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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Julia
Wohnort: 
Kassel

Bewertungen

Insgesamt 65 Bewertungen
Bewertung vom 17.06.2021
Die Kinder des Frank Mason
Knecht, Roland

Die Kinder des Frank Mason


sehr gut

Hauser hat es nicht leicht. Eigentlich wollte er lediglich Verhandlungen zum Kauf eines legendären Rennwagens führen, da gerät er plötzlich zwischen die Fronten. Sein Auftraggeber zieht ihn nach erfolglosen Gesprächen wieder ab, er solle sich ab sofort raushalten. Doch Hauser wittert einen großen Betrug und steckt ja sowieso schon mittendrin.

Zwar geht es im neuen Roman von Roland Knecht um Autohandel mit Rennwagen, heißt aber nicht, dass nicht jeder passionierte Fußgänger ebenso Spaß an dem Buch hätte, denn vielmehr geht es um Beziehungen. Geschäftsbeziehungen und Zwischenmenschliches, um Intrigen, Affären und Verrat. Die Handlung ist gut konstruiert und spannend bis zum Schluss. Wie in seinem Debüt "Das Herbstmädchen" mochte ich auch hier wieder die Sprache sehr und natürlich die Charaktere. Sie sind echt und glaubhaft und manche sind einfach so sympathisch und herzlich, man freut sich richtig für Hauser, nach einigen Rückschlägen zuverlässige Weggefährten zu haben, denen sein Wohlbefinden am Herzen liegt.

Insgesamt eine leichte, frische Geschichte in interessantem Rahmen, die Freude beim Lesen macht.
Was der Titel bedeutet ist übrigens ein Clou, der sich erst am Ende auflöst.

Bewertung vom 23.05.2021
Unverschwunden
Gurt, Philipp

Unverschwunden


ausgezeichnet

Es war Liebe auf den ersten Blick, auf das erste Wort. UNVERSCHWUNDEN. Was für ein Titel, der so viel aussagt, über den man unweigerlich philosophiert. Ein Buch für mich.

Lukas, erfolgreicher schweizer Autor in den Enddreißigern, verschwindet eines Tages. Doch nur für andere, für die Wahrhaftigen, wie er sie fortan nennt. Er selbst ist unverschwunden. Was ist passiert? Gibt es Gründe und vor allem, gibt es andere wie ihn? Nach und nach besucht er Freunde und Familienangehörige und erfährt - von ihnen nicht wahrgenommen - wie sie ihn sahen. Ist er ungeliebt? Wird er vermisst?
Als Unsichtbarer erlangt er Einblick in die Leben vieler anderer, er sucht Nähe und lernt dabei Einsamkeit in all ihren Facetten kennen und, dass es unterschiedliche Arten vom Verschwinden eines Menschen gibt.
Ich will gar nicht viel zu diesem Buch sagen, denn man muss die Geschichte einfach erleben, und das ist es auch, was dieses Buch so besonders macht, dass man hineinversetzt wird in diese Ausnahmesituation, die natürlich einen fiktiven Aspekt hat. Aber dennoch beschreibt sie die reale Welt treffend, bleibt dabei glaubhaft und macht nachdenklich.
Eine ganz wunderbare Geschichte, kurzweilig und spannend konstruiert, aber auch leise und tiefsinnig. Ich fand die Erkenntnisse, die Lukas durch seine Sicht als Unverschwundener gewinnt, feinsinnig und fast zärtlich formuliert, mit viel Gespür für Menschlichkeit, für Menschsein.
Absolut lesenswert!

Philipp Gurt ist vielen vielleicht durch seine Krimis ein Begriff, für mich war es das erste Buch von ihm.

Bewertung vom 16.05.2021
Rolf
Hinnen, Andri

Rolf


ausgezeichnet

Literarische Grenzerfahrung mit 4 Buchstaben

Ein Buch, das viel länger hätte sein dürfen, so phänomenal war diese wilde Geschichte. Für die Lektüre ist eine flexible Beziehung zur Realität förderlich. Ich persönlich habe ein Faible für extrovertiert Dämonen.

Phillip führt ein beschauliches, wohlgeordnetes Leben, er hat seine Prinzipien und schätzt es nicht wenn sein Alltag durch Unwägbarkeiten aus dem Gleichgewicht gerät.
Nach einer schicksalhaften Nacht auf einem Festival treten zunächst Halluzinationen auf, dann zunehmende Anzeichen einer Geisteskrankheit. Doch zum Glück ist Phillip nicht verrückt geworden. Er ist lediglich von einem Dämon besessen! Spoiler: Er ist kein bisschen erleichtert. Wie man das schleimige Monster wieder los wird findet der junge Mann leider nicht rechtzeitig raus, Rolf übernimmt, genervt von Phillips ödem Leben, die Kontrolle über dieses. Mit verhängnisvollen Folgen für beide.

Ich muss zugeben, ich hatte befürchtet, das Buch könnte mir zu albern sein. Ich habe das Fremdschämen und Peinlichberührtsein quasi erfunden. Aber ich lese sehr, sehr, sehr viel und hab auch gern mal etwas Abwechslung und die hatte ich, ich hatte mehr Abwechslung als mir vor dem Schlafengehen lieb. Es ist eine literarische Grenzerfahrung, ein Wechselbad der Gefühle. Dabei ist die Geschichte mit einer Ernsthaftigkeit und Ungerührtheit geschildert, dass man nicht anders kann als jedes Wort für wahr zu nehmen.

Bereits auf den ersten Seiten merkt man, Andri Hinnen kann schreiben. Da ist ein Gespür für Worte, für rasante Dialoge und eine eine erstaunliche Fähigkeit, lebendige Figuren zu entwerfen. Der Autor hat es - in seinem Debütroman! - geschafft, von Charakteren zu erzählen die solche Deppen sind und gleichzeitig Helden und man hat sie einfach alle nur lieb in ihrer haarsträubenden Putzigkeit.
Ein bisschen derb sind die Schilderungen, ziemlich explizit was sexuelle Handlungen angeht (Dämonen halt), jede Zeile aber voller Humor und.. ja Liebe. Sympathie und Freundlichkeit, vor allem durch diese wunderbaren Protagonisten.
Was bedeutet "von einem Dämon besessen" oder "mit inneren Dämonen kämpfen"? Der Roman erzählt genau das auf eine mehr als anschauliche Art. Trotz allem Humor beschreibt Andri Hinnen eben ohne Albernheit und vor allem, ohne psychische Erkrankungen durch den Kakao zu ziehen, was es bedeutet, die Kontrolle über sein Leben zu verlieren und sich selbst in der Vergangenheit zu suchen und wiederzufinden.
"Rolf" lehrt uns, auch zu unseren Dämonen freundlich zu sein und in gegenseitigem Respekt zu koexistieren.

Bewertung vom 13.05.2021
Weiße Finsternis
Wacker, Florian

Weiße Finsternis


ausgezeichnet

Es ist das Jahr 1921 als Nikifor Begitschew gebeten wird, sich an einer internationalen Expedition zu beteiligen. Zwei Jahre zuvor waren die Norweger Paul Knudsen und Peter Tessem von der "Maud" - Amundsens Schiff, das festgefroren im Eis steckte um die Drift der Eisschollen zu erforschen - mit dem Hundeschlitten in Richtung Heimat aufgebrochen. Sie sollten Post überbringen, der zweite Grund war, dass Peter zunehmend gesundheitliche Probleme bekam. Doch die beiden Männer kamen nie zu Hause an.
Erzählt wird eine wahre Geschichte, diesen Suchtrupp hat es wirklich gegeben. Aus den damaligen Erkenntnissen leitete Florian Wacker gekonnt ein mögliches Szenario ab. Er füllt die Fakten um die zwei im ewigen Eis verschollenen Männer mit einer anspruchsvoll konstruierten und unterhaltsamen Geschichte auf, die durch die Perspektivwechsel einen Blick auf die Welt im Norden zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirft. Nicht einmal der erste Weltkrieg kam bis dorthin. Differenziert legt der Autor frei, was junge Männer angetrieben hat die Welt des ewigen Eises entdecken zu wollen und wie es den an Land verbliebenen ging, allen voran den Frauen, die warten und hoffen mussten.

Im fiktiven Teil geht es um Konkurrenz zwischen Paul und Peter. Was stand zwischen ihnen und wo ähnelten sie sich? Beide können nicht aus ihrer Haut, sie sind grundverschieden. Den einen zieht es raus ins Eis, zu neuen Ufern, er muss sich stets etwas beweisen. Einen Anker hat er nicht. Der andere ist nicht zum Abenteurer geboren, ist fest verwurzelt und neidet es dem besten Freund das Erlebte. Und dann ist da noch Liv und sie alle sind untrennbar miteinander verbunden.

