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ikatzhorse2005

Bewertungen

Insgesamt 206 Bewertungen
Bewertung vom 29.01.2022
Über Angst
The School of Life

Über Angst


ausgezeichnet

Über Angst: Meditationen über ein Gefühl unserer Zeit The School of Life (mvg Verlag)

„Grundvertrauen“ ist das beste Mittel gegen Angst. (S.14)

Dieser wundervoll aufgemachte Ratgeber blickt philosophisch, soziologisch und psychologisch auf dieses große Thema Angst. Neben der Ursachenforschung beschäftigen sich die Experten mit den verschiedensten Formen der Angst und geben schlussendliche Hinweise und Tipps für ein ideales Leben. Aber letztendlich tut dieses Buch einfach gut. Es bringt uns auf den Boden der Tatsachen zurück, lässt den Leser einige Zeit innehalten und über grundsätzliche Dinge nachdenken. Es geht auch darum, ehrlich mit sich zu sein und bestimmte Unwegsamkeiten zu akzeptieren.

Aber dann stellt sich heraus, dass das Leben für einige von uns, und auf einer bestimmten Ebene für alle, andere Pläne gemacht hat. (S. 63)

Ängste gab es schon immer, doch die äußeren Umstände und Einflüsse ändern die Art und vielleicht auch das Ausmaß dieser Empfindung. Heute habe ich andere Sorgen als vor 100 Jahren. Die multimediale 24h Verfügbarkeit Informationen jeglicher Art abrufen zu können und die Breitmachung verschiedenster Meinungen und deren teils unfreiwillige Konfrontation steigern unseren täglichen Stress zusätzlich. Ein Zuviel kann schaden und wir täten unseren psychischen Gesundheit einen guten Dienst, unser Leben zu vereinfachen.
Auch ein Zuviel am Denken und fortwährend die Gedanken kreisen zu lassen, ist hinderlich. Einfach mal loslassen und sich bewusst werden, was dem Menschen an sich gut tut.

Fazit: Ohne erhobenen Zeigefinger habe ich neue Aspekte aus der Lektüre ziehen können. Das Aufgreifen und die Betrachten philosophischer Aspekte hat mir gefallen. Mit Ästhetik und zahlreichen Denkanstößen gelingt hier ein liegevoll gestalteter Mutmacher und Ratgeber.
Ein wahrer Schatz und eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 29.01.2022
Das große Buch der Collagen
Rivans, Maria

Das große Buch der Collagen


ausgezeichnet

Das große Buch der Collagen von Maria Rivans (Midas Verlag)

Das Zeitaufwendigste bei Collagen ist zweifelslos die Suche nach den Bildern: Manchmal kann es Wochen dauern, bis das richtige Bild gefunden ist. (S.5)

So lange braucht der Leser und bastelfreudige Collagenersteller nicht suchen, denn Maria Rivans hat hier eine Fülle an Inspirationen in diesem großartigen Buch zusammengestellt. Einzig die Schere fehlt noch und schon kann es losgehen!
Zuerst macht uns die Künstlerin mit einleitenden Worten und grundlegenden Dingen bei der Collagenfertigung bekannt, Anleitungen und Ideen sowie Abbildungen und Erläuterungen ihrer eigenen Werke und Collagen anderer Künstler bereichern ihre Lektüre. Ihre Collagen und Bilder wurden in renommierten Galerien auf der ganzen Welt ausgestellt. Ihre ästhetische Kunst findet sich an Hotelwänden und als limitierte Drucke für jedermann. Sie weiß also, wovon sie spricht.
Um seiner Kreativität freien Lauf lassen zu können, füllt dieses Buch unzählige Motive und einige Hintergrundbilder. Über 1500 Bilder! Eine beachtliche Quelle kreativer Möglichkeiten! Besonders Retro-Vintage-Elemente mit Bezug zu Film und Fernsehen liegen der britischen Künstlerin am Herzen. Details und Bilder von Menschen, Natur und Tieren, Bauwerken und Technik sowie Kunst und Kultur finden sich unter den zahlreichen Möglichkeiten zum Entspinnen eigener bizarrer Stücke.
Dies ist eine wunderbare Möglichkeit abseits der berieselnden Medien etwas Kreatives zu erschaffen und sich endlich wieder mit sich und seiner Fantasie zu beschäftigen. Ein großartiges und inspirierendes Buch!

