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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Ute54
Wohnort: 
Tostedt

Bewertungen

Insgesamt 86 Bewertungen
Bewertung vom 16.01.2022
Am Wasser / Lotta entdeckt die Welt Bd.4
Grimm, Sandra

Am Wasser / Lotta entdeckt die Welt Bd.4


ausgezeichnet

Entdeckungen in der Natur
Da wir in einer ländlichen Gegend wohnen und die Kinder hier, in ihrem heimischen Umfeld, vielfältige Naturentdeckungen machen können, ist mir dieses wunderschöne Bilderbuch ins Auge gefallen. Bisher kannte ich die Vorläuferbände noch nicht, aber ich bin so begeistert, dass ich diese gleich gekauft habe. Besonders gut gefallen mir die kindgerechten Illustrationen, die heile Welt, die dargestellt ist, und Lotta als Wiedererkennungsmerkmal. In diesem Bändchen sind so viele Details dargestellt: Schmetterlinge, Vögel, ein Füchschen, ein Maulwurf, Biber, Rehe, Schnecken, Libellen, Häschen, Eisvögel, Mäuschen, Lämmer, Marienkäfer, Reiher…. so dass, neben der eigentlichen Geschichte, auch sehr gut neue Wörter gelernt werden können und das Interesse an weiteren Tieren geweckt wird. Das Büchlein ist genau richtig für diese Altersstufe und, nach mehrmaligen Vorlesen, kann das Kleinkind sehr schön alles wiederholen und auch “Kleinigkeiten” im Hintergrund entdecken und benennen. Somit ist eine interessante Interaktion gewährleistet. Die Handlung ist sehr gut verständlich und motiviert zum Nachmachen.
Lotta, Mama und Zottel, der kleine Hund, machen eine abenteuerliche kleine Wanderung in und am Bach. Dabei wird die Natur mit allen Sinnen erlebt: Lotta kann ein Schiff fahren lassen, einen Biberdamm bestaunen, über eine kleine Holzbrücke balancieren und im Wasser hüpfen.
Das Buch aus Pappkarton ist sehr gut für Kleinkinder geeignet, denn es ist sehr robust.
Wir sind schon gespannt, wohin Lottas nächste Entdeckungstour hingehen wird.
Ein ganz tolles Bilderbuch!

Bewertung vom 25.11.2021
Wir sind schließlich wer
Gesthuysen, Anne

Wir sind schließlich wer


sehr gut

Zwänge in Adelsfamilien
Auf dieses Werk bin ich aufmerksam geworden, da ich Anne Gesthuysen und ihren Mann, Frank Plasberg, aus diversen Fernsehsendungen kenne. Ich war einfach neugierig und finde nun einen Familienroman vor, der sämtliche Vorurteile adligen Familien gegenüber bedient. Das gilt auch für die stereotypisierten Klatschtanten des Ortes, die mich aufgrund ihres Verhaltens oftmals haben schmunzeln lassen.
Das sehr einfach gestaltete Cover stellt die beiden unterschiedlichen adligen Schwestern im Zentrum dar. Anne Ist barfuß mit offenen Haaren, während Maria “ordentlich” frisiert ist und Sportschuhe trägt. Dominant ist der Titel, der auch genau in die Problematik einführt. Somit ist alles stimmig.
Im Zentrum der Handlung steht die Frage, warum die beiden Schwestern so unterschiedliche Lebensmodelle favorisieren.
Maria, die Vorzeigetochter, die einen adligen Banker geheiratet hat und die die von ihren Eltern geplante “Karriere” als stets wohl frisierte und gekleidete, nach außen perfekt funktionierende “Nur- Hausfrau und Vorzeigepuppe nie hinterfragt, sondern willenlos akzeptiert hat.
Anna hingegen hat gegen die Zwänge der Adelsfamilie opponiert, indem sie zum Beispiel einen nicht standesgemäßen Mann geheiratet hat, vom Katholizismus zum Protestantismus konvertiert ist und eine berufliche Karriere als Pastorin vollzogen hat. Aber sie ist kritisch genug, sich selbst zu fragen, ob sie nun das Leben führt, das sie sich erträumt hat oder eines, das möglichst radikal den Idealen ihrer Mutter widerspricht.
Die Art wie Mechthild von Betteray, die Mutter, dargestellt ist, erscheint mir sehr realitätsnah, da sie auch die Gefangene ihrer eigenen Wertvorstellungen ist. Die 92-jährige Großtante Ottilie gefällt mir besonders, aber sie ist stark idealisiert. Das Martinchen, der Postbote, lockert das Ganze auf. Anna, die Protagonistin, ist sehr mutig und erlaubt mir Identifikationsansätze.
Der einfache und angenehme Schreibstil ermöglicht ein rasches Vorankommen in der Lektüre. Durch die Rückblicke erfährt man viel über die Sozialisation der Protagonistinnen und deren jeweilige Probleme.
Erst durch die kriminellen Aktionen von Marias Mann wird ihre "perfekte" Idylle zerstört. Ihr zehnjähriger Sohn verschwindet, und Marias physischer und psychischer Ausnahmezustand wird offenbar.
Im letzten Drittel des Werkes nimmt die Handlung an Fahrt auf und wird spannend. Abgründe werden offenbar, aber diese entsprechen auch den Vorurteilen reichen Adligen gegenüber, denn mit Geld glaubt man, sich alles erkaufen zu können.
Für meinen Geschmack wurde zu viel mit Gegenpolen gearbeitet, daher wirkt Etliches geschraubt, daher nur 4 Punkte

Bewertung vom 07.11.2021
Schwarzes Herz
Kuhnke, Jasmina

Schwarzes Herz


ausgezeichnet

Wer bin ich?
Jasmina Kuhnke hat mit ihrem von Brutalität nur so strotzenden ersten Roman gegen Rassismus voll ins Schwarze getroffen. Auch hat ihre Weigerung, das Werk bei der Buchmesse persönlich vorzustellen, ihren Bekanntheitsgrad sicherlich gesteigert, denn das ging vermehrt durch die Presse.
Das Cover mit den groben Händen gefällt mir gut, denn es führt gut in die Problematik ein.
In der Inhaltswarnung führt sie verschiedene Gewaltformen an sowie Fäkalsprache, die für die Leserin belastend sein dürften, aber ich denke, dass sie dieses Werk in all seiner Wucht nur so zu seiner Intendierten Botschaft führen können. Ihr wechselnder Schreibstil zeigt die Bandbreite ihres Könnens.
Die Figuren aus dieser Parallelgesellschaft sind sehr authentisch dargestellt. Drogen, Gewalt und Krankheiten regieren das Leben der Protagonistin, die stellvertretend steht für geschundene Frauen aus diesem Milieu, mit dem ich bisher niemals konfrontiert wurde. Das Werk hat mich aufgerüttelt und meinen Horizont diesbezüglich erweitert, deshalb habe ich es auch in kürzester Zeit verschlungen.
Als Kind einer alleinerziehenden Kroatin und eines Senegalesen, der vor ihrer Geburt verstirbt, merkt Jasmina, dass sie aufgrund Ihrer Hautfarbe “anders” ist. Der Stiefvater behandelt sie oft schlecht, diskriminiert sie, ebenso wie die Kinder auf dem Gymnasium, die aus einem anderen sozialen Umfeld stammen. Ohne Berufsausbildung und hilflos, gerät sie in die Fänge ihres Ehemannes, der sie schlägt, in jeder Hinsicht erniedrigt und sie hörig macht.Sie lebt nur für ihre Kinder.
Nur der Laufsport gibt ihr Anerkennung und Kraft, jedoch muss sie diesen aus gesundheitlichen Gründen bald aufgeben. Die schwarze Ich - Erzählerin hat ein sehr negatives Selbstbild und erkennt erst spät, dass sie sich aus den auferlegten Ketten befreien muss, da sie aber keine Freunde und familiäre Unterstützung hat, fällt ihr das umso schwerer.
Im letzten Viertel des Buches tritt jedoch eine Wendung ein.
Wir haben hier eine sehr emotional erzählte Selbstfindungsgeschichte, die vielen Frauen die Augen öffnen sollte, um Ihnen Kraft zu einer Entwicklung vom abhängigen, hilflosen Opfer zu einem individualisierten, selbstbestimmten Leben zu geben.
Das Buch hat auch mir die Augen für die Problematik geschärft, und ich kann es allen Frauen empfehlen, die bereit sind zu hinterfragen: "Wieviel Gewalt kann ein Mensch ertragen".

Bewertung vom 12.10.2021
Wenn ich wiederkomme
Balzano, Marco

Wenn ich wiederkomme


ausgezeichnet

Undankbarkeit!
Die Thematik dieses Werkes hat mich sehr interessiert, denn, aufgrund des demografischen Wandels, und der Tatsache, dass in den sogenannten “reichen, westlichen Ländern" fast alle Frauen berufstätig sind, werden immer mehr Alten- und Kinderbetreuerinnen gesucht, die, wie in dieser Geschichte, aus Osteuropa stammen und ihre Familie verlassen müssen, um in der Fremde Geld zu verdienen. Das mag sich zunächst negativ anhören, aber es war und ist schon immer so, dass man dorthin gehen muss, wo die Arbeit ist. Für viele Personen, zum Beispiel aus der ehemaligen DDR, ist das völlig selbstverständlich. Was würden diese Frauen aus Osteuropa aber machen, wenn es diese Jobangebote nicht gäbe, denn in ihren Heimatländern herrscht große Arbeitslosigkeit?
Das Cover hebt die Anonymität dieser Frauen durch den dunklen Hintergrund hervor, nur ein Lichtstrahl erhellt ihr Dasein. Aus dem Dorf der Protagonistin arbeiten die meisten Frauen und Männer im Ausland, und auch Daniela kann ihren halbwüchsigen Sohn in der Obhut der Eltern und der 8 Jahre älteren Schwester zurücklassen.
Die Geschichte wird aus drei Perspektiven erzählt. Zunächst erzählt der Sohn Manuel, wie einsam er sich ohne seine Mutter fühlt. Im zweiten Teil beschreibt die Mutter ihr arbeitsreiches Dasein in Italien. In diesem Hauptteil erfahren wir viel über ihre Vorgeschichte und ihre Beweggründe für den Weggang, denn sie arbeitet, damit die Kinder auf eine teure Privatschule in der nächstgrößeren Stadt gehen können. Der Tochter finanziert sie dann noch ihr Architekturstudium. Sie macht sich gewissermaßen zur Märtyrerin, indem sie auf fast alles verzichtet, um ihren Kindern teure Kleidung und Geschenke zu schicken. Als der Sohn dann einen Unfall hat ist sie, nach 4 Jahren, gezwungen zurückzukehren.
Natürlich entfremden sich Eltern und Kinder, aber, besonders der dritte Teil, mit dem bezeichnenden Titel “Bumerang” hat mich schockiert, denn hier spricht, Angelika, die Tochter, die wie ein Kind aus einer reichen Familie aufgewachsen ist und nie für ihr Universitätsstudium arbeiten musste. Sie stellt fest, dass ihre Mutter in den Vierzigern bereits müde und ausgelaugt ist, kritisiert diese, aber kommt nach ihrem Abschluss gar nicht auf die Idee, sich Arbeit zu suchen, sondern geht mit ihrem zukünftigen Mann nach Berlin. Die Hoffnungen und Wünsche der Mutter sind somit zerschlagen, denn diese hatte sich ein Leben mit der vereinten Familie im renovierten Haus vorgestellt.
Die Charaktere werden wahrheitsgemäß beschrieben, aber beide Kinder sind undankbar.
Alles wird in leisen, ruhigen Tönen erzählt. Kurze Kapitellängen und der recht einfache Erzählstil lassen einen durch die Seiten fliegen.
Das Werk hat mich sehr nachdenklich gemacht, und ich kann eine sehr positive Leseempfehlung aussprechen. Allerdings wurden viele Fakten doch zu weichgezeichnet.

Bewertung vom 26.09.2021
Der Sucher
French, Tana

Der Sucher


ausgezeichnet

Freund oder Feind?

Wir finden eine sehr detaillierte Beschreibung der ländlichen Idylle im Westen Irlands vor. Das lässt an die Romane von Maeve Binchy denken, die überwiegend in Irland spielen. Hier gibt es auch den typischen Dorfladen und den Pub, an dem sich die alten Männer am Abend treffen.
Die jungen Männer und Frauen sind größtenteils aus Perspektivlosigkeit weggezogen, uns die männlichen Erben der Schaffarmen finden keine Frauen, so dass es zu Selbstmorden, Alkohlabusus und Drogenkonsum kommt, denn es fehlt vielen an Halt in einer „modernen Welt“, wo Konsum und Neid herrschen.
Somit ist das soziale Gefüge in Gefahr, aber das ahnt Cal nicht, der Protagonist, ein Cop aus den USA, der aus persönlichen Gründen seinen Dienst quittiert hat, um ein neues Leben im vermeintlich
sehr beschaulichen Irland zu finden. Es fällt ihm schwer, sein Copleben hinter sich zu lassen, und wir erfahren viele Details über sein vorheriges Leben.
Er ist glaubwürdig und detailliert beschrieben, ebenso wie die anderen, teilweise schrulligen, Charaktere, die das Lokalkolorit ausmachen.
Erst nach und nach bemerkt Cal, wie sehr er bespitzelt und abgeschätzt wird, denn ein Fremder könnte ja die Gemeinschaft mit ihren unaussprechlichen Konventionen durcheinanderbringen. Unerwarteterweise wird er in einen Fall hineingezogen, denn es hat sich herumgesprochen, dass er vorher Cop war. Es geschehen merkwürdige Dinge, er wird zusammengeschlagen und bedroht. Und es wird deutlich, was sich hinter der Maske der Unbedarftheit etlicher Bewohner alles abspielt. Der Ort hält zusammen, obwohl Viele ahnen, was passiert ist, aber die örtliche Polizei soll nicht eingeschaltet werden, denn man regelt die Dinge auf eigene Weise. Das war schon immer so. Die Frage ist: „Wird er durchhalten, oder nach 6 Monaten das Handtuch werfen,wie die allermeisten Aussteiger?“
Nachdem es für meinen Geschmack im 1.Drittel zu viele Naturbeschreibungen gegeben hat, nimmt das Werk im 3. Drittel so richtig an Fahrt auf, es wird spannend und viele Fakten werden gelöst. Das dazu in einer authentischen, leicht verständlichen Sprache, so dass der Lesegenuss groß ist.
Ich empfehle das Buch nicht nur für Irlandliebhaber.

Bewertung vom 28.08.2021
Der Kolibri - Premio Strega 2020
Veronesi, Sandro

Der Kolibri - Premio Strega 2020


gut

Der Flummi
Das wunderschöne Cover in Grüntönen mit dem Kolibri im Zentrum und der Klappentext haben mich neugierig auf dieses Werk gemacht. Der Kolibri ist immer in Bewegung, und auch der Protagonist Marco Carrera ist immer wie ein flatternder Vogel.
Der spannende Einstieg hat mir noch gut gefallen, dann jedoch geht es weiter mit zerstückelter Narration, Vor- und Rückblenden ,in 46 einzelnen Kapiteln, mit großen Zeitsprüngen. Die verschiedenen Einblicke in das Leben von Marco werden durch Briefe an unterschiedliche Personen dargelegt. Er beschreibt das Verhältnis zu seiner Tochter, seinen Eltern, deren Ehe, zu seinen Geschwistern und zu seinem Freund und dessen Probleme. Über allem kreist die Liebe zu seiner Frau. Man muss sich fragen, welche Rolle eigentlich Luisa, die Jugendfreundin des Augenarztes, spielt.
Zwar konnte der Autor dem Anspruch gerecht werden, eine neue Art der Familiensaga zu präsentieren, jedoch haben mich weder die Erzähltechnik noch der Protagonist angesprochen. Leider fehlt dem Werk die Spannung, und ich hatte Mühe, mich bis zum Ende durchzukämpfen. Das wurde auch durch den Sprachstil unterstützt, denn der Autor (beziehungsweise der Übersetzer?) liefert teilweise endlose Bandwurmsätze, deren intendierte Aussage mir auch nach zweimaligem Lesen verborgen blieb.
Oder sollte damit das Chaos, die Sprunghaftigkeit des Protagonisten, noch unterstützt werden?
Somit bin ich von diesem Werk enttäuscht worden. Vielleicht spricht der Autor damit eine italophile Germanistenclique an, jedoch könnte ich es in meinem gebildeten Bekanntenkreis niemandem empfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.08.2021
Harlem Shuffle
Whitehead, Colson

Harlem Shuffle


ausgezeichnet

Auf und Ab in Harlem
Das für die 60er Jahre authentische Cover, welches eine Straßenszene mit amerikanischen Straßenkreuzern und einer Ampel an einer typischen überirdischen Elektroleitung zeigt, führt gut in die Problematik ein, besonders, da nur dunkelhäutige Bewohner im Sichtfeld des Betrachters stehen. Überall liegen Papierfetzen und Müll herum.
Man wird gut in die Problematik eingeführt, denn gleich zu Beginn wird deutlich gemacht, dass hier indirekte Rassentrennung herrscht. Es gibt “weiße” und “schwarze” Geschäfte und die Gegend wird fast ausschließlich von Afroamerikanern bewohnt, die sich untereinander aber oft als “Nigger” beschimpfen.
So ist Rassismus und die Existenz als Schwarze Person in einer von Weißen beherrschten Gesellschaft das Rahmenthema. Der Plot macht die zunehmenden Rassenunruhen und die daraus resultierende Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre deutlich.
Der Autor zeigt aber auch die USA der Jetztzeit auf mit Polizeigewalt gegen Schwarze, der Erschließung George Floyds und der aktuellen Protestbewegung, denn in den vergangenen 60 Jahren hat sich für Afroamerikaner leider nicht viel verändert.
Das Leben in New York heutzutage wird ebenfalls genau porträtiert.
Whitehead präsentiert uns eine Familiengeschichte, aber auch einen Krimi. Der dunkelhäutige Ray Carney bemüht sich, auf ehrliche Weise zu überleben, aber er lebt in einer schrecklichen, viel zu kleinen Wohnung, und seine Frau erwartet ihr zweites Kind. Als Möbelhändler verdient er nicht genug und rutscht somit immer mehr in illegale Nebeneinnahmen ab. Er lässt sich auf einen größeren Coup ein und gerät danach zwischen alle Fronten. Wie wird er es überstehen?
Es handelt sich um eine Übersetzung aus dem Amerikanischen der 60er Jahre. Allerdings bleibt mir die Bedeutung einiger deutscher Sätze verschlossen, obwohl ich sehr gut Englisch kann, und die Originalsprache unter Umständen andere Nuancen möglich macht. Generell hat der erfahrene Übersetzer aber sehr gute Arbeit geleistet und bringt den sehr intensiven, flotten und mitreißenden Schreibstil des Autors rüber.
Die Charaktere sind authentisch und bringen dem Leser diese immerwährende Problematik näher. Aber auch Diskriminierung unter Schwarzen wird dargestellt.
Der Autor war mir bisher nicht bekannt, aber seine Herangehensweise hat mich vollständig überzeugt. Somit werde ich mich an andere Werke Whiteheads heranwagen, allerdings in der Originalsprache. “Harlem Shuffle” wäre als annotierte Fassung auf Englisch auch in der Oberstufenarbeit der Gymnasien einsetzbar, denn die Thematik “Rassismus” wird sehr häufig unterrichtet.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.08.2021
Systemfehler
Harlander, Wolf

Systemfehler


ausgezeichnet

Total breakdown.
Das Cover in schreienden Signalfarben und dem schwindenden Empfangsstärke - Symbol des Internets demonstrieren die Brisanz der Thematik, nämlich den drohenden Untergang des hochzivilisierten Europas.
Dieses ist mein erstes Werk von Wolf Harlander, aber das Vorgängerbuch "42 Grad" hat auch sofort mein Interesse geweckt, denn es werden brandaktuelle Themen angesprochen. In “Systemfehler” geht es darum, dass Hacker das gesamte digitale Leben lahmlegen. Zwei Hauptprotagonisten, Daniel Faber, IT-Spezialist, und Nelson Carius vom BND versuchen, den Hintermännern auf die Schliche zu kommen. Dabei wird nicht nüchtern berichtet, sondern die Handlung ist in realistische und authentische Kontexte integriert. Man erfährt viel über Fabers Familie und seine berufliche Zwangslage. Der Leser wird mit der bedrohlichen Situation anhand des Lebens der Normalbürger, die plötzlich ohne Geld, Nahrungsmittel, Internet, medizinischer Versorgung ... dastehen, konfrontiert.
Harlander hat einen leicht verständlichen, klaren und schnörkellosen Schreibstil. In kurzen Kapiteln mit ständigem Perspektivwechsel wird berichtet, unterbrochen von Pamphleten, Aktenvermerken, Zeitungsmeldungen, politischen Geheimprotokollen, ja sogar einem Briefing des Weißen Hauses in Washington. Man ist völlig gefesselt, besonders, da der Realitätsbezug eine mögliche Nachahmung befürchten lässt, denn die Cyberkriminalität nimmt immer mehr zu. Die Handlungsstränge werden gegen Ende gekonnt zusammengefügt, und Faber heuert bei einem neuen Arbeitgeber an, was er sich wohl niemals hätte vorstellen können. Das Werk führt zu einer gekonnten Auflösung, hinterlässt den Leser aber mit den Schilderungen eines Horrorszenarios, die mich sehr nachdenklich gestimmt haben, besonders, da die zahlreichen Figuren sehr authentisch porträtiert wurden. Insgesamt ein realistischer, hochbrisanter Thriller der mich von Anfang bis Ende gefesselt hat.
Eine klare Kaufempfehlung für breitgefächerte Leserkreise.

Bewertung vom 22.07.2021
Wildtriebe
Mank, Ute

Wildtriebe


sehr gut

Ausbruch.
Angelockt durch das wunderschöne, sehr romantische Cover in grau - rosa Tönen, und den verwirrenden Titel “Wildtriebe” wurde mein Interesse an diesem Roman geweckt. Außerdem hat mich die Schwiegermutter/ Schwiegertochterproblematik angesprochen. Wildtriebe sind etwas Negatives, und der Titel soll möglicherweise den Ausbruch (Austrieb) aus dem Althergebrachten symbolisieren, denn die Großbäuerin Lisbeth hat sehr festgefügte Vorstellungen von Haushaltsführung, Frausein und Hofmanagement. Marlies, ihre Schwiegertochter hingegen, die circa in den 60er Jahren in den Hof einheiratet, versucht, aus ihrem strengen Regiment auszubrechen, indem sie auf einer Teilzeitarbeit beharrt, Treckerfahren lernt und den Jagdschein macht. Weder von Lisbeth noch von ihrem Ehemann wird sie dafür gelobt. Es wird kommentarlos akzeptiert, dass Marlies am Nachmittag sich sehr intensiv an der Stall- und Feldarbeit beteiligt.
Marlies schafft es aber nicht, sich eine ebenbürtige Stufe mit ihrer Schwiegermutter zu erkämpfen. Ihre Ehe läuft freudlos, das Leben wird bestimmt durch die schwere Arbeit auf dem Hof. Amüsements wie Tanzen, Kino, Essengehen, Shoppen.... finden nicht statt.
Vieles bleibt unausgesprochen, da es von Marlies akzeptiert werden muss. Eine offene Konfrontation zur Klärung aber findet nicht statt. Niemand traut sich, Wut, Frust, Ärger und Hoffnungen auszusprechen. Alles wird heruntergeschluckt und bleibt im Inneren verborgen. Ute Mank hat es sehr gut verstanden, diese Sprach- und Trostlosigkeit in halben Sätzen anzudeuten. Ihr beschreibender, gefühlvoller Schreibstil setzt diese Ausweglosigkeit sehr gut in Szene.
Als Charakter erscheint mir Lisbeth am authentischsten, denn sie wurde als sehr junge Hoferbin und die schwere Kriegszeit nur zum Durchhalten und Hoferhalt gezwungen. Sie lernt aber nichts dazu, was das Zwischenmenschliche zwischen Ihr und Marlies anbelangt.
Marlis erscheint mir zu unterwürfig, aber ihre einzige Tochter, Joanna, soll quasi als Stellvertreterin das erreichen, was ihr nicht möglich war. Dabei macht sie viele Erziehungsfehler, genau wie Lisbeth, denn Joanna wird sehr verwöhnt, muss nicht bei der Hofarbeit mithelfen, darf Abitur machen, ins Ausland gehen, studieren und ihren Neigungen nachkommen. Aber Johanna verhält sich ihrer Mutter gegenüber rücksichtslos und lässt sich gehen, denn zum Schluss wird sehr deutlich, dass sie sich als Hoferbin sieht, der nichts passieren kann. Sie ist, meiner Meinung nach, übertrieben gezeichnet. Ihre Entscheidungen und ihr Verhalten am Romanende sind für mich nicht nachvollziehbar, aber sie wird von Lisbeth voll unterstützt, der es, egoistisch wie sie ist, nur darum geht, dass die Blutlinie weitergeführt wird und der Hof vererbt werden kann. Daher Punkteabzug! Marlies hingegen, gibt die Situation Auftrieb und Mut für ein selbstbestimmtes Leben.
Zwar enthält der Roman Längen, jedoch hat er mir gut gefallen, da ich mich in eine unbekannte Situation hineindenken musste. Er dürfte aber besonders interessant sein für Personen, die Ähnliches auf einem Bauernhof erlebt haben, denn die Atmosphäre und die Probleme auf einem Hof sind sehr eindrücklich beschrieben.

Bewertung vom 29.06.2021
Von hier bis zum Anfang
Whitaker, Chris

Von hier bis zum Anfang


ausgezeichnet

Eingeholt von der Vergangenheit
Das Cover passt perfekt zur Handlung, denn wir beginnen am Ende (Titel der englischen Originalausgabe “We Begin at the End”) heißt es mehrfach im Buch und bedeutet, dass die Geschichte am Ende beginnt und sich immer weiter zum Ursprung der Geschehnisse vorarbeitet und erst ganz zum Schluss eine völlig überraschende Lösung liefert. Somit ist das Cover oben schwarz, präsentiert dann bedrohliche Wolken und zeigt unten einen aufgehellten Himmel über einem goldgelben Weizenfeld.
Es ist wichtig, dass der Roman in den USA spielt, und auch die Übersetzung ist geglückt, denn die Personen sprechen und handeln authentisch, den Bedingungen entsprechend.
Die ganze Dramatik wirkt sich auf das Leben von vier befreundeten Jugendlichen aus, als Vincent den Tod der kleinen Schwester seiner Freundin Star verursacht. Es handelt sich dabei aber um einen Unfall! Hinzu kommt, dass Star ihre Aufsichtspflicht verletzt hat. Die amerikanische Justiz wertet die Sachlage aber als Mord und brummt dem 15-jährigen Vincent eine 30-jährige Haftstrafe im harten Erwachsenenstrafvollzug auf. Mich hat das Verhalten dieser Figur besonders aufgerüttelt und belastet. Vincent gibt sich ganz seiner Seelenqual hin. Er will büßen, sich an sich selbst rächen, bei vorgefassten Prinzipien bleiben und lehnt eine verfrühte Entlassung ab.
Sein Verhalten das als schizophren anmutet, wird immer undurchsichtiger, besonders nach den Offenbarungen am Schluss. Warum büßt er, vernachlässigt jedoch ihm nahestehende Personen? Er will selbstlos sein, was wird aber passieren, wenn andere die grausame Wahrheit erfahren? Man kann ihn als “tragischen Held” bezeichnen! Besonders die weibliche Protagonistin, Duchess, welche sich um ihren 5-jährigen Bruder und ihre Mutter, haltlos, drogensüchtig, alkoholabhängig und depressiv kümmert ist herausragend beschrieben, denn als 13-jährige ist sie total von der Haushaltsführung und allen anderen Aufgaben überfordert. Deshalb reagiert sie so überaus aggressiv, ohnmächtig und wütend, um ihre tiefe Verletzlichkeit zu überspielen und stark zu sein. Sie bezeichnet sich als “outlaw”, ist nie ein Kind gewesen und driftet in kriminelles Verhalten ab, denn sie kann ihre Reaktionen oft nicht kontrollieren. Für mich ist sie eine typische “Systemsprengerin”.
Der zweite Protagonist ist Walk, Vincents Jugendfreund, der trotz aller sich häufenden Anklagen nach Vincents Entlassung zu ihm hält, ihn für unschuldig hält und sein Wissen als Polizist nutzt, um ihn vor dem Tod zu retten. Zwischen ihm und Vincent findet jedoch keinerlei Kommunikation statt, da sich der ehemalige Häftling völlig verschließt. Das hat zur Folge, dass Walks Bemühungen umsonst sind, da wichtige Fakten verschwiegen werden. Der schwerkranke Polizist befindet sich zum Schluss in einer Ohnmacht.
Die Handlung gewinnt dadurch an Spannung, dass viele Dinge zunächst nur angetippt werden, um dann, wie bei einem Puzzle, zur Lösung beizutragen. Es gibt viele Wendungen, etliche Verflechtungen der Charaktere untereinander, blutige Schießereien und Leichen. Jede Figur hat eine sehr individuelle Ausgestaltung. Die Tragik und Dramatik nimmt ihren Lauf! Dabei wird die Handlung immer wieder durch philosophische Betrachtungen und gekonnte Landschaftsschilderungen unterbrochen, die oftmals den Seelenzustand der Protagonisten reflektieren.
Diese Vielfältigkeit wird durch zwei sich abwechselnde Erzählperspektiven, der von Walk und der von Duchess, unterstützt. Besonders gut hat mir die sehr einfühlsame und emotionale Erzählweise des Autors gefallen. Hinzu kommt neben der inhaltlichen und sprachlichen Ausgestaltung, dass er sich nicht an einem Genre festhält, sondern Familientragödie und Krimi miteinander kombiniert. Mich hat dieser Roman daher besonders gefesselt. Ich habe immer wieder Pausen der Reflektion eingelegt, um den jeweiligen Sachstand zu “verdauen” und die Seelenzustände der Figuren psychologisch zu interpretieren.