Die Perspektivwechsel und die unterschiedlichen Zeitlinien sind großartig gelungen und tragen nach und nach zur Auflösung der tatsächlichen Ereignisse bei, angereichert mit fiktiven Ergänzungen wo die Überlieferungen Lücken aufweisen. Die unterschiedlichen Ebenen erfordern zu Beginn ein hohes Maß an Konzentration, mit Fortschreiten des Romans wird alles logischer und nachvollziehbarer und trotz der Sprünge leicht lesbar. Ich hätte mir lediglich zur geografischen Orientierung eine Karte gewünscht, das war tatsächlich schwer vorstellbar für mich, wo ich mich grade befinde.

Wenngleich der Erzähler uns die Geschichte aus Sicht aller darlegt bleibt er dabei doch nüchtern in seinen Schilderungen. Das sorgt dafür, dass mir persönlich die Charaktere nicht so nah kamen. Super beschrieben sind sie, ich sehe sie vor mir und kann mich gut in sie hineinversetzen, ich konnte jedoch keine Bindung zu ihnen aufbauen. Ab der Hälfte des Buches hatte ich aber den Eindruck, dass grade diese Distanz die Glaubhaftigkeit ausmacht. Genau so könnte es sich vor 100 Jahren zugetragen haben. Das Ende hätte ich mir persönlich anders gewünscht, aber es tut meiner Begeisterung für dieses tolle Buch keinen Abbruch.
Das Thema Polarmeerforschung ist, nicht zuletzt durch die Expedition der POLARSTERN in 2020, nach wie vor hochaktuell und es war eine große Lesefreude, die "Weiße Finsternis" so hautnah zu erleben.

Bewertung vom 10.05.2021
Kleiner Bruder
Balde, Ibrahima;Arzallus, Amets

Kleiner Bruder


ausgezeichnet

Auf der Suche

Es passiert nahezu täglich. Menschen verschiedener Herkunft lassen auf dem Weg über das Meer ihre Heimat, Familie und Freunde hinter sich, auf der Suche nach Frieden, Arbeit, Sicherheit, auf der Suche nach einer Zukunft riskieren sie ihr Leben. Auch der Guineer Alhassane möchte in Europa neu beginnen und begibt sich auf die gefährliche Reise. Sein Bruder Ibrahima ist seit dem Tod des Vaters verantwortlich für seine Familie, wie soll er nur der Mutter je wieder unter in die Augen treten? Mit der Absicht seinen kleinen Bruder zurück zu bringen macht sich auch Ibrahima auf den Weg quer durch Afrika.

Es ist erschütternd, was Flüchtlinge bereits hinter sich haben, bevor sie überhaupt ein Boot besteigen. Was sie zurück lassen. In Europa weiß man um die Lebensumstände in den afrikanischen Ländern. Was das aber für den einzelnen bedeutet, welche menschlichen Schicksale und Tragödien sich dort abspielen, das kann man nur aus solchen Erzählungen erfahren. Das besondere an diesem Buch ist, es ist nur in zweiter Linie die Geschichte einer Flucht, in erster Linie ist es die Geschichte eines jungen Mannes, seiner plötzlichen Rolle als Familienoberhaupt und seiner Liebe zu seinem kleinen Bruder.

Ibrahima kann viele Sprachen sprechen, aber er kann nicht gut schreiben. Der Journalist und Sänger Amets Arzallus hat diese wahre Geschichte niedergeschrieben, mit Ibrahimas Worten. Und wenngleich dieser nicht gut schreiben kann, erzählen kann er mit Worten, die wie eine Choreografie sind, jedes ist an seinem Platz und all seine Ängste, Träume und Hoffnungen liegen darin.

Meine 14-jährige Tochter hat das Buch ebenfalls gelesen und für ihr Alter als geeignet befunden. Ibrahimas Wortwahl und erzählerische Fähigkeiten hat auch sie als besonders angenehm zu lesen empfunden und würde sich so ein Buch mal als Schullektüre wünschen.
Ein kleines Buch mit einer großen Geschichte, einer von vielen deren Ende ungewiss ist.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.05.2021
Die Geschichte von Kat und Easy
Pásztor, Susann

Die Geschichte von Kat und Easy


sehr gut

Die Geschichte von Kat und Easy ist die Geschichte einer Jugendfreundschaft zwischen zwei Teenagermädchen und dem Wiedersehen nach 40 Jahren. Erzählerin ist Kat, die sich zurück erinnert an die Silvesterparty 1972/73 und das folgende Jahr mit all seinen Höhen und Tiefen, in dessen Herbst letztendlich die Freundschaft zerbrach. Mittlerweile betreibt Kat einen Blog zur Lebensberatung unter dem Namen "Mockingbird" und muss sich plötzlich dem Verlauf ihres eigenen Lebens stellen, als ihr klar wird, wer ihr unter dem Namen "Ich-wills-wissen" schreibt und sie um Aufarbeitung ihrer Probleme bittet.

Ich mag den Aufbau der Geschichte. Die Kapitel wechseln zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, in beiden Zeitebenen bewegen wir uns chronologisch vorwärts. Die Vergangenheit kommt ohne wörtliche Rede aus, was ich grundsätzlich schon total gerne mag und hier als Kontrast war es sehr gelungen. Generell fällt die ungewohnte (Nicht-) Zeichensetzung auf, Grammatik wie betrunkene Gedanken, Satzbruchstücke, es liest sich dadurch, als wäre man in den frühen 70ern dabei, unterwegs mit Kat und Easy. Wunderbar sonderbar.

Der Verlauf der Handlung spitzt sich zu, immer mehr Details aus der Vergangenheit kommen zur Sprache, werden aufgedeckt. Das Buch bleibt bis zum Ende spannend ohne auf die Tränendrüse zu drücken oder gekünstelt zu dramatisieren. Es sind kleine und große Tragödien im Leben zweier Teenagermädchen. Das Buch wagt keinen Ausblick darauf, wie es weitergehen könnte, was letztendlich glaubhaft ist, die Geschichte von Kat und Easy endet nicht nach der letzten Seite.

Das Buch hat mir sehr gefallen, die Sprache und der Aufbau, die Spannung und, dass es mich an meine Jugend erinnert hat, die Gefühle, Sorgen, Gedanken sind erlebbar geschildert. Die Charaktere sind vielseitig und mit der erforderlichen Tiefe beschrieben, wenn auch keiner, wirklich kein einziger mir sympathisch war. Tut der Lesefreude jedoch keinen Abbruch, wirkt eher authentisch!
Einen Kritikpunkt habe ich jedoch, die Kifferei und die Normalität, mit der allerhand Drogen konsumiert werden. Schön und gut, 70er - Jahre. Aber Menschen im Alter meiner Eltern nehme ich das einfach nicht ab und die Geschichte hätte es nicht gebraucht, es dient eher der Verdrängung und lässt mich die ohnehin diffusen Gefühle der Protagonist*innen anzweifeln. Was ist echt und was nur aus einer Laune im Rausch.

Ein großartiges Buch darüber, dass man die Zeit nicht festhalten, dass Vergangenes nicht zurückgeholt werden kann. Dass Freundschaften manchmal Geheimnisse und Lügen beinhalten, dass man irgendwann zu alt wird, um jung zu sein. Kat und Easy müssen sich der Vergangenheit und der Gegenwart stellen und sich selbst. Dabei lernen sie, dass sie jetzt nicht mehr darüber urteilen können, wie sie als 16-jährige gehandelt haben, aber umgekehrt damals schon waren, wer sie heute sind.

Bewertung vom 02.05.2021
Andrin
Altschäfer, Martina

Andrin


ausgezeichnet

Ein außergewöhnliches Debüt!

Ghostwriterin Susanne, hadert mit ihrem aktuellen Projekt, vielmehr mit dem zu biografierenden Großindustriellen, und wird von ihrem Verleger aus der Schreibblockade heraus in sein Feriendomizil nach Italien komplimentiert. Doch dort kommt sie nie an. Gestrandet in einem verlassenen Bergdorf, dem lediglich 2 Einwohner geblieben sind, verbringt sie erst eine Nacht, dann eine Woche, einen Monat.

Es ist ein schönes, leichtes Buch, locker geschrieben aber sprachlich auf hohem Niveau. Martina Altschäfer benutzt Beschreibungen, die mich häufig haben Schmunzeln lassen.
Schon auf Seite 50 ist eine Menge passiert, das Buch ist für die Geschichte relativ kurz, es hält sich nicht lange mit Floskeln auf, dramatisiert nicht, zieht nichts in die Länge, ist mit seinen übersichtlichen Kapiteln angenehm ruhig zu lesen. Die Geschichte hetzt einen nicht und doch ist eine Entwicklung zu spüren. Eine ganz leise.
Ich hatte es mir doch tatsächlich schwermütiger vorgestellt, Susanne vielleicht verzweifelter, auf der Suche nach dem Sinn des Lebens in der Abgeschiedenheit. Doch das maßt sich das Buch nicht an, eine Antwort zu geben auf die Sinnfrage, vielmehr fragt es: sind wir nicht alle ein bisschen Susanne?
Es ist auch weniger philosophisch als erwartet, eher unterhaltsam und kurzweilig, und doch muss man nach der letzten Seite erstmal in sich gehen und einordnen.
Die wenigen Charaktere sind so putzig, einerseits liebevoll beschrieben, aber doch nicht ganz greifbar, sie behalten ihre Sonderbarkeiten.
Dieser außergewöhnliche Roman sagt wohl jedem etwas anderes, jeder zieht für sich andere Weisheiten daraus. Durch seine Offenheit und die Abstraktheit seiner Hauptfiguren lässt die Geschichte einem die Freiheit, sich in ihr zu entfalten, die Gedanken werden nicht auf etwas gestupst, die Autorin scheint nichts Gezieltes zu bezwecken, das hat mir total gut gefallen.
Bonus: Nebenbei ist dieser Debütroman auch noch ein Kochbuch!

Vom äußeren Eindruck ist es zunächst ein eher unscheinbares Buch mit einem unscheinbaren Namen, zurückhaltend möchte ich sagen.
Normal dick.
Wäre es mir in einer Buchhandlung aufgefallen? Wahrscheinlich nicht.
Bei näherem Betrachten fällt jedoch auf, das Cover ist eigentlich außergewöhnlich, ein Gemälde. Ich fand heraus, dass es von niemand geringerem gemalt wurde als der Autorin selbst. Es gibt sogar eine Sonderausgabe des Buches mit dem Original-Holzschnitt, für die Kunstliebhaber unter euch.

Bewertung vom 26.04.2021
Hauskonzert
Levit, Igor;Zinnecker, Florian

Hauskonzert


sehr gut

Wenn ich ein besonders interessantes Buch lese, vor allem bei Klassikern, recherchiere ich oft Wissenswertes zum Autor.
Bei klassischer Musik habe ich das nie in Betracht gezogen. Wann wurde das Werk geschrieben? Was war der Komponist für ein Mensch und was hat er sich dabei gedacht, was wollte er erzählen? Dass unterschiedliche Künstler die Stücke unterschiedlich interpretieren... Wenn man darüber nachdenkt eigentlich klar.
Wer ist die Person hinter der Musik, auf der Bühne? Was Igor Levit angeht, weiß ich jetzt so viel, wie er bereit war, von sich preiszugeben. Dieses Buchprojekt war eigentlich als etwas Anderes geplant - so wie wir uns alle einiges für die letzten 14 Monate anders vorgestellt hatten. Herausgekommen ist nun eine Art Biografie, Reportage, Interview und Coming-of-age-Story. Wie ist Igor aufgewachsen, was begeistert ihn an seinem Beruf, welche Zweifel hat er, was macht ihn glücklich?
Was hat sein Leben im letzten Jahr ausgemacht? Florian Zinnecker, Journalist für DIE ZEIT, hat die Informationen zusammengetragen und spannend - aber manchmal sehr sprunghaft - beschrieben. Mal sind wir im Heute bei einem Treffen dabei, dann nimmt er uns mit in die Vergangenheit, um den Werdegang des Ausnahmetalents darzulegen, dazwischen Anekdoten.. Oft habe ich den Überblick verloren, was nun in welcher Reihenfolge geschah, einiges wiederholte sich. Trotzdem sehr kurzweilig und aufschlussreich, für jemanden wie mich, der klassische Musik gerne hört, aber sonst auch nichts groß dazu sagen kann. Wird einem alles erklärt. Ich hatte nicht das Gefühl, da geht es um Themen, von denen ich nichts verstehe, man wird von beiden Erzählern mitgenommen.
Igor ist nicht überheblich aufgrund seines Könnens, er ist überaus menschlich, authentisch, lässt viel aus dem Zeitgeschehen an sich heran, engagiert sich, bezieht politisch Stellung. Ich habe ihn vor kurzen bei Jan Böhmermann zusammen mit Danger Dan gesehen, danach im "Kölner Treff", beide Interviews waren so sympathisch und, ein Künstler, der normal geblieben ist, der zum Ende des Buches erklärt, die Hauskonzerte während der Coronakrise haben etwas für ihn geändert, haben Druck herausgenommen.
Die Geschichte der "Hauskonzerte" nun ist sehr schön. Da Igor Levit Publikum braucht, egal ob 500 Personen oder nur 5, spielt er während des Lockdowns im Frühjahr 2020 von zu Hause aus und twittert seine Konzerte. Er spielt, wonach ihm ist, ohne Tontechniker, ohne Programm, ohne den "Klassikbetrieb". Das stellt eine ganz andere Verbindung zwischen Publikum und Künstler her, denn das, was man jetzt sieht und hört ist Igor, die einzigen Kritiker sind sein Publikum.

Was mich zu Schluss nachdenklich macht ist das Thema "Kritik" im allgemeinen, welches im Buch an vielen Stellen in unterschiedlicher Form zur Sprache kommt. Kritik zeigt sich immer häufiger destruktiv, herabwürdigend. Drängt Künstler, drängt MENSCHEN in die Defensive, in den Verteidigungsmodus. Dieses ewige Gegeneinander ist ein unterschwelliges, großes Thema des Buches und ein Blick auf die derzeitige politische und gesellschaftliche Situation.

Ich mag Klaviermusik sehr. Ich kann kein Instrument spielen, aber ich kann lesen. Ich konnte lesen, wie es ist jemand zu sein, der das kann und was ihn antreibt.

Bewertung vom 18.04.2021
Sylvia und der Vogel
Koomen, Gemma

Sylvia und der Vogel


ausgezeichnet

Wenn man genau hinsieht, entdeckt man zwischen den Ästen der Bäume kleine menschenähnliche Wesen, die Baumhüter. Eine von ihnen ist Sylvia. Doch während die anderen spielen und toben, ist Sylvia lieber für sich. Doch in ihrem geheimen Versteck ist sie plötzlich nicht mehr allein, ein kleiner Vogel hat dort Zuflucht gesucht! Die beiden werden Freunde, doch Zausel gehört in den Himmel zu seinem Schwarm - und Sylvia zu ihresgleichen. Erst durch die Freundschaft mit Zausel öffnet sie sich.
Eine schöne Geschichte in kurzen Texten, schon gut lesbar für die erste Klasse. In den Illustrationen gibt es viel zu entdecken, kleinere Kinder können immer wieder blättern und suchen, was die putzigen Baumhüter so treiben.
Es hat mir und meiner 6-Jährigen Tochter sehr gefallen!
Es gibt ja ganz unterschiedliche Kinder, ich glaube, das Buch spricht vor allem introvertierte Kinder an, die sich mit Kontakten zu gleichaltrigen schwertun.

Bewertung vom 09.04.2021
Der Schneeleopard
Tesson, Sylvain

Der Schneeleopard


ausgezeichnet

Dieses Buch beinhaltet einen der Gründe, warum ich so gern lese.
Ich kann durch Bücher etwas erleben, das ich in der Realität sicher nie erleben werde. Ein anderer hat es für mich gesehen und gefühlt und erzählt mir davon, so echt und so nah und so schön, dass ich in Gedanken dabei sein kann.
Der Schriftsteller Sylvain Tesson macht seine Reise durch Tibet mit dem Team des angesehenen Tierfotografen Vincent Munier für mich erlebbar, durch seine entschleunigende Art zu beschreiben und durch die treffenden Umschreibungen, die er verwendet.
Auf der Suche nach den letzten Schneeleoparden Tibets in 4000 Metern Höhe fällt der Blick auf die Welt von heute nicht grade positiv aus. Mehr als das Tagebuch dieser Reise ist es ebenfalls eine Mahnung, ein Bedauern, dass der Mensch im Laufe der Jahrtausende alles um sich herum für sich beansprucht hat, der zum Großteil keinen Blick mehr hat für die Schönheit der Natur, für die Unbändigkeit wilder Tiere.
Teils gehen Poesie und Aphorismen ein bisschen mit dem Autor durch, eine Spur nüchterner hätte für mich auch ausgereicht, doch es zieht es einen auch sehr in den Bann der Erlebnisse.
Neben der erzählerischen Fähigkeit gefällt mir besonders die Stimmung, die in dem kurzen Buch mitschwingt. Melancholie, Sehnsucht. Demut.
Ein ganz wunderschönes, unauffälliges Buch, dass mich zum Lächeln gebracht hat, dass nachdenklich macht, dass die Gedanken schweifen lässt.