Seien Sie darauf vorbereitet, stundenlang abzutauchen und selbst zum Teil dieser vielfältigen und spannenden Kunstform zu werden.
Ihre Collagen warten auf Sie … (S. 5)

Bewertung vom 29.01.2022
Eure Leben, lebt sie alle
Hein, Sybille

Eure Leben, lebt sie alle


ausgezeichnet

Eure Leben, lebt sie alle ein Roman von Sybille Hein (dtv)

Man kann sich die Vergangenheit nicht schöner wünschen. Aber hin und wieder ereignen sich Dinge, mit denen man sie heller ausleuchten kann. Je mehr Menschen ihre bunten Glühbirnen an die Leine hängen, desto besser. S.302

Genau das beschreibt diesen Roman schon ganz gut. Dann gibt es da noch einen fast unsichtbaren Faden, der sich durch das Leben der fünf Frauen zieht und sie somit auf schicksalhafte Weise miteinander verbindet. Ein Teil jeder Geschichte ist Jonas, Mariannes Sohn, der vor fast zwanzig Jahren ums Leben kam. Er lässt seine Mutter und vier Freundinnen zurück. Marianne, Ellen, Freddy, Luise und Johanna.
In sechs Runden, ähnlich einer Theateraufführung, erzählt Sybille Hein episodenhaft aus dem Leben jeder einzelnen Frau. Jede, bis auf Johanna, erzählt ihre Geschichte selbst. Innere Monologe, Selbstzweifel, Geheimnisse und Gedanken, Wünsche, Träume, Erkenntnisse oder auch nicht... So gewinnt man einen intensiven Einblick in das Leben und die Gefühlswelt der Figuren. Um diese Eindrücke zu schildern, bedient sich die Autorin einer wunderbar lebhaften Sprache.

Mit Ende zwanzig kann man mit ungebügelten Hemden aus dem Haus rennen, aber in seinem Alter sollte man darauf achten, zumindest die Verpackung knitterfrei zu halten. Klaus ist zweiundfünfzig. Er ist ein alter Mann. Und riecht nach Kohlrabi. (S.25)

Ein schnieker Dreiteiler: Hose, Weste. Sakko mit großen Schulterpolstern. Die Schaumstoffeinlagen überspielen kunstvoll, das man Böhms schrumpelkleinen Körper in einem solchen Kleidungsstück inzwischen suchen muss. (S.133)

Seit dem Gespräch mit Ellen fühlt es sich an, als würde ich Geschenkpapier aufreißen, wenn ich den Staub von den alten Sachen puste. (S.243)

Mr. Spock drückt seine Schnauze in einen der verbliebenen Jutesäcke. Auch er hat einen Wunsch an den Lefzen kleben, ich kann es ihm ansehen: Möge sich dieser Beutel öffnen wie Alibabas Höhle und die herausquellenden Wurstwaren den ganzen Dielenboden überspülen. (S.298)

Man hat das Gefühl selbst dabei zu sein. Und während des Lesens findet man ein wenig Marianne, oft Ellen, mehr Freddy, naja Luise und weniger Johanna in sich selbst. So habe ich es jedenfalls empfunden. Manche Situationen finden Zustimmung, über andere überdrehte Momente schüttelt man den Kopf. Doch so ist das Leben nun mal.
Letztendlich geht es nicht nur um Älterwerden. Diese Geschichte erzählt so viel mehr und ist eine einzigartige Hommage an die Freundschaft und das Zusammensein. Klare Leseempfehlung für diesen besonderen Roman!

Bewertung vom 09.01.2022
Der Palast
Doehnert, Rodica

Der Palast


ausgezeichnet

Selbst Genossen können ein Zwillingsherz nicht teilen!

Der Palast ein Roman von Rodica Doehnert (Lago)

Georg starrte auf die geschlossene Tür, hinter der Chris verschwunden war. Gab es das überhaupt, wonach er suchte? Gab es eine Wahrheit über dem ideologischen Müllberg, die für alle Menschen galt und mit der es zu leben lohnte? S.127

Scheinbar unüberwindbare Differenzen überschatten die Liebe eines jungen Paares. Die Erziehung, die Erwartungen und die politische Prägung kollidieren mit den Träumen und Zielen der beiden Protagonisten. Das Regime der DDR nimmt beiden die Entscheidungsfindung auf dramatische Weise ab. Im August. 1961 riegeln Sicherheitskräfte der DDR Ost-Berlin ab. Stacheldraht wird gezogen und somit der Übergang von Ost nach West versperrt. Mit dem Bau der Berliner Mauer will die Führung der DDR die Abwanderung ihre Bürger in den Westen stoppen und so den „Sozialismus retten“. Die Mauer trennt Berlin und die deutsche Bevölkerung 28 Jahre lang in Ost und West.

Das Ausmaß des Schadens kann man überhaupt nicht in Worte fassen. Diese Regierung maßt sich an, ihren Bürgern ihre Ideologien aufzuzwingen, reglementiert und bestraft nicht regierungstreue Bürger. Jeder muss mit allen erdenklichen Mitteln auf Linie gehalten werden! In diesem System stehen Kontrollen und Überwachung an oberster Stelle, gedeckelt durch die sozialistische Fürsorge des Staates.
Im Gegensatz dazu steht der westlichen Teil Deutschlands unter einer kapitalistisch-demokratischen Führung.
Die Autorin erzählt von einer ost-westdeutschen Familie anhand der Schicksale von Christine und Marlene vor dem Hintergrund der deutschen Teilung und Wiedervereinigung. Zwei Schwestern treffen sich nach 28 Jahren wieder und versuchen zusammenzufinden und mit allen erdenklichen mitteln die Geheimnisse ihrer Familie zu lüften.
In Ostberlin entfaltet sich mit der Protagonistin Christine Steffen die schillernd bunte Welt des Friedrichstadt-Palastes im krassen Gegensatz zum strukturierten Alltag. Das Vorzeigeobjekt mit seinen grandiosen Shows dient im Buch als perfektes Setting, welches Privilegierte besuchen durften.
Im westlichen Teil Deutschlands ist Marlene Wenninger fest in das alteingesessene Familienunternehmen eingebunden. Sie setzt sich mit den an sie gestellten Anforderungen und Erwartungen auseinander. Konfrontationen sind unvermeidbar, gerade als immer mehr lang verschwiegene Geheimnisse ans Licht kommen.
Wie die beiden Zwillingsschwestern zueinanderfinden, erzählt die Autorin in einem fesselnden Schreibstil. Die Darlegung der emotionalen Passagen und Dramaturgie, das Lebensgefühl sowie der Lebendigkeit der damaligen Verhältnisse sind wunderbar gelungen erzählt. Mir hat diese Lektüre intensive Lesestunden geschenkt. Nach dem Beenden des Buches, habe ich mir die Verfilmung angeschaut. Ich empfehle dies unbedingt in dieser Reihenfolge zu tun, da die Spannung des Buches durch das visuell Erlebte verloren gehen könnte. Auch weicht das Geschriebene etwas von der Verfilmung ab, was der Geschichte an sich keinen Nachteil verschafft.

Der Rom ist liebevoll gestaltet. Kurze vorangestellte Kapitel-Zusammenfassungen machen neugierig auf den folgenden Lesestoff. Der Epilog erzählt die Geschichte weiter, die es im Film nicht zu sehen gibt. Ein Glossar und ein Familienstammbaum runden das Ganze ab. Ergänzend finden sich ein Nachwort und eine Danksagung der Autorin.

Fazit: Rodica Doehnert steht für erlebbare Geschichte. Mit „Das Adlon“, „Das Sacher“ und jetzt mit „Der Palast“ hat sie wunderbare Unterhaltung erschaffen. Ich hoffe auf weitere Projekte von ihr und empfehle ihre Werke daher uneingeschränkt!

Bewertung vom 04.01.2022
In ewiger Freundschaft / Oliver von Bodenstein Bd.10
Neuhaus, Nele

In ewiger Freundschaft / Oliver von Bodenstein Bd.10


ausgezeichnet

In ewiger Freundschaft Taunus Krimi Band 10 von Nele Neuhaus (Ullstein Verlag)
„Wir feiern zusammen, wir arbeiten zusammen, und wir stehen uns gegenseitig bei, wenn es einem von uns nicht gutgeht“, bekräftigte Dorothea. „Deshalb sind wir heute auch alle hier.
„Das ist wirklich eine sehr schöne Geste“, sagte Pia... S.237
Eine vermisste Programmleiterin des renommierten Buchverlags Winterscheid in Frankfurt wurde nach über dreißig Jahren gekündigt. Sie scheint sich an einem ihrer Autoren rächen zu wollen, indem sie ihn des Plagiats bezichtigt. Zeitnah werden Leichen gefunden und die Ermittlungen laufen weit bis in die Vergangenheit der Opf­er hinein. ­
Nele Neuhaus liefert hier einen richtig spannenden Plot. Der Fall und die Einblicke rund um das Verlagshaus Winterscheid und deren Autorenwelt sind höchst interessant. Die Geheimnisse, Reibereien und internen Spielchen gehen wohl nicht spurlos an allen Mitarbeitern vorbei.
In ihrem neuen Fall legt die Autorin einige Spuren, verschachtelt einzelne Geschichten und strickt die Fäden zu einem komplexen Ganzen zusammen. Vielleicht wirkt das Geschriebene nicht ganz so spektakulär und der Spannungsbogen wird von Zeit zu Zeit etwas überdehnt, doch an Emotionalität fehlt es dem Roman nicht. Die Einblicke in das Privatleben der Ermittler sowie die zahlreichen Nebengeschichten gestalten den Krimi abwechslungsreich. Man fiebert mit den Figuren mit. Gerade Oliver von Bodensteins Geschichte berührt das Herz. Da man die Protagonisten über einen langen Zeitraum begleitet und deren Geschichten verfolgt hat, entsteht eine gewisse Bindung. Man kann sich sehr gut in die Figuren hineinversetzen. Da diese zahlreich auftreten, war ich sehr erfreut über das vorangestellte Personenregister.
Ein weiterer Pluspunkt ist die Authentizität mit der die Autorin ihre Protagonisten agieren lässt. Lebensnah und mit einem vielfältigem Hintergrundwissen werden Situationen und Dialoge präsentiert.
Einflechtungen und Rückblicke auf bereits erzählten Stoff erschienener Bände passen wunderbar zu dieser Jubiläumsausgabe. Das hat Nele Neuhaus gekonnt inszeniert. Eine schöne Idee, in kleinen Spitzen einen Blick zurückzuwerfen.
Das packende und wendungsreiche Finale konnte mich durchweg überzeugen. Ich bin gespannt auf weitere Geschichten rund um das K11 in Hofheim und empfehle „In ewiger Freundschaft“ gern weiter!

Bewertung vom 04.01.2022
Die Frauen von Schönbrunn / Schönbrunn-Saga Bd.1
Maly, Beate

Die Frauen von Schönbrunn / Schönbrunn-Saga Bd.1


ausgezeichnet

Die Frauen von Schönbrunn Teil 1: Ein Leben für das Wohl der Tiere von Beate Maly (Ullstein Verlag)

Die Worte ihres Vaters fielen ihr ein: „Alle Geschöpfe Gottes haben ein Recht auf ein würdevolles Dasein. Es liegt an uns Menschen, darauf zu achten, dass die Würde nicht verloren geht.“ S.352

Die Geschichte dreht sich um den Wiener Tiergarten Schönbrunn in der Zeit zwischen 1914 und 1918. Angesichts der Auswirkungen und verheerenden Folgen des 1. Weltkrieges müssen Wünsche und Träume zurückgestellt werden. So ergeht es auch Emma, die im Jahr 1914 eine Stelle als Tierpflegerin im Zoo Schönbrunn antritt. Ihr großes Ziel ist es, Tierärztin zu werden.
1917 hat sich ihre Welt grundlegend geändert. Weiterhin versorgt sie die Tiere als Pflegerin, doch kämpft das Personal mit Futterknappheit. Einerseits wächst bei der Bevölkerung der Unmut gegen den kaiserlichen Zoo angesichts der Nahrungsknappheit, Armut, Kälte und Hoffnungslosigkeit. Andererseits bieten die Tiere und Emma mit ihrem Affen-Schützling Fanny ein wenig Abwechslung in dem sorgenvollen Alltag der Wiener.
Neben der Arbeit im Tiergarten übernimmt Emma die Versorgung der schwangeren Schwester Greta und die häuslichen Aufgaben, da Vater und Schwager an die Front eingezogen wurden. Sie bekommt neben zahlreichen Schwierigkeiten die Standesunterschiede zwischen Mann und Frau durch den stellvertretenden Zoodirektor Hubert von Kochauf zu spüren. Der neue Tierarzt Julius Winter steht ihr zur Seite und verursacht zunehmend Schmetterlinge in Emmas Bauch.
Beate Maly schreibt zeitlich abgestimmt, ungemein flüssig, bildhaft und spannend, so dass sich die Geschichte flott wegliest. Man fühlt mit den Protagonisten und kann sich in deren Sorgen, Leid aber auch in ihre Freude und Euphorie hineinversetzen.
Die geschichtliche Einordnung gelingt perfekt. Die örtlichen Beschreibungen und kleinen Details fügen sich wunderbar zu einem passenden Rahmen zusammen. Die Erlebnisse von Emma, Greta, Julius und Co. füllen die Erzählung mit Leben aus. Für mich war dieser historische Ausflug in den Wiener Tiergarten Schönbrunn ein lehrreiches und unterhaltsames Abenteuer, den ich real in ferner Zukunft gern einmal nachholen möchte. Darüber hinaus freue ich mich auf den 2. Teil: Die Kinder von Schönbrunn!

Bewertung vom 07.12.2021
Die Brücke der Ewigkeit / Die Baumeister Bd.1
Hector, Wolf

Die Brücke der Ewigkeit / Die Baumeister Bd.1


ausgezeichnet

Die Brücke der Ewigkeit ein historischer Roman von Wolf Hector aus dem Ullstein Verlag
Zärtlich wie sonst nur über Drudas Haut fuhr er mit den Fingerbeeren über das Pergament und zeichnete die mit Rötelstift gezogenen Linien nach – die fünfzehn Brückenbögen, die Eisbrecher davor, die drei Türme darüber, das steinerne Geländer. Er richtete sich auf, trat zwei Schritte vom Schreibpult zurück und betrachtete die Zeichnung auf dem alten Pergament aus fünf Fuß Entfernung – ein guter Bauplan, wahrhaftig! S.184
Aus einem Gelübde der Angst und Hoffnung erwächst in einer Gewitternacht 1342 ein Versprechen. Otlin gelobt, Prag eine neue Brücke zu bauen, wenn Gott seine Mutter aus den Fluten der Moldau rettet, nachdem die alte Judithbrücke hinfort gerissen wurde. Jahre später kann er dieses Versprechen einlösen.

Der Autor versteht es meisterhaft, diese wahrhaft interessante Entstehungsgeschichte der Karlsbrücke in Prag spannend und authentisch zu erzählen. Sein Schreibstil ist einzigartig und es macht einfach Freude diese historisch fundierte Geschichte zu lesen. Alltägliche Situationen, Begebenheiten, das Umfeld und die Dialoge sind auf die Zeit der Handlung abgestimmt. Die Kenntnisse und sehr gute Recherche zeigen ein eindrucksvolles Bild des damaligen Pag. Gerade die detaillierten Beschreibungen dieser wunderschönen Stadt haben mir sehr gut gefallen. Die flüssige Erzählweise konnte mich von der ersten Seite des Buches bis zum letzten Umblättern begeistern.
Ich mochte den Roman gar nicht mehr zur Seite legen, denn trotz der 600 Seiten, liest sich die Geschichte flott weg.
Des Weiteren passt das begleitende Cover hervorragend zum Text. Die Karte von Prag um 1400 gibt einen groben Überblick, um sich besser orientieren zu können.
Man begleitet die Protagonisten über mehrere Jahrzehnte. Die Legende zu Anfang ist dabei hilfreich. Diese setzten sich aus historisch belegten und fiktiven Figuren zusammen. Alle Figuren sind lebhaft beschrieben, agieren und wirken echt sowie zeitgemäß. Besonders Jan Otlin und Maria-Magdalenas Schicksale haben mich bewegt. Eine Zeittafel hilft bei der zeitlichen Einordnung der Ereignisse und das Glossar bei ungekannten bzw. schon fast verschwunden geglaubten Wörtern.
Fazit: Jedem, der sich für historische Begebenheiten interessiert, kann ich diesen Roman wärmstens empfehlen. Neben interessanten Fakten, erliest man sich eine emotionale und spannende Geschichte. Ein wirklich fesselnder Roman!
Nur das Pseudonym ärgert mich! Ich mag Pseudonyme einfach nicht. Vermutlich steckt eine Marketingstrategie des Verlages dahinter?! Ich werde und möchte das nicht verstehen! Ärgerlich, wenn man sich mit historischen Romanen in der Literaturszene und beim Leser etablieren konnte und dann über ein Pseudonym degradiert wird, welches nicht einmal ein anderes Genre umfasst. Dennoch musste dieser Roman erzählt werden, weil er einfach richtig gut ist, danke dafür!

Bewertung vom 24.10.2021
Der Uhrmacher in der Filigree Street
Pulley, Natasha

Der Uhrmacher in der Filigree Street


sehr gut

Der Uhrmacher in der Filigree Street ein Debüt von Natasha Pulley (Verlag: Hobbit Presse/Klett Cotta)
Als er sich die Uhr ans Ohr hielt, konnte er das Uhrwerk arbeiten hören. Es war so leise, dass er nicht hätte sagen können, ob es erst gerade angesprungen war oder schon die ganze Zeit gearbeitet hatte und nur von anderen Dingen übertönt worden war. Er hielt sich die Uhr ans Hemd, hob sie dann wieder an und versuchte, das Geräusch mit seiner Erinnerung an die gestrige Version der Stille und ihre Schattenfarben zu vergleichen. Schließlich setzte er sich auf und drückte auf den Verschlussknopf. Der Deckel lies sich noch immer nicht öffnen. S. 23/24
Dieser Roman ist wie sein Schreibstil selbst, zeitweise unheimlich spannend und im nächsten Moment so trocken, dass es staubt. Vielleicht liegt es an den verschiedenen Handlungssträngen und Zeitsprüngen, bei denen es schwerfällt, Zusammenhänge zu sehen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Manche Aktionen der Protagonisten sind abrupt und teilweise nicht schlüssig. Die Stimmung der Figuren konnte das ein oder andere Mal nicht stimmig transportiert werden. Punkten konnte die Erzählung von Natasha Pulley, als sich am Ende alle Zahnrädchen ineinander fügten mit tollen Wendungen und einem überzeugendem Abschluss.
Besonders gut hat mir die Atmosphäre im herbstlichen London um 1883 und im alten Japan gefallen. Die Autorin versteht es, das Setting stimmungsvoll zu gestalten und die passenden Bilder zur Geschichte umzusetzen.
Ebenso haben mich die unaufgeregten Personen berührt, die im Blickpunkt dieser Geschichte stehen. Ihre unterschiedlichen Charaktere und ihre Beziehungen zueinander geben dem Inhalt die nötige Würze. Mori, der Uhrmacher mit einer Vorliebe für Mechanik und ein einziges Rätsel selbst; Thaniel, der Künstler, ruhig, unaufgeregt und etwas traurig; Grace, rebellisch, kämpferisch, die ihren eigenen Weg gehen will.
Die Einflechtungen des historischen Hintergrunds unter politischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten fand ich passend und informativ. Genauso die Theorien und Experimente mochte ich gern lesen.
Fazit: Ein tolles Lesevergnügen, wenn man sich darauf einlässt!
Alles in allem ein Geschichte, die man so vielleicht nicht erwartet. Es ist von jedem Genre etwas dabei, ein wenig Krimi, Fantasie und Magie, historische Elemente, Wissenschaft und Gefühl.
Eine außergewöhnliches, anderes und überraschendes Gesamtpaket mit kleinen Schwächen, welches ich gern gelesen habe und weiterempfehle.

Bewertung vom 17.10.2021
Reality Show
Freytag, Anne

Reality Show


ausgezeichnet

Reality Show ein Roman von Anne Freytag dtv
Verlag
Fragt man wütende Menschen nach ihrer Meinung, bekommt man nicht selten Antworten, die am Vorhandensein des so viel gepriesenen Menschenverstandes zweifeln lassen, Zorn ist kein guter Ratgeber, ganz im Gegenteil, er ist Öl im Feuer. (S.202)
Ich teile die Meinung von Opa Fritz, der den Wunsch nach Gerechtigkeit und Rache durchaus verstehen kann. In welche Zwickmühle und damit verbundene Konflikte Anne Freytag ihre Protagonisten und somit den Leser hineinmanövriert, ist schon ein erstaunliche Ungeheuerlichkeit. Der Plot und die Fragen dahinter sind so genial und aktuell wie nie. In schnellen Bilder, wechselnden Szenen und Zeiten versteht die Autorin ihre Figuren und deren Stimmungen in Szene zu setzen. Der interessante und intelligente Schreibstil untermauert die aufkommenden Fragen und zieht somit den Leser vollkommen in diese gegenwärtige, teils absurde Geschichte. Man muss sich darauf einlassen und, genau wie die Zuschauer, Stellung beziehen. Häppchenweise entsteht ein gesellschaftskritisches Portrait verpackt in einem genialen Thriller.
Zur besinnlichsten Zeit des Jahres, an Heiligabend übt eine überschaubare Gruppe Gerechtigkeit mit einer Live-Übertragung der Geiselnahme aus verschiedenen Häusern der Opfer. Diese sind Drahtzieher und korrupte Schattenmänner der Gesellschaft, die sich bereichern und Andere manipulieren. Das Urteil über die Kandidaten dieser Reality Show fällen die Zuschauer. Sie sind jetzt die Richter mit allen Konsequenzen. Das ist verlockend und gefährlich zugleich. Mal schauen, ob alle so weitsichtig denken und handeln wie Opa Fritz?
Fazit: Anne Freytag steht für interessante Themen und intellektuelle Literatur. Ihre Romane sind anders, immer ein überraschendes Abenteuer und äußerst emotional. In meist kurzen Sätzen erzeugt sie Bilder im Kopf der Leser, die noch lange im Gedächtnis bleiben. So auch in ihrem gelungen konstruierten Pageturner „Reality Show“, spannend bis zum Schluss! Eine klare Leseempfehlung, wie alle ihre anderen bisher erschienen Bücher!

Bewertung vom 17.10.2021
Was bleibt, wenn wir sterben
Brown, Louise

Was bleibt, wenn wir sterben


ausgezeichnet

Was bleibt wenn wir sterben ein Erfahrungsbericht von Louise Brown (Diogenes Verlag)
Ich wollte meine Leseerfahrungen schon viel eher teilen. Leider kreuzte dieses Buch zu einem unpassenden Zeitpunkt mein Leben, ein Todesfall in meiner Familie und so musste ich die Lektüre erst einmal beiseitelegen. Die Endlichkeit war so überwältigend, dass ich erst ein wenig Abstand brauchte, um mich auf diese Lektüre einlassen zu können. Wahrlich kann ich andere Lesermeinungen bestätigen, dass diese Literatur einfühlsam geschrieben ist und Trost spenden kann. Letztendlich konnten mich die sensiblen Worte der Autorin in den Momenten der Trauer nicht trösten. Zu intensiv und groß waren und sind die Gefühle noch immer.
„Aber irgendwann müssen wir Raum schaffen für leichtere Gedanken. Um aus dem Stillstand wieder in Bewegung zu kommen.“ S.174
Auch ich werde dann dieses Büchlein von Louise Braun zur Hand nehmen und ihre Worte lesen und erneut auf mich wirken lassen. Denn mit ihren von Herzen kommenden Trauerreden und dem angenehmen Umgang mit den Trauernden beschreibt sie einen respektvollen und würdigen Weg, der Lieben zu gedenken. Die Trauer und das Andenken gehören zu unserem Leben dazu und ich danke der Autorin für ihre Erfahrungen und Anekdoten aus ihrem “Berufsleben“.
Dieses Buch berührt durch seine Leichtigkeit im Umgang mit den Themen Tod, Sterbebegleitung und Trauerbewältigung. Es macht nachdenklich auf eine angenehme Art. Gern empfehle ich „Was bleibt, wenn wir sterben“ weiter.