheit, nicht zuletzt von Thomas Mann, Sigmund Freud oder Victor Klemperer geschätzt, in Vergessenheit geraten ist und nun hoffentlich eine Wiederentdeckung mit großer Leserschaft feiert – verdient hätte er es!

Bewertung vom 24.07.2024
Ein Haus, ein Stuhl, ein Auto
Muscheler, Ursula

Ein Haus, ein Stuhl, ein Auto


ausgezeichnet

Ein Haus, ein Stuhl, ein Auto – nicht alles davon braucht man zum Leben, doch bequem soll es gemäß Brecht dennoch sein.

Ursula Muschelers Buch ist eine Reise durch das vielfältige Leben von Bertolt Brecht. Auf seinen Spuren – sämtliche Stationen des Exils angerissen – begleiten wir ihn, seine Frau Helene Weigel sowieso einige seiner Affären von Deutschland ausgehend nach Dänemark, über Schweden und Finnland bis nach Amerika und zurück ins vertraute Berlin.

Nie zuvor wurden die etlichen Wohnstätten Brechts so deutlich auf den Punkt gebracht beschrieben. Stetig geplagt von inneren und äußeren Ansprüchen, der oftmals anzutreffenden Unzufriedenheit und selbstverständlich den Umständen des Exils geschuldet, wurden viele Wohnungen, nicht selten nur für eine kurze Zeit, bezogen – immer auf der Suche nach etwas Besserem.
Dass dabei die Suche nach geeigneten Wohnungen – im Idealfall Häusern – und dem dazu benötigten Mobiliar nicht Aufgabe des Schriftstellers selbst, sondern primär seiner Frau war, konnte man sich denken. Wie sehr er jedoch von seiner Frau abhängig war und diese für sich einnahm, wird in diesem Buch deutlich.
Noch dazu war Brecht kein genügsamer Mensch, sondern, obwohl er sich stets mit Arbeiterklasse sympathisierte, voller eigenwilliger Ansprüche. Neumodische Einrichtungen mochten ihm wenig taugen, zumeist war ihm, im Widerspruch zu seiner politischen Haltung, nur das Beste gut genug.

So sei dieses Buch allen, die sich für Brecht und deutschsprachige Literatur interessieren, sehr ans Herz gelegt! Schließlich bietet es interessante Einblicke in ein interessantes Leben, welche auf so knappe und teils humorvolle Weise nur selten anzutreffen sind.

Bewertung vom 16.07.2024
Zauberberge
Sparr, Thomas

Zauberberge


ausgezeichnet

»Von Davos ging vor mehr als einhundert Jahren alles aus, nach Davos geht es heute zurück.«

Da Thomas Manns 1924 erschienener Roman „Der Zauberberg“ dieses Jahr sein hundertjähriges Jubiläum feiert, tun wir gut daran uns diesem Buch zu widmen. Passend dazu bietet Thomas Sparrs Neuerscheinung „Zauberberge“ eine tolle Aufarbeitung der zentralen Themen und wichtiger Motive.

Nach einem knappen Vorwort, zeigt Sparr Einblicke in die zwölf Jahre umfassende Entstehungsgeschichte des Romans, bevor er sich in seinem Alphabet des Zauberbergs wichtigen Thematiken des Romans, je einem Buchstaben des Alphabets zugeordnet, widmet und diese schlaglichtartig beleuchtet. Diese Auseinandersetzung fußt zugleich auf einer akribischen Lektüre sowie auf einer umfangreichen Wissensbasis über das Leben des Nobelpreisträgers. So wird bspw., die Namensgebung der Figuren ins engere Blickfeld genommen, ebenso die Gespräche zwischen Settembrini und Naphta oder das berühmte „Schnee“-Kapitel. Selbstverständlich kommen leidtragende Aspekte wie Liebe, Philosophie, Krankheit, Sterben sowie der einkehrende Tod nicht zu kurz!
Schließlich endet das Buch mit einem Blick in die weltweite und immer noch andauernde, bereits hundert Jahre umspannende Wirkungsgeschichte.

Auf wirklich grandiose Weise schafft es der Autor, allein durch dieses dünne Buch, die Lust am (Wieder-)Lesen des Zauberbergs zu wecken und fasst darüberhinaus nahezu alle Facetten des Romans prägnant zusammen.
Wer sich nun fragt, ob der Zauberberg eine Lektüre wert ist, wird seine Frage mit diesem Text ausreichend – eindeutig bejahend – belegt und begründet sehen!

Somit bleibt meines Erachtens kein besserer Schluss, als folgenden Worten des Autors ausdrücklich zuzustimmen:
»Niemand, der den Zauberberg gelesen hat, vergisst diese Figuren wieder, zuweilen auch das nicht, was sie gesagt haben